Sechstes Kapitel Erde

21

Trevize war mißmutig und gereizt. Er und Pelorat saßen in der kleinen Eßnische und hatten soeben ihr Mittagessen beendet.

»Wir sind erst seit zwei Tagen im All«, sagte Pelorat, »und trotzdem ist mir ganz wohl zumute, obwohl ich natürlich die frische Luft und das alles vermisse. Seltsam! Solange es ständig ringsherum vorhanden war, habe ich’s nie richtig zur Kenntnis genommen. Neben meinen paar Platten und Ihrem bemerkenswerten Computer habe ich meine komplette Bibliothek dabei — oder jedenfalls alles, was wichtig ist. Und jetzt ängstigt mich die Vorstellung, mitten im Raum zu sein, nicht mehr im mindesten. Erstaunlich!«

Trevize stieß einen nichtssagenden Laut aus. Sein Blick war nach innen gerichtet.

»Ich möchte nicht lästig sein, Colan«, meinte Pelorat leise, »aber ich habe den Eindruck, Sie hören mir nicht zu. Nicht etwa, daß ich ein besonders interessanter Mensch wäre, wissen Sie, ich war immer ein ziemlich langweiliger Typ. Trotzdem, ich glaube, Sie beschäftigen sich sehr stark mit irgend etwas… Sind wir in Schwierigkeiten? Sie können’s mir ruhig verraten, glauben Sie mir! Behilflich kann ich Ihnen sicher nicht sein, aber ich werde auch nicht in Panik geraten, mein Bester.«

»In Schwierigkeiten?« Trevize wirkte, als käme er gerade zu sich, runzelte leicht die Stirn.

»Das Raumschiff, meine ich. Es ist ja ein neues Modell, also könnte irgend etwas nicht so ganz klappen, stelle ich mir vor.« Pelorat erlaubte sich ein unsicheres Lächeln.

Nachdrücklich schüttelte Trevize den Kopf. »Janov, es war dumm von mir, Sie im Ungewissen zu lassen. Mit dem Raumschiff ist alles in schönster Ordnung. Es funktioniert tadellos. Ich habe bloß nach einer Hypersonde gesucht.«

»Aha, verstehe — nur weiß ich nicht, was eine Hypersonde ist.«

»Ich will’s klipp und klar erläutern, Janov. Wir haben unvermindert Verbindung zum Terminus. Ich kann jederzeit Kontakt aufnehmen, wenn ich will, und umgekehrt kann man von Terminus aus mit uns in Kontakt treten. Man kennt dort die Position des Schiffs, hat unseren Kurs verfolgt. Selbst wenn das nicht geschehen wäre, ließe sich unsere Position durchs Abtasten des näheren Weltraums mit Massedetektoren, wie es fortgesetzt geschieht, um den Raumflugverkehr zu überwachen und etwaige Meteore frühzeitig zu entdecken, leicht ermitteln. Außer der Masse mißt man dabei ein energetisches Muster an, dank dessen man nicht nur Raumschiffe von Meteoren, sondern auch ein Raumschiff vom anderen zu unterscheiden vermag, denn keine zwei Raumer erzeugen das gleiche energetische Muster. Unser Muster bleibt in irgendeiner Beziehung immer charakteristisch, unabhängig davon, welche Manöver wir vornehmen oder welche Instrumente wir ein- oder ausschalten. Natürlich kann das geortete Schiff unbekannt sein, aber wenn’s sich um eines wie unseres handelt, dessen Energiemuster auf Terminus registriert ist — und das ist mit unserem ohne Zweifel der Fall —, dann kann man’s identifizieren, sobald es geortet ist.«

»Manchmal finde ich, Golan«, sagte Pelorat, »daß man die Fortschritte der Zivilisation in nichts anderem besser zusammenfassen kann, als wenn man sie als Einübung in die immer stärkere Einschränkung der Privatsphäre beschreibt, oder was meinen Sie?«



»Da könnten Sie recht haben. Früher oder später allerdings müssen wir den Hyperraum durchqueren, andernfalls würden wir uns während des gesamten Rests unseres Lebens nicht weiter als ein oder zwei Parsek von Terminus entfernen. Wir würden nur im allergeringsten Umfang an der interstellaren Raumfahrt teilnehmen. Mit der Durchquerung des Hyperraums dagegen vollziehen wir eine Bewegung der Diskontinuität in bezug auf den Normalraum. Wir versetzen uns einfach von hier nach dort, über eine Entfernung von manchmal mehreren hundert Parsek hinweg, und brauchen dafür nur einen einzigen Augenblick tatsächlich erlebter Zeit. Wir sind urplötzlich weit fort, befinden uns in einer Richtung, die für Außenstehende nur sehr schwer vorauszusehen ist, so daß man uns, praktisch gesprochen, nicht mehr orten kann.«

»Das begreife ich. Ja.«

»Es sei denn, versteht sich, man hat zuvor an Bord eine Hypersonde installiert. Eine Hypersonde sendet ein Signal durch den Hyperraum, ein Signal, das für das Raumschiff charakteristisch ist, und die zuständigen Stellen auf Terminus könnten anhand dessen jederzeit ersehen, wo wir uns gerade aufhalten. Das ist die Antwort auf Ihre Frage. Nirgends in der ganzen Galaxis könnten wir uns verstecken, und keine Kombination von Hyperraumsprüngen würde ausreichen, um uns ihren Ortungsinstrumenten zu entziehen.«

»Golan«, sagte Pelorat gedämpft, »uns ist doch am Schutz gelegen, den die Foundation uns bieten kann, oder nicht?«

»Ja, Janov, gewiß, aber nur, wenn wir ausdrücklich darum bitten. Sie haben gesagt, Fortschritte der Zivilisation bedeuteten immer stärkere Einschränkung des Privaten. Na, ich jedenfalls habe keine große Lust, so sehr fortschrittlich zu sein. Ich wünsche die Freiheit, mich unbeobachtet bewegen zu können, ohne unter irgend jemandes Aufsicht zu stehen, bis ich Schutz benötige und wünsche. Deshalb wäre mir besser, viel besser zumute, befände sich keine Hypersonde an Bord.«

»Haben Sie eine gefunden, Golan?«

»Nein, nicht. Andernfalls könnte ich sie außer Betrieb setzen.«

»Wenn Sie eine sehen, würden Sie sie denn erkennen?«

»Das ist eine der Schwierigkeiten. Möglicherweise erkenne ich sie nicht. Allgemein weiß ich, wie eine Hypersonde aussieht, und mir sind auch Methoden zum Testen verdächtiger Gegenstände bekannt. Aber das hier ist ein hochmodernes Raumschiff und außerdem für einen speziellen Zweck abgestellt worden. Eine Hypersonde könnte so eingebaut worden sein, daß sie sich durch überhaupt nichts feststellen läßt.«

»Genauso gut kann’s aber sein, daß gar keine Hypersonde an Bord ist und Sie deshalb keine gefunden haben.«

»Ich möchte mich aber ungern auf so was verlassen, und ich würde lieber keinen Hypersprung durchführen, ehe ich genau Bescheid weiß.«

Pelorat schaute drein, als sei ihm eine Erleuchtung gekommen. »Deswegen also schweben wir noch immer durch den Weltraum. Ich habe mich schon gewundert, warum wir noch keinen Hypersprung gemacht haben. Wissen Sie, ich habe schon manches davon gehört. Ich bin deshalb ein bißchen nervös, ich habe mich dauernd gefragt, wann Sie endlich sagen, daß ich mich anschnallen muß, oder eine Pille schlucken, oder halt sonst irgend so etwas.«

Trevize rang sich ein Lächeln ab. »Kein Grund zur Sorge. Das ist alles nicht mehr wie früher. In so einem Raumschiff überläßt man alles dem Computer. Man gibt seine Anweisungen, und er erledigt den Rest. Sie werden nichts merken, sondern nur feststellen, daß der Raum plötzlich einen anderen Anblick bietet. Wenn Sie schon mal einen Dia-Vortrag gesehen haben, wissen Sie ja, was geschieht, wenn man ein Dia durch ein anderes ersetzt. Tja, und so ähnlich erlebt man auch den Hypersprung.«

»Meine Güte. Man spürt nichts? Komisch! Das enttäuscht mich irgendwie.«

»Ich habe jedenfalls nie etwas gespürt, und die Raumer, mit denen ich schon geflogen bin, waren längst nicht so modern wie unser Schiff. Es ist aber nicht bloß wegen der Hypersonde, weshalb ich noch mit dem Hypersprung warte. Erst müssen wir noch mehr Abstand von Terminus und seiner Sonne gewinnen. Je weiter man von irgendeinem massiven Objekt entfernt ist, um so leichter ist der Sprung kontrollierbar, um so sicherer erfolgt der Wiedereintritt in den Normalraum exakt an den festgelegten Koordinaten. Notfalls kann man einen Sprung zweihundert Kilometer über einer Planetenoberfläche wagen und sich auf sein Glück verlassen. Weil es viel mehr sicheren als unsicheren Raum in der Galaxis gibt, kann so was gutgehen. Trotzdem, es besteht immer die Möglichkeit, daß zufällige Faktoren einen Wiedereintritt ein paar Millionen Kilometer von einem großen Stern oder im galaktischen Zentrum verursachen und man draufgeht, bevor man mit der Wimper zucken kann. Je mehr man von Massen Abstand hält, um so geringer diese Faktoren und die Wahrscheinlichkeit, daß etwas passiert.«

»In diesem Fall weiß ich Ihre Vorsicht zu würdigen. Wir haben keine besondere Eile.«

»Völlig richtig. Zumal ich gerne die Hypersonde fände, bevor wir weiteres unternehmen. Oder wenigstens einen Weg, mich davon zu überzeugen, daß gar keine an Bord ist.«

Trevize verfiel allem Anschein nach erneut in sein stummes Grübeln. »Wieviel Zeit haben wir noch?« fragte Pelorat und hob ein wenig seine Stimme, um zu Trevize durchzudringen.

»Was?«

»Ich meine, wann würden wir den Hypersprung einleiten, falls Sie nicht diese Sorge wegen der Hypersonde hätten, mein Bester?«

»Beim gegenwärtigen Kurs und jetziger Geschwindigkeit am vierten Tag nach dem Start, würde ich sagen. Ich kann einen geeigneten Zeitpunkt vom Computer errechnen lassen.«

»Na, dann bleiben Ihnen doch noch zwei Tage für die Suche. Darf ich einen Vorschlag machen?«

»Bitte schön.«

»Bei meiner Arbeit — sie unterscheidet sich naturgemäß stark von Ihrer Tätigkeit, aber möglicherweise dürfen wir hier ein wenig vereinfachen und verallgemeinern — habe ich stets festgestellt, daß es zu gar nichts führt, wenn man sich verbissen an einem bestimmten Problem festfrißt. Lassen Sie uns lieber ganz gemütlich von was anderem reden, dann wird Ihr Unterbewußtsein, wenn es nicht unter der Bürde Ihrer konzentrierten Gedanken arbeitet, das Problem vielleicht für Sie lösen.«

Im ersten Moment wirkte Trevize verärgert, dann lachte er. »Naja, weshalb nicht? Erzählen Sie mir, Professor, was Ihr Interesse an der Erde geweckt hat. Wie ist diese sonderbare Annahme aufgekommen, wir würden alle von einem einzigen Planeten stammen?«

»Ah!« Bei der Erinnerung daran nickte Pelorat versonnen vor sich hin. »Das ist schon eine Zeitlang her. Dreißig Jahre. Als ich aufs College ging, wollte ich Biologe werden. Besonders hat mich die Verschiedenartigkeit von Spezies auf unterschiedlichen Welten interessiert. Die Verschiedenartigkeit ist, wie Sie wissen — oder vielleicht nicht, dann ist’s Ihnen sicher recht, wenn ich’s Ihnen erkläre —, sehr gering. Allen Lebensformen in der Galaxis — jedenfalls allen, denen wir bisher begegnet sind — ist eine auf Wasser basierende Eiweiß-Nukleinsäure-Natur gemeinsam.«

»Ich habe ein Militär-College besucht«, sagte Trevize, »wo man die Schwerpunkte auf Nuklear- und Gravo-Wissenschaften legt, aber ich bin kein schmalspuriger Spezialist. Ein bißchen kenne ich mich mit den chemischen Grundlagen des Lebens schon aus. Uns ist beigebracht worden, daß Wasser, Eiweiß und Nukleinsäuren die einzige mögliche Basis sind.«

»Das halte ich in dieser Ausschließlichkeit für eine ungerechtfertigte Schlußfolgerung. Es ist richtiger zu sagen, eine andersartige Lebensform ist noch nicht entdeckt worden — oder, besser ausgedrückt: als solche erkannt worden —, und es dabei zu belassen. Überraschender ist allerdings die Tatsache, daß eingeborene Spezies — das heißt solche, die man nur auf einer einzigen Welt und keiner anderen findet — reichlich selten sind. Die meisten existenten Spezies, eingeschlossen und insbesondere Homo sapiens, sind auf alle oder nahezu alle bewohnten Welten der Galaxis verstreut und biochemisch, physiologisch und morphologisch eng miteinander verwandt. Die eingeborenen Spezies dagegen unterscheiden sich in ihren Eigentümlichkeiten sehr stark von den verbreiteten Lebensformen und auch voneinander.«

»Tja, und was besagt das?«

»Die Schlußfolgerung, die man daraus zu ziehen geneigt ist, lautet so, daß eine Welt in der Galaxis, eine Welt, sich vom Rest unterscheiden muß. Dutzende Millionen von Welten — niemand weiß genau, wie viele — in der Galaxis haben Leben hervorgebracht, einfaches Leben, karges, schwächliches Leben, nicht besonders artenreich, schwer zu bewahren, alles andere als leicht ausbreitbar. Eine Welt jedoch, eine Welt allein, muß Leben in Millionen von Spezies entwickelt haben, ja, ohne weiteres Millionen, manche davon stark spezialisiert, hochentwickelt, sehr vermehrungstüchtig und zur Ausbreitung veranlagt — darunter auch uns. Wir waren intelligent genug, um eine Zivilisation aufzubauen, die Hyperraumfahrt zu ersinnen, die Galaxis zu besiedeln — und während unserer Ausbreitung über die ganze Galaxis haben wir zahlreiche Lebensformen, untereinander und mit uns verwandte Lebensformen, mit uns genommen.«

»Wenn man nicht allzu tiefschürfend darüber nachdenkt«, sagte Trevize einigermaßen gleichgültig, »klingt’s ziemlich einleuchtend. Ich meine, wir leben ja in einer Galaxis voller Menschen. Unterstellen wir einmal, daß alles auf nur einer Welt angefangen hat, dann liegt freilich die Annahme nahe, daß diese eine Welt sich von allen anderen Planeten wesentlich unterscheiden muß. Aber wieso auch nicht? Die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung so vielfältigen Lebens dürfte wirklich sehr gering sein, vielleicht eins zu hundert Millionen, das heißt, unter hundert Millionen Welten kann es entsprechende Voraussetzungen nur auf einer lebensgeeigneten Welt gegeben haben. Eine mußte es ja sein.«

»Aber was kann’s sein, das diese spezielle Welt so verschieden von den anderen macht?« meinte Pelorat erregt. »Was waren das für herausragende Voraussetzungen?«

»Vielleicht war’s nur reiner Zufall. Immerhin existieren Menschen und die von ihnen mitgenommenen Lebensformen ja heutzutage auf Dutzenden Millionen von Planeten, die alle für Leben geeignet sind, also müssen theoretisch alle diese Welten im Prinzip geeignet gewesen sein.«

»Nein! Das ist ein Fehlschluß! Sobald die menschliche Spezies — und mit ihr viele andere — sich im schweren Kampf ums Überleben abgehärtet, sobald sie Technik entwickelt hatte, da entstand für sie die Möglichkeit, sich jeder Welt anzupassen, solange sie nur ein Mindestmaß an Lebensfreundlichkeit aufweist, wie beispielsweise Terminus. Aber können Sie sich auf Terminus entstandenes intelligentes Leben vorstellen? Als zur Zeit der Enzyklopädisten zum erstenmal Menschen Terminus betraten, da waren dort die höchste pflanzliche Lebensform moosartige Flechten, die auf Felsen wuchsen, das höchstentwickelte tierische Leben waren korallenartige Wesen im Meer, insektenähnliche Flugorganismen auf dem Land. Das haben wir einfach beseitigt und Meer und Land mit Fischen, Kaninchen, Ziegen, Gras, Korn und Bäumen und so weiter bereichert. Vom ursprünglichen Leben haben wir nichts übriggelassen als das, was heute noch in Zoos und Aquarien existiert.«

»Hm«, brummte Trevize.

Pelorat starrte ihn für einen ausgedehnten Moment an, dann seufzte er. »Sie interessieren sich in Wirklichkeit nicht dafür, stimmt’s?« meinte er. »Bemerkenswert! Irgendwie finde ich nie jemanden, den’s interessiert. Ich glaube, es ist mein Fehler. Ich kann es nicht interessant darstellen, wie sehr es auch mich interessiert.«

»Es ist interessant«, sagte Trevize. »Das ist es wirklich. Aber… aber… was ergibt sich aus alledem?«

»Finden Sie nicht, daß es wichtig sein könnte, von wissenschaftlicher Bedeutung, eine Welt zu erforschen, die heimisch das einzige richtig blühende ökologische Gleichgewicht hervorgebracht hat, das man in der Galaxis kennt?«

»Vielleicht, wenn man Biologe ist. Aber sehen Sie, ich bin nun einmal keiner. Haben Sie Nachsicht mit mir!«

»Natürlich, mein Bester. Nur habe ich auch nie einen Biologen getroffen, den es interessiert hätte. Ich habe erwähnt, daß ich zuerst auf Biologie versessen war. Meinem damaligen Professor habe ich meine Gedanken auch vorgetragen, und er fand’s ebensowenig interessant. Er sagte, ich solle mich einem praktischen Problem zuwenden. Das hat mich so angewidert, daß ich mich statt dessen auf Geschichte verlegt habe, und dann bin ich das Problem des Ursprungs von dieser Seite aus angegangen.«

»Aber wenigstens sind Sie dadurch zu einem Beruf gelangt«, sagte Trevize. »Also sollten Sie froh sein, daß Ihr Professor so engstirnig war.«

»Ja, so kann man’s natürlich auch sehen. Und mein Beruf interessiert mich so sehr, daß ich meiner Tätigkeit noch nie überdrüssig geworden bin. Aber ich säh’s gerne, Sie hätten Interesse. Ich bin das Gefühl satt, immer nur Selbstgespräche zu führen.«

Trevize bog den Kopf zurück und lachte herzhaft.

