Zwölftes Kapitel Agent

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Munn Li Compor, Ratsherr auf Terminus, wirkte unsicher, als er Trevize seine Rechte entgegenstreckte.

Trevize betrachtete die Hand ernst, ergriff sie jedoch nicht. »Ich bin in die Unannehmlichkeit geraten«, sagte er, anscheinend nur an die Luft gewandt, »daß ich mich in einer Situation befinde, in der ich wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses auf einem fremden Planeten verhaftet werden könnte, aber ich werde auf keinen Fall davor zurückschrecken, wenn dies Individuum noch einen Schritt näherkommt.«

Compor blieb schlagartig stehen, zögerte, widmete Pelorat einen verunsicherten Blick. »Erhalte ich die Chance, mit dir zu reden?« fragte er dann mit leiser Stimme Trevize. »Alles zu erklären? Wirst du mir zuhören?«

Pelorat schaute vom einen zum anderen, einen leicht mißmutigen Ausdruck in seinem langen Gesicht. »Was hat denn das zu bedeuten, Golan?« meinte er. »Sind wir zu dieser fernen Welt geflogen, nur damit Sie sofort einen alten Bekannten treffen?«

Trevize hielt seinen Blick fest auf Compor geheftet, drehte sich jedoch ein wenig seitwärts, wie um klarzustellen, daß er zu Pelorat sprach. »Dieser… dieser Mensch — wie wir ihn wegen seiner äußeren Gestalt wohl nennen müssen — war einmal auf Terminus mein Freund«, sagte Trevize. »Wie’s mit Freunden meine Gewohnheit ist, habe ich ihm vertraut. Ich habe ihm meine Ansichten mitgeteilt, die von einer Art sind, die man vielleicht nicht allgemein verbreiten sollte. Er hat sie, und anscheinend in allen Einzelheiten, der Sicherheitsbehörde weitererzählt, sich jedoch nicht der Mühe unterzogen, es mir zu sagen. Aufgrund dessen bin ich ahnungslos in eine Falle gegangen, und deshalb befinde ich mich nun im Exil. Und jetzt wünscht dieser… Mensch von mir als Freund begrüßt zu werden.«

Er wandte sich Compor zu, fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, brachte seine Locken nur noch mehr durcheinander. »Hör her, Bursche! Eine Frage habe ich an dich. Was machst du hier? Warum bist du von allen Welten in der Galaxis, auf denen du sein könntest, ausgerechnet auf dieser? Und warum jetzt?«

Compors Hand, die er während Trevizes Worten unverändert ausgestreckt gehalten hatte, sank nun an seine Seite, und aus seinem Gesicht wich das Lächeln. Das selbstsichere Gebaren, das man gewöhnlich so an ihm kannte, war verschwunden, und ohne es wirkte er jünger als seine sechsunddreißig Jahre und ein wenig kümmerlich. »Ich bin alles zu erklären bereit«, sagte er, »aber nur, wenn ich von vorn anfangen darf.«

Trevize schaute flüchtig umher. »Hier? Hier möchtest du darüber reden? In der Öffentlichkeit? Willst du, daß ich dich hier niederschlage, sobald ich mir deine Lügen lange genug angehört habe?«

Compor hob nun beide Hände, die Handflächen Trevize zugewandt. »Hier ist der sicherste Ort, glaube mir.« Er sah voraus, was sein Gegenüber darauf zu antworten gedachte. »Oder glaub’s mir nicht«, fügte er hastig hinzu, »ganz wie du willst, es spielt keine Rolle. Ich spreche die Wahrheit. Ich bin schon ein paar Stunden länger als du auf diesem Planeten und habe mich schon ein bißchen orientiert. Heute ist irgendein ganz besonderer Tag auf Sayshell. Ein Tag, an dem aus irgendeinem Grund alle meditieren und daheim sind, oder es jedenfalls sein sollten. Du siehst doch, wie leer es hier ist. Du nimmst ja wohl nicht an, daß es jeden Tag so ist?«

Pelorat nickte. »Ich habe mich schon gewundert«, sagte er, »warum so wenig los ist.« Er beugte sich näher an Trevizes Ohr. »Warum geben Sie ihm nicht die Chance, mit uns zu reden, Golan?« flüsterte er. »Er sieht richtig jämmerlich aus, der arme Kerl, und es kann ja sein, er will sich wirklich entschuldigen. Ich finde, es wäre unfair, ihm nicht wenigstens eine Chance zu geben.«

»Dr. Pelorat legt anscheinend Wert darauf, dich anzuhören«, sagte Trevize. »Ich will ihm den Gefallen tun, aber ich rate dir, faß dich kurz. Heute könnte ganz gut ein Tag sein, an dem ich die Geduld verliere. Wenn alles meditiert, könnte es vielleicht sein, daß die Gesetzeshüter ausbleiben, sobald ich dich zur Schnecke mache. Morgen habe ich vielleicht weniger Glück. Warum die Gelegenheit versäumen?«

»Hör zu, wenn du mir unbedingt ein paar runterhauen willst«, sagte Compor mit gepreßter Stimme, »bitte schön, nur zu! Ich werde mich nicht wehren, verstehst du? Na los, schlag zu — aber hör mich an!«

»Na gut, also sprich! Für ein Weilchen will ich dir zuhören.«

»Zuerst einmal, Golan…«

»Trevize, bitte. Wir reden uns nicht mehr mit den Vornamen an.«

»Zuerst einmal, Trevize, möchte ich klarstellen, daß es dir gelungen ist, mich vollauf von deinen Ansichten zu überzeugen…«

»Und dir ist’s gut gelungen, das vor mir zu verbergen. Ich hätte geschworen, du machst dich lustig über mich.«

»Ich habe versucht, mich belustigt zu zeigen, um die Tatsache zu verheimlichen, daß du mich in äußerste Unruhe versetzt hast. Nun komm, wir wollen uns dort drüben an der Wand hinsetzen. Selbst wenn hier gegenwärtig nichts los ist, es könnte irgend jemand aufkreuzen, und ich meine, wir sollten keinen überflüssigen Verdacht erregen.«

Langsam durchmaßen die drei Männer fast die gesamte Länge der weiten Räumlichkeit. Compor lächelte wieder zaghaft, hielt jedoch vorsichtshalber über eine Armlänge Abstand von Trevize.

Sie nahmen auf Sitzgelegenheiten Platz, die nachgaben, als sie sie mit ihrem Körpergewicht beiasteten, sich den Umrissen ihrer Hüften und Gesäße anpaßten. Pelorat wirkte verstört und wollte wieder aufspringen.

»Keine Panik, Professor«, sagte Compor. »Den Schreck habe ich schon hinter mir. In mancher Beziehung ist man uns hier voraus. Das ist eine materialistische Welt, und man glaubt an den Nutzen kleiner Bequemlichkeiten.«

Er drehte sich Trevize zu, legte einen Arm auf die Rücklehne des Sessels, sprach nun unbefangener als vorher. »Du hast mich beunruhigt. Durch dich habe ich das Gefühl erhalten, daß die Zweite Foundation wirklich existiert, und das hat mich stark aufgewühlt. Man bedenke einmal die Konsequenzen ihrer etwaigen Existenz. Bestand in so einem Fall nicht die Wahrscheinlichkeit, daß sie etwas gegen dich unternimmt? Dich als Gefahr erkennt und beseitigt? Und hätte ich mich verhalten wie jemand, der dir glaubt, das gleiche hätte mir passieren können. Verstehst du, was ich meine?«

»Ich verstehe lediglich, daß du ein Feigling bist.«

»Wozu sollte es gut sein, sich wie ein Romanheld aufzuführen?« entgegnete Compor, dessen blaue Augen sich vor Empörung weiteten, mit Nachdruck. »Können wir, du und ich, uns gegen eine Organisation behaupten, die dazu imstande ist, unseren Verstand und unsere Emotionen zu lenken? Die einzige Methode, die Aussicht auf eine erfolgreiche Abwehr verspricht, beginnt damit, daß wir unsere Erkenntnisse geheimhalten.«

»Du hast also deine Meinung geheimgehalten und dich damit geschützt? Aber Bürgermeisterin Branno hast du sie nicht vorenthalten, stimmt’s? Das war doch ein großes Risiko.«

»ja. Aber es war mir die Sache wert. Unterhaltungen bloß unter uns hätten meines Erachtens zu nichts anderem geführt als daß man uns recht bald mental kontrolliert… oder sogar ganz aus dem Weg räumt. Ich dachte mir, wenn ich dagegen die Bürgermeisterin einweihe… Sie war gut bekannt mit meinem Vater, wie du weißt. Mein Vater und ich kamen als Einwanderer von Smyrno, und die Bürgermeisterin hatte eine Großmutter, die…«

»Das weiß ich alles«, sagte Trevize ungeduldig, »und über ein paar vorherige Generationen hinweg kannst du deine Abstammung aus dem Sirius-Sektor nachweisen. Das hast du jedem erzählt, den du kennst. Weiter, weiter, Compor!«

»Naja, jedenfalls, sie hat mich angehört. Ich dachte, wenn es mir gelingt, die Bürgermeisterin davon zu überzeugen — mit deinen Argumenten —, daß Gefahr droht, könnte die Föderation irgendwelche Maßnahmen ergreifen. Wir sind nicht so hilflos wie zu Lebzeiten des Fuchses, und selbst im schlimmsten Fall hätte sich der Vorteil ergeben, daß das Wissen um die Gefahr weite Kreise zieht und nicht ausschließlich wir besonders gefährdet sind.«

»Die Foundation gefährden, uns dagegen absichern«, sagte Trevize spöttisch. »Das ist wirklich anständiger Patriotismus.«

»Ich habe dergleichen als schlimmsten Fall eingeschätzt. Gerechnet habe ich mit der günstigsten Entwicklung.« Compors Stirn war leicht schweißig geworden. Anscheinend machte ihm Trevizes unerbittliche Verachtung zu schaffen.

»Und du hast mir von diesem deinem gerissenen Plan nichts verraten, richtig?«

»Nein, habe ich nicht, und das bedaure ich sehr, Trevize. Die Bürgermeisterin hat mich entsprechend angewiesen. Sie sagte, sie wünsche alles zu wissen, was du weißt, aber du wärst die Art von Person, die aus dem Häuschen gerät, wenn sie erfährt, daß man ihre Meinungsäußerungen weitererzählt.«

»Wie recht sie hatte!«

»Ich wußte nicht… Woher hätte ich wissen sollen… Es gab doch ganz einfach nichts, anhand dessen ich mir hätte vorstellen können daß sie beabsichtigt, dich festzunehmen und von unserem Planeten zu vertreiben.«

»Sie hat auf den richtigen Moment gewartet, den nämlich, in dem mein politischer Status als Ratsmitglied mich nicht länger schützte. Hast du das nicht vorausgesehen?«

»Wie hätte ich? Du hast es ja selbst nicht geahnt.«

»Hätte ich gewußt, daß sie meine Ansichten kennt, hätte ich’s geahnt.«

»Das ist nachträglich leicht gesagt«, entgegnete Compor mit einer plötzlichen Andeutung von unverschämter Anmaßung.

