5 Räder

Nach Hause wollte Nafai bestimmt nicht, nicht an diesem Abend. Er hatte gehofft, Vater wäre unterwegs, damit Meb sich beruhigen konnte, bevor sie miteinander sprachen. Aber nein, natürlich nicht, Vater wollte mit Meb sprechen. Er hatte bereits eine Stunde lang mit Elemak gesprochen – Nafai war nicht so erschöpft, daß er diese Szene verpaßt hätte – und schien nun der völlig falschen Vorstellung nachzuhängen, er könne Meb vielleicht überzeugen, an seine Vision zu glauben.

Das Gebrüll fing an, als Mebbekew Vater im Arbeitszimmer fand. Nafai hatte schon öfter mitbekommen, wozu diese Streitigkeiten führten, und zog sich schnell auf sein Zimmer zurück. Als er über den Hof ging, erhaschte er einen Blick auf Issib, der verstohlen aus seinem Zimmer spähte. Noch ein Flüchtling, dachte Nafai.

Die erste Stunde über konnte man nur das leise Murmeln von Vaters Stimme hören, der wahrscheinlich versuchte, seine Vision zu beschreiben, aber alle paar Minuten von Mebbekews klaren, scharfen Kommentaren unterbrochen wurde, die von Anklagen bis zum Hohn reichten. Dann kam schließlich heraus, inmitten von Mebbekews Beschwerden, Vater erniedrige die Familie, daß Meb schon das seine getan hatte, um die Familie in schlechten Ruf zu bringen, indem er als Maskenträger gearbeitet hatte. Nun war es an Vater, laute Vorwürfe zu brüllen, und an Mebbekew, sich zu erklären, was zu einer weiteren Stunde des Streits führte, bis Meb wütend das Haus verließ und Vater zu den Ställen ging, um die Tiere zu versorgen, bis er sich wieder beruhigt hatte.

Erst dann wagte sich Nafai, der mittlerweile wirklich halb verhungert war, zu seiner ersten anständigen Mahlzeit dieses Tages in die Küche. Zu seiner Überraschung war Elemak dort; er saß mit Issib am Tisch.

»Elja, ich habe nicht gewußt, daß du hier bist«, sagte Nafai.

Elemak sah verblüfft zu ihm auf; dann fiel es ihm wieder ein. »Schon gut«, sagte er. »Ich war heute morgen wütend, aber es war nichts. Vergiß es«, sagte er.

Bei allem, was danach passiert war, hatte Nafai tatsächlich Elemaks Warnung vergessen, sich nicht mehr zu Hause blicken zu lassen. »Ich glaube, ich habe es schon vergessen«, sagte er.

Elemak bedachte ihn mit einem angewiderten Blick und widmete sich wieder seiner Mahlzeit.

»Was habe ich jetzt schon wieder gesagt?«

»Schon gut«, sagte Issib. »Wir überlegen gerade, was wir jetzt tun können.«

Nafai ging zum Kühlschrank und betrachtete die Lebensmittel, die Truzhnischa für solche Gelegenheiten dort verstaut hatte. Er starb vor Hunger, und doch sah nichts besonders verlockend aus. »Sonst ist nichts mehr übrig?«

»Nein, den Rest habe ich in meinen Hosen versteckt«, sagte Issib.

Nafai entschied sich für ein Gericht, das ihm einmal ganz gut geschmeckt hatte, wenngleich er heute abend nicht den geringsten Appetit darauf verspürte. Während er die Mahlzeit erhitzte, drehte er sich um und sah die anderen an. »Und zu welchem Schluß sind wir also gekommen?«

Elemak sah nicht auf.

»Wir sind zu gar keinem Schluß gekommen«, sagte Issib.

»Ach was, bin ich plötzlich das einzige Kind im Haus, während die Männer alle Entscheidungen treffen?«

»Ja, so ziemlich«, sagte Issib.

»Und welche Entscheidungen müßt ihr treffen? Wer hat überhaupt irgendwelche Entscheidungen zu treffen, abgesehen von Vater? Es ist sein Haus, sein Geschäft, sein Geld und sein Name, über den man in ganz Basilika lacht.«

Elemak schüttelte den Kopf. »Nicht in ganz Basilika.«

»Du meinst, es haben noch nicht alle davon gehört?«

»Ich meine«, sagte Elemak, »daß nicht alle darüber lachen.«

»Das werden sie aber, wenn dieses satirische Stück nur lange genug läuft. Ich habe eine Probe gesehen. Meb war wirklich ziemlich gut. Natürlich hat er gekündigt, da es um Vater ging, aber ich glaube, er hat wirklich Talent. Wußtet ihr, daß er singen kann?«

Elemak betrachtete ihn verächtlich. »Bist du wirklich so oberflächlich, Njef?«

»Ja«, sagte Nafai. »Ich bin so oberflächlich, tatsächlich zu glauben, daß unsere peinliche Lage gar nicht so wichtig ist, falls Vater wirklich eine Vision gehabt hat.«

»Wir wissen, daß Vater es gesehen hat«, sagte Elemak. »Das Problem ist nur, was er damit anfängt.«

»Was, die Überseele schickt ihm eine Vision, die ihn vor der Vernichtung der Welt warnen soll, und er soll sie geheim halten?«

»Iß einfach deine Mahlzeit«, sagte Elemak.

»Er erzählt allen Leuten, daß die Überseele von uns verlangt, wir sollten zu den alten Gesetzen und Gebräuchen zurückkehren«, sagte Issib.

»Welchen?«

»Na, allen.«

»Ich meine, welche befolgen wir denn nicht?«

Elemak entschloß sich anscheinend, direkt zur Sache zu kommen. »Er ist zum Klans-Rat gegangen und hat gegen unsere Entscheidung gesprochen, die Potokgavan in ihrem Krieg gegen die Naßköpfe zu unterstützen.«

»Gegen wen?«

»Die Gorajni. Die Naßköppe.«

Sie hatten den Spitznamen wegen ihres Brauchs bekommen, ihre Lockenfrisuren lang zu tragen und mit parfümiertem öl einzureiben. Sie waren auch als bösartige Krieger bekannt, die die Gewohnheit hatten, Gefangene abzuschlachten, die versäumt hatten, ihren Wert zu beweisen, indem sie sich eine ernsthafte Verletzung zuzogen, bevor sie sich ergaben. »Aber die wohnen Hunderte von Kilometern nördlich von hier«, sagte Nafai, »und die Potoku stammen aus dem Südosten. Worüber führen sie also Krieg?«

»Was bringen sie dir eigentlich in deiner kleinen Schule bei?« sagte Elemak. »Die Potoku haben ihren Schutz über die gesamte Küstenebene ausgedehnt, bis hinauf zum Fluß Mochai.«

»Klar, richtig. Schutz wovor?«

»Vor den Gorajni, Nafai. Wir befinden uns zwischen ihnen. Das nennt man Geographie.«

»Ich weiß, was Geographie ist«, sagte Nafai. »Ich verstehe nur nicht, warum es überhaupt einen Krieg zwischen den Gorajni und den Potoku geben sollte, und wenn doch, wie sie ihn ausfechten wollen. Ich meine, Potokgavan hat eine Flotte – all ihre Häuser sind Schiffe, um Gottes willen –, aber da Gorajnivat keine Küste hat …«

»Keine Küste hatte. Sie haben Usluvat erobert.«

»Das weiß ich auch.«

»Oh, davon bin ich überzeugt«, sagte Elemak. »Sie haben auch Pferdewagen. Hast du davon schon mal gehört?«

»Räder«, sagte Nafai. »Pferde, die Männer in Kisten in die Schlacht ziehen.«

»Und Vorräte befördern, mit denen man ein Heer auf einem langen Marsch versorgen kann. Auf einem sehr langen Marsch. Pferdewagen verändern alles.« Plötzlich klang Elemak enthusiastisch. Es war schon viele Jahre her, daß Nafai beobachtet hatte, daß sich Elja für etwas begeistern konnte. »Ich sehe schon den Tag, da wir die Kammstraße und die Ebenenstraße verbreitern, damit die Bauern ihre Erzeugnisse in Pferdewagen hierher bringen können. Dieselbe Anzahl Pferde kann zehnmal soviel Güter befördern. Ein Mann, zwei Pferde und ein Wagen werden dann herschaffen, wozu heute ein Dutzend Männer und zwanzig Pferde nötig sind. Der Preis der Nahrungsmittel sinkt. Die Kosten, unsere Erzeugnisse hügelabwärts zu bringen, sinken sogar noch tiefer – da steckt Geld. Ich sehe schon Straßen, die Hunderte von Kilometern lang sind und mitten durch die Wüste führen – weniger Tiere bei unseren Karawanen, weniger Futter, das wir mitschleppen müssen, und wir müssen auf den Reisen auch nicht mehr so viel Wasser finden. Die Welt wird kleiner, und Vater versucht, es zu verhindern.«

»Und das alles hat etwas mit seiner Vision zu tun?«

»Die alten Gesetze der Überseele. Räder sind nur bei Getrieben oder Spielzeugen erlaubt. Ein abscheuliches Sakrileg. Ist euch klar, daß Pferdewagen seit Abertausenden von Jahren bekannt sind und niemand je einen gebaut hat?«

»Bis jetzt«, sagte Issib.

»Vielleicht gibt es einen guten Grund dafür«, sagte Nafai.

»Der Grund war Aberglaube, sonst nichts«, sagte Elemak, »aber jetzt haben wir die Gelegenheit, zweihundert Pferdewagen zu bauen. Die Potokgavan bezahlen uns dafür und geben uns die Pläne, und der Preis, den Gaballufix ausgehandelt hat, ist so hoch, daß wir weitere zweihundert für uns bauen können.«

»Warum bauen die Potoku ihre Wagen nicht selbst?«

»Sie kommen auf Booten her«, sagte Elemak. »Anstatt die Wagen in Potokgavan zu bauen und sie dann über das Wasser hierher zu transportieren, schicken sie einfach ihre Soldaten, und die Wagen stehen dann für sie bereit.«

»Warum hierher?«

»Weil hier die Grenze gezogen werden wird. Die Gorajni dringen nicht weiter vor, oder sie bekommen es mit den Potoku zu tun. Versuche gar nicht erst, es zu verstehen, Nafai, das ist Männersache.«

»Ich habe den Eindruck, daß Vater richtig handelt, wenn er versucht, diese Vereinbarung zu verhindern«, sagte Nafai. »Ich meine, würden die Gorajni nicht ein Heer schicken, um uns aufzuhalten, wenn sie herausfinden, daß wir Pferdewagen für die Potoku bauen?«

»Sie werden es erst erfahren, wenn es zu spät ist.«

»Wieso sollten sie es nicht erfahren? Ist Basilika so geübt darin, Geheimnisse zu bewahren?«

»Selbst wenn sie es erfahren würden, Njef, wären die Potoku hier, um sie daran zu hindern, uns zu bestrafen.«

»Aber wenn die Potoku nicht kämen und wir ihnen daher gar keine Pferdewagen bauen würden, hätten die Gorajni gar keinen Grund, uns zu bestrafen.«

Elemak senkte den Kopf dicht über den Tisch, um deutlich seine Verzweiflung zur Schau zu stellen, Nafai alles erklären zu müssen.

»Die Welt verändert sich«, sagte Issib. »Wir sind daran gewöhnt, daß es sich bei Kriegen lediglich um örtliche Zwistigkeiten handelt. Aber die Gorajni haben das verändert. Sie erobern andere Länder, die ihnen niemals einen Schaden zugefügt haben.«

Elemak griff die Erklärung auf. »Eines Tages werden sie bis zu uns vorstoßen, ob die Potoku nun hier sind, um uns zu schützen, oder nicht. Ich persönlich würde das Kämpfen lieber den Potoku überlassen.«

»Ich kann nicht glauben, daß so schlimme Dinge geschehen und niemand in der Stadt darüber spricht«, sagte Nafai. »Ich verstopfe meine Ohren wirklich nicht mit Schlamm, und ich habe nichts davon gehört, daß wir Pferdewagen für Potokgavan bauen wollen.«

Elemak schüttelte den Kopf. »Es ist ein Geheimnis. Oder war vielmehr eins, bis Vater es vor dem Klans-Rat zur Sprache gebracht hat.«

»Du meinst, jemand hat das vereinbart, und der Klans-Rat wußte nichts davon?«

»Es war ein Geheimnis«, sagte Elemak. »Wie oft muß ich dir das noch erklären?«

»Also wollte jemand diese Vereinbarung im Namen der Stadt Basilika und des Klans Palwaschantu treffen, und der Klans-Rat oder Stadtrat wurden nicht hinzugezogen?«

Issib lachte bedauernd. »Wenn man es so ausdrückt, klingt es wirklich ziemlich seltsam, oder?«

»Es klingt überhaupt nicht seltsam«, sagte Elemak. »Wie ich sehe, hast du dich bereits Roptats Partei angeschlossen.«

»Wer ist Roptat?«

»Er ist ein Palwaschantu«, antwortete Issib, »nicht einmal in Eljas Alter, der diesen Krieg benutzt, um sich eine Reputation als Prophet aufzubauen. Nicht wie Vater, die Überseele gibt ihm keine Visionen ein, er schreibt einfach Prophezeiung, die sich lesen, als würde ein Hai einem das Bein abreißen. Und er sagt ständig dasselbe, was du gerade gesagt hast.«

»Du meinst, dieser geheime Plan ist so bekannt, daß es schon eine von diesem Roptat geführte Partei gibt, die ihn zu blockieren versucht?«

»So geheim war er nun auch wieder nicht«, sagte Elemak. »Es gibt kein Komplott. Es gibt keine Verschwörung. Es gibt nur ein paar gute Leute, die versuchen, Basilikas lebenswichtige Interessen wahrzunehmen, und ein paar Verräter, die alles tun, um das zu verhindern.«

Elemak hatte eindeutig eine ziemlich einseitige Sicht der Dinge. Nafai hatte einen anderen Blickwinkel anzubieten.

»Oder vielleicht ein paar gierige Profitler, die unsere Stadt in eine schrecklich gefährliche Lage bringen, damit sie reich werden, und ein paar gute Leute, die versuchen, die Stadt zu retten, indem sie sie aufhalten. Ich ziehe das nur als Möglichkeit in Betracht.«

Elemak war wütend. »Die Leute, die an diesem Projekt arbeiten, sind schon so reich, daß sie wohl kaum noch mehr Geld brauchen«, sagte er. »Und ich verstehe nicht, wie ein vierzehnjähriger Schüler, der noch nie im Leben Männerarbeit geleistet hat, plötzlich eine Meinung über ein politisches Thema haben kann, von dem er vor zehn Minuten noch gar nicht gewußt hat, daß es überhaupt existiert.«

»Ich habe nur eine Frage gestellt«, sagte Nafai. »Ich habe dich nicht beschuldigt.«

»Natürlich hast du mich nicht beschuldigt«, sagte Elemak. »Ich habe sowieso keinen Anteil an diesem Projekt.«

»Natürlich nicht«, sagte Nafai. »Es ist ein geheimes Projekt.«

»Ich hätte dir heute morgen die Zähne aus dem Mund schlagen sollen«, sagte Elemak.

Warum lief es immer wieder auf Drohungen hinaus? »Schlägst du jedem die Zähne aus dem Mund, der dir Fragen stellt, auf die du keine guten Antworten hast?«

»Bis jetzt noch nicht«, sagte Elemak und stand auf. »Aber diese verpaßten Gelegenheiten werde ich jetzt nachholen.«

»Hört auf!« rief Issib. »Haben wir nicht schon genug Probleme?«

Elemak zögerte und setzte sich dann wieder. »Ich sollte ihn überhaupt nicht beachten.«

Nafai atmete wieder. Er hatte gar nicht gemerkt, daß er nicht mehr geatmet hatte.

»Er ist ein Kind. Was weiß er schon?« sagte Elemak. »Aber Vater hätte es besser wissen müssen. Er macht viele Leute sehr wütend. Sehr gefährliche Leute.«

»Du meinst, sie bedrohen ihn?« fragte Nafai.

»Niemand droht«, sagte Elemak. »Das wäre unhöflich. Sie machen sich nur … Sorgen um Vater.«

»Aber wenn doch alle über Vater lachen, müssen sie sich doch nicht darum kümmern, was er sagt. Sie sollten sich doch vielmehr über diesen Roptat Sorgen machen.«

»Es liegt an der Sache mit der Vision«, sagte Elemak. »Die Überseele. Die meisten Männer nehmen das nicht ernst, aber die Frauen … der Stadtrat … deine Mutter fördert die Sache nicht gerade.«

»Oder sie fördert sie doch, je nachdem, auf welcher Seite man steht.«

»Genau«, sagte Elemak. Er erhob sich vom Tisch, doch diesmal drohte er nicht. »Jedenfalls sehe ich, auf welcher Seite du stehst, Njef, und ich kann dich nur warnen. Wenn Vater seinen Willen bekommt, werden wir alle in den Ketten der Gorajni enden.«

»Warum bist du dir da so sicher?« fragte Nafai. »Hat die Überseele dir eine Vision eingegeben, oder was?«

»Ich bin mir sicher, mein kleiner Halb-Freund, weil ich etwas von diesen Dingen verstehe. Wenn du erwachsen bist, wirst du vielleicht begreifen, was das bedeutet. Doch ich bezweifle es.« Elemak verließ die kleine Küche.

Issib seufzte. »Mag dich überhaupt jemand in dieser Familie?«

Nafais Mahlzeit war verkocht, doch das war ihm egal. Er bebte so heftig, daß er kaum das Tablett zum Tisch tragen konnte.

»Warum zitterst du?«

»Keine Ahnung«, sagte Nafai. »Vielleicht habe ich Angst.«

»Vor Elemak?«

»Warum sollte ich vor ihm Angst haben?« fragte Nafai. »Nur, weil er mir mit einer Hand den Hals brechen könnte?«

»Warum provozierst du ihn dann immer?«

»Vielleicht habe ich auch Angst um ihn.«

»Warum?«

»Kommt dir das nicht auch komisch vor, Issib? Elja sitzt hier und spricht davon, daß Vater von mächtigen Leuten Gefahr droht – und doch beschuldigt er diese gefährlichen Leute nicht, sondern versucht, Vater am Sprechen zu hindern.«

»Niemand benimmt sich immer vernünftig.«

»Ich verstehe wirklich einiges von Politik«, sagte Nafai. »Eins meiner Unterrichtsfächer ist Geschichte. Ich bin der Klasse um Jahre voraus. Ich weiß, wie man Kriege anfängt und wer sie gewinnt. Und das ist der dümmste Plan, den ich je gehört habe. Potokgavan hat keine Chance, dieses Gebiet zu halten, und keinen zwingenden Grund, es zu versuchen. Sie werden allerhöchstens ein Heer losschicken, die Gorajni zu einem Angriff provozieren und dann einsehen, daß sie nicht gewinnen können, und nach Hause zu ihrer Flutebene zurückkehren, wo die Naßköpfe ihnen nichts anhaben können, und uns den Zorn der Gorajni ausbaden lassen. Es führt so offensichtlich ins Verderben, Kriegswagen für sie zu bauen, daß nur ein Mensch, den die Gier völlig blind gemacht hat, dafür stimmen könnte. Und falls die Überseele Vater aufgetragen hat, sich dem Bau von Wagen zu widersetzen, hat die Überseele Recht.«

»Die Überseele wird bestimmt erleichtert sein, deine Zustimmung zu haben.«

»Aber sicher, gern geschehn.«

»Nafai, du bist vierzehn Jahre alt.«

»Und?«

»Elemak will so etwas nicht von dir hören.«

»Und du auch nicht, oder?«

»Ich bin wirklich müde. Es war ein langer Tag.« Issib trieb aus der Küche.

Endlich begann Nafai zu essen. Zu seinem Abscheu hatte er keinen Appetit, obwohl er wußte, daß er noch hungrig war. Muß essen, kann nicht essen. Vergiß es. Er spülte die Mahlzeit den Abfluß hinunter und stellte den Teller ins Gestell für das schmutzige Geschirr.

Er ging auf den Hof und hielt auf sein Zimmer zu. Die Nachtluft war bereits kühl – sie befanden sich so nahe der Wüste, daß die Temperatur nach Sonnenuntergang abrupt sank. Er zitterte noch immer. Er wußte nicht, warum. Nicht wegen Vaters Vision von der Zerstörung der Welt und auch nicht wegen des Krieges, der Basilika wahrscheinlich überziehen würde, wenn sie tatsächlich die idiotische Allianz mit Potokgavan eingingen. Das waren sehr ferne Gefahren. Und auch nicht wegen Elemaks Drohungen; mit denen hatte er schon sein ganzes Leben verbracht.

Erst, als er auf seiner Matte lag und noch immer zitterte, obwohl es in seinem Zimmer gar nicht kalt war, begriff er endlich, was ihn beschäftigte. Elemak hatte erwähnt, daß Gaballufix die Verhandlungen mit den Potoku geführt hatte. Offensichtlich hatte dieser Plan Gaballufix’ Unterstützung – wer sonst, wenn nicht der Klan-Chef, würde annehmen, er könne die Palwaschantu dazu bringen, solch einen gefährlichen Weg einzuschlagen, ohne vorher mit dem Rat zu sprechen? Also lag der Schluß nah, daß mit den gefährlichen Feinden, die Vater sich Elja zufolge schaffte, Gaballufix gemeint war.

Gaballufix, dessen Haus Elemak heute heimlich besucht hatte.

Wo lag Elemaks Loyalität? Bei Vater? Oder bei seinem Halbbruder Gaballufix? Eindeutig hatte Elja etwas mit diesem Kriegswagenplan zu tun. Worin war er sonst noch verwickelt? Die gefährlichen Leute machen keine Drohungen, hatte er gesagt. Was machten sie dann – Pläne? War Elja an einem Plan beteiligt, Vater etwas Häßliches anzutun, und versuchte er mit seinen verschwommenen Hinweisen, Vater davor zu warnen?

Erst heute hatte Mebbekew von einem metaphorischen Vatermord gesprochen. .

Nein, dachte Nafai. Nein, ich bin einfach nur furchtbar aufgeregt, weil das alles so schnell gekommen ist, an nur einem Tag. Vater hat eine Vision, und plötzlich hat er sich wie nie zuvor in die Stadtpolitik verstrickt, fast, als habe die Überseele ihm diese Vision eigens wegen dieses dummen, gefährlichen Projekts von Gaballufix geschickt, eigens, weil jetzt Schritte eingeleitet werden mußten.

Warum? Wieso interessierte sich die Überseele für Basilikas Schicksal? Zahllose Städte und Nationen hatten ihren Aufstieg und Fall erlebt – Dutzende in jedem Jahrhundert, Tausende und Abertausende in der gesamten Geschichte der Menschheit. Vielleicht Millionen. Die Überseele hatte keinen Finger gerührt. Die Überseele kümmerte sich nicht um Kriege; ihr lag bestimmt nichts daran, menschliches Leid zu vermeiden. Warum also mischte sich die Überseele ausgerechnet jetzt ein? Warum diese Dringlichkeit? War es diese Sache wert, daß die Familie daran zerbrach? Und falls sie es wirklich wert sein sollte – wer hatte diese Entscheidung zu treffen? Niemand hatte die Überseele darum gebeten, und wenn sie sie wirklich herumstieß, um einen großartigen Plan zu verwirklichen, wäre es doch ganz nett, wenn die Überseele sie wissen ließ, was sie im Sinn hatte.

Nafai lag zitternd auf seiner Matte.

Dann fiel es ihm wieder ein. Ich wollte diese Nacht ja gar nicht auf der Matte schlafen. Ich wollte doch versuchen, ein echter Mann zu sein.

Fast hätte er laut gelacht. Auf dem nackten Fußboden schlafen – damit würde er zum Mann? Was für ein Narr bin ich doch.

Und als er über sich lachte, konnte er endlich einschlafen.

Загрузка...