Janov Pelorat betrachtete die noch trübe Landschaft draußen im Grauen der Morgendämmerung mit einem Gemisch aus Bedauern und Unsicherheit.
»Unser Aufenthalt ist zu kurz, Golan. Das ist eine angenehme und interessante Welt, finde ich. Ich würde gerne mehr von ihr kennenlernen.«
Trevize blickte mit schiefem Lächeln vom Computer auf. »Glauben Sie, ich nicht? Wir haben auf diesem Planeten nur zwei anständige Mahlzeiten eingenommen — beide total andersartig, aber jede exzellent. Ich hätte gerne mehr probiert. Und die einzigen Frauen, die wir gesehen haben, sind uns nur flüchtig unter die Augen gekommen… Und ein paar von ihnen sahen ganz anregend aus… für das, was jemand wie ich so mit Frauen im Sinn hat.«
Pelorat rümpfte andeutungsweise die Nase. »Ach, mein Bester! Diese Kuhglocken, die sie Schuhe nennen, und in die schreiendsten Farben sind sie gehüllt, und was sie erst mit ihren Wimpern anstellen! Haben Sie bemerkt, was sie mit den Wimpern anstellen?«
»Sie können sich darauf verlassen, ich habe alles bemerkt, was es an ihnen zu sehen gab, Janov. Ihre Einwände betreffen bloß Oberflächlichkeiten. Notfalls kann man Frauen dazu bringen, sich das Gesicht zu waschen, und Schuhe und bunte Klamotten fliegen zum richtigen Zeitpunkt sowieso beiseite.«
»Das glaube ich Ihnen aufs Wort, Golan. Ich habe allerdings mehr an eine weitere Erforschung dieser Angelegenheiten über die Erde gedacht. Was man uns bis jetzt von der Erde erzählt hat, ist so unbefriedigend, so widersprüchlich… Einer Person zufolge geht’s um Strahlung, nach einer anderen um Roboter.«
»Aber in jedem Fall soll sie eine tote Welt geworden sein.«
»Gewiß«, sagte Pelorat, »aber es kann sein, daß das eine wahr ist und das andere unwahr oder daß in gewissem Umfang beides wahr ist oder daß beides überhaupt nicht stimmt. Wenn Sie Geschichten hören, Golan, die alles nur in dichten Nebel der Ungewißheit hüllen, dann müssen doch auch Sie den Drang verspüren, solche Dinge zu erforschen, die Wahrheit aufzudecken.«
»Ich verspüre ihn auch«, sagte Trevize, »bei jedem Zwergstern in der Galaxis, ich verspüre ihn. Unser akutes Hauptproblem jedoch ist Gaia. Sobald wir das geklärt haben, können wir zur Erde fliegen oder auch in den Sayshell-Sektor zurückkehren, um länger auf Sayshell zu bleiben. Aber erst kommt Gaia!«
Pelorat nickte. »Unser akutes Hauptproblem, ja! Wenn wir Quintesetz abnehmen, was er uns aufgetischt hat, erwartet uns auf Gaia der Tod. Wollen wir trotzdem hin?«
»Das frage ich mich selbst«, gestand Trevize. »Fürchten Sie sich?«
Pelorat zögerte für einen Moment mit der Antwort, als untersuche er erst die eigenen Empfindungen. »Ja«, bekannte er dann unumwunden und in sachlichem Ton. »Schrecklich.«
Trevize lehnte sich in seinem Sessel zurück und schwenkte ihn herum, bis er Pelorat genau gegenübersaß. »Janov«, sagte er ebenso ruhig und sachlich, »es ist nicht nötig, daß Sie sich irgendwelchen Risiken aussetzen. Sagen Sie, daß Sie es so wünschen, und ich lasse Sie mit Ihrem persönlichen Eigentum und der Hälfte unseres Guthabens an Credits auf Sayshell zurück. Wenn ich wiederkehre, hole ich Sie ab, und dann fliegen wir weiter in den Sirius-Sektor, wenn Sie möchten, zur Erde, falls sie sich dort befindet. Sollte ich nicht wiederkommen, werden die Vertreter der Foundation auf Sayshell dafür sorgen, daß Sie nach Terminus heimkehren können. Ich nehm’s Ihnen nicht übel, wenn Sie hier bleiben, alter Freund.«
Einige Augenblicke lang blinzelte Pelorat sehr schnell und preßte die Lippen fest aufeinander. »Alter Freund?« meinte er dann mit ziemlich rauher Stimme. »Wir kennen uns nun — wie lange? Eine Woche oder so? Ist es nicht merkwürdig, daß ich es ablehne, das Schiff zu verlassen? Ich fürchte mich, aber ich möchte mitkommen.«
Trevize bewegte seine Hände in einer Geste der Unsicherheit. »Aber warum? Ehrlich, ich verlang’s nicht von Ihnen.«
»Ich bin mir nicht sicher, weshalb, aber ich verlang’s von mir. Es ist… es ist so… Golan, ich habe Vertrauen zu Ihnen. Ich habe von Ihnen den Eindruck, daß Sie jederzeit wissen, was Sie tun. Ich wollte nach Trantor, und dort wäre — wie ich’s jetzt sehe — vermutlich überhaupt nichts geschehen. Sie haben darauf bestanden, daß wir uns für Gaia interessieren, und irgendwie ist Gaia allem Anschein nach in der Galaxis ein wunder Punkt. Im Zusammenhang mit Gaia, so kommt es mir vor, geschieht etwas. Und sollte das nicht genügen, ich habe gut achtgegeben, Golan, als Sie Quintesetz die Informationen über Gaia entlockt haben. Das war ein derartig raffinierter Bluff, ich war vor Bewunderung wie vor den Kopf geschlagen.«
»Sie vertrauen also meinen Fähigkeiten.«
»Ja, richtig«, sagte Pelorat.
Trevize legte eine Hand auf den Oberarm des anderen und wirkte einen Moment lang, als suche er nach Worten. »Janov«, sagte er schließlich, »würden Sie mir wohl schon im voraus verzeihen, falls mein Urteil sich als falsch erweist und Sie auf die eine oder andere Weise mit… mit dem konfrontiert werden, was uns an Unerfreulichem erwarten könnte?«
»Aber mein Bester«, erwiderte Pelorat, »was reden Sie da nur? Ich treffe diese Entscheidung völlig frei aus meinen Gründen, nicht aufgrund Ihrer Überlegungen. Und bitte… lassen Sie uns schnellstens aufbrechen. Ich befürchte, meine Feigheit könnte mich doch noch übermannen und für den Rest meines Lebens mit Schande überhäufen.«
»Wie Sie wünschen, Janov«, sagte Trevize. »Wir starten, wenn der Computer uns freie Bahn gibt. Diesmal durchqueren wir die Atmosphäre mit dem Gravo-Antrieb — senkrecht aufwärts —, sobald sicher ist, daß sich keine anderen Raumer im nahen Luftraum befinden. Je dünner die Atmosphäre während des Aufstiegs wird, um so schneller werden wir steigen. Binnen einer Stunde werden wir wieder im Weltraum sein.«
»Gut«, sagte Pelorat und riß einer Kaffeedose aus Plastik den Verschluß ab. Augenblicklich begann es aus der entstandenen Öffnung zu dampfen. Pelorat hob den Trinkschnabel an den Mund und trank, saugte vorher gerade genug Luft in den Mund, um den Kaffee auf eine erträgliche Temperatur abkühlen zu lassen.
Trevize grinste. »Wunderbar, wie Sie gelernt haben, dies Zeug zu benutzen. Sie sind schon ein richtiger Raumveteran, Janov.«
Pelorat betrachtete die Plastikdose für einen Augenblick. »Da wir jetzt Raumschiffe haben, die nach Bedarf Gravitationsfelder erzeugen können«, sagte er, »wird man künftig doch wohl dazu übergehen, normale Behältnisse und Gefäße zu verwenden, oder?«
»Natürlich wäre das möglich, aber Sie dürften Weltraumfahrer schwerlich dahin bringen, daß sie von ihren ganz auf den Weltraum abgestellten Gerätschaften Abstand nehmen. Wie sollte eine Raumratte von Weltraumfahrer einen deutlichen Unterschied zwischen sich und einem Bodenhocker machen, wenn er aus einem gewöhnlichen, oben offenen Becher trinken müßte? Sehen Sie diese Ringe an den Wänden und oben an der Decke? Seit zwanzigtausend Jahren und länger montiert man sie traditionell in sämtlichen Raumschiffen, obwohl sie in einem Gravo-Raumer völlig überflüssig sind. Trotzdem sind sie auch hier vorhanden, und ich wollte das ganze Raumschiff gegen eine Tasse Kaffee wetten, daß eine echte Raumratte jetzt beim Start vortäuschen würde, es presse sie bis an den Rand des Erstickens nieder, und anschließend würde sie an diesen Ringen hin und her baumeln wie in Nullgravitation, während in beiden Fällen G Eins besteht — ich meine, Normalschwerkraft.«
»Sie scherzen.«
»Naja, vielleicht ist’s ein wenig übertrieben, aber ein gewisses soziales Trägheitsmoment ist mit allem verbunden, sogar dem technischen Fortschritt. Sie sehen selbst, diese nutzlosen Wandringe sind vorhanden, und die Kaffeedosen haben Trinkschnäbel.«
Pelorat nickte nachdenklich und trank weiter von seinem Kaffee. »Wann starten wir denn nun?« erkundigte er sich zu guter Letzt.
