14

Das rothaarige Mädchen kniete angstvoll vor der rundlichen Frau aus dem Stamm der Staubfüße. Sklavinnen wissen, daß sie freie Frauen am meisten zu fürchten haben.

»Wowiyutanye!« fauchte die Frau das wimmernde Mädchen an.

»Ja, Herrin«, sagte das Mädchen verständnislos auf goreanisch.

Die Männer ließen sich bei ihren Tauschgeschäften nicht stören.

Ich saß in der Nähe und hatte eine Decke vor mir ausgebreitet, auf dem verschiedene Tauschwaren lagen, vorwiegend Spiegel, Färbemittel und Glasperlen, die ich in Kailiauk gekauft hatte.

Zornig wandte sich die Staubfuß-Frau von der Sklavin ab und kam zu mir. Strahlend sah sie mich an. Alles in allem ist der Stamm liebenswürdig, aufgeschlossen und großzügig. Man kommt leicht mit diesen Menschen aus.

»Hou!« sagte die Frau zu mir und kniete auf der anderen Seite der Decke nieder.

»Hou!« antwortete ich.

Es fällt schwer, Staubfüße nicht zu mögen. Im Handel sind sie die wichtigsten Partner und treten als Vermittler und Diplomaten des westlichen Ödlandes auf.

Die Frau öffnete einen rechteckigen Lederumhang, einen Parfleche, den sie an einem Schultergurt trug. Er enthielt mehrere Perlenstickarbeiten und kleine Felle. Einige dieser Dinge legte sie an ihr Ende der Decke.

»Hopa!« sagte ich bewundernd. »Hopa.«

Sie strahlte, und ihre kräftigen Zähne blitzten weiß in dem rötlichbraunen Gesicht.

Sie deutete auf einen kleinen Spiegel mit Metallrand. Ich reichte ihn ihr.

Dann drehte ich mich um. Schräg hinter uns kniete das rothaarige Mädchen im Gras. Ich nahm nicht an, daß sie die Staubfuß-Frau unmittelbar gekränkt hatte; es lag wohl eher daran, daß die Frauen dieser Stämme für weiße Sklavinnen nichts übrig hatten. Viele Staubfuß-Frauen sahen es nicht gern, daß die Männer solche gutgebauten, begehrenswerten Tauschgüter in das Ödland holten.

Sorgfältig untersuchte die Frau den kleinen Spiegel.

Ich schaute an ihr vorbei, wo mehrere Meter entfernt die Kaiila der uns besuchenden Staubfüße angebunden waren. Neben den Tieren kniete eine weiße Sklavin des Stammes. Sie trug ein kurzes Gewand aus weichem Leder mit Fransen, eingerissen und voller Flecken, zweifellos das abgelegte Kleidungsstück einer freien Frau, gekürzt auf die Länge, die für eine Sklavin angemessen war. Sie war schweißbedeckt und schmutzig von Staub. Das dunkle Haar war ebenfalls feucht und verfilzt. Die Beine wiesen zahlreiche Kratzer auf. Hier und dort sah man Streifen, die von Schweißtropfen in den Staub geschwemmt worden waren. Sie hatte sich mit den Händen die Oberschenkel gerieben, so daß zwei Stellen sehr verwischt aussahen. Sie war neben der Kaiila ihres Herrn hergelaufen, offenbar in großer Eile.

Grunt hatte mit vier oder fünf Staubfuß-Kriegern verhandelt. Jetzt stand er auf, begab sich zu seinen Lasten und holte ein Beil.

Die Sklavin der Staubfüße, die neben der Kaiila kniete, trug ein glasperlenbesetztes Halsband, das etwa anderthalb Zoll breit war, ein hübsches Schmuckstück. Vorn am Hals war das Gebilde zusammengeschnürt. Die Perlen ergaben ein interessantes Muster, das Auskunft gab über ihren Eigentümer. Ähnliche Zeichen werden benutzt, um Pfeile oder andere persönliche Güter zu kennzeichnen. Besonders wichtig sind solche Symbole bei Pfeilen, denn mit ihrer Hilfe wird das Fleisch verteilt. Für eine Sklavin bedeutet es übrigens den Tod, ihren Kragen ohne Erlaubnis abzunehmen. Darüber hinaus erfolgt die Verschnürung durch einen sogenannten Signaturknoten, ein kompliziertes Gebilde in einem vorgegebenen Stammesstil, einen Knoten, der nur jenem bekannt ist, der ihn erfunden hat. Praktisch ist es unmöglich, einen solchen Knoten abzunehmen und wieder zu befestigen, ohne daß der Herr, wenn er seinen Knoten überprüft, etwas merkt. Die Sklavin hielt den Kopf gesenkt.

»Zwei«, sagte die Staubfuß-Frau auf goreanisch zu mir und hob zwei Finger. Sie deutete auf den Spiegel, der nun vor ihr lag, und auf zwei glasperlenbesetzte Rechtecke, die sie aus ihrem Parfleche genommen hatte. Solche Zierarbeiten sind in den Andenkenläden mancher Städte sehr beliebt; sie lassen sich auch von Lederarbeitern in verschiedene Artikel einnähen, zum Beispiel Geldbörsen, Taschen, Brieftaschen, Gürtel, Umschläge und Waffenscheiden. Interessanterweise sind solche Arbeiten außerhalb der Grenzzone beliebter als nahe dem Ödland. Das liegt nicht daran, daß sie in der Grenzzone nicht häufiger zu finden wären, doch mahnen sie wohl nahe der Ihanke an die Realität und Nähe der roten Nationen, während diese Stämme aus größerer Ferne nicht als gefährliche Nachbarn angesehen werden, sondern als beinahe mythische Gestalten. So ist bisher wohl kaum ein Bürger Ars durch den ohrenbetäubenden Schrei eines Kaiila-Kriegers aus dem Schlaf gerissen worden.

»Fünf«, sagte ich zu der Staubfuß-Frau. Ich mußte daran denken, daß Grunt vor zwei Tagen bei einem ähnlichen Tauschhandel an anderem Ort fünf solche Rechtecke für einen ähnlichen Spiegel erhalten hatte. Während ich der Frau meinen Vorschlag machte, lächelte ich. Bei solchen Verhandlungen ist es für beide Seiten angebracht, viel zu lächeln. Dies macht den ganzen Handel, wenn er denn vollzogen wird, für beide Seiten sehr viel angenehmer. Es werden nicht nur Spannungen gemindert, sondern auch mögliche Verletzungen der Eitelkeit von vornherein vermieden. Man tut sich leichter, mit einem Lächeln ein wenig weniger zu bekommen, als man möchte, oder ein wenig mehr zu geben, als man beabsichtigt hatte. So wirken Konzessionen auf beiden Seiten weniger als Niederlagen, sondern eher als ein Gefallen, den man einem Freund tut. Langfristig gesehen, steigert dies die Zahl der für beide Seiten zufriedenstellenden Geschäfte, und der Partner, der bei einem Handel Zufriedenheit gefunden hat, wird sich eher auf einen neuen Tausch einlassen – und kann daher als regelmäßiger Kunde gelten. Es ist besser, an einem einzelnen weniger zu verdienen und ihn als Dauerkunden zu gewinnen, als einen höheren Profit zu machen und ihn nie wiederzusehen. So dachte wenigstens Grunt, der bei den Staubfüßen beliebt war, und soweit ich das beurteilen kann, spricht viel für diese Handlungsweise.

Wieder betrachtete ich die weiße Sklavin der Staubfüße. Gewaschen und gekämmt mochte sie nicht unattraktiv sein. Ich konnte mir schon vorstellen, warum die Krieger solche Geschöpfe um sich haben wollten und warum die Frauen gereizt und verächtlich reagierten. Wie konnten sie mit einer Sklavin konkurrieren? Wie konnten sie ihr gleichkommen, ohne selbst auch Sklavinnen zu werden?

»Zwei«, bot die Staubfuß-Frau.

»Fünf«, gab ich zurück. Ich war natürlich nicht wegen des Tauschhandels ins Ödland gekommen. Am liebsten hätte ich der Frau den Spiegel geschenkt. Andererseits hatte mir Grunt klargemacht, daß man die roten Wilden nicht beleidigen oder unrealistisch behandeln durfte, besonders mit Rücksicht auf andere Kaufleute, die uns folgen mochten. Wenn ich Waren verschenkte oder zu billig abgab, kam darin zum Ausdruck, daß ich billige oder minderwertige Dinge mitführte, ein Schluß, der sicher nicht zu unserem Vorteil war. Und waren die Tauschgüter in Ordnung, mochten die Krieger annehmen, sie hätten bisher zuviel dafür bezahlt, und fest erwarten, daß später kommende Händler ähnliche Preise forderten, was sie natürlich nicht tun würden oder sich leisten konnten.

Einer der Staubfuß-Krieger untersuchte gründlich das Beil, das Grunt ihm gereicht hatte. Grunt entschuldigte sich und stand auf. Beim Tauschhandel war es ratsam, rote Wilde nicht zu bedrängen.

Grunt kehrte zu seinen Vorräten zurück und holte einige in Wachspapier gewickelte Gegenstände. »Canhanpisasa«, sagte er. »Canhanpitasaka. Canhanpitiktica.« Mit diesen Worten begann er kleine Brocken Süßigkeiten an die umstehenden Krieger und Frauen zu verteilen. Die Frau, mit der ich gerade verhandelte, bekam ebenfalls eine Handvoll Melasseflocken. Sie schmatzte mit den Lippen und wechselte mit Grunt einige Worte, bei denen es sich um Höflichkeitsfloskeln handeln mochte.

Sie deutete auf Grunt. »Wopeton«, sagte sie. »Akihoka. Zontaheca.«

Ich schaute Grunt an. Ich wußte, daß er bei den roten Wilden unter anderem ›Wopeton‹ genannt wurde, was ›Händler‹ oder ›Kaufmann‹ bedeutet.

»Sie sagt, ich sei ein geschickter, ehrlicher Bursche«, übersetzte er.

»Hopa! Wihopawin!« sagte er dann zu ihr.

Lachend beugte sich die rundliche Frau vor. ›Hopa‹, das wußte ich, bedeutete ›hübsch‹ oder ›attraktiv‹.

»Wawihaka! Wayaiha!« rief sie lachend.

»Ich sagte ihr, sie sei eine hübsche Frau«, dolmetschte Grunt, »und jetzt neckt sie mich. Sie sagt, ich sei ein Schelm, ein Mann, der andere zum Lachen bringt.«

»Zwei«, sagte die Staubfuß-Frau zu mir.

»Fünf«, gab ich zurück.

Die Süßigkeiten in der Hand, sah Grunt sich um. Er erblickte einen rothäutigen Jugendlichen etwas außerhalb des Kreises der Krieger und bedeutete ihm näherzukommen. Der Junge trug Hemd, eine Hose und darüber einen Lendenschurz. Grunt bot ihm einen Brocken Süßigkeit an. Der junge Mann lehnte kopfschüttelnd ab. Sein Blick galt dem rothaarigen Mädchen.

»Ah«, sagte Grunt und wandte sich an die Sklavin. »Zieh dich aus!« Augenblicklich gehorchte sie. »Du kannst dich geschmeichelt fühlen«, sagte Grunt zu ihr. »Unser junger Besucher findet dich interessanter als Zuckerwerk. Sei ihm zu Gefallen!«

Zögernd wandte sich das Mädchen dem jungen Mann zu.

»Vier«, sagte ich zu der Staubfuß-Frau. Vermutlich hätte ich meinen Anfangspreis höher ansetzen müssen. Wie die Dinge lagen, würde ich für meinen kleinen Spiegel weniger erhalten, als Grunt gestern für ein ähnliches Tauschstück erlöst hatte.

»Winyela«, sagte die Staubfuß-Frau angewidert und spuckte ins Gras.

Grunt war zur Kette zurückgekehrt, an der die meisten seiner Mädchen kauerten, und löste Ginger, Ulla und Lenna, die beiden Schwedinnen. Mit Ausnahme der Rothaarigen hatten alle Mädchen inzwischen einen Namen erhalten, und zwar ihren früheren Erdennamen, der ihnen jetzt aber als Sklavenname verliehen worden war. Die beiden Amerikanerinnen hießen Lois und Inez, die Französin Corinne, die beiden Engländerinnen werden Priscilla und Margaret gerufen. Daß die rothaarige Amerikanerin noch keinen Namen erhalten hatte, lag nicht daran, daß Grunt oder ich Millicent als Sklavennamen nicht gut fanden, eher im Gegenteil. Vielmehr wollte Grunt sie noch nicht benennen.

Zwischen den Mädchen stehend, führte er Ulla und Lenna vor. Ginger folgte einige Schritte dahinter. Außer diesen drei Mädchen waren im Moment noch die Rothaarige und eine weitere Sklavin von der Kette frei – die Engländerin Margaret, die von Grunt unter eine Kailiauk-Haut gelegt worden war.

Vor den sitzenden Männern ließ Grunt die beiden Mädchen niederknien. Ginger übersetzte die Kommandos, mit denen er sie dazu brachte, vor den roten Wilden zu posieren.

Dann setzte sich Grunt und begann mit den Wilden zu sprechen. Einer deutete auf Ulla und sagte etwas, ein anderer interessierte sich sichtlich für Lenna.

Ich lächelte vor mich hin. Grunt wußte, wie er seine Waren anpreisen mußte.

Der rothäutige Jüngling beschäftigte sich inzwischen intensiv mit der Rothaarigen. Mürrisch schaute die Staubfuß-Frau über die Schulter. »Winyela!« sagte sie verächtlich.

»Vier«, forderte ich und lenkte ihre Aufmerksamkeit wieder auf unser Geschäft.

»Zwei«, beharrte sie und beäugte den Spiegel.

»Vier!« sagte ich.

»Drei!« rief sie plötzlich und ließ ihre gesunden, kräftigen Zähne blitzen.

»Drei«, stimmte ich zu. Ich spürte, daß sie den Spiegel unbedingt haben wollte.

Ich gab ihr den Spiegel, und sie reichte mir die drei glasperlenbesetzten Rechtecke. Dann erhob sie sich erfreut und empfahl sich. Ich faltete die Decke mit meinen Waren und den eingetauschten Schmuckstücken zusammen. Ich hatte nicht gerade hart verhandelt. Gestern hatte Grunt für einen ähnlichen Spiegel fünf solche Artikel bekommen. Vermutlich hätte ich meinen Anfangspreis höher ansetzen müssen.

Nach rechts schauend, sah ich, daß zwei rote Krieger Ulla und Lenna perlenbesetzte Halsbänder umlegten. Kailiaukroben lagen im Gras. Vor einigen Ahn hatte Grunt zwei Stangen zu einem Lastenschlepper für seine Pack-Kaiila verarbeitet. Eine solche Schlepplast vermindert natürlich die Geschwindigkeit des Tiers, ermöglicht aber eine schwere Last. Bei den roten Wilden ist diese Transportmethode weit verbreitet, besonders wenn es um die Umsetzung ganzer Lager geht. Wenn Grunt endlich bereit war, nach Kailiauk zurückzukehren, würde sein Lastenschlepper schwer beladen sein.

Zwischen den roten Kriegern und der Mädchenkette erstreckte sich die Kailiaukrobe, unter der Margaret lag. Ein raffinierter Trick meines Begleiters. Die Staubfüße hatten sicher längst bemerkt, was sich da unter der Robe befand. Wollte Grunt sie etwa verstecken?