In Pelorats ruhiger Miene ließ sich eine Andeutung von Gekränktsein erkennen. »Warum lachen Sie mich aus?«

»Nicht Sie, Janov«, antwortete Trevize. »Ich habe über meine eigene Dummheit gelacht. Ihnen dagegen bin ich regelrecht dankbar. Wissen Sie, Sie hatten vollkommen recht!«

»Zu sehen, wie bedeutsam das Problem des menschlichen Ursprungs ist?«

»Nein, nein. Nun ja, das auch. Aber eigentlich habe ich gemeint, Sie hatten damit recht, mir zu raten, ich solle nicht mit bewußter Anstrengung über mein Problem nachdenken, sondern mich mit was anderem befassen. Es hat geklappt. Während Sie davon gesprochen haben, wie sich das Leben entwickelt hat, ist mir endlich eingefallen, wie ich die Hypersonde, falls eine an Bord ist, finden kann.«

»Ach, das!«

»Jawohl — das! Im Moment ist das meine Monomanie. Ich habe nach der Hypersonde gesucht, als ob ich mich auf meinem alten Kahn von einem Schulschiff befände, ich habe mir jeden Teil des Raumers mit eigenen Augen angeschaut und mich nach etwas umgesehen, das sich von allem anderen abhebt. Ich hatte vergessen, daß dies Raumschiff ein modernes Produkt einer jahrtausendelangen technischen Entwicklung ist. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«

»Nein, Golan.«

»Wir haben einen Computer an Bord. Wie konnte ich das nur vergessen?«

Er winkte mit der Hand und suchte seine Kabine auf, gefolgt von Pelorat, der sich seinem Wink fügte.

»Ich brauche nur versuchen, zu kommunizieren«, sagte er und legte seine Hände auf die Kontaktflächen des Computers.

Es ging darum, Terminus zu erreichen, der nun mehrere tausend Kilometer weit hinter ihnen lag.

Tasten! Verbinden! Ihm war, als wüchsen und verzweigten sich seine Nervenenden, schnellten mit verblüffender Geschwindigkeit hinaus ins All — mit Lichtgeschwindigkeit, natürlich! —, um eine Verbindung herzustellen.

Trevize fühlte eine Berührung — nicht ganz eine Berührung, sondern er spürte etwas; nein, er spürte auch nicht, vielmehr… — doch gleichgültig, es gab dafür kein Wort.

Er hatte die Wahrnehmung, daß sich Terminus in seiner Reichweite befand, und obwohl die Entfernung zwischen Terminus und ihm mit jeder Sekunde um rund zwanzig Kilometer zunahm, kam eine Art von Kontakt zustande, als schwebten Raumschiff und Planet bewegungslos nebeneinander im All, nur durch einen Meter Abstand getrennt.

Er schwieg. Er übermittelte nichts. Ihm lag lediglich daran, das Prinzip der Kommunikation zu testen; er kommunizierte nicht aktiv.

Weit draußen, acht Parsek entfernt, zog Anacreon seine Bahn, der nächste größere Planet — nach galaktischen Maßstäben im Hinterhof der Foundation. Mit dem gleichen Verfahren, das er soeben in bezug auf Terminus angewendet hatte, dorthin eine Nachricht zu übermitteln und eine Antwort zu erhalten, würde — ohne Hypersonde, die als Relais diente — zweiundfünfzig Jahre dauern.

Ertaste Anacreon! Denk an Anacreon! Stell ihn dir so deutlich vor, wie du kannst. Du kennst seine Position im Verhältnis zu Terminus und zum galaktischen Zentrum. Du hast seine Planetographie und Geschichte studiert. Du hast militärische Aufgabenstellungen gelöst, in denen es darauf ankam, Anacreon (unter Voraussetzung des heute undenkbaren Falls, feindliche Streitkräfte hätten ihn besetzt) zurückzuerobern.

Tiefe! Ferne! Du bist auf Anacreon gewesen.

Stell ihn dir vor! Stell ihn dir vor!

Nichts. Die Spitzen seiner Nerven zitterten, verliefen sich im Nirgendwo.

Trevize ließ vom Computer ab. »An Bord der Far Star ist keine Hypersonde, Janov. Ich bin mir völlig sicher. Und hätte ich mich nicht an Ihren Vorschlag gehalten, wer weiß, wie lange ich gebraucht hätte, um das zu klären.«

Pelorat schaffte es, vor Freude zu strahlen, ohne einen Gesichtsmuskel zu verziehen. »Ich bin gewaltig froh, daß ich mich nützlich machen konnte. Heißt das, wir bereiten jetzt den Hypersprung vor?«

»Nein, sicherheitshalber warten wir trotzdem noch zwei Tage lang. Wir müssen auf Entfernung von fremder Masse gehen, wissen Sie noch? Unter normalen Umständen würde ich, bedenkt man, daß ich ein neues Raumschiff fliege, mit dem ich mich überhaupt nicht auskenne, wahrscheinlich zwei Tage brauchen, um die Berechnungen für den Hypersprung durchzuführen, vor allem, was die Hyper-Stoßwelle für den ersten Sprung angeht. Aber ich habe den Eindruck, das alles wird vom Computer erledigt.«

»Herrje! Dann liegt ja noch eine langweilige Wartezeit vor uns, würde ich sagen.«

»Langweilig?« Trevize lächelte breit. »Alles andere als das. Sie und ich, Janov, wir werden uns ausgiebig über die Erde unterhalten.«

»Wirklich?« vergewisserte sich Pelorat. »Möchten Sie einem alten Knaben wie mir eine Freude machen? Das ist nett von Ihnen. Das ist wirklich nett.«

»Unsinn! Ich will mir selbst einen Gefallen tun. Janov, Sie haben mich bekehrt. Im Ergebnis dessen, was Sie mir erzählt haben, ist mir nunmehr vollkommen klar, die Erde ist die wichtigste und hochinteressanteste Angelegenheit im ganzen Universum.«

22

Anscheinend war von Trevize gerade erst begriffen worden, daß Pelorat kurz zuvor seine Ansichten über die Erde dargelegt hatte.

