7

Die nächsten fünf Tage waren sehr angenehm für mich.

Vormittags übte ich mit Ottar den Axtkampf.

Die Klinge bohrte sich tief in den Pfosten.

»Mehr Schwung!« rief Ottar lachend. »Mehr Schwung!«

Die Männer stießen einen Freudenschrei aus, als die Axt beim nächsten Schlag das Holz glatt durchschlug.

Wieder hieb ich mit der großen Axt zu. Der Pfosten erbebte im Boden, und ein weiteres Stück wirbelte davon.

»Gut gemacht!« rief Ottar.

Im nächsten Augenblick hieb er mit seiner Axt zu. Ich fing den Schlag mit meiner Waffe an seinem Axtgriff ab, hob die linke Faust und schleuderte ihn mit einer Bewegung zu Boden. Gleich darauf lag er im Gras, und ich beugte mich mit erhobener Waffe über ihn.

»Ausgezeichnet!« rief er lachend und sprang wieder auf.

Es gibt viele Tricks im Kampf mit der Axt; oft setzt man Finten ein und führt kurze Hiebe mit dem Axtgriff, mit dem man ebenfalls zustoßen und auch schlagen kann. Ein voller Hieb führt natürlich dazu, daß der Krieger einen Moment lang ungeschützt ist, sollte die Klinge ihr Ziel verfehlen; grundsätzlich zieht man einen kräftigen Streich nicht bis zu Ende durch, um den Gegner aus der Reserve zu locken und dann mit einem Rückhandschlag zu erwischen. Manchmal kann man auch das Schild des Gegners unterlaufen und vielleicht seinen Schildarm abtrennen. Ein niedriger Schlag kann auch auf das Bein gerichtet werden. Und in der Defensive kann man versuchen, einen vollen Hieb herauszufordern, der einem einen kurzen Vorteil bringt; vielleicht läßt sich der Gegner in dem Glauben wiegen, