Siebtes Kapitel Farmer

23

Stor Gendibal joggte außerhalb der Universität die Landstraße entlang. Es war für Zweitfoundationisten gebräuchliche Praxis, sich in die Farmwelt Trantors hinauszuwagen. Wenn sie es taten, geschah es allerdings weder zu weit noch zu lang.

Gendibal war eine Ausnahme, und früher hatte er sich häufig gefragt, wieso eigentlich. Sich selbst Fragen zu stellen, das hieß, den eigenen Sinn zu erforschen, und das war etwas, das zu tun Sprecher ganz besonders gehalten waren. Ihr Verstand war sowohl ihre Waffe wie auch das Ziel, und es lag bei ihnen, auf Angriff und Verteidigung gleichermaßen gut vorbereitet zu sein.

Mit Befriedigung hatte er entschieden, einer der Gründe seines Andersseins sei der, daß er von einem Planeten stammte, der sowohl erheblich kühler wie auch schwerer war als der Durchschnitt der bewohnten Welten. Als man ihn als Jungen nach Trantor brachte (indem man ihn durch das Netz schleuste, das Agenten der Zweiten Foundation, stets auf der Suche nach jungen Talenten, in der gesamten Galaxis aufrechterhielten), war er in die Verhältnisse einer merklich geringeren Gravitation und eines wohltuend milden Klimas geraten. Infolge dessen genoß er es stärker als viele andere, sich im Freien zu bewegen.

Während seiner anfänglichen Jahre auf Trantor, in denen ihm seine zierliche, unterdurchschnittlich gebaute Statur zu Bewußtsein gelangte, hatte er befürchtet, daß der Umzug in die bequemeren Bedingungen einer so milden Welt ihn schwächlich werden lassen könne. Deswegen gewöhnte er sich eine ganze Reihe von Übungen und sportlichen Aktivitäten zur Körperertüchtigung und Entwicklung des Körperbaus an; seine Erscheinung war zwar unverändert zierlich geblieben, aber er war drahtig und schnell wie der Blitz. Ein Teil seiner Sportaktivitäten waren diese ausgedehnten Spaziergänge und Jogging-Ausflüge, über die man an der Tafel der Sprecher tuschelte. Gendibal mißachtete ihren Klatsch.

Er pflegte für sich zu bleiben, trotz der Tatsache, daß er zur Erstgeneration zählte. Alle anderen an der Tafel gehörten zur Zweit- und Drittgeneration; schon ihre Eltern und Großeltern hatten der Zweiten Foundation angehört. Allesamt waren sie auch älter als er. Was sollte da anderes zu erwarten sein als Geflüster?

Aufgrund überlieferten Brauchs saßen alle offenen Geistes an der Tafel der Sprecher (angeblich uneingeschränkt offen, doch kam es selten vor, daß ein Sprecher nicht in einem Winkel seines Oberstübchens insgeheim ein paar Gedanken für sich behielt — wenngleich sie auf lange Sicht natürlich nicht unerkannt bleiben konnten), und daher wußte Gendibal, was sie empfanden, war Neid. Sie waren sich darüber im klaren; genauso wie Gendibal selbst wußte, daß er ihnen gegenüber eine defensive Haltung einnahm und mit seinem Ehrgeiz überkompensierte. Und sie wußten das auch.

Außerdem (Gendibals Überlegungen widmeten sich wieder den Gründen für seine abenteuerlichen Ausflüge auf das flache Land) hatte er seine Kindheit auf einer großen, weiten Welt zugebracht, mit aller Freizügigkeit und einer großartigen Landschaft, in einem fruchtbaren Tal der besagten Welt, umgeben von einer Bergkette, die er für die schönste in der ganzen Galaxis erachtete, in den grimmigen Wintern seiner Heimatwelt ein Anblick von erregender Faszination. Er erinnerte sich noch gut an seine Heimatwelt und die Wunder einer nun schon fernen Kindheit. Oft träumte er davon. Wie brachte er es bloß fertig, sein Dasein innerhalb einiger weniger Quadratkilometer alter Gebäude zu verbringen?

Er schaute umher und stellte Vergleiche an, während er dahinjoggte. Trantor war eine milde, angenehme Welt; sie war nicht schroff und schön. Obwohl sie eine Farmerwelt war, handelte es sich keineswegs um einen fruchtbaren Planeten.

Er war es nie gewesen. Vielleicht hatte dieser Umstand nicht weniger als andere Bedingungen dazu beigetragen, daß er zum administrativen Zentrum erst einer umfangreichen Föderation geworden war, dann eines Galaktischen Imperiums. Es hatte nie stärkere Tendenzen gegeben, ihn irgendwie anders zu nutzen. Er eignete sich nicht besonders gut für irgend etwas anderes.

Nach der Großen Plünderung hatten nur die enormen Mengen von Metall, die vorhanden gewesen waren, seinen Weiterbestand gesichert. Er glich einer riesigen Mine, versorgte ein halbes Hundert Welten mit billigem Leichtmetall, Aluminium, Titan, Kupfer, Magnesium und gab auf diese Weise zurück, was er sich im Laufe vieler vorangegangener Jahrtausende geholt hatte, allerdings hundertmal schneller, als vorher die Anhäufung geschah.

Noch immer waren bedeutende Vorräte an Metall da, aber unterirdisch und deshalb schwerer zugänglich. Die Farmer (die Hamer, die sich nie ›Trantoraner‹ nannten, weil sie diese Bezeichnung als mit bösen Omen behaftet betrachteten, so daß die Zweitfoundationisten sie für sich selbst verwendeten) hatten im Verlauf der Zeit wachsenden Widerwillen gegen weiteren Metallhandel entwickelt. Ohne Zweifel beruhten diese Anwandlungen auf Aberglauben.

Nichts als Dummheit von ihnen. Alles Metall, das unter dem Erdreich blieb, konnte den Boden verderben, die Fruchtbarkeit noch mehr senken. Aber andererseits war die Bevölkerung so dünn gesät, daß das Land sie ernährte.

Und ein wenig Metall pflegte man trotz allem immer zu handeln.

Gendibals Blick schweifte den Horizont entlang. Das Land war flach. Es war geologisch lebendig, wie bei fast allen bewohnten Planeten, aber wenigstens hundert Millionen Jahre waren seit der letzten Periode wesentlicher Bergbildung verstrichen. Was an Hochland existiert hatte, war zu sanften Hügeln erodiert. Die meisten Höhenzüge waren während der Zeit in Trantors Geschichte eingeebnet worden, als man den ganzen Planeten allmählich mit Metall überzog.

Im Süden lag, noch so fern, daß sie sich außer Sichtweite befand, der Strand der Capital Bay, und dahinter erstreckte sich der Ostozean; dessen Fische waren selbst auf der Höhe der Metallperiode eine ganz wichtige planetare Eiweißquelle gewesen.

Im Norden ragten die Hochbauten der Galaktischen Universität empor und versperrten den Ausblick auf die im Vergleich dazu niedrige, aber weitläufige Bibliothek (deren Großteil unterirdisch gelagert war) sowie die Reste des einstigen Kaiserlichen Palastes noch weiter nördlich.

Unmittelbar zu beiden Seiten der Landstraße war Farmgelände, gelegentlich konnte man ein Gebäude sehen. Manchmal kam er an Vieh, Ziegen, Geflügel und anderen Nutztieren vorbei, all den vielen Spielarten domestizierter Tiere, wie sie sich auf jeder trantorischen Farm finden ließen.

Beiläufig dachte Gendibal daran, daß er diese Arten von Tieren auf jedem bewohnten Planeten überall in der gesamten Galaxis antreffen konnte, und trotzdem waren sie auf keiner Welt gleich. Er entsann sich der Ziegen auf seiner Heimatwelt, seine eigene zahme Geiß, die er immer selbst gemolken hatte. Dort waren die Tiere erheblich größer und resoluter als die kleinen, fast philosophisch aussehenden Exemplare auf Trantor. Es gab von jedem Tier Abarten fast ohne Zahl, und auf kaum irgendeiner Welt wohnte nicht ein Klugscheißer, der nicht auf seine Lieblingsart schwor, ganz egal, ob es sich um ein Tier handelte, das Fleisch, Milch, Eier, Wolle oder sonst irgend etwas produzierte.

Wie üblich waren keine Hamer in Sicht. Gendibal hatte das Gefühl, daß die Farmer es vermieden, sich von den Leuten sehen zu lassen, die sie unter sich die ›Forscher‹ nannten, und es war vielleicht kein Zufall, daß sie diese Bezeichnung bisweilen auf ›Lauscher‹ reimten. Wieder nichts als Aberglaube.

Gendibal hob kurz den Blick zu Trantors Sonne. Sie stand ziemlich hoch an Trantors Himmel, aber ihre Wärme besaß keine bedrückende Natur. In dieser Gegend — in diesen Breitengraden — war die Wärme selten schwül, und die Kälte war nie bitter. (Manchmal vermißte Gendibal sogar die beißende Kälte — oder bildete es sich zumindest ein. Er hatte seine Heimatwelt niemals wieder besucht. Vielleicht, gestand er sich ein, um nicht enttäuscht zu werden.)

Er empfand das angenehme Gefühl von in Bestleistungsform gebrachten Muskeln und spürte, daß er nun lange genug gejoggt hatte, verlangsamte aufs Schrittempo, atmete tief durch.

Er wollte auf die bevorstehende Sitzung der Tafel der Sprecher rundum vorbereitet sein, auf die letzte Anstrengung, die nötig war, um eine Änderung der Politik herbeizuführen, eine Veränderung in der Grundeinstellung, so daß man die immer stärkere Gefahr, die von der Ersten Foundation und von woanders ausging, endlich realistisch erkannte, das fatale Verlassen auf das ›perfekte‹ Funktionieren des Seldon-Planes endlich aufhörte. Diese Leute würden nun begreifen müssen, daß die Perfektion selbst das sicherste Anzeichen dafür war, daß Gefahr drohte.

Hätte ein anderer und nicht er diese Vorschläge unterbreitet, sie wären, wie er wußte, ohne viel Aufhebens durchgegangen. Wie die Dinge standen, mußte es zwar Schwierigkeiten geben, aber seine Anregungen würden nichtsdestoweniger zu Beschlüssen gemacht und verabschiedet werden, denn der alte Shandess gewährte ihm seine volle Unterstützung und würde es ohne Zweifel auch weiter tun, weil er keinerlei Lust verspürte, als der Erste Sprecher in die Geschichtsbücher einzugehen, unter dem die Zweite Foundation zu bröckeln begonnen hatte.

Hamer!

Gendibal stutzte. Er entdeckte entfernte Anzeichen eines menschlichen Bewußtseins, noch ehe er die Person sah. Es gehörte einem Hamer; einem Farmer, grobschlächtig und ohne Feingeistigkeit. Vorsichtig zog Gendibal seine mentalen Fühler zurück, ließ nur einen so schwachen Kontakt bestehen, daß davon nichts bemerkt werden konnte. Die Zweite Foundation hielt sich in dieser Beziehung sehr streng an ihre Prinzipien. Die Farmer waren die unwissentlichen Strohmänner der Zweiten Foundation. Sie mußten von allem so unberührt wie möglich bleiben.

Kein Besucher Trantors bekam etwas anderes zu sehen als die Farmer und vielleicht ein paar weniger wichtige ›Forscher‹, die alle mehr oder weniger geistig in der Vergangenheit lebten. Ohne die Farmer müßten die Wissenschaftler mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen, und ebenso, wenn man ihre Unbedarftheit verdarb — und die Folgen wären katastrophal. (Solche Fälle zählten zu den Demonstrationen, von denen man erwartete, daß Neulinge an der Universität sie eigenständig zu erarbeiten und durchzuspielen verstanden. Die fürchterlichen Abweichungen, die sich am Hauptradianten ergaben, sobald man den Geist der Farmer nur begrenzt beeinflußte, waren erstaunlich.)

Gendibal sah ihn. Der Mann war zweifellos ein Farmer, ein Hamer bis ins Mark. Er glich nahezu einer Karikatur des Aussehens, wie man es von trantorischen Farmern kannte — er war hochgewachsen und breitschultrig, braunhäutig, gehüllt in grobe Kleidung, die Arme nackt, Haare dunkel, Augen dunkel, ging ungeschlacht. Gendibal meinte, er könnte an ihm den Bauernhof riechen. (Diesen Leutchen auf keinen Fall zuviel Geringschätzung entgegenbringen, dachte er. Es hat Preem Palver nichts ausgemacht, die Rolle eines Farmers zu spielen, als seine Pläne es erforderten, und dabei war er einem Farmer alles andere als ähnlich gewesen: kleinwüchsig, untersetzt und lasch. Sein Geist war es, der die damals minderjährige Arkady Darell getäuscht hatte, nicht sein Körper.)

Der Farmer kam ihm entgegen, stapfte die Landstraße herunter, stierte ihn unverhohlen an, ein Benehmen, das Gendibal zu einem finsteren Stirnrunzeln veranlaßte. Kein Hamer, ob Mann oder Frau, hatte ihn je so dreist angeblickt. Normalerweise liefen sogar die Kinder davon und gafften nur aus sicherem Abstand.

Gendibal schritt keineswegs langsamer aus. Die Landstraße war breit genug, so daß sie ohne ein Wort und ohne einen Seitenblick aneinander vorüber konnten, und so war es am besten. Er beschloß, auch das Bewußtsein des Farmers zu ignorieren.

Gendibal scherte schräg zur Seite aus, aber der Farmer wollte ihm das offensichtlich nicht durchgehen lassen. Er blieb stehen, stellte sich breitbeinig mitten auf die Landstraße, breitete auch die Arme aus, als gedenke er, den Weg zu versperren. »Ho!« rief er. »Bist’n Forscher?«

Wie sehr er sich auch um Distanz bemühte, es war Gendibal unmöglich, nicht die Woge von Streitsucht im Bewußtsein des Mannes wahrzunehmen. Er blieb auch stehen. Offenbar war es ausgeschlossen, sich einem Wortwechsel zu entziehen, ehe er die Wanderung fortsetzte, und das allein würde schon eine mühselige Sache sein. Gewöhnt an den schnellen, subtilen Austausch von Worten, Mienen, Gedanken und Stimmungen, aus denen die Verständigung unter Zweitfoundationisten sich zusammensetzte, wie er es war, empfand man es stets als zermürbende Umständlichkeit, ins gesprochene Wort allein zurückzufallen. Es war, als wuchte man mit Armen und Schulter an einem Felsklotz herum, während daneben ein Hebeisen lag.

»Ja«, sagte Gendibal ruhig und mit vorsätzlichem Mangel an emotionalem Ausdruck, »ich gehöre zu den Wissenschaftlern.«

»Ho! Ein Wissenschaftler bist du, so. Wir sprechen wohl nu ausländisch? Und als ob ich nich längst gesehn hätt, daß du ’n Forscher bist, oder von mich aus auch ’n Wissenschaftler.« Der Farmer vollführte eine spöttisch gemeinte Verbeugung. »Kleen und hiehnerbriestig und bleich und hochnäsig wie du bist.«

»Was möchten Sie von mir, Hamer?« erkundigte Gendibal sich unbeeindruckt.

»Ich nenne mich Rufirant. Und mein Vorname is Karoll.« Er verfiel in einen immer deutlicheren Akzent, wie er typisch war für die Hamer. Er rollte die r sehr kehlig.

»Und was wünschen Sie von mir, Karoll Rufirant?« fragte Gendibal noch einmal.

»Und wie nennt man dich, Forscher?«

»Spielt das eine Rolle? Sie dürfen mich ruhig weiterhin ›Forscher‹ nennen.«

»Wenn ich frach, spielt’s ’ne Rolle, daß ich ein Antwort krieg, kleener hochnäsiger Forscher!«

»Nun gut. Ich heiße Stor Gendibal, und nun werde ich meinen Angelegenheiten nachgehen.«

»Was sind das für Angelegenheiten?«

Gendibal spürte, wie sich ihm die Nackenhaare sträubten. Ganz nah befanden sich andere Bewußtseinseinheiten. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu merken, daß hinter ihm inzwischen drei weitere Hamer standen. Im Hintergrund lungerten noch mehr herum. Sie rochen alle ziemlich kräftig nach Farmer.

»Meine Angelegenheiten gehen Sie selbstverständlich nichts an, Karoll Rufirant.«

»So, das sagst?« Rufirant hob seine Stimme. »Kumpels, er sagt, sein Angelegenheiten gehn uns nix an!«

Hinter Gendibal ertönte ein Lachen, dann erklang eine Stimme. »Recht hat er, denn sein Angelegenheiten sind Biecherglotzen und Combuhterspielen, und das is nix für richtig Männer.«

»Was meine Angelegenheiten auch sein mögen«, sagte Gendibal fest, »ich habe nicht vor, mich davon abbringen zu lassen.«

»Und wie soll das laufen, kleener Forscher?« meinte Rufirant.

»Indem ich meines Weges gehe.«

»Das wollst du versuchen? Fierchtest nich, wir halten dir fest?«

»Sie und alle Ihre Kumpane? Oder Sie allein?« Plötzlich verfiel er gleichfalls in den behäbigen Hamer-Dialekt. »Oder fierchtest dich alleen?«

Strenggenommen war es nicht korrekt, den Mann auf diese Weise zu reizen, aber es konnte helfen, eine Massenattacke zu verhindern, und so etwas mußte er vermeiden, weil er sonst womöglich noch größere mentale Indiskretionen begehen müßte.

Seine Absicht gelang. Rufirants Miene verdüsterte sich noch mehr. »Wenn sich wer fierchten muß, dann dich, weil du Schiß hast, Biecherbursche. Kumpels, macht Platz! Geht zur Seite, und er soll kommen und sehen, ob ich mir alleen fierchte!«

Rufirant hob seine kraftvollen Arme und zeigte sie rundum vor wie ein Ringer. Gendibal sorgte sich nicht um die Kampftüchtigkeit des Farmers, wenngleich immer die Chance bestand, daß der eine oder andere üble Hieb traf.

Gendibal näherte sich dem Farmer vorsichtig, während er feinfühlig und schnell in Rufirants Hirn arbeitete. Seine Einflußnahme war geringfügig; nur eine Berührung, unfühlbar, aber ausreichend, um eine entscheidende Verlangsamung der Reflexe auszulösen. Dann zog er sich zurück, befaßte sich mit den übrigen Farmern, die sich nun in größerer Zahl versammelten. Gendibals Sprecher-Verstand huschte gewissermaßen nachgerade virtuos hin und her, blieb nie so lang in einem Bewußtsein, um irgendeine Spur zu hinterlassen, nur lange genug, um hier und da etwas entdecken zu können, was von Nutzen sein mochte.

Er näherte sich Rufirant mit katzenhafter Geschmeidigkeit, sehr wachsam, sich gleichzeitig dessen bewußt — und darüber erleichtert —, daß keiner der anderen Männer Anstalten zeigte, sich einzumischen.

Rufirant drosch plötzlich zu, aber Gendibal sah es in seinem Geist voraus, noch bevor ein einziger Muskel sich zu straffen begann, und wich aus. Die Faust fuhr dicht an ihm vorbei. Gendibal stand unverändert unbeeindruckt da. Den Männern rundherum entfuhr ein einstimmiges Aufkeuchen.

Gendibal unternahm keinerlei Versuche, Schläge zu parieren oder seinerseits welche auszuteilen. Es wäre für ihn schwierig gewesen, einen Hieb abzuwehren, ohne den eigenen Arm zu lähmen, und selber zuzuschlagen, hätte keinen Sinn gehabt, denn dem Farmer wäre jeder Hieb Gendibals wie ein Mückenstich vorgekommen.

Er konnte dem Mann lediglich ausweichen wie einem Stier, ihn immer wieder ins Leere laufen lassen. Das würde seine Moral voraussichtlich stärker beeinträchtigen, als jeder direkte Widerstand es konnte.

Tatsächlich griff Rufirant nun mit einem Aufbrüllen wie ein Stier an. Gendibal war bereit und wich gerade weit genug aus, um sich der Umklammerung durch den Farmer zu entziehen. Noch ein Angriff. Und wieder ein Fehlgriff.

Gendibal merkte, wie der eigene Atem ihm durch die Nase zu fauchen begann. Die körperliche Anstrengung, die er aufbieten mußte, war gering, aber die mentale Mühe, die es ihn kostete, die Lage unter Kontrolle zu behalten, ohne wirkliche Kontrolle auszuüben, war enorm und belastete ihn ungeheuer stark. Diese Anstrengung konnte er nicht lange durchhalten.

»Ich werde nun meines Weges gehen«, sagte er so gelassen wie möglich, während er in Rufirant den psychischen Mechanismus zur Furchtunterdrückung beeinflußte, um das latent stets in den Farmern vorhandene, abergläubische Grausen vor den ›Forschern‹ zu verstärken.



Rufirants Gesicht verzerrte sich vor Wut, aber einen Moment lang stand er still, und Gendibal spürte seine Gedanken. Der ›kleine Forscher‹ ließ sich nicht greifen, wie durch Zauberei. Gendibal fühlte Rufirants Furcht anschwellen, und für einen Augenblick dachte er…

Aber da schäumte der typische Hamer-Jähzorn höher und ertränkte die Furcht.

»Kumpels!« brüllte Rufirant. »Uns Forscher is ein Tänzer. Hüpft auf sein kleene Zehchen und achtet nich auf Regeln von ehrliche Hamer, wo heißt, Schlag um Schlag. Packt ihm! Haltet ihm fest. Dann wollen wir Schlag um Schlag kämpfen. Er darf als erster zuhauen, das laß ich ihm, und ich… ich hau als letzter zu.«

Gendibal spähte nach den Lücken zwischen den Männern, die ihn umgaben. Seine einzige Chance bestand darin, eine dieser Lücken lange genug offenzuhalten, um hindurchzuschlüpfen, dann wie der Wind zu laufen und sich auf seine Schnelligkeit und seine Fähigkeit, die Willenskraft der Farmer abzustumpfen, zu verlassen.

Hin und her, während er seinen Geist bis zum äußersten anspannte.

Es klappte nicht. Zu viele waren es, und die Anforderung, im Rahmen der Prinzipien des zurückhaltenden trantorischen Auftretens zu handeln, verwehrte ihm viele Möglichkeiten.

Er spürte Hände an seinen Armen. Man hielt ihn fest.

Nun mußte er auf zumindest einige dieser schlichten Gemüter deutlichen Einfluß ausüben. So etwas war inakzeptabel und würde seine Karriere zerstören. Aber hier schwebte sein Leben in Gefahr, sein nacktes Leben.

Wie hatte er nur in so eine Situation geraten können?

24

Die Versammlung an der Tafel der Sprecher war unvollzählig.

Wenn sich ein Sprecher verspätete, war es durchaus unüblich, zu warten. Obendrein hatte die Versammlung, wie Shandess wußte, keine Lust zum Warten. Stor Gendibal war hier Jüngster und weit davon entfernt, sich über die volle Tragweite dieser Tatsache im klaren zu sein. Er benahm sich, als sei Jugend als solche eine Tugend, Alter an sich dagegen eine Art von verstockter Fahrlässigkeit auf der Seite von Leuten, die es besser wissen müßten. Gendibal war bei den anderen Sprechern unbeliebt. Auch Shandess selbst mochte ihn nicht besonders. Aber es drehte sich hier nun einmal nicht um Beliebtheit.

Delora Delarmi unterbrach seine versonnene Nachdenklichkeit. Sie betrachtete ihn aus großen, blauen Augen, ihr rundliches Gesicht mit dem wohlbekannten Ausdruck von Unschuld und Freundlichkeit maskierte einen sehr scharfen Verstand (jedenfalls für jeden außer Zweitfoundationisten gleichen Ranges) mit nachgerade stahlhartem Konzentrationsvermögen.

»Erster Sprecher, wollen wir noch länger warten?« Sie lächelte, als sie die Frage stellte. (Die Versammlung war noch nicht formell zur Ordnung gerufen worden, so daß sie durchaus eine Unterhaltung mit ihm beginnen durfte, obwohl ein anderer vielleicht trotzdem gewartet hätte — mit Rücksicht auf Shandess’ Titel —, bis der Erste Sprecher das Wort ergriff.)

Shandess lächelte auf entwaffnende Weise zurück und überging die geringfügige Unhöflichkeit. »Unter normalen Umständen nicht, Sprecherin Delarmi, aber weil die Tafel der Sprecher sich eben zu dem Zweck versammelt hat, Sprecher Gendibal anzuhören, ist es sicherlich vertretbar, unsere Regeln ein bißchen weitherzig auszulegen.«

»Wo ist er denn, Erster Sprecher?«

»Das ist mir nicht bekannt, Sprecherin Delarmi.« Die Delarmi ließ ihren Blick durch das Rechteck von Gesichtern wandern. Der Erste Sprecher und elf der übrigen zwölf Sprecher waren anwesend. Im Laufe von fünf Jahrhunderten hatte die Zweite Foundation ihre Macht ständig ausgebaut und sich gleichzeitig immer neue Pflichten aufgebürdet, aber alle Bestrebungen, die Runde über eine Zahl von zwölf plus Erstem Sprecher zu erweitern, waren im Sande verlaufen.

Zwölf waren es nach Seldons Tod gewesen, als der zweite Erste Sprecher (Seldon selbst hatte sich stets als ersten dieser Reihenfolge gesehen) die Tafel der Sprecher gründete, und es waren noch immer zwölf.

Warum gerade zwölf? Diese Anzahl ließ sich leicht in gleich große Gruppen teilen. Sie war klein genug, um sich vollzählig beraten, zugleich jedoch groß genug, um in Untergruppen arbeiten zu können. Mehr wäre bloß hinderlich gewesen; weniger hätte unbeweglich gemacht.

So lauteten die Erklärungen. In Wahrheit wußte niemand so recht, warum man sich für diese Zahl entschieden hatte — oder warum es dabei bleiben sollte. Doch man betrachtete es nicht als unangebracht, daß auch die Zweite Foundation gewisse Traditionen besaß, an die man sich ganz einfach hielt.

Die Delarmi brauchte nur einen flüchtigen Moment, um die Situation zu erfassen, während sie von einem zum anderen Gesicht blickte, damit gleichzeitig von einem Bewußtseinskontakt zum anderen glitt, dann richtete sie ihren Blick sardonisch auf den leeren Platz — den Sitz des Juniors.

Die Erkenntnis, daß sich bei niemandem hier Sympathie für Gendibal finden ließ, stellte sie zufrieden. Dieser junge Mann — der Ansicht war sie schon immer gewesen — hatte den Charme einer Warze und sollte am besten entsprechend behandelt werden. Bis jetzt hatten nur seine unanzweifelbare Tüchtigkeit und sein offenkundiges Talent verhindert, daß jemand offen den Antrag unterbreitete, ihn auszuschließen.

In der halbtausendjährigen Geschichte der Zweiten Foundation waren nur drei Sprecher mit Erfolg herber Kritik unterzogen und von der Tafel der Sprecher ausgeschlossen worden.

Die unverhohlene Geringschätzung allerdings, die darin zum Ausdruck kam, einer Zusammenkunft der Sprecher ohne weiteres fernzubleiben, war schlimmer als so manche andere Herausforderung, und die Delarmi merkte mit Genugtuung, daß die allgemeine Stimmung die Möglichkeit einer Verhandlung gegen Gendibal in den Bereich erhöhter Wahrscheinlichkeit gerückt hatte.

»Erster Sprecher«, sagte sie, »wenn Sie nicht wissen, wo Sprecher Gendibal sich aufhält, ich bin gerne bereit, es Ihnen zu verraten.«

»Ja, Sprecherin?«

»Wer von uns weiß nicht, daß dieser junge Mann« (sie verzichtete auf seinen Titel, als sie nun von ihm redete, und das fiel natürlich jedem auf) »dauernd irgend etwas unter den Hamer zu tun hat? Was das sein kann, danach frage ich erst gar nicht, aber er hält sich auch gegenwärtig bei ihnen auf, und eindeutig ist das, was er dort treibt, ihm wichtiger als die Zusammenkunft der Tafel der Sprecher.«

»Ich glaube«, sagte ein anderer Sprecher, »er geht lediglich spazieren oder läuft, als eine Form von Körperertüchtigung.«

Die Delarmi lächelte erneut. Sie lächelte gern. Es kostete sie nichts. »Die Universität, die Bibliothek, der Palast und das ganze Gebiet ringsum gehört uns. Im Vergleich zum gesamten Planeten ist das wenig, aber ich denke, es hat hier Platz genug zur Körperertüchtigung. Erster Sprecher, wollen wir nicht anfangen?«

Innerlich seufzte der Erste Sprecher. Es lag in seiner Entscheidungsgewalt die Anwesenden noch warten zu lassen, oder er konnte die Sitzung vertagen, bis gewährleistet war, daß Gendibal teilnahm.

Aber kein Erster Sprecher konnte längere Zeit hindurch reibungslos sein Amt versehen, wenn er nicht zumindest die stillschweigende Unterstützung der anderen Sprecher genoß, und es war immer davon abzuraten, sie zu verärgern. Auch Preem Palver hatte, um sich auf lange Sicht durchsetzen zu können, ab und zu Zugeständnisse machen müssen. Außerdem war Gendibals Abwesenheit wirklich eine krasse Frechheit, auch für das Empfinden des Ersten Sprechers. Gendibal konnte ganz gut eine dahingehende Lektion gebrauchen, daß er nicht machen durfte, was ihm gerade paßte.

»Wir werden nun beginnen«, sagte Shandess.

Wie es ihm in seiner Eigenschaft als Erster Sprecher zustand, fing er mit der Diskussion an. »Sprecher Gendibal hat aus Datenmaterial des Hauptradianten einige sehr bemerkenswerte Schlußfolgerungen gezogen«, erklärte er. »Er glaubt, daß eine Organisation existiert, die effizienter als wir für die Einhaltung des Seldon-Plans sorgt, und daß sie es in eigennütziger Absicht macht. Aus Gründen unserer Verteidigung müssen wir nach seiner Meinung mehr über diese Organisation erfahren. Sie alle sind darüber informiert worden, und diese Sitzung findet statt, damit Sie die Gelegenheit erhalten, Sprecher Gendibal diesbezügliche Fragen zu stellen, so daß wir möglicherweise zu irgendwelchen Beschlüssen über unsere künftige Politik gelangen.«

Eigentlich war es überflüssig, so viele Worte zu machen. Shandess’ Geist stand allen Anwesenden offen, und sie ersahen aus ihm, was sie wissen mußten. Das Sprechen war nur eine Sache der Höflichkeit.

Die Delarmi schaute schnell durch die Runde. Anscheinend waren die anderen damit einverstanden, daß sie die Rolle der Anti-Gendibal-Sprecherin übernahm.

»Aber Gendibal«, sagte sie (und wieder unter Auslassung des Titels), »weiß nicht und kann nichts darüber sagen, was oder wer diese andere Organisation sein soll.«

Sie formulierte ihre Äußerung unmißverständlich als Feststellung, ein Verhalten, das an Grobheit grenzte. Das bedeutete soviel wie: Ich kann deinen Geist analysieren, du kannst dir das ganze Gerede sparen.

Dem Ersten Sprecher entging diese Schroffheit nicht, aber er fällte die rasche Entscheidung, nicht darauf zu achten. »Die Tatsache, daß Sprecher Gendibal…« (er fügte den Titel deutlich hinzu, ohne so weit zu gehen, ihn zu betonen) »nicht weiß und nicht sagen kann, was diese Organisation ist, heißt nicht, daß sie nicht existiert. Die Menschen der Ersten Foundation wußten während eines Großteils ihrer Geschichte buchstäblich nichts von uns, und auch gegenwärtig besitzen sie über uns so gut wie keine Kenntnisse. Wird dadurch unsere Existenz in Frage gestellt?«

»Daraus, daß wir unbekannt sind und doch existieren, ergibt sich keineswegs, daß etwas, um existieren zu können, nur unbekannt sein muß.« Und sie lachte leichthin auf.

»Völlig richtig. Aus diesem Grund müssen Sprecher Gendibals Überlegungen sehr sorgfältig überprüft werden. Sie beruhen auf streng mathematischen Beweisführungen, die ich selber nachvollzogen habe, und ich lege Ihnen allen nahe, sie ebenfalls gründlich zu begutachten. Sie sind…« Er suchte nach einem Ausdruck, der seine Haltung am treffendsten klarstellte. »Es fehlt ihnen nicht an Überzeugungskraft.«

»Und dieser Erstfoundationist, den man im Hintergrund Ihres Bewußtseins bemerkt, den Sie jedoch nicht erwähnen.« (Wieder eine Unhöflichkeit, und diesmal errötete der Erste Sprecher ein wenig.) »Was ist mit ihm?«

»Sprecher Gendibal vertritt die Annahme«, antwortete der Erste Sprecher, »daß dieser Mann namens Trevize — vielleicht unwissentlich — ein Werkzeug dieser Organisation ist und daß wir ihn deshalb nicht unbeachtet lassen dürfen.«

»Falls diese Organisation, was sie auch sein mag, wirklich existiert«, sagte die Delarmi, während sie sich zurücklehnte und ihr angegrautes Haar aus den Augen strich, »und in ihren mentalen Kapazitäten eine Gefahr verkörpert, ist es dann wahrscheinlich, daß sie derartig oberflächlich operiert wie durch einen verbannten Ratsherrn der Ersten Foundation?«

»Das sollte man nicht meinen«, erwiderte der Erste Sprecher gewichtig. »Trotzdem hat etwas mich überkommen, das ich für ebenso bedenkenswert wie bedenklich halte.

Ich kann es selbst nicht begreifen.« Fast unwillkürlich vergrub er den Gedanken daran tief in seinem Bewußtsein, damit die anderen ihn nicht erkannten, so sehr schämte er sich dafür.

Alle Sprecher bemerkten diese mentale Maßnahme, und wie es strikt geboten war, respektierten sie die verschämte Zurückhaltung des Ersten Sprechers. Auch die Delarmi tat es, aber mit Ungeduld. »Dürfen wir darum bitten«, ersuchte sie in der vorgeschriebenen Weise, »daß Sie uns Ihre Gedanken einsehen lassen, Erster Sprecher, weil wir jede Scham verstehen und verzeihen, die Sie empfinden mögen?«

»Ich weiß so wenig wie Sie«, entgegnete der Erste Sprecher, »aus welchen Gründen man annehmen soll, Ratsherr Trevize sei ein Werkzeug der fraglichen anderen Organisation, oder welchen Zwecken er dienen könnte, falls diese Annahme doch zutrifft. Aber anscheinend ist Sprecher Gendibal sich seiner Sache vollkommen sicher, und ich kann bei jemandem, der sich zum Sprecher qualifiziert hat, den möglichen Stellenwert der Intuition nicht von vornherein leugnen. Daher habe ich versucht, den Seldon-Plan auf Trevize anzuwenden.«

»Auf eine einzelne Person?« vergewisserte sich ein Sprecher mit gedämpfter Stimme und spürbarer Überraschung, fügte dann sofort eine Entschuldigung hinzu, weil er seine Frage mit dem unübersehbaren Hintergedanken begleitet hatte, dessen mündliches Äquivalent gelautet hätte: So ein Dummkopf!

»Auf eine einzelne Person«, bestätigte der Erste Sprecher. »Und Sie haben recht. Was bin ich für ein Dummkopf! Ich weiß genau, daß sich der Seldon-Plan nicht auf Individuen anwenden läßt, nicht einmal auf kleine Gruppen von Individuen. Trotzdem — ich war neugierig. Ich habe die Interpersonellen Intersektionen weit über die vertretbaren Grenzen hinaus extrapoliert, aber auf sechzehn verschiedene Weisen, und statt eines bestimmten Punkts habe ich mit einer Region gearbeitet. Ich habe alle Einzelheiten berücksichtigt, die wir über Trevize — ein Ratsherr der Ersten Foundation ist ja kein völliger Niemand — und die Bürgermeisterin der Ersten Foundation wissen. Alles zusammen habe ich — ziemlich frei, muß ich sagen — einer Kalkulation unterzogen.« Er verstummte.

»Und?« fragte die Delarmi. »Ich gehe davon aus, daß… Waren die Resultate überraschend?«

»Es gab keine Resultate, wie Sie alle es sich wohl schon gedacht haben«, sagte der Erste Sprecher. »Mit einem einzelnen Individuum kann man nichts anfangen, und doch… trotzdem…«

»Trotzdem?«

»Vierzig Jahre lange habe ich Resultate analysiert und ein klares Gespür dafür entwickelt, vor der Analyse zu ahnen, wie die Resultate aussehen dürften, und ich habe mich nur selten geirrt. In diesem Fall habe ich sehr stark das Gefühl — obwohl meine Untersuchungen zu keinen konkreten Ergebnissen führten —, daß Sprecher Gendibal recht hat und man Trevize nicht sich selbst überlassen darf.«

»Warum nicht, Erster Sprecher?« hakte die Delarmi nach, offensichtlich angesichts der starken Überzeugung im Bewußtsein des Ersten Sprechers reichlich entgeistert.

»Es beschämt mich«, sagte der Erste Sprecher, »daß ich mich dazu habe verleiten lassen, den Plan für einen Zweck zu gebrauchen, für den er eindeutig ungeeignet ist. Und weiter schäme ich mich dafür, mich nun von etwas leiten zu lassen, das man nicht anders als reine Intuition nennen kann. Aber ich muß es tun, so stark ist in dieser Hinsicht mein Gefühl. Wenn Sprecher Gendibal recht hat, wenn wir von unbekannter Seite bedroht werden, dann wird es, sobald die Zeit kommt, da unsere Sache in eine Krise gerät, Trevize sein, der die entscheidende Karte in seiner Hand hält. Das ist meine Überzeugung.«

»Welche Grundlage hat dies Gefühl?« erkundigte sich die Delarmi schockiert.

Erster Sprecher Shandess blickte betrübt in die Runde.

»Leider kann ich auf keinerlei konkrete Grundlagen verweisen. Die psychohistorische Mathematik hat keine Ergebnisse erbracht, aber während ich das Ineinandergreifen der verschiedenen Bezüge beobachtet habe, hatte ich irgendwie den Eindruck, daß Trevize zu allem der Schlüssel ist. Wir müssen diesem jungen Mann unsere Aufmerksamkeit schenken.«

25

Gendibal sah ein, er würde nicht rechtzeitig zurückkehren, um an der Sitzung der Tafel der Sprecher teilnehmen zu können. Möglicherweise würde er niemals zurückkehren.

Man hielt ihn roh fest, und er tastete auf mentaler Ebene verzweifelt nach einer Möglichkeit rundum, wie er die Männer am günstigsten zwingen könne, ihn freizugeben.

Rufirant hatte sich inzwischen großkotzig vor ihm aufgebaut. »Bist nu fertig, Forscher? Hieb fier Hieb, Schlag fier Schlag, wie bei anständigen Hamer ieblich. Nu kumm, du bist kleener, du darfst als erster zuhauen!«

»Wird jemand Sie auch festhalten«, meinte Gendibal, »so wie mich?«

»Laßt ihm los!« sagte Rufirant. »Nee, nee, nur sein Arme. Laßt sein Arme los, aber haltet sein Beine fest! Wir wollen hier kein Tanzerei.«

Gendibal spürte, wie man seine Beine am Boden festhielt. Seine Arme gab man frei.

»Hau zu, Forscher!« sagte Rufirant. »Gibt mir ersten Schlag!«

Da fand Gendibals mentales Tasten etwas, das einen Ausweg bot — Empörung, die Empfindungen von Unrechtsbewußtsein und Mitgefühl. Ihm blieb keine Wahl, er mußte das Risiko eingehen und diese Gemütslage regelrecht verstärken, dann etwas improvisieren, das auf der Grundlage…

Doch das war gar nicht nötig! Er hatte das entsprechende Bewußtsein nicht im mindesten beeinflußt, da erfolgte bereits eine Reaktion, wie er sie sich wünschte. Genau so.

Zuerst bemerkte er eine kleine Gestalt, die sich mit wüstem Nachdruck in sein Blickfeld drängte, untersetzt, langes schwarzes Haar, die Arme ausgestreckt, die nun wie irrsinnig an dem hünenhaften Farmer zerrten.

Die Gestalt gehörte einer Frau. Grimmig erkannte Gendibal einen Beweis seiner inneren Anspannung und Belastung, daß er diese Tatsache nicht bemerkt hatte, bis seine Augen sie ihm unübersehbar mitteilten.

»Karoll Rufirant«, schrie die Frau den Farmer an, »Klotz und Feigling! Hieb um Hieb, nach Hamer-Art?! Du bist zweimal so groß wie das Foscher hier. War gefährlicher, mich anzugreifen. Willst ’n Ruf kriegen, ein arm Knilch zerhauen zu haben? War ’ne Schande, glaub ich. Mit Fingern werden’s auf dich zeigen, und reden wird man: ›Das is der Rufirant, ein bekannter Kinderfresser‹. Ieber dich lachen werden’s, glaub ich, kein anständig Hamer wird kienftig mit dir saufen, kein anständig Hamer-Frau wird dich anschauen.«

Rufirant versuchte, den Redeschwall einzudämmen und gleichzeitig die Schläge abzuwehren, die ihm die Frau versetzte. »Aber, Sura«, stammelte er in schwächlicher Bemühung, sie zu besänftigen, »aber, aber, Sura.«

Gendibal bemerkte, daß ihn nicht länger Hände umklammerten, daß Rufirant ihn nicht mehr anstierte, sich keiner der Umstehenden noch mit ihm befaßte.

Auch Sura beschäftigte sich nicht mit ihm; in ihrem Zorn widmete sie sich ausschließlich Rufirant. Gendibal, der rasch seine Fassung wiedergewann, dachte nun daran, Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Zorn wachzuhalten und die mißbehagliche Scham, die jetzt Rufirants Bewußtsein überschwemmte, zu verstärken, beides so behutsam und geschickt zu tun, daß keine Spuren zurückblieben. Doch auch diesmal erwies seine Absicht sich als überflüssig.