Trevize lachte herzhaft. »Jetzt habe ich Sie reingelegt«, sagte er. »Ich habe über Wandringe geplaudert, und Sie haben nicht bemerkt, daß wir genau in dem Moment gestartet sind. Wir sind schon zwei Kilometer hoch.«
»Das ist doch nicht Ihr Ernst?«
»Schauen Sie hinaus!«
Pelorat tat es. »Aber ich habe gar nichts bemerkt«, sagte er dann.
»Das sollten Sie ja auch nicht.«
»Verstoßen wir nicht gegen die Vorschriften? Sicherlich hätten wir doch einem Funkimpuls folgen und spiralförmig aufsteigen müssen, so wie wir’s bei der Landung gemacht haben, oder nicht?«
»Es besteht gar kein Anlaß dazu, Janov. Niemand wird uns aufhalten. Absolut niemand.«
»Vor der Landung haben Sie doch gesagt…«
»Da lag der Fall noch anders. Über unsere Ankunft hat man sich bestimmt nicht sonderlich gefreut, aber man kann uns ganz sicher nicht schnell genug wieder abfliegen sehen.«
»Wieso meinen Sie das, Golan? Die einzige Person, mit der wir über Gaia gesprochen haben, war Quintesetz, und er hat uns praktisch angefleht, nicht hinzufliegen.«
»Glauben Sie ihm nicht, Janov! Das war nur der Form halber. In Wirklichkeit wollte er sichern, daß wir nach Gaia fliegen. Janov, Sie haben den Bluff bewundert, mit dem ich nach Ihrer Meinung Informationen aus Quintesetz herausgeholt habe. Es tut mir leid, aber ich verdiene keinerlei Bewunderung. Selbst wenn ich überhaupt nichts unternommen hätte, die Informationen wären uns zugekommen. Hätte ich mir die Ohren verstopft, er hätte sie mir ins Gesicht gebrüllt.«
»Wieso denn, Golan? Das ist doch verrückt.«
»Paranoid? Ja, ich weiß.« Trevize drehte sich wieder dem Computer zu und erweiterte mit dessen Hilfe seinen Wahrnehmungsbereich. »Man unternimmt nichts, um uns aufzuhalten«, bekräftigte er. »Keine Raumschiffe im Abfangumkreis, keine Warnungen irgendeiner Art.«
Er schwenkte den Sessel erneut Pelorat zu. »Sagen Sie mir, Janov, wie haben Sie von Gaia erfahren?« fragte er. »Sie kannten Gaia schon, als wir uns noch auf Terminus befanden. Sie wußten, sie ist im Sayshell-Sektor. Sie wußten auch, daß der Name etwas ähnliches bedeutet wie ›Erde‹. Woher haben Sie das alles erfahren?«
Pelorats Haltung versteifte sich anscheinend ein wenig. »Wäre ich in meinem Arbeitszimmer auf Terminus, könnte ich in meinem Archiv nachsehen«, sagte er. »Naturgemäß habe ich nicht alles dabei — ganz bestimmt keine Aufzeichnungen darüber, wann ich zum erstenmal auf dieses oder jenes Datenmaterial gestoßen bin.«
»Nun denken Sie doch mal ein bißchen nach«, forderte Trevize grimmig. »Berücksichtigen Sie, daß die Saysheller sich über diese Sache ausschweigen. Sie hegen sogar so einen Widerwillen dagegen, über Gaia zu sprechen, daß sie wahrhaftig unter der eigenen Bevölkerung einen Aberglauben nähren, der vorgibt, im realen Weltraum gäbe es keinen solchen Planeten. Und ich kann Ihnen in der Tat noch etwas anderes zeigen. Schauen Sie mal her!«
Trevize wandte sich wieder dem Computer zu, und seine Finger glitten mit der Leichtigkeit und Geschmeidigkeit ausgiebiger Übung über das Pult in die Handmulden. Als er seine Hände in die Kontrollmulden senkte, hieß er ihre warme Berührung und das Umschließen seiner Hände insgeheim willkommen. Wie jedesmal spürte er ein wenig von seiner Willenskraft nach außen wirksam werden.
»Dies ist die galaktische Karte, wie sie vor unserer Landung auf Sayshell in den Datenspeichern vorhanden war«, sagte er. »Ich werde Ihnen nun den Ausschnitt der Karte vorführen, der Sayshells Nachthimmel darstellt, so wie wir ihn gestern abend gesehen haben.«
Die Kabine verdunkelte sich, und das Bild eines Nachthimmels sprang auf den Bildschirm.
»So schön, wie wir ihn auf Sayshell gesehen haben«, sagte Pelorat mit leiser Stimme.
»Noch schöner«, meinte Trevize ungnädig. »Es gibt keine atmosphärische Beeinträchtigung der Sicht, keine Wolken, keine Unscharfen am Horizont. Aber warten Sie, lassen Sie mich noch etwas adjustieren!«
Das Blickfeld veränderte sich mit gleichmäßiger Zügigkeit und erweckte den unbehaglichen Eindruck, die Männer seien es, die sich bewegten und ihre Position veränderten. Instinktiv klammerte Pelorat sich an die Armlehnen seines Sessels, um Halt zu haben.
»Dort«, sagte Trevize. »Erkennen Sie, was das ist?«
»Natürlich. Das sind die Fünf Schwestern — das Fünfeck von Sternen, das Quintesetz uns gezeigt hat. Es ist nicht zu verwechseln.«
»Ja, wahrhaftig. Aber wo ist Gaia?«
Pelorat zwinkerte. In der Mitte des Sternbilds war kein schwaches Sternchen zu sehen.
»Nicht da«, sagte er.
»Genau. Sie ist nicht da. Und das ist so, weil ihre Position in den Speicherbänken des Computers nicht enthalten ist. Da es außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt, daß man wegen uns die Datenbänke in dieser Beziehung unvollständig gemacht hat, schließe ich daraus, daß die Foundation-Galaktografen, die diese Datenbanken mit Datenmaterial versorgt haben — und denen ungeheure Mengen von Daten zur Verfügung standen — Gaia nicht kannten.«
»Glauben Sie, wenn wir Trantor aufgesucht hätten…«, begann Pelorat.
»Ich vermute, wir hätten auch dort keine Daten über Gaia gefunden. Ihre Existenz wird von den Sayshellern als Geheimnis behandelt — und erst recht von den Gaianern selbst. Vor wenigen Tagen haben Sie erwähnt, es wäre nicht allzu selten, daß eine Welt sich absichtlich absondert, um einer Besteuerung oder sonstigen äußeren Einflüssen zu entgehen.«
»Wenn Kartographen und Statistiker einmal auf so eine Welt aufmerksam werden«, sagte Pelorat, »stellt sich gewöhnlich heraus, daß sie sich in einem dünn besiedelten Teil der Galaxis befindet. Räumliche Isolation erst macht ein Verstecken möglich. Gaia dagegen liegt nicht isoliert.«
»Das ist richtig. Das macht Gaia nur um so außergewöhnlicher. Also wollen wir diesen Kartenausschnitt auf dem Bildschirm belassen und uns mal ein paar Gedanken über speziell diese Unkenntnis unserer Kartographen machen… Und lassen Sie mich nochmals fragen — in Anbetracht dieser Unwissenheit von Leuten, die von allen am meisten Wissen zur Verfügung haben, wie ist es da erklärlich, daß ausgerechnet dann Sie von Gaia wußten, Janov?«
»Golan, mein Bester, dreißig Jahre lang habe ich hinsichtlich der Erde Mythen, Legenden und historische Fakten gesammelt. Wie soll ich ohne mein komplettes Archivmaterial sagen können…«
»Irgendwie müssen wir doch einen Anfang machen können, Janov. Haben Sie davon in den ersten oder den zweiten fünfzehn Jahren Ihrer Forschungen gehört?«
»Ach so, wenn Sie das so breit betrachten, ja, dann kann ich sagen, es war in den letzten fünfzehn Jahren.«
»Sie müßten’s doch genauer wissen, Janov. Lassen Sie mich einfach mal unterstellen, Sie haben erst innerhalb der letzten paar Jahre davon erfahren.«
Trevize spähte zu Pelorat hinüber, merkte jedoch, daß es in der Dunkelheit unmöglich war, dessen Gesichtsausdruck zu interpretieren, und er dimmte die Beleuchtung der Kabine ein wenig heller. Die prachtvolle Darstellung des Nachthimmels auf dem Bildschirm verlor in gewissem Maß an Leuchtkraft. Pelorats Miene war steinern ausdruckslos und enthüllte nichts.
