Neuntes Kapitel Hyperraum

31

»Sind Sie bereit, Janov?« fragte Trevize.

Pelorat schaute aus dem Buch auf, in dem er las. »Sie meinen, für den Sprung, mein Bester?« vergewisserte er sich.

»Für den Hyperraumsprung, ja.«

Pelorat schluckte. »Ich bin mir nicht sicher, ob mir nicht doch ziemlich mulmig zumute ist. Ich weiß, es ist dumm von mir, beunruhigt zu sein, aber die Vorstellung, in körperlose Tachyonen verwandelt zu werden, die noch nie jemand gesehen oder gemessen hat, ist mir…«

»Hören Sie auf, Janov, es kann gar nichts schiefgehen. Mein Wort drauf! Der Hypersprung ist seit zwanzigtausend Jahren gebräuchlich, und ich habe nie von einem Unfall im Hyperraum gehört. Man kann den Hyperraum in einer gefährlichen Gegend verlassen, ja, richtig, aber dann ereignet sich ein eventuelles Unglück im Normalraum, nicht während wir aus Tachyonen bestehen.«

»Ein schwacher Trost, finde ich.«

»Wir werden keinen Fehlsprung machen. Um ehrlich zu sein, ich habe daran gedacht, den Sprung durchzuführen, ohne Ihnen überhaupt etwas zu sagen, so daß Sie nichts gemerkt hätten. Aber ich hatte das Gefühl, es sei besser, Sie erleben’s bewußt mit, damit Sie sehen, daß dieser Vorgang völlig unproblematisch ist, und in Zukunft gar nicht weiter darauf achten.«

»Naja…«, meinte Pelorat voller Zweifel. »Vermutlich haben Sie recht, aber ehrlich gesagt, ich hab’s nicht eilig.«

»Ich versichere Ihnen…«

»Nein, nein, mein Bester. Ich nehme Ihnen alle Ihre Versicherungen vorbehaltlos ab. Bloß, ich… Haben Sie jemals ›Santerestil Matt‹ gelesen?«

»Natürlich. Ich bin nicht völlig ungebildet.«

»Sicherlich. Sicherlich. Ich hätte nicht fragen sollen. Erinnern Sie sich noch daran?«

»Ich leide auch nicht an Gedächtnisschwäche.«

»Anscheinend habe ich wirklich ein Talent zum Anecken. Alles, was ich sagen wollte, ist eigentlich nur, ich muß immer wieder an die Szenen denken, als Santerestil und sein Freund Ban gerade vom Planeten 17 entkommen sind und sich im Weltraum verirrt haben. Ich meine, ich denke an diese nahezu hypnotisch faszinierenden Szenen zwischen den Sternen, wie sie in tiefem Schweigen träge dahinschweben, inmitten von Unveränderlichkeit, mitten in… Wissen Sie, ich hab’s nie richtig geglaubt. Es hat mir gefallen, ich war davon gerührt, aber geglaubt habe ich’s nicht. Aber jetzt, nachdem ich mich daran gewöhnt habe, im Weltraum zu sein, das alles selbst erlebe und… Sehen Sie, es ist albern von mir, aber… am liebsten hätte ich’s nie wieder anders. Mir ist, als wäre ich Santerestil…«

»Und ich Ban«, sagte Trevize mit andeutungsweiser Ungeduld.

»Gewissermaßen, ja. Die paar verstreuten, schwachen Sterne da draußen bleiben bewegungslos, ausgenommen unsere Sonne, natürlich, die zurückfällt, schrumpft, aber wir können davon nichts sehen. Die Galaxis bewahrt unverändert ihren trüben majestätischen Glanz. Der Weltraum ist still, und ich habe keinerlei Zerstreuung…«

»Außer mir.«

»Außer Ihnen. Aber mit Ihnen über die Erde zu plaudern, Golan, Ihnen ein bißchen prähistorische Geschichte zu vermitteln, das ist mir auch eine Art von Vergnügen, mein Bester. Auch das möchte ich nicht so bald wieder vermissen.«

»Dazu wird’s auch nicht kommen. Jedenfalls nicht bald. Sie nehmen doch wohl nicht an, wir führen den Sprung durch und landen sofort auf der Oberfläche eines Planeten, oder? Der Hypersprung beansprucht zwar keine meßbare Zeitspanne, aber wir werden uns danach noch immer im All befinden. Es kann noch gut eine Woche dauern, bis wir tatsächlich landen, also bleiben Sie ganz locker.«

»Sie meinen doch nicht, auf Gaia landen? Nach dem Hypersprung werden wir kaum irgendwo in der Nähe von Gaia sein.«

