Janov Pelorat hatte zum erstenmal in seinem Leben zugesehen — nach einem Vorgang, den Trevize als ›Mikro-Hypersprung‹ bezeichnete —, wie ein heller Stern sich allmählich in eine Kugel verwandelte. Der vierte Planet, Sayshell — die bewohnbare Welt des Systems und ihr Nahziel —, war während eines Zeitraums mehrerer Tage ständig angewachsen und immer deutlicher erkennbar geworden.
Der Computer hatte eine Karte der Planetenoberfläche bereitgestellt und auf eine tragbare Bildfläche projiziert, die gegenwärtig auf Pelorats Schoß lag.
»Freuen Sie sich nicht zu früh, Janov«, sagte Trevize mit dem selbstbewußten Auftreten von jemand, der bereits auf Dutzenden von Planeten gelandet war. »Wir müssen erst noch durch die Einflugkontrolle, und das kann seine Zeit dauern.«
Pelorat blickte auf. »Das sind doch sicher nur Formalitäten?«
»Richtig. Aber es kann sich trotzdem hinziehen.«
»Wir haben aber doch Friedenszeiten.«
»Natürlich. Das heißt, wir dürfen letztendlich auf jeden Fall durch. Aber vorher geht’s noch um das Problem des ökologischen Gleichgewichts. Jeder Planet besitzt sein eigenes ökologisches Gleichgewicht, und nirgends möchte man, daß es gestört wird. Deshalb gehört es zu den unausweichlichen Formalitäten, jedes Raumschiff auf unerwünschte Organismen zu überprüfen, oder Infektionen. Das ist nur eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme.«
»So was haben wir nicht an Bord, würde ich sagen.«
»Nein, haben wir nicht, und genau das wird man auch feststellen. Aber denken Sie daran, daß Sayshell kein Mitglied der Foundationsföderation ist, also wird man sicherlich Wert darauf legen, seine Unabhängigkeit zu demonstrieren.«
Ein kleiner Raumer kam ihnen entgegen, um die Inspektion durchzuführen, und ein sayshellischer Kontrollbeamter kam an Bord. Trevize, der seine Militärdienstzeit nicht vergessen hatte, trat entsprechend zackig auf.
»Far Star von Terminus«, sagte er. »Schiffspapiere. Unbewaffnet. Privatraumfahrzeug. Mein Paß. Ein Passagier. Sein Paß. Wir sind Touristen.«
Der Kontrollbeamte trug eine schaurige Uniform, vornehmlich in Knallrot. Seine Wangen und die Oberlippe waren glattrasiert, aber er besaß einen kurzen Kinnbart, in der Mitte so geteilt, daß Zipfel vom Kinn nach beiden Seiten ragten. »Foundationschiff?« meinte er.
Er sprach es ›Fundaschuhnsschipp‹ aus, aber Trevize enthielt sich wohlüberlegt jeder Berichtigung und auch eines Lächelns. Es gab soviel Dialektabarten, die sich vom Galaktostandard unterschieden, wie bewohnte Planeten existierten, und man sprach eben überall die eigene Mundart. Solange eine gegenseitige Verständigung zustande kam, spielte das keine Rolle.
»Ja, Sir«, bestätigte Trevize. »Foundationschiff. Privatbesitz.«
»Hübsches Stück. Ihre Ladong, wenn ich bitten darf.«
»Meine was?«
»Ihre Ladung. Was Sie befördern.«
»Ach, die Fracht. Hier ist eine aufgeschlüsselte Liste. Ausschließlich persönliches Eigentum. Wir sind nicht zu Handelszwecken hier. Wie erwähnt, wir sind gewöhnliche Touristen.«
Der Kontrollbeamte sah sich neugierig um. »Für Touristen ist dies ein ziemlich flottes Schiff.«
»Nicht nach dem Standard der Foundation«, erwiderte Trevize humorig. »Und ich bin wohlhabend genug, um’s mir leisten zu können.«
»Wollen Sie damit andeuten, ich hätte die Möglichkeit einer Aufreicherung?« Der Beamte sah Trevize kurz an, schaute dann weg.
Trevize zögerte für einen Moment mit seiner Antwort, weil er die Bedeutung des letzten Wortes erst interpretieren mußte, und einen weiteren Moment brauchte er, um sein weiteres Verhalten festzulegen. »Nein, selbstverständlich wollte ich nicht die Möglichkeit eines Bestechungsversuchs andeuten«, sagte er schließlich. »Ich habe keinen Grund, warum ich sowas versuchen sollte, und Sie sehen auch nicht wie jemand aus, der sich bestechen läßt. Sie können das Schiff durchsuchen, wenn Sie wünschen.«
»Nicht nötig«, sagte der Beamte und steckte seinen Taschenrecorder ein. »Sie sind bereits auf spezifische Schmuggelinfektionen untersucht und als einwandfrei befunden worden. Dem Schiff ist eine Radiowelle zugewiesen worden, die als Leitstrahl dient.«
Er verabschiedete sich. Die ganze Prozedur hatte fünfzehn Minuten beansprucht.