»Nun?« meinte Trevize.
»Ich denke nach«, sagte Trevize wohlwollend. »Sie könnten recht haben. Beschwören würde ich es aber nicht. Als ich Jimbor an der Ledbet-Universität anschrieb, habe ich Gaia nicht erwähnt, obwohl es in dem Zusammenhang angebracht gewesen wäre, und das war… Moment mal… es war fünfundneunzig, also vor drei Jahren. Ich glaube, Sie haben recht, Golan.«
»Und wie sind Sie dann darauf gestoßen?« fragte Trevize. »Durch Korrespondenz? Ein Buch? Eine wissenschaftliche Veröffentlichung? Irgendein altes Lied? Wie? Kommen Sie, Janov!«
Pelorat lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. Er versank in tiefes Nachdenken, regte sich nicht im geringsten. Trevize schwieg und wartete.
»In einer privaten Korrespondenz«, sagte Pelorat nach langer Pause. »Aber es hat keinen Zweck, mich zu fragen, mit wem, mein Bester. Ich kann mich nicht entsinnen.«
Trevize strich mit den Händen über seine Schärpe. Sie fühlten sich klamm an, während er seine Bemühungen fortsetzte, Pelorats Informationsquelle aufzudecken, ohne ihm allzu deutlich irgend etwas in den Mund zu legen. »Mit einem Historiker?« fragte er. »Einem Experten in Mythologie? Einem Galaktografen?«
»Zwecklos. Ich kann mit der Information keinen Namen in Verbindung bringen.«
»Vielleicht weil es keinen gab?«
»O nein. Das dürfte kaum möglich sein.«
»Wieso? Würden Sie Informationen, die Ihnen anonym zugehen, außer acht lassen?«
»Vermutlich nicht.«
»Haben Sie jemals so was erhalten?«
»Ab und zu. Im Laufe der vergangenen Jahre bin ich in akademischen Kreisen als Kollektor bestimmter Typen von Mythen und Legenden ziemlich bekannt geworden, und manche meiner Korrespondenten sind bisweilen so freundlich, mir Material aus nichtakademischen Quellen zur Kenntnis zu geben. Solche Sachen werden dann manchmal keiner bestimmten Person zugeschrieben.«
»Ja, aber haben Sie je direkt anonyme Informationen erhalten, ohne Umweg über einen Korrespondenten?«
»Das kommt manchmal vor — aber sehr selten.«
»Und sind Sie sicher, daß es im Fall Gaia nicht so gewesen ist?«
»So was gibt es so selten, daß ich sicher bin, ich müßte mich erinnern, wenn es in diesem Fall so gewesen wäre. Andererseits kann ich auch nicht völlig ausschließen, daß ich die Information anonym erhalten habe. Aber beachten Sie, daß das nicht heißt, ich habe die Information aus anonymer Quelle erhalten.«
»Das verstehe ich sehr wohl. Aber es bleibt eine Möglichkeit, nicht wahr?«
»Ich würde sagen, ja«, antwortete Pelorat nach einigem Zögern. »Aber was soll das alles eigentlich bedeuten?«
»Ich bin noch nicht fertig«, entgegnete Trevize herrisch. »Woher ist die Information gekommen, ob anonym oder nicht — ich meine, von welcher Welt?«
Pelorat zuckte die Achseln. »Nun hören Sie aber mal auf! Ich habe wirklich nicht die leiseste Ahnung.«
»Könnte sie möglicherweise von Sayshell gekommen sein?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, ich weiß es nicht.«
»Ich nehme an, Sie haben sie von Sayshell erhalten.«
»Sie können selbstverständlich alles annehmen, was Sie wünschen, es wird dadurch aber nicht zwangsläufig zur Tatsache.«
»Nicht? Als Quintesetz uns den schwachen Stern in der Mitte der Fünf Schwestern gezeigt hat, wußten Sie sofort, daß das Gaia ist. Sie haben’s zu Quintesetz gesagt und den Stern identifiziert, bevor er es getan hat. Erinnern Sie sich?«
»Ja, freilich.«
»Wie war das möglich? Wieso haben Sie sofort erkannt, daß dieser Stern Gaia ist?«
»Weil in meinem Material über Gaia der Stern kaum jemals bei diesem Namen genannt wird. Es gibt zahlreiche Umschreibungen. Eine davon, auf die ich mehrfach gestoßen bin, lautet ›Kleiner Bruder der Fünf Schwestern‹. Eine andere ist ›Mitte des Fünfecks‹, da und dort auch ›Pentagonszentrum‹ genannt. Als Quintesetz uns die Fünf Schwestern und ihren Zentralstern gezeigt hat, ist mir das alles natürlich sofort eingefallen.«
»Mir gegenüber haben Sie diese Hinweise nie erwähnt.«
»Ich war mir gar nicht darüber im klaren, was sie besagen, und ich war der Meinung, es lohne sich nicht, solche Dinge mit Ihnen zu diskutieren, weil Sie ja kein…« Pelorat zögerte.
»Weil ich kein Fachmann bin?«
»Ja.«
»Ich hoffe, Sie besitzen darüber Klarheit, daß das Fünfeck der Fünf Schwestern eine völlig relative Konstellation ist.«
»Was meinen Sie damit?«
Trevize lachte nachsichtig auf. »Sie Bodenhocker! Glauben Sie etwa, Sternbilder hätten eine objektive Form? Daß die Sterne festgenagelt sind? Das Fünfeck besitzt diese seine Form nur von der Oberfläche der Planeten aus gesehen, die zum Sayshell-System zählen, und nur von dort aus gesehen. Von einem Planeten aus, der einen anderen Stern umkreist, bieten die Fünf Schwestern einen ganz anderen Anblick. Zunächst einmal sieht man sie aus einem anderen Winkel. Und außerdem sind die fünf Sterne des Fünfecks unterschiedlich weit von Sayshell entfernt, und aus anderem Blickwinkel betrachtet, erkennt man zwischen ihnen womöglich gar keinen Zusammenhang. Ein oder zwei Sterne könnten in der einen, der Rest in der anderen Hälfte des Himmels liegen. Schauen Sie her…«
Trevize verdunkelte die Kabine wieder und beugte sich über den Computer. »Die Sayshell-Union umfaßt sechsundachtzig bewohnte Planetensysteme. Lassen wir mal Gaia — beziehungsweise die Stelle, wo sie sich befinden muß — in ihrer Position…« — während er das sagte, erschien in der Mitte zwischen den Fünf Schwestern ein kleiner roter Kreis —, »und verlagern den Blickwinkel, so daß er einem Nachthimmel entspricht, wie man ihn auf einer beliebigen der anderen sechsundachtzig Welten sieht.«
Das dargestellte Firmament verschob sich, und Pelorat blinzelte. Der kleine rote Kreis blieb in der Mitte des Bildschirms, aber die Fünf Schwestern waren nicht länger zu erkennen. In der Nachbarschaft leuchteten helle Sterne, doch es ließ sich kein Fünfeck feststellen. Der Nachthimmel verschob sich erneut, dann noch einmal, und nochmals. Er wechselte immer wieder. Der rote Kreis blieb unverändert an seinem Platz, aber kein einziges Mal konnte man ein Fünfeck aus gleich hellen Sternen bemerken. Manchmal zeigte sich so etwas wie ein schiefes Fünfeck aus ungleich hellen Sternen, jedoch nie etwas, das dem schönen Sternbild ähnelte, auf das Quintesetz sie aufmerksam gemacht hatte.