»Das weiß ich, Janov, aber wir werden im richtigen Sektor angelangt sein, falls Ihre Informationen stimmen. Falls nicht, tja, dann…«

Mißmutig schüttelte Pelorat den Kopf. »Was soll’s uns helfen, im richtigen Sektor zu sein, solange wir Gaias Koordinaten nicht kennen?«

»Janov, stellen Sie sich mal vor, Sie sind auf Terminus«, sagte Trevize, »und möchten nach Argyropol, wissen aber nicht mehr, als daß diese Ortschaft sich irgendwo an der Landenge befindet. Sobald Sie an der Landenge sind, was würden Sie dann tun?«

Vorsichtig zögerte Pelorat, anscheinend aufgrund der Auffassung, von ihm werde eine unerhört kluge Antwort erwartet. Doch schließlich gab er auf. »Ich glaube«, sagte er, »ich würde ganz einfach irgend jemand fragen.«

»Genau! Was denn sonst? Also, sind Sie bereit?«

»Sie meinen, jetzt?« Pelorat raffte sich hoch, seine gewöhnlich gelassen-ausdruckslosen Gesichtszüge nahmen einen Ausdruck von Besorgnis an, soweit sie es vermochten. »Was soll ich denn machen? Sitzen? Stehen? Oder was?«

»Raum und Zeit, Pelorat, Sie sollen überhaupt nichts tun. Kommen Sie mit in meine Kabine, damit ich mich an den Computer setzen kann, und Sie können sich hinsetzen, Sie dürfen auch stehen, von mir aus können Sie auch Rad schlagen — tun Sie, wobei Sie sich am wohlsten fühlen. Ich schlage vor, Sie nehmen vorm Bildschirm Platz und schauen zu. Es wird sicher interessant. Kommen Sie!«

Sie durchquerten den kurzen Korridor zu Trevizes Kabine, und er setzte sich an den Computer. »Möchten Sie’s lieber selbst machen, Janov?« fragte er unvermittelt. »Ich nenne Ihnen die erforderlichen Angaben, und Sie brauchen nur daran zu denken. Den Rest erledigt der Computer.«

»Nein, danke«, sagte Pelorat. »Irgendwie arbeitet der Computer mit mir weniger gut. Ich weiß, Sie meinen, ich bräuchte nur Übung, aber ich glaub’s nicht. An Ihrem Verstand ist irgendwas, Golan…«

»Seien Sie nicht albern!«

»Doch, doch. Dieser Computer kommt mir vor, als sei er genau für Sie bestimmt. Wenn Sie mit ihm in Kontakt stehen, scheinen Sie und er ein einziger Organismus zu sein. Wenn ich mit ihm Kontakt habe, sind wir zwei — Janov Pelorat und ein Computer. Mit uns ist’s ganz einfach nicht das gleiche.«

»Das ist doch lächerlich«, sagte Trevize, aber im geheimen bereitete ihm dieser Gedanke ein vages Vergnügen, und er streichelte die Handauflageflächen des Computers nahezu liebevoll mit den Fingerspitzen.

»Deshalb sehe ich jedenfalls lieber bloß zu«, sagte Pelorat. »Ich meine, am allerliebsten wär’s mir, ich müßte so was gar nicht auf mich nehmen, aber da’s nun mal sein muß, beschränke ich mich lieber aufs Zuschauen.« Er richtete seinen Blick beunruhigt auf den Bildschirm, das nebelhafte Bild der Galaxis und die dünngesäten, schwachen Sternchen im Vordergrund. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn’s unmittelbar bevorsteht.« Langsam wich er an die Wand zurück, als mache er sich auf das Schlimmste gefaßt.

Trevize lächelte. Er legte seine Hände auf die dafür bestimmten Flächen und fühlte augenblicklich das Zustandekommen der mentalen Vereinigung. Mit jedem Tag fiel es leichter, sie herzustellen, und ebenso geriet sie mit jedem Tag inniger, und wie er auch über Pelorats Äußerungen spotten mochte — er selbst spürte, daß es sich so verhielt. Allem Anschein nach brauchte er kaum wirklich bewußt an gewünschte Koordinaten zu denken. Der Computer wußte, wie es den Anschein hatte, auch ohne den bewußten Prozeß des ›Mitteilens‹ genau, was er wollte. Er entnahm Gendibals Gehirn automatisch die erforderlichen Informationen.

Trotzdem gab Gendibal ihm die entsprechenden ›Anweisungen‹, dann ersuchte er um einen Countdown von zwei Minuten bis zum tatsächlichen Hypersprung.