»Und was möchtest du jetzt hier von mir? Du bist nun ebenso klüger als vorher.«

»Ich möchte das alles wieder gut machen. Den Schaden, den ich dir unwissentlich — ich betone, unwissentlich — zugefügt habe.«

»Herrje«, sagte Trevize trocken, »wie lieb von dir! Aber du hast meine anfängliche Frage noch nicht beantwortet. Wie bist du hier hergekommen? Wieso befindest du dich gegenwärtig auf demselben Planeten wie ich?«

»Dafür sind keine umständlichen Erklärungen erforderlich«, antwortete Compor. »Ich bin dir gefolgt.«

»Durch den Hyperraum? Obwohl mein Raumschiff die Sprünge serienmäßig durchgeführt hat?«

Compor schüttelte den Kopf. »Durchaus kein Rätsel. Ich habe das gleiche Schiff wie du, mit einem gleichartigen Computer. Du weißt, ich habe immer diesen Trick beherrscht, zu erraten, welche Richtung ein Raumer durch den Hyperraum nehmen wird. Normalerweise ist meine Schätzung nicht besonders genau, und in zwei von drei Fällen irre ich mich, aber mit dem Computer bin ich viel besser. Du hast am Anfang ein bißchen gezögert, und dadurch erhielt ich die Chance, deine Geschwindigkeit festzustellen und deine Richtung zu schätzen, bevor du zum Hypersprung übergegangen bist. Ich habe die Daten und meine intuitiven Extrapolationen dem Computer eingespeist, und den Rest hat er erledigt.«

»Und du hast die Stadt tatsächlich vor mir erreicht?«

»Ja. Du hast keine Gravo-Landung vorgenommen, ich hab’s. Ich habe mir gedacht, daß du die Hauptstadt aufsuchst, deshalb bin ich auf kürzestem Wege hinunter, während du…« Compor vollführte eine kurze Spiralbewegung mit dem Zeigefinger, als sei er ein Raumschiff, das einem Leitstrahl folge.

»Du hast beträchtlichen Ärger mit den sayshellischen Behörden riskiert.«

»Tja…« Compors Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, das ihm unbestreitbar gehörigen Charme verlieh, und fast empfand Trevize wieder etwas von den alten freundschaftlichen Gefühlen für ihn. »Ich bin nicht immer und in jeder Beziehung ein Feigling«, sagte Compor.

Trevize nahm sich zusammen. »Wie bist du an ein gleichartiges Raumschiff gelangt?«

»Auf genau die Weise, wie du an so einen Raumer gelangt bist. Die Alte… Bürgermeisterin Branno… sie hat ihn mir zur Verfügung gestellt.«

»Warum?«

»Ich will vollkommen ehrlich zu dir sein. Ich habe den Auftrag erhalten, dir zu folgen. Die Bürgermeisterin wollte wissen, wohin du gehst, was du unternimmst.«

»Und du hast es ihr pflichtgemäß gemeldet, vermute ich. Oder hast du die Bürgermeisterin genauso hintergangen?«

»Ich hab’s ihr gemeldet. Mir blieb keine Wahl. An Bord meines Raumschiffs ist eine Hypersonde, die ich nicht finden sollte, die ich aber gefunden habe.«

»Und?«

»Unglücklicherweise ist sie mit den entscheidenden Instrumenten des Raumers gekoppelt, so daß ich sie nicht entfernen kann, ohne das ganze Schiff lahmzulegen. Jedenfalls wüßte ich keinen Weg, um sie ohne entsprechende Folgen zu beseitigen. Infolgedessen weiß sie ohnehin, wo ich mich befinde, und damit auch, wo du bist.«

»Einmal angenommen, du wärst nicht dazu imstande gewesen, mir zu folgen. Dann wüßte sie jetzt nicht, wo ich bin. Hast du nicht soweit gedacht?«

»Doch, natürlich. Ich habe sehr wohl überlegt, ihr durchzugeben, ich hätte den Anschluß verloren… aber sie hätte es mir ja doch nicht geglaubt, oder? Und ich hätte für wer weiß wie lange nicht nach Terminus heimkehren können. Und ich bin anders als du, Trevize. Ich bin kein unbekümmerter Mensch ohne irgendwelche Bindungen. Ich habe eine Frau auf Terminus… obendrein ist sie schwanger… und ich möchte zu ihr zurückkehren. Du kannst es dir leisten, nur an dich selbst zu denken. Ich kann mir so was nicht erlauben. Außerdem, ich bin auch gekommen, um dich zu warnen. Bei Seldon, ja, das versuche ich die ganze Zeit, und du willst mir nicht zuhören. Du redest dauernd von anderen Dingen.«

»Deine plötzliche Sorge um mich kann mich nicht sonderlich beeindrucken. Wovor kannst du mich noch warnen? Ich habe eher den Eindruck, daß du das einzige bist, wovor ich gewarnt sein muß. Du hast mich verraten, und nun verfolgst du mich, um mich auch weiter zu verraten. Gegenwärtig versucht außer dir niemand, mir zu schaden.«

»Vergiß doch mal diese theatralischen Redensarten, Mann«, sagte Compor mit allem Ernst. »Trevize, du wirst als Blitzableiter mißbraucht! Man hat dich losgeschickt, damit du etwaige Aktionen der Zweiten Foundation, falls es so etwas wie eine Zweite Foundation überhaupt gibt, auf dich ziehst. Mein intuitives Gespür bewährt sich auch noch bei anderen Dingen als Hyperraumsprüngen, und ich bin mir ganz sicher, daß das die Absicht ist, die hinter dem Verhalten der Bürgermeisterin steckt. Wenn du versuchst, die Zweite Foundation zu finden, wird sie auf dich aufmerksam werden, und sie wird Maßnahmen gegen dich ergreifen. Und sobald sie das tun, müssen sie sich irgendwie zeigen. Und dann wird Bürgermeisterin Branno zuschlagen.«

»Ein Jammer, daß deine hervorragende Intuition sich nicht bewährt hat, als die Branno meine Festnahme plante.«

Compor errötete. »Du weißt, daß so etwas nicht immer funktionieren kann«, sagte er leise.

»Und jetzt sagt deine Intuition dir, daß sie die Zweite Foundation anzugreifen beabsichtigt? Sie würde das nie wagen!«

»Ich glaube, doch. Aber darum geht’s gar nicht. Es geht darum, daß sie dich als Köder benutzt.«

»So?«

»Bei allen Schwarzen Löchern des Kosmos, folglich darfst du auf keinen Fall wirklich nach der Zweiten Foundation suchen. Ihr wär’s egal, wenn du im Laufe der Suche ums Leben kommst, aber mir nicht. Ich fühle mich schuldig, was deine Verbannung betrifft, und es wäre mir keineswegs recht, wenn man dich auch noch umbringt.«

»Ich bin zu Tränen gerührt«, sagte Trevize kühl. »Aber zufällig befasse ich mich im Moment mit einer ganz anderen Aufgabe.«

»Tatsächlich?«

»Gegenwärtig suchen Pelorat und ich nämlich die Erde, den Planeten, den einige Leute für die ursprüngliche Heimatwelt der menschlichen Rasse halten. Stimmt’s, Janov?«

Pelorat nickte. »Ja, es handelt sich dabei um eine rein wissenschaftliche Angelegenheit, und nebenbei eine Sache, für die ich mich schon seit langem interessiere.«

Compor wirkte einen Moment lang verständnislos. »Sie suchen die Erde?« vergewisserte er sich. »Aber warum denn?«

»Um sie genau zu erforschen«, gab Pelorat zur Antwort. »Als die eine Welt, auf der sich — vermutlich aus niedrigeren Lebensformen — das menschliche Leben entwickelt hat, statt wie auf allen anderen schon fix und fertig eingetroffen zu sein, dürfte sie ein Forschungsobjekt von einzigartiger Faszination abgeben.«

»Und vielleicht läßt sich dort mehr über die Zweite Foundation in Erfahrung bringen«, ergänzte Trevize.

»Aber es gibt keine Erde«, sagte Compor. »Wußten Sie das nicht?«

»Keine Erde?« Wie immer, wenn er zu äußerster Halsstarrigkeit entschlossen war, wirkte Pelorats Gesicht völlig ausdruckslos. »Wollen Sie behaupten, es habe keinen Planeten gegeben, auf dem die menschliche Spezies entstanden ist?«

»O nein, natürlich gab’s mal eine Erde. Das steht außer Frage. Aber heute gibt’s keine mehr. Keine bewohnte Erde. Die gibt’s nicht mehr.«

»Gewissen Geschichten zufolge…«, begann Pelorat ungerührt zu widersprechen.

»Warten Sie mal, Janov«, sagte Trevize. »Nun hör mal,: Compor, woher willst du das wissen?«

»Wie meinst du das, woher? Es gehört zu meinem Erbe. Ich kann meine Abstammung bis in den Sirius-Sektor zurückverfolgen, falls es erlaubt ist, diese Tatsache noch einmal zu wiederholen, ohne dich zu langweilen. Dort wissen alle über die Erde Bescheid. Sie befindet sich im selben Sektor, das heißt, sie gehört nicht zur Foundation-Föderation, und anscheinend befaßt man sich deshalb auf Terminus nicht mit ihr. Aber wie dem auch sei — dort ist die Erde.«

»Das gilt als eine Möglichkeit, ja«, sagte Pelorat. »Zur Zeit des Imperiums hat die ›Sirianische Alternative‹, wie man’s nannte, einmal erheblichen Enthusiasmus ausgelöst.«

»Das ist keine Alternative«, sagte Compor vehement. »Es ist eine Tatsache.«

»Was würden Sie sagen«, meinte Pelorat, »wenn ich Ihnen verrate, daß es zahlreiche verschiedene Planeten in der Galaxis gibt, die man Erde nennt, oder die früher von ihrer stellaren Nachbarschaft Erde genannt worden sind?«

»Aber wovon ich spreche, das ist die richtige Erde«, erwiderte Compor. »Der Sirius-Sektor ist der am längsten besiedelte Teil der Galaxis. Das weiß jeder.«

»Sicher, das behaupten die Sirianer«, entgegnete Pelorat unbeeindruckt.

