Pelorat rümpfte die Nase, als er und Trevize wieder die Far Star betraten.
Trevize hob die Schultern. »Der menschliche Körper ist ein starker Gerucherzeuger. Recycling wirkt sich nie sofort aus, und künstliche Duftstoffe überlagern nur, sie verdrängen keinen natürlichen Geruch.«
»Und ich vermute, keine zwei Raumschiffe riechen gleich, wenn sie erst einmal für einen längeren Zeitraum von verschiedenen Leuten benutzt worden sind.«
»Das stimmt, aber haben Sie Sayshell nach einer Stunde noch gerochen?«
»Nein«, gestand Pelorat.
»Na, und nach einer Weile wird Ihnen der Geruch hier drin auch nicht mehr auffallen. Wenn man lange genug in einem Raumschiff gelebt hat, wird man seinen Geruch sogar als deutlichstes Zeichen dafür begrüßen, daß man wieder daheim ist. Und nebenbei, Janov, sollten Sie sich nach unserem Abenteuer zu weiteren Reisen durch die Galaxis entschließen können, achten Sie bitte darauf, daß es als unhöflich gilt, Bemerkungen über den Geruch eines Raumschiffs oder eines Planeten gegenüber den Personen zu machen, die die Bewohner sind. Unter uns ist das natürlich nicht so schlimm.«
»Das Komische daran ist, Golan, ich betrachte die Far Star als so was wie ein Zuhause. Zumindest ist das Schiff von der Foundation gebaut worden.« Pelorat lächelte. »Wissen Sie, ich habe mich eigentlich nie als Patriot gefühlt. Ich ziehe es vor, die gesamte Menschheit als meine Nation anzusehen, aber ich muß sagen, daß ich die Foundation jetzt, da ich von ihr fort bin, richtig liebe.«
Trevize machte sein Bett. »Sie sind nicht so besonders weit von der Foundation entfernt. Die Sayshell-Union ist vom Föderations-Territorium nahezu umschlossen. Wir haben hier einen Botschafter und eine umfangreiche Vertretung, vom Konsul abwärts. Die Saysheller widersprechen uns sehr gern, aber im allgemeinen tun sie nichts, was uns verärgern könnte. Janov, ich schlage vor, wir gehen ins Bett. Heute haben wir nichts erreicht, und morgen müssen wir’s besser anpacken.«
Aber es war leicht, von einer zur anderen Kabine etwas zu hören, und als es im Raumschiff dunkel war und Pelorat sich eine Zeitlang ruhelos hin und her gewälzt hatte, meldete er sich plötzlich nicht allzu laut erneut zu Wort. »Golan?«
»Ja.«
»Schlafen Sie nicht?«
»Nicht solange Sie reden.«
»Wir haben heute etwas erreicht. Ihr Freund Compor…«
»Ex-Freund«, knurrte Trevize.
»Wie Sie auch zu ihm stehen mögen, er hat mit uns über die Erde gesprochen und uns etwas mitgeteilt, auf das ich bis heute noch nicht gestoßen war, trotz all meiner Forschungen. Radioaktivität!«
Trevize stemmte sich auf einem Ellbogen hoch. »Hören Sie, Janov, selbst wenn die Erde wirklich ein toter Planet sein sollte, so heißt das keineswegs, daß wir nun umkehren. Ich will Gaia noch immer finden.«
Pelorat gab ein Schnauben von sich, als puste er Federn fort. »Natürlich, mein Bester. Ich auch. Und ich bezweifle durchaus, daß die Erde eine tote Welt ist. Compor mag uns sehr wohl etwas erzählt haben, das er für die Wahrheit hält, aber schließlich gibt’s kaum irgendeinen Sektor in der ganzen Galaxis, in dem nicht die eine oder andere Geschichte umläuft, in welcher man behauptet, der Ursprung der Menschheit liege auf einer der dortigen Welten. Und fast unweigerlich nennt man diese Welt dann Erde oder bei einem sehr ähnlichen Namen. In der Anthropologie bezeichnen wir dergleichen als ›Globozentrismus‹. Die Menschen besitzen eine Tendenz, schlichtweg vorauszusetzen, daß sie besser sind als ihre Nachbarn, daß ihre Kultur im Vergleich zu den Kulturen anderer Welten älter und überlegener ist, daß Gutes auf anderen Welten nur von ihnen abgeschaut worden sein kann, während alles Schlechte falsch abgeguckt und pervertiert worden ist oder ursprünglich von irgendwo anders stammt. Und gleichzeitig tendiert man dazu, qualitative Überlegenheit mit längerem Bestand gleichzusetzen. Selbst wenn man nicht glaubhaft behaupten kann, der eigene Planet sei die Erde oder ein Äquivalent — also die Ursprungswelt der Menschheit —, geht man zumeist möglichst weit, indem man steif und fest dabei bleibt, die Erde befinde sich zumindest im eigenen Sektor, auch wenn man die genaue Position nicht angeben kann.«
»Sie wollen damit also sagen«, meinte Trevize, »Compor sei praktisch nur einer verbreiteten Gewohnheit gefolgt, als er uns erzählt hat, die Erde wäre im Sirius-Sektor zu finden? Aber immerhin kann der Sirius-Sektor tatsächlich auf eine sehr lange Geschichte zurückblicken, deshalb müßte jede zu diesem Sektor gehörige Welt dort recht gut bekannt sein, und es dürfte nicht schwerfallen, diese Angelegenheit zu überprüfen, sogar ohne hinzufliegen.«
Pelorat lachte gedämpft. »Auch wenn Sie beweisen könnten, daß keine einzige Welt im Sirius-Sektor die Erde sein kann, das würde nichts nutzen. Sie unterschätzen die Tiefe, in der Mystizismus die Rationalität zu begraben vermag, Golan. Es gibt in der Galaxis mindestens ein halbes Dutzend Sektoren, wo angesehene Wissenschaftler mit allen Anzeichen vollen Ernstes und ohne die Spur eines Lächelns lokale Anekdoten wiederholen, denen zufolge die Erde — oder wie man sie gerade nennt — sich im Hyperraum befinden und ausschließlich durch Zufall erreichbar sein soll.«
»Und sagen Sie, daß jemals irgend jemand sie rein zufällig entdeckt hat?«
»Es laufen immer jede Menge Geschichten um, und immer weigert man sich aus Patriotismus, sie anzuzweifeln, sogar wenn diese Geschichten nicht im entferntesten glaubwürdig sind und ihnen nie von irgend jemandem außerhalb der Welten, wo man sie sich erzählt, Glauben geschenkt worden ist.«
»Dann wollen wir solches Zeug auch nicht glauben, Janov. Lassen Sie uns in unseren privaten Hyperraum des Schlafs überwechseln.«
»Aber es ist diese Sache mit der Radioaktivität der Erde, die mich interessiert, Golan. Das kommt mir vor wie ein Indiz, das auf einen wahren Kern hinweist… oder eine Art von Wahrheit.«
»Wie meinen Sie das: eine Art von Wahrheit?«
»Nun ja, eine radioaktive Welt ist eine Welt, auf der harte Strahlung in höheren Konzentrationen als normal vorhanden ist. Auf so einer Welt muß es eine höhere Mutationsrate geben, die Evolution müßte schneller ablaufen — und vielseitiger. Ich habe erwähnt, falls Sie sich noch entsinnen, daß zu den Punkten, in denen fast alle Geschichten um die Erde übereinstimmen, der zählt, daß es dort ein unglaublich vielfältiges Leben gab — Millionen von Spezies aller Arten von Lebewesen. Es ist diese Verschiedenartigkeit des Lebens — diese explosive Entwicklung —, die der Erde die Intelligenz gebracht haben dürfte, die sich später über die ganze Galaxis ausgebreitet hat. Sollte die Erde aus irgendeinem Grund radioaktiv sein — das heißt, radioaktiver als andere Planeten —, wäre das vielleicht die Erklärung für alles andere von einzigartigem Charakter an der Erde.«
Trevize schwieg für eine Weile. »Erst einmal haben wir nach meiner Meinung«, sagte er dann, »gar keinen Anlaß, davon auszugehen, daß Compor wirklich die Wahrheit gesprochen hat. Er kann genauso gut freiweg gelogen haben, nur um uns dazu anzustiften, schnellstens von hier abzuhauen und in den Sirius-Sektor abzuschwirren. Ich glaube, daß er genau das und nichts anderes getan hat. Und wenn er die Wahrheit gesagt haben sollte, berücksichtigen Sie bitte, daß er erzählt hat, die Radioaktivität wäre so stark, daß sie jedes Leben unmöglich macht.«
Pelorat gab wieder das Pusten von sich. »Die Radioaktivität auf der Erde war nicht stark genug, um das Entstehen von Leben zu verhindern, und dem Leben fällt’s viel leichter — sobald es erst einmal entstanden ist —, für seine Erhaltung zu sorgen, als seine anfängliche Entstehung hinzukriegen. Damit steht doch fest, daß auf der Erde Leben entstanden ist und sich erhalten hat. Insofern kann die Stärke der existenten Radioaktivität von vornherein nicht mit Leben unvereinbar gewesen sein, und im Laufe der Zeit kann die Radioaktivität ja nur nachgelassen haben. Es gibt nichts, das sie erhöhen könnte.«
»Atomexplosionen?« meinte Trevize.