»Alles klar, Janov. In zwei Minuten. Sie können mitzählen. Hundertzwanzig… Hundertfünfzehn… Hundertzehn… Beobachten Sie nur den Bildschirm!«

Pelorat tat es, die Mundwinkel leicht verzerrt, den Atem nahezu angehalten.

»Fünfzehn«, sagte Trevize leise. »Zehn… Fünf… vier… drei… zwei… eins… null.«

Ohne wahrnehmbare Bewegung, ohne irgendein spürbares Gefühl, veränderte sich schlagartig der vom Bildschirm gebotene Anblick. Die Galaxis war verschwunden, aber im Weltraum ringsum ließen sich mehr Sterne erkennen.

Pelorat zuckte zusammen. »War’s das?« fragte er nach.

»Ob’s das war? Ja! Sie haben einen Hypersprung vollzogen, und Sie sind selber schuld. Sie haben nichts gespürt. Geben Sie’s zu!«

»Ich geb’s zu.«

»Dann war’s das also. Ganz früher, als die Hyperraumfahrt noch relativ neu war, da sind — jedenfalls den Berichten zufolge — komische innere Empfindungen aufgetreten, manche Leute haben Übelkeit oder Benommenheit verspürt. Aber mit wachsenden Erfahrungen in der Hyperraumfahrt und besseren Instrumenten und Maschinen sind diese Erscheinungen im Laufe der Zeit ausgeblieben. Mit einem Computer wie unserem an Bord eines Raumers bleiben solche Effekte unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Ich jedenfalls find’s genauso und nicht anders.«

»Ich auch, Golan, ich geb’s zu. Wo sind wir jetzt?«

»Eine Etappe weiter. In der Kalgan-Region. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, und ehe wir ihn fortsetzen, müssen wir die Zielstimmigkeit unseres Sprungs nachprüfen.«

»Was mich beschäftigt, wo ist die Galaxis?«

»Rings um uns herum, Janov. Wir befinden uns ein schönes Stück weit in ihrem Innern. Wenn wir den Bildschirm entsprechend einstellen, können wir die entfernteren Bereiche als leuchtendes Band quer durch unser Sichtfeld sehen.«

»Die Milchstraße«, rief Pelorat freudig erregt. »Fast jede Welt beschreibt sie, wie sie am dortigen Himmel steht, aber von Terminus aus kann man sie nicht erkennen. Zeigen Sie sie mir, mein Bester!«

Das Schirmbild geriet in Bewegung, als verschwämmen die Sterne, dann sah man einen länglich-dicklichen, perlfarbenen Glanz, der die Bildfläche fast ganz ausfüllte. Die Außenübertragung folgte dem Verlauf des Leuchtstreifens, bis er sich verdünnte, dann wieder anschwoll.

»In der Richtung zum Zentrum der Galaxis ist die Milchstraße dicker«, sagte Trevize. »Nicht so dicht und dick und hell, wie man erwarten könnte, wegen der Dunkelwolken in den Spiralarmen. Ähnlich kann man sie von den meisten bewohnten Welten aus sehen.«

»Und auch von der Erde aus.«

»Das ist kein Unterscheidungsmerkmal. Das kann nicht als identifizierende Eigenschaft herhalten.«

»Natürlich nicht. Aber wissen Sie… Sie haben keine Wissenschaftsgeschichte studiert, oder?«

»An sich nicht, aber natürlich habe ich das eine oder andere mitbekommen. Sollten Sie mir allerdings Fragen stellen wollen, erwarten Sie nicht, in mir einen Experten zu finden.«

»Es geht nur darum, durch diesen Sprung ist mir wieder was eingefallen, was mir schon immer Rätsel aufgegeben hat. Man kann ein Modell des Universums erarbeiten, in dem die Hyperraumfahrt unmöglich ist, in dem die Geschwindigkeit, mit dem Licht sich durch ein Vakuum bewegt, das absolute Maximum ist, was Geschwindigkeit betrifft.«

»Sicherlich.«

»Unter den erwähnten Umständen ist die Geometrie des Universums so beschaffen, daß es unmöglich wäre, die Entfernung, die wir vorhin überwunden haben, in kürzerer Zeit zurückzulegen, als ein Lichtstrahl dafür braucht. Und falls wir uns mit Lichtgeschwindigkeit bewegt hätten, wäre unsere Zeiterfahrung vom allgemeinen Zeitverlauf im Universum abweichend. Sagen wir mal, diese Gegend hier ist von Terminus vierzig Parsek entfernt, und wir hätten die Strecke mit Lichtgeschwindigkeit zurückgelegt, dann wäre uns selbst kein Bruch im Zeitverlauf aufgefallen — auf Terminus und in der ganzen übrigen Galaxis wären dagegen ungefähr hundertdreißig Jahre verstrichen. Wir sind aber nicht mit Lichtgeschwindigkeit gereist, sondern tausendmal so schnell, und daher ist kein Zeitüberhang entstanden. Ich hoff’s jedenfalls.«