»Reicht das?« erkundigte sich Trevize. »Ich versichere Ihnen, von nirgendwo aus kann man die Fünf Schwestern so sehen wie von den Welten des Sayshell-Systems aus.«
»Die sayshellische Sicht kann nach anderen Welten exportiert worden sein«, sagte Pelorat. »Zur Zeit des Imperiums gab’s viele in der ganzen Galaxis verbreitete Redensarten — manche sind noch heutzutage üblich —, etwa die sich um Trantor drehten.«
»Während man auf Sayshell bezüglich Gaias so geheimnistuerisch ist, wie wir’s erlebt haben? Und weshalb sollten Welten außerhalb der Sayshell-Union sich überhaupt für so etwas interessieren? Was sollte ein ›Kleiner Bruder der Fünf Schwestern‹ sie angehen, wenn sie an ihrem Himmel nichts dergleichen sehen können?«
»Vielleicht haben Sie recht.«
»Sie wollen also nicht einsehen, daß Ihre Information ursprünglich von Sayshell selbst gekommen sein muß? Nicht von irgendwo innerhalb der Sayshell-Union, sondern genau aus dem Planetensystem, in dem sich die Hauptwelt der Union befindet.«
Pelorat schüttelte den Kopf. »Was Sie da reden, klingt so, als ob es genauso sein muß, aber es ist jedenfalls nichts, woran ich mich erinnern könnte. Ich kann’s einfach nicht.«
»Trotzdem, Sie ersehen doch die Überzeugungskraft meiner Argumente, oder nicht?«
»Doch, ja.«
»Weiter! Wann könnte nach Ihrer Meinung diese Legende von den Fünf Schwestern entstanden sein?«
»Irgendwann. Ich neige zu der Annahme, daß sie schon früh in der Ära des Imperiums entstanden ist. Sie macht den Eindruck uralter…«
»Sie irren sich, Janov! Die Fünf Schwestern sind Sayshell ziemlich nahe, deshalb sieht man sie nämlich so hell. Infolgedessen weisen vier von ihnen eine deutliche Eigenbewegung auf, und keine zwei von ihnen gehören einer gemeinsamen Konstellation an, so daß sie sich in verschiedene Richtungen bewegen. Schauen Sie mal, was sich ergibt, wenn ich die Karte langsam zeitlich zurückverändere.«
Auch diesmal blieb der rote Kreis, der Gaia darstellte, an seinem Platz, wogegen das Fünfeck langsam auseinandertrieb, während vier der Sterne sich rasch in unterschiedliche Richtungen entfernten und der fünfte sich nur ein klein wenig verschob.
»Sehen Sie sich das an, Janov!« sagte Trevize. »Würden Sie das als regelmäßiges Fünfeck bezeichnen?«
»Es ist eindeutig schief«, antwortete Pelorat.
»Und ist Gaia in der Mitte zu sehen?«
»Nein, ganz an der Seite.«
»Na schön. So sah das Sternbild also vor hundertfünfzig Jahren aus! Vor eineinhalb Jahrhunderten, nicht mehr. Das Material, das Sie über ein ›Pentagonszentrum‹ und ähnliches bekommen haben, hat erst in diesem Jahrhundert wirklich einen Sinn besitzen können, und zwar absolut, das heißt, auch auf Sayshell. Das Ihnen zugegangene Material muß seinen Ursprung auf Sayshell und irgendwann in diesem Jahrhundert haben, wahrscheinlich im letzten Jahrzehnt. Und Sie haben es erhalten, obwohl man sich auf Sayshell über Gaia so auszuschweigen pflegt.«
Trevize schaltete die Beleuchtung ein, ließ die Sternkarte erlöschen; er blieb im Sessel sitzen und musterte Pelorat mit ernstem Blick.
»Jetzt bin ich völlig durcheinander«, sagte Pelorat. »Was bedeutet das alles?«
»Das müssen Sie mir verraten. Überlegen Sie! Irgendwie bin ich auf den Gedanken verfallen, daß die Zweite Foundation noch existiert. Während des Wahlkampfes habe ich zu diesem Thema eine Rede gehalten. Ich habe ein bißchen die Emotionen angeheizt, um Stimmen von Leuten zu gewinnen, die noch unentschlossen waren, dazu hat sich ein dramatisches ›Falls die Zweite Foundation noch existiert‹ bestens geeignet. Und noch am selben Tag dachte ich: Wenn sie nun wirklich noch existiert? Ich fing an, Geschichtsbücher zu lesen, und innerhalb einer Woche war ich fest davon überzeugt. Regelrechte Beweise konnte ich dafür nicht finden, aber ich hatte schon immer eine gewisse Begabung, aus einem wirren Haufen von Spekulationen die der Wahrheit nahekommenden Schlußfolgerungen zu ziehen. Diesmal allerdings…«
Trevize grübelte einen Moment lang. »Und bedenken Sie mal«, fügte er dann hinzu, »was sich seitdem ereignet hat. Ich habe Compor zu meinem Vertrauten gemacht, und ausgerechnet er hat mich hintergangen. Daraufhin hat Bürgermeisterin Branno mich arrestieren lassen und ins Exil geschickt. Warum ins Exil, wenn sie mich einfach hätte einsperren oder durch entsprechende Drohungen zum Schweigen bringen können? Und weshalb in einem supermodernen Raumschiff, das mir außergewöhnliche Sprünge durch die Galaxis erlaubt? Und wieso hat sie darauf bestanden, daß ich Sie mitnehme, und mir geraten, Ihnen bei der Suche nach der Erde zu helfen? Und wieso war ich so sicher, daß es falsch wäre, nach Trantor zu fliegen? Ich hatte die Überzeugung, Sie wüßten ein besseres Ziel, wo wir Nachforschungen anstellen könnten, und sofort rückten Sie mit dieser mysteriösen Welt Gaia heraus, über die Sie, wie sich nun herausstellt, Ihre Informationen unter recht merkwürdigen Umständen erhalten haben. Wir fliegen nach Sayshell — dem ersten naheliegenden Aufenthalt —, und im Handumdrehen laufen wir Compor in die Arme, der uns eine verwickelte Geschichte über die Erde und ihren Untergang auftischt. Er versichert uns, sie sei im Sirius-Sektor zu finden, und empfiehlt uns, dorthin zu fliegen.«
»Da sehen Sie’s!« sagte Pelorat. »Anscheinend möchten Sie andeuten, alle Umstände würden uns drängen, nach Gaia zu fliegen, aber wie Sie selbst sagen, hat Compor uns etwas anderes empfohlen.«
»Und aufgrund dessen habe ich mich aus reinem Mißtrauen gegen ihn dazu entschlossen, bei unserer ursprünglichen Absicht zu bleiben. Meinen Sie nicht, daß er genau auf so eine Reaktion gesetzt haben könnte? Womöglich hat er uns absichtlich so etwas geraten, um dafür zu sorgen, daß wir’s nicht tun.«
»Das klingt alles ziemlich romantisch«, sagte Pelorat gedämpft.
»Finden Sie? Sehen wir mal weiter! Dann bekommen wir Kontakt zu Quintesetz, ganz einfach, weil er sich gerade anbietet…«
»Durchaus nicht«, wandte Pelorat ein. »Ich habe seinen Namen gekannt.«
»Er kam Ihnen bekannt vor. Sie hatten nie irgend etwas von ihm gelesen, daran konnten Sie sich erinnern. Wieso also kam er Ihnen bekannt vor? Jedenfalls, es ergibt sich, er hat einen Ihrer Artikel gelesen und war davon hellauf begeistert — wie wahrscheinlich ist das denn wohl? Sie selbst haben geäußert, Ihre Arbeiten hätten keine sonderliche Verbreitung gefunden. Und damit nicht genug, die junge Dame, die uns zu ihm führt, erwähnt Gaia in aller Ausführlichkeit und behauptet, der Planet wäre im Hyperraum, als wolle sie sichergehen, daß wir ihn bestimmt nicht vergessen. Aber als wir Quintesetz danach fragen, benimmt er sich, als wolle er nicht darüber reden, und sorgt dafür, daß wir die Universität verlassen, er wirft uns jedoch nicht etwa hinaus, obwohl ich mich ihm gegenüber nicht allzu zimperlich benehme. Statt dessen nimmt er uns mit nach Hause, und unterwegs zeigt er uns die Fünf Schwestern. Er weist uns darauf hin, daß der schwache Stern in deren Mitte Gaia ist. Warum? Ist das nicht eine recht sonderbare Kette von Zufällen?«
»Wenn Sie sie in solcher Weise aufzählen…«, setzte Pelorat an.