Compor wirkte frustriert. »Ich sage Ihnen…«

»Sag uns lieber«, unterbrach Trevize, »was aus der Erde geworden ist. Du behauptest, sie sei nicht länger bewohnt. Warum nicht?«

»Radioaktivität. Aufgrund außer Kontrolle geratener nuklearer Reaktionen ist die gesamte planetare Oberfläche radioaktiv verseucht, vielleicht auch infolge von Atomexplosionen, da bin ich mir nicht sicher… Jedenfalls ist dort heute jedes Leben unmöglich.«

Die drei Männer schauten einander für eine Weile stumm an, bis Compor offenbar das Bedürfnis verspürte, sich zu wiederholen. »Ich sag’s euch«, betonte er, »es gibt keine Erde. Es hat keinen Zweck, sie zu suchen.«

44

Zum erstenmal war Janov Pelorats Miene nicht ausdruckslos. Sie spiegelte keine Leidenschaft, keine der instabileren Emotionen wider. Aber seine Augen waren schmal geworden, und eine Art hitziger Intensität erfüllte jeden Muskel seines Gesichts.

»Was haben Sie gesagt, woher Sie das alles wissen wollen?« erkundigte er sich, und seiner Stimme fehlte es nun vollkommen am gewohnten Tonfall vorsichtiger Zurückhaltung.

»Wie ich gesagt habe«, antwortete Compor, »gehört’s zu meinem Erbe.«

»Reden Sie doch nicht so albern daher, junger Mann! Sie sind Ratsherr auf Terminus. Das bedeutet, Sie wurden auf einer Welt der Föderation geboren — ich glaube, Sie haben erwähnt, auf Smyrno.«

»Das ist richtig.«

»Na, und von was für einem Erbe reden Sie da? Wollen Sie mir weismachen, Sie hätten sirianische Gene, dank derer Sie ein angeborenes Wissen sirianischer Mythen bezüglich der Erde besäßen?«

Compor schaute verdutzt drein. »Nein, natürlich nicht.«

»Wovon also reden Sie?«

Compor schwieg einen Augenblick lang, sammelte anscheinend seine Gedanken. »Unsere Familie befindet sich im Besitz alter sirianischer Geschichtsbücher«, sagte er schließlich ruhig. »Es handelt sich also um ein äußeres Erbe, nicht um inneres Erbgut. Wir sprechen über dergleichen Dinge nicht zu Außenstehenden, vor allem nicht, wenn man eine politische Laufbahn mit Erfolg einschlagen will. Trevize meint anscheinend, wir würden darüber zu jedermann schwätzen, aber man glaube mir, ich erwähne so etwas nur gegenüber Freunden und guten Bekannten.«

Seine Stimme wies einen Anklang von Bitterkeit auf. »Theoretisch sind alle Bürger der Foundation gleich, aber die von den älteren Welten der Föderation sind gleicher als die von neueren Planeten, und solche, die von Welten außerhalb der Föderation stammen, sind sogar am gleichsten. Aber lassen wir das. Abgesehen von den Büchern, ich habe die alten Welten ja einmal besucht. He, Trevize, hör mal…«

Trevize war ein paar Schritte geschlendert, bis zum Ende der Räumlichkeit, und schaute nun durch ein dreieckiges Fenster hinaus. Es gewährte Ausblick auf den Himmel, schränkte zugleich jedoch den Blick auf das Stadtbild ein — bot mehr Licht und mehr Privatsphäre. Trevize reckte sich und spähte nach unten.

Er kehrte quer durch den Raum zurück. »Interessantes Fenster-Design«, sagte er. »Du hast mich gerufen, werter Ratskollege?«

»Ja. Erinnerst du dich noch an die Reise, die ich nach dem Abgang vom College unternommen habe?«

»Nach dem College? Ja, ich kann mich gut entsinnen.

Wir waren echte Jugendfreunde. Freunde für immer. Eine Foundation gegenseitigen Vertrauens. Zwei gegen die ganze Welt. Du hast deine Reise angetreten. Ich bin zur Raummarine gegangen, randvoll mit Patriotismus. Aus irgendeinem Grund mochte ich dich auf deiner Reise nicht begleiten — irgendein Instinkt riet mir davon ab. Ich wollte, dieser Instinkt wäre mir geblieben.«

Compor ging auf die letztere Bemerkung nicht ein. »Ich habe damals Comporellon besucht. Die Familientradition besagt, daß meine Vorfahren von dort stammen — wenigstens väterlicherseits. Wir sollen dort der herrschenden Familie angehört haben, in alten Zeiten, ehe das Imperium uns vereinnahmt hat, und von der erwähnten Welt soll auch mein Name herrühren… so will’s jedenfalls die Familientradition haben. Wir hatten auch einen sehr alten, poetischen Namen für den Stern, den Comporellon umkreist — Epsilon Eridani.«

»Was bedeutet das?« fragte Pelorat.

Compor schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob es überhaupt eine Bedeutung hat. Das alles geht lediglich auf Tradition zurück. Man lebt dort mit jeder Menge Traditionen. Es gibt umfangreiche, detaillierte Aufzeichnungen über die Geschichte der Erde, aber man redet wenig darüber. In dieser Beziehung ist man wohl ein bißchen abergläubisch. Sobald man diese Dinge nur erwähnt, haben die Leute beide Hände, Zeige- und Mittelfinger gekreuzt, um Unglück abzuwehren.«

»Haben Sie von alldem irgend jemand erzählt, als Sie zurückgekommen sind?«

»Natürlich nicht. Wen hätte das schon interessiert? Und ich hatte keine Lust, jemandem irgendwelche Erzählungen aufzudrängen. Nein, danke! Ich wollte eine politische Laufbahn beschreiten, und das allerletzte, was ich in diesem Zusammenhang beabsichtigte, war irgendein Herumreiten auf meiner Herkunft.«

»Was ist mit dem Satelliten?« fragte Pelorat in scharfem Ton. »Beschreiben Sie den Satelliten der Erde.«

Compor machte einen erstaunten Eindruck. »Darüber weiß ich nichts.«

»Hat sie einen?«

»Ich kann mich nicht erinnern, etwas von einem Satelliten gelesen oder gehört zu haben. Aber ich bin sicher, daß man darüber Klarheit erhalten kann, wenn man in den Comporellischen Aufzeichnungen nachschaut.«

»Aber Sie selbst wissen nichts?«

»Nicht über den Satelliten. Nicht daß ich mich erinnern könnte.«

»Aha. Und wieso ist die Erde so radioaktiv geworden?«

Compor schüttelte den Kopf und schwieg.

»Denken Sie nach!« forderte Pelorat. »Irgend etwas muß Ihnen doch darüber zu Ohren gekommen sein.«

»Das ist schon sieben Jahre her, Professor. Ich konnte ja damals nicht ahnen, daß eines Tages Sie mir solche Fragen stellen würden. Es gab da so eine Art von Legende… sie ist allerdings als historische Wahrheit betrachtet worden…«

»Was war das für eine Legende?«

»Die Erde war radioaktiv… geächtet und schlecht behandelt durch das Imperium… Sie litt an Bevölkerungsschwund, und irgendwie wollte sie das Imperium vernichten.«

»Eine sterbende Welt wollte das ganze Imperium vernichten?« meinte Pelorat.

»Ich sage ja, eine Legende«, wehrte Compor ab. »Einzelheiten kenne ich keine. Aber soviel weiß ich, Bel Arvardan kam auch darin vor.«

»Wer war das?« fragte Trevize.

»Eine historische Gestalt. Ich habe mich über ihn informiert. Er war in der anfänglichen Epoche des Imperiums so ein waschechter Archäologe, und er hat die Behauptung aufgebracht, daß die Erde sich im Sirius-Sektor befindet.«

»Ich kenne den Namen«, sagte Pelorat.

»Auf Comporellon gilt er als Volksheld. Hören Sie, wenn Sie über das alles mehr erfahren wollen, dann gehen Sie nach Comporellon. Sich hier herumzutreiben, ist völlig nutzlos.«

»Was ist denn darüber gesagt worden«, hakte Pelorat nach, »wie die Erde das Imperium zu vernichten beabsichtigte?«

»Keine Ahnung.« Eine gewisse Ungeduld klang in Compors Stimme an.

»Hatte die Strahlung irgendwas damit zu tun?«

»Keine Ahnung. Da gab’s Geschichten, man hätte auf der Erde so was wie einen Bewußtseinserweiterer entwickelt… einen Synapsifikator oder dergleichen.«

»Um Supergehirne zu erzeugen?« fragte Pelorat im Tonfall äußersten Unglaubens.

»Das bezweifle ich. Woran ich mich hauptsächlich erinnere, ist, daß es nicht geklappt hat. Die Leute wurden supergescheit, aber starben jung.«

»Wahrscheinlich so ein Moralmythos«, sagte Trevize. »Wenn man zuviel verlangt, verliert man selbst das, was man hat.«

Verärgert wandte sich Pelorat an Trevize. »Was verstehen Sie von Moralmythen?«

Trevize hob die Brauen. »Ihr Fachgebiet ist sicherlich nicht mein Fachgebiet, aber das heißt nicht, daß ich ein völliger Ignorant bin.«

»Ratsherr Compor«, fragte Pelorat, »an was erinnern Sie sich noch in bezug auf das, was Sie einen Synapsifikator genannt haben?«

»An nichts, und ich denke auch nicht daran, mir weiter so ein Kreuzverhör gefallen zu lassen. Hör mal, Trevize, ich bin dir auf Befehl der Bürgermeisterin gefolgt. Mir ist nicht befohlen worden, mit dir in persönlichen Kontakt zu treten. Das habe ich nur in der Absicht getan, um dich dahingehend zu warnen, daß du verfolgt wirst und fortgeschickt worden bist, um den Zwecken der Bürgermeisterin zu dienen, was immer das auch für Zwecke sein mögen. Ich hätte mich auf keine Diskussion in anderer Richtung einlassen sollen, aber du hast mich überrascht, als du plötzlich auf das Thema Erde zu sprechen gekommen bist. Na schön, ich will noch einmal wiederholen. Was immer in der Vergangenheit gewesen sein mag — Bei Arvardan, der Synapsifikator, egal was —, es hat nichts mit dem zu tun, was heute ist. Ich sag es noch einmal — die Erde ist eine tote Welt. Ich rate sehr, nach Comporellon zu gehen, dort kann man alles erfahren, was man darüber wissen möchte. Hauptsache ist sowieso, ihr bleibt nicht hier.«

»Und du wirst natürlich pflichtgetreu der Bürgermeisterin berichten, daß wir nach Comporellon gehen, und um ganz sicher sein zu können, wirst du uns folgen. Oder vielleicht weiß die Bürgermeisterin ohnehin schon Bescheid. Ich denke mir, sie hat dir Wort für Wort eingepaukt, was du uns hier vorgeschwatzt hast, dich genau abgehört, damit du keinen Unsinn redest, denn es sind eben ihre Zwecke, für die sie uns nach Comporellon lotsen möchte. Habe ich recht?«

Compors Gesicht erbleichte. Er stand auf, und aus Anstrengung, seine Stimme beherrscht zu halten, stotterte er nahezu. »Ich habe versucht, dir alles zu erklären. Ich habe versucht, dir zu helfen. Ich hätte mir den Versuch sparen sollen. Von mir aus kannst du dich in ein Schwarzes Loch stürzen, Trevize!«

Ruckartig machte er auf dem Absatz kehrt und entfernte sich eilig, ohne sich umzudrehen.