Nur weil sein Verstand so stark vom Problem der Hypersonde in Anspruch genommen gewesen war, hatte er nicht sofort darauf reagiert. Doch sobald das Problem gelöst war, erfolgte seine Reaktion.

Das am häufigsten wiederholte Zitat Hari Seldons war vermutlich seine Äußerung, die Zweite Foundation befände sich, von Terminus aus gesehen, ›am entgegengesetzten Ende der Galaxis‹. Seldon hatte sogar einen Namen genannt. Sie solle sich auf ›Star’s End‹ befinden.

Das Zitat war in Gaal Dornicks Schilderung der Verhandlung vor dem Gerichtshof des Imperiums enthalten; jenen Tag betrachtete man seither in der Foundation als den Beginn der Foundationsära, den ersten Tag des Jahres 1 F. Ä. ›Am entgegengesetzten Ende der Galaxis‹ — genau diese Formulierung hatte Hari Seldon benutzt.

Von Dornicks Lebzeiten an war ihre Bedeutung immer zweifelhaft geblieben und debattiert worden. Was nämlich sollte es denn sein, was die Galaxis mit ihrem ›entgegengesetzten Ende‹ verband? Eine gerade Linie, eine Spirale, ein Kreis, oder was?

Und nun kam es Trevize plötzlich sonnenklar vor, daß keine Linie oder Kurve es war, die durch die Karte der Galaxis gezogen werden konnte oder sollte. Die Sache verhielt sich viel subtiler.

Außer Zweifel stand, daß es sich beim einen Ende der Galaxis um Terminus handelte. Dessen Position war am Rand der Galaxis, und das verlieh dem Wörtchen ›Ende‹ eine buchstäbliche Bedeutung. Zugleich jedoch war Terminus zur Zeit Hari Seldons die neueste bewohnbare Welt gewesen, ein Planet, dessen Gründerjahre in Kürze erst beginnen sollten, der bis dahin als Siedlerwelt gar nicht existiert hatte.

Was mochte im Licht dieser Betrachtungsweise das ›entgegengesetzte Ende der Galaxis‹ sein? Nun, warum nicht die älteste Welt in der Galaxis? Und den Argumenten zufolge, die Pelorat vorgetragen hatte — ohne zu ahnen, was er damit unterbreitete —, konnte dafür nur die Erde in Frage kommen. Einiges sprach für die Möglichkeit, daß die Zweite Foundation auf der Erde saß.

Seldon hatte gesagt, die Zweite Foundation sei auf ›Star’s End‹ zu finden. Aber wer wollte ausschließen, daß er sinnbildlich gesprochen hatte? Verfolgte man die Geschichte der Menschheit zurück, so wie Pelorat es getan hatte, erstreckte sich eine Linie von jedem Planetensystem, von jeder Sonne, die auf eine bewohnte Welt schien, zu einem anderen Stern, einem anderen Planetensystem, von dem Siedler gekommen waren, von dort wiederum zurück nach einem anderen Sonnensystem, und so fort — bis schließlich alle Linien sich auf dem Planeten vereinten, auf dem die Menschheit ihren Ursprung genommen hatte. Die Sonne, die die Erde beschien, war ›Star’s End‹.

Trevize lächelte. »Erzählen Sie mir mehr über die Erde, Janov«, bat er fast liebevoll.

Pelorat schüttelte den Kopf. »Ich habe Ihnen schon alles erzählt, was man darüber weiß, das können Sie mir glauben. Auf Trantor werden wir mehr erfahren.«

»Nein, das werden wir nicht, Janov«, erwiderte Trevize. »Wir werden dort nichts erfahren. Und was meinen Sie, warum nicht? Weil wir nicht nach Trantor fliegen. Ich habe die Kontrolle über dies Raumschiff, und ich versichere Ihnen, wir fliegen nicht nach Trantor.«

Pelorats Unterkiefer sackte herab. Einen Moment lang schnappte er nach Luft. »Aber mein Bester!« stieß er dann betroffen hervor.

»Kommen Sie. Janov«, sagte Trevize, »machen Sie nicht so ein Gesicht! Wir wollen doch die Erde finden.«

»Aber wir können nur auf Trantor…«

»Nein, nicht. Trantor ist nicht mehr als irgendein Planet, wo Sie brüchige alte Filme und staubige alte Dokumente studieren können und dabei selber verstauben und morsch werden können.«

»Seit Jahrzehnten träume ich davon…«

»Sie haben davon geträumt, die Erde zu finden.«

»Aber nur auf…«

Trevize stand auf, beugte sich vor und packte Pelorat vorn an der Kleidung. »Wiederholen Sie’s nicht, Professor«, sagte er. »Wiederholen Sie’s nicht noch einmal! Als Sie mir erzählten, daß wir die Erde suchen würden, noch bevor wir an Bord gegangen sind, haben Sie gesagt, Sie seien sicher, wir würden sie finden, weil Sie — um’s in Ihrer Ausdrucksweise zu sagen — ›eine glänzende Möglichkeit‹ wüßten. Und jetzt möchte ich, daß Sie nie wieder den Namen ›Trantor‹ in den Mund nehmen. Ich möchte, daß Sie mir alles über diese ›glänzende Möglichkeit‹ erzählen.«

»Aber meine Annahmen müssen erst einmal bestätigt werden! Bis jetzt handelt’s sich bloß um eine Idee, eine Hoffnung, eine bislang nur vage Möglichkeit!«

»Gut, gut! Erzählen Sie!«

»Sie verstehen das nicht. Sie verstehen das alles ganz einfach nicht. Das ist kein Gebiet, mit dem nur ich mich beschäftigt habe. Es gibt keine historischen Fakten, keine übereinstimmenden Forschungen, nichts von realem Wert. Die Leute reden über die Erde, als sei sie eine Tatsache, aber gleichzeitig wie über einen Mythos. Eine Million widersprüchlicher Geschichten kursieren…«

»Na schön, und woraus haben Ihre Forschungen bestanden?«

»Ich bin gezwungen gewesen, alle diese Geschichten zu sammeln, jedes kleine bißchen angeblicher Historie, jede Legende, jeden nebulösen Mythos. Jede Fiktion. Alles, was den Namen Erde enthält oder den Gedanken einer Welt des Ursprungs. Dreißig Jahre lang habe ich das alles zusammengetragen, alles was ich in dieser Beziehung auftreiben konnte, von jedem Planeten der Galaxis. Wenn ich nun irgendwelche verläßlicheren Unterlagen in der Galaktischen Bibliothek auf… Aber Sie wollen den Namen ja nicht mehr hören.«