»Man kann sie aufzählen, wie man will«, sagte Trevize. »Ich glaube nicht an derartig außergewöhnliche Ketten von Zufällen.«
»Was könnte es denn sonst zu bedeuten haben? Daß man uns in Richtung Gaia manövriert?«
»Ja.«
»Aber wer?«
»Sicherlich kann darüber doch wohl kein Zweifel bestehen«, sagte Trevize. »Wer ist denn dazu imstande, den menschlichen Geist zu beeinflussen, ihn unbemerkt dahin oder dorthin zu lenken, Entwicklungen in dieser oder jener Richtung zu steuern?«
»Sie wollen sagen, dahinter steckt die Zweite Foundation.«
»Nun, was hat man uns über Gaia erzählt? Daß sie unantastbar ist. Ganze Flotten, die sie angreifen wollten, sind vernichtet worden. Kein Mensch, der Gaia erreicht hat, ist je zurückgekehrt. Nicht einmal der Fuchs hat’s gewagt, gegen sie vorzugehen — und der Fuchs wurde wahrscheinlich dort geboren. Folglich liegt für meine Begriffe die Annahme nahe, daß Gaia Sitz der Zweiten Foundation ist — und die zu finden, ist ja mein letztendliches Ziel.«
Pelorat schüttelte den Kopf. »Aber nach der Darstellung etlicher Historiker war es die Zweite Foundation, die den Fuchs zur Strecke gebracht hat. Wieso sollte er einer von ihnen gewesen sein?«
»Er kann ein Renegat gewesen sein, würde ich sagen.«
»Aber weshalb sollte die Zweite Foundation uns so nachdrücklich zu ihrem Sitz manövrieren?«
Die Stirn gerunzelt, starrte Trevize blicklos geradeaus. »Lassen Sie’s uns mal durchdenken«, meinte er. »Allem Anschein nach war es der Zweiten Foundation immer sehr wichtig, daß der Galaxis so wenig Informationen wie möglich über sie zugänglich sind. Ihre Idealvorstellung geht dahin, daß ihre Existenz völlig unbekannt bleibt. Soviel wissen wir über sie. Hundertzwanzig Jahre lang hat man die Zweite Foundation für ausgemerzt gehalten — und das muß für sie so was wie ein Zustand der galaktischen Spitzenklasse gewesen sein. Aber als ich zu mutmaßen anfing, daß sie doch noch existiert, hat sie nichts unternommen. Compor wußte Bescheid. Sie hätten ihn benutzen können, um mich auf die eine oder andere Art und Weise zum Schweigen zu veranlassen — und sogar, um mich zu ermorden. Trotzdem hat sie nichts unternommen.«
»Sie sind arrestiert worden, falls Sie dafür die Zweite Foundation verantwortlich machen möchten«, sagte Pelorat. »Das Resultat war — nach dem, was Sie mir erzählt haben —, daß die Bevölkerung von Terminus nichts von Ihren Ansichten erfahren konnte. Soviel hätten die Leute von der Zweiten Foundation dann ohne Gewalt erreicht, und es kann ja durchaus sein, daß sie Anhänger von Salvor Hardins These sind, Gewalt sei das letzte Mittel der Unfähigen.«
»Aber meine Ansichten der Bevölkerung von Terminus vorzuenthalten, bewirkt doch gar nichts. Bürgermeisterin Branno kennt meine Meinung und muß sich — das ist das allerwenigste — doch immerhin die Frage stellen, ob ich nicht recht haben könnte. Deshalb ist es nun zu spät, um gegen uns vorzugehen, verstehen Sie? Hätten sie mich gleich anfangs aus dem Weg geräumt, bräuchten sie sich jetzt keine Sorgen mehr zu machen. Selbst wenn sie mich völlig in Ruhe gelassen hätten, wären sie wahrscheinlich jetzt trotzdem alle Sorgen los, denn gewiß wäre es ihnen gelungen, Terminus’ Öffentlichkeit einzuflüstern, ich sei ein Exzentriker, vielleicht gar ein Irrer. Das absehbare Scheitern meiner politischen Laufbahn hätte mich vermutlich bald zum Schweigen gezwungen, sobald ich gesehen hätte, was das öffentliche Vertreten meiner Auffassungen für Folgen haben müßte. Jetzt aber ist es zu spät, um überhaupt noch irgend etwas gegen uns unternehmen zu können. Angesichts der Situation war Bürgermeisterin Branno so mißtrauisch, uns Compor nachzuschicken und an Bord seines Raumschiffs — weil sie auch ihm nicht getraut hat, worin sie klüger war als ich — eine Hypersonde zu installieren. Folglich weiß sie also, daß wir uns auf Sayshell befinden. Und in der vergangenen Nacht, während Sie schliefen, habe ich über unseren Computer dem Computer des Botschafters der Foundation auf Sayshell direkte Mitteilung gemacht, daß wir nach Gaia aufbrechen. Ich habe mir sogar die Mühe gemacht, die Koordinaten durchzugeben. Sollte die Zweite Foundation uns jetzt noch irgendwie beseitigen, wird die Branno den Fall untersuchen lassen, da bin ich sicher — und die konzentrierte Aufmerksamkeit der Föderation ist bestimmt nichts, woran der Zweiten Foundation gelegen sein kann.«
»Aber würde die Aufmerksamkeit der Föderation sie denn überhaupt stören, wenn sie so mächtig ist?«
»Ja«, entgegnete Trevize mit Nachdruck. »Sie versteckt sich, weil sie irgendeine wesentliche Schwäche aufweisen muß und weil die Foundation technisch vielleicht schon fortgeschrittener ist, als selbst Seldon es voraussehen konnte. Diese sehr unauffällige, geradezu verstohlene Art, wie sie uns zu ihrer Welt dirigiert, verrät für meine Begriffe, wie sehr ihr daran liegt, nichts zu tun, was irgendwie Aufsehen erregen könnte. Und wenn es sich so verhält, wie ich annehme, dann hat sie bereits verloren — jedenfalls zum Teil —, denn sie hat bereits Aufmerksamkeit erregt, und ich bezweifle, daß sich noch etwas tun läßt, um die eingetretene Lage rückgängig zu machen.«
»Aber wozu nehmen sie das alles auf sich?« meinte Pelorat. »Warum riskieren sie das größte Unheil — falls Ihre Analyse korrekt ist —, indem sie uns gewissermaßen durch die ganze Galaxis zu sich lotsen? Was wollen sie von uns?«
Trevize musterte Pelorat und errötete. »Janov«, sagte er, »in dieser Hinsicht habe ich da ein gewisses Gefühl. Sie wissen, ich verfüge über diese Begabung, auf der Grundlage von so gut wie nichts zu richtigen Schlußfolgerungen zu gelangen. Ich empfinde eine Art von Gewißheit, die es mir sagt, wenn ich recht habe — und diese Gewißheit empfinde ich jetzt. An mir ist irgend etwas, das sie haben wollen — und zwar so sehr haben wollen, daß sie dafür sogar ihre Existenz selbst aufs Spiel setzen. Ich weiß nicht, was das sein könnte, aber ich werde es herausfinden, und dann werde ich dazu imstande sein, es für das zu verwenden, was ich für richtig erachte.« Er hob ein wenig die Schultern. »Möchten Sie mich immer noch begleiten, alter Freund, obwohl Sie nun sehen, was für ein Verrückter ich bin?«
»Ich habe gesagt«, antwortete Pelorat, »daß ich Ihnen vertraue. Das ist nach wie vor der Fall.«
Trevize lachte mit enormer Erleichterung. »Prächtig! Außerdem habe ich nämlich das Gefühl, daß Sie in dieser ganzen Angelegenheit eine wesentliche Rolle einnehmen. In diesem Fall, Janov, fliegen wir munter weiter nach Gaia, und zwar mit voller Geschwindigkeit. Vorwärts!«
Bürgermeisterin Harla Branno sah entschieden älter aus als ihre zweiundsechzig Jahre. Sie sah nicht immer älter aus, aber nun wirkte sie so. Sie war ausreichend in Gedanken versunken gewesen, um ihren Vorsatz zu vergessen, nicht in den Spiegel zu schauen, und auf dem Weg zum Kartenraum hatte sie ihr Spiegelbild gesehen. Infolgedessen war sie sich der Abgehärmtheit ihrer Erscheinung vollauf bewußt.
Sie seufzte. Die Politik zehrte sie auf. Fünf Jahre als Bürgermeisterin, vorher zwölf Jahre lang die wirkliche Inhaberin der Macht hinter zwei Strohmännern. Alles war ruhig und glatt abgelaufen, alles erfolgreich — und es war alles sehr anstrengend gewesen. Wie wäre es erst geworden, fragte sie sich, hätte sie echte Probleme gehabt, wären Fehlschläge und Desaster aufgetreten?
Für sie persönlich wäre es nicht übel gewesen, befand sie unversehens. Richtige Aktivitäten hätten sich belebend auf sie ausgewirkt. Das schreckliche Wissen um die Tatsache, daß nichts anderes möglich war als sich mittreiben zu lassen, war es gewesen, das sie so verhärmt hatte.
Der Seldon-Plan war es, der Erfolg hatte, und die Zweite Foundation war es, die dafür sorgte, daß ihm auch künftig Erfolg beschieden sein sollte. Sie jedoch — als die starke Hand am Steuerruder der Foundation (streng genommen der Ersten Foundation, aber auf Terminus dachte niemand daran, das Adjektiv hinzuzufügen) — schwamm lediglich auf den Schaumkronen mit.