Pelorat wirkte leicht fassungslos. »Golan, mein Bester, das war ziemlich taktlos von Ihnen. Ich hätte mehr aus ihm herausholen können.«

»Nein, hätten Sie nicht«, widersprach Trevize mit nachdrücklichem Ernst. »Sie hätten nichts aus ihm herausholen können, das er nicht sowieso ausplaudern wollte. Janov, Sie wissen nicht, was er ist. Bis heute wußte ich selbst nicht, was er ist.«

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Pelorat zögerte merklich, Trevize zu stören. Trevize saß reglos im Sessel, tief in Gedanken versunken.

»Wollen wir den ganzen Abend lang bloß hier herumhocken, Golan?« fragte Pelorat schließlich.

Trevize fuhr auf. »Nein, Sie haben völlig recht. Uns wird wohler sein, wenn wir von Menschen umgeben sind. Kommen Sie!«

Pelorat stand auf. »Es werden uns keine Menschen umgeben«, sagte er. »Compor hat erwähnt, heute sei so was wie ein Meditationstag.«

»So, hat er das? Als wir mit dem Wagen auf der Verbindungsstraße gefahren sind, war da Verkehr?«

»Ja, in gewissem Umfang.«

»Ziemlich starker Verkehr, fand ich sogar. Und als wir in die Stadt gefahren sind, war sie da vielleicht leer?«

»Das nicht gerade. Aber Sie müssen zugeben, hier drin war’s auf jeden Fall ziemlich leer.«

»Ja, das war’s. Es ist mir besonders aufgefallen. Aber nun kommen Sie, Janov, ich habe Hunger. Hier muß es irgendwo etwas zu essen geben, und wir können uns die besten Restaurants leisten. Auf jeden Fall müßte irgendein Lokal zu finden sein, in dem wir irgendeine interessante sayshellische Spezialität probieren können, oder falls wir davor zurückschrecken, halten wir uns eben an ein anständiges galaktisches Standardgericht. Kommen Sie, sobald wir in sicherer Umgebung sind, werde ich Ihnen erzählen, was hier nach meiner Ansicht wirklich geschehen ist.«

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Mit einem wohligen Gefühl des Gestärktseins lehnte sich Trevize zurück. Nach den Maßstäben auf Terminus war das Restaurant nicht teuer, aber es hatte ohne Zweifel allerlei Neues zu bieten. Teilweise erwärmte ein offenes Feuer es, an dem man Speisen zubereitete. Das Fleisch servierte man vornehmlich in häppchengroßen Brocken und mit verschiedenen scharfen Soßen; zu essen pflegte man sie mit den Fingern, welche man jedoch vor Hitze und Verschmutzung mit weichen, grünen Blättern schützte, die kalt und feucht waren und einen leichten Minzegeschmack besaßen. Für jedes Stückchen Fleisch benutzte man ein solches Blatt und schob sich beides zusammen in den Mund. Der Kellner hatte ihnen ausführlich erläutert, wie man es machte.

Anscheinend an außerplanetare Gäste gewohnt, hatte er väterlich gelächelt, als Trevize und Pelorat mit spitzen Fingern die brühheißen Fleischstückchen betasteten, und er freute sich unverkennbar über die Erleichterung der Fremden, als sie bemerkten, daß sie mit den Blättern ihre Finger kühlhalten konnten und sie beim Kauen auch das Fleisch kühlten.

»Köstlich!« kommentierte Trevize und bestellte eine zweite Portion. Pelorat tat das gleiche.

Schließlich verzehrten sie eine schwammige, stark gesüßte Nachspeise, tranken dazu eine Tasse Kaffee mit leichtem Karamelaroma, über das sie verwundert den Kopf schüttelten. Sie taten Sirup hinein, und darüber schüttelte der Kellner wiederum den Kopf.

»Tja, was ist denn nun eigentlich im Tourismusbüro geschehen?« fragte Pelorat endlich.

»Sie meinen, mit Compor?«

»Ist dort irgend etwas anderes passiert, worüber wir reden könnten?«

Trevize schaute umher. Sie saßen in einer tiefen Nische, die ihnen eine gewisse, nur beschränkte Absonderung gewährleistete, aber es war voll im Restaurant, und das natürliche Durcheinander von Stimmen bot ihnen vor Lauschern ausreichenden Schutz.

»Ist es nicht seltsam«, meinte er mit unterdrückter Stimme, »daß es ihm gelungen ist, uns nach Sayshell zu folgen?«

»Er hat behauptet, das sei seinen intuitiven Fähigkeiten zu verdanken.«

»Ja, was die Hyperorientierung anging, war er der Beste am ganzen College. Seine diesbezügliche Begabung stelle ich bis heute nicht in Frage. Wenn jemand ein gewisses Einfühlungsvermögen entwickelt hat, bestimmte Reflexe, kann ich mir durchaus vorstellen, daß er dazu in der Lage ist, anhand der zu beobachtenden Vorbereitungen zu erraten, wohin ein Hypersprung führen wird. Aber ich begreife nicht, wie selbst jemand mit einer so ausgeprägten Gabe der Hyperorientierung das Ergebnis einer ganzen Serie von Sprüngen absehen können soll. Man bereitet nur den ersten Hypersprung vor, den Rest erledigt unser Computer. Den ersten Sprung kann so ein Verfolger richtig schätzen, aber durch was für ein Wunder soll er wissen, was im Innern des Computers vorgeht?«

»Aber er hat’s geschafft, Golan.«

»Kein Zweifel«, sagte Trevize, »und der einzige mögliche Weg, den ich mir ausmalen kann, besteht darin, daß er vorher gewußt haben muß, wohin wir fliegen. Nicht erraten, gewußt haben.«

Pelorat dachte darüber nach. »Junge, das ist doch völlig ausgeschlossen. Wie hätte er das wissen sollen? Über unser wahres Ziel haben wir uns doch erst geeinigt, als wir uns schon an Bord der Far Star befanden.«

»Ich weiß. Und was hat’s mit diesem Meditationstag auf sich?«

»In der Beziehung hat Compor keineswegs gelogen. Als wir das Restaurant betreten und den Kellner gefragt haben, hat er bestätigt, daß heute ein Tag der Meditation ist.«

»Ja, stimmt, aber er hat sofort klargestellt, daß das Restaurant deswegen nicht geschlossen ist. Er hat wörtlich gesagt: ›Sayshell City ist kein Hinterwäldlerkaff. Hier schließt nichts.‹ Mit anderen Worten, die Leute meditieren, gewiß, aber nicht in den Großstädten, wo die Menschen kultivierter sind und für provinzielle Frömmelei kein Platz ist. Deshalb ist hier Verkehr, deshalb herrscht Geschäftigkeit… vielleicht ist weniger los als an normalen Tagen, aber jedenfalls läuft alles wie gewohnt.«

»Aber niemand hat das Touristenzentrum aufgesucht, solange wir dort waren, Golan. Ich hab’s genau beobachtet. Nicht eine Person ist hereingekommen.«

»Das habe ich auch bemerkt. Einmal bin ich sogar ans Fenster gegangen, um hinauszuschauen, und ich habe eindeutig festgestellt, daß es auf den Straßen rings um das Zentrum jede Menge Leute gab, zu Fuß, in Fahrzeugen, und trotzdem ist keine einzige Person hereingekommen. Dieser Meditationstag war ein guter Vorwand. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, daß wir die Ungestörtheit begrüßten, die wir genossen, ohne sie zu hinterfragen, nur war ich ganz einfach innerlich nicht bereit, diesem Sohn zweier Fremdlinge je wieder Vertrauen zu schenken.«

»Was also hat das alles zu bedeuten?« wollte Pelorat wissen.

»Ich glaube, es verhält sich recht simpel, Janov. Wir haben’s mit jemandem zu tun, der weiß, wohin wir gehen, sobald wir uns entschließen, obwohl er und wir uns in zwei verschiedenen Raumschiffen befinden, und gleichzeitig mit jemandem, der dafür sorgen kann, daß eine öffentliche Einrichtung menschenleer bleibt, obwohl es ringsum von Menschen wimmelt, nur damit wir uns ungestört unterhalten können.«

»Soll ich vielleicht annehmen, daß er wirklich Wunder wirken kann?«

»Sicher, von mir aus. Sollte es so sein, daß Compor ein Agent der Zweiten Foundation ist und den menschlichen Geist zu beeinflussen vermag, daß er Ihre und meine Gedanken sogar lesen kann, während wir uns in zwei verschiedenen Raumschiffen aufhalten, wenn er die Einflugkontrolle dazu bewegen kann, ihn ungehindert passieren zu lassen, wenn er eine Gravo-Landung durchführen darf, ohne daß die Behörden sich über seine Mißachtung des Leitstrahls aufregen, und wenn er dazu imstande ist, eine ganze Anzahl von Menschen vom Betreten eines Gebäudes abzuhalten, in dem er niemanden wünscht, dann ergibt das alles einen Sinn, Wunder oder nicht.«

Trevize sprach mit deutlichem Kummer weiter. »Bei allen Sternen, ich kann das sogar bis zum Zeitpunkt seines College-Abgangs zurückverfolgen. Ich habe ihn nicht auf seiner Reise begleitet. Ich entsinne mich, ich hatte keine Lust. Kann das nicht ein Resultat seiner Einflußnahme gewesen sein? Er mußte wohl allein fort. Wohin ist er wirklich gegangen?«

Pelorat schob die Teller von sich, als wolle er sich Raum zum Nachdenken verschaffen. Das war anscheinend so etwas wie ein Zeichen für den Servierrobot, einen automatischen, beweglichen Tisch, der nämlich daraufhin heranrollte und wartete, bis sie die Teller und das Besteck auf ihm abgestellt hatten.