»Hätte er uns Ärger machen können?« erkundigte sich Pelorat gedämpft. »Hat er wirklich ein Schmiergeld erwartet?«
Trevize hob die Schultern. »Kontrollbeamte und ähnliche Leute zu bestechen«, sagte er, »ist ein Brauch, so alt wie die Galaxis, und ich hätte es ohne weiteres getan, falls er’s ein zweitesmal darauf angelegt hätte. Aber so wie’s aussieht… — na, ich nehme an, mit einem Foundationschiff mochte er kein Risiko eingehen, zumal mit einem, wo’s sich nicht lohnt. Die alte Fregatte von Bürgermeisterin hatte recht, als sie sagte, der Name der Foundation würde uns schützen, wohin wir auch gelangen, das muß man dieser Schreckschraube lassen. Die Abfertigung hätte viel länger dauern können.«
»Wieso? Er hat doch alles durchgezogen, was er wollte.«
»Ja, aber er war so entgegenkommend, uns durch Radioferntaster überprüfen zu lassen. Wäre es ihm darauf angekommen, er hätte das ganze Schiff mit einem Handapparat absuchen können, und das hätte Stunden gedauert. Er hätte uns sogar beide tagelang in eine Quarantänestation sperren können.«
»Was?! Mein Bester!«
»Regen Sie sich nicht auf! Er hat ja nichts dergleichen getan. Ich habe durchaus mit so was gerechnet, aber er hat darauf verzichtet. Das heißt, wir haben Landeerlaubnis. Es wäre mir lieber, eine Gravo-Landung durchzuführen, dann würden wir nur eine Viertelstunde brauchen, aber ich habe keine Ahnung, wo die offiziellen Landezonen liegen, und ich möchte keine Schwierigkeiten bekommen. Das bedeutet, wir müssen uns an den Leitstrahl halten, und wir werden noch Stunden brauchen, weil wir uns auf spiralförmigem Kurs durch die Atmosphäre hinunterschrauben müssen.«
Pelorat wirkte erfreut. »Aber das ist doch prachtvoll, Golan. Sind wir dann langsam genug, um die Landschaft betrachten zu können?« Er hielt die tragbare Bildfläche empor, die eine Karte in kleinem Maßstab zeigte.
»In gewissem Umfang, ja. Unsere Geschwindigkeit wird auf ein paar Kilometer pro Sekunde sinken, aber ehe wir etwas sehen können, müssen wir erst die Wolkendecke durchstoßen. Wir werden nicht gerade eine Ballonfahrt durch die Lufthülle machen, aber Sie werden die planetographischen Verhältnisse sehen.«
»Prächtig! Prächtig!«
»Ich frage mich bloß«, meinte Trevize versonnen, »ob wir uns lange genug auf Sayshell aufhalten werden, daß es sich lohnt, die Schiffsuhr auf Ortszeit umzustellen.«
»Ich vermute, das hängt davon ab, was wir vorhaben. Was sollen wir nach Ihrer Ansicht tun, Golan?«
»Unsere Aufgabe ist es, Gaia zu finden, und wie lange das dauern kann, weiß ich nicht.«
»Wir können ja unsere Armbanduhren umstellen«, machte Pelorat den Vorschlag, »lassen aber die Schiffsuhr, wie sie ist.«
»Gute Idee«, sagte Trevize. Er schaute hinab auf den Planeten, dessen Oberfläche sich unter ihnen ausbreitete. »Es hat keinen Zweck, länger zu warten. Ich werde den Computer auf die uns zugeteilte Radiowelle einstellen, und er kann mit dem Gravo-Antrieb konventionellen Flug simulieren… So! Hinunter mit uns, Janov, dann wollen wir sehen, was wir herausfinden können.«
Während das Raumschiff sich durch seine säuberlich adjustierte Gravitationspotentialkurve zu bewegen anfing, starrte Trevize den Planeten nachdenklich an.
Er hatte die Sayshell-Union noch nie besucht, aber ihm war bekannt, daß sie seit Jahrhunderten in gleichbleibend schlechtem Verhältnis zur Foundation stand. Es überraschte ihn nicht nur, sondern beunruhigte ihn geradezu, daß sie die Kontrolle so rasch hatten passieren dürfen.
Es kam ihm ganz einfach unwahrscheinlich vor.
Der Name des Kontrollbeamten lautete Jogoroth Sobhaddartha, und er leistete seinen Dienst in der Einflugkontrolle schon ein halbes Leben lang.
Er hatte gegen die Tätigkeit in der Raumstation nichts einzuwenden, denn sie ermöglichte es ihm, von jeweils drei Monaten einen ausschließlich mit seinen Büchern, seiner Musik sowie ohne seine Ehefrau und den heranwachsenden Sohn zu verbringen.
Seit zwei Jahren allerdings war zu seinem Ärger ein Träumer Chef der Raumflugkontrolle. Er konnte sich keine unerfreulichere Person vorstellen als jemanden, der für bestimmte Handlungen keine andere Begründung als den Hinweis zu geben wußte, er sei in einem Traum so angeleitet worden.
Sobhaddartha persönlich hielt nichts von alldem, aber er sah sorgsam davon ab, das auszusprechen, denn die meisten Menschen auf Sayshell mißbilligten antipsychische Zweifel. Als Materialist in Verruf zu geraten, konnte die spätere Pension aufs Spiel setzen.
Er zupfte an den beiden buschigen Bartzipfeln seines Kinns und räusperte sich dann ziemlich lautstark. »War das das Schiff, Chef?« fragte er mit unpassender Lässigkeit.
Sein Chef, der den gleichermaßen typisch sayshellischen Namen Namarath Godhisavatta trug, befaßte sich gerade mit einigen Computerdaten und schaute nicht einmal auf. »Welches Schiff?« fragte er zurück.
»Die Far Star. Das Foundationschiff. Das ich gerade habe passieren lassen. Das aus jedem Winkel holografiert worden ist. War es das Schiff, von dem Sie geträumt haben?«
Nun blickte Godhisavatta auf. Er war ein kleinwüchsiger Mann mit fast schwarzen Augen, umgeben von winzigen Fältchen, die keineswegs durch irgendeine Neigung zu häufigem Lächeln entstanden waren. »Warum fragen Sie?« meinte er.
Sobhaddartha straffte sich und ließ seine dunklen, üppigen Brauen einander näherrutschen. »Sie haben behauptet, Touristen zu sein, aber ich habe noch nie so ein Schiff gesehen, und nach meiner Meinung handelt’s sich um Agenten der Foundation.«
Godhisavatta lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Hören Sie, Mann, wie sehr ich mich auch anstrenge, ich kann mich einfach nicht erinnern, Sie nach Ihrer Meinung gefragt zu haben.«
»Chef, aber ich halte es für meine patriotische Pflicht, darauf hinzuweisen, daß…«
Godhisavatta verschränkte die Arme auf der Brust und blickte seinen Untergebenen streng an, der daraufhin (obwohl in physischer Statur und in seinem Auftreten viel beeindruckender) die Schultern hängen ließ und unter dem Blick seines Vorgesetzten eine leicht verlegene Haltung einnahm.
»Hören Sie, Mann«, sagte Godhisavatta, »falls Sie wissen, was für Sie gut ist, tun Sie Ihre Arbeit ohne Kommentare, oder ich werde dafür sorgen, daß Sie keine Pension erhalten, wenn Sie sich zur Ruhe setzen, und das dürfte bald der Fall sein, sollte ich von Ihnen noch mehr Redensarten über Angelegenheiten hören, die Sie nichts angehen.«
»Jawohl, Sir«, entgegnete Sobhaddartha mit leiser Stimme. »Liegt es im Rahmen meiner Pflichten, Sir«, fügte er dann mit verdächtiger Unterwürfigkeit hinzu,’ »darüber Meldung zu erstatten, daß ein zweites Schiff in die Reichweite unserer Monitoren gelangt ist?«
»Betrachten Sie’s als gemeldet«, sagte Godhisavatta gereizt und widmete sich wieder seiner Arbeit.
»Es weist Charakteristika auf«, ergänzte Sobhaddartha noch untertäniger als vorher, »die sehr denen des Schiffs ähneln, das ich gerade durchgelassen habe.«
Godhisavatta legte seine Hände auf den Tisch und stemmte sich hoch. »Ein zweites derartiges Schiff?«
Innerlich lächelte Sobhaddartha. Dieser grausige Kerl, hervorgegangen aus einer unerlaubten Vereinigung (er meinte seinen Chef), hatte offenbar nicht von zwei Raumschiffen geträumt. »Anscheinend, Sir«, sagte er. »Ich werde nun an meine Dienststelle zurückkehren und auf weitere Anweisungen warten, und ich hoffe, Sir…«
»Ja?«
Trotz der Gefährdung seiner Pension vermochte Sobhaddartha sich die Bemerkung nicht zu verkneifen. »Ich hoffe, Sir, wir haben nicht das falsche Raumschiff passieren lassen.«
Die Far Star überquerte zügig die Oberfläche des Planeten Sayshell, und Pelorat beobachtete den Anblick, der sich bot, mit regelrechter Faszination. Die Wolkendecke war dünner und weniger zusammenhängend als auf Terminus, und die Landeflächen waren — genau wie die Karte sie zeigte — kompakter und ausgedehnter; nach der rostbraunen Färbung vieler kontinentaler Flächen zu schließen, befanden sich auf ihnen auch weite Wüstengebiete.
Man sah keine Anzeichen von Leben. Dies schien eine Welt steriler Wüsten, grauer Ebenen und endlosen Gefältels zu sein — letzteres waren wahrscheinlich gebirgige Gegenden —, und natürlich konnte man bereits die Meere erkennen.
»Sieht ja völlig leblos aus«, murmelte Pelorat.
»Aus dieser Höhe schon Anzeichen des Belebtseins sehen zu können, ist nicht zu erwarten«, sagte Trevize. »Wenn wir tiefer sind, werden Sie beobachten können, wie das Land grünfleckig wird. Aber vorher werden sie noch das Funkeln der Landschaft auf der Nachtseite sehen. Menschen besitzen eine eindeutige Vorliebe dafür, ihre Welten zu beleuchten, sobald die Dunkelheit anbricht — ich habe nie von einer Welt gehört, die in dieser Beziehung eine Ausnahme gemacht hätte. Mit anderen Worten, die ersten Zeichen von Leben, die Sie zu sehen bekommen, werden nicht menschlicher, sondern technischer Art sein.«
»Immerhin sind Menschen ja auch Tagesgeschöpfe«, sagte Pelorat nachdenklich. »Ich meine immer, zu den allerersten Aufgaben einer aufkommenden Technik müßte die Verwandlung der Nacht in den Tag zählen. Ich bin der Meinung, wenn eine Welt keine Technik hat und eine zu entwickeln anfängt, müßte man den Fortschritt der technischen Entwicklung an der Zunahme des Lichts auf der Nachtseite messen können. Wie lange würde es nach Ihrer Auffassung dauern, von vollkommener Finsternis zu völliger Helligkeit zu gelangen?«
Trevize lachte. »Sie haben komische Einfälle, aber ich vermute, das kommt daher, daß Sie sich mit Mythologie befassen. Ich glaube nicht, daß es auf irgendeiner Welt jemals zu gleichmäßiger Helligkeit kommen könnte. Nachtbeleuchtung entspricht stets der Verteilung der Bevölkerungsdichte, so daß die Kontinente ballungs- und strichweise schimmern. Selbst Trantor hat in seiner Blütezeit, als er ein einziges Bauwerk war, aus seiner Gesamtstruktur nur an verstreuten Punkten Licht entweichen lassen — und der trantorische Ozean blieb sowieso dunkel.«
Die Landflächen nahmen grüne Farbtöne an, wie von Trevize vorausgesagt, und während der letzten Umkreisung des Planeten zeigte er Pelorat gewisse markante Stellen, von denen er behauptete, es seien Städte. »Das ist keine sehr urbane Welt. Ich war noch nie in der Sayshell-Union, aber den Informationen des Computers zufolge hat man eine Neigung, sich an die Vergangenheit zu klammern. In den Augen der gesamten Galaxis ist Technik unweigerlich mit der Foundation verbunden, und überall, wo die Foundation unbeliebt ist, orientiert man sich stärker am Vergangenen außer natürlich, was Waffen angeht. Sie dürfen mir glauben, daß Sayshell in dieser Hinsicht hochmodern ist.«
»Meine Güte, Golan, es wird doch keine unerfreulichen Vorkommnisse geben, oder? Wir sind Foundationisten, und auf feindlichem Territorium…«
»Von feindlichem Territorium kann keine Rede sein, Janov. Keine Sorge, man wird höflich und korrekt zu uns sein. Sayshell gehört lediglich nicht der Foundationsföderation an. Weil man hier auf seine Unabhängigkeit stolz ist, weil man ungern daran denkt, daß man wesentlich schwächer ist, als wir’s sind, weil man also nur dank unserer Bereitschaft, Sayshell die Unabhängigkeit zu lassen, unabhängig bleibt, darum leistet man sich den Luxus, uns nicht zu mögen.«
»Dann wird’s also doch unerfreulich zugehen«, sagte Pelorat bedrückt.
»Keineswegs«, widersprach Trevize. »Kommen Sie, Janov, hören Sie auf, ich rede von der offiziellen Einstellung der sayshellischen Regierung. Die einzelnen Leute auf dem Planeten sind einfach Leute wie überall, und wenn wir freundlich auftreten, werden sie auch zu uns freundlich sein. Wir dürfen uns bloß nicht wie die Herren der Galaxis aufführen. Wir sind nicht auf Sayshell, um die Überlegenheit der Foundation zu demonstrieren. Wir sind normale Touristen und werden genau die Sorte von Fragen über Sayshell stellen, wie alle Touristen sie zu stellen pflegen. Und wenn die Situation es gestattet, dürfen wir uns auch ein bißchen legitime Entspannung gönnen. Es ist unser gutes Recht, ein paar Tage zu bleiben und zu sehen, was man hier zu bieten hat. Die Kultur könnte interessant sein, es könnte eine interessante Szenerie geben, interessantes Essen, und wenn das alles fehlt, läßt sich immer noch auf interessante Frauen hoffen. Wir haben Geld zu verplempern.«
Pelorat runzelte die Stirn. »Aber mein Bester!«
»Nun machen Sie aber mal ’n Punkt«, sagte Trevize. »So alt sind Sie noch nicht. Hätten Sie kein Interesse?«
»Ich will nicht sagen, es hätte nie eine Zeit gegeben, in der ich mich auch in dieser Rolle bewährt habe, aber jetzt ist doch sicherlich nicht die richtige Zeit für so etwas. Wir haben eine Mission zu erfüllen. Wir wollen Gaia finden. Ich habe nichts dagegen, sich ein paar schöne Tage zu machen — bestimmt nicht! —, aber wenn wir uns auf irgend etwas einlassen, kommen wir vielleicht so bald nicht wieder heraus.« Er schüttelte den Kopf. »Ich glaube«, sagte er nachsichtig, »Sie haben befürchtet, ich könne mich auf Trantor in der Galaktischen Bibliothek festkrallen und nicht mehr dazu imstande sein, mich loszureißen. Freilich, was die Bibliothek mir bedeutet, ist für Sie wohl eine attraktive, glutäugige Person — oder fünf bis sechs.«
»Ich bin kein Wüstling, Janov«, antwortete Trevize, »aber ich habe ebensowenig die Absicht, Asket zu werden. Na schön, ich verspreche Ihnen, wir verlieren Gaia nicht aus den Augen, aber wenn ein hübsches weibliches Wesen mir über den Weg läuft, wüßte ich keinen Grund in der Galaxis, warum ich nicht reagieren sollte.«
»Solange Sie Gaia an die erste Stelle setzen…«
»Das will ich tun, aber denken Sie dran, erzählen Sie nicht gleich jedem, daß wir von der Foundation sind. Man wird’s sowieso wissen, weil wir über Foundationwährung verfügen und mit starkem Terminus-Akzent sprechen, aber solange wir uns nicht dazu äußern, können sie sich so verhalten, als seien wir Fremde, die sich nicht so recht einordnen lassen, und freundlich zu uns sein. Kehren wir dagegen die Foundationisten heraus, wird man sich zwar höflich genug benehmen, uns aber nichts sagen, nichts zeigen, uns nirgends hinbringen, uns völlig uns selbst überlassen.«
Pelorat seufzte. »Ich werde die Menschen niemals verstehen.«
»Es ist überhaupt nichts dabei. Sie brauchen nur sich selbst genau zu beobachten, dann werden Sie auch alle anderen verstehen. Wir sind in keiner Hinsicht anders als andere Menschen. Wie hätte Seldon seinen Plan ausarbeiten können — ganz egal, wie scharfsinnig seine Mathematik war —, wäre ihm keine gründliche Menschenkenntnis zueigen gewesen? Wie hätte er das alles schaffen können, wären Menschen nicht leicht durchschaubar? Zeigen Sie mir jemanden — bitte nehmen Sie das nicht persönlich —, der die Menschen nicht versteht, und ich werde beweisen, daß er sich ein falsches Bild von sich selbst fabriziert hat.«
»Ich nehm’s nicht persönlich. Ich gebe ohne weiteres zu, mir fehlt’s an Erfahrung, und ich habe ein reichlich egozentrisches, enges Leben geführt. Kann durchaus sein, daß ich mir nie viel Gedanken über mich selbst gemacht habe, deshalb dürfen Sie ruhig, was die Menschen betrifft, mein Führer und Ratgeber sein.«
»Gut. Dann hören Sie auf meinen Rat und schauen Sie sich die Gegend an. Wir gehen nun zur Landung über, und Sie können mir glauben, Sie werden nichts merken. Ich und der Computer werden das schon machen.«
»Golan, seien Sie nicht ärgerlich. Sollte eine junge Frau…«
»Lassen Sie’s gut sein! Ich muß mich jetzt um die Landung kümmern.«
Pelorat wandte sich ab und betrachtete die Welt, die am Ende der immer enger gewordenen Spirale lag, die das Schiff während des Anflugmanövers beschrieben hatte. Dies war die erste fremde Welt, die er in seinem Leben betreten sollte. Trotz der Tatsache, daß all die Millionen bewohnten Planeten der Galaxis von Menschen besiedelt worden waren, die nicht von dort stammten, erfüllte diese Aussicht ihn mit unschön ungewissen Ahnungen.