Die Geschichte würde wenig oder gar nichts über sie zu berichten haben. Sie saß sozusagen an den Kontrollen eines Raumschiffs, das man in Wahrheit von außerhalb lenkte.
Selbst Indbur III. der Oberhaupt der Foundation gewesen war, als sie katastrophenartig dem Fuchs unterlag, hatte etwas getan. Er war wenigstens zusammengebrochen.
Von Bürgermeisterin Branno dagegen würde die Nachwelt sich überhaupt nichts erzählen können!
Es sei denn, dieser Golan Trevize, dieser gedankenlose Ratsherr, dieser Blitzableiter, machte es möglich…
Versonnen begutachtete sie die Sternkarte. Dabei handelte es sich nicht um die Art von Darstellung, wie moderne Computer sie boten. Vielmehr bestand die Karte aus einer dreidimensionalen Anhäufung von Lichtpünktchen, die die Galaxis mitten in der Luft holographisch abbildeten. Man konnte die Karte zwar nicht bewegen, nicht drehen, nicht erweitern und nicht verkleinern, doch man konnte um sie herumgehen und sie von allen Seiten betrachten.
Ein großer Ausschnitt der Galaxis, vielleicht ein Drittel ihrer Gesamtheit (ohne Berücksichtigung des galaktischen Kerns, der als lebensfeindliche Region galt), leuchtete rot auf, als die Bürgermeisterin einen Schalter drückte. Dieser Teil stellte die Foundation-Föderation dar, die über sieben Millionen bewohnten Welten, über die sie und der Rat regierten — die sieben Millionen bewohnten Welten, die Sitz und Stimme in der Versammlung der Welten hatten, die dort Dinge von geringerer Bedeutung debattierten und über sie abstimmten, aber sich niemals, wenn es sich nur irgendwie einrichten ließ, mit irgendeiner Sache von wirklicher Wichtigkeit befassen durften.
Die Bürgermeisterin betätigte eine weitere Schaltung, und in den Randzonen der Föderation glomm da und dort schwaches Rosa auf. Einflußsphären. Das war kein Territorium der Foundation, aber diese Regionen hätten es sich nicht einmal im Traum einfallen lassen, obwohl sie nominell unabhängig waren, sich irgendeiner Maßnahme der Foundation zu widersetzen.
Für die Branno stand es außer Frage, daß keine Macht in der Galaxis es mit der Foundation aufzunehmen vermochte, auch die Zweite Foundation nicht (wüßte man bloß, wo sie steckte), und sie hegte die Überzeugung, daß die Foundation eigentlich nur nach Belieben ihre Flotte moderner Raumschiffe loszuschicken brauchte, um ohne weitere Umstände das Zweite Imperium zu etablieren.
Doch seit den Anfängen des Seldon-Plans waren erst fünf Jahrhunderte verstrichen. Der Seldon-Plan legte zehn Jahrhunderte fest, bevor das Zweite Imperium gegründet werden konnte, und die Zweite Foundation achtete darauf, daß alles genau nach Plan verlief. Traurig schüttelte die Bürgermeisterin ihren grauen Kopf. Wenn die Foundation jetzt handelte, würde sie irgendwie scheitern. Obwohl ihre Raumschiffe unschlagbar waren, müßte zum jetzigen Zeitpunkt jede derartige Aktion mißlingen.
Es sei denn, daß Trevize, der Blitzableiter, den Blitz der Zweiten Foundation auf sich zog — und daß man den Blitz an den Ort seines Ursprungs zurückverfolgen konnte.
Sie schaute sich um. Wo blieb Kodell? Dies war kein Anlaß, bei dem er sich verspäten dürfte.
Als habe ihr Gedanke ihn hereingerufen, trat er ein, lächelte gutgelaunt, sah mit seinem grauweißen Schnurrbart und der sonnengebräunten Haut großväterlicher als je zuvor aus. Großväterlich, aber nicht alt. Ohnehin war er acht Jahre jünger als sie.
Wie kam es, daß er keine Anzeichen von Verschleiß aufwies? Konnte es sein, daß fünfzehn Jahre als Direktor des Sicherheitsbüros keinerlei Spuren hinterließen?
Kodell nickte feierlich, während er die Branno in dem formellen Stil begrüßte, wie er vorgeschrieben war, ehe man mit der Bürgermeisterin eine Diskussion begann. Diese Tradition existierte seit den miesen Zeiten der Indburs. Fast alles hatte sich seither geändert, die Etikette jedoch am wenigsten.
»Entschuldigen Sie die Verspätung, Bürgermeisterin«, sagte er, »aber der Arrest Ratsherr Trevizes bahnt sich nun allmählich einen Weg durch die anästhetisierte Haut des Rates.«
»Ach?« meinte die Bürgermeisterin phlegmatisch. »Müssen wir mit einer Palastrevolution rechnen?«
»Nicht die geringste Chance. Wir haben alles voll unter Kontrolle. Aber es ist Unruhe zu befürchten.«
»Sollen sie Unruhe veranstalten. Danach werden sie sich wohler fühlen, und ich — ich bleibe ihnen aus dem Weg. Ich kann mich auf die allgemeine öffentliche Meinung verlassen, nehme ich an?«
»Ich glaube, ja. Vor allem außerhalb Terminus’. Niemand außerhalb Terminus’ schert sich darum, was aus einem aus der Reihe getanzten Ratsmitglied wird.«
»Aber ich.«
»Aha? Liegen weitere Neuigkeiten vor?«
»Liono«, sagte die Bürgermeisterin, »ich möchte Näheres über Sayshell wissen.«
»Ich bin kein wandelndes Geschichtsbuch«, erwiderte Liono Kodell mit unvermindertem Lächeln.
»Ich will nichts von Geschichte hören. Ich will die Wahrheit wissen. Warum ist Sayshell unabhängig? Sehen Sie mal her!« Sie deutete in das Rot der Foundation, das einen beträchtlichen Teil der holographischen Karte ausmachte, und darin, schon ziemlich weit in den inneren Spiralen, sah man eine ganz vom Rot umschlossene Tasche in Weiß.
»Die Sayshell-Union ist regelrecht von uns eingekapselt, kann man sagen«, meinte die Branno. »Ihre Region wirkt wie von uns aufgesaugt. Trotzdem ist sie weiß. Unsere Karte zeigte sie nicht einmal im Rosa der zuverlässigen Verbündeten.«
Kodell hob die Schultern. »Sie ist offiziell auch kein zuverlässiger Verbündeter, aber das hat uns noch nie beunruhigt. Sie ist neutral.«
»Na schön. Dann schauen Sie sich das an!« Erneut nahm die Bürgermeisterin eine Schaltung vor. Das Rot weitete sich merklich aus. Nun hatte es die halbe Galaxis erfaßt. »Das war das Reich des Fuchses zur Zeit seines Todes«, sagte Bürgermeisterin Branno. »Wenn Sie aufmerksam ins Rot schauen, können Sie die Sayshell-Union ganz im Innern sehen, diesmal vollkommen umschlossen — aber trotzdem weiß! Sie ist die einzige Enklave, der der Fuchs ihre Freiheit gelassen hat.«
»Sie war damals auch neutral.«
»Der Fuchs hatte wenig Respekt, was Neutralität anging.«
»In diesem Fall hat er ihn anscheinend gehabt.«
»Anscheinend gehabt. Was weist Sayshell an Besonderem auf?«
»Nichts«, antwortete Kodell. »Glauben Sie mir, Bürgermeisterin, Sayshell gehört uns, wann immer wir’s haben wollen.«
»Tatsächlich? Aber aus irgendeinem Grund ist es bis jetzt nicht so.«
»Weil einfach keine Notwendigkeit bestand, einen Anschluß durchzusetzen.«
Die Branno lehnte sich in den Sessel, und indem ihr Arm über die Kontrollen glitt, löschte sie die Galaxis. »Ich glaube, nun besteht die Notwendigkeit.«
»Pardon, Bürgermeisterin?«
»Liono, ich habe diesen Trevize als Blitzableiter ins All gescheucht. Ich habe es in der Erwartung getan, daß die Zweite Foundation in ihm eine größere Gefahr sieht, als überhaupt jemals von diesem Schwachkopf ausgehen kann, die Foundation dagegen als geringere Bedrohung betrachtet. Der Blitz der Zweiten Foundation sollte ihn treffen und uns dadurch verraten, wo sie steckt.«
»Ja, Bürgermeisterin.«
»Meine Absicht war, daß er die verfallenen Ruinen Trantors aufsucht und dort in dem herumwühlt, was noch von der Bibliothek übrig ist, daß er nach der Erde forscht. Die Erde ist diese Welt, falls Sie sich noch erinnern, von der alle möglichen langweiligen Mystiker uns einreden möchten, sie sei die Ursprungswelt der menschlichen Rasse, als wäre das irgendwie von Bedeutung, selbst wenn’s stimmen sollte, was unwahrscheinlich ist. Die Zweite Foundation hätte nach meiner Einschätzung schwerlich glauben dürfen, daß er es auf so etwas abgesehen hat, und sie hätte Maßnahmen ergreifen müssen, um herauszufinden, was er wirklich treibt.«
»Aber er ist nicht nach Trantor geflogen.«
»Nein, nicht. Völlig wider Erwarten ist er nach Sayshell geflogen. Warum?«
»Keine Ahnung. Bitte, Bürgermeisterin, verzeihen Sie einem alten Bluthund, der die Gewohnheit hat, alles in Zweifel zu ziehen, und verraten Sie mir, woher Sie wissen, daß er und dieser Pelorat sich nach Sayshell begeben haben. Ich weiß, Compor hat’s gemeldet, aber wie weit können wir Compor trauen?«
»Anhand der Hypersonde wissen wir, daß Compors Schiff tatsächlich auf dem Planeten Sayshell gelandet ist.«
»Gewiß, das steht außer Zweifel, aber woher wollen Sie wissen, daß sich Trevize und Pelorat ebenfalls dort aufhalten? Compor kann aus irgendwelchen anderen Gründen nach Sayshell geflogen sein und weiß womöglich selbst nicht, wo die anderen stecken, und interessiert sich auch nicht dafür.«
»Unser Botschafter auf Sayshell hat uns über die Ankunft des Schiffs unterrichtet, das wir Trevize und Pelorat gegeben haben. Ich bin nicht zu glauben bereit, das Raumschiff sei ohne die beiden dort eingetroffen. Außerdem behauptet Compor, er hätte mit ihnen gesprochen, und sollte man ihm nicht trauen können, es liegen zudem andere Berichte vor, denen zufolge sie der Universität von Sayshell City einen Besuch abgestattet und sich dort mit einem Historiker ohne besondere Reputation getroffen haben.«
»Von alldem hat mich nichts erreicht«, sagte Kodell unverändert freundlich.