»Aber das ist doch verrückt«, sagte Pelorat, sobald sie wieder unter sich waren. »Es ist nichts geschehen, das sich nicht ganz natürlich hätte ergeben können. Wenn man sich erst einmal in den Kopf gesetzt hat, jemand kontrolliere alle Ereignisse, dann kann man alles so interpretieren, was überhaupt passiert, und man findet in keiner Hinsicht noch irgendeine ausreichende Sicherheit. Kommen Sie, mein Bester, alles ist eine Sache der Umstände und eine Frage der Interpretation. Verfallen Sie bloß keiner Paranoia!«

»Ich gedenke auch nicht der Achtlosigkeit zu verfallen.«

»Na schön, lassen Sie uns mal logisch vorgehen. Nehmen wir einmal an, er wäre ein Agent der Zweiten Foundation. Warum sollte er es riskieren, unseren Argwohn zu erregen, indem er das Tourismusbüro menschenleer hält? Was hat er denn so Wichtiges gesagt, daß die Anwesenheit einiger Leute, die ohnehin mit ihrem eigenen Kram beschäftigt gewesen wären, einen Unterschied ausgemacht hätte?«

»Darauf gibt’s eine einfache Antwort, Janov. Es kann sein, er wollte unseren Geist ganz genau unter Beobachtung halten und jede Störung ausschließen. Jede Statik gewissermaßen. Er wünschte keinerlei Durcheinander auf mentaler Ebene.«

»Das ist wieder nur Ihre spezielle Interpretation. Was soll denn an seiner Unterhaltung mit uns so wichtig gewesen sein? Es wäre durchaus sinnvoll, davon auszugehen, daß er sich mit uns nur getroffen hat, um zu erklären, was er angestellt hatte, sich dafür zu entschuldigen, uns vor dem Ärger zu warnen, der uns erwarten könnte, geradeso eben, wie er selbst darauf beharrt hat. Warum müssen wir andersartige Überlegungen anstellen?«

Die kleine Karteneingabe am anderen Ende ihres Tisches schimmerte diskret auf, und kurz blinkten Zahlen auf, die den Preis des Essens anzeigten. Trevize suchte unter seiner Schärpe nach der Kreditkarte mit der Foundations-Imprägnierung, die überall in der Galaxis Gültigkeit besaß — oder jedenfalls überall, wohin ein Bürger der Foundation mit einiger Wahrscheinlichkeit gehen mochte. Er schob sie in den Schlitz. Die Transaktion dauerte nur eine Sekunde, und Trevize überprüfte die Richtigkeit des verbliebenen Guthabens (eine Maßnahme, die seinem angeborenen Mißtrauen entsprang), ehe er sie zurück in die Tasche steckte.

Unauffällig schaute er sich im Restaurant um, bis er sich davon überzeugt hatte, daß sich in keinem Gesicht unerwünschtes Interesse an seiner Person erkennen ließ; nur wenige Gäste waren inzwischen außer ihnen noch anwesend. »Warum weitergehende Überlegungen anstellen?« meinte er dann. »Warum weiterdenken? Na, das war schließlich nicht alles, worüber er geredet hat. Er hat sich über die Erde geäußert. Er hat uns gegenüber behauptet, sie sei ein toter Planet, und er hat uns dringend geraten, Comporellon aufzusuchen. Sollen wir das tun?«

»Das ist etwas, woran ich schon ernsthaft gedacht habe, Golan«, gestand Pelorat.

»Wir sollen Sayshell einfach außer acht lassen?«

»Wir könnten noch einmal zurückkehren, nachdem wir uns im Sirius-Sektor umgesehen haben.«

»Ihnen kommt gar nicht in den Sinn, daß der ganze Zweck seines Treffens mit uns in nichts anderem bestand, als uns von Sayshell abzulenken? Uns sonstwohin zu schicken, damit wir auf keinen Fall hier bleiben?«

»Warum denn?«

»Das weiß ich nicht. Sehen Sie mal, man hat erwartet, daß wir Trantor aufsuchen. Das war’s, was Sie wollen, und es kann sein, man hat damit gerechnet, daß wir’s tatsächlich tun. Ich habe einen Strich durch diese Rechnung gemacht, indem ich darauf bestanden habe, daß wir nach Sayshell fliegen, und das wiederum ist das allerletzte, woran unseren Gegenspielern liegt, und deshalb möchten sie, daß wir schnellstens wieder von hier verschwinden.«

Pelorat wirkte unmißverständlich unzufrieden. »Golan, aber das sind doch nur Unterstellungen. Warum sollte es unerwünscht sein, daß wir uns auf Sayshell aufhalten?«

»Keine Ahnung, Janov. Aber mir genügt’s, daß man uns fortlocken will. Ich bleibe hier. Ich gehe nicht.«

»Aber… aber… Golan, überlegen Sie mal, wenn die Zweite Foundation uns hier nicht wünscht, weshalb beeinflußt man nicht einfach unseren Geist dahingehend, daß wir abreisen? Wozu sollte man sich die Mühe machen, jemanden mit uns diskutieren zu lassen?«

»Da Sie nun davon anfangen, Professor, ist das in Ihrem Fall nicht vielleicht sogar getan worden?« Aus plötzlichem Argwohn verengten sich Trevizes Lider. »Sie möchten doch weiterfliegen, oder?«

Pelorat schaute Trevize verdutzt an. »Ich sehe einen gewissen Sinn darin.«

»Natürlich, das müssen Sie, auch wenn Sie beeinflußt worden sind.«

»Aber ich bin nicht…«

»Das würden Sie selbstverständlich auch sagen, wenn man Sie beeinflußt hat.«

»Wenn Sie’s so betrachten«, erwiderte Pelorat, »gibt’s keine Möglichkeit, Ihren Mutmaßungen irgend etwas entgegenzusetzen. Was haben Sie vor?«

»Ich bleibe auf Sayshell. Und Sie bleiben auch hier. Ohne mich können Sie das Schiff nicht navigieren. Falls Compor also Sie beeinflußt hat, dann hat er den falschen Mann beeinflußt.«

»Na gut, Colan. Wir bleiben auf Sayshell, bis wir von uns aus überzeugende Gründe zum Abflug sehen. Denn das schlimmste, was uns passieren könnte — schlimmer als Bleiben oder Gehen —, wäre doch, daß wir uns zerstreiten. Kommen Sie, mein Bester, hätte man mich beeinflußt, wäre ich dann jetzt dazu in der Lage, meine Ansicht zu ändern und mich bereitwillig Ihrer Auffassung anzuschließen, wie ich’s jetzt mache?«

Trevize dachte für eine Weile nach, dann lächelte er — es war, als schüttle er innerlich den Kopf — und streckte eine Hand aus. »Einverstanden, Janov. Und nun lassen Sie uns ins Schiff zurückkehren, und morgen unternehmen wir einen neuen Versuch. Falls uns etwas einfällt.«

47

Munn Li Compor erinnerte sich nicht mehr daran, wann man ihn rekrutiert hatte. Erstens war er damals ein Kind gewesen; zweitens scheuten die Agenten der Zweiten Foundation keinen Aufwand, um ihre Spuren weitmöglichst zu verwischen.

Compor war ein ›Observator‹ und für einen Zweitfoundationisten sofort als solcher erkennbar.

Das bedeutete, Compor war mit der Mentalik vertraut und konnte — in gewissem Umfang — mit Zweitfoundationisten auf deren Art und Weise in Konversation treten, aber er nahm in der Hierarchie den untersten Rang ein. Er vermochte in ein fremdes Bewußtsein Einblick zu nehmen, es jedoch nicht zu adjustieren. Die Ausbildung, die er genossen hatte, war nicht so weit gegangen. Er war zum Beobachten da, nicht zum Eingreifen.

Dadurch blieb er bestenfalls zweitklassig, aber das machte ihm nichts aus — oder jedenfalls wenig. Er kannte die Wichtigkeit seiner Mitwirkung am Gesamtablauf der Dinge.

Während der ersten Jahrhunderte der Existenz der Zweiten Foundation hatte sie die Aufgabe unterschätzt, die vor ihr lag. Man hatte geglaubt, die Handvoll ihrer Mitglieder könne die ganze Galaxis beobachten, und daß die Aufrechterhaltung des Seldon-Planes nur ein gelegentliches und sehr vorsichtiges Korrigieren verlangen werde — mal da, mal dort.

Der Fuchs hatte diese Illusionen zerstört. Er war aus dem Nichts aufgetaucht und hatte die Zweite Foundation (und natürlich auch die Erste Foundation, aber das spielte keine Rolle) vollkommen überrascht, so daß sie ihm hilflos gegenüberstand. Fünf Jahre dauerte es, bis man den Gegenangriff organisieren konnte, und er hatte eine Anzahl von Menschenleben gekostet.

Unter Palver gewann die Zweite Foundation ihre vorherige Stärke wieder, erneut unweigerlich um den Preis von Menschenleben, und er ergriff schließlich die erforderlichen Maßnahmen. Das Tätigkeitsfeld der Zweiten Foundation, entschied er, bedurfte einer entscheidenden Erweiterung, ohne gleichzeitig die Gefahr einer Entdeckung in untragbarem Maße zu erhöhen; daher gründete er das Observatorenkorps.

Compor wußte nicht, wieviel Observatoren es in der Galaxis gab, nicht einmal, wie viele sich auf Terminus befinden mochten. Dergleichen zu wissen, gehörte nicht zu seiner Aufgabe. Im Idealfall sollte nicht einmal zwischen nur zwei Observatoren irgendeine nachweisbare Verbindung bestehen, so daß die Entlarvung eines aus welchen Gründen sie auch erfolgte — nicht den Verlust eines zweiten nach sich zog. Sämtliche Verbindungen erfolgten ausschließlich über die höheren Stellen auf Trantor.

Compor hegte den Ehrgeiz, eines Tages nach Trantor zu gehen, obwohl er selbst es als reichlich unwahrscheinlich betrachtete, daß sein Wunsch jemals in Erfüllung ging. Aufgrund seiner Ausbildung wußte er, daß man dann und wann einen tüchtigen Observator beförderte und nach Trantor holte, aber so etwas geschah selten. Die Qualitäten, die einen guten Observator auszeichneten, stimmten nicht unbedingt mit jenen Eigenschaften überein, die jemandem zu einem Sitz an der Tafel der Sprecher verhalfen.

Da war zum Beispiel Gendibal, der fünf Jahre jünger war als Compor. Er mußte als Junge rekrutiert worden sein, genau wie Compor, aber ihn hatte man direkt nach Trantor gebracht, und heute war er Sprecher. Über den Grund gab Compor sich keinen Mißverständnissen hin. In letzter Zeit war er mit Gendibal häufig in Kontakt gewesen und hatte die Macht, die im Geist dieses jungen Mannes wohnte, aus persönlicher Erfahrung kennengelernt. Er hätte sich dagegen nicht eine Sekunde lang behaupten können.

Compor war sich kaum jemals eines niedrigen Status bewußt. Er erhielt nur selten einen Anlaß, um über so etwas nachzudenken. Immerhin war sein Status (geradeso wie im Fall anderer Observatoren, nahm er an) nur niedrig, maß man ihn am Standard Trantors. Auf den eigenen, nichttrantorischen Welten mit ihren nichtmentalischen Gesellschaftsformen war es für Observatoren leicht, einen hohen Status zu erlangen.

