Zwanzigstes Kapitel Schluß

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Bürgermeisterin Harla Branno besaß allen Grund zur Zufriedenheit. Der Staatsbesuch hatte wenig Zeit beansprucht, aber war durch und durch produktiv verlaufen.

»Wir können ihnen natürlich nicht uneingeschränkt vertrauen«, sagte sie, wie um wohlüberlegt jeder Hybris vorzubeugen. Sie beobachtete den Bildschirm. Die Raumschiffe der Flotte verschwanden eines nach dem anderen in den Hyperraum und kehrten zu ihren normalen Stationierungsorten zurück.

Es stand außer Frage, daß ihre Anwesenheit Sayshell beeindruckt hatte, aber trotzdem konnten den Sayshellern zwei Dinge keinesfalls entgangen sein: erstens, daß die Raumschiffe jederzeit im Hoheitsgebiet der Foundation verblieben waren; zweitens, daß sie, sobald die Branno ihren Abflug angekündigt hatte, tatsächlich ohne Umstände abflogen.

Andererseits würde Sayshell nicht vergessen, daß diese Schiffe innerhalb eines Tages — oder noch schneller — an die Grenzen der Sayshell-Union zurückbeordert werden konnten. Das Manöver hatte sowohl eine Demonstration der Macht wie auch eine Demonstration der Gutwilligkeit miteinander kombiniert.

»Ganz richtig«, sagte Kodell. »Wir dürfen ihnen nicht uneingeschränkt trauen, aber schließlich kann man niemandem in der Galaxis uneingeschränkt vertrauen, und es liegt ja in Sayshells eigenem Interesse, sich an die getroffenen Vereinbarungen zu halten. Wir sind großzügig gewesen.«

»Viel wird von der Ausarbeitung der Details abhängen«, meinte die Branno, »und ich sehe voraus, daß sie monatelang dauern wird. Allgemeine Umrisse kann man innerhalb weniger Augenblicke akzeptieren, aber dann kommen die Feinheiten: wie die Durchführung der Quarantäne von Import und Export geregelt wird, wie wir den Wert ihres Korns und Viehs im Vergleich zu unserem festlegen, und so weiter.«

»Ich weiß, aber auch das wird irgendwann abgewickelt worden sein, und das Verdienst wird man Ihnen beimessen, Bürgermeisterin. Ihr Vorgehen war ziemlich kühn, und außerdem, das gebe ich zu, habe ich seine Klugheit angezweifelt.«

»Kommen Sie, Liono! Es hing nur davon ab, daß die Foundation dem Stolz der Saysheller genügend Beachtung schenkt. Schließlich haben sie seit den Zeiten des Imperiums immer eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt. Und das ist eigentlich auch bewunderungswürdig.«

»Ja, das können wir uns nun leisten, da sie uns nicht mehr lästig zu sein braucht.«

»Genau, und dazu war es bloß nötig, daß wir von unserem Stolz einige geringfügige Abstriche und aus Rücksicht auf ihren Stolz irgendeine Geste machen. Ich gestehe, als Bürgermeisterin einer Föderation, die letztendlich eine Ausdehnung auf die ganze Galaxis anstrebt, ist es mir schwergefallen, einer eher provinziellen Sternengruppe einen Staatsbesuch abzustatten, aber sobald ich mich zu dem Entschluß erst einmal durchgerungen hatte, habe ich ihn nicht mehr als so schmerzhaft empfunden. Und denen hat es geschmeichelt. Wir mußten uns eben darauf verlassen, daß sie mit dem Besuch einverstanden sind, nachdem unsere Raumschiffe bereits an ihren Grenzen aufgetaucht waren, aber das verlangte natürlich von uns, daß wir bescheiden auftreten und übers ganze Gesicht lächeln.«

Kodell nickte. »Wir haben auf die Attribute der Macht verzichtet, um sie im wesentlichen weiterhin behalten zu können.«

»Genau. — Von wem stammt das Zitat?«

»Ich glaube, es ist erstmalig in einem von Eridens Stücken vorgekommen, aber sicher bin ich nicht. Sobald wir daheim sind, können wir eines unserer literarischen Glanzlichter fragen.«

»Falls ich daran denke. Wir sollten den sayshellischen Gegenbesuch auf Terminus so früh wie möglich anberaumen, und wir müssen gewährleisten, daß die Gäste wie vollkommen gleichgestellte Partner behandelt werden. Und ich fürchte, Liono, wir müssen für sie strikte Sicherheitsvorkehrungen treffen. Unter unseren Hitzköpfen dürfte es zwangsläufig einige Aufregung geben, und es wäre nachteilig, unsere Besucher einer Demütigung — und wenn noch so unbedeutend — durch irgendwelche Protestbekundungen auszusetzen.«

»Absolut richtig«, pflichtete Kodell bei. »Es war übrigens ein wirklich raffinierter Trick, Trevize loszuschicken.«

»Meinen Blitzableiter? Er hat sich viel besser bewährt, als ich es erwartet habe. Er mußte ganz einfach auf Sayshell Ärger veranstalten, und er hat ihren Blitz in Form von Protesten schneller auf sich gezogen, als ich es für möglich gehalten hätte. Raum und Zeit! Was für einen hervorragenden Vorwand für meinen Besuch das abgegeben hat — Sorge um das Betragen eines Bürgers der Foundation, Dankbarkeit für die Umsicht der Saysheller.«

»Echt gerissen! Aber meinen Sie nicht, es wäre besser gewesen, Trevize wieder mit nach Hause zu nehmen?«

»Nein. Im großen und ganzen ist er mir überall lieber als daheim. Auf Terminus wäre er ein Unruhefaktor. Sein Unsinn bezüglich der Zweiten Foundation hat mir zwar einen glänzenden Grund geliefert, um ihn wegschicken zu können, und natürlich konnten wir uns darauf verlassen, daß Pelorat ihn nach Sayshell lotst, aber ich möchte nicht, daß er in Zukunft nochmals auf Terminus solchen Blödsinn verbreitet. Man weiß nie, wohin so was führen kann.«

Kodell lachte gedämpft. »Ich bezweifle, ob sich irgendein leichtgläubigerer Mensch finden läßt als so ein intellektueller Akademiker. Ich wüßte gerne, wieviel erst Pelorat für bare Münze genommen hätte, wäre er von uns zu solchem Quatsch angestiftet worden.«