»Erwarten Sie bloß nicht von mir«, sagte Trevize, »daß ich Ihnen jetzt die gesamte Mathematik der Olanjen-Hyperraumtheorie erläutere. Ich kann dazu nur sagen, wären Sie mit Lichtgeschwindigkeit durch den Normalraum geflogen, hätte sich pro Parsek eine Zeitverschiebung von 3,26 Jahren ergeben, wie von Ihnen erwähnt. Das sogenannte relativistische Universum, das von der Menschheit erkannt worden war, so weit wir in der Geschichte zurückgehen — aber ich glaube, das ist eher Ihr Fachgebiet —, besitzt unverändert seine Gültigkeit, seine Gesetzmäßigkeiten gelten nach wie vor. Beim Hypersprung tun wir jedoch etwas, das außerhalb der Bedingungen steht, unter denen die Relativität zum Zuge kommt, und es sind andere Gesetzmäßigkeiten zu beachten. Hyperräumlich betrachtet, ist die Galaxis mir ein winziges Objekt — im Idealfall ein nulldimensionaler Fleck ohne alle relativistischen Effekte. In den mathematischen Formeln der Kosmologie gibt es tatsächlich zwei Symbole für die Galaxis: Gr für ›relativistische Galaxis‹, in der die Lichtgeschwindigkeit die Maximalgeschwindigkeit ist, und Gh für ›hyperräumliche Galaxis‹, in der Geschwindigkeit keine reale Bedeutung hat. Hyperräumlich gesehen ist der Wert jeder Geschwindigkeit gleich Null, und wir bewegen uns nicht. Nimmt man dagegen Bezug auf den Normalraum, ist die Geschwindigkeit unbegrenzt. Ich glaube, besser kann ich’s auch nicht erklären. Oh, aber ich könnte vielleicht erwähnen, daß eine der schönsten Fallen in der theoretischen Physik daraus besteht, ein Symbol oder einen Wert, der in Gr Bedeutung hat, in eine Gleichung mit Gh einzubauen, oder umgekehrt, und dann einen Studenten sehen zu lassen, wie er damit fertig wird. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr groß, daß der Student in die Falle geht und im allgemeinen auch darin bleibt, schwitzt und stöhnt, während nichts klappt, bis irgendein mitleidiger Mensch, der sich besser auskennt, ihm hilft. Ich weiß noch, einmal wäre ich selber fast auf so was hereingefallen.«

Pelorat dachte für ein Weilchen ernst darüber nach. »Aber welche«, fragte er dann auf einigermaßen perplexe Art, »ist die tatsächliche Galaxis?«

»Beide sind real, je nachdem, was man gerade macht. Auf Terminus kann man mit einem Fahrzeug eine Strecke auf dem Land zurücklegen, man kann aber auch ein Schiff auf dem Wasser benutzen. Die Bedingungen sind jedesmal unterschiedlich, also könnte man fragen, was ist Terminus wirklich, Land oder Wasser?«

Pelorat nickte. »Analogien sind immer riskant«, sagte er, »aber ich finde mich lieber mit diesem Vergleich ab, als weiter über den Hyperraum nachzudenken und womöglich meine geistige Gesundheit zu gefährden. Ich werde mich auf das konzentrieren, was wir gerade tun.«

»Betrachten Sie das, was wir eben getan haben«, sagte Trevize, »als unsere erste Etappe auf dem Weg zur Erde.«

Und ich wüßte gerne, dachte er bei sich, zu was außerdem alles.