Beispielsweise hatte Compor nie Schwierigkeiten dabei gehabt, die besten Schulen zu besuchen, gute Kontakte zu knüpfen. Er hatte sich auf einfache Weise der Mentalik bedienen und seine natürliche intuitive Begabung verstärken können (wegen dieser natürlichen Begabung war er ursprünglich überhaupt rekrutiert worden — in dieser Beziehung war er sicher), und dadurch hatte er es geschafft, auf dem Gebiet der Hyperorientierung ein wahrer Star zu werden. Schon am College war er eine Berühmtheit, und ihr verdankte er es, daß er seinen Fuß unverzüglich auf die erste Sprosse der Leiter einer politischen Karriere setzen konnte. Sobald die gegenwärtige Krise vorüber war, ließ ein Ende seines weiteren Aufstiegs sich nicht absehen.

Wenn die Krise erfolgreich beendet worden war — woran es keinen Zweifel geben konnte —, würde man sich dann nicht daran erinnern, daß er, Compor, es gewesen war, der zuerst auf Trevize aufmerksam geworden war, nicht als Mensch (das hätte jeder gekonnt), sondern auf Trevizes Geist?

Er war Trevize auf dem College begegnet und hatte ihn zunächst nur als aufgeräumten, gewitzten Freund betrachtet. Eines Morgens jedoch hatte er sich träge aus dem Schlaf emporgerungen, und im Strom von Bewußtseinseindrücken, der das Nirgends-Niemals-Land des Halbschlafs zu durchspülen pflegte, war plötzlich spürbar geworden, es war ein Jammer, daß man Trevize nicht rekrutiert hatte.

Natürlich war es unmöglich gewesen, Trevize zu rekrutieren, denn er war auf Terminus geboren und im Gegensatz zu Compor kein Eingeborener einer anderen Welt. Doch selbst wenn man das einmal beiseite ließ, war es längst zu spät gewesen. Nur ganz junge Menschen sind noch elastisch genug, um eine Ausbildung in Mentalik zu genießen; die schwierige Unterweisung eines Erwachsenen in dieser Fähigkeit, eines Menschen also, dessen Hirn sozusagen schon im Schädel festgerostet war, hatte man lediglich in den ersten beiden Jahrhunderten nach Seldon praktiziert.

Aber wenn Trevize ohnehin nicht zur Rekrutierung geeignet gewesen war und zudem altersmäßig nicht mehr in Frage kam, was hatte dann Compors Beunruhigung über diese Tatsachen verursacht?

Während ihrer nächsten Begegnung hatte Compor den Geist Trevizes tief und gründlich erforscht und dabei entdeckt, was ihn anfangs so verstört hatte. Trevizes Verstand wies Charakteristika auf, die nicht mit dem übereinstimmten, was man ihn gelehrt hatte. Immer wieder narrte ihn dieses Bewußtsein. Wohin er seinen Funktionen auch folgte, fand er Lücken. Nein, es konnten natürlich keine wirklichen Lücken sein — tatsächliche Bereiche von Nichtexistenz. Es mußte sich um geistige Zonen handeln, wo Trevizes Geist zu tiefgründig aktiv war, um beobachtet werden zu können.

Compor wußte nicht zu entscheiden, was das bedeuten mochte, aber er verfolgte fortan Trevizes Verhalten im Lichte dessen, was er bemerkt hatte, und begann infolge dessen zu mutmaßen, daß Trevize anscheinend die unheimliche Gabe besaß, anhand von etwas, das als unzulängliches Datenmaterial gelten mußte, zu korrekten Schlußfolgerungen zu kommen.

Konnte das in irgendeinem Zusammenhang mit den ›Lücken‹ stehen? Jedenfalls war das eine Angelegenheit, die seine mentalistischen Kräfte weit überforderte, mit der sich deshalb die Tafel der Sprecher selbst befassen mußte. Er hatte das unbehagliche Gefühl, daß diese seltsame Entscheidungskapazität in ihrem vollen Umfang sogar Trevize persönlich unbekannt war, und daß er dazu imstande sein könnte…

Zu was? Compors Kenntnisse reichten nicht aus, um darüber einen Befund abzugeben. Fast vermochte er die Bedeutung dessen, worüber Trevize verfügte, zu begreifen — aber nicht ganz. Er war sich nur der intuitiven Einsicht sicher — vielleicht handelte es sich auch nur um eine Vermutung —, daß Trevize (zumindest potentiell) eine Person von äußerster Wichtigkeit war.

Er mußte auf die Möglichkeit setzen, daß es sich so verhielt, und vorübergehend den Eindruck erwecken, als sei er nicht so recht qualifiziert für seinen Posten. Immerhin, wenn seine Ansichten sich als korrekt erwiesen…

Im Rückblick war er sich nicht völlig darüber im klaren, wie er genug Mut hatte aufbringen können, um seine Bemühungen fortzusetzen. Er hatte die Verwaltungsschranken, die die Tafel der Sprecher umgaben, nur mit Mühe durchdrungen. Fast war er schon geneigt gewesen, sich — mit einer beeinträchtigten Reputation abzufinden. Endlich war es ihm durch die nachgerade verzweifeltsten Anstrengungen gelungen, zum jüngsten Mitglied an der Tafel der Sprecher vorzustoßen, und schließlich war Stor Gendibal auf seine Eingaben eingegangen.

Gendibal hatte ihm geduldig zugehört, und von da an hatte zwischen ihnen ein besonderes Verhältnis bestanden. Auf Gendibals Weisung hin war es geschehen, daß er die Bekanntschaft mit Trevize weiterhin pflegte, und ebenso hatte er auf Compors Weisung sorgfältig die Situation geschaffen, die zu Trevizes Verbannung führte. Und durch Gendibal konnte Compor seinen Traum, nach Trantor gehen zu dürfen (wie er zu hoffen begann), vielleicht doch noch wahrmachen.

Alle Vorbereitungen hatten allerdings dem Zweck gedient, Trevize nach Trantor zu lotsen. Trevizes Weigerung, das zu tun, hatte Compor vollkommen überrascht und war auch von Gendibal (wie Compor aufgefallen war) nicht vorausgesehen worden.

Auf jeden Fall, Gendibal war nun persönlich unterwegs zum Brennpunkt des Geschehens, und für Compor verstärkte das noch das Gefühl einer Krise.

Compor sandte sein Hypersignal aus.

48

Eine mentale Berührung weckte Gendibal aus dem Schlummer. Sie war von effektiver Natur und besaß nicht im mindesten den Charakter einer Störung. Weil es auf das Weckzentrum des Gehirns direkt einwirkte, erwachte er ganz einfach.

Er setzte sich im Bett auf, die Decke rutschte von seinem wohlgeformten, geschmeidig-muskulösen Oberkörper. Er hatte die Berührung erkannt; für Mentalisten war ein derartiges Tasten so klar unterscheidbar wie Stimmen für Menschen, die sich überwiegend durch das gesprochene Wort verständigten.

Gendibal antwortete mit dem mentalen Standardsignal, fragte nach, ob ein kurzer Aufschub möglich sei, und erhielt das Mentalsignal für ›Kein Notfall‹.

Anschließend widmete sich Gendibal mit überflüssiger Hast der morgendlichen Toilette. Er stand noch unter der Schiffsdusche — das benutzte Wasser lief gerade in die Recyclinganlage ab —, da nahm er bereits von sich aus erneut Kontakt auf.

»Compor?«

»Ja, Sprecher?«

»Haben Sie mit Trevize und dem anderen gesprochen?«

»Pelorat. Janov Pelorat. Ja, Sprecher.«

»Gut. Gedulden Sie sich noch fünf Minuten, dann stelle ich einen Visualkontakt her.«

Auf dem Weg zu den Kontrollen begegnete er Sura Novi. Sie sah ihn an, Fragen in ihrem Blick, und machte Anstalten, sie auszusprechen, aber er hob einen Finger an die Lippen, und sofort gab sie ihre Absicht auf. Die Stärke der Bewunderung/Hochachtung, die er in ihrem Bewußtsein für seine Person ersah, bereitete ihm noch immer eine gewisse Verlegenheit, aber allmählich entwickelte dergleichen sich zu einem angenehm normalen Bestandteil seiner Umgebung.

Er hielt ständig einen zarten mentalen Fühler mit ihrem Geist verbunden, so daß es keine Möglichkeit gab, seinen Verstand zu beeinflussen, ohne gleichzeitig erkennbar auf ihren einzuwirken. Die Simplizität ihres Geistes (und Gendibal konnte nicht anders, er empfand bei der geruhsamen Betrachtung von dessen unverdorbener Symmetrie ein enormes ästhetisches Vergnügen) machte die versteckte Existenz eines externen Mentalfeldes in der Nachbarschaft unmöglich. Er war nun heilfroh über die Anwandlung von Höflichkeit, die ihn in dem Moment befiel, als sie zusammen draußen vor der Universität standen, durch die sie dazu bewogen worden war, ihn zu genau dem Zeitpunkt aufzusuchen, da sie sich für ihn am nützlichsten erwies.

»Compor?« meldete er sich nochmals.

»Ja, Sprecher?«

»Bitte, entspannen Sie sich. Ich muß Ihr Bewußtsein überprüfen. Es ist nicht negativ gemeint.«

»Wie Sie wünschen, Sprecher. Darf ich nach dem Zweck fragen?«

»Ich muß mich davon überzeugen, daß Sie unbeeinflußt sind.«

»Ich weiß, daß Sie an der Tafel politische Gegner haben, Sprecher«, antwortete Compor, »aber sicherlich würde doch keiner von ihnen…«

»Sehen Sie von Spekulationen ab, Compor. Entspannen Sie sich… Ja, Sie sind unbeeinflußt. So, wenn Sie nun mit mir kooperieren, werden wir einen Visualkontakt herstellen.«

Woraus dieser Kontakt bestand, das war im engsten Sinne des Wortes nichts anderes als eine Illusion, denn niemand, der nicht über die mentalistischen Kräfte eines gutgeschulten Zweitfoundationisten verfügte, hätte davon irgend etwas bemerken können, weder durch seine Sinne noch durch einen physikalischen Detektor.

Es handelte sich um die Wiedergabe der Konturen und der Züge eines Gesichts aus der Erinnerung und anhand reiner Geisteskräfte, und selbst der beste Mentalist konnte nur eine schemenhafte und etwas undeutliche Wiedergabe erzielen. Compors Gesicht erschien mitten in der Luft, nur für Gendibal sichtbar, wie hinter einem in ständigem Wallen befindlichen Vorhang aus dünner Gaze, und Gendibal wußte, daß sich sein eigenes Gesicht auf ähnliche Weise vor Compor zeigte.