»An die tatsächliche Existenz des sayshellischen Gaia-Mythos zu glauben, das war ja wohl kraß genug — aber lassen wir das. Wenn wir zurück sind, müssen wir dem Rat den Vertrag mit der Sayshell-Union schmackhaft machen, weil wir für die Ratifizierung seine Zustimmung brauchen. Zum Glück liegt uns Trevizes Erklärung vor — samt Stimmprofil und allem —, daß er Terminus freiwillig verlassen habe. Ich werde mich vor dem Rat für Trevizes zeitweilige Inhaftierung entschuldigen, das wird den Rat beruhigen.«

»Ich kann mir gut vorstellen, wie Sie auf die Tränendrüsen drücken, Bürgermeisterin«, sagte Kodell humorlos. »Aber haben Sie schon einmal daran gedacht, daß Trevize seine Suche nach der Zweiten Foundation fortsetzen könnte?«

»Soll er von mir aus«, entgegnete die Branno mit einem Achselzucken, »solang er’s nicht auf Terminus macht. Es wird ihn beschäftigen und zu nichts führen. Die fortwährende Existenz der Zweiten Foundation ist in diesem Jahrhundert unser Mythos, so wie auf Sayshell der Gaia-Mythos.« Sie lehnte sich zurück, erweckte einen rundum jovialen Eindruck. »Und wir haben nun Sayshell im Griff — und bis Sayshell es merkt, wird’s zu spät sein, um sich wieder herauszuwinden. Und so wird die Foundation immer weiter und weiter wachsen, reibungslos und ohne Unterbrechung.«

»Und das Verdienst wird gänzlich Ihnen gehören, Bürgermeisterin.«

»Diese Tatsache ist meiner Aufmerksamkeit keineswegs entgangen«, sagte die Branno, und ihr Raumschiff verschwand in den Hyperraum, um gleich darauf im Weltraum in Terminus Nachbarschaft wieder zum Vorschein zu kommen.

89

Sprecher Stor Gendibal hatte allen Grund zur Zufriedenheit. Die Begegnung mit der Ersten Foundation hatte wenig Zeit in Anspruch genommen und war trotzdem vollauf erfolgreich verlaufen.

Er hatte eine Botschaft sorgsam gemäßigten Triumphs nach Trantor übermittelt. Vorerst war es nur erforderlich gewesen, dem Ersten Sprecher mitzuteilen, daß alles gut ausgegangen war. Einzelheiten konnten später abgehandelt werden. Dann würde er in allen Einzelheiten schildern, wie eine sorgfältige — und ganz minimale — Beeinflussung von Bürgermeisterin Brannos Bewußtsein ihre Gedanken von imperialistischer Großtuerei abgelenkt und auf die Zweckmäßigkeit kommerziellen Handels gerichtet hatte; wie er durch eine gezielte Fernbeeinflussung das Oberhaupt der Sayshell-Union dazu bewogen hatte, die Bürgermeisterin zu einem Staatsbesuch einzuladen, und wie daraufhin ohne jede weitere mentalistische Einflußnahme eine fruchtbare Annäherung zustande gekommen war, nicht zu vergessen, daß Compor auf dem Schiff der Bürgermeisterin nach Terminus zurückkehrte, um dafür zu sorgen, daß man alle Vereinbarungen einhielt. Das alles, stellte Gendibal mit Gelassenheit bei sich fest, war nahezu ein Musterbeispiel für durch präzis eingesetzte Minimalmentalistik herbeigeführte, große Resultate.

Sobald er anläßlich einer ordnungsmäßigen Zusammenkunft der Tafel der Sprecher alle Details offenlegte, hatte er — da war er sicher — Sprecherin Delarmi an die Wand gespielt und durfte mit seinem baldigen Aufstieg zum Ersten Sprecher rechnen. Und bis dahin sollte nur noch kurze Zeit vergehen, denn er flog mit Compors Raumschiff zurück nach Trantor, dessen technische Besonderheiten die Einsicht der Zweiten Foundation in die physikalischen Wissenschaften verbessern würden.

Und er leugnete keineswegs die Wichtigkeit von Sura Novis Anwesenheit, obwohl er keine Veranlassung sah, diesen Umstand vor den anderen Sprechern sonderlich zu betonen. Sie hatte nicht nur wesentlich zu seinem Sieg beigetragen, sondern sie lieferte ihm nun auch die Entschuldigung, die er brauchte, um seinem kindlichen Bedürfnis nachzugeben (aber auch menschlichen Bedürfnis, denn auch Sprecher der Zweiten Foundation sind nur Menschen) und in ihrer gewissermaßen garantierten Bewunderung zu schwelgen.

Sie verstand nicht alles, was sich ereignet hatte, das war ihm klar, aber sie wußte, daß er alles nach seinem Gefallen geregelt hatte, und infolgedessen platzte sie nahezu vor Stolz. Er streichelte zärtlich das glatte Profil ihrer Psyche und empfand die angenehme Wärme ihres Stolzes.

»Ohne dich hätte ich es nicht geschafft, Novi«, sagte er. »Dank dir habe ich feststellen können, daß die Erste Foundation…, ich meine die Leute in dem großen Raumschiff…«

»Ja, Meister, ich weiß, wen du meinst.«

»Dank dir konnte ich also feststellen, daß sie einen Mentalschild sowie schwache mentalistische Kräfte zu ihrer Verfügung hatten. Anhand des Effekts auf deinen Geist habe ich von beidem die Charakteristika ermitteln können. Deshalb konnte ich herausfinden, wie sich der Mentalschild am wirksamsten durchdringen und ihre lächerliche Mentalistik am besten neutralisieren ließ.«

»Ich habe keine genaue Ahnung, Meister, was das ist, wovon du da sprichst«, sagte Sura Novi zaghaft, »aber ich hätte noch mehr getan, um dir zu helfen, wär’s mir möglich gewesen.«

»Das weiß ich, Novi. Aber was du getan hast, hat genügt. Erstaunlich, wie gefährlich diese Leute hätten werden können. Aber zum Glück haben wir noch rechtzeitig eingegriffen, bevor der Mentalschild und ihre Mentalistik in ihrer Entwicklung weiter fortschreiten konnten, und daher ist es uns gelungen, diese Dinge zu unterbinden. Die Bürgermeisterin kehrt nun heim, Mentalschild und Mentalistik vergessen, zufrieden damit, daß sie es geschafft hat, mit Sayshell Handelsbeziehungen einzuleiten, die die Union praktisch zu einem Bestandteil der Foundation-Föderation machen. Ich will nicht abstreiten, daß möglicherweise noch mehr geleistet werden muß, um in Erfahrung zu bringen, wie weit die Arbeiten an Mentalschild und Mentalistik gediehen sind, sie dann gegebenenfalls auszumerzen — da muß etwas gelaufen sein, das wir völlig übersehen haben —, aber es wird getan werden, was erforderlich ist.«