Ulla und Lenna wurden mit Lederschnüren an den Sattelknäufen zweier Kaiila festgemacht. Einer der roten Krieger begab sich dann zu dem Kailiauk-Fell, unter dem Margaret lag. Grunt folgte ihm; er schien unwillig zu sein, das Fell anzuheben.

Ich näherte mich den beiden.

»Hou«, sagte ich zu dem Staubfuß-Krieger.

»Hou«, antwortete er.

»Ieska!« rief einer der Staubfüße aus der Gruppe der Krieger. Auch unter diesem Namen war Grunt im Ödland bekannt. Wörtlich übersetzt deutet er auf einen Mann hin, der gut zu sprechen vermag. Im weiteren Sinne wird damit ein Dolmetscher bezeichnet.

Grunt entschuldigte sich und folgte dem Ruf des Kriegers; es handelte sich um den Mann, der sich das Beil angeschaut hatte. Nun hielt er drei Finger in die Höhe und deutete auf das dunkelhaarige Mädchen, das neben der Kaiila kniete.

Auf ein Kommando ihres Herren eilte sie herbei und kniete vor Grunt nieder. Er untersuchte sie gründlich und erklärte sich schließlich einverstanden, sie für drei Beile zu übernehmen.

»Ieska! Wopeton!« rief der Mann am Kailiauk-Fell.

Als Grunt zu ihm zurückgekehrt war, forderte der Staubfuß einen Blick unter das Fell. Grunt, der genau wußte, was er tat, schien abzulehnen und forderte den Mann sogar auf, sich die anderen Mädchen an der Kette anzusehen. Dieser Aufforderung kam der Krieger allerdings nur halbherzig nach; nur bei der Rothaarigen verweilte er einen Augenblick länger. Grunt aber sagte etwas zu ihm, woraufhin er sich wieder dem Fell zuwandte; die Frage, was darunter lag, schien ihn nicht mehr loszulassen. Anscheinend wollte Grunt die rothaarige Sklavin nicht für den Verkauf freigeben. Es sah so aus, als hätte er andere Pläne mit ihr. In meiner Gegenwart hatte er vermutet, er könnte fünf gelbe Kailiaukfelle für sie erhalten. Nein, sie war nicht nur als Lasttier ins Ödland gebracht worden. Er hatte etwas anderes mit ihr vor.

Nun näherten sich auch einige andere Staubfuß-Krieger dem Kailiauk-Fell, unter dem Margaret lag. Der erste rote Wilde wurde langsam ungeduldig. Er war kein Dummkopf. Wenn Grunt ein Mädchen wirklich verstecken wollte, hätte er sie vermutlich irgendwo abseits in einer Senke untergebracht. So mußte er annehmen, daß das Kailiauk-Fell einen möglichen Käufer einstimmen sollte. Sein Interesse war jedenfalls spürbar geweckt. Hoffentlich wußte Grunt, was er tat. Er sagte leise einige Worte zu dem Krieger, der daraufhin zu lachen begann. Ich verstand erst nach einigen Augenblicken, was sich ereignete. Der Staubfuß sollte, wenn er sich für das Mädchen interessierte, ein blindes Gebot abgeben auf die Sklavin, die da unter dem Fell lag. Es war ein Scherz und auch eine Art Spiel. Der Staubfuß-Krieger und seine Stammesgenossen waren entzückt. Er versuchte, um das Fell herumzugehen und darunterzuschauen, doch Grunt spielte den ernsthaft Besorgten, sprang hinter ihm her und zupfte das Fell immer wieder zurecht. Im allgemeinen lieben die roten Wilden Scherze und Spielchen. Ihre Streiche erscheinen manchmal exzentrisch oder grob, doch haben sie großen Spaß daran, wie auch an Spielen und Wettbewerben aller Art. So sind das Schätzen von Mengen, das Würfelspiel und anderes sehr beliebt, ebenso wie Wetten im Zusammenhang mit der Schußweite von Pfeilen und dem Auftauchen und Verhalten von Tieren, insbesondere Vögeln. Selbstverständlich ist auch, daß Kaiila-Rennen sehr beliebt sind. Zuweilen nehmen ganze Dörfer an solchen Veranstaltungen teil.

Was hier vorging, läßt sich nur verstehen, wenn man sich klarmacht, daß die Staubfüße Grunt kannten und respektierten ... und mochten. Ein solches Spiel hätten sie mit einem Fremden niemals gespielt. Theoretisch könnte natürlich ein hohes Gebot auf das unter dem Fell liegende Mädchen gemacht werden, das sich dann als tharlarionhäßlich erweisen konnte. Die Staubfüße wußten aber, daß Grunt, praktisch gesehen, ihnen so etwas niemals antun würde. Wahrscheinlich würde er ein nicht nur hübsches, sondern sogar sehr hübsches Mädchen unter das Fell legen. Da Blindangebote meistens niedriger ausfallen, handelte es sich also praktisch um ein Geschenk an den Stamm. Mit dramatischen Gesten weigerte sich der Staubfuß für die Verborgene mehr als zwei Felle zu bieten. Er bedeutete Grunt, daß er das Angebot nun ablehnen oder annehmen müsse. Natürlich erklärte sich Grunt mit dem Preis einverstanden und riß feierlich das Fell zur Seite. Margaret, jäh den Blicken der Umstehenden dargeboten, stieß einen Angstschrei aus. Blinzelnd rollte sie sich zusammen und machte sich so klein wie möglich. Sie bot einen hinreißenden Anblick. Die Begleiter des Staubfuß-Indianers stießen Freudenrufe aus und schlugen ihm beglückwünschend auf Schultern und Rücken. Der Staubfuß-Krieger, der mehr als zufrieden war, wollte Grunt dazu bewegen, für das Mädchen noch mindestens ein zusätzliches Fell anzunehmen, aber großmütig weigerte sich der Weiße. Abgemacht war abgemacht, und schließlich war er Kaufmann, nicht wahr? Margaret wurde hochgezerrt, und der Staubfuß band ihr seinen Lederkragen um.

»Sie sind sehr zufrieden«, sagte ich zu Grunt.

»Das glaube ich auch«, erwiderte er.

Wir sahen zu, wie die roten Krieger aufstiegen. Ulla und Lenna standen abmarschbereit neben den Kaiila ihrer neuen Herren, die sich in die Sättel schwangen und losritten. Auch Margaret wurde auf diese Weise mitgezerrt; sie warf einen verzweifelten Blick zurück. Alle drei würden es lernen, ihr neues Sklavendasein auszufüllen.

Wir blickten der Gruppe nach.

»Gute Geschäfte«, sagte ich.

»Da hast du recht«, stimmte mir Grunt zu. »Ich glaube, wir sind alle recht zufrieden.« Er wandte sich um und deutete auf das dunkelhaarige Mädchen, das wir für die drei Beile erworben hatten. »Bring sie zum Fluß und laß sie baden«, sagte er.

»Ja«, antwortete ich. »Und was machst du?«

»Wir werden hier unser Lager aufschlagen.«

»Hier?«

»Es gibt in der Nähe Wasser. Und Holz.«

»Du willst hier am Tauschplatz bleiben?« fragte ich verwirrt. Es war der letzte Tauschplatz auf dem Gebiet der Staubfüße. Mit weiteren Angehörigen dieses Stammes war hier nicht zu rechnen, wenigstens nicht in der nächsten Zeit. Ich selbst hatte großes Interesse, nach Osten zu ziehen.

»Wenigstens für heute«, erwiderte er.

»Wir könnten bis zum Dunkelwerden noch fünf Pasangs schaffen.«

»Wir lagern hier.«

»Schön.«

Er näherte sich dem Mädchen, das im Gras kniete. »Womnaka, Amomona«, sagte er. »Womnaka, Wincincala.«

»Ho. Itancanka. Ho, Wicayuhe«, antwortete sie.

»Sie spricht den Dialekt der Staubfüße und beherrscht dann sicher auch Kaiila. Es handelt sich um zwei eng verwandte Sprachen, oder besser: um Dialekte derselben Sprache. Die Fliehersprache hat ebenfalls eine gewisse Ähnlichkeit, allerdings eine entferntere.«

»Sie hat schon vorhin auf deine Kommandos reagiert«, sagte ich. »Sie muß also auch Goreanisch können.«

»Sprichst du Goreanisch?« fragte er. »Vielleicht kannte sie in dieser Sprache nur bestimmte Kommandos.«

»Ja, Herr«, antwortete sie.

»Ich kümmere mich um das Lager«, sagte Grunt und sah sich um. »Sorg dafür, daß sie im Bach badet.«

»In Ordnung.«

»Laß dir Zeit«, mahnte er mich. »Es hat keine Eile.« Grunt sah sich um. Langsam ließ er den Blick über die Weite des Graslandes wandern.

Ich blickte auf das Mädchen nieder, das vor mir kniete, und deutete in Richtung Bach.

»Ja, Herr«, sagte sie.


»Ginger!« rief ich.

Kurze Zeit später kam die Sklavin zum Bach geeilt.

»Bring uns Kamm und Bürste!« befahl ich.

»Ja, Herr«, sagte sie und war gleich darauf mit den gewünschten Gegenständen zur Stelle.

»Gib ihr den Kamm!« sagte ich und nahm ihr die Bürste ab, die ich neben mir ablegte. Ginger watete in den Strom hinaus und reichte dem neuen Mädchen den Kamm.

»Sie ist ziemlich hübsch«, sagte Ginger zu mir; vom Ufer aus sahen wir zu, wie das neue Mädchen sich mit dem Kamm aus Kailiaukhorn durch das Haar fuhr.

»Finde ich auch«, antwortete ich. Sie war schlank und hatte eine hübsche Figur.

»Sie könnte vier Felle bringen«, sagte Ginger.

»Möglich«, sagte ich und schickte Ginger fort. Das andere Mädchen ließ ich nicht aus den Augen.

Sie war wunderschön, und ihre Schönheit war tausendmal aufregender als die einer freien Frau, denn sie war Sklavin.

»Der Herr sieht mich offen an«, sagte sie scheu.

»Du bist Sklavin«, erwiderte ich.

»Ja, Herr«, antwortete sie, drehte den Kopf zur Seite und bewegte langsam den Kamm. »Darf ich daraus schließen, daß der Herr mich nicht ganz abstoßend findet?«

»Darfst du«, sagte ich.

»Ob ich wohl wirklich vier Felle wert bin?«

»Das ließe sich leicht feststellen. Du siehst in der Tat schon anders aus als vorhin bei deinem Kauf.«

»Es ist schwierig, frisch und hübsch zu bleiben«, sagte sie, »wenn man neben einer Kaiila durch Büsche und Gräser laufen muß.«

Ich nickte. »Wie wurdest du von den Staubfüßen genannt?«

»Wasnapohdi«, antwortete sie.

»Und was bedeutet das?«

»Pickel.«

»Du hast doch aber gar keine Pickel.«

»Ich wurde als Waniyanpi geboren, in einer der Waniyanpi-Siedlungen der Kailiauk«, sagte sie. »Meine Eltern, die sich vorher nicht kannten, wurden von den roten Herren, obwohl sie Gleiche waren, am Tag der Waniyanpi-Fortpflanzung gezwungen, den häßlichen Akt zu vollziehen.«

»Ich verstehe kaum, was du mir da erzählst«, sagte ich. »Was sind Waniyanpi? Und die Kailiauk?«

»Viele Stämme lassen es zu, daß in ihren Gebieten kleine ackerbautreibende Gruppen existieren«, sagte sie. »Die Angehörigen dieser Gemeinschaften sind an den Boden gebunden und stehen als Ganzes im Besitz des Stammes, auf dessen Territorium sie leben dürfen. Sie bauen für ihre Herren allerlei Nahrungsmittel an, zum Beispiel Wagmeza und Wagmu, Mais oder Getreide, und andere Pflanzen wie Kürbisse und Melonen. Im Notfall müssen sie auch als Arbeitskräfte zur Verfügung stehen – und als persönliche Sklaven, wenn den Herren der Sinn danach steht. Wird ein solches Gemeindemitglied aus der Enklave genommen, hört er oder sie auf, Waniyanpi zu sein, und verwandelt sich in einen ganz gewöhnlichen Sklaven, der einem bestimmten Herrn gehört. Normalerweise werden dazu Töchter genommen, denn die roten Herren finden sie als Sklaven sehr begehrenswert, doch manchmal hat man es auch auf junge Männer abgesehen. Das Wort ›Waniyanpi‹ bedeutet wörtlich ›zahmes Vieh‹ und bezieht sich auf die kollektiv im Eigentum stehenden Sklaven dieser winzigen landwirtschaftlichen Enklaven. Die Kailiauk sind ein Stamm, der mit den Kaiila verbündet ist. Die Stämme sprechen eng verwandte Dialekte.«

»Kommen deine Eltern aus derselben Gemeinschaft?«

»Nein«, antwortete sie. »Am Tag der Fortpflanzung werden die Männer in eine andere Gemeinschaft geführt.«

»Du hast von einem häßlichen Akt gesprochen«, bemerkte ich. Diese Worte gefielen mir nicht. Sie erinnerten an eine ferne und kranke Welt, eine Welt voller Kopfschütteln, verlegenem Schweigen und schmutzigen Witzen. Da sind doch die goreanischen Sklavenkragen weitaus ehrlicher.

»Die Gleichen«, erklärte sie, »sind grundsätzlich gegen sexuelle Beziehungen zwischen Menschen, und besonders zwischen Menschen unterschiedlichen Geschlechts, da das herabwürdigend und gefährlich sei.«

»Wieso gefährlich?«

»Nicht gesundheitsgefährlich«, antwortete sie, »sondern gefährlich für die Lehre.«

»Welche Lehre?«

»Die Lehre, daß Männer und Frauen gleich sind. Das ist der Kern des Glaubens der Waniyanpi.«

»Glauben sie das wirklich?«

»Sie tun so«, erwiderte sie. »Ob sie wirklich davon überzeugt sind, weiß ich nicht.«

»Sie glauben, daß Männer und Frauen gleich sind«, sagte ich staunend.

»Außer daß Frauen irgendwie überlegen sein sollen.«

»Dann scheint mir dieser Glaube nicht nur offensichtlich falsch, sondern nicht einmal in sich schlüssig zu sein.«

»Vor der Lehre muß man die eigene Vernunft aufgeben«, sagte sie. »Die Lehre zu prüfen, ist ein Verbrechen. Sie in Frage stellen, gilt als Blasphemie.«

»Sie bildet aber die Grundlage der Gesellschaft der Waniyanpi?« fragte ich.

»Ja. Ohne sie würde diese Gesellschaft zusammenbrechen.«

»Na und?«

»Die Waniyanpi nehmen die Auflösung ihrer Gesellschaft nicht so leicht wie du«, antwortete sie lächelnd. »Du wirst außerdem begreifen, wie nützlich solche Ansichten sind. Darin liegt eine ausgezeichnete Philosophie für Sklaven.«

»Dessen bin ich gar nicht so sicher«, sagte ich.

»Wenigstens gibt die Lehre Männern einen Vorwand, keine Männer zu sein.«

»Das scheint mir richtig zu sein.«

»Die Lehre hilft ihnen, Waniyanpi zu bleiben«, fuhr sie fort. »So sind sie weniger in Gefahr, die Aufmerksamkeit oder den Zorn ihrer roten Herren zu erregen.«

»Die roten Herren amüsieren sich immer sehr über die Waniyanpi-Enklaven«, sagte das Mädchen.

Ich mußte an die ›Erinnerung‹ denken, die von den roten Wilden manchmal beschworen wurde. »Die Lehren der Waniyanpi gingen ursprünglich gewiß von den roten Herren aus und wurden den Waniyanpi aufgezwungen, nicht wahr?«

»Das weiß ich nicht genau. Vielleicht haben die Waniyanpi sie erfunden, um vor sich selbst eine Entschuldigung für ihre Feigheit, Schwäche und Ohnmacht zu haben.«

»Möglich«, räumte ich ein.

»Wenn man nicht stark ist, neigt man dazu, aus der Schwäche eine Tugend zu machen.«

»Das ist wohl richtig«, sagte ich. Vielleicht lag hier wirklich keine Unterdrückung durch die roten Wilden vor, vielleicht hatten die Waniyanpi sich selbst und ihre Kinder betrogen. Mit der Zeit pflegten sich solche Lehren, so absurd sie auch sein mochten, in die Selbstverständlichkeit zu entwickeln, erhielten Bestätigung durch die Tradition – welche der beliebteste Denkersatz der Menschen war und ist.

»Du selbst scheinst von dem Wahn der Waniyanpi kaum angesteckt zu sein«, sagte ich.

»Nein«, antwortete sie. »Ich hatte rote Herren. Von ihnen habe ich neue Wahrheiten erfahren. Außerdem wurde ich in jungem Alter aus der Gemeinschaft herausgenommen.«

»Wie alt warst du?«

»Acht Jahre«, antwortete sie. »Mich nahm ein Kaiila-Krieger als hübsche kleine weiße Sklavin für seinen zehnjährigen Sohn mit. Ich lernte früh, mit Männern umzugehen.«

»Was geschah dann?« fragte ich.

»Es gibt nicht mehr viel zu erzählen«, antwortete sie. »Sieben Jahre lang war ich die Sklavin meines jungen Herrn. Er behandelte mich freundlich und beschützte mich vor anderen Kindern. Obwohl ich seine Sklavin war, habe ich ihm wohl gefallen. Erst mit fünfzehn entdeckte er die Frau in mir.« Sie schwieg. »Ich bin mit dem Kämmen fertig.«

»Komm her und knie nieder!« befahl ich. Ihr wasserglänzender Körper eilte zu mir ans Ufer. Ich nahm die Bürste zur Hand, kniete mich hinter sie und begann ihr das Haar zu bürsten. Es ist nicht ungewöhnlich, daß goreanische Herren ihre Sklaven auf diese Weise pflegen.

»War es der Junge, der dir den Namen Pickel gab?« fragte ich.

»Ja, zu Beginn meiner Pubertät. Aus irgendeinem Grund wurde er nie geändert. ›Wasnapohdi‹ – das schien meinen Herren zu amüsieren.«

»Jedenfalls hast du keine Pickel«, stellte ich fest.

»Vielleicht erbringe ich dir vier Felle«, sagte sie lachend.

»Unmöglich wäre das wohl nicht«, erwiderte ich und zog sie zu mir herum.


»Dies ist Wagmezahu, Kornähre«, stellte Grunt vor. »Er ist ein Flieher.«

»Hou«, sagte Kornähre.

»Hou«, sagte ich.

»Ist die neue Sklavin zufriedenstellend?« wollte Grunt wissen.

»Durchaus«, antwortete ich.

»Gut.«

Mit untergeschlagenen Beinen setzte ich mich ein Stück vom Feuer entfernt nieder. Nun wußte ich, warum Grunt so ausgiebig in die Ferne geschaut hatte, warum er am Tauschpunkt hatte bleiben wollen. Zweifellos hatte er auf diesen Flieher-Krieger gewartet. Zweifellos lag hier auch der Grund, warum er mich ermutigt hatte, mir mit dem neuen Mädchen Zeit zu lassen: Er wollte nicht gestört werden. Obwohl die Flieher eine Sprache sprechen, die mit den Dialekten der Kaiila und Staubfüßen verwandt ist, gab es oft Auseinandersetzungen zwischen den Stämmen. So hatte der Flieher den richtigen Moment abgewartet, sich zu zeigen. Wenn den Staubfüßen bekannt gewesen war, daß er sich in ihrem Territorium herumtrieb, so hatten sie deswegen nichts unternommen, vielleicht aus Rücksicht auf Grunt.

Grunt und der Flieher verständigten sich hauptsächlich durch Zeichensprache, was für beide einfacher war.

Ich beobachtete die beiden aufmerksam. Es war später Abend, als Kornähre wieder aufbrach. Zum Abschied schenkte ihm Grunt einige Zuckerstücke und ein gutes Stahlmesser.

»Du scheinst niedergeschlagen zu sein«, sagte ich zu Grunt. Er war zum Feuer zurückgekehrt und starrte stumm hinein.

»Ich habe nichts«, sagte er.

»Ich sollte anfangen, die Staubfußsprache zu lernen.«

»Ich werde dir unterwegs beim Reiten Lektionen geben.«

»Mit der Staubfußsprache müßte ich mich ein wenig auch mit Kaiila-Kriegern verständigen können.«

»Mühelos«, sagte Grunt, »denn die Sprachen unterscheiden sich höchstens wie Dialekte voneinander. Außerdem könntest du von den Kailiauk verstanden werden und, mit Einschränkungen, auch von den Fliehern.«

»Über die Kailiauk weiß ich wenig«, bekannte ich.

»Westlich der Grenzzone sind sie kaum anzutreffen«, antwortete er. »Ihr Gebiet liegt südöstlich des Territoriums der Kaiila.«

»Überwiegend hast du gegenüber Kornähre die Zeichensprache benutzt.«

»Ja«, erwiderte er. »Die war leichter für uns.« Er schaute mich an. »Für dich wäre es alles in allem wohl nützlicher, die Zeichen zu lernen, als Bruchstücke der Staubfußsprache.«

»Also bring mir die Zeichen bei!« sagte ich.

»Ganz ohne Staubfuß- oder Kaiila-Worte kommst du nicht aus. Es gibt keinen Ersatz für die Möglichkeit, die Wilden in ihrer Muttersprache anzureden. Die Zeichensprache ist, soweit ich weiß, allen Stämmen des Ödlands gemein.«

»Warum werden sie Staubfüße genannt?«

»Keine Ahnung, aber ich glaube, es hängt damit zusammen, daß sie einer der letzten großen Stämme sind, die die Kaiila zähmte. Zu Fuß laufend, waren sie der Gnade der anderen ausgeliefert. In dieser Zeit mag das Fundament gelegt worden sein für ihre jetzige Rolle als Kaufleute und Diplomaten.«

»Eine interessante Hypothese«, sagte ich.

»Ich kann dir kurzfristig Hunderte von Zeichen beibringen«, sagte Grunt. »Es ist eine ziemlich begrenzte Sprache, doch in den meisten Situationen durchaus angemessen. Sie läßt sich leicht lernen, weil viele Zeichen dem Sinngehalt entsprechen. Du könntest in vier oder fünf Tagen aufnehmen, was du brauchst.«

»Ich möchte also Anfangsgründe der Staubfuß- und Kaiila-Sprache lernen, und die Zeichen.«

»Ich helfe dir gern«, sagte Grunt.