»Wie sollten sie damit zusammenhängen?«
»Ich meine, mal angenommen, auf der Erde haben Atomexplosionen stattgefunden?«
»Auf der Oberfläche der Erde? Ausgeschlossen. In der ganzen Geschichte der Galaxis findet sich kein einziges Beispiel irgendeiner Gesellschaftsform, die so verrückt gewesen wäre, Atomexplosionen als Waffe im Krieg einzusetzen. Andernfalls hätte die Menschheit nie überlebt. Während der trigellianischen Insurrektionen, als beide Seiten ausgehungert und restlos verzweifelt waren, hat Jendippurus Khoratt die Auslösung einer Kernfusionsreaktion vorgeschlagen, um…«
»Die Matrosen seiner eigenen Flotte haben ihn deshalb hingerichtet. Ich kenne die galaktische Geschichte. Ich habe an Unfälle gedacht.«
»Es gibt keine Beispiele für Unfälle von einer Tragweite, die die Stärke der allgemeinen Radioaktivität auf einem ganzen Planeten merklich erhöhen könnten.« Er seufzte. »Ich vermute, wenn wir das alles hier hinter uns haben, wird uns keine andere Wahl bleiben, als tatsächlich den Sirius-Sektor anzufliegen und uns dort ein bißchen umzuschauen.«
»Das werden wir vielleicht eines Tages auch tun. Aber bis auf weiteres…«
»Ja, ja. Ich bin ja schon still.«
Danach hielt er tatsächlich den Mund, und Trevize lag fast eine Stunde lang im Dunkeln wach, überlegte angestrengt, ob er womöglich bereits zuviel Aufmerksamkeit erregt hatte, und ob es nicht klüger wäre, den Sirius-Sektor aufzusuchen, erst danach, wenn die Aufmerksamkeit — jede Aufmerksamkeit — wieder anderen Dingen galt, nach Sayshell zurückzukehren und erneut mit der Suche nach Gaia zu beginnen.
Als er einschlief, war er noch zu keinem klaren Entschluß gelangt. Seine Träume waren von bedrückender Art.
Erst im Laufe des nächsten Vormittags trafen sie von neuem in der Stadt ein. Im Touristenzentrum herrschte diesmal ziemlich viel Betrieb, aber sie schafften es, sich den Weg zu einer Öffentlichen Bibliothek weisen zu lassen, und dort wiederum unterwies man sie in der Bedienung der hiesigen Modelle von Datenspeicher-Terminals.
Sorgfältig informierten sie sich über die Museen und Universitäten, angefangen bei denen, die am nächsten lagen, und sahen auch nach, was sich an Informationen über Anthropologen, Archäologen und Experten in Vorgeschichte finden ließ.
»Aha!« machte plötzlich Pelorat.
»Aha?« wiederholte Trevize mit einer gewissen Schroffheit. »Was soll das heißen: ›aha‹?«
»Dieser Name: Quintesetz. Kommt mir bekannt vor.«
»Sie kennen den Mann?«
»Nein, natürlich nicht, aber es kann sein, daß ich irgendwelche Artikel von ihm gelesen habe. Im Schiff, wo sich mein Archiv befindet, könnte ich sofort nachprüfen, um was…«
»Wir gehen nicht eist zurück ins Schiff, Janov. Wenn der Name Ihnen bekannt ist, können wir das als Punkt betrachten, an dem sich einhaken läßt. Selbst wenn er uns nicht helfen kann, zweifellos wird er uns weitere Ratschläge erteilen können.« Er stand auf. »Lassen Sie uns feststellen, wie man zur Sayshell-Universität gelangen kann. Und weil um die Mittagszeit sowieso niemand anzutreffen sein dürfte, wollen wir erst einmal was essen.«
Sie erreichten die Universität erst am Spätnachmittag, erfragten sich ihren Weg durch den Irrgarten ihrer vielen verschiedenen Einrichtungen, befanden sich schließlich in einem Vorzimmer, in dem sie auf eine junge Frau warteten, die Informationen einholen gegangen war, die sie beide zu Quintesetz führen mochten — oder auch nicht.
»Ich frage mich«, meinte Pelorat schließlich verdrossen, »wie lange wir hier noch warten sollen. Allmählich dürfte hier für heute geschlossen werden.«
Und als hätte er damit ein Stichwort ausgesprochen, kehrte die junge Frau, die sie zuletzt vor mindestens einer halben Stunde gesehen hatten, zügigen Schrittes zu ihnen zurück; ihre Schuhe glitzerten rot und violett, und beim Laufen verursachten sie auf dem Fußboden musikalische Klänge. Die Tonhöhe veränderte sich mit Geschwindigkeit und Härte ihrer Schritte.
Pelorat zog den Kopf ein. Er nahm an, auf jeder Welt besäße man, ebenso wie seinen eigentümlichen Geruch, auch seine eigene spezielle Art und Weise, gegen das Wohlbefinden der Sinne zu verstoßen. Er fragte sich nun, da er den Geruch nicht länger bemerkte, ob er wohl auch lernen könne, sich an die Kakophonie des Schuhwerks zu gewöhnen, die mit dem Erscheinen modischer junger Frauen einherging.
Sie kam zu Pelorat und blieb vor ihm stehen. »Dürfte ich wohl Ihren vollständigen Namen erfahren, Professor?«
»Er lautet Janov Pelorat, Miss.«
»Und Ihr Heimatplanet?«
Trevize begann eine Hand zu heben, als wolle er Schweigen empfehlen, aber entweder sah Pelorat es nicht, oder er achtete nicht darauf. »Terminus«, gab er zur Antwort.
Die junge Frau lächelte breit und wirkte erfreut. »Als ich Professor Quintesetz gesagt habe, daß ein Professor Pelorat nach ihm fragt, meinte er, wenn Sie Janov Pelorat von Terminus wären, wolle er mit Ihnen sprechen, aber sonst nicht.«
Pelorat zwinkerte nervös. »Sie… Sie meinen, er hat schon von mir gehört?«
»Den Eindruck habe ich.«
Pelorat brachte ein Lächeln zustande, das von einem Knarren begleitet zu werden schien, als er sich Trevize zuwandte. »Er hat von mir gehört. Das hätte ich nie gedacht… Ich meine, ich habe nur sehr wenig Artikel veröffentlicht, und ich hätte nicht gedacht, daß jemand…« Er schüttelte den Kopf. »Sie waren eigentlich nicht so wichtig.«
»Na, ist doch prima«, sagte Trevize. »Machen Sie jetzt endlich Schluß damit, sich in Ihrer Ekstase der Selbstunterschätzung selbst auf die Schulter zu klopfen, dann wollen wir gehen.« Er wandte sich an die Frau. »Ich nehme an, es gibt irgendein Beförderungsmittel?«
»Wir können zu Fuß hin. Wir brauchen diesen Gebäudekomplex nicht zu verlassen, und ich gehe gerne voraus. Sind Sie beide von Terminus?« Und schon marschierte sie los.
Die zwei Männer schlossen sich an. »Ja, beide«, entgegnete Trevize mit einer Andeutung von Ärger. »Macht das einen Unterschied?«
»O nein, natürlich nicht. Wissen Sie, es gibt auf Sayshell Leute, die können Foundationsbürger nicht leiden, aber hier an der Universität sind wir kosmopolitischer. Leben und leben lassen, sage ich immer. Ich meine, die Foundationsbürger sind ja auch Menschen. Verstehen Sie, was ich meine?«
»Ja, ich verstehe, was Sie meinen. Bei uns sagen ebenfalls viele Leute, die Saysheller seien auch Menschen.«
»Genauso muß es sein. Ich habe Terminus noch nie besucht. Terminus City muß eine riesige Stadt sein.«
»Tatsächlich ist sie das allerdings nicht«, erwiderte Trevize sachlich. »Ich schätze, sie ist kleiner als Sayshell City.«
»Sie zwicken mich wohl in den Finger«, sagte die Frau. »Terminus City ist doch die Hauptstadt der Foundation-Föderation, stimmt’s? Es gibt doch keinen zweiten Terminus, oder?«
»Nein, soviel ich weiß, gibt’s nur einen Terminus, und von dort kommen wir — aus Terminus City, der Hauptstadt der Foundation-Föderation.«
»Also, dann muß es doch eine enorme Stadt sein. Und Sie sind eine so weite Strecke gereist, um den Professor zu besuchen? Wir sind hier sehr stolz auf ihn, müssen Sie wissen. Man sieht in ihm die größte Autorität der ganzen Galaxis.«
»Wahrhaftig?« meinte Trevize. »In welcher Beziehung?«
Die Frau riß von neuem die Augen auf. »Sie sind aber ein Spaßvogel. Er weiß mehr über die Vorgeschichte als ich von… von meiner Familie weiß.« Und weiter schritt sie auf ihrem musikalischen Schuhwerk voran.
Man kann wohl nicht kurz hintereinander Fingerzwicker und Spaßvogel genannt werden, ohne tatsächlich eine gewisse Laune in diese Richtung zu entwickeln. Trevize lächelte, als er seine nächste Frage stellte. »Ich vermute, dann weiß der Professor auch alles über die Erde?«
»Erde?« Die Frau blieb vor einer Tür stehen und sah die beiden Männer verständnislos an.
»Sie wissen doch, die Welt, auf der die Menschheit früher mal entstanden ist.«
»Ach, Sie meinen diesen Planeten, der als erster da war.