Er dachte eine Zeitlang über diese Angelegenheiten nach und sprach schließlich mit gedämpfterer Stimme weiter. »Wir sind in bezug auf die Erste Foundation immer viel zusehr von selbstverständlichen Annahmen ausgegangen. Wir müssen sie künftig viel aufmerksamer überwachen. Irgendwie müssen wir die Galaxis enger zusammenschließen. Die Mentalistik kann uns dazu dienen, eine engere Kooperation des Geistes herzustellen. So etwas wäre im Rahmen des Seldon-Planes nur günstig. Das ist meine Überzeugung, und ich werde mich dafür einsetzen.«

»Meister?« meinte Sura Novi betroffen.

Plötzlich lächelte Gendibal. »Entschuldige, ich rede mit mir selbst. Novi, erinnerst du dich an Rufirant?«

»Den stiernackigen Farmer, der dich angepöbelt hat? Das will ich meinen.«

»Ich bin davon überzeugt, daß Agenten der Ersten Foundation, wahrscheinlich mit individuellen Mentalabschirmungen ausgestattet, ihn dazu angestiftet haben, und vermutlich sind sie auch für andere Anomalien verantwortlich, die von uns beobachtet worden sind. Man stelle sich vor, wir sind derartigen Vorgängen gegenüber völlig blind gewesen! Aber schließlich wäre ich selbst durch diesen Mythos um diese rätselhafte Welt, diesen sayshellischen Aberglauben namens Gaia, fast dazu verleitet worden, die reale Gefahr der Ersten Foundation zu unterschätzen. Auch in dieser Beziehung kam deine Psyche mir als die richtige Hilfe sehr gelegen. Sie hat mir geholfen, eindeutig zu klären, daß das Raumschiff die Quelle des Mentalfeldes war, nichts anderes.«

Er rieb sich die Hände.

»Meister?« sprach Sura Novi ihn schüchtern an.

»Ja, Novi?«

»Wirst du für das, was du getan hast, belohnt werden?«

»Ja, das wird der Fall sein. Shandess wird seinen Rücktritt erklären, und ich werde zum Ersten Sprecher aufsteigen. Dann ist meine Chance da, uns zu einem aktiven Faktor in einer Umwälzung der gesamten Galaxis zu machen.«

»Zum Ersten Sprecher?«

»Ja, Novi. Ich werde der wichtigste und mächtigste Forscher von allen sein.«

»Der wichtigste von all den Forschern?« Sie wirkte bekümmert.

»Warum machst du so ein Gesicht, Novi? Möchtest du nicht, daß ich für meine Leistungen belohnt werde?«

»Doch, Meister, doch, ganz bestimmt. Aber wenn du erst der wichtigste aller Forscher bist, dann magst du sicher keine Hamerin mehr in deiner Nähe haben. So was würde ja nicht zu dir passen.«

»So, nicht? Und wer sollte es mir verbieten?« Er verspürte eine Aufwallung von Zuneigung. »Novi, du bleibst bei mir, wohin ich auch gehe oder was ich gerade treibe, was ich auch werde. Glaubst du, ich wollte es riskieren, mich mit einigen der Wölfe, die wir manchmal an der Tafel der Sprecher sitzen haben, ernsthaft anzulegen, ohne anhand deiner Psyche — deines unschuldigen, absolut unkomplizierten Gemüts — jederzeit ersehen zu können, wie ihre Gefühle beschaffen sind? Außerdem…« — er wirkte, als empfände er aufgrund einer unvermuteten Erkenntnis plötzlich Verblüffung — »ganz davon abgesehen, ich… ich habe dich gern bei mir, und wenn es nach mir geht, sollst du immer bei mir bleiben. Das heißt, falls du es auch möchtest.«

»Ach, Meister«, flüsterte Sura Novi und ließ, als Gendibal einen Arm um ihre Taille schlang, ihren Kopf an seine Schulter sinken.

Tief in ihrem Innern, wo Sura Novis verstandesmäßige Oberfläche dessen kaum bewußt werden konnte, ruhte das Wesen Gaias und lenkte die Ereignisse, aber die undurchschaubare Maske war es, die die Fortführung der großen Aufgabe ermöglichte.

Und diese Maske — eine Maske, die einer Hamerin gehörte — war mit dem Lauf der Ereignisse vollkommen zufrieden und glücklich. Sie war sogar so glücklich, daß Sura Novi sich für den Abstand von ihr selbst/ihnen/allen nahezu entschädigt fühlte und sich darin fügte, auf unbestimmbare künftige Dauer das zu sein, was sie zu sein schien.

90

»Wie froh ich bin«, sagte Pelorat mit vorsätzlich gebremstem Enthusiasmus, während er sich die Hände rieb, »wieder auf Gaia zu sein.«

»Hmmm«, machte Trevize zerstreut.

»Wissen Sie, was Wonne mir verraten hat? Die Bürgermeisterin kehrt mit einem Handelsabkommen mit Sayshell in der Tasche nach Terminus zurück. Der Sprecher der Zweiten Foundation kehrt mit der Einbildung nach Trantor zurück, er habe es arrangiert — und diese Frau, Sura Novi, geht mit ihm, um dafür zu sorgen, daß die Änderungen, deren fernes Ziel Galaxia ist, auch wirklich in die Wege geleitet werden. Und keine Foundation weiß noch, daß Gaia tatsächlich existiert. Der Ausgang der ganzen Sache ist außerordentlich erstaunlich.«

»Ich weiß, mir ist das alles auch mitgeteilt worden«, entgegnete Trevize. »Aber wir wissen darüber Bescheid, daß es Gaia wirklich gibt, und wir können’s weitererzählen.«

»Wonne sieht das anders. Sie meint, niemand würde uns glauben, und das sei uns auch klar. Außerdem, ich zum Beispiel habe nicht die Absicht, Gaia je wieder zu verlassen.«

Trevize schrak aus seiner Nachdenklichkeit und hob den Kopf. »Was?« meinte er.