Die Branno schnaubte. »Sie brauchen sich nicht übergangen zu fühlen. Ich beschäftige mich persönlich mit dieser Sache, und die entsprechenden Informationen müßten inzwischen an Sie weitergeleitet worden sein — ohne erhebliche Verzögerung. Die neueste Mitteilung — gerade erst eingetroffen — stammt von unserem Botschafter. Unser Blitzableiter hat sich wieder auf den Weg gemacht. Auf dem Planeten Sayshell ist er für zwei Tage geblieben, und nun ist er weitergeflogen, nach einem anderen, von dort etwa zehn Parsek entfernten Planetensystem. Die Bezeichnung und die galaktischen Koordinaten seines Ziels hat er dem Botschafter zukommen lassen, und der hat sie uns weitergereicht.«
»Liegt eine vergleichbare Nachricht von Compor vor?«
»Compors Mitteilung, daß Trevize und Pelorat Sayshell verlassen hätten, ist sogar noch vor der Nachricht des Botschafters eingetroffen. Compor weiß noch nicht, wohin die beiden unterwegs sind. Vermutlich folgt er ihnen.«
»Wir übersehen das vielfältige Warum der Situation«, konstatierte Kodell. Er schob sich eine Pastille in den Mund und begann versonnen zu lutschen. »Warum ist Trevize nach Sayshell geflogen? Warum hat er Sayshell wieder verlassen?«
»Die Frage, die mich am meisten beschäftigt, lautet: Wohin? Wohin fliegt Trevize jetzt?«
»Sie haben eben erwähnt, Bürgermeisterin, Bezeichnung und Koordinaten seines Ziels seien von ihm unserem Botschafter übermittelt worden, oder nicht? Wollen Sie andeuten, er habe unseren Botschafter belogen? Oder der Botschafter belüge uns?«
»Selbst wenn wir einmal unterstellen, daß jeder Beteiligte die Wahrheit spricht und keinem von ihnen ein Fehler unterlaufen ist — der Name, der in diesem Zusammenhang genannt wird, interessiert mich sehr. Trevize hat dem Botschafter mitgeteilt, er fliege nach Gaia. Das schreibt sich G-A-I-A. Trevize hat den Namen genau buchstabiert.«
»Gaia?« wiederholte Kodell. »Nie gehört.«
»Tatsächlich? Das ist keineswegs verwunderlich.« Die Branno zeigte in die Luft, wo eben noch die Hob-Karte zu sehen gewesen war. »Anhand der Karte, die wir in diesem Raum projizieren können, läßt sich binnen einer Sekunde — jedenfalls angeblich — jeder Stern lokalisieren, um den eine bewohnte Welt kreist, und dazu viele wichtige Sterne mit unbewohnten Planetensystemen. Man kann über dreißig Millionen Sterne darstellen — wenn man richtig mit den Kontrollen umzugehen versteht, kann man sie einzeln, paarweise oder auch in Gruppen lokalisieren. Man kann sie in fünf verschiedenen Farben markieren, sowohl einzeln wie auch alle gleichzeitig. Unmöglich ist offenbar jedoch eines — auf dieser Karte Gaia zu finden. Soweit es die Karte betrifft, existiert Gaia nicht.«
»Für jeden Stern, den die Karte zeigt«, sagte Kodell, »gibt’s zehntausend andere, die sie nicht anzeigt.«
»Sicher, aber die Sterne, die nicht verzeichnet sind, haben überhaupt keine oder keine bewohnten Planeten, und weshalb sollte Trevize eine unbewohnte Welt anfliegen?«
»Haben Sie’s mit dem Zentralcomputer versucht? Er hat alle dreihundert Millionen Sterne der Galaxis aufgelistet.«
»Das höre ich immer wieder, aber verhält es sich wirklich so? Sie wissen so gut wie ich, daß es Tausende von bewohnten Welten geben muß, die der Kartographierung entgangen sind, die wir auf keiner unserer Sternenkarten finden können — nicht bloß auf dieser Karte nicht, sondern ebensowenig durch den Zentralcomputer. Gaia ist anscheinend eine dieser Welten.«
Kodells Stimme blieb ruhig, sein Tonfall klang nahezu schmeichlerisch. »Bürgermeisterin, es kann ohne weiteres sein, daß wir uns um all das keine Gedanken zu machen brauchen. Mag sein, Trevize versucht’s mit einem Schuß ins Blaue, oder er lügt, und es gibt keine Welt namens Gaia, es befindet sich an den Koordinaten, die er uns überlassen hat, überhaupt kein Stern. Nachdem er Compor begegnet ist und daraus wohl geschlossen hat, daß er verfolgt wird, versucht er womöglich, uns von seiner Fährte zu locken.«
»Wie sollte ihm das gelingen können? Compor ist dazu imstande, ihm jederzeit und unter allen Umständen zu folgen. Nein, Liono, ich denke an eine ganz andere Möglichkeit, an eine, die ein viel größeres Potential hinsichtlich vorstellbarer Schwierigkeiten aufweist. Hören Sie zu…« Einen Augenblick lang schwieg die Branno. »Dieser Raum ist abgeschirmt, Liono«, sagte sie dann. »Beachten Sie das! Niemand kann uns belauschen, also sprechen Sie bitte völlig freimütig. Und ich werde ebenfalls ganz offen sprechen. Wenn wir die erhaltene Information erst einmal als Tatsache nehmen, liegt diese Gaia etwa zehn Parsek vom Planeten Sayshell entfernt, ist also Bestandteil der Sayshell-Union. Die Sayshell-Union ist eine gründlich erforschte Region der Galaxis. Alle ihre Sternensysteme — bewohnt oder nicht — sind erfaßt, über ihre Bewohner ist so gut wie alles bis in Einzelheiten hinein bekannt. Die einzige Ausnahme ist Gaia. Bewohnt oder unbewohnt, noch nie hat jemand davon gehört, sie ist auf keiner Sternenkarte verzeichnet! Und nun berücksichtigen Sie, daß die Sayshell-Union der Foundation-Föderation gegenüber einen besonderen, eigentümlichen Zustand der Unabhängigkeit bewahrt, genau wie im früheren Sternenreich des Fuchses. Sie ist seit dem Niedergang des Galaktischen Imperiums unabhängig.«
»Und was soll das alles besagen?« meinte Kodell mit Zurückhaltung.