Ja, ich denke, er müßte auch darüber alles wissen. Immerhin befindet er sich ja im Sayshell-Sektor. Das weiß jeder. Hier ist Professor Quintesetz’ Büro. Ich werde Sie anmelden.«
»Nein, halt, ein Momentchen noch!« sagte Trevize. »Erzählen Sie uns noch mehr über die Erde!«
»An sich habe ich noch nie gehört, daß jemand ›Erde‹ dazu sagt. Wahrscheinlich ist das ein Wort aus der Foundation. Wir hier nennen die fragliche Welt Gaia.«
Trevize warf Pelorat einen raschen Blick zu. »Ach? Und wo liegt sie?«
»Nirgends. Sie ist im Hyperraum, und niemand kann hin. Als ich ein Kind war, hat meine Großmutter mir mal erzählt, Gaia wäre früher einmal im richtigen Weltraum gewesen, aber angewidert von…«
»…den Verbrechen und der Dummheit der Menschen gewesen«, sagte Pelorat leise, »daß sie aus Scham den Normalraum verließ und mit der Menschheit, die sie in die Galaxis ausgesandt hatte, nichts mehr zu tun haben mochte.«
»Sehen Sie, Sie kennen die Geschichte genauso gut. Eine Freundin von mir behauptet immer, das sei bloß Aberglaube. Na, ich werde ihr erzählen, daß Sie sie auch kennen. Wenn sie sogar für Professoren von der Foundation gut genug ist…«
Im rauchigen Glas der Tür befand sich ein Ausschnitt, dessen Fläche schimmerte und in der schwer lesbaren sayshellischen Kalligraphie die Aufschrift ABT SOTAYN QUINTESETZ aufwies, und darunter stand in den gleichen Buchstaben: ABTEILUNG FÜR VORGESCHICHTE.
Die Frau legte einen Finger auf eine glatte, kreisförmige Metallfläche. Hören ließ sich nichts, aber die Rauchigkeit des Glases verfärbte sich für einen Moment milchig. »Bitte identifizieren Sie sich«, sagte eine leise Stimme in irgendwie geistesabwesendem Ton.
»Janov Pelorat von Terminus«, sagte Pelorat, »in Begleitung von Golan Trevize von derselben Welt.« Sofort schwang die Tür auf.
Der Mann, der sich erhob, seinen Schreibtisch umrundete und ihnen entgegenkam, war hochgewachsen und in fortgeschritten-mittlerem Alter. Seine Haut war von hellem Braun, sein Haar, das den Kopf in drahtigen Locken bedeckte, war eisengrau. Er streckte zum Gruß eine Hand in die Höhe; seine Stimme klang gedämpft und dunkel. »Ich bin S. Q. Ich bin hocherfreut, Sie kennenzulernen, meine Herren Professoren.«
»Ich trage keinen akademischen Titel«, sagte Trevize. »Ich begleite Professor Pelorat lediglich. Sie können mich ganz einfach Trevize nennen. Freut mich, Sie kennenzulernen, Professor Abt Quintesetz.«
In deutlicher Verlegenheit hob Quintesetz seine Arme. »Nein, nein. ›Abt‹ ist nur so ein alberner Titel, der außerhalb Sayshells keine Bedeutung hat. Bitte vergessen Sie dergleichen völlig und nennen Sie mich S. Q. Im alltäglichen Umgang pflegen wir auf Sayshell die Initialen zu benutzen. Ich freue mich sehr, Sie beide begrüßen zu dürfen, nachdem ich anfangs nur einen Besucher erwartet habe.«
Er zögerte für einen Moment, dann streckte er seine Rechte aus, nachdem er sie sich zuvor unauffällig an der Hose abgewischt hatte.
Trevize drückte ihm die Hand, während er sich fragte, wie wohl die richtige Art der sayshellischen Begrüßung sein mochte.
»Bitte nehmen Sie Platz!« sagte Quintesetz. »Leider werden Sie feststellen, daß diese Sessel inaktiv sind, denn ich für meinen Teil lege keinen Wert darauf, daß meine Möbel mich umarmen. Es ist heute modern, daß die Sitzmöbel sich an ihre Benutzer schmiegen, aber mir ist’s lieber, eine Umarmung hat auch eine Bedeutung, hm?«
Trevize lächelte. »Wer könnte Ihnen da widersprechen?« meinte er. »Ihr Name, S. Q. stammt von den Randwelten, wenn ich mich nicht irre, und ist nicht sayshellisch. Entschuldigen Sie, falls diese Bemerkung unhöflich sein sollte.«
»Macht mir nichts aus. Meine Familie stammt zum Teil von Askone. Vor fünf Generationen haben meine Ururgroßeltern Askone verlassen, als die Vorherrschaft der Foundation dort zu stark spürbar geworden ist.«
»Und wir sind Foundationbürger«, sagte Pelorat. »Entschuldigen Sie diesen peinlichen Umstand.«
Quintesetz winkte freundlich ab. »Ich schleppe doch keinen Groll über fünf Generationen hinweg mit. Nicht, daß so was noch nicht vorgekommen wäre, aber das ist nur um so bedauerlicher. Würden Sie gern etwas essen? Möchten Sie etwas zu trinken? Wäre Ihnen im Hintergrund Musik angenehm?«
»Wenn es Sie nicht stört«, sagte Pelorat, »würde ich am liebsten sofort zur Sache kommen, falls die sayshellischen Umgangsformen es erlauben.«
»Dem stehen keine sayshellischen Umgangsformen im Wege, das versichere ich Ihnen. Sie haben keine Vorstellung, wie bemerkenswert diese Begegnung für mich ist, Dr. Pelorat. Es ist erst zwei Wochen her, daß ich in der Archaeological Review auf einen Artikel von Ihnen über Ursprungsmythen gestoßen bin, und habe ihn als beachtliche Synthese empfunden — leider ist er nur allzu kurz.«
Pelorat errötete vor Freude. »Ich bin unerhört froh, daß Sie ihn überhaupt gelesen haben. Ich mußte ihn natürlich stark zusammenfassen, denn eine längere, ausführliche Untersuchung wollte die Review nicht drucken. Ich habe vor, über das Thema eine umfangreichere Abhandlung zu schreiben.«
»Das würde ich sehr begrüßen. Jedenfalls, sobald ich den Artikel gelesen hatte, verspürte ich auf einmal den Wunsch, Sie kennenzulernen. Mir kam sogar der Einfall, Terminus zu besuchen, um das zu ermöglichen, obwohl so eine Reise schwer einzurichten gewesen wäre…«
»Warum?« erkundigte sich Trevize.
Quintesetz schaute verlegen drein. »Leider muß ich sagen, Sayshell brennt nicht gerade darauf, der Foundation-Föderation beizutreten, deshalb werden die gesellschaftlichen Kontakte zur Foundation nicht unbedingt begünstigt. Sehen Sie, unsere Tradition verlangt Neutralität. Nicht einmal der Fuchs hat uns aus der Ruhe gebracht, mal davon abgesehen, daß eine ganz spezielle Neutralitätserklärung extra für ihn verfaßt worden ist. Aus diesem Grund betrachtet man jeden Antrag, Foundation-Territorium im allgemeinen und Terminus im besonderen aufsuchen zu dürfen, mit Mißtrauen, obwohl ein Wissenschaftler wie ich, der nur akademischen Angelegenheiten nachgeht, zu guter Letzt wahrscheinlich doch einen Paß erhalten würde. Aber nichts dergleichen ist noch erforderlich — Sie sind zu mir gekommen. Ich kann’s kaum glauben. Wieso, frage ich mich nun. Haben Sie von mir gehört, so wie ich von Ihnen?«
»Ich kenne Ihre Arbeit, S. Q.«, antwortete Pelorat. »Mein Archiv enthält Auszüge Ihrer Veröffentlichungen. Deshalb habe ich Sie nämlich jetzt aufgesucht. Ich beschäftige mich mit dem Fall Erde, dem angeblichen Planeten des Ursprungs der Menschheit, dem Mittelpunkt der anfänglichen Erforschung und Besiedlung der Galaxis. Vor allem geht’s mir um Informationen bezüglich der Gründerjahre von Sayshell.«
»Aus Ihrer Veröffentlichung habe ich ersehen«, sagte Quintesetz, »daß Sie sich für Legenden und Mythen interessieren.«
»Noch mehr für Geschichte — harte Fakten… falls welche vorliegen. Andernfalls für Mythen und Sagen.«
Quintesetz stand auf und schritt zügig die ganze Länge seines Büros ab, blieb stehen, um Pelorat einen Blick zuzuwerfen, stapfte dann erneut los.
»Nun, Sir?« äußerte sich Trevize ungeduldig.
»Merkwürdig«, sagte Quintesetz. »Wirklich merkwürdig! Erst gestern…«
»Was war erst gestern?« hakte Pelorat nach.
»Ich habe Ihnen gesagt, Dr. Pelorat«, antwortete Quintesetz, »daß ich… Übrigens, darf ich Sie J. P. nennen? Ich empfinde den Gebrauch vollständiger Namen als ziemlich unnatürlich.«
»Bitteschön.«
»Wie gesagt, J. P., ich hatte Ihren Aufsatz gelesen und so bewundert, daß ich Sie sogar persönlich besuchen wollte. Und zwar aus dem Grund, weil Sie offenbar eine große Sammlung von Legenden in bezug auf die Entstehung der bewohnten Welten besitzen, unsere derartige Legende aber eindeutig nicht kennen. Anders ausgedrückt, ich wollte zu Ihnen, um Ihnen genau das mitzuteilen, was Sie von mir erfahren möchten und weshalb Sie zu mir gekommen sind.«
»Was hat das mit gestern zu tun, S. Q.?« wollte Trevize wissen.