»Richtig. Schlucken Sie ihn runter! Erzählen Sie mir statt dessen von den Punkten, die Ihre Aufmerksamkeit erregt haben, sagen Sie mir die Gründe, warum ausgerechnet sie von allem so bedeutsam sein sollen.«

Pelorat schüttelte den Kopf. »Golan, entschuldigen Sie, wenn ich so offen rede, aber Sie sprechen wie ein Soldat oder ein Politiker. So geht Historie nun einmal nicht vor sich.«

Trevize holte tief Luft und nahm alle Geduld zusammen. »Dann verraten Sie mir, wie’s geht, Janov! Wir haben noch zwei Tage Zeit. Klären Sie mich gründlich auf!«

»Man kann sich nicht auf einen Mythos stützen, auch nicht auf mehrere. Ich mußte, wie erwähnt, erst einmal alles sammeln, dann analysieren, nach Gruppen ordnen, Symbole für ihre verschiedenen inhaltlichen Aspekte festsetzen — für Geschichten von unwahrscheinlichem Wetter, astronomische Details von Planetensystemen, die von den tatsächlich existenten Verhältnissen abweichen, für die Herkunft von eindeutig nicht-heimischen Kultgestalten… und buchstäblich Hunderte von weiteren Punkten. Es hat keinen Zweck, hier alle aufzuführen. Dafür würden auch zwei Tage nicht reichen. Ich habe dreißig Jahre gebraucht, wie gesagt. Dann habe ich ein Computerprogramm erarbeitet, das alle diese Mythen nach gemeinsamen Komponenten durchsiebt und eine Transformation vorgenommen hat, durch die alle tatsächlichen Unmöglichkeiten ausgeschlossen worden sind. Nach und nach bin ich mit diesem Verfahren zu einem Modell davon gelangt, wie die Erde gewesen sein muß. Wenn alle Menschen nämlich ihren Ursprung auf einem einzigen Planeten gehabt haben sollen, dann muß dieser eine Planet das eine Faktum umfassen, das allen Geschichten um Kultgestalten, allen Ursprungsmythen gemeinsam ist. Naja, Sie möchten sicher nicht, daß ich in mathematische Einzelheiten gehe.«

»Im Moment nicht, danke«, sagte Trevize. »Aber woher wissen Sie, daß Ihnen bei Ihren Analysen und Berechnungen keine Irrtümer unterlaufen sind? Uns ist als Tatsache bekannt, daß man Terminus erst vor fünf Jahrhunderten besiedelt hat und daß die ersten Siedler von Trantor kamen, eigentlich aber von Dutzenden, wenn nicht Hunderten anderer Welten stammten. Doch jemand, der das nicht weiß, könnte ohne weiteres annehmen, daß Hari Seldon und Salvor Hardin, von denen keiner auf Terminus geboren ist, von der Erde gekommen seien, daß Trantor ein Name sei, der in Wirklichkeit für die Erde stünde. Würde man heute nach Trantor suchen, wie er den Beschreibungen zufolge zu Hari Seldons Lebzeiten gewesen sein muß — einer Welt, deren Landfläche ganz mit Metall bedeckt ist —, man könnte ihn nicht finden und deshalb für einen realitätsfernen Mythos halten.«

Pelorat wirkte angenehm überrascht. »Mein Bester, ich nehme meine Bemerkung über die Denkweise von Politikern und Soldaten zurück. Sie besitzen ein beachtenswertes Einfühlungsvermögen. Natürlich mußte ich gewisse Kontrollmechanismen einbauen. Ich habe mir rund hundert Falschheiten ausgedacht, die auf Verzerrungen der tatsächlichen Historie beruhten, sozusagen Mythen der Art imitiert, wie ich sie gesammelt habe. Ich habe versucht, diese Erfindungen in mein Modell von der Erde zu integrieren. Eine davon basierte sogar auf Terminus’ Frühgeschichte. Der Computer hat sie alle ausgesiebt. Allesamt. Freilich, das kann bedeuten, es fehlt mir einfach an der Erfindungsgabe, um mir etwas auszudenken, das überzeugender ist, aber ich habe mir alle Mühe gegeben.«

»Das bezweifle ich keineswegs, Janov. Und was hat Ihr Modell von der Erde besagt?«

»Eine Anzahl verschieden wahrscheinlicher Dinge sind dabei herausgekommen. Eine Art von Profil. Zum Beispiel haben etwa neunzig Prozent aller bewohnten Planeten in der Galaxis Rotationsperioden mit einer Dauer von zwischen zweiundzwanzig und sechsundzwanzig Galaktischen Standardstunden. Nun…«

»Ich hoffe, Sie haben dem keine erhöhte Beachtung geschenkt, Janov«, unterbrach Trevize. »Das ist absolut nicht rätselhaft. Ein bewohnbarer Planet darf natürlich nicht so schnell rotieren, daß die atmosphärische Zirkulation schwere Stürme verursacht, ebensowenig so langsam, daß extreme Temperaturunterschiede auftreten. Das ist gewissermaßen eine selbstselektive Eigentümlichkeit. Menschen ziehen es nun einmal vor, auf Planeten mit geeigneten Verhältnissen zu leben, und weil infolge dessen alle besiedelten Planeten sich in bezug auf diese Verhältnisse ähnlich sind, kann’s Einfaltspinsel geben, die sagen: ›Was für ein erstaunlicher Zufall‹, während es in Wahrheit weder erstaunlich ist, noch ein Zufall.«

»In der Tat«, sagte Pelorat gelassen, »haben wir’s dabei mit einem wohlbekannten Phänomen der Sozialwissenschaft zu tun. Ich glaube, man kennt’s auch in der Physik — aber ich bin kein Physiker und mir deswegen nicht ganz sicher. Auf jeden Fall, man nennt das ›Anthropisches Prinzip‹. Der Beobachter beeinflußt, was er beobachtet, durch seine bloße Beobachtung, oder durch die Tatsache, daß er zum Zweck des Beobachtens da ist. Aber die Frage lautet: Wo ist der Planet, der als Vorbild gedient hat? Welcher Planet rotiert innerhalb präzis eines Galaktischen Standardtags von vierundzwanzig Galaktischen Standardstunden?«