»Ich bleibe hier. Wissen Sie, ich kann’s selber noch nicht recht fassen. Noch vor Wochen habe ich ein einsames Dasein auf Terminus gefristet, das gleiche Leben, das ich davor schon jahrzehntelang geführt hatte, völlig aufgegangen in meinen Aufzeichnungen und Überlegungen, und nie wäre mir nur im Traum eingefallen, daß ich noch immer in Aufzeichnungen und Gedanken versunken sein würde, wenn der Tod zu mir käme, ganz egal, wann das wäre… ich habe selbstgenügsam dahinvegetiert. Und dann bin ich plötzlich und unerwartet zu einem Reisenden durch die Galaxis geworden, bin in eine Krise galaktischen Maßstabs verwickelt worden, und ich… Golan, lachen Sie nicht! Ich habe Wonne gefunden.«

»Ich lache nicht, Janov«, sagte Trevize. »Aber wissen Sie auch, was Sie tun?«

»O ja. Diese Geschichte mit der Erde ist mir nicht länger wichtig. Die Tatsache, daß sie die einzige Welt mit stark differenzierter Ökologie und intelligentem Leben war, ist für meine Begriffe hinreichend erklärt. Die Ewigen, wissen Sie.«

»Ja, ich hab’s mitgekriegt. Sie wollen also auf Gaia bleiben?«

»Jawohl. Die Erde gehört zur Vergangenheit, und die Vergangenheit steht mir jetzt dermaßen im Hals, daß ich damit gurgeln kann. Gaia ist die Zukunft.«

»Sie sind kein Teil Gaias, Janov. Oder glauben Sie, ein Teil davon werden zu können?«

»Wonne sagt, ich könne in gewissem Umfang durchaus an Gaia teilhaben — wenn schon nicht biologisch, dann doch wenigstens intellektuell. Sie wird mir natürlich helfen.«

»Aber sie ist ein Teil Gaias, und wie sollen Sie unter solchen Umständen mit ihr ein gemeinsames Leben führen können, gemeinsame Standpunkte, gemeinsame Interessen haben?«

Sie standen im Freien, und Trevize betrachtete versonnen die stille, fruchtbare Insel ringsum, das Meer, das sich dahinter erstreckte, und am Horizont, durch die Entfernung nur dunkel erkennbar, eine andere Insel — alles friedlich, zivilisiert, lebendig, alles ein einziges Ganzes.

»Janov«, sagte er, »sie ist eine Welt, Sie sind nur ein winziges Individuum. Wenn Sie Ihrer nun überdrüssig wird? Sie ist jung…«

»Darüber habe ich schon nachgedacht, Golan. Tagelang habe ich über nichts anderes nachgedacht. Ich erwarte, daß sie mich eines Tages satt haben wird. Ich bin kein romantischer Idiot. Aber was sie mir bis dahin gibt, was es auch sein mag, das soll mir genügen. Sie hat mir schon jetzt genug gegeben. Von ihr habe ich mehr erhalten, als es nach meinen früheren Vorstellungen im Leben überhaupt zu erhalten gab. Selbst wenn ich sie von diesem Moment an nicht wieder sehen dürfte, würde ich mich fühlen wie der galaktische Hauptgewinner.«

»Ich kann’s nicht begreifen«, sagte Trevize leise. »Ich halte Sie wahrhaftig für einen romantischen Idioten, und trotzdem, ich möchte Sie gar nicht anders haben. Einen Großteil unseres Lebens haben wir uns nicht gekannt, Janov, aber wir waren nun wochenlang in praktisch jedem Moment zusammen, und — verzeihen Sie, wenn’s albern klingen sollte — ich mag Sie wirklich sehr gut leiden.«

»Ich Sie auch, Golan«, antwortete Pelorat.

»Und ich möchte nicht, daß Sie unglücklich werden. Ich muß mit Wonne sprechen.«

»Nein, nein, bitte nicht. Sie würden ihr nur Belehrungen vorposaunen.«

»Ich habe nicht die Absicht, ihr Belehrungen zu erteilen. Was ich mit ihr besprechen möchte, dreht sich nicht ausschließlich um Sie, aber ich muß unter vier Augen mit ihr reden. Bitte, Janov, ich möchte es nicht hinter Ihrem Rücken tun, also geben Sie Ihre Einwilligung, lassen Sie mich mit ihr sprechen und ein paar Dinge klären. Falls ich mit dem Verlauf der Unterredung zufrieden bin, werde ich Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche aussprechen und Ihnen meinen Segen geben — und ich werde Sie von da an in Ruhe lassen, was auch geschehen mag.«

Pelorat schüttelte den Kopf. »Sie werden alles verderben.«

»Ich verspreche Ihnen, ich werde nichts verderben. Ich bitte Sie eindringlich…«

»Na schön… Aber seien Sie vorsichtig, mein Bester, ja?«

»Darauf gebe ich Ihnen mein feierliches Ehrenwort.«

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»Pel sagt«, begann Wonne, »Sie möchten mich sprechen.«

»Ja«, bestätigte Trevize.

Anmutig setzte sie sich hin, schlug die Beine übereinander und schaute mit scharfsinnigem Blick zu ihm auf, ein Leuchten in den schönen braunen Augen, und ihr langes, dunkles Haar schimmerte.

»Sie mögen mich nicht, stimmt’s?« meinte sie. »Sie haben mich von Anfang an nicht ausstehen können.«

Trevize blieb stehen. »Sie wissen sehr gut über anderer Leute Gehirne Bescheid, und das, was darin vorgeht. Sie wissen, was ich von Ihnen denke, und Sie wissen auch, warum.«

Langsam schüttelte Wonne den Kopf. »Ihr Bewußtsein ist für Gaia unantastbar. Das müßte Ihnen klar sein. Ihre Entscheidung war notwendig, und es mußte die Entscheidung eines unbeeinflußten, unangetasteten Verstandes sein. Als wir Ihr Raumschiff aufgebracht haben, sind Sie und Pelorat von mir einer beruhigenden Einflußnahme unterworfen worden, aber das war unumgänglich. Panik oder Wut hätten Sie beeinträchtigt und vielleicht für eine Zeitspanne von kritischer Dauer unbrauchbar gemacht. Und dabei ist es geblieben. Darüber hinaus hätte ich nie gehen dürfen, und ich habe es nicht getan — folglich weiß ich nicht, was Sie denken.«

»Die Entscheidung, die man von mir verlangt hat, ist nun gefällt«, sagte Trevize. »Ich habe mich zugunsten Gaias und Galaxias entschieden. Was also soll all dies Gerede von einem unbeeinflußten, unangetasteten Verstand? Sie haben nun erreicht, was Sie von mir wollten, und Sie können mit mir machen, was Ihnen paßt.«