Dank der physikalischen Hyperwelle wäre ihnen eine Kommunikation mit so klaren, deutlichen Bildern möglich gewesen, daß sie, selbst wenn tausend Parsek dazwischen liegen mochten, den Eindruck hätten haben können, sich Auge in Auge gegenüberzusitzen. Gendibals Raumschiff war entsprechend ausgerüstet.

Die Mentalvision besaß jedoch ihre Vorteile. An erster Stelle stand, daß diese Art der Kommunikation durch kein der Ersten Foundation bekanntes Gerät angezapft werden konnte. Auch Zweitfoundationisten vermochten eine solche Verständigung nicht ohne weiteres mitzuverfolgen. Die Gedankengänge ließen sich vielleicht auffangen, aber verborgen blieb das vielseitige Mienenspiel, das der Konversation die Feinheiten verlieh.

Und was die Anti-Füchse betraf… Nun, die Schlichtheit von Sura Novis Gemüt genügte als Indikator, um ihm zu zeigen, daß keiner von ihnen sich für ihn interessierte.

»Unterrichten Sie mich genau über das Gespräch, das Sie mit Trevize und diesem Pelorat geführt haben, Compor«, sagte er. »Ganz präzise, bis in die geistige Ebene hinein.«

»Natürlich, Sprecher«, antwortete Compor.

Es dauerte nicht lange. Die Kombinationen von Lauten, Mienen und mentaler Mitteilung faßten, was es zu berichten gab, stark zusammen, trotz der Tatsache, daß es, da auch der geistige Hintergrund des stattgefundenen Gesprächs wiedergegeben werden sollte, mehr zu wiederholen gab als nur mündliche Äußerungen.

Gendibal paßte genau auf. In der Mentalvision kannte man keine Weitschweifigkeit. In persönlicher Unterhaltung mit direkter Sicht, oder auch in physikalischer Hypervision — über etliche Parsek hinweg —, sah man, was die Bits an Informationen anging, viel mehr, als zum gegenseitigen Verständnis absolut nötig war, und man durfte getrost vieles unbeachtet lassen, ohne irgend etwas von wirklicher Wichtigkeit zu versäumen.

Aufgrund der Verschleiertheit der Mentalvision jedoch mußte man restlos sichergehen und deshalb auf jede bequeme Nachlässigkeit verzichten, wollte man nicht reihenweise Bits verpassen. Jedes Bit war bedeutsam.

Die Instruktoren erzählten den Studenten auf Trantor laufend irgendwelche Horrorgeschichten, die dem Nachwuchs die große Bedeutung eines hohen Konzentrationsvermögens einschärfen sollten. Die am häufigsten wiederholte Geschichte war zugleich die unglaubhafteste. Darin drehte es sich um die erste Meldung über die Fortschritte des Fuchses, ehe er Kalgan besetzte — um den unteren Mitarbeiter, der die Meldung empfing und nicht mehr als den Eindruck eines hundeähnlichen Tiers hatte, weil ihm nicht der kleine Zusatz auffiel, der ›persönlicher Übernahme‹ besagte, oder er ihn nicht begriff. Der Mitarbeiter habe daraufhin entschieden, diese Sache könne unmöglich wichtig genug sein, um sie nach Trantor weiterzureichen. Als dann neue Nachrichten über den Fuchs eintrafen, sei es bereits zu spät für unverzügliche Maßnahmen gewesen, so daß man fünf bittere Jahre durchzustehen hatte.

Der Vorfall hatte sich nahezu mit Gewißheit nie zugetragen, aber das spielte keine Rolle. Die Geschichte war gehörig dramatisch und erfüllte ihren Zweck, die Studenten zur Vertiefung ihrer Konzentrationsfähigkeit zu motivieren. Gendibal entsann sich noch an einen Wahrnehmungsfehler, der ihm in seiner Studienzeit unterlaufen war, den er für ebenso unwesentlich wie verständlich gehalten hatte. Sein Lehrmeister, der alte Kendast — ein Tyrann bis ins Kleinhirn —, hatte nur geschnoben und gesagt: »Ein hundeähnliches Tier, Tendibal?« Und das hatte genügt, um ihn vor Scham beinahe zusammenbrechen zu lassen.

Compor beendete seine Darstellung.

»Bitte geben Sie mir Ihre Einschätzung von Trevizes Reaktion«, sagte Gendibal. »Sie kennen ihn besser als ich, besser als jeder andere.«

»Sie war eindeutig«, sagte Compor. »Die mentalen Anzeichen waren unmißverständlich klar. Er glaubt, daß meine Worte und Taten ein Ausdruck meines starken Wunsches sind ihn nach Trantor zu schicken, in den Sirius-Sektor, oder sonstwohin, nur nicht dorthin, wohin gerade er will. Nach meiner Meinung heißt das, er wird dort bleiben, wo er gegenwärtig ist. Die Tatsache, daß ich einem Ortswechsel so große Bedeutung beigemessen habe, hat ihn naturgemäß gezwungen, ihn für ebenso bedeutsam zu halten, und weil er das Gefühl hat, daß seine Interessen meinen diametral entgegengesetzt sind, wird er vorsätzlich ganz genau im Gegensatz zu dem handeln, was er als meinen Wunsch interpretiert.«

»Sind Sie sicher?«

»Völlig sicher.«

Gendibal dachte darüber nach und gelangte zu der Einsicht, daß Compor recht hatte. »Ich bin zufrieden«, sagte er. »Sie haben sich bewährt. Ihre Geschichte von der radioaktiven Verwüstung der Erde hat sich bestens geeignet, um die erstrebten Reaktionen herbeizuführen, ohne eine direkte mentale Manipulation vornehmen zu müssen. Lobenswert!«

Compor stand anscheinend einen kurzen inneren Kampf durch. »Sprecher«, sagte er dann, »ich habe Ihr Lob nicht verdient. Ich habe die Geschichte nicht erfunden. Sie ist wahr. Im Sirius-Sektor gibt’s wirklich einen Planeten namens Erde, und man hält ihn tatsächlich für die ursprüngliche Heimatwelt der Menschheit. Er war radioaktiv, als man zuletzt von dort gehört hat, entweder schon immer, oder er ist’s geworden, jedenfalls kam’s immer schlimmer, bis auf dem ganzen Planeten kein Leben mehr möglich war. Und es gab dort tatsächlich irgendeine bewußtseinserweiternde Erfindung, die letztendlich zu gar nichts geführt hat. Das alles gilt auf der Heimatwelt meiner Vorfahren als historische Tatsache.«

»So?« meinte Gendibal ohne merkliche Überzeugtheit. »Interessant. Um so besser. Zu wissen, wann man sich der Wahrheit bedienen kann, ist bewundernswert, denn keine Unwahrheit kann man mit gleichwertiger Glaubwürdigkeit an den Mann bringen. Das hat Palver einmal gesagt. ›Je näher sie an der Wahrheit liegt, um so besser ist die Lüge, und die beste Lüge ist die Wahrheit selbst, wenn man sie als Lüge verwenden kann‹, hat er wörtlich gesagt.«

»Eines muß ich noch erwähnen«, sagte Compor. »Indem ich die Anweisung befolgt habe, Trevize bis zu Ihrer Ankunft im Sayshell-Sektor festzuhalten — und zwar um jeden Preis —, mußte ich in meinen Anstrengungen weit genug gehen, um in ihm unverkennbar den Verdacht zu erzeugen, ich stünde unterm Einfluß der Zweiten Foundation.«

Gendibal nickte. »Ich glaube, das war unter den gegebenen Umständen unvermeidbar. Seine Monomanie in dieser Frage würde ohnehin genügen, um ihn überall die Zweite Foundation wittern zu lassen, ob sie nun da ist oder nicht. Wir müssen seine Haltung ganz einfach berücksichtigen.«

»Sprecher, wenn es absolut notwendig ist, daß Trevize bleibt, wo er ist, bis Sie eintreffen, könnten wir die Dinge beschleunigen und vereinfachen, wenn ich Ihnen entgegenfliege, Sie an Bord meines Raumschiffs nehme und Sie nach Sayshell bringe. Das würde keinen Tag…«

»Nein, Observator«, erwiderte Gendibal scharf, »Sie werden nichts dergleichen tun. Die Leute auf Terminus wissen, wo Sie sind. Sie haben an Bord Ihres Raumers eine Hypersonde, die sich nicht demontieren läßt, richtig?«

»Ja, Sprecher.«

»Und wenn man auf Terminus weiß, daß Sie auf Sayshell gelandet sind, dann weiß auch Terminus’ Botschafter auf Sayshell darüber Bescheid — und damit weiß der Botschafter auch, daß sich Trevize auf Sayshell befindet. Die Hypersonde würde den Leuten auf Terminus verraten, daß sie einen gewissen Punkt in einigen hundert Parsek Entfernung angeflogen haben und zurückgekehrt sind, während der Botschafter nach Terminus durchgäbe, daß Trevize im Sayshell-Sektor geblieben ist. Welche Schlußfolgerungen könnte man auf Terminus daraus ziehen? Nach allem, was bekannt ist, handelt’s sich bei Terminus’ Bürgermeisterin um eine scharfsinnige Frau, und am allerwenigsten möchte ich sie durch irgendwelche rätselhaften Vorgänge so in Aufregung versetzen, daß sie womöglich ein Geschwader ihrer Flotte schickt. Die Wahrscheinlichkeit für so etwas ist unerfreulich hoch.«

»Bei allem Respekt, Sprecher«, meinte Compor, »welchen Grund hätten wir, uns vor einem Flottenverband zu fürchten, wenn wir seinen Kommandanten unter unsere Kontrolle bringen können?«

»Wie wenig wir auch Grund haben müßten, wir besitzen noch weniger Grund zur Beunruhigung, solange keine Flotte hier ist. Bleiben Sie, wo Sie sind, Observator! Sobald ich ankomme, werde ich Sie an Bord ihres Raumschiffs aufsuchen, und dann…«

»Und dann, Sprecher?«

»Na, dann übernehme ich alles weitere.«

49

Nachdem er den Mentalkontakt unterbrochen hatte, saß Gendibal noch lange ruhig an seinem Platz und dachte nach.

Während des langen Flugs nach Sayshell — unvermeidlich lang in diesem Raumschiff, das sich mit der technischen Fortschrittlichkeit der Produkte der Ersten Foundation nicht messen konnte —, hatte er noch einmal jeden einzelnen der vielen Berichte über Trevize zu Rate gezogen. Sie erstreckten sich über nahezu ein Jahrzehnt.

Insgesamt und zudem im Licht der jüngsten Ereignisse betrachtet, war nicht länger irgendein Zweifel daran möglich, daß Trevize einen hervorragenden Rekruten für die Zweite Foundation abgegeben hätte, wäre es nicht seit Palvers Zeiten ein Prinzip gewesen, alle Terminus-Geborenen von der Rekrutierung auszunehmen.