»Wir haben hier unsere Legenden. Eine davon ist für unsere Gesellschaft besonders wichtig, sie ist zu unserem zentralen Rätsel geworden…«
»Rätsel?« meinte Trevize.
»Ich meine nicht so was wie ein Kreuzworträtsel oder dergleichen. Das dürfte im Galakto-Standard die übliche Bedeutung sein, glaube ich. Hier haben wir’s jedoch mit einer ganz speziellen Bedeutung zu tun. Rätsel heißt in diesem Fall so etwas wie ›Geheimnis‹ oder ›Verborgenes‹. Etwas, wovon nur gewisse Eingeweihte die wahre Bedeutung kennen, worüber man zu Außenstehenden nicht redet. Und gestern war dieser Tag…«
»Was für ein Tag, S. Q.?« fragte Trevize, der sich nun leicht anmerken ließ, daß er sich in äußerste Geduld schickte.
»Gestern war der Tag der Ersten Landung.«
»Aha, ja«, sagte Trevize, »ein Tag der Meditation und Ruhe, an dem alle daheim bleiben sollen.«
»Theoretisch sieht’s so ähnlich aus, ja, nur kümmert man sich in den größeren Städten und kultivierteren Gegenden wenig um die alten Bräuche. Aber wie ich sehe, wissen Sie darüber Bescheid.«
»Wir sind gestern angekommen, deshalb mußte es uns zwangsläufig auffallen«, warf Pelorat, der wegen Trevizes ärgerlichem Tonfall ein wenig Unbehagen zeigte, hastig ein.
»Ausgerechnet gestern«, sagte Trevize sarkastisch. »Hören Sie mal, S.Q., ich bin, wie erwähnt, kein Akademiker, aber trotzdem habe ich an Sie eine Frage. Sie haben gesagt, es gibt hier ein sogenanntes zentrales Rätsel, über das man zu Außenstehenden nicht sprechen darf. Warum reden Sie dann mit uns darüber? Wir sind doch Außenstehende.«
»Das stimmt. Aber ich bin kein Anhänger innerer Einkehr, und mein Glaube an diese Dinge beschränkt sich bestenfalls auf ein paar oberflächliche Angewohnheiten. Als ich J. P.s Aufsatz gelesen habe, hat sich in mir allerdings ein Gefühl verstärkt, das schon lange vorhanden ist. Ein Mythos, eine Sage — sie entstehen nicht einfach aus dem Nichts. Nichts entsteht so — oder kann so entstehen. Immer steckt darin ein wahrer Kern, wie sehr er auch verzerrt worden sein mag, und ich würde zu gerne die Wahrheit hinter dem Tag der Ersten Landung herausfinden.«
»Darf man unbesorgt darüber reden?« fragte Trevize nach.
Quintesetz zuckte die Achseln. »Nicht ganz, schätze ich. Konservativere Kreise unserer Bevölkerung wären wahrscheinlich entsetzt. Aber die sind nicht an der Regierung, und zwar schon seit einem Jahrhundert nicht mehr. Die Säkularisten sind stark, und sie wären noch stärker, würden die Konservativen es nicht so gut verstehen, unsere — entschuldigen Sie — antifoundationistischen Vorurteile auszunutzen. Aber ich diskutiere diese Sache ja im Rahmen meines wissenschaftlichen Interesses an der Vorgeschichte, deshalb wird die Akademische Liga mir notfalls ihre nachdrückliche Unterstützung gewähren.«
»Es wäre also nicht zuviel von Ihnen verlangt, S. Q.«, fragte Pelorat, »wenn Sie uns über das besagte zentrale Rätsel ein wenig mehr aufklärten?«
»Nein, durchaus nicht, aber lassen Sie mich erst dafür sorgen, daß man uns nicht stört oder irgend jemand etwas aufschnappt, was er nicht hören soll. Selbst wenn man dem Stier ins Gesicht schauen muß, sagt ein Sprichwort bei uns, braucht man ihn nicht auf die Nase hauen.«
Auf der Kontrollfläche eines Instruments auf seinem Schreibtisch nahm er rasch eine Reihe von Schaltungen vor. »So«, fügte er hinzu, »nun kann uns niemand belästigen.«
»Sind Sie sicher, daß Sie nicht abgehört werden?« fragte Trevize.
»Abgehört?«
»Angezapft. Belauscht! Mit einem Gerät beobachtet, das optisch oder akustisch aufzeichnet — oder beides.«
Quintesetz wirkte schockiert. »So was wäre hier auf Sayshell undenkbar!«
Trevize zuckte die Achseln. »Wie Sie meinen.«
»Bitte sprechen Sie weiter, S. Q.!« bat Pelorat.
Quintesetz spitzte die Lippen, lehnte sich in seinen Sessel, der unter dem ausgeübten Druck ein wenig nachgab, und legte die Fingerkuppen aneinander. Anscheinend dachte er darüber nach, wie er anfangen solle.
»Wissen Sie«, fragte er schließlich, »was ein Robot ist?«
»Ein Robot?« wiederholte Pelorat. »Nein.«
Quintesetz blickte Trevize an, der den Kopf schüttelte.
»Aber Sie wissen, was ein Computer ist?«
»Natürlich«, sagte Trevize gereizt.
»Nun gut, und ein mobiler computerisierter Apparat…«
»Ist ein mobiler computerisierter Apparat.« Trevize zeigte sich unvermindert ungnädig. »Es gibt zahllose Varianten, und ich kenne dafür keinen Überbegriff, nur mobiler computerisierter Apparat.«
»…der genau wie ein Mensch aussieht, ist ein Robot«, beendete S. Q. in unerschütterlichem Gleichmut seine Definition. »Das Unterscheidungsmerkmal eines Robots besteht daraus, daß er humaniform ist.«
»Warum denn humaniform?« fragte Pelorat in aufrichtigem Staunen.
»Da bin ich keineswegs sicher. Für einen Apparat ist so eine Form unverkennbar ineffizient, ich geb’s zu, aber ich wiederhole lediglich, was die Legende besagt. ›Robot‹ ist ein uraltes Wort aus einer nicht mehr bekannten Sprache, aber unsere Wissenschaftler behaupten, es besitzt die Bedeutung von ›Arbeit‹.«
»Ich wüßte kein einziges Wort«, erwiderte Trevize skeptisch, »das auch nur entfernt wie ›Robot‹ klingt und in irgendeinem Zusammenhang mit ›Arbeit‹ steht.«
»Im Galakto-Standard nicht, natürlich«, antwortete Quintesetz. »Aber sie sagen’s nun einmal.«
»Dem kann eine umgekehrte Etymologie zugrunde liegen«, sagte Pelorat. »Diese Apparate sind zur Arbeit verwendet worden, und so ist ihre Bezeichnung zum Begriff für ›Arbeit‹ geworden. Aber warum erzählen Sie uns davon?«
»Weil es hier auf Sayshell ein ganz fester Bestandteil der Überlieferung ist, daß damals, als die Erde die einzige bewohnte Welt war und die gesamte Galaxis noch unbesiedelt vor ihr lag, Roboter erfunden und eingesetzt worden sind. Es soll also zwei Sorten von Menschenwesen gegeben haben — natürlich entstandene und künstlich geschaffene, solche aus Fleisch und solche aus Metall, biologisch und mechanisch, komplexer und simpler Art…«
Quintesetz verstummte und lachte kläglich auf. »Verzeihen Sie. Es ist unmöglich, über Roboter zu reden, ohne aus dem Buch der Ersten Landung zu zitieren. Die Bewohner der Erde jedenfalls entwickelten Roboter — mehr brauche ich Ihnen eigentlich nicht zu sagen. Das ist klar genug.«
»Und warum haben sie diese Roboter entwickelt?« fragte Trevize.
Quintesetz hob die Schultern. »Wer kann das aus diesem zeitlichen Abstand noch sagen? Vielleicht waren’s zu wenige Menschen, und sie brauchten diese Art von Hilfe. Vielleicht erforderte gerade die große Aufgabe der Erforschung und Besiedlung der Galaxis eine derartige Unterstützung.«
»Das klingt recht einleuchtend«, sagte Trevize. »Sobald dann die Galaxis kolonialisiert war, brauchte man die Roboter nicht mehr. Heute gibt’s jedenfalls bestimmt keine humanoiden mobilen computerisierten Apparate in der gesamten Galaxis.«
»Auf jeden Fall«, sagte Quintesetz, »berichtet die Sage folgendes — und ich möchte meine Wiedergabe grob vereinfachen und all die poetischen Ausschmückungen weglassen, von denen ich, um ehrlich zu sein, nichts halte, obwohl die Bevölkerung im allgemeinen alles wortwörtlich für bare Münze nimmt oder es wenigstens vorgibt. Also, rings um die Erde entstanden also Kolonialwelten, die benachbarte Sterne umkreisten, und diese Kolonien verwendeten in viel größerem Umfang Roboter als die Erde selbst. Auf neuen, noch unerschlossenen Welten gab es einen viel höheren Bedarf an Robotern. Auf der Erde dagegen schlug man mit der Zeit eine entgegengesetzte Richtung ein und wollte keine Roboter mehr haben, man rebellierte sogar gegen sie.«
»Und was geschah dann?« fragte Pelorat.