Alle, dachte er mit einem Schaudern nervöser freudiger Erregung, bis auf einen.
Nach den Standards der Foundation war der Raumhafen nicht groß, doch betrieb man ihn ziemlich tüchtig. Trevize sah zu, wie man die Far Star an einen Liegeplatz bugsierte und dort verankerte. Sie erhielten eine kompliziert codierte Besitzlegitimation.
»Bleibt das Schiff einfach hier zurück?« wollte Pelorat gedämpft wissen.
Trevize nickte und patschte dem anderen zur Ermutigung auf die Schulter. »Machen Sie sich keine Sorgen«, sagte er ebenso leise.
Sie stiegen in das Bodenfahrzeug, das sie gemietet hatten, und Trevize rief beim Bordcomputer den Stadtplan von Sayshell City ab, deren Hochbauten sich am Horizont erkennen ließen.
»Sayshell City«, sagte er, »die Hauptstadt des Planeten. Hauptstadt, Planet, Stern — alle heißen Sayshell. So hält man’s überall. Wir wohnen in Terminus City, das die Hauptstadt des Planeten Terminus ist, und obwohl wir von unserem Stern bloß als der Sonne sprechen, nennen Fremde ihn ebenfalls Terminus.«
»Ich bin beunruhigt wegen des Raumers«, sagte Pelorat.
»Dazu besteht kein Anlaß«, erwiderte Trevize. »Falls wir länger als ein paar Stunden auf Sayshell bleiben müssen, kehren wir heute abend zurück, um im Schiff zu übernachten. Sie müssen wissen, es gibt so was wie eine interstellare Raumhafen-Ethik, gegen die, soweit mir bekannt, nie verstoßen worden ist, nicht einmal im Krieg. Raumschiffe, die mit friedlichen Absichten landen, bleiben unbehelligt. Wäre es anders, könnte niemand sich noch irgendwo sicher fühlen, und jeder Handel wäre unmöglich. Jede Welt, wo dieser Kodex verletzt wird, müßte damit rechnen, von den Raumpiloten der ganzen Galaxis boykottiert zu werden, und so ein Risiko möchte man nirgendwo eingehen. Außerdem…«
»Außerdem?«
»Na, und außerdem habe ich mit dem Computer vereinbart, daß jeder, der sich nicht anhört und nicht aussieht wie wir, aber das Schiff zu betreten versucht, unverzüglich umgebracht wird. Ich habe mir auch die Freiheit genommen, das dem Kommandanten des Raumhafens zu erklären. Ich habe ihm in aller Höflichkeit gesagt, mit Rücksicht auf den Ruf des Raumhafens Sayshell City, absolut sicher und integer zu sein — bekannt in der ganzen Galaxis, habe ich gesagt —, würde ich diesen speziellen Mechanismus durchaus gerne desaktivieren, aber weil das Schiff ein neues Modell ist, wüßte ich nicht, wie.«
»Das wird er doch wohl kaum geglaubt haben.«
»Natürlich nicht. Aber er mußte so tun, als glaube er es, andernfalls hätte er nämlich keine Wahl gehabt, als beleidigt zu sein. Aber weil Beleidigtsein ohne konsequentes Ergreifen konkreter Maßnahmen nichts anderes als eine Demütigung ist, er das jedoch auf keinen Fall wünschte, war’s der einfachste Weg, zu glauben, was ich sage.«
»Ist das auch ein Beispiel dafür, wie Menschen sind?«
»Ja. Sie werden sich schon noch daran gewöhnen.«
»Woher wissen Sie, daß dies Fahrzeug nicht abgehört wird?«
»Mit so was habe ich gerechnet. Deshalb habe ich ein beliebiges anderes genommen, nicht das, was man mir angeboten hat. Kann sein, alle werden abgehört, klar… Na, aber was reden wir denn schon, das so schrecklich sein könnte?«
Pelorat wirkte unbehaglich. »Ich weiß nicht, wie ich’s sagen soll. Es kommt mir irgendwie unhöflich vor, mich darüber zu beklagen, aber mir mißfällt, wie’s hier riecht. Da ist so ein… Geruch.«
»Im Fahrzeug?«
»Nein, ich hab’s schon auf dem Raumhafen bemerkt. Ich vermute, so riechen Raumhäfen nun einmal, aber das Fahrzeug trägt den Geruch mit sich. Können wir die Fenster öffnen?«
