13. Kapitel

„Ich bin der Ansicht, Oberst …“

„Ja, Mike, was gibt es denn?“ Der Oberst blätterte eine Seite um und legte den zerlesenen Band mit der Vorderseite nach unten auf den Tisch. Dann blickte er forschend in das junge und dennoch alte Gesicht des Captains.

„Diese Untätigkeit ist nicht gut für die Leute, Sir.“

„Sie ist auch für mich nicht gut, aber wir können doch nichts unternehmen. Oder? Die einzige Möglichkeit bliebe, daß jemand einen Einfall hat, der dem von Corban gleichkommt und uns eine Möglichkeit zum Angriff gibt. Fällt Ihnen etwas ein?“

Der Captain blickte zur Seite. „Nein, Sir.“

„Auch ich habe keine Idee. Also müssen wir hier ruhig sitzen bleiben. Wir wagen sie nicht anzugreifen, und sie ihrerseits wagen keinen Angriff auf uns. Auf ihrer Seite aber sind alle Vorteile, denn während wir hier in unseren Igelstellungen sitzen, können sie sich überallhin bewegen und Welt um Welt einnehmen. Und sie brauchen sich nicht um uns zu kümmern.“

„Sie wissen doch, wie es enden wird“, sagte der Captain.

„Ich glaube, ja. Wir können hier so lange sitzen, bis uns die Lebensmittel ausgehen, und dann bleibt uns nichts anderes übrig, als einen Verzweiflungsangriff zu wagen und dabei unterzugehen oder uns zu ergeben, um nicht zu verhungern. Ich hoffe jedoch, daß irgend jemanden etwas einfallen wird.“

„Vielleicht hat jemand eine Idee.“ Des Captains Stimme klang nicht gerade hoffnungsvoll. „Schließlich ist es der Flotte ja auch gelungen, ein Abwehrmittel gegen die neue Taktik der Zombis zu finden. Es war auch höchste Zeit, denn die Flotte stand bereits kurz vor ihrer völligen Vernichtung.“

„Damit ist das Problem aber noch nicht gelöst“, meinte der Oberst. „Sie können sich darauf verlassen, daß die Zombis neue Techniken finden werden.

Man muß ihnen zweifellos zugute halten, daß sie aus ihren Erfahrungen lernen. Schauen Sie nur einmal an, wie sie es anpackten, um unseren Planeten hier zu besetzen. Zuerst landeten sie einige Agenten, die Brücken, Verbindungswege sprengten und die Zivilbevölkerung terrorisierten. Dann trieben sie die Armee in die Verteidigungsstellungen und zwangen die Flotte, ihre Stützpunkte zu verlassen. Auf diese Weise sahen sie sich dann nur noch wenigen Bataillonen Infanterie gegenüber, die keine nennenswerte Unterstützung von Raumschiffen haben, und über kurz oder lang wird es den Zombis gelingen, diese Truppen zu überwältigen und den Planeten ganz zu besetzen. Das geschieht auf allen Planeten, und die Flotte muß immer weiter zurückweichen. Ja, ich weiß, wie es enden wird.“

Hilflos hob der Captain die Hände. „Es muß doch einen Ausweg geben.“

„Das sage ich mir ja auch, aber in letzter Zeit haben meine Worte wohl kaum überzeugend geklungen. Oh, ich bin sicher, daß es nicht plötzlich enden wird. Darin täuschen sich die Zombis. Wenn man weiß, daß es ohnehin keinen Ausweg gibt, verteidigt man sich bis zum äußersten. Es wird ihnen nie gelingen, die menschliche Rasse auszulöschen, selbst, wenn sie das wollten. Es gibt zu viele Menschen auf zu vielen Welten. Aber unsere Zivilisation wird vernichtet werden, wenn sie es nicht bereits ist. So wird es enden.“

„Weshalb sitzen wir dann also hier herum, Sir. Weshalb gehen wir nicht hinaus und kämpfen, auch auf die Gefahr hin, vernichtet zu werden?