»Grunt?«

»Ja?«

»Nachdem ich ans Feuer gekommen war, ist Kornähre nicht mehr lange geblieben.«

»Er kennt dich nicht.«

Ich nickte. Nicht nur die roten Wilden, sondern die meisten Goreaner verhalten sich Fremden gegenüber sehr zurückhaltend, besonders jenen, die fremde Sprachen sprechen oder aus anderen Gebieten oder Städten stammen. In der goreanischen Sprache gibt es übrigens für die Begriffe ›Fremder‹ und ›Feind‹ nur ein Wort, dessen jeweiliger Sinn sich aus dem Zusammenhang ergeben muß. Die Goreaner wissen, daß es so etwas wie bekannte Feinde und freundliche Fremde durchaus geben kann.

»Soweit ich weiß, hat er keine Geschäfte mit dir gemacht«, bemerkte ich.

»Nein«, antwortete Grunt. »Wir haben uns unterhalten. Er ist ein Freund von mir.«

»Wie sieht das Zeichen für ›roter Wilder‹ aus?« fragte ich.

Mit dem rechten Zeigefinger rieb Grunt vom Handgelenk zu den ersten Knöcheln seines linken Handrückens. »Ein Mann ganz allgemein wird so angezeigt«, sagte er, hob die rechte Hand vor die Brust, den Zeigefinger nach oben gerichtet, und bewegte sie vor sein Gesicht. Dann wiederholte er das Zeichen für den roten Wilden. »Ich weiß nicht genau, welche logische Grundlage dieses Symbol hat«, fuhr er fort. »Du merkst aber, daß bei beiden Zeichen derselbe Finger benutzt wird, der Zeigefinger. Die Herkunft mancher Zeichen liegt im dunkeln. Es werden Ansichten vertreten, daß das Zeichen für den roten Wilden mit dem Verteilen von Kriegsbemalung zu tun habe. Andere meinen, es werde ein Mann symbolisiert, der sehr aufrecht geht, oder ein Mann, der der Erde, der Natur sehr nahe ist. Zweifellos gibt es darüber hinaus andere Erklärungen. Dies ist das Zeichen für Freund.« Er legte die beiden ersten Finger zusammen und schob sie neben seinem Gesicht nach oben. »Wahrscheinlich wird damit die Geschichte zweier Männer angedeutet, die zusammen aufwachsen.«

»Interessant«, sagte ich. »Was heißt das hier?« Ich legte den Mittelfinger der rechten Hand auf den rechten Daumen und streckte Zeigefinger und kleinen Finger. Es ergab sich ungefähr das Bild einer spitzen Schnauze mit Ohren.

»Du hast die Staubfüße dieses Zeichen machen sehen«, antwortete Grunt. »Es zeigt einen wilden Sleen an und wird zugleich für den Sleen-Stamm verwendet. Weißt du, was dies bedeutet?« Er spreizte den Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand und führte sie vor seinem Körper von links nach rechts.

»Nein.«

»Dies ist das Zeichen für einen gezähmten Sleen«, sagte er. »Verstehst du? Das Zeichen ähnelt den beiden Stangen eines Lastenschleppers, der von einem solchen Tier gezogen wird.«

»Ja«, sagte ich.

»Und das hier?« fragte er und führte seinen rechten Zeigefinger vor der Stirn von links nach rechts.

»Ein Weißer?«

»Ja! Gut!«

»Eine Linie wie eine Hutkrempe über der Stirn«, sagte ich.

»Gut. Und das hier?« Er krümmte die Finger beider Hände ein wenig und vollführte abwärts gerichtete Bewegungen von der Höhe seines Kopfs bis zu den Schultern. Es sah etwa so aus, als kämme er Haar.

»Eine Frau?« fragte ich.

»Gut. Gut. Und dies?«

»Eine weiße Frau?«

»Ja.« Er hatte sich mit dem rechten Zeigefinger eine Linie auf die Stirn gezeichnet, von links nach rechts, dann die Hand geöffnet und in kämmender Bewegung nach unten zu seiner Schulter geführt. »Und was liest du daraus?« fragte er. Er setzte die kämmenden Bewegungen mit der Hand fort, senkte dann den Kopf und schaute auf sein linkes Handgelenk, das er sodann fest mit der rechten Hand umfaßte.

»Ich weiß nicht recht«, sagte ich.

»Das zweite Zeichen bedeutet Unterwerfung.«

»Eine Sklavin?«

»Ja«, sagte Grunt, »doch es wird auch im allgemeinen für jede freie Frau verwendet.«

»Aha, die Zeichen für eine weiße Frau und eine Sklavin sind also identisch?«

»Ja«, antwortete er. »Im Ödland gelten alle weißen Frauen als Sklavinnen. Die rothäutigen Sklavinnen werden mit dem Zeichen für Frau angegeben, gefolgt von dem Symbol für die roten Wilden, gefolgt von dem Zeichen der Unterwerfung.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

»Was ist das?« fragte Grunt. Er hielt sich die linke Hand vor die Brust, die Handfläche nach innen, und setzte dann Zeigefinger und Mittelfinger der Hand rittlings auf die Handkante.

»Ein Reiter?«

»Eine Kaiila«, berichtigte er mich und bewegte dann die Hände in unveränderter Stellung in kleinen Kreisen, als sei die Kaiila in Bewegung. »Das steht für reiten.« Dann hielt er sich die linke Faust vor den Mund und hämmerte mit der linken Handkante zwischen der Faust und dem Gesicht nach unten.

»Keine Ahnung«, sagte ich.

»Messer! Verstehst du? Man hält das Fleisch zwischen Hand und Zähnen. Dann schneidet man sich einen Bissen ab.«

»Gut«, sagte ich. »Und was heißt das?« Ich zog mit dem rechten Zeigefinger eine Linie quer über meine Kehle. Ich hatte Kornähre dieses Symbol machen sehen.

Grunts Blick verdüsterte sich. »Das ist das Zeichen für die Kaiila, den Stamm der Halsabschneider.«

»Oh.«

»Auch dieses Zeichen hast du sicher schon gesehen«, sagte Grunt. Er hielt beide Fäuste vor seine Brust, wobei sich die Daumen beinahe berührten, und breitete dann waagerecht die Finger aus.

»Ich weiß nicht.«

»Fühlst du dich nicht an etwas erinnert?« fragte er und wiederholte das Zeichen.

Plötzlich sträubten sich mir die Nackenhaare. »Man könnte sich das Auflösen von Kolonnen vorstellen, das Ausschwärmen, um Kampfpositionen einzunehmen.«

»Genau«, sagte Grunt. »Das Zeichen für Soldaten.« Und er ließ dem Zeichen das Reitsignal folgen.

»Kaiilareiter«, sagte ich. »Kavallerie.«

»Richtig«, erwiderte Grunt ernst. Beide Fäuste führte er dicht vor seine Brust, die Handrücken nach unten gerichtet, die Zeigefinger gekrümmt, dann machte er eine vorwärts gerichtete kreisförmige Bewegung.

»Räder?« fragte ich. »Wagen.«

»Ja.«

Alle diese Zeichen waren von Kornähre benutzt worden. Grunt wußte, daß ich sie gesehen hatte.

»Ich wollte nicht neugierig erscheinen«, sagte ich.

»Schon gut«, erwiderte Grunt.

»Wir müssen ja nicht weitermachen«, sagte ich.

»Macht nichts.«

Ich hielt die Hände in Bodennähe, die Finger leicht gespreizt und nach oben gekrümmt. Dann ließ ich die Hände in einer kleinen, aufwärts führenden Kurve hochfahren.

»Gras«, sagte Grunt.

Ich nahm die Hand mit der Handfläche nach unten in Schulterhöhe und senkte sie, bis sie nur noch etwa achtzehn Zoll über dem Boden stand.

»Höhe«, sagte Grunt. »Hoch. Hohes Gras. Sommer.«

Vor wenigen Tagen hatten wir die sommerliche Tag- und Nachtgleiche gehabt.