Trevize lachte. »Ich glaube, ich könnte relativ leicht herausfinden, welcher Schalter am Armaturenbrett dafür zuständig ist, aber das würde nichts nützen. Der ganze Planet stinkt so. Ist es schlimm?«
»Nicht allzu stark, aber man merkt’s… — und es riecht ein wenig widerwärtig. Riecht diese ganze Welt so?«
»Ich vergesse immer wieder, daß Sie noch nie auf einer anderen Welt waren. Jede bewohnte Welt hat ihren eigenen Geruch. Zumeist geht er von der Gesamtheit der Vegetation aus, obwohl ich annehme, daß auch die Tiere und sogar die Menschen ihren Teil dazu beitragen. Und soviel ich weiß, gefällt niemandem der besondere Geruch einer Welt, wenn er sie zum erstenmal betritt. Aber man gewöhnt sich daran, Janov. In wenigen Stunden merken Sie’s nicht mehr, das verspreche ich Ihnen.«
»Sie meinen doch sicher nicht, daß es auf allen Planeten so wie hier riecht.«
»Nein, wie gesagt, jeder Planet besitzt seinen eigenen Geruch. Würden wir genug Aufmerksamkeit darauf verwenden, oder wären unsere Nasen besser — etwa wie bei den anacreonischen Hunden —, könnten wir wahrscheinlich bereits anhand eines kurzen Umherschnupperns bestimmen, auf welcher Welt wir uns befinden. Während meiner Anfangszeit in der Raummarine konnte ich am ersten Tag auf einer fremden Welt nie etwas essen. Später habe ich dann den alten Raumfahrertrick gelernt, schon vor der Landung an einem mit dem für die entsprechende Welt typischen Geruch imprägnierten Tuch zu riechen. Wenn man den Planeten schließlich betritt, fällt der Geruch einem nicht mehr so auf. Und nach einiger Zeit wird man in dieser Beziehung ganz einfach härter — man lernt, gar nicht mehr darauf zu achten. Am schlimmsten ist eigentlich die Heimkehr.«
»Wieso?«
»Glauben Sie, Terminus riecht nicht?«
»Wollen Sie behaupten, er riecht?«
»Natürlich riecht’s dort. Sobald Sie sich bezüglich des Geruchs einer anderen Welt — so wie Sayshell — akklimatisiert haben, wird es Sie überraschen, wie’s auf Terminus stinkt. Früher pflegte die Crew, wenn sich nach längerem Dienstflug die Schleuse wieder auf Terminus öffnete, zu rufen: ›Wieder daheim auf unserem Misthaufen!‹«
Pelorat wirkte angewidert.
Die Hochbauten der Stadt rückten sichtlich näher, aber der Professor hielt seinen Blick auf die unmittelbare Umgebung gerichtet. Andere Bodenfahrzeuge verkehrten in beide Richtungen, und gelegentlich sah man oben einen Flugapparat; Pelorat aber betrachtete die Bäume.
»Das pflanzliche Leben kommt mir seltsam vor«, sagte er. »Halten Sie’s für möglich, daß einiges davon einheimisch ist?«
»Ich bezweifle es«, entgegnete Trevize gedankenverloren. Er studierte den Stadtplan und unternahm einen Versuch, den Computer des Fahrzeugs zu programmieren. »Es gibt kaum heimisches Leben auf irgendeinem von Menschen besiedelten Planeten. Siedler bringen meistens ihre eigenen Pflanzen und Tiere schon zur Zeit der Besiedlung mit, oder sie importieren sie wenig später.«
»Kommt mir trotzdem seltsam vor.«
»Sie können doch nicht auf der einen wie der anderen Welt die gleichen Abarten erwarten, Janov. Soviel ich weiß, ist während der anfänglichen Arbeit an der Encyclopedia Galactica ein Atlas der interstellaren Flora erstellt worden, der siebenundachtzig Computerspulen umfaßte und noch immer unvollständig war — und kaum hatte man ihn fertig, war er auch schon überholt.«
Das Fahrzeug gelangte in die Randbezirke der Stadt; Straßenschluchten klafften auf und verschlangen es. Pelorat schauderte ein wenig zusammen. »Von dieser Art städtischer Architektur halte ich überhaupt nichts.«
»Jedem das seine«, sagte Trevize mit der Gleichgültigkeit eines abgebrühten Raumfahrers.