Dann haben wir doch wenigstens etwas geleistet.“

„Unsere Truppen hier sind gut, Mike, und wir wollen keinen einzigen Mann opfern. Wir wollen bereit sein für den Augenblick, in dem jemandem ein Ausweg aus dieser Lage einfällt. Es wäre doch zu schade, wenn wir einen Plan ausarbeiten würden und dann nicht genügend Leute zur Verfügung hätten, um ihn auszuführen. Es bleibt uns im Augenblick nichts anderes übrig, als still zu sitzen und abzuwarten.“

„Fast glaube ich es auch.“

Der Oberst wandte sich müde ab und nahm sein Buch wieder auf.

Draußen klang ein Ruf auf. Schritte näherten sich durch den Tunnel. Das Gemurmel erregter Stimmen drang bis zu den beiden Männern. Der Oberst legte das Buch beiseite, und der Captain stand auf. „Sehen Sie nach, was los ist“, sagte der Oberst.

Noch ehe der Captain die Tür erreicht hatte, klopfte es. Er öffnete die Tür und trat zurück.

„Entschuldigung, Sir“, sagte ein Sergeant, „aber — komm schon her!“

Er stieß einen Jungen in das Zimmer.

Es war ein wild aussehender Junge. Das Haar war ungepflegt, die Kleidung schmutzig und zerlumpt. Die Füße waren bloß. Der Hunger hatte das Gesicht des Jungen gezeichnet. Er schien von den bewaffneten Soldaten, die ihn umgaben, völlig unbeeindruckt. Neugierig blickte er sich im Zimmer um und sah nochmals zu den Überresten einer Mahlzeit hin. Dann wandte er sich dem Obersten zu.

„Er hat sich durch unsere Linien geschlichen“, erklärte der Sergeant. „Bis Tunnel drei ist er gekommen, ehe ihn jemand bemerkte. Er sagt, er komme aus dem Zombi-Land.“

„Bewaffnet?“ fragte der Oberst.

„Nur dies.“

Der Oberst nahm das Messer, untersuchte es genau. „Tödlich“, meinte er. „Und was bedeuten wohl diese Kerben am Griff?“

„Jede Kerbe steht für einen Zombi“, erklärte der Junge.

„Zombis? Willst du damit sagen, daß du Zombis getötet hast?“ Der Oberst beugte sich vor. „Du willst uns doch nicht irgendwelche Räubergeschichten erzählen. Oder?“

„Wie? Aber nein, Sir. Ich habe wirklich zwölf Zombis getötet und manche der Jungs sogar noch mehr.“

„Das ist ja sehr interessant“, meinte der Oberst. „Sergeant, ich möchte mich mit diesem Jungen ein wenig unterhalten. Er sieht ziemlich hungrig aus. Sehen Sie zu, daß er gleich etwas zu essen bekommt.“

„Zu Befehl, Sir.“ Der Sergeant salutierte, und die Tür schloß sich hinter ihm.

„Nimm also Platz …“

„Corban, Sir. Jerry Corban.“

Der Oberst und der Captain tauschten rasche Blicke aus. „Corban? Gibt es etwa in deiner Familie einen William Corban?“

„Das ist mein Bruder Bill. Er war bei der Armee.“

„War?“

„Sicher, er war Oberst wie Sie. Ich glaube, er ist jetzt tot, weil wir nichts mehr von ihm gehört haben.“

Der Oberst holte tief Atem. „Und was ist mit den übrigen Familienmitgliedern geschehen?“

„Nun, Mutter und Vater sind drüben in der Stadt, die sie Zombi-Land nennen. Ich habe einen ganz guten Keller gefunden, in dem sie sich verbergen. Mein Bruder Paul war in der Raumflotte, Man hat uns mitgeteilt, daß er vermißt ist. Wahrscheinlich ist auch er tot. Meine Schwester Sue war auf der Hochzeitsreise, als die Zombis zuschlugen. Seitdem haben wir auch von ihr nichts mehr gehört, und Mutter macht sich große Sorgen. Allerdings ist das schon lange her daß sie es bald überwunden haben wird.“

Ungläubig meinte der Captain: „Deine Eltern sind drüben im Zombi-Land und leben in einem Keller?“

„Aber sicher.“

„Bei Gott! Wie lebt ihr denn? Was habt ihr zu essen?“

„Meistens Ratten.“

„Sind dort drüben viele Leute, mein Junge?“ wollte der Captain wissen.