»Keineswegs, Trev. Es ist möglich, daß in der Zukunft weitere Entscheidungen von derartiger Bedeutung zu treffen sind. Sie bleiben, was Sie sind, und solange Sie leben, sind Sie ein einzigartiges natürliches Hilfsmittel der Galaxis. Zweifellos gibt es in der Galaxis weitere Personen wie Sie, und andere wie Sie werden in der Zukunft vorhanden sein, aber vorerst haben wir Sie — und nur Sie. Wir dürfen Ihren Geist nicht antasten.«

Trevize überlegte. »Sie sind Gaia, aber ich möchte nicht mit Gaia sprechen. Ich wünsche mit Ihnen als Individuum zu reden, falls dieser Begriff für Sie überhaupt irgendeine Bedeutung besitzt.«

»Er hat durchaus seine Bedeutung. Es verhält sich keineswegs so, daß wir in einem gemeinsamen geistigen Pol existieren würden. Ich kann Gaia für einige Zeit ausschließen.«

»Ja«, sagte Trevize, »ich glaube Ihnen, daß Sie das können. Haben Sie’s jetzt getan?«

»Ich habe es soeben getan.«

»Dann lassen Sie mich zunächst einmal feststellen, daß Sie ein listiges Spielchen getrieben haben. Vielleicht sind Sie schlau genug gewesen, nicht in meinen Geist einzudringen, um meine Entscheidung nicht zu beeinflussen, aber Sie haben Janovs Psyche dahingehend beeinflußt, nicht wahr?«

»Das ist Ihre Ansicht?«

»Dieser Meinung bin ich. Genau im richtigen Augenblick hat Pelorat mich an seine Vision von der Galaxis als lebendem Etwas erinnert, und damit hat er mich dazu bewogen, meine Entscheidung so zu fällen, wie sie gefallen ist. Der Gedanke ist seiner gewesen, kann sein, aber Sie waren’s, der in ihm die Erinnerung daran ausgelöst hat, oder nicht?«

»Der Gedanke war in seinem Bewußtsein, aber zusammen mit zahlreichen anderen Gedanken«, sagte Wonne. »Ich habe seiner Erinnerung an das Bild einer lebenden Galaxis den Weg an die Oberfläche seines Denkens gebahnt, anderen Erinnerungen dagegen nicht. Daher ist sie ihm leicht zu Bewußtsein gekommen und in Worte gefaßt worden. Beachten Sie, ich habe ihm den Gedanken nicht eingeflüstert. Er war bereits als eigene Erinnerung vorhanden.«

»Nichtsdestoweniger lief Ihr Vorgehen auf eine indirekte Einschränkung der Unabhängigkeit meiner Entscheidung hinaus, oder etwa nicht?«

»Gaia hat es als notwendig erachtet.«

»So? Naja, vielleicht fühlen Sie sich wohler — oder es stellt Ihre Noblesse wieder her —, wenn ich Ihnen verrate, daß ich, obwohl Janovs Bemerkung mich dazu veranlaßt hat, die Entscheidung schon in dem Augenblick zu treffen, dieselbe Entscheidung sowieso getroffen hätte, selbst wenn von ihm nichts geäußert oder versucht worden wäre, mir eine andere Entscheidung einzureden. Ich möchte, daß Sie das wissen.«

»Das zu hören, ist mir eine Erleichterung«, sagte Wonne unterkühlt. »War es das, was Sie mir sagen wollten, als Sie um dies Gespräch gebeten haben?«

»Nein.«

»Was haben Sie außerdem auf dem Herzen?«

Trevize schob einen Sessel näher, bis er dicht vor Wonne stand, setzte sich dann hinein — ihre Knie berührten sich fast — und beugte sich vor.

»Während unseres Anflugs in Richtung Gaia befanden Sie sich in der Raumstation. Sie waren es, der unser Raumschiff aufgebracht hat, und Sie sind seitdem die ganze Zeit hindurch bei uns geblieben — außer anläßlich des Essens mit Dom, an dem Sie nicht teilgenommen haben. Vor allem jedoch waren Sie mit uns an Bord der Far Star, als ich die Entscheidung getroffen habe. Immer Sie.«

»Ich bin Gaia.«

»Das ist keine Erklärung. Ein Kaninchen ist Gaia. Ein Kieselstein ist Gaia. Alles auf diesem Planeten ist Gaia, aber nicht alles ist gleichermaßen Gaia. Einige Bestandteile Gaias sind gleicher als andere. Warum Sie?«

»Was ist Ihre Ansicht?«

Trevize ging aufs Ganze. »Meine Ansicht ist, daß Sie nicht ganz einfach nur Gaia sind. Ich glaube, Sie sind mehr als Gaia.«

Wonne prustete geringschätzig durch die Lippen.

Trevize ließ sich nicht beirren. »Zum Zeitpunkt, als ich mich mit meiner Entscheidung beschäftigt habe, hat die Frau in Begleitung des Sprechers, diese…«

»Er nannte sie Novi.«

»Diese Novi also hat behauptet, Gaia sei durch Roboter gegründet worden, die zwar nicht länger existierten, die aber Gaia gelehrt hätten, einer speziellen Version der drei Regeln der Robotik zu folgen.«

»Das stimmt.«

»Und diese Roboter existieren tatsächlich nicht mehr?«

»Das hat Novi gesagt.«

»Novi hat es nicht gesagt. Ich entsinne mich genau an ihre Äußerung. Sie hat gesagt: ›Vor Tausenden von Jahren ist Gaia mit der Hilfe von Robotern, die der Menschheit für kurze Zeit einmal wirklich dienten, ihr heute jedoch nicht mehr zu Diensten stehen, gegründet worden.‹«

»Na also, Trev, heißt das etwa nicht, daß diese Roboter nicht mehr existieren?«

»Absolut nicht! Es heißt, daß sie nicht länger zu Diensten stehen. Könnte es nicht sein, daß sie statt dessen — herrschen?«

»Lachhaft!«

»Oder überwachen? Waren Sie dabei, als ich meine Entscheidung zu fällen hatte? Allem Anschein nach war Ihre Anwesenheit von keiner erheblichen Bedeutung. Es war Novi, die die erforderlichen Dinge getan und gesagt hat, und sie war Gaia. Wozu hätten wir Sie gebraucht? Es sei denn…«