Ich verschränkte die Arme, wobei der rechte Arm über dem linken lag. Anschließend hob ich beide Hände, bis meine Finger zum Himmel zeigten.

»Das Ausbreiten des Lichts«, interpretierte Grunt. »Tag. Licht.«

Ich wiederholte die Geste noch zweimal.

»Drei Tage«, sagte Grunt. »Also vor drei Tagen.«

Ich hob die Hand vor den Körper, die Finger leicht gekrümmt. Dann führte ich die Finger in einer ausholenden Kurve zusammen.

»Viele«, sagte Grunt. »Vieles. Eine große Menge.«

Mit dem rechten Zeigefinger machte ich das Zeichen für rote Wilde.

»Rote Wilde«, sagte Grunt lächelnd. »Flieher, Kaiila, Sleen, Gelbe Messer, Kailiauk.«

Ich hatte dreimal langsam die Hände bewegt, wie auf und nieder schlagende Flügel: Dieses Zeichen stand für den Flieher-Stamm. Der Flieher ist ein großer, gelber, langschnäbliger, hungriger Vogel des Ödlandes. Manchmal wird er auch Korn- oder Maisvogel genannt. Anschließend war ich mir mit dem Zeigefinger über die Kehle gefahren. Das war das Zeichen für die Kaiila, den Halsabschneider-Stamm. Der Sleen-Stamm wurde mit dem für das Tier üblichen Symbol dargestellt, und die Gelben Messer hatte ich mit dem Zeichen für Messer angekündigt, gefolgt von dem Signal für die Flieher.

»Du hast ein ausgezeichnetes Gedächtnis«, sagte Grunt. Ich hatte Teile des Gesprächs nachvollzogen, das ich zuvor zwischen ihm und Kornähre beobachtet hatte.

Ich hielt die Hände vor mich, die Handflächen gegeneinander geneigt, die linke Hand ein Stück vor der rechten. Dann führte ich die linke Hand in einer schnellen, bürstenden Bewegung vor der anderen hin und her.

»Schnell«, sagte Grunt. »Eile, Hast.«

Die linke Hand wanderte vor meinem Körper, die Handfläche nach außen, die ersten Finger zu einem V gespreizt. Die rechte Hand hielt ich an meine rechte Schulter, den Zeigefinger nach oben geneigt. Mit schneller Bewegung führte ich dann den Zeigefinger in den Spalt zwischen Zeigefinger und Mittelfinger der linken Hand.

»Töten«, sagte Grunt ernst. »Zuschlagen. Angreifen.«

Ich fügte das Zeichen für ›viele‹ hinzu, dann signalisierte ich weißen Mann und weiße Frau und Soldaten und Kaiilakämpfer oder Kavallerie.

»Ja«, sagte Grunt.

»Was ist dies für ein Zeichen?« fragte ich weiter, legte die hohle rechte Hand dicht über den Boden, die Finger halb geschlossen. Mit einer kurzen wellenförmigen Bewegung hob ich sie vom Boden hoch.

»Das Zeichen für Feuer«, erklärte Grunt. »Flammen.«

»Es stand vor dem Zeichen für Wagen«, sagte ich.

»Also: Vor drei Tagen, vor ungefähr drei Tagen«, sagte Grunt, »überfiel eine große Gruppe roter Krieger, darunter Kaiila, Gelbe Messer, Sleen, Flieher und Kailiauk, einen Wagenzug und eine Söldnerschar, Infanterie und auch Kavallerie. Wagen wurden niedergebrannt. Es gab ein Massaker.«

»Ich glaube, ich kenne die Beteiligten«, sagte ich. »Der erste Zug verließ kurz vor meinem Eintreffen Kailiauk. Es handelte sich um Siedler. Die zweite Horde, das müssen die Söldner Alfreds gewesen sein, eines Hauptmanns aus Port Olni. Er zog kurz vor uns aus Kailiauk los.«

Alfred, der unterwegs keine Tauschgeschäfte machte und nicht von Sklavinnen behindert wurde, hatte anscheinend zu den Siedlern aufgeschlossen, die die Kontaktaufnahme zweifellos begrüßt hatten. Ich fragte mich, was aus den Siedlern und Soldaten geworden war und ob es Überlebende gab. Alfred schien mir Talent zu einem guten Anführer zu haben. Allerdings kannte er sich mit den Kampfgewohnheiten, die im Ödland galten, nicht aus. Vielleicht hatte er seine Gegner unterschätzt – in der Zahl wie auch in ihrer Kampfkraft.

Ich dachte an die eckigen geschlossenen Wagen, die im Zug der Soldaten mitgefahren waren. Darin hatten sich zweifellos die zottigen Ungeheuer Sardak und Kog befunden. Ich hatte insgesamt siebzehn solcher Wagen gezählt. Wenn die Ungeheuer vernichtet worden waren, konnte ich möglicherweise daran denken, das Ödland wieder zu verlassen. Denn in einem solchen Fall war Zarendargar in Sicherheit, zumindest bis eine neue Streitmacht gegen ihn organisiert werden konnte. Vielleicht überwachten die Priesterkönige Städte wie Fort Haskins und Kailiauk durch ihre Agenten.

Ich mußte auch an den rothäutigen Jüngling mit dem unschönen Namen Urt zurückdenken, einen angeblich zu den Staubfüßen gehörigen Sklaven, der die Soldaten begleitet hatte. Was hatten seine Artgenossen wohl mit ihm angestellt? Meine Gedanken galten natürlich auch der hochmütigen, verschleierten Lady Mira aus Venna. Inzwischen trug sie bestimmt keinen verhüllenden Schleier mehr.

Mir fiel natürlich auf, daß bei dem Angriff mehrere Stämme zusammengearbeitet hatten, die sich nicht immer wohlgesonnen warn. Die ›Erinnerung‹, wie sie genannt wird, und der gemeinsame Haß auf den Weißen hatten die blutigen Stammesfehden in den Hintergrund treten lassen.

»Eine schreckliche Sache«, sagte Grunt starr.

Ich nickte. »Glaubst du, es hat Überlebende gegeben?«

»Bei solchen Überfällen lassen unsere Freunde von den Ebenen selten einen Gegner am Leben. Vielleicht haben sie bei Kindern eine Ausnahme gemacht, die dann in Waniyanpi-Lagern großgezogen und entsprechend erzogen werden sollten. Wer weiß?

»Und ein roter Sklave bei den Weißen?«

»Mann oder Frau?«

»Mann.«

»Ich würde seine Chancen nicht sehr hoch einschätzen«, meinte Grunt.

Ich schwieg.

»Nach Osten zu ziehen, dürfte nun zu gefährlich sein«, fuhr er fort. »In den jungen Männern wird der Blutrausch erst langsam abklingen.«

»Wir gehörten doch gar nicht zu den angegriffenen Gruppen!«

»Man kann nur hoffen, daß die Wilden fähig sind, diesen Unterschied zu erkennen.«

»Wir haben keine Gesetze gebrochen.«

»Wir sind Weiße«, gab Grunt zu bedenken.

»Ich muß aber nach Osten«, sagte ich. Es war unbedingt erforderlich, das Schicksal jener Kurii zu ermitteln, die die Söldner begleitet hatten. »Es heißt in der Grenzzone, du seist eine Ausnahme, du wärst von allen am tiefsten in das Ödland eingedrungen und kenntest die Wilden so gut, wie sie ein Weißer nur kennen kann.«

»Mag sein«, sagte Grunt.

»Aus diesem Grund habe ich Kontakt mit dir gesucht«, sagte ich.

Er musterte mich stumm.