»Diese beiden Punkte müssen doch sicherlich irgendwie zusammenhängen. Die Sayshell-Union umfaßt ein vollkommen unbekanntes Planetensystem und sie ist gewissermaßen unnahbar. Die zwei können nicht außerhalb eines wechselseitigen Zusammenhangs existieren. Was Gaia auch sein mag, sie versteht sich zu schützen. Sie sorgt dafür, daß man außerhalb der näheren Umgebung keine Ahnung von ihrer Existenz hat, und sie beschützt ihre Umgebung, so daß Außenstehende sich darin nicht breitmachen können.«
»Sie wollen sagen, Gaia sei der Sitz der Zweiten Foundation?«
»Ich behaupte lediglich, daß Gaia unsere aufmerksamste Begutachtung verdient.«
»Darf ich eine Merkwürdigkeit aussprechen, die sich im Rahmen Ihrer Theorie nicht so recht erklären läßt?«
»Bitte.«
»Falls Gaia Sitz der Zweiten Foundation ist, falls sie sich jahrhundertelang physisch gegen Eindringlinge behauptet hat, die gesamte Sayshell-Union als tiefen, breiten Schirm für sich selbst mitbeschützt hat, wenn sie verhindern konnte, daß jedes Wissen um sie nach draußen in die Galaxis sickert — warum ist dieser ganze, bewährte Schutz dann jetzt so plötzlich dahin? Trevize und Pelorat verlassen Terminus und fliegen, obwohl Sie ihnen nahegelegt haben, Trantor anzufliegen, ohne Zögern nach Sayshell und nun nach Gaia. Und zudem können Sie sich hier über Gaia Ihre Gedanken machen und Spekulationen anstellen. Weshalb wird so etwas nicht verhindert?«
Für geraume Zeit gab Bürgermeisterin Branno keine Antwort. »Ich glaube«, sagte sie schließlich, »weil Ratsherr Trevize irgendwie die Dinge durcheinandergebracht hat. Er hat irgend etwas getan — oder treibt es gegenwärtig —, was den Seldon-Plan irgendwie gefährdet.«
»Das ist doch sicherlich ausgeschlossen, Bürgermeisterin.«
»Ich gehe davon aus, daß jedes und jeder seine Mängel hat. Bestimmt war auch Hari Seldon nicht vollkommen. Der Plan weist irgendeine Schwäche auf, und Trevize ist darauf gestoßen, vielleicht ohne es selber zu merken. Wir müssen wissen, was vorgeht, wir müssen am Brennpunkt des Geschehens sein.«
Nach einer Weile nickte Kodell ernst. »Fällen Sie lieber keine eigenmächtigen Entscheidungen, Bürgermeisterin. Wir sollten nicht ohne gründliches vorheriges Nachdenken handeln.«
»Halten Sie mich nicht für eine Idiotin, Liono! Ich habe nicht die Absicht, einen Krieg anzuzetteln. Ich will kein Expeditionskorps auf Gaia landen. Ich möchte lediglich an Ort und Stelle der Ereignisse sein — oder wenigstens in der Nähe, wenn Sie’s so vorziehen. Liono, finden Sie für mich heraus — es wäre mir unangenehm, erst lange mit einem Krisenstab diskutieren zu müssen, der so beschränkt ist, wie man’s nach hundertzwanzig Jahren des Friedens wohl erwarten muß, wogegen Sie sich offenbar weniger leicht aus der Ruhe bringen lassen —, wie viele Kriegsschiffe im Umkreis Sayshells stationiert sind. Kann man ihren Einsatz nach Routine statt nach Mobilisierung aussehen lassen?«
»In diesen idyllischen Friedenszeiten sind in der Gegend nur wenige Schiffe, da bin ich sicher. Aber ich werde das feststellen.«
»Zwei oder drei würden schon genügen, vor allem, wenn eins zur Supernova-Klasse zählt.«
»Was möchten Sie denn damit anfangen?«
»Ich möchte, daß sie so dicht bei Sayshell patrouillieren, wie es überhaupt geht, ohne einen Zwischenfall auszulösen — und gleichzeitig nahe genug beieinander bleiben, um sich notfalls gegenseitig unterstützen zu können.«
»Und welche Absicht steckt dahinter?«
»Flexibilität. Ich will zuschlagen können, wenn ich muß.«
»Gegen die Zweite Foundation? Wenn Gaia sich sogar gegen den Fuchs abschirmen und schützen konnte, dann wird sie auch dazu imstande sein, sich heute eine Handvoll Raumschiffe vom Halse zu halten.«
»Mein Freund«, entgegnete die Branno mit kriegerischem Glitzern in den Augen, »ich habe erwähnt, daß nichts und niemand perfekt ist, nicht einmal Hari Seldon. Bei der Ausarbeitung seines Plans hat er nicht den Umstand überwinden können, daß er ein Kind seiner Zeit war, ein Mathematiker in der Ära eines untergehenden Imperiums, als alle Technik verfiel. Daraus ergibt sich, daß er in seinem Plan den technischen Fortschritt nicht genügend berücksichtigen konnte. Die Gravitationstechnik, um ein Beispiel zu nennen, ist eine ganz neue Richtung des technischen Fortschritts, die er unmöglich vorausgesehen haben kann. Darüber hinaus sind andere Fortschritte erzielt worden.«
»Gaia kann auch Fortschritte gemacht haben.«
»In der Isolation? Kommen Sie, kommen Sie! In der Foundation-Föderation leben zehn Billiarden Menschen, und überall unter ihnen wird irgendwie zur Förderung der technischen Weiterentwicklung beigetragen. Eine einzelne, isolierte Welt kann überhaupt nicht zu Vergleichbarem fähig sein. Unsere Raumschiffe werden dort nach dem Rechten schauen, und ich mit ihnen!«
»Pardon, Bürgermeisterin, was haben Sie gesagt?«
»Ich selbst werde mit den Schiffen fliegen, die in Sayshells Grenzzonen patrouillieren. Ich will selber sehen, wie es um die Situation steht.«
Für einen Moment sackte Kodell der Unterkiefer herab. Er schluckte und gab dabei einen sehr vernehmlichen Laut von sich. »Verzeihung, Bürgermeisterin, aber das ist… wenig vernünftig.« Wenn jemals irgend jemandem ein stärkerer Ausdruck auf der Zunge gelegen hatte, dann ganz bestimmt bei dieser Gelegenheit Kodell.
»Vernünftig oder unvernünftig«, sagte die Branno heftig, »ich werde es tun! Ich habe Terminus und diese endlosen politischen Auseinandersetzungen satt, den persönlichen Zank, die Bündnisse und Gegenbündnisse, die Verrätereien und anschließenden Aussöhnungen. Siebzehn Jahre lang war ich mittendrin, und jetzt möchte ich etwas anderes tun — irgend etwas anderes. Dort draußen…« — sie winkte blindlings seitwärts — »wird vielleicht die ganze galaktische Geschichte verändert, und wenn’s so ist, will ich an diesem Prozeß teilhaben!«
»Aber Sie besitzen doch keinerlei Einblick in derartige Vorgänge, Bürgermeisterin.«
»Wer hat die schon, Liono?« Forsch erhob sich die Branno. »Sobald Sie mir die erforderlichen Informationen über die Raumschiffe gebracht und wir alles veranlaßt haben, damit hier der ganze Humbug weiterläuft, werde ich aufbrechen. Und versuchen Sie nicht, Liono, mich durch irgendwelche Manöver in meinem Entschluß zu behindern, sonst werde ich unsere alte Freundschaft im Handumdrehen beenden und Sie fallenlassen! Dazu bin ich auf jeden Fall in der Lage.«
Kodell nickte. »Das ist mir klar, Bürgermeisterin, aber darf ich Sie, ehe Sie sich endgültig entscheiden, nochmals bitten, die machtvolle Wirksamkeit von Seldons Plan zu berücksichtigen? Was Sie beabsichtigen, könnte auf Selbstmord hinauslaufen.«
»In dieser Beziehung mache ich mir keine Sorgen, Liono. Der Plan hat hinsichtlich des Fuchses versagt, den er nicht vorhergesehen hat und nicht vorhersehen konnte. Und ein prognostischer Fehler zur einen Zeit bedeutet, daß ein weiterer Fehler zu einer anderen Zeit möglich ist.«
Kodell seufzte. »Na schön, wenn Sie wahrhaftig fest dazu entschlossen sind, will ich Sie nach meinen besten Fähigkeiten und mit vorbehaltloser Loyalität unterstützen.«
»Gut. Trotzdem, ich warne Sie noch einmal, es ist besser für Sie, mit ganzem Herzen zu meinen, was Sie da reden! Und mit dieser Einstellung, Liono, wollen wir uns nun um Gaia kümmern. Vorwärts!«