»Übrigens, wohin geht’s eigentlich?«
»Tja«, sagte Trevize mit einem gewissen Maß von Überdruß, »ich versuche gerade, den Computer dazu zu bewegen, daß er den Wagen zum Touristenzentrum bringt. Ich hoffe, er kennt die Einbahnstraßen und die Verkehrsvorschriften, denn ich habe davon keinerlei Ahnung.«
»Was sollen wir dort, Golan?«
»Zunächst einmal: wir sind Touristen, also ist es ganz selbstverständlich, daß wir das Touristenzentrum aufsuchen, und wir möchten uns ja so harmlos und unbefangen wie möglich benehmen. Und zweitens, wohin würden denn Sie sich wenden, um Informationen über Gaia zu erhalten?«
»An eine Universität«, sagte Pelorat. »Eine anthropologische Gesellschaft — oder ein Museum, jedenfalls nicht an ein Touristenzentrum.«
»Na, und damit erliegen Sie einem Irrtum. Im Touristenzentrum können wir als intellektuelle Typen auftreten, die wild darauf sind, eine Liste aller Universitäten, sämtlicher Museen und so weiter zu bekommen. Anhand dieser Liste werden wir dann entscheiden, wohin wir uns am besten zuerst wenden, und dort lassen sich möglicherweise Leute finden, die wir bezüglich Vorgeschichte, Galaktographie, Mythologie, Anthropologie oder sonst irgend was konsultieren können. Den Anfang jedoch machen wir im Touristenzentrum.«
Pelorat schwieg, und der Wagen setzte die Fahrt unbeirrbar fort, wenngleich seine Fahrweise sich unangenehm ruckartig gestaltete, sobald er sich in stärkeren innerstädtischen Verkehr einfädelte und in einen Teil davon verwandelte. Schließlich sauste er in einen Tunnel und vorbei an Schildern, denen man vielleicht Richtungsangaben und Verkehrshinweise hätte entnehmen können, wäre die Schrift aufgrund ihres Stils nicht nahezu unleserlich gewesen.
Zum Glück verhielt der Wagen sich allerdings gerade so, als sei ihm der Weg bekannt, und als er auf einen Parkplatz abbog und anhielt, befand sich in Sichtweite ein Schild, auf dem in der gleichen komplizierten Schrift ›Sayshell Out-World Milieu‹ stand, darunter jedoch in den leicht lesbaren Buchstaben des Galakto-Standard ›Sayshell Tourist Center‹.
Sie betraten das Gebäude, dessen Inneres bei weitem weniger groß war, als die Fassade sie glauben gemacht hatte. Es herrschte wenig Betrieb.
Es gab eine Reihe von Wartekabinen; in einer saß ein Mann, der die Nachrichtenstreifen las, die ein kleiner Ejektor abspulte, in einer anderen befanden sich zwei Frauen, die anscheinend ein verwickeltes Spiel mit Karten und Täfelchen spielten.
Hinter einem Schalter, der für ihn zu groß war, umgeben von Computern, die blinkten und viel zu komplex für ihn wirkten, langweilte sich ein sayshellischer Beamter. Er trug ein Kleidungsstück mit einem wie aus Flicken zusammengesetzten Schachbrettmuster.
Pelorat starrte ihn an. »Dies ist offensichtlich eine Welt der extravaganten Bekleidung«, flüsterte er.
»Ja«, sagte Trevize, »ist mir auch aufgefallen. Aber die Mode ist von Welt zu Welt unterschiedlich, manchmal sogar in den Regionen ein und derselben Welt ziemlich verschieden. Außerdem ändert sie sich im Laufe der Zeit. Vor fünfzig Jahren kann man auf Sayshell womöglich noch ganz in Schwarz herumgelaufen sein. Nehmen Sie’s, wie’s kommt, Janov!«
»Bleibt mir wohl nichts anderes übrig«, sagte Pelorat. »Aber unsere Mode ist mir doch lieber. Sie beeinträchtigt wenigstens nicht den Sehnerv.«
»Weil wir Grau in Grau gekleidet sind? Manche Menschen finden das ärgerlich. Ich habe gehört, daß man dazu ›schmutziggrau gekleidet‹ sagt. Zudem ist’s wahrscheinlich die mangelnde Farbenprächtigkeit der Foundation, die diese Leute hier dazu veranlaßt, Regenbogenfarben zu bevorzugen, denn damit unterstreichen sie ja zusätzlich ihre Unabhängigkeit. Es kommt ohnehin immer darauf an, was man gerade gewohnt ist. Kommen Sie, Janov!«
Die beiden strebten zum Schalter, und während sie hinübergingen, gab der Mann in der Wartekabine sein Interesse an den Nachrichten auf, erhob sich und näherte sich den beiden, lächelte ihnen zu. Seine Kleidung war in Grauschattierungen gehalten.
Zuerst schaute Trevize nicht in seine Richtung, doch als er es dann tat, blieb er wie versteinert stehen.
Er holte tief Luft. »Bei der Galaxis — mein Freund, der Verräter!«