»Ich verwahre da etwas bei meinen Tauschwaren, das ich dir zeigen möchte«, sagte ich. »Vermutlich handelt es sich um etwas, das du schon einmal gesehen hast. Vielleicht kennst du aber Ähnliches und weißt etwas über seine Herkunft.«

»Ich schaue es mir gern an«, sagte er.

Kurze Zeit später kehrte ich ans Feuer zurück und breitete im Licht der Flammen die Haut aus, die Samos und ich aus dem zerstörten Tarngehege vor den Toren Port Kars retten konnten.

»Eine Bilderhaut«, sagte Grunt.

»Kannst du sie lesen?« fragte ich.

»Ja.«

»Du liest sie aber nicht«, sagte ich. Mir fiel auf, daß er die Spirale der Erzählung weder mit den Augen noch mit dem Finger nachvollzog.

»Ich habe sie längst gelesen. Woher hast du sie?«

»Aus Port Kar.«

»Interessant.«

»Warum?«

»Das liegt so weit von hier«, sagte er. »Im Delta des Vosk.«

»Diese Haut ist also durch deine Hände gegangen.«

»Letzten Herbst erwarb ich sie von Staubfüßen. Sie hatten sie von Kaiila-Kriegern eingetauscht.«

»Weißt du, von welcher Horde Kaiila?«

»Nein.«

»An wen hast du die Haut verkauft?« fragte ich.

»An Ram Seibar in Kailiauk«, antwortete er.

»Es paßt alles zusammen.«

»Du bist kein Händler. Was willst du wirklich im Ödland?«

Ich deutete auf die Abbildung der beiden Federn zu Anfang der Erzählung. »Der Maler scheint Zwei Federn geheißen zu haben«, sagte ich und gab damit Kogs Interpretation wieder.

Grunt zuckte die Achseln. »Es muß nicht unbedingt so sein«, sagte er. »Die beiden Federn könnten ein Talisman oder ein Glückszeichen sein. Vielleicht kennzeichnen sie einen bestimmten Ort. Vielleicht besagen sie auch nur, daß der Maler der Haut zwei Coups sammeln konnte.«

»Ich verstehe.« Diese Deutung war mir alles andere als willkommen. Plötzlich erschien mir die selbstgestellte Aufgabe unlösbar – und das Ödland undurchdringlicher denn je.

»Zeichensprache ist leichter zu deuten als eine Bilderhaut. Die Bildsprache ist zuweilen vieldeutiger, persönlicher.«

»Handelst du oft mit Bildhäuten?« fragte ich.

»Nein«, antwortete Grunt. »Solche Ware ist sehr ungewöhnlich.«

»Ram Seibar hat einen guten Preis bezahlt?«

»Zwei Gold-Tarn.«

»Dann schien er also großes Interesse an dem Fell zu haben?«

»Ja, denn er muckte wegen des Preises nicht auf.«

Ich nickte. Für solches Geld bekam man ohne weiteres fünf Mädchen.

»Weshalb bist du ins Ödland gekommen?« fragte Grunt.

»Siehst du dieses Ungeheuer?« fragte ich und deutete auf die Schilddarstellung am Ende der Bildspirale auf der Haut. Auf dem Schild sah man einen Kur, dessen linkes Ohr halb abgerissen war.

»Ja?«

»Ich suche dieses Wesen«, sagte ich.

Mein Begleiter musterte mich.

»Nein, ich bin nicht verrückt!«

»Das ist ein Ungeheuer aus einer Medizinvision«, sagte Grunt. »Kein real existierendes Wesen.«

»O doch, es gibt dieses Wesen«, widersprach ich. »Ob es darüber hinaus in einer Medizinvision erschienen ist, weiß ich natürlich nicht.«

»Ich habe so ein Ungeheuer noch nie gesehen«, erklärte Grunt.

»Sie sind im Ödland normalerweise auch nicht anzutreffen.«

»Du glaubst aber, daß dieses Geschöpf sich jetzt hier aufhält?«

»Ich bin dessen sicher«, sagte ich betont. »Darüber hinaus vermute ich die Anwesenheit mehrerer Artgenossen.« Ich wußte nicht, was aus den Kurii geworden war, die Söldnerhauptmann Alfred begleitet hatten. Durchaus möglich, daß sie bei dem Angriff auf die Kolonne und den Wagenzug umgekommen waren.

»Bist du Jäger?« fragte Grunt.

»Auf meine ganz spezielle Weise«, antwortete ich.

»Das Ödland ist groß.«

»Glaubst du, die Bilderhaut stammt von den Kaiila?«

»Ich erwarb sie von Staubfüßen, die sie von Kaiila-Kriegern erhalten hatten. Ob sie von einem Kaiila gezeichnet wurden, weiß ich nicht.«

»Ich muß ins Territorium der Kaiila«, sagte ich.

»Dazu mußt du durch das Land der Flieher, der Sleen und der Gelben Messer«, sagte er mahnend.

»Soweit ich weiß, habe ich keines ihrer Gesetze übertreten.«

»Du bist Weißer. Ganz nach Laune können dich die roten Wilden angreifen, ob du gegen ihre Gesetze verstoßen hast oder nicht.«

»Ich verstehe.«

»Du reitest morgen los?«

»Ja.«

»Du bist dir der Gefahren bewußt?« fragte er.

»Ich nehme es an«, antwortete ich.

»Ich werde dich begleiten.«

»Das ist nicht nötig.«

»Wir haben bereits Sommer«, sagte Grunt. »Ich bin nicht so weit geritten, um jetzt schon umzukehren.«

»Du möchtest also auch in den Osten?«

»Ja.«

»Du hast die Absicht, die Kaiila aufzusuchen?«

»Ja, ich will dort Geschäfte tätigen. Letzten Sommer war ich schon dort.«

»Mußt du einen Kontrakt erfüllen?«

»Ja«, erwiderte er, »einen sehr wichtigen Kontrakt. Ich muß meinen ehrlichen Ruf bei den Völkern schützen, die Tatsache, daß ich mit gerader Zunge spreche, wie sie sagen.«

»Wann wirst du dort erwartet?«

»Im Kantasawi«, sagte er, »in dem Monat, in dem die Pflaumen rot werden.« Es war der übernächste Mond.

»Hast du danach noch Zeit, nach Kailiauk zurückzukehren?« fragte ich. Wenn es knapp wurde, hätte er im Ödland überwintern müssen. Sogar die roten Wilden hatten zuweilen Probleme mit den langen, strengen Wintermonaten, besonders wenn die Jagdbeute schlecht war.

»Zwei Monde werden für die Rückkehr nach Kailiauk ausreichen«, sagte Grunt, »wenn man unterwegs nicht mit Tauschgeschäften Zeit verliert.«

»Wieso ist der Kantasawi so wichtig?«

»Es ist der Mond, in dessen Verlauf die Bento-Herde das Gebiet der Kaiila erreicht. In dieser Zeit versammeln sich die Kaiila und veranstalten große Jagden und auch Tanzfeste.«

»Über deine Begleitung würde ich mich freuen«, sagte ich. Ich stellte keine weiteren Fragen nach seinem Geschäft mit den Kaiila.

»Dann steht also fest, daß wir morgen früh zusammen aufbrechen«, sagte Grunt.

»Ja«, erwiderte ich. »Unterwegs würde ich mir gern das Totenfeld ansehen, den Schauplatz des Massakers.«

Grunt schaute mich verwirrt an.

»Ich muß dort etwas nachschauen«, erklärte ich.

»Die Stelle ist nicht weit.«

»Das dachte ich mir.«

»Es wird kein schöner Anblick sein.«

Ich nickte. Dennoch mußte ich feststellen, ob unter den Toten Kurii waren, und wie viele zottige Ungeheuer die roten Wilden umgebracht hatten.

Nachdem Grunt gegangen war, blieb ich noch eine Zeitlang am Feuer sitzen.

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