»Die Außenwelten waren stärker. Dank der Hilfe ihrer Roboter brachten die Kinder der Erde ihrer Mutter Erde eine Niederlage bei und begannen sie zu beherrschen… Entschuldigen Sie, ich gleite immer wieder ins Zitieren ab. Aber danach flohen Menschen von der Erde, mit besseren Raumschiffen, besseren Methoden des Hyperraumflugs. Sie flohen zu fernen Sternen und Welten, weitab von den näheren, anfangs besiedelten Planeten. Sie gründeten neue Kolonien — ohne Roboter —, in denen Menschen frei leben konnten. Das waren die sogenannten Zeiten der Flucht, und der Tag, an dem die ersten Menschen von der Erde im Sayshell-Sektor eintrafen — das soll heißen, hier auf diesem Planeten —, ist der Tag der Ersten Landung, der hier seit vielen tausend Jahren alljährlich gefeiert wird.«
»Mein Bester«, äußerte Pelorat, »was Sie da sagen, heißt ja nichts anderes, als daß Sayshell direkt von der Erde aus besiedelt worden sei.«
Quintesetz überlegte, zögerte für einen Augenblick. »Das ist der offizielle Glaube«, sagte er dann.
»Offenbar glauben Sie nicht so recht daran«, sagte Trevize.
»Ich habe eher den Eindruck…«, begann Quintesetz, doch da unterbrach er sich mitten im Satz und platzte mit etwas anderem heraus. »Ja, stimmt, ich glaub’s nicht! Es ist einfach allzu unwahrscheinlich, aber es handelt sich dabei um ein offizielles Dogma, und wie sehr die Regierung inzwischen auch säkularisiert sein mag, es ist wesentlich, daß man dazu wenigstens Lippenbekenntnisse ablegt. Aber zur Sache! Ihr Artikel, J. P., enthält keinen Hinweis, daß Ihnen diese Geschichte geläufig ist — über Roboter und zwei Phasen der Kolonisation, einer begrenzten Siedlungstätigkeit mit und einer größeren galaktischen Besiedlung ohne Roboter.«
»Tatsächlich war mir bis jetzt davon nichts bekannt«, gab Pelorat zu. »Ich höre diese Darstellung zum erstenmal, S. Q., und ich versichere Ihnen, ich werde Ihnen ewig dafür dankbar sein, daß Sie mich darauf aufmerksam gemacht haben, mein Bester. Ich bin erstaunt, daß nicht einmal eine Andeutung davon in den Texten…«
»Das zeigt nur, wie effektiv unser soziales System ist«, sagte Quintesetz. »Diese Geschichte ist unser sayshellisches Geheimnis — unser großes Rätsel.«
»Kann sein«, bemerkte Trevize in seiner trockenen Art. »Aber diese zweite Siedlerwelle — die ohne Roboter — muß sich nach allen Seiten ausgebreitet haben. Wieso gibt’s trotzdem dies großartige Geheimnis nur auf Sayshell?«
»Es kann auch woanders existieren und einer vergleichbaren Geheimhaltung unterliegen«, antwortete Quintesetz. »Unsere hiesigen Konservativen glauben, nur Sayshell sei von der Erde aus besiedelt worden, die ganze restliche Galaxis dagegen von Sayshell aus. Das ist aber wahrscheinlich Unsinn.«
»Diese untergeordneten Merkwürdigkeiten kann man vielleicht beizeiten aufklären«, sagte Pelorat. »Aber nun, da ich über einen Ansatz verfüge, bin ich dazu in der Lage, auf anderen Welten nach ähnlichen Informationen zu forschen. Worauf es ankommt, ist doch, daß ich nun erkannt habe, welche Frage gestellt werden muß, und eine gute Frage ist bereits der Schlüssel zu einer Menge guter Antworten. Was für ein Glück, daß ich…«
»Gewiß, Janov«, sagte Trevize, »aber der gute S. Q. hat uns doch sicherlich noch nicht die ganze Geschichte erzählt. Was ist aus den älteren Kolonien und ihren Robotern geworden? Sagt die Überlieferung darüber etwas?«
»Keine Einzelheiten, nur den wesentlichen Kern. Anscheinend können biologische und mechanische Humanoide nicht zusammenleben. Die Welten mit Robotern gingen unter. Sie waren nicht lebensfähig.«
»Und die Erde?«
»Die Menschen haben sie verlassen und sich hier und wahrscheinlich — wenngleich unsere Konservativen das bestreiten würden — auch auf anderen Planeten angesiedelt.«
»Aber sicher haben doch nicht alle Menschen die Erde verlassen. Sie ist doch nicht menschenleer zurückgeblieben.«
»Vermutlich nicht. Ich habe keine Ahnung.«
»War sie radioaktiv?« fragte Trevize unvermittelt.
Quintesetz wirkte erstaunt. »Radioaktiv?«
»Ja, danach frage ich.«
»Von sowas weiß ich nichts. Dergleichen habe ich noch nie zu Ohren bekommen.«
Trevize legte einen Fingerknöchel an die Zähne und überlegte. »S.Q.«, sagte er schließlich, »es wird spät, und vielleicht haben wir Ihre Zeit schon zu sehr beansprucht.« (Pelorat vollführte eine Bewegung, als wolle er widersprechen, aber Trevize hatte eine Hand auf des anderen Knie und drückte fest zu — daher fügte sich Pelorat, wenn auch leicht verstört.)
»Es hat mich gefreut, Ihnen behilflich sein zu können«, erwiderte Quintesetz.
»Das waren Sie, und sollten wir unsererseits etwas für Sie tun können, sagen Sie’s ruhig.«
Quintesetz lachte leise. »Wenn der gute J. P. so freundlich wäre, meinen Namen bei allem herauszulassen, was er in bezug auf unser sogenanntes Rätsel schreibt oder unternimmt, soll mir das Gegenleistung genug sein.«
»Sie würden Ihre verdiente Anerkennung erhalten«, sagte Pelorat eifrig, »und man würde Sie womöglich höher einzuschätzen wissen, dürften Sie Terminus aufsuchen und an unserer Universität vielleicht für einige Zeit als Gastdozent tätig sein. Kann sein, es gelingt uns, so etwas zu arrangieren. Sayshell mag die Foundation nicht leiden können, aber man wird wohl kaum ein direktes Gesuch ablehnen, Ihnen zu erlauben, Terminus zu besuchen und, sagen wir mal, an einem Kolloquium über irgendeinen Aspekt der Frühgeschichte teilzunehmen.«
Der Saysheller erhob sich halb. »Wollen Sie damit sagen, Sie könnten das in die Wege leiten?«
»Nun, ich habe noch nicht daran gedacht, aber J. P. hat völlig recht«, erklärte Trevize. »Das wäre sehr gut vorstellbar — falls wir’s versuchen. Und um so mehr Sie uns zur Dankbarkeit verpflichten, um so größere Mühe werden wir natürlich aufwenden.«
Quintesetz stutzte, dann runzelte er die Stirn. »Wie meinen Sie das?«
»Sie haben nicht mehr zu tun, als uns nun endlich alles über Gaia zu erzählen, S. Q.«, antwortete Trevize.
Und aller Glanz in Quintesetz’ Miene erlosch.
Quintesetz betrachtete seinen Schreibtisch. Mit der Hand strich er geistesabwesend durch sein kurzes, drahtig-lockiges Haar. Dann schaute er Trevize an und schürzte ein wenig die Lippen. Er wirkte, als sei er fest zum Schweigen entschlossen.
Trevize hob die Brauen und wartete. »Es wird wirklich spät«, sagte Quintesetz schließlich mit irgendwie erstickter Stimme. »Ist schon ziemlich glimmrig draußen.«
Bis jetzt hatte er gutes Galakto-Standard gesprochen, doch nun nahmen seine Wörter eine sonderbare Klangfärbung an, als begänne die sayshellische Art des Sprechens seine erworbene Bildung zu verdrängen.
»Glimmrig, S.Q.?«
»Es ist schon fast dunkel.«
Trevize nickte. »Ich bin tatsächlich ein bißchen gedankenlos. Dabei bin ich inzwischen selbst hungrig. Dürfen wir Sie wohl zum Abendessen einladen, S. Q.? Dann könnten wir unser Gespräch vielleicht fortsetzen — über Gaia.«
Schwerfällig stand Quintesetz auf. Er war größer als die beiden Männer von Terminus, aber auch älter und schwammiger, und seine Körpergröße vermittelte keinen Eindruck von bedrohlicher Kraft. Er wirkte müder als zum Zeitpunkt ihrer Ankunft.
Er blinzelte die beiden an. »Ich vergesse die Regeln der Gastfreundschaft«, sagte er. »Sie sind Außerplanetarische, und es gehört sich nicht, daß Sie für meine Unterhaltung sorgen. Kommen Sie mit zu mir! Ich wohne im Bereich des Universitätsgeländes, so daß wir’s nicht weit haben, und wenn Sie das Gespräch weiterzuführen wünschen, können wir’s bei mir daheim unter angenehmeren Umständen tun. Allerdings muß ich zu meinem Bedauern sagen…« — hier wirkte er ein wenig unbehaglich —, »ich kann Ihnen nur eine beschränkte Mahlzeit bieten. Meine Frau und ich sind Vegetarier, und sollten Sie Fleischesser sein, kann ich mich nur entschuldigen und muß Sie um Verständnis bitten.«
»J. P. und ich werden es für ein Essen durchaus schaffen, unsere Fleischfressergelüste im Zaum zu halten«, entgegnete Trevize. »Was Sie uns erzählen, wird uns mehr als genug dafür entschädigen… hoffe ich.«
»Ich kann Ihnen ein interessantes Essen versprechen, wie immer sich das Gespräch auch entwickeln mag«, erwiderte Quintesetz, »falls unsere sayshellischen Gewürze Ihnen zusagen. Meine Frau und ich haben aus der Verwendung von Gewürzen eine wahre Kunst gemacht.«
»Mir ist alles recht, was Sie an Exotischem bieten möchten, S. Q.«, sagte Trevize unterkühlt. Pelorat dagegen erregte angesichts solcher Aussichten einen eher nervösen Eindruck.