Trevize schnitt ein versonnenes Gesicht und schob die Unterlippe vor. »Sie meinen, das könnte die Erde sein? Aber die Galaktische Standardzeit kann doch auf die Eigentümlichkeiten irgendeiner beliebigen Welt zurückgehen, oder nicht?«

»Kaum. Das entspräche nicht der menschlichen Art. Trantor war zwölftausend Jahre lang die Hauptwelt der Galaxis und zwanzigtausend Jahre lang die dichtbevölkertste Welt, trotzdem hat sie ihre Umlaufzeit von 1,08 Galaktischen Standardtagen nicht der ganzen Galaxis aufgenötigt. Terminus’ Rotationszeit beträgt 0,91 GST, aber wir zwingen sie nicht den Planeten auf, die sich unter unserer Vorherrschaft befinden. Jeder Planet verwendet nebenher seine eigene Lokale Planetare Zeit, und in Angelegenheiten von interstellarer Bedeutung rechnet man mit Hilfe von Computern ständig zwischen GSZ und LPZ um. Der Galaktische Standardtag muß von der Erde stammen.«

»Warum muß er?«

»Zunächst einmal war die Erde einst die einzige von Menschen bewohnte Welt, also waren ihr Tag und ihr Jahr völlig natürlicher Standard, und aus sozialen Erwägungen dürften sie, sobald man an die Besiedlung anderer Welten ging, Standard geblieben sein. Und das Modell, das ich von der Erde erstellt habe, betrifft einen Planeten, der sich innerhalb von genau vierundzwanzig Galaktischen Standardstunden um seine Achse dreht, der in genau einem Galaktischen Standardjahr um seine Sonne kreist.«

»Kann das nicht Zufall sein?«

Pelorat lachte. »Nun reden Sie von Zufällen? Würden Sie darauf wetten, daß sich so etwas rein zufällig ergeben könnte?«

»Na schön, na schön«, brummte Trevize.

»Außerdem hat’s noch mehr mit meinem Modell auf sich. Es gibt ein merkwürdiges archaisches Zeitmaß, das sich Monat nennt…«

»Davon habe ich gehört.«

»Na, und anscheinend stimmt es genau mit der Umlaufzeit des Satelliten der Erde um die Erde überein. Allerdings…«

»Ja?«

»Tja, ein recht erstaunlicher Bestandteil des Modells ist, daß dieser Satellit sehr groß sein soll — er soll über ein Viertel des Durchmessers der Erde selbst aufweisen.«

»Von so was habe ich noch nie gehört, Janov. In der gesamten Galaxis gibt es keine bewohnte Welt mit so einem Satelliten.«

»Aber es paßt«, sagte Pelorat mit einiger Lebhaftigkeit. »Wenn die Erde in ihrem Hervorbringen stark differenzierter Spezies und der Evolution von Intelligenz einzigartig ist, dann brauchen wir dazu eine physikalische Einmaligkeit.«

»Aber was kann ein so großer Satellit mit der Differenziertheit von Spezies und Intelligenz und all diesen Dingen zu tun haben?«

»Tja, sehen Sie, das ist eine echte Schwierigkeit. Das weiß ich eben auch nicht. Aber es lohnt eine Untersuchung, meinen Sie nicht auch?«

Trevize erhob sich und verschränkte die Arme auf dem Brustkorb. »Aber was ist denn an dem Ganzen das Problem? Überprüfen Sie die Statistiken über die bewohnten Welten, bis Sie eine finden, die eine Rotationsdauer und eine Umlaufzeit von exakt einem Galaktischen Standardtag beziehungsweise einem Galaktischen Standardjahr besitzt. Wenn sie dann auch noch einen riesigen Satelliten hat, haben Sie, was Sie suchen. Aus Ihrer Bemerkung über die ›glänzende Möglichkeit‹ kann ich eigentlich nur schlußfolgern, daß Sie eben das schon getan haben und wissen, welche Welt in Frage kommt.«

Pelorat schaute verunsichert drein. »Naja, ganz so ist’s nicht gelaufen. Ich habe die Statistiken überprüft, ja, das heißt, ich hab’s in der Astronomischen Fakultät machen lassen, und… ja, rundheraus gesagt, es gibt keine solche Welt.«

Unvermittelt setzte Trevize sich wieder hin. »Aber das heißt ja, Ihre ganze Argumentation bricht zusammen.«

»Nicht völlig, meine ich.«

»Was soll das bedeuten, ›nicht völlig‹? Sie erarbeiten ein Modell mit allen Arten von Einzelheiten, können aber nichts finden, das ihm entspricht. Also ist Ihr Modell doch wohl unbrauchbar. Sie müssen von vorn anfangen.«

»Nein. Für meine Begriffe heißt das, daß die Statistiken über bewohnte Welten unvollständig sind. Immerhin gibt’s Dutzende von Millionen, und von vielen ist sehr wenig bekannt. Zum Beispiel, es gibt in der Hälfte der Fälle keine tauglichen Daten über die Bevölkerung. Von rund sechshundertvierzigtausend bewohnten Welten weiß man kaum mehr als den Namen und die Position, und letztere fehlt nicht selten auch. Manche Galaktografen schätzen, es könnten bis zu zehntausend überhaupt nicht erfaßte Welten existieren. Vermutlich zieht man’s dort vor, nicht erfaßt zu sein. In der Ära des Imperiums war das vielleicht recht nützlich, um der Besteuerung zu entgehen.«

»Und in den nachfolgenden Jahrhunderten«, sagte Trevize zynisch, »kann’s von Nutzen gewesen sein, um von diesen Welten aus Piratenaktionen durchzuführen, denn die dürften einträglicher gewesen sein als der normale Handel.«

»Davon verstehe ich nichts«, entgegnete Pelorat mit merklichen Zweifeln.

»Trotzdem, ich meine«, sagte Trevize, »die Erde müßte in den Statistiken über die bewohnten Welten zu finden sein, unabhängig davon, ob’s denen dort gefällt oder nicht. Wenn sie nach allgemeiner Vorstellung von allen Welten die älteste sein soll, kann man sie in den ersten Jahrhunderten des Entstehens der galaktischen Zivilisation bei der Kartographierung ja wohl kaum übersehen haben. Und sobald sie erfaßt gewesen ist, muß sie erfaßt geblieben sein. Mit dieser Annahme kann man sich bestimmt auf das soziale Trägheitsmoment stützen.«

Pelorat zögerte, sichtlich von Bedenken geplagt. »Es verhält sich so, eigentlich… eigentlich steht ein Planet namens Erde in der Liste der bewohnten Welten.«

Trevize starrte ihn an. »War der Eindruck falsch, daß Sie eben erst behauptet haben, die Erde sei nicht verzeichnet?«

»Als Erde ist sie auch nicht enthalten. Es steht aber ein Planet namens Gaia drin.«

»Gahja? Und was hat der damit zu schaffen?«

»Er buchstabiert sich G-A-I-A. Das bedeutet ›Erde‹.«

»Warum soll das ›Erde‹ bedeuten, Janov, und nicht irgend etwas anderes? Der Name sagt mir überhaupt nichts.«

Pelorats gewöhnlich so ausdrucksarmes Gesicht verzerrte sich beinahe zu einer Grimasse. »Ich bin mir nicht sicher, ob Sie mir das glauben werden… Meiner Analyse der Mythen zufolge muß es auf der Erde mehrere verschiedene, wechselseitig unverständliche Sprachen gegeben haben.«

»Was?«

»Ja. Auch in der Galaxis kennt man tausend abweichende Arten der Sprache…«

»In der Galaxis sind gewisse Varianten des Dialekts gebräuchlich, aber sie schließen einander, was das Verständnis angeht, nicht aus. Und selbst wenn sie bisweilen schwer zu verstehen sind, uns allen ist Galakto-Standard gemeinsam.«

»Sicher, es findet ja ständiger interstellarer Reiseverkehr statt. Aber wenn eine Welt nun für längere Zeit isoliert war?«

»Sie reden aber doch von der Erde. Einem einzigen Planeten. Wo ist da die Isolation?«

»Vergessen Sie nicht, daß die Erde der Planet des Ursprungs ist, wo die Menschheit einmal unter unvorstellbar primitiven Bedingungen ihr Leben gefristet haben muß. Ohne interstellare Raumfahrt, ohne Computer, überhaupt ohne jede Technik. Sie mußte sich erst aus der Niedrigkeit nichtmenschlicher Vorfahren emporkämpfen.«

»Entschuldigung, aber das klingt ganz einfach alles so lächerlich.«

Verlegen senkte Pelorat den Kopf. »Vielleicht hat’s keinen Sinn, daß wir darüber diskutieren, mein Bester. Es ist mir noch nie gelungen, jemanden davon zu überzeugen. Das ist sicherlich meine eigene Schuld.«

Trevize zeigte sich sofort reuig. »Entschuldigen Sie, Janov. Ich habe ohne nachzudenken dahergeredet. Das sind nun einmal Betrachtungsweisen, an die ich kein bißchen gewohnt bin. Sie haben an Ihren Theorien dreißig Jahre lang gearbeitet, wogegen ich alles auf einmal verdauen muß. Sie müssen Nachsicht mit mir haben. Gut, ich stelle mir also vor, es gibt auf der Erde zwei primitive Völker, die zwei völlig verschiedene Sprachen sprechen und sich gegenseitig nicht verstehen können…«

»Vielleicht sogar ein halbes Dutzend«, sagte Pelorat gleichmütig. »Kann sein, die Erde ist in mehrere große Landmassen unterteilt gewesen, und möglicherweise bestand anfangs keine Verbindung zwischen ihnen. Die Bewohner jeder Landmasse könnten eine eigene Sprache entwickelt haben.«

»Und auf jeder Landmasse hat man womöglich, sobald man voneinander wußte, über ein Problem des Ursprungs diskutiert«, sagte Trevize mit sorgsam betontem Ernst, »und sich gefragt, auf welchem die Menschen wohl zuerst aus Tieren entstanden sein könnten.«

»Das wäre ganz gut denkbar, Golan. Für sie wäre so was vielleicht eine ganz natürliche Haltung gewesen.«

»Und in einer ihrer Sprachen hieß Gaia also Erde. Und das Wort ›Erde‹ selbst stammt wieder aus einer anderen dieser Sprachen.«

»Ja, ja.«

»Und während Galakto-Standard die Sprache ist, die sich aus der Sprache entwickelt hat, in der ›Erde‹ ›Erde‹ heißt, nennen die Bewohner der Erde sie aus irgendeinem Grund lieber bei einem Wort aus einer ihrer anderen Sprachen, indem sie ihn als ›Gaia‹ bezeichnen.«

»Haargenau! Sie sind wirklich schnell von Begriff, Golan.«

»Ich habe allerdings das Gefühl, daß man darin kein Geheimnis zu sehen braucht. Wenn Gaia die Erde ist, unabhängig von ihren verschiedenen Namen, dann müßte Gaia nichtsdestotrotz eine Rotationsdauer von genau einem Galaktischen Standardtag und eine Umlaufdauer von einem Galaktischen Standardjahr haben, dazu einen gigantischen Mond, der sie in genau einem Monat umkreist.«

»Ja, so müßte es sein.«

»Na und, erfüllt Gaia diese Anforderungen, oder nicht?«

»Das wiederum kann ich nicht sagen. Diese Informationen fehlen.«

»Tatsächlich? Sollen wir also nach Gaia fliegen, Janov, ihre Rotations- und Umlaufzeiten messen und ihren Satelliten besichtigen?«

»Das würde ich gerne tun, Golan.« Pelorat zögerte. »Die Schwierigkeit ist bloß, die Position ist auch nicht exakt angegeben.«

»Sie meinen, Sie wissen nur den Namen, sonst nichts, und das ist Ihre ›glänzende Möglichkeit‹?«

»Aber das ist doch eben der Grund, weshalb ich die Galaktische Bibliothek aufsuchen möchte.«

»Moment mal! Sie sagen, die Positionsdaten sind nicht exakt. Sind überhaupt irgendwelche diesbezüglichen Informationen vorhanden?«

»Angegeben ist der Sayshell-Sektor… aber mit einem Fragezeichen.«

»Tja, dann… Janov, deshalb brauchen Sie nicht niedergeschlagen zu sein. Wir werden den Sayshell-Sektor anfliegen und Gaia irgendwie ausfindig machen. Vielleicht können wir einen Einheimischen nach der Richtung fragen.«

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