32

»Tja«, sagte Trevize, »ich habe wahrhaftig einen Tag verschenkt.«

»Ach?« Pelorat blickte von seiner sorgfältigen Indexerstellung auf. »In welcher Beziehung?«

Trevize breitete die Arme aus. »Ich habe dem Computer zuwenig Vertrauen entgegengebracht. Ich wollte mich doch nicht voll auf ihn verlassen, also habe ich nun unsere gegenwärtige Position mit den Zielkoordinaten vor dem Hypersprung verglichen. Es ist keine Differenz meßbar. Es gibt keine feststellbare Abweichung.«

»Das ist doch gut, oder nicht?«

»Mehr als gut. Das ist unglaublich. Von so was habe ich noch nie gehört. Ich habe schon Hypersprünge aller Art und mit allen möglichen technischen Hilfsmitteln gemacht, selbst berechnet und durchgeführt. Während der Ausbildung mußte ich einmal einen Sprung mit dem Taschenrechner vorbereiten und eine Hypersonde losschicken, um das Resultat zu überprüfen. Versteht sich, daß ich kein richtiges Raumschiff schicken konnte, denn von den Kosten abgesehen, wäre es denkbar gewesen, daß ich einen Zielpunkt mitten in einem Stern ausrechne. Solche Fehlschläge sind mir natürlich nie unterlaufen, aber immer sind deutliche Fehler aufgetreten. Sogar die besten Experten arbeiten ständig mit gewissen Fehlern. Es geht gar nicht anders, weil so viele Variablen vorhanden sind. Drücken wir’s mal so aus: Die Geometrie des Raums ist zu kompliziert zu handhaben, und der Hyperraum erweitert alle gegebenen Schwierigkeiten um die Komplexität seiner eigenen Natur, die zu verstehen wir beileibe nicht von uns behaupten können. Daher erfolgt die Hyperraumfahrt stets in mehreren Etappen, deshalb haben wir nicht einen einzigen Riesensprung in den Sayshell-Sektor gemacht. Mit der Entfernung nimmt die Fehlerhaftigkeit zu.«

»Aber Sie sagten ja«, meinte Pelorat, »dieser Computer begeht keine Fehler.«

»Er behauptet, keine Fehler begangen zu haben. Ich habe ihn angewiesen, unsere jetzige Position mit der vorausberechneten Position zu vergleichen, die erreichte Position mit der Zielvorstellung. Er hat die Auskunft gegeben, beide seien im Rahmen seiner Meßwerte identisch, und da dachte ich mir: Wenn er nun lügt?«

Bis zu diesem Moment hatte Pelorat seinen Printer in der Hand gehalten. Nun legte er ihn mit betroffener Miene beiseite. »Soll das ein Witz sein? Ein Computer lügt nicht. Es sei denn, Sie meinen, er ist defekt.«

»Nein, das war’s eben nicht, was ich gedacht habe. Raum und Zeit! Ich habe wirklich gedacht, er lügt. Dieser Computer ist ein so fortgeschrittener Typ, ich kann nicht anders als wie von einem Menschen von ihm denken… vielleicht einem Übermenschen. Menschlich genug, um seinen Stolz zu haben, unter Umständen auch zu lügen. Ich habe ihm die Anweisung gegeben, einen Hyperflug bis zu einer Position im Bereich des Planeten Sayshell zu konzipieren, der Hauptwelt der Sayshell-Union. Das hat er getan, und zwar hat er einen Kurs in neunundzwanzig Etappen festgelegt, und so was ist schlichtweg Arroganz der schlimmsten Sorte.«

»Wieso Arroganz?«

»Der Fehler im ersten Sprung vermindert die Zielgenauigkeit des zweiten Sprungs, der doppelte Fehler macht den dritten Sprung bereits reichlich unverläßlich, und so weiter. Wie soll man da neunundzwanzig Sprünge auf einmal vorausberechnen können? Der neunundzwanzigste Sprung könnte überall in der Galaxis enden, oder irgendwo. Deshalb hat meine Anweisung so gelautet, nur den ersten Sprung auszuführen, damit sich, ehe wir weitere Hypersprünge vornehmen, die Position prüfen läßt.«

»Ein vorsichtiges Herangehen«, konstatierte Pelorat erfreut. »Ganz nach meinem Geschmack.«

»Ja, aber ich habe mir überlegt, könnte der Computer nach dem ersten Sprung nicht beleidigt gewesen sein, weil ich mißtrauisch war? Wäre er vielleicht fähig gewesen, auf seinen Stolz zu pochen und mir mitzuteilen, es sei überhaupt kein Fehler aufgetreten, als ich danach gefragt habe? Hätte er es nicht als unerträglich empfinden können, einen Fehler und damit Nichtperfektsein einzugestehen? In dem Falle wären wir so gut dran wie ohne Computer.«

Pelorats langes, freundliches Gesicht nahm einen trübseligen Ausdruck an. »Was kann man da machen, Golan?«