Quintesetz ging voran. Sie verließen das Büro und wanderten einen scheinbar endlosen Korridor entlang, und unterwegs grüßte der Saysheller dann und wann Studenten und Kollegen, sah jedoch davon ab, ihnen seine beiden Begleiter vorzustellen. Trevize bemerkte mit Mißmut, daß so mancher seine Schärpe, zufällig eines seiner grauen Exemplare, befremdet anstarrte. Eine gedämpfte Farbe war in der Kleidung an dieser Universität anscheinend nicht de rigueur.
Schließlich traten sie durch eine Tür hinaus ins Freie. In der Tat war es nun völlig dunkel und ein bißchen kühl; in einigem Abstand sah man die Umrisse von Bäumen emporragen, und zu beiden Seiten des Fußwegs stand ziemlich hohes Gras.
Pelorat blieb stehen, den Rücken dem Lichtschein zugewandt, der aus dem Gebäude fiel, das sie gerade verlassen hatten, ebenso den Lichtquellen, die die Fußwege des Universitätsgeländes säumten. Er schaute direkt nach oben.
»Wunderschön!« sagte er. »Bei uns gibt’s ein berühmtes Zitat aus dem Gedicht eines unserer Dichter, worin vom ›Tüpfelschimmer an Sayshells weitem Firmament‹ die Rede ist.«
Trevize blickte ebenfalls angetan nach oben. »Wir kommen von Terminus, S. Q.«, sagte er mit leiser Stimme zu Quintesetz, »und mein Freund hier hat noch nie einen fremden Himmel gesehen. Auf Terminus sehen wir die Milchstraße nur als einheitlichen, trüben Fleck, dazu ein paar kaum sichtbare Sterne. Hätten Sie bisher nur immer unter unserem Himmel gelebt, Sie wüßten, was Sie hier haben, bestimmt noch mehr zu würdigen.«
»Ich versichere Ihnen«, sagte Quintesetz ernsthaft, »wir wissen durchaus, was wir daran haben. Er ist weniger deshalb so schön, weil wir uns hier in einer nicht allzu dichten Zone der Galaxis befinden, sondern weil die Verteilung der Sterne bemerkenswert gleichmäßig ist. Ich bezweifle, daß Sie sonst irgendwo in der Galaxis so viele Sterne erster Größenordnung so gleichmäßig verteilt sehen können. Aber andererseits sind’s auch nicht zu viele. Ich habe schon auf Welten den Himmel gesehen, die am Rande von Kugelwolken liegen, und dort sieht man viel zuviel helle Sterne. So was verdirbt die Dunkelheit eines Nachthimmels und vermindert den Gesamteindruck der Schönheit ganz erheblich.«
»Da bin ich völlig Ihrer Meinung«, sagte Trevize.
»Sehen Sie dies fast regelmäßige Fünfeck aus nahezu gleich hellen Sternen dort drüben?« meinte Quintesetz. »Wir nennen sie Fünf Schwestern. Da, in dieser Richtung, genau über dieser Reihe von Bäumen. Sehen Sie?«
»Ich sehe sie«, bestätigte Trevize. »Sehr hübsch.«
»Ja«, sagte Quintesetz. »Sie sollen Erfolg in der Liebe symbolisieren, und es dürfte kaum einen Liebesbrief geben, der nicht mit einem Fünfeck aus Punkten beendet wird, das den Wunsch nach einer Liebesbeziehung ausdrückt. Jeder der fünf Sterne steht für eine andere Stufe im Prozeß der Herstellung einer solchen Beziehung, und es gibt bekannte Dichtungen, die darin wetteifern, jede dieser verschiedenen Stufen so explizit erotisch wie möglich darzustellen. In meiner Jugendzeit habe ich selbst mal ein paar derartige Verse zu schmieden versucht, und damals hätte ich nie gedacht, daß einmal eine Zeit kommen würde, in der mir die Fünf Schwestern so gleichgültig sind, aber ich glaube, das geht jedem so. Erkennen Sie den trüben Stern genau in der Mitte des Fünfgestirns?«
»Ja.«
»Der soll die unerwiderte Liebe versinnbildlichen«, sagte Quintesetz. »Die Legende besagt, dieser Stern sei einmal so hell wie der Rest gewesen, aber im Laufe der Zeit aus Kummer dunkel geworden.« Und er ging rasch weiter.
Das Essen, so mußte Trevize sich insgeheim eingestehen, war ausgezeichnet gewesen. Es hatte eine nahezu unendliche Vielseitigkeit aufgewiesen, und die zahllosen Arten des Würzens und Verfeinerns hatten unaufdringliche, aber köstliche Geschmacksvariationen gewährleistet.
»Alle diese Gemüse — die mir übrigens bestens geschmeckt haben — sind doch gewissermaßen Bestandteil des allgemeinen galaktischen Nahrungsangebots, nicht wahr, S. Q.?« meinte Trevize.
»Ja, natürlich.«
»Aber ich vermute, es gibt hier auch ursprüngliche Lebensformen.«
»Natürlich. Als die ersten Siedler eintrafen, war Sayshell ja schon eine Sauerstoffwelt, folglich war auch heimisches Leben vorhanden. Und wir sind sichergegangen, daß vom hier entstandenen Leben auch einiges erhalten bleibt. Wir haben sehr ausgedehnte Naturschutzparks, in denen das alte sayshellische Leben noch immer existiert, sowohl Flora wie auch Fauna.«
»Dann haben Sie hier uns etwas voraus, S. Q.«, sagte Pelorat. »Als Terminus von Menschen besiedelt worden ist, gab es auf dem Land nur wenig Leben, und leider hat man lange Zeit hindurch keine koordinierten Anstrengungen zur Bewahrung des ozeanischen Lebens unternommen, das den Sauerstoff produziert hatte, der Terminus überhaupt erst bewohnbar machte. Terminus besitzt heute eine rein galaktische Ökologie.«
»Sayshell kann auf eine lange und beständige Geschichte der Lebensbewahrung zurückblicken«, sagte Quintesetz mit einem Lächeln bescheidenen Stolzes.
Trevize wählte diesen Moment, um auf das eigentliche Thema zurückzukommen. »Ich glaube, S. Q.«, rief er in Erinnerung, »als wir Ihr Büro verlassen haben, war es Ihre Absicht, uns nach dem Essen etwas über Gaia zu erzählen.«
Quintesetz’ Frau, eine freundliche Person, untersetzt und ein recht dunkler Typ — sie hatte während des Essens wenig geredet —, blickte entgeistert auf, erhob sich und ging ohne ein Wort aus dem Zimmer.
»Meine Frau«, sagte Quintesetz unbehaglich, »ist ziemlich konservativ eingestellt, und es gefällt ihr nicht, wenn man… äh… den besagten Planeten erwähnt. Bitte entschuldigen Sie sie. Warum fragen Sie überhaupt danach?«
»Leider ist es wichtig für J. P.s Arbeit.«
»Aber warum fragen Sie gerade mich? Wir haben über die Erde diskutiert, über Roboter, die Gründung Sayshells. Was hat das alles mit der… äh… mit dem zu tun, wonach Sie fragen?«
»Vielleicht nichts, aber es gibt nun einmal so viele Sonderbarkeiten an dieser Sache. Warum mißfällt Ihrer Frau die Erwähnung Gaias? Warum ist es Ihnen unangenehm, davon zu reden? Andere hier sprechen recht unbekümmert darüber. Erst heute hat man uns gesagt, Gaia sei nichts anderes als die Erde und aus Enttäuschung über die Übeltaten der Menschen in den Hyperraum entschwunden.«
Quintesetz’ Miene spiegelte wider, daß er sich schmerzlich berührt fühlte. »Wer hat Ihnen solchen Unfug aufgeschwatzt?«
»Jemand hier an der Universität.«
»Das ist reiner Aberglauben.«
»Dann gehört das also nicht zum zentralen Dogma Ihrer Legenden über die Zeit der Flucht und die Erstlandung?«
»Nein, natürlich nicht. Das ist nur so eine einfältige Fabel, die unter gewöhnlichen, ungebildeten Leuten kolportiert wird.«
»Sind Sie sicher?« meinte Trevize kühl.
Quintesetz lehnte sich in seinen Sessel und musterte die Überreste des Essens, die vor ihm standen. »Lassen Sie uns ins Wohnzimmer gehen«, sagte er. »Meine Frau wird nicht fürs Abtragen und Aufräumen sorgen, solange wir hier sitzen und… so etwas besprechen.«
»Sind Sie sicher, daß es sich lediglich um eine Fabel handelt?« wiederholte Trevize hartnäckig, nachdem sie in einem Nebenzimmer vor einem Fenster Platz genommen hatten, das sich über ihnen einwärts wölbte und einen klaren Ausblick auf Sayshells sehenswerten Nachthimmel ermöglichte. Die Beleuchtung des Zimmers war heruntergedimmt, um den Sternenschein nicht in seiner Schönheit zu beeinträchtigen, und Quintesetz’ dunkle Erscheinung verschmolz mit den Schatten.