»Nun? Was denn?«

»Es sei denn, Sie sind ein Aufpasser, dessen Aufgabe es ist, darauf zu achten, daß Gaia die drei Regeln nicht vergißt. Es sei denn — Sie sind ein Robot, so geschickt konstruiert, daß Sie von einem Menschen nicht zu unterscheiden sind.«

»Wenn ich nicht von einem Menschen zu unterscheiden wäre«, meinte Wonne mit einer Spur von Sarkasmus, »wieso sollten Sie mich dann trotzdem von einem Menschen unterscheiden können?«

Trevize lehnte sich zurück. »Haben Sie mir nicht selbst ausgiebig genug versichert, ich besäße die Gabe, über etwas Gewißheit zu erlangen, Entscheidungen zu fällen, Lösungen zu finden, die richtigen Schlußfolgerungen zu ziehen? Ich habe so was nie für mich in Anspruch genommen — Sie behaupten das von mir. Tja, und von dem Augenblick an, in dem ich Sie zum erstenmal gesehen habe, war mir unbehaglich zumute. Mir war sofort klar, mit Ihnen stimmt irgend etwas nicht. Ich spreche sicherlich genauso stark auf weibliche Reize an wie Pelorat — sogar stärker, würde ich sagen —, und Sie sind in Ihrer ganzen Erscheinung eine attraktive Frau. Trotzdem habe ich mich nicht eine Sekunde lang von Ihnen angezogen gefühlt.«

»Das ist ja niederschmetternd.«

Trevize überhörte den Sarkasmus in ihrer Bemerkung. »Als Sie zu uns an Bord unseres Raumschiffs kamen«, sagte er, »hatten Janov und ich die Möglichkeit einer nichtmenschlichen Zivilisation auf Gaia diskutiert, und sobald Pelorat Sie sah, fragte er Sie in seiner Arglosigkeit: ›Sind Sie ein Mensch?‹ — Kann sein, daß ein Robot immer die Wahrheit antworten muß, aber ich nehme an, er kann ausweichende Antworten geben. ›Sehe ich nicht wie ein Mensch aus?‹ haben Sie ihm geantwortet. Ja, Sie sehen wie ein Mensch aus, Wonne, aber lassen Sie mich noch einmal fragen. Sind Sie ein Mensch?«

Wonne bewahrte Schweigen, und schließlich sprach Trevize weiter. »Ich glaube, ich habe schon im ersten Augenblick unserer Begegnung gespürt, daß Sie keine Frau sind. Sie sind ein Robot, und irgendwie habe ich das gemerkt. Und wegen meines Fühlens hatten alle nachfolgenden Ereignisse für mich eine besondere Bedeutung — vor allem Ihre Abwesenheit beim Essen.«

»Glauben Sie etwa, ich könne nicht essen, Trev?« meinte Wonne. »Haben Sie vergessen, daß ich an Bord ihres Raumers Garnelen verzehrt habe? Ich versichere Ihnen, daß ich essen und ebenso alle anderen biologischen Funktionen ausüben kann — auch, ehe Sie danach fragen, solche sexueller Natur. Und das, das will ich Ihnen gleich sagen, beweist selbstverständlich noch lange nicht, daß ich kein Robot bin. Schon vor Jahrtausenden hatten die Roboter eine so hohe Stufe von Perfektion erreicht, daß sie nur bezüglich ihrer Hirne von Menschen unterscheidbar waren, und nur durch Personen, die sich mit mentalen Feldern auskannten. Sprecher Gendibal hätte vielleicht feststellen können, ob ich ein Robot bin oder nicht, hätte er sich die Mühe gemacht, mich überhaupt zu beachten. Aber natürlich hat er das nicht getan.«

»Trotzdem bin ich, obwohl ich vom Mentalen nichts verstehe, davon überzeugt, daß Sie ein Robot sind.«

»Und wenn ich einer bin?« erwiderte Wonne. »Ich gebe nichts dergleichen zu, aber Sie machen mich neugierig. Was wäre, wenn ich einer bin?«

»Sie brauchen nichts zuzugeben. Ich weiß bestimmt, daß Sie ein Robot sind. Hätte ich noch eines letzten Beweises bedurft, wäre mir Ihre gelassene Zusicherung, Sie könnten Gaia von Ihrem Bewußtsein ausschließen und als Individuum mit mir sprechen, mir Beweis genug gewesen. Ich bin der Meinung, daß Sie so etwas nicht tun könnten, wären Sie wirklich ein Teil Gaias. Aber Sie sind’s nicht. Sie sind ein Robot-Aufpasser, und deshalb stehen Sie außerhalb Gaias. Und da wir uns gerade damit befassen, frage ich mich — wieviel Robot-Aufpasser mag Gaia wohl brauchen und zur Verfügung haben?«

»Ich wiederhole, ich gebe nichts zu, sondern bin nur neugierig. Was wäre, wenn ich ein Robot bin?«

»In dem Falle möchte ich von Ihnen wissen: Was wollen Sie von Janov Pelorat? Er ist mein Freund und in gewisser Hinsicht ein großes Kind. Er glaubt, daß er Sie liebt, und er redet sich ein, er wolle nur, was immer Sie ihm zu geben bereit sind, ja, daß Sie ihm sogar schon jetzt genug gegeben hätten. Er kennt den Schmerz einer verlorenen Liebe nicht und kann ihn sich auch nicht vorstellen, und das gilt erst recht für die besondere Art von Schmerz, die es ihm bereiten würde, müßte er sich eines Tages damit abfinden, daß Sie in Wahrheit gar kein Mensch sind…«

»Kennen Sie den Schmerz einer verlorenen Liebe?«

»Ich habe entsprechende Momente kennengelernt. Ich habe kein so weltfernes Leben wie Janov geführt. Ich habe mein Leben nicht von einem intellektuellen Wahn in Beschlag nehmen, es dadurch abstumpfen und alles andere daraus verdrängen lassen, sogar den Gedanken an Frau und Kind. Er hat es dahin kommen lassen. Nun gibt er plötzlich alles für Sie auf. Ich möchte nicht, daß er eine schmerzhafte Enttäuschung erlebt. Wenn ich Gaia einen Gefallen erwiesen habe, kann ich dafür einen Gegendienst verlangen — und er soll aus Ihrem Versprechen bestehen, daß Janov Pelorats Wohlergehen gewährleistet sein wird.«