»Man kann machen, was ich getan habe — einen vollen Tag verschwenden. Ich habe die Positionsdaten einiger näherer Sterne anhand der primitivsten Methoden ausgerechnet — Teleskopbeobachtung, Photographie, manuelles Messen. Jede tatsächliche Position habe ich mit der verglichen, wie sie bei völlig fehlerfreiem Hypersprung hätte sein müssen. Die Arbeit hat mich einen ganzen Tag gekostet und absolut nichts eingebracht.«

»Ja, aber was ist denn dabei herausgekommen?«

»Zwei kolossale Fehler habe ich gefunden, aber beim Nachprüfen festgestellt, daß sie in meinen eigenen Berechnungen staken. Ich selbst hatte die Fehler gemacht. Dann habe ich die Berechnungen berichtigt und durch den Computer gehen lassen, von Grund auf, um zu sehen, ob dabei auf unabhängiger Basis das gleiche herauskäme. Übersieht man mal, daß der Computer auf einige Dezimalstellen mehr gekommen ist, waren meine Berechnungen richtig — und sie haben bewiesen, daß der Computer keine Fehler begeht. Der Computer mag ein arroganter Sohn des Fuchses sein, aber zumindest kann er auch Leistungen vorweisen, auf die er sich was einbilden darf.«

Pelorat atmete gedehnt aus. »Na, das ist doch alles wunderbar.«

»Ja, das kann man wohl sagen. Folglich werde ich dem Computer auch die restlichen achtundzwanzig Etappen überlassen.«

»Alle auf einmal? Aber…«

»Nein, nicht alle auf einmal, keine Sorge. So tollkühn bin ich nun doch noch nicht. Die Sprünge werden einer nach dem anderen vorgenommen, genau wie ursprünglich beabsichtigt, und ich werde trotzdem nach jedem Sprung die Positionsdaten nachprüfen, und wenn sie innerhalb der Toleranzgrenzen liegen, leiten wir den nächsten Sprung ein. Wann immer mir die Abweichung zu groß vorkommt — und ich habe die Grenzen wahrhaftig nicht zu großzügig bemessen, glauben Sie mir —, werden wir einen Zwischenhalt einschieben und alle restlichen Etappen neu durchrechnen.«

»Wann wollen Sie weitermachen?«

»Wann? Na, jetzt. Sofort! Sehen Sie, Sie arbeiten an dem Index für Ihre Bibliothek…«

»Oh, ja, sicher, wissen Sie, das ist eine Gelegenheit, das endlich zu erledigen, Golan, ich hatte es seit Jahren immer vor, aber dauernd kam mir was in die Quere.«

»Ich habe keinerlei Einwände. Befassen Sie sich ruhig weiter damit, machen Sie sich um nichts Gedanken. Konzentrieren Sie sich auf den Index. Ich kümmere mich um alles andere.«

Pelorat schüttelte den Kopf. »Seien Sie nicht albern. Ich kann keine Ruhe finden, bis das alles ausgestanden ist. Ich bin stocksteif vor Grausen.«

»Dann hätte ich Ihnen lieber nichts erzählen sollen — aber mit irgend jemand muß ich ja reden, und Sie sind der einzige weit und breit, der sich anbietet. Lassen Sie mich ganz offen sprechen. Es besteht jederzeit die Möglichkeit, daß wir aus dem Hyperraum, wie perfekt der Sprung auch sein mag, genau an der Stelle rematerialisieren, wo gerade ein Meteor dahinsaust, oder wo sich ein Winzling von einem Schwarzen Loch befindet, und das Raumschiff wird zerstört, wir kommen ums Leben. Theoretisch kann so was durchaus passieren. Aber die Wahrscheinlichkeit ist gering.

Genauso gut könnte man annehmen, Janov, Sie sind daheim, sitzen in Ihrem Arbeitszimmer an Ihren Mikrofilmen, oder Sie liegen in Ihrem Bett und schlafen, und da kommt durch Terminus’ Atmosphäre ein Meteor herabgeschwirrt und trifft Sie auf den Kopf, und Sie sind tot. Diese Wahrscheinlichkeit ist ebenso gering. In der Tat ist die Wahrscheinlichkeit, unmittelbar nach einem Hypersprung mit etwas zu kollidieren, das gefährlich ist und gleichzeitig zu klein, als daß der Computer es orten kann, sogar wesentlich geringer als die, daß ein Meteor ausgerechnet Sie in Ihrem eigenen Haus trifft. Nach meiner Kenntnis ist während der gesamten Geschichte der Hyperraumfahrt niemals ein Raumer durch so etwas verlorengegangen. Und ein andersartiges Risiko, das nämlich, mitten in einem Stern zu materialisieren, ist noch kleiner.«

»Warum erzählen Sie mir dann all das, Golan?« wollte Pelorat wissen.