»Sind Sie nicht sicher?« hielt er Trevize entgegen. »Glauben Sie etwa allen Ernstes, irgendeine Welt könnte sich so einfach als Ganzes in den Hyperraum verdrücken? Sie müssen berücksichtigen, daß der Durchschnittsbürger nur eine sehr vage Vorstellung davon hat, was der Hyperraum eigentlich ist.«
»Die Wahrheit ist«, antwortete Trevize, »ich habe selbst nur eine sehr vage Vorstellung vom Hyperraum, obwohl ich ihn schon einige hundertmal durchquert habe.«
»Dann erlauben Sie auch mir, die Realität auszusprechen. Ich versichere Ihnen, daß die Erde — wo sie auch sein mag — sich nicht innerhalb der Grenzen der Sayshell-Union befindet, und daß die Welt, die Sie außerdem erwähnt haben, nicht die Erde ist.«
»Aber selbst wenn Ihnen unbekannt ist, wo sich die Erde finden läßt, S. Q., müßten Sie wissen, wo sich die andere erwähnte Welt befindet. Die nämlich liegt bestimmt innerhalb der Grenzen der Sayshell-Union. Soviel wissen wir, stimmt’s, Pelorat?«
Pelorat, der stumm und still zugehört hatte, fuhr nun, als Trevize ihn ansprach, plötzlich auf. »Ich möchte sogar behaupten, Golan«, sagte er unvermittelt, »ich weiß, wo sie ist.«
Trevize drehte sich ihm zu und schaute ihn an. »Seit wann, Janov?«
»Seit dem frühen Abend, mein lieber Golan. Auf dem Weg vom Büro zu Ihrem Haus, S.Q., haben Sie uns die Fünf Schwestern gezeigt. Sie haben uns auf einen trüben Stern in der Mitte des Fünfecks aufmerksam gemacht. Ich bin davon überzeugt, das ist Gaia.«
Quintesetz zögerte, und seine Miene, in der Dunkelheit verborgen, ließ sich nicht erkennen. »Nun ja, das sagen uns jedenfalls die Astronomen«, meinte er schließlich, »wenigstens privat. Die fragliche Welt umkreist den entsprechenden Stern.«
Trevize betrachtete Pelorat nachdenklich, aber die Miene des Professors verriet nichts von dem, was in ihm vorging. »Dann erzählen Sie uns etwas über den Stern!« wandte Trevize sich erneut an Quintesetz. »Kennen Sie seine Koordinaten?«
»Ich? Nein.« Quintesetz’ Verneinung fiel fast heftig aus. »Ich sammle doch daheim keine stellaren Koordinaten. Sie könnten sie möglicherweise von der astronomischen Fakultät erhalten, aber nicht ohne Schwierigkeiten, nehme ich an. Flüge zu dem Stern sind untersagt.«
»Warum? Er liegt innerhalb Ihres Territoriums, oder nicht?«
»Kosmographisch gesehen, ja, politisch nicht.«
Trevize wartete auf weitere Äußerungen. Als sie ausblieben, stand er auf. »Professor Quintesetz«, sagte er in formellem Ton, »ich bin weder Polizist oder Soldat noch Diplomat oder Gangster. Ich bin nicht hier, um irgendwelche Informationen aus Ihnen herauszupressen. Statt dessen werde ich, wie sehr es auch meinem Willen widerstrebt, zu unserem Botschafter gehen. Sicherlich ist auch Ihnen klar, daß ich diese Informationen nicht bloß aus persönlichem Interesse haben möchte. Es geht dabei um eine Foundationangelegenheit, und ich will keineswegs eine interstellare Affäre daraus machen. Und ich glaube, an so etwas dürfte auch der Sayshell-Union kaum gelegen sein.«
»Inwiefern handelt es sich um eine Foundationangelegenheit?« fragte Quintesetz verunsichert nach.
»Das kann ich leider nicht mit Ihnen diskutieren. Falls Gaia etwas ist, worüber Sie um keinen Preis mit mir sprechen wollen, muß ich die ganze Sache auf die Regierungsebene verlagern, und unter solchen Umständen könnten sich für Sayshell nachteilige Folgen ergeben. Sayshell ist unabhängig von der Föderation geblieben, und ich habe dagegen keine Einwände. Ich besitze keinen Grund, Sayshell irgend etwas Schlechtes zu wünschen, und ich bin absolut nicht wild darauf, mich an unseren Botschafter zu wenden. Dadurch würde ich tatsächlich sogar meiner eigenen Laufbahn schaden, denn ich habe die unmißverständliche Anweisung erhalten, an diese Informationen zu gelangen, ohne Regierungsstellen zu bemühen. Bitte verraten Sie mir also, ob es einen vernünftigen Grund gibt, warum Sie nicht mit mir über Gaia reden könnten. Würde man Sie verhaften, irgendwie bestrafen, wenn Sie darüber sprechen? Wollen Sie mir ins Gesicht sagen, daß mir keine andere Wahl bleibt, als die ganze Sache auf die Botschafterebene zu tragen?«
»Nein, nein«, antwortete Quintesetz, nun offensichtlich völlig verwirrt. »Von Regierungsdingen verstehe ich nichts. Wir sprechen hier nun einmal ganz einfach nicht über die besagte Welt.«
»Aus Aberglauben?«
»Nun ja! Aberglauben! Ach, Firmament von Sayshell, in welcher Hinsicht bin ich eigentlich besser als diese dümmliche Person, die Ihnen eingeredet hat, Gaia befände sich im Hyperraum… oder als meine eigene Frau, die nicht in einem Zimmer bleibt, wo man Gaia erwähnt, die vielleicht inzwischen das Haus verlassen hat, aus Furcht, es könne etwas uns treffen…«
Ein Blitz?
»Irgend etwas von weit her. Und selbst ich zögere, ehe ich’s fertigbringe, den Namen auszusprechen. Gaia! Gaia! Diese zwei Silben tun mir nicht weh. Ich bleibe unversehrt. Trotzdem zögere ich. Aber bitte glauben Sie mir, ich kenne die Koordinaten von Gaias Stern wirklich nicht. Ich kann versuchen, sie Ihnen zu verschaffen, aber lassen Sie sich noch einmal klar von mir sagen, wir hier in der Sayshell-Union sprechen nicht über diese Welt. Wir lassen die Hände davon, beschäftigen uns nicht mit ihr. Ich kann Ihnen auch mitteilen, was hier über sie bekannt ist — an echten Fakten, nicht bloß Spekulationen —, und ich bezweifle, daß Sie auf irgendeiner Welt der Union mehr erfahren könnten. Wir wissen, daß Gaia eine uralte Welt ist, und es gibt Leute, die behaupten, das sei die älteste Welt in diesem Sektor der Galaxis. Der Patriotismus redet uns ein, Sayshell sei in dieser Gegend der älteste besiedelte Planet — die Furcht flüstert uns ein, Gaia sei’s. Die einzige Methode, diese beiden Auffassungen miteinander zu verbinden, besteht darin, einfach anzunehmen, Gaia sei die Erde, weil wir wissen, daß Erdbewohner Sayshell besiedelt haben. Die meisten Historiker denken — jedenfalls unter sich —, daß Gaia als Kolonie gesondert gegründet worden ist. Sie gehen davon aus, daß Gaia nicht durch irgendeine Welt unserer Union besiedelt worden ist, daß die Gründung der Union und die Besiedlung ihrer Welten andererseits aber auch nicht auf Gaia zurückgehen. Es besteht keine Einmütigkeit bezüglich des vergleichsweisen Alters, und damit bleibt offen, ob man Gaia früher oder später als Sayshell besiedelt hat.«
»Bis jetzt wissen Sie also so gut wie überhaupt nichts an richtigen Informationen zu geben«, sagte Trevize, »denn offenbar finden sich für jede denkbare Alternative genug Leute, die daran glauben.«
Quintesetz nickte wehmütig. »So könnte man meinen. Wir sind erst relativ spät in unserer Geschichte auf Gaias Existenz aufmerksam geworden. Anfangs waren wir damit beschäftigt, die Union zu bilden, dann damit, uns das Galaktische Imperium vom Halse zu halten, danach hat es uns stark beansprucht, uns richtig in die Rolle als Imperiumsprovinz hineinzufinden und die Macht der Sternenherzöge einzuschränken. Erst als die Zeit der Schwächung des Imperiums bereits weit fortgeschritten war, fiel einem der letzten Sternenherzöge, den das Imperium nur noch an lockerem Zügel hielt, überhaupt auf, daß Gaia existierte und anscheinend seine Unabhängigkeit sowohl gegenüber der sayshellischen Provinz wie auch dem Imperium selbst behauptete, indem man ganz einfach seine Isolation bewahrte und sich in Geheimnisse hüllte, so daß buchstäblich nichts über die besagte Welt bekannt war, genausowenig wie heute. Der Sternenherzog beschloß, sie zu übernehmen. Wir wissen keine Einzelheiten darüber, was passiert ist, aber seine Expedition scheiterte, nur wenige Schiffe kehrten zurück. Natürlich waren damals die Raumschiffe weder besonders gut, noch hat die Führung viel getaugt. Auf Sayshell hatte man Freude an der Schlappe des Sternenherzogs, versteht sich, weil man in ihm einen Unterdrücker im Namen des Imperiums sah, und sein Debakel führte fast auf direktem Wege zur Wiederherstellung unserer Unabhängigkeit. Die Sayshell-Union hat die Gelegenheit genutzt, um ihre Verbindung mit dem Imperium zu beenden, und den Jahrestag dieser Maßnahme feiern wir noch heute als Tag der Union. Wie aus Dankbarkeit haben wir uns fast ein Jahrhundert lang nicht um Gaia gekümmert, aber schließlich kam eine Zeit, da waren wir selbst stark genug für ein bißchen eigene imperialistische Expansion. Warum sollten wir uns nicht Gaia einverleiben? Warum nicht wenigstens eine Handelseinheit herstellen? Wir schickten eine Flotte hin, aber unser Unternehmen schlug gleichfalls fehl. Anschließend haben wir uns mit gelegentlichen Versuchen begnügt, Handelsbeziehungen zu etablieren — lauter Versuche, die unweigerlich mißlangen. Gaia blieb in strikter Isolation und hat — soweit jemand das weiß — von sich aus niemals auch nur die geringsten Bemühungen gemacht, um mit irgendeiner anderen Welt zu handeln oder bloß in Kommunikation zu treten. Gleichzeitig hat sie auch nie die leiseste feindselige Handlung in irgendeine Richtung begangen. Und dann…«
Quintesetz hellte die Beleuchtung auf, indem er einen Schalter in der Armlehne seines Sessels betätigte. In der plötzlichen Helligkeit nahm Quintesetz’ Miene einen eindeutig sardonischen Ausdruck an. »Da Sie Bürger der Foundation sind«, sagte er, »entsinnen Sie sich vielleicht an den Fuchs.«
Trevize errötete. In den fünf Jahrhunderten ihres Bestehens war die Foundation nur einmal besiegt worden. Die Eroberung war nur zeitweilig gewesen und hatte sie auf dem Wege zum Zweiten Imperium nicht ernsthaft aufhalten können, aber niemand, dem die Foundation zuwider war und ihre Selbstzufriedenheit ankratzen wollte, versäumte es, den Fuchs zu erwähnen, ihren einzigen Eroberer. Und wahrscheinlich (dachte sich Trevize) hatte Quintesetz die Beleuchtung erhellt, um sehen zu können, wie er die Selbstzufriedenheit von Foundationbürgern ankratzte.