»Soll ich einmal so tun, als wäre ich ein Robot, und Ihnen antworten?«

»Ja«, sagte Trevize. »Jetzt sofort!«

»Nun gut. Nehmen wir einmal an, Trev, ich bin ein Robot und befinde mich in der Position eines Überwachers. Nehmen wir einmal an, daß es wenige, sehr wenige meinesgleichen gibt, die eine ähnliche Rolle spielen, und nehmen wir an, wir begegnen einander nur selten. Nehmen wir einmal an, unsere Antriebskraft besteht aus dem Bedürfnis, uns um das Wohl von Menschen zu kümmern, und nehmen wir an, es gibt keine echten Menschen auf Gaia, weil alles auf Gaia Bestandteil eines übergeordneten planetaren Wesens ist. Nehmen wir weiter an, es beschert uns eine gewisse Erfüllung, uns um Gaia zu kümmern — aber keine absolute Erfüllung. Gehen wir einmal von der Annahme aus, in uns ist irgendeine primitive Regung erhalten geblieben, die sich nach einem Menschen der Art sehnt, wie er existierte, als man Roboter erstmals konstruiert und eingesetzt hat. Mißverstehen Sie mich nicht, ich behaupte nicht etwa, uralt zu sein — angenommen, ich sei ein Robot. Ich bin so alt, wie ich Ihnen mein Alter genannt habe, oder zumindest — von der Annahme ausgegangen, ich sei ein Robot — stimmt der entsprechende Zeitraum als bisherige Dauer meiner Existenz. Trotzdem — immer noch angenommen, daß ich ein Robot bin — muß meine Konstruktion fundamental so sein, wie sie bei Robotern immer war, und folglich muß ich das Verlangen nach einer auf einen echten Menschen fixierten Fürsorge haben. Pel ist ein Mensch. Er ist kein Teil Gaias. Er ist zu alt, als daß er jemals noch ein regelrechter Bestandteil Gaias werden könnte. Er möchte bei mir auf Gaia bleiben, weil er in bezug auf mich anders empfindet als Sie. Er hält mich nicht für einen Robot. Nun, ich möchte ebenfalls, daß er bleibt. Wenn Sie unterstellen, ich sei ein Robot, würde ein solcher Wunsch ja durchaus dazu passen. Ich bin aller menschlichen Reaktionen fähig und würde ihn daher lieben. Falls Sie darauf bestehen, mich als einen Robot zu betrachten, können Sie vielleicht behaupten, ich wäre zur Liebe in der mystischen menschlichen Bedeutung des Wortes unfähig, aber Sie wären nicht dazu imstande, meine Reaktionen von dem, was Sie Liebe nennen, zu unterscheiden — was für ein Unterschied sollte also bestehen?«

Sie verstummte und musterte ihn — in ihrer ganzen Haltung unversöhnlich stolz.

»Sie wollen damit sagen«, meinte Trevize, »Sie würden ihn niemals im Stich lassen?«

»Wenn Sie annehmen, daß ich ein Robot bin, können Sie selber schlußfolgern, daß ich ihn mit Rücksicht auf die Erste Regel der Robotik niemals im Stich lassen könnte, außer er gäbe mir den Befehl, es zu tun — und ich wäre zusätzlich ganz sicher, daß er es ernst meint und ich ihm durch mein Bleiben größeren Schmerz zufügen würde als durch meinen Abschied.«

»Könnte kein jüngerer Mann…«

»Welcher jüngere Mann? Sie sind ein jüngerer Mann, aber ich wüßte nicht, daß Sie mich auf nur entfernt vergleichbare Weise brauchen wie Pelorat, und es ist eine Tatsache, daß Sie mich gar nicht wollen, und daher müßte die Erste Regel mir jeden Versuch, mich Ihnen aufzudrängen, sogar verbieten.«

»Ich meine nicht mich. Ein anderer junger Mann…«

»Es gibt keinen anderen. Wo auf Gaia sind andere Männer, die sich als Menschen im nichtgaianischen Sinn bezeichnen ließen?«

»Und falls Sie kein Robot sind?« erwiderte Trevize gemäßigter.

»Entscheiden Sie sich!« riet Wonne.

»Ich habe gefragt, falls Sie kein Robot sind…?«

»Dann müßte ich Ihnen entgegnen, daß Sie keinerlei Recht zu überhaupt irgendwelchen Äußerungen besitzen. In dem Falle wäre alles nur meine und Pels Angelegenheit.«

»Dann komme ich auf meinen ersten Punkt zurück«, sagte Trevize. »Ich fordere eine Belohnung, und sie soll daraus bestehen, daß Sie ihn anständig behandeln. Ich verzichte darauf, der Frage Ihrer Identität weiterhin nachzugehen. Versichern Sie mir ganz einfach — als eine Intelligenz der anderen —, daß Sie ihn anständig behandeln werden.«

»Ich werde ihn anständig behandeln«, versprach Wonne leise. »Nicht als Belohnung für Sie, sondern weil nichts anderes mein eigener Wunsch ist. Es ist mein ernstestes Bedürfnis, für sein Wohlbefinden zu sorgen. Ich werde ihn gut behandeln.« Sie rief »Pel«, dann nochmals: »Pel!«

Pelorat kam herein. »Ja, Wonne?«

Wonne streckte ihm ihre Hand entgegen. »Ich glaube, Trev möchte dir etwas sagen.«

Pelorat nahm ihre Hand, und Trevize umschloß die beiden Hände mit seinen zwei Händen. »Janov«, sagte er, »ich bin, was euch angeht, sehr zufrieden.«

»Ach, mein Bester«, rief Pelorat.

»Wahrscheinlich werde ich Gaia verlassen«, fügte Trevize hinzu. »Ich werde gleich mit Dom darüber sprechen. Ich weiß nicht, wann wir uns wiedersehen, ob wir uns überhaupt noch einmal begegnen werden, Janov, aber auf jeden Fall, ich lege Wert auf die Feststellung, wir sind ausgezeichnet miteinander ausgekommen.«

»Wir sind bestens zurechtgekommen«, bekräftigte Pelorat und lächelte.

»Leben Sie wohl, Wonne, und im voraus vielen Dank!«

»Leben Sie wohl, Trev!«

Trevize winkte mit der Hand und verließ das Haus.

92

»Sie haben sich richtig verhalten, Trev«, sagte Dom. »Aber das war eigentlich nichts anderes, als ich erwartet habe.«

Wieder saßen sie bei einem Mahl, das genauso unbefriedigend, wie das erste Essen gewesen war, doch diesmal störte sich Trevize nicht daran. Dies mochte ganz gut seine letzte Mahlzeit auf Gaia sein.