Trevize schwieg für einen Moment, senkte nachdenklich den Kopf. »Ich weiß es selber nicht«, sagte er dann. »Doch, ich weiß es«, fügte er aber sofort hinzu. »Ich nehme an, es liegt an dem Gedanken, daß nun einmal, wie niedrig die Wahrscheinlichkeit auch sein mag, so eine Katastrophe irgendwann doch geschehen muß, wenn nur genug Leute das Risiko eingehen. Ganz egal, wie sicher ich mir bin, daß nichts passieren wird, in mir gibt’s trotzdem eine hartnäckige Stimme, die sagt: ›Vielleicht passiert’s ausgerechnet diesmal.‹ Und deswegen habe ich ein bißchen ein schlechtes Gewissen. Ich glaube, daran liegt’s. Janov, wenn etwas schiefgehen sollte, bitte verzeihen Sie mir.«

»Aber, Golan, mein Bester, falls etwas schiefgeht, werden wir beide augenblicklich tot sein. Ich wäre nicht dazu imstande, Ihnen zu verzeihen, und Sie könnten sich nicht von mir verzeihen lassen.«

»Das ist mir klar, also verzeihen Sie mir jetzt, ja?«

Pelorat lächelte. »Ich weiß nicht, wieso, aber irgendwie hebt Ihre Idee meine Stimmung. Sie ist auf unerklärliche Weise angenehm humorig. Natürlich würde ich Ihnen verzeihen, Golan. Die Weltliteratur kennt zahllose Mythen über irgendeine Form des Lebens nach dem Tod, und sollte es so was tatsächlich geben — wofür die Wahrscheinlichkeit ungefähr so groß ist wie für eine Kollision mit einem Schwarzen Loch, vermute ich, wenn nicht geringer —, und wir sehen uns im gleichen Zweitleben wieder, dann werde ich bezeugen, daß Sie nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt haben und Ihnen wegen meines Todes kein schuldhaftes Versagen anzulasten ist.«

»Vielen Dank! Nun bin ich echt erleichtert. Ich bin bereit, das Risiko auf mich zu nehmen, aber mir war nicht wohl bei der Vorstellung, daß Sie davon auch betroffen sind.«

Pelorat drückte Trevize die Hand, schüttelte sie. »Wissen Sie, Golan, ich kenne Sie ja noch keine volle Woche, und vermutlich sollte man in solchen Dingen keine voreiligen Urteile fällen, aber ich finde, Sie sind ein unheimlich prächtiger Bursche! Und nun lassen Sie uns die Sache anpacken und hinter uns bringen!«

»So ist’s richtig! Ich brauche bloß noch die Kontaktflächen zu berühren. Der Computer hat seine Anweisungen, er wartet sozusagen nur noch darauf, daß ich sage: Los geht’s! Möchten nicht doch Sie…?«

»Niemals! Das ist ganz allein Ihre Aufgabe. Es ist Ihr Computer.«

»Na gut. Und außerdem habe ich die Verantwortung. Sie sehen, ich versuche noch immer, mich irgendwie zu drücken. Behalten Sie den Bildschirm im Auge!«

Mit bemerkenswert sicheren Händen und völlig aufrichtigem Lächeln in seiner Miene stellte Trevize den Kontakt zum Computer her.

Einen Moment lang geschah nichts, dann veränderte sich das Sichtfeld; danach nochmals, und noch einmal. Die Sterne breiteten sich dichter und heller auf dem Bildschirm aus.

Unterdrückt zählte Pelorat mit. Als er bei fünfzehn angelangt war, trat eine Verzögerung auf, als klemme irgend etwas.

»Was stimmt denn jetzt nicht?« flüsterte Pelorat, anscheinend besorgt, jedes laute Wort könne einem defekten Mechanismus den Rest geben. »Was ist geschehen?«

Trevize zuckte die Achseln. »Ich nehme an, der Computer stellt neue Berechnungen an. Irgendein Objekt im Raum dürfte das universelle Gravitationsfeld erheblich verzerren, ein Objekt, das vorher nicht berücksichtigt werden konnte… vielleicht ein nichtkartographierter Zwergstern oder ein vagabundierender Planet.«

»Gefährlich?«

»Da wir noch leben, ist die Situation nahezu mit Gewißheit ungefährlich. Ein Planet kann hundert Millionen Kilometer entfernt sein und doch genug Schwerkraftverzerrungen verursachen, um neue Berechnungen nötig zu machen. Ein Zwergstern kann zehn Milliarden Kilometer entfernt sein und trotzdem…«

Da veränderte sich das Schirmbild erneut, und Trevize verstummte. Und nochmals. Und wieder.

Zum Schluß, als Pelorat »Achtundzwanzig« gesagt hatte, blieb jede weitere Fortbewegung aus.

Trevize konsultierte den Computer. »Wir sind da«, gab er bekannt.

»Ich habe insgesamt achtundzwanzig Sprünge gezählt. Sie haben gesagt, es sollen neunundzwanzig sein.«

»Die Neuberechnung nach dem fünfzehnten Sprung hat uns einen Sprung erspart. Ich kann den Computer gegenprüfen, wenn Sie’s möchten, aber es ist eigentlich überflüssig. Wir sind im Gebiet des Planeten Sayshell. Der Computer gibt’s an, und ich bezweifle es nicht. Würden wir die Außenübertragung entsprechend ausrichten, könnten wir eine hübsche, helle Sonne sehen, aber es erübrigt sich, die Filterkapazität sinnlosen Belastungsproben zu unterwerfen. Sayshell ist der vierte Planet und von unserer gegenwärtigen Position ungefähr 3,2 Millionen Kilometer entfernt, und dieser Abstand ist so groß, wie man ihn sich beim Abschluß einer Hypersprungfolge wünscht. Wir können Sayshell in drei Tagen erreichen — in zwei, wenn wir uns beeilen.«

Trevize atmete erneut tief durch, streifte einiges von seiner Angespanntheit ab.

»Begreifen Sie überhaupt, was das heißt, Janov?« ergänzte er. »Jedes Raumschiff, auf dem ich jemals war, oder von dem ich je gehört habe, hätte diese Hypersprünge in Abständen von jeweils einem Tag durchgeführt, um Zeit für peinlich genaue Berechnungen und Überprüfungen zu haben, selbst mit Computer. Der Flug hätte unter solchen Umständen fast einen Monat gedauert. Oder vielleicht zwei bis drei Wochen, wenn man nicht allzu vorsichtig gewesen wäre. Wir haben eine halbe Stunde gebraucht. Wenn erst einmal alle Raumer mit so einem Computer ausgestattet sind…«

»Ich frage mich«, sagte Pelorat, »warum die Bürgermeisterin uns ein dermaßen modernes Schiff zugestanden hat. Es muß unglaublich kostspielig gewesen sein.«

»Es ist ein Experiment, denke ich mir«, entgegnete Trevize mit trockenem Humor. »Vielleicht war die gute Frau vollauf bereit, es von uns erproben und auf diese Weise die Mängel ermitteln zu lassen.«

»Ist das Ihr Ernst?«

»Werden Sie nicht nervös. Jedenfalls besteht kein Anlaß zur Sorge. Wir haben ja keine Mängel festgestellt. Aber ich würde ihr so was zutrauen. So etwas wäre für ihre Humanitätsgefühle keine sonderliche Belastung. Außerdem hat sie uns nicht mit Waffen ausgerüstet, und das senkt die Kosten ganz erheblich.«

»Es ist der Computer, woran ich denke«, sagte Pelorat versonnen. »Er wirkt so enorm gut an Sie angepaßt, derartig gut kann er gar nicht an jeden angepaßt sein. Selbst auf mich reagiert er nur mit knapper Not.«

»Um so besser für uns, daß er wenigstens auf einen von uns so prachtvoll reagiert.«

»Ja, aber kann das bloßer Zufall sein?«

»Was sonst, Janov?«

»Die Bürgermeisterin kennt Sie doch sicherlich sehr gut?«

»Ich glaube, das kann man diesem alten Schlachtschiff durchaus unterstellen.«

»Könnte es nicht sein, daß Sie einen Computer speziell für Sie hat bauen lassen?«

»Warum?«

»Ich frage mich eben, ob wir nicht in Wirklichkeit dort hinfliegen, wohin der Computer uns bringen will.«

Trevize fuhr auf. »Sie meinen, wenn ich mit dem Computer in Kontakt stehe, ist’s in Wahrheit der Computer, der bestimmt, nicht ich?«

»Hmm — ja, das habe ich mir überlegt.«

»Einfach lächerlich. Paranoid. Hören Sie auf, Janov!«

Trevize wandte sich zum Computer um, in der Absicht, den Planeten Sayshell auf den Bildschirm zu holen und dorthin einen Kurs durch den Normalraum festzulegen.

Lachhaft!

Warum hatte bloß Pelorat ihm so einen Gedanken in den Kopf gesetzt?

Загрузка...