»Ja«, antwortete Trevize, »wir von der Foundation erinnern uns an den Fuchs.«
»Der Fuchs hat eine Zeitlang über ein eigenes Imperium geherrscht«, sagte Quintesetz, »das so groß war wie heute die Foundation. Aber uns hat er nicht beherrscht. Uns hat er in Frieden gelassen. Einmal war er allerdings im Sayshell-Sektor. Wir haben eine Neutralitätserklärung unterzeichnet und ihn unserer Freundschaft versichert. Mehr hat er nicht verlangt. Wir waren die einzigen, von denen er in der Zeit, bevor Krankheit seiner Expansion Einhalt gebot und ihn dazu zwang, auf den Tod zu warten, nicht mehr verlangt hat. Wissen Sie, er war kein unvernünftiger Mann. Sinnlose Gewalt hat er nicht gebraucht, er war kein Blutherrscher, er hat human regiert.«
»Nur war er ein Eroberer«, meinte Trevize sarkastisch.
»So wie die Foundation«, sagte Quintesetz.
»Haben Sie noch mehr über Gaia zu erzählen?« entgegnete Trevize gereizt, weil ihm darauf keine geeignete Antwort einfiel.
»Nur eine Äußerung, die der Fuchs von sich gegeben hat. Der Darstellung der historischen Begegnung zwischen dem Fuchs und Präsident Kallo von der Union zufolge soll der Fuchs, als er schwungvoll seine Unterschrift unter das Dokument setzte, gesagt haben: ›Wie ich aus diesem Dokument ersehe, verhalten Sie sich auch zu Gaia neutral, und das ist für Sie ein glücklicher Umstand. Nicht einmal ich werde mich mit Gaia abgeben.‹«
Trevize schüttelte den Kopf. »Warum hätte er so etwas denn auch tun sollen? Sayshell war sehr auf Neutralität bedacht, und Gaia hatte ja nie irgend jemandem Schwierigkeiten gemacht. Der Fuchs verfolgte damals den Plan, die gesamte Galaxis zu erobern, warum also hätte er sich mit Kleinkram aufhalten sollen? Sobald er sein Ziel erreicht hätte, wäre ihm Zeit genug gewesen, um Sayshell und Gaia in die Tasche zu stecken.«
»Vielleicht, vielleicht«, sagte Quintesetz. »Aber einem Zeugen zufolge, der anwesend war, einer Person, der wir zu glauben geneigt sind, legte der Fuchs seinen Stift hin, als er sagte: ›Nicht einmal ich werde mich mit Gaia abgeben.‹ Dann soll er die Stimme gesenkt und hinzugefügt haben, und zwar in kaum hörbarem Flüstern, als solle niemand es hören: ›Nicht noch einmal.‹«
»Kaum vernehmlich sagen Sie, als solle niemand es hören. Wieso ist es trotzdem gehört worden?«
»Weil sein Stift vom Tisch rollte, als er ihn hinlegte, und selbstverständlich trat sofort ein Saysheller näher und bückte sich, um ihn aufzuheben. Deshalb war sein Ohr den Lippen des Fuchses ziemlich nah, als der Fuchs ›Nicht noch einmal‹ flüsterte, und daher konnte er’s hören. Und diese Person hat bis nach dem Tod des Fuchses darüber geschwiegen.«
»Gibt es Beweise dafür, daß es sich nicht bloß um eine Erfindung handelt?«
»Der Lebenslauf der erwähnten Person rechtfertigt die Auffassung, es für unwahrscheinlich zu halten, daß sie sich solche Dinge ausgedacht hat. Ihr Wort gilt im allgemeinen als glaubhaft.«
»Und wenn, was ergibt sich daraus?«
»Der Fuchs war niemals außer bei dieser einen Gelegenheit im Gebiet der Sayshell-Union oder in dessen Nähe, jedenfalls nicht nach seinem Tätigwerden in galaktischem Maßstab. Wenn er je auf Gaia gewesen sein soll, dann muß es gewesen sein, bevor er sich auf galaktischer Ebene zu betätigen begann.«
»Na und?«
»Na, und wo ist der Fuchs geboren?«
»Soweit ich informiert bin, weiß niemand darüber Bescheid«, erwiderte Trevize.
»In der Sayshell-Union hat man stellenweise recht stark das Gefühl, daß er das Licht der Welt auf Gaia erblickt hat.«
»Wegen dieser einen Äußerung?«
»Nur zum Teil deswegen. Der Fuchs konnte nicht geschlagen werden, weil er über starke mentale Kräfte verfügte. Gaia kann offensichtlich auch nicht überwunden werden.«
»Gaia ist bisher nie überwunden worden. Das heißt aber keineswegs, daß sie sich durch Unüberwindbarkeit auszeichnet.«
»Sogar der Fuchs hat die Finger von ihr gelassen. Schauen Sie in den Archiven aus der Zeit seiner Oberherrschaft nach! Sehen Sie nach, ob er irgendeine Region in der Galaxis so vorsichtig behandelt hat wie die Sayshell-Union. Und wissen Sie, daß niemand, der je nach Gaia geflogen ist, um lediglich friedlichen Handel anzubahnen, zurückgekehrt ist? Was glauben Sie wohl, warum wir so wenig über Gaia wissen?«
»Ihre Ansichten grenzen an Aberglauben«, sagte Trevize.
»Nennen Sie’s, wie Sie wollen! Seit der Zeit des Fuchses haben wir Gaia jedenfalls aus unserem Denken gestrichen. Wir wünschen nämlich nicht, daß Gaia an uns denkt. Wir fühlen uns nur sicher, wenn wir so tun, als wäre sie gar nicht vorhanden. Es kann sein, daß die Regierung insgeheim selbst die Legende initiiert und gefördert hat, Gaia sei in den Hyperraum verschwunden, in der Hoffnung, die Bevölkerung werde vergessen, daß es tatsächlich einen Stern dieses Namens gibt.«
»Dann glauben Sie also, daß Gaia eine Welt voller Füchse ist?«
»Ich halte es für möglich. Ich rate Ihnen — in Ihrem Interesse —, Gaia nicht aufzusuchen! Wenn Sie’s tun, werden Sie niemals zurückkehren. Sollte die Foundation sich mit Gaia anlegen, würde sie weniger Intelligenz an den Tag legen als der Fuchs. Das können Sie Ihrem Botschafter sagen.«
»Geben Sie mir die Koordinaten, und wir werden Ihre Welt unverzüglich verlassen«, antwortete Trevize. »Ich werde Gaia erreichen, und ich werde auch zurückkehren.«
»Ich werde Ihnen die Koordinaten verschaffen«, sagte Quintesetz. »Natürlich arbeitet die astronomische Abteilung nachts, und wenn’s irgendwie geht, will ich sie ihnen sofort besorgen. Aber lassen Sie mich noch einmal von jedem Versuch abraten, Gaia aufzusuchen.«
»Ich beabsichtige den Versuch zu wagen«, sagte Trevize.
Und Quintesetz erwiderte bedrückt: »Dann beabsichtigen Sie Selbstmord.«