»Weg mit euch alle!« sagte die Frau. »Das seh’ sich mal einer an! Nich genug, daß der Klotz Karoll wie ein Riese is neben dem Knilchlein da, nee, fienf oder sechs oder mehr von sein Kumpels-Freunde machen mit in diese Schande von ein ruhmreich Geschicht in Kinderfresserei. Ich hab dem Knilch sein Arm gehalten, könnt ihr sagen, und der riesig Klotz Rufirant hat ihm in die Gosch gehauen, wo er nicht wiederhauen konnt. Und ich hab sein Fuß gehalten, werdet ihr sagen, mich müßt ihr auch zujubeln. Und der Klotz Rufirant wird sagen, ich konnt ihm nicht packen, aber mein Kumpels-Freunde haben ihm festgehalten, und mit Hilf von alle sechs hab ich ihm eine gesemmelt.«

»Aber, Sura«, sagte Rufirant fast weinerlich, »ich hab dem Forscher gesagt, er kann ersten Schlag fiehren.«

»Und wie du dich gefierchtet hast vor den mächtig Schläg von sein dienne Arm, was, Grobklotz Rufirant? Nu kommt! Laßt ihm gehen, wohin er gehen will, und der Rest von euch kriecht nu heimwärts, wenn ihr was drum gebt, daß sie daheim noch ein Willkomm fier euch haben. Ihr tätet gut dran, zu hoffen, daß die groß Taten von dem heutig Tag vergessen werden. Aber wenn ihr mir noch mehr in Wut bringt, als ich nämlich schon bin, werden sie bestimmt nich vergessen, denn ich werd sie überall weitererzählen!«

Mit gesenkten Köpfen zogen die Männer schweigend ab, ohne sich umzuschauen.

Gendibal blickte ihnen nach, dann sah er die Frau an. Sie trug Bluse und Hose sowie an den Füßen ein paar grobgefertigte Schuhe. Ihr Gesicht war schweißig, und sie atmete schwer. Ihre Nase war ziemlich groß, das gleiche galt für ihre Brüste (soweit Gendibal das unter der weiten Bluse erkennen konnte), und ihre Arme wiesen merkliche Muskulatur auf. Nicht verwunderlich, denn die Hamer-Frauen arbeiteten Seite an Seite mit den Männern auf den Feldern.

Sie musterte ihn streng, die Arme in die Hüften gestemmt. »Nu, Forscher, was fackelst? Geh heim in dein Forscherstadt! Fierchtest dich? Soll ich mitkommen?«

Gendibal roch den Schweiß, der in ihrer Kleidung saß, die eindeutig nicht gerade frisch aus der Wäsche kam, aber unter den gegebenen Umständen wäre es äußerst unhöflich gewesen, Widerwillen zu zeigen.

»Vielen herzlichen Dank, Miss Sura…«

»Mein Nam is Novi«, sagte sie barsch. »Sura Novi. Kannst mich Novi rufen. Mehr is unnötig.«

»Vielen Dank, Novi. Sie haben mir sehr geholfen. Es ist mir recht, wenn Sie mich begleiten möchten, nicht weil ich mich fürchten würde, sondern weil mir Ihre Begleitung ein Vergnügen wäre.« Und er verbeugte sich anmutig, wie er es vor einer der jungen Frauen an der Universität getan hätte.

Sura errötete, wirkte zuerst unsicher, dann versuchte sie, seine Geste nachzuahmen. »Vergniegen is… auf mein Seite«, sagte sie, als ob sie um Worte verlegen sei, die das Ausmaß ihres Vergnügens genügend zum Ausdruck brachten und zugleich kultiviert klangen.

Sie machten sich zusammen auf den Weg. Gendibal war sich sehr wohl dessen bewußt, daß jeder gemächliche Schritt, den er tat, sein verspätetes Eintreffen an der Tafel der Sprecher um so unverzeihlicher machte, aber der langsame Rückweg war eine Gelegenheit, um über die Bedeutung des Zwischenfalls nachzudenken, und es bereitete ihm eiskalte Zufriedenheit, seine Verspätung wachsen zu lassen.

Die Gebäude der Universität ragten bereits vor ihnen empor, als Sura Novi stehenblieb. »Meister Forscher…?« meinte sie gedehnt.

Je näher sie der ›Forscherstadt‹ kam, befand Gendibal, um so höflicher benahm sie sich, und er verspürte eine flüchtige Anwandlung, ihr zu entgegnen: Meinen Sie Ihren kleenen Knilch? Aber er hätte sie ohne vernünftigen Grund in Verlegenheit gebracht.

»Ja, Novi?«

»Is es sehr fein und nobel in der Forscherstadt?«

»Es ist ganz nett«, sagte Gendibal.

»Ich hab mal davon geträumt, in der Forscherstadt zu sein. Und… und ein Forscherin zu sein.«

»Irgendwann zeige ich’s Ihnen mal«, erwiderte Gendibal höflichkeitshalber.

Der Blick, den sie ihm zuwarf, verriet deutlich, daß sie seine Antwort keineswegs als bloße Höflichkeitsfloskel auffaßte. »Ich kann schreiben«, sagte sie. »Hatt Unterricht bei Schulmeister. Wenn ich dich ’n Brief schreibe…« — sie versuchte, ihren Worten einen gleichgültigen Klang zu verleihen — »was muß ich draufschreiben, damit er ankommt?«

»Schreiben Sie nur darauf ›Sprecherhaus, Apartment 27‹, und er wird mich erreichen. Aber jetzt muß ich mich verabschieden. Novi.«

Wieder verbeugte er sich, und erneut gab sie sich alle Mühe, sein Verhalten nachzuahmen. Sie entfernten sich in entgegengesetzten Richtungen, und prompt vergaß Gendibal sie im Handumdrehen. Statt dessen dachte er an die Sitzung der Tafel der Sprecher und ganz besonders an Sprecherin Delora Delarmi. Seine Gedanken waren alles andere als freundlich.

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