Man konnte nicht sagen, wie viele Rekruten von höchster Tauglichkeit der Zweiten Foundation im Laufe der Jahrhunderte entgangen waren. Es gab keine Möglichkeit, jeden einzelnen der Quadrillionen von Menschen, die die Galaxis bevölkerten, auf seine Eignung zu überprüfen. Doch wahrscheinlich hätte keiner davon vielversprechender sein können als Trevize, und bestimmt ließ sich keiner an einer wichtigeren Stelle ausfindig machen.

Andeutungsweise schüttelte Gendibal den Kopf. Trevize hätte keinesfalls unbeachtet bleiben dürfen, Terminus-Geborener oder nicht. Und man mußte es Observator Compor hoch anrechnen, daß er Trevize, obwohl durch die Jahre seine ursprünglichen Anlagen bereits entstellt waren, bemerkt hatte.

Heute war Trevize natürlich nicht mehr zu gebrauchen. Er war schon zu alt für die erforderlichen Anpassungen, aber es stand ihm noch diese angeborene Intuition zur Verfügung, diese Fähigkeit, auf der Grundlage völlig unzureichender Informationen zu einer richtigen Entscheidung zu gelangen, und dazu etwas… irgend etwas…

Der alte Shandess — immerhin Erster Sprecher und in dieser Funktion, wenngleich sein Zenit nun überschritten war, allzeit bewährt — sah da irgend etwas in diesem Trevize, sogar ohne genaue Kenntnis der angesammelten Daten, ohne zu wissen, welche Überlegungen Gendibal im Verlauf des Fluges angestellt hatte. Trevize, so lautete Shandess’ Meinung, war in dieser Krise die Schlüsselperson.

Warum hielt Trevize sich im Sayshell-Sektor auf? Welche Pläne verfolgte er? Was tat er?

Und er durfte nicht angetastet werden! Dessen war sich Gendibal völlig sicher. Bis sie ganz genau wußten, welche Rolle Trevize einnahm, wäre es total falsch gewesen, ihn irgendwie zu beeinflussen. Solange die Anti-Füchse — wer sie auch waren, was sie auch sein mochten — in diesem Spiel mitmischten, konnte jeder falsche Schritt bezüglich Trevizes — vor allem in bezug auf Trevize — völlig unerwartet vor ihrer Nase eine Nova explodieren lassen.

Er merkte, daß in seiner mentalen Nähe ein anderes Bewußtsein schwebte, und er wies es gedankenverloren ab, so wie er vielleicht mit der Hand eines der lästigeren Insekten auf Trantor verscheucht hätte — nur tat er es nicht mit der Hand, sondern mit seinen mentalen Kräften. Augenblicklich spürte er eine Aufwallung von Fremdschmerz und schaute auf.

Sura Novi hatte eine Hand an ihre gefurchte Stirn gehoben. »Verzeihung, Meister. Habe ganz plötzlich Kopfweh.«

Gendibal empfand sofort Zerknirschung. »Entschuldigen Sie, Novi, ich habe nicht richtig nachgedacht… — oder vielmehr, ich habe zu intensiv nachgedacht.« Im Handumdrehen und sehr behutsam bügelte er ihre beeinträchtigten mentalen Stränge aus.

Unversehens lächelte Novi erfreut. »Ganz plötzlich is es weg. Deine freundliche Stimme, Meister, is auf mich wie ’n Wunder.«

»Fein«, sagte Gendibal. »Stimmt irgend was nicht? Weshalb bist du hier?« Er sah davon ab, genauer in ihr Bewußtsein Einblick zu nehmen, um Details zu erfahren, selbst den Grund ihrer Anwesenheit festzustellen. Immer deutlicher verspürte er Widerwillen dagegen, in ihre Privatsphäre vorzudringen.

Novi zögerte, beugte sich dann ein wenig vor. »Ich machte mir Sorgen. Du hast ins Nix gestarrt, Meister, Geräusche gemacht, und dein Gesicht hat gezuckt. Ich bin hier stehengeblieben, steif vor Schreck, ich hab gefierchtet, dir geht’s nich gut… du bist krank… und ich weiß nich, was tun.«

»Das war nichts weiter, Novi. Es besteht kein Anlaß zur Furcht.« Er tätschelte ihr die Hand. »Da gibt’s nichts zum Fürchten. Verstehen Sie mich?«

Furcht — so wie jede andere starke Emotion — verzerrten und beeinträchtigten die Symmetrie ihres Geistes in gewissem Umfang. Er zog einen Zustand der Ruhe, Friedlichkeit und Zufriedenheit darin vor, mochte ihn aber ungern durch eine äußere Einflußnahme seinerseits hervorrufen. Die vorhin geschehene Adjustierung hatte sie als Resultat seiner Worte empfunden, und irgendwie hielt er es für empfehlenswerter, daß es so blieb.

»Novi«, erkundigte er sich, »wieso nenne ich Sie eigentlich nicht Sura?«

In unvermutetem Kummer sah sie ihn an. »Oh, Meister, tu’s nich!«

»Aber Rufirant hat’s an dem Tag getan, als wir uns kennengelernt haben. Ich kenne Sie inzwischen doch gut genug, so daß…«

»Ich weiß, er hat’s getan, Meister. Das ist, wie ein Mann zu ei’m Mädchen spricht, das kein Mann hat, kein Verlobten, das… allein is. Dann sagt man Vornamen. Fier mich ist mehr Ehre drin, wenn du ›Novi‹ sagst, und ich bin stolz, daß du’s machst. Und wenn ich auch jetzt kein Mann hab, ich hab’n Meister, und das find ich gut. Ich hoff, ’s stört dich nich, ›Novi‹ zu sagen…?«

»Nein, überhaupt nicht, Novi.«

Daraufhin glättete sich ihr Gemüt wunderschön, und Gendibal war erfreut. Viel zu erfreut. Durfte er sich über so etwas dermaßen freuen?

Mit gelinder Scham erinnerte er sich daran, daß es hieß, der Fuchs sei auf ähnliche Art und Weise von einer Frau der Ersten Foundation beeindruckt worden, Bayta Darell, und zwar zu seinem letztendlich verhängnisvollen Schaden.

Dieser Fall jedoch lag natürlich anders. Die Hamerin war sein Schutz gegen die Einwirkungen fremden Bewußtseins, und er wollte, daß sie diesem Zweck möglichst effizient diente.

Nein, das war nicht wahr. Seine Funktion als Sprecher würde leiden, wenn er aufhörte, den eigenen Verstand zu begreifen, oder gar — noch schlimmer — sich diese und jene Dinge zurechtlegte, um die Augen vor der Wahrheit zu verschließen. Die Wahrheit lautete, es bereitete ihm Vergnügen, sie innerlich ruhig, friedlich und zufrieden zu sehen — ohne daß er sie manipuliert hätte —, und er hatte daran sein Vergnügen, weil ganz einfach sie ihm Freude machte; und daran war (dachte er trotzig) nichts schlecht.

»Setzen Sie sich, Novi«, sagte er.

Sie gehorchte, setzte sich zimperlich auf die äußerste Stuhlkante, so weit von ihm entfernt, wie die Grenzen der Räumlichkeit es erlaubten. Ihr Geist war von Respekt erfüllt.

»Ich habe mich nach Art von uns Forschern über weite Ferne hinweg mit jemandem unterhalten, Novi«, erklärte er.

Sura Novi senkte ihren Blick. »Ich hab kapiert, Meister«, sagte sie traurig, »daß Forscher viel können, was ich nich versteh und mich nich mal vorstellen kann. Es sind schwierig Sachen und zu gewaltig fier mich. Ich schäm mich jetzt, weil ich gekommen bin, um Forscher zu werden. Wie is es, Meister, lachst du nich ieber mich?«

»Es ist keine Schande«, erwiderte Gendibal, »sich etwas zu wünschen, auch wenn man es nie erreichen kann. Sie sind nicht mehr jung und formbar genug, um noch eine Forscherin mit den Fähigkeiten werden zu können, über die ich verfüge, aber man ist nie zu alt, um noch etwas zu lernen, das man nicht weiß, mehr zu lernen, als man bereits kann. Ich werde Ihnen einiges über dies Raumschiff beibringen. Wenn wir an unserem Ziel ankommen, werden Sie sich ziemlich gut damit auskennen.«

Er freute sich insgeheim. Warum auch nicht? Er machte wohlüberlegt Schluß mit den stereotypen Vorstellungen von den Hamer. Welches Recht besaß eine so heterogene Gruppierung wie die Zweite Foundation überhaupt, sich derartig stereotypes Zeug zurechtzubasteln? Der Nachwuchs, der aus ihren Reihen hervorging, eignete sich nur selten, selbst Zweitfoundationisten von hohem Rang zu werden. Die Kinder von Sprechern qualifizierten sich fast nie zu Sprechern. Vor drei Jahrhunderten hatte es die drei Generationen aus der Familie Linguester gegeben, gewiß, aber nie war ganz der Verdacht ausgeräumt worden, daß der mittlere dieser drei Sprecher eigentlich nicht zur Familie gehört habe. Und wenn so etwas wahr sein sollte, wer waren die Leute der Universität dann, um sich selbst auf ein so hohes Podest zu stellen?

Er sah Sura Novis Augen leuchten und freute sich darüber.

»Ich werd mich schwer anstrengen, daß ich alles lern, was du mich lernst, Meister«, versicherte sie.

»Davon bin ich überzeugt«, antwortete er — und stutzte plötzlich. Ihm fiel auf, daß er während der Unterhaltung mit Compor in keiner Weise angedeutet hatte, daß er nicht allein kam. Compor ahnte nichts von einer Begleiterin.

Mit einer Frau konnte man vielleicht rechnen; zumindest würde Compor ohne Zweifel keinerlei Überraschung zeigen. Aber mit einer Hamerin?

Einen Moment lang gewannen die von Gendibal abgelehnten ›stereotypen Vorstellungen‹ die Oberhand, und er war froh, daß Compor noch nie auf Trantor gewesen war und Novi deshalb nicht als Hamerin erkennen konnte.

Er streifte diese Anwandlung entschieden ab. Was bedeutete es schon, ob Compor dergleichen wußte oder nicht — oder sonst irgend jemand? Gendibal war ein Sprecher der Zweiten Foundation, und innerhalb der Schranken, die der Seldon-Plan zog, durfte er tun und lassen, was ihm paßte, und niemand hatte sich einzumischen.

»Meister«, fragte Sura Novi, »wenn wir am Ziel sind, werden wir uns da trennen?«

Er sah sie an. »Wir werden uns nicht trennen, Novi«, antwortete er mit mehr Nachdruck, als er vielleicht selbst beabsichtigt hatte.

Und die Hamerin lächelte scheu, und in diesem Augenblick — bei der Galaxis! — wirkte sie wie… wie jede andere Frau.

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