»Kann sein, ich habe mich verhalten wie von ihnen erwartet, aber vielleicht nicht aus dem Grund, den Sie angenommen haben«, sagte Trevize.

»Sicherlich waren Sie von der Richtigkeit Ihrer Entscheidung überzeugt?«

»Ja, war ich, aber nicht infolge irgendeiner mystischen Art von innerer Gewißheit. Wenn ich mich für Gaia entschieden habe, dann aus gewöhnlichem gesunden Menschenverstand — aufgrund einiger Überlegungen, die jeder andere, der vor der Aufgabe gestanden wäre, diese Entscheidung herbeizuführen, auch angestellt haben könnte. Sind Sie an einer näheren Erläuterung interessiert?«

»Aber sicher, Trev.«

»Drei Dinge hätte ich tun können«, sagte Trevize. »Ich hätte für die Erste oder für die Zweite Foundation Stellung beziehen können, und die dritte Möglichkeit war, für Gaia Partei zu ergreifen. Hätte ich mich auf die Seite der Ersten Foundation geschlagen, sofort wären von Bürgermeisterin Branno Schritte eingeleitet worden, um die Zweite Foundation und Gaia in ihre Hand zu bekommen. Hätte ich mich für die Zweite Foundation entschieden, Sprecher Gendibal hätte unverzüglich Maßnahmen ergriffen, um die Erste Foundation und Gaia unter Kontrolle zu bringen. In beiden Fällen wäre das, was daraus entstanden wäre, unumkehrbar gewesen — und wäre eine dieser Entscheidungen falsch gewesen, hätte ich eine unaufhaltbare Katastrophe verursacht. Eine Entscheidung zugunsten Gaias jedoch mußte nach meiner Auffassung sowohl der Ersten wie auch der Zweiten Foundation zu der Überzeugung verhelfen, wenigstens einen kleinen Sieg errungen zu haben, denn allem Anschein nach würde dann, weil ja die Etablierung Galaxias, wie man mir mitgeteilt hatte, Generationen beanspruchen, ja, sogar Jahrhunderte dauern sollte, alles genauso wie vorher weitergehen. Meine Entscheidung für Gaia war also nichts anderes als die Relativierung meiner Entscheidung, eine Vorsorge, um zu sichern, daß genug Zeit bleibt, den weiteren Lauf der Dinge noch zu beeinflussen — oder rückgängig zu machen —, falls sich meine Entscheidung als falsch herausstellt.«

Dom hob die Brauen. Ansonsten blieb sein altes, fast totenschädelhaftes Gesicht ausdruckslos. »Sind Sie tatsächlich der Meinung«, erkundigte er sich dann mit seiner hohen Stimme, »daß Ihre Entscheidung sich als falsch erweisen könnte?«

Trevize hob die Schultern. »Ich glaube, es wird nicht so kommen, aber ich muß etwas unternehmen, wenn ich’s genau wissen will. Ich hege die Absicht, die Erde aufzusuchen, falls es mir gelingt, diese Welt zu finden.«

»Wenn Sie den Wunsch haben, uns zu verlassen, werden wir Sie gewiß nicht aufhalten, Trev…«

»Ich passe nicht auf Ihre Welt.«

»So wenig wie Pel, und trotzdem wären Sie uns genauso willkommen wie er, falls Sie es vorzögen, zu bleiben. Aber wir werden Sie nicht zurückhalten. Aber verraten Sie mir, warum möchten Sie die Erde aufsuchen?«

»Ich glaube«, sagte Trevize, »daß Ihnen das sehr wohl klar ist.«

»Keineswegs.«

»Es gibt da eine gewisse Information, die Sie mir vorenthalten haben, Dom. Vielleicht hatten Sie dafür Ihre Gründe, aber es wäre mir lieber gewesen, Sie hätten’s nicht getan.«

»Ich kann Ihren Ausführungen nicht folgen«, sagte Dom.

»Sehen Sie mal, Dom, um meine Entscheidung herbeizuführen, habe ich meinen Computer benutzt, und dadurch befand ich mich für einen kurzen Moment im Kontakt mit den Bewußtseinseinheiten dieser Leute, die über mir stehen oder mir überlegen sind — Bürgermeisterin Branno, Sprecher Gendibal, Novi. Ich habe gewisse Eindrücke einer Reihe von Dingen erhascht, die mir — für sich betrachtet — wenig besagten, zum Beispiel, die verschiedenen Einwirkungen, die Gaia — durch Novi — auf Trantor vorgenommen hat… in der Absicht, den Sprecher nach Gaia zu locken.«

»Ja?«

»Und dazu gehörte auch das Entfernen aller Hinweise auf die Erde aus Trantors Bibliothek.«

»Das Entfernen aller Hinweise auf die Erde?«

»Genau. Also muß die Erde wichtig sein — und anscheinend darf nicht bloß die Zweite Foundation nichts von ihr wissen, sondern ich ebensowenig. Und wenn ich die Verantwortung für den Kurs der gesamtgalaktischen Entwicklung tragen soll, finde ich mich mit Unklarheiten nicht ab. Wäre es vielleicht möglich, mir mitzuteilen, warum es so wichtig ist, alle Kenntnisse über die Erde geheimzuhalten?«

»Trev«, antwortete Dom in feierlichem Ernst, »Gaia weiß nichts über ein solches Entfernen von Daten. Nichts!«

»Wollen Sie behaupten, Gaia sei nicht dafür verantwortlich?«

»Sie ist nicht dafür verantwortlich.«

Trevize dachte für eine Weile nach, während seine Zungenspitze langsam und versonnen über seine Lippen glitt. »Wer ist dann verantwortlich?«

»Ich habe keine Ahnung. Ich sehe in so etwas keinen vernünftigen Sinn.«

Die beiden Männer musterten einander. »Sie haben recht«, sagte Dom schließlich. »Es hatte den Anschein, als seien wir zu einem zufriedenstellenden Abschluß gelangt, aber solange dieser Punkt unklar bleibt, dürfen wir es nicht wagen, uns Ruhe zu gönnen. Bleiben Sie noch für einige Zeit bei uns, und wir werden feststellen, was sich in dieser Hinsicht ermitteln läßt. Dann können Sie aufbrechen, und Sie dürfen unserer uneingeschränkten Unterstützung sicher sein.«

»Vielen herzlichen Dank«, sagte Trevize.

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