„Noch ziemlich viel, glaube ich. Wir meiden einander, denn die Zombis könnten es vielleicht merken, wenn zu viele von uns beieinander sind.“

„Uns wurde gesagt, daß alle Zivilisten evakuiert worden seien, Sir“, sagte der Captain.

„Ich glaube, daß die meisten Leute auch weggegangen sind“, erklärte der Junge, „aber mein Vater — ihm wurden die Beine abgerissen, als die Zombis das Kraftwerk in die Luft sprengten. Alle flüchteten Hals über Kopf, so daß wir niemand fanden, der uns geholfen hätte, ihn wegzubringen. Deshalb blieben wir.“

Der Sergeant unterbrach das Gespräch. Er trug ein Tablett in das Zimmer. Der Junge starrte mit weit aufgerissenen Augen darauf und leckte die Lippen, als das Essen vor ihn auf den Tisch gestellt wurde. „Mmm, soll das etwa für mich sein?“

„Natürlich“, antwortete der Oberst.

Der Junge zögerte. „Wenn Sie gestatten, Sir, dann möchte ich das Essen lieber meinen Eltern bringen.“

„Wir werden schon dafür sorgen, daß du auch noch etwas bekommst, was du deinen Eltern mitbringen kannst. Iß du erst einmal.“

„Jawohl, Sir.“

Der Oberst und der Captain sahen dem Jungen zu, wie er das Essen hinunterschlang. Als er das Tablett zurückschob, waren Teller und Schüsseln wie leergeleckt.

„Willst du noch mehr?“ fragte der Captain.

„Lieber nicht“, meinte der Oberst. „Vielleicht würde ihm übel. Jetzt aber erzähle mir, Jerry, wie du aus dem Zombi-Land hierhergekommen bist?“

„Ich habe eine Kanalisationsröhre gefunden“, erklärte der Junge. „In dieser Röhre bin ich unter der Energiebarriere der Zombis durchgekrochen. Als ich hierherkam, grub ich einen Tunnel zur Erdoberfläche.“

„Weshalb bist du hierhergekommen? Es hätte doch gut sein können, daß wir dich erschossen hätten. In der Nacht schießen wir auf alles, was sich bewegt.“

Der Junge grinste. „Ich glaube nicht, daß Sie mich gesehen hätten. Auch die Zombis hatten mich nicht bemerkt. Und hierhergekommen bin ich deshalb, weil ich ein Gewehr möchte.“

„Könnten meine Soldaten ebenfalls durch diese Kanalisationsröhre kriechen?“ fragte der Oberst.

„Ich glaube nicht. Selbst für mich ist es ziemlich eng.“

„Wir könnten vielleicht einen Tunnel graben“, meinte der Captain.

Der Oberst nickte. „Das wäre möglich.“

„Und wenn es einem Jungen gelingt, mit diesem Ding hier so viele Zombis zu töten, dann müßte es einigen Soldaten doch auch möglich sein, innerhalb der Energiebarriere die Hölle zu entfesseln.“

„Sobald die Soldaten angriffen, würden sie sofort von Zombis umgeben sein.“

„Der Junge kam doch auch immer wieder davon“, entgegnete der Captain.

„Das ist etwas, worüber es sich lohnt, nachzudenken“, gab der Oberst nachdenklich zu. „Wir brauchten ja nicht viele Leute für dieses Unternehmen, und wir werden alles vorsichtig planen und die Gewohnheiten der Zombis genau studieren, ehe wir etwas unternehmen. Dann könnten wir vielleicht einen Hinterhalt legen. Also gut. Fragen Sie den Jungen nach allem, was er über das Zombi-Land weiß, und sehen Sie zu, was Sie daraus machen können. Zuerst aber möchte ich, daß der Junge badet und von den Ärzten untersucht wird. Sorgen Sie dafür, daß er auch neue Kleider bekommt.“

„Bitte, Sir“, sagte der Junge, „ich muß noch heute nacht zurück. Meine Eltern würden sich sonst Sorgen machen.“

„Aber sicher, mein Junge, du kannst noch heute nacht zurückkehren, und wir werden dir so viele Lebensmittel mitgeben, wie du nur tragen kannst. Komme aber morgen nacht wieder, und richte dich darauf ein, einige Tage bei uns zu bleiben. Wir möchten, daß du uns hilfst. Vielleicht können wir einen Plan für einen Spähtrupp in das Zombi-Land ausarbeiten.“

„Kann ich ein Gewehr haben, Sir?“

„Auch dafür können wir sorgen. Ich möchte dir etwas sagen, mein Junge. Dein Bruder Bill war ein großer Soldat. Die ganze Armee kennt seinen Namen. Wir sind stolz auf ihn. Er war nicht nur Oberst, sondern General. Das kannst du deinen Eltern sagen. Generalmajor William Corban, von dem wir noch nicht einmal mit Bestimmtheit wissen, daß er nicht mehr am Leben ist. Viele Soldaten sind auf Willar gefallen, aber soviel wir wissen, wird dort noch gekämpft. Wenn er noch am Leben ist, dann wird auch er noch kämpfen. Das kannst du deinen Eltern ebenfalls sagen.“

Die Augen des Jungen glänzten. „Sicher. Ich werde es ihnen erzählen. Wissen Sie etwas über meinen Bruder Paul?“

„Nein, mein Junge. Was ihm aber auch immer zugestoßen sein mag, er hat seiner Familie und seiner Einheit sicher Ehre gemacht. Ich möchte dir jedoch noch etwas anderes sagen. Dein Bruder Bill war ein großer Soldat, aber ich glaube, du bist ein noch größerer.“

Der Sergeant führte den Jungen weg. Eine ganze Weile schwieg der Oberst. Dann zog er ein Schubfach auf, nahm eine Fotografie heraus und stellte sie auf den Tisch.

„Jerry ist etwa im Alter meines Jungen. Ob Jim wohl das gleiche auf Birror tut? Ich möchte es beinahe glauben. Aber was ich sagen wollte, Mike. Wir werden zwar besiegt — zum Teufel, ja — aber geschlagen sind wir noch nicht. Nein, wir sind nicht geschlagen. Selbst die Kinder kämpfen, und ich glaube, sie haben sogar viel Erfolg. Ich möchte wetten, daß Jerry Corban und seine Freunde den Zombis wirklich zu schaffen machen. Was hat er gesagt, als er das Zimmer verließ?“

„Er wollte wissen, ob wir Gasmasken haben.“

„Die Zombis versuchen also, sie auszuräuchern. Ein weiteres Zeichen dafür, daß diese Jungs den Zombis verdammt zu schaffen machen. Wir wollen doch von dem Jungen erfahren, wie er es macht. Vielleicht kommt uns ein Gedanke, und wir können einen Plan ausarbeiten. Zumindest aber können wir es einigen Zombis unbehaglich machen. Wir können doch nicht den Kampf auf diesem Planeten einfach den Kindern überlassen.“

Das Telefon läutete. Rasch nahm der Oberst den Hörer ab, lauschte und legte dann langsam wieder auf.

„Schlechte Nachrichten?“ fragte der Captain.

„Meldung vom Flotten-Hauptquartier. Die Zombis sind erneut durchgebrochen.“

„Wie weit sind sie dieses Mal gekommen?“

„Bis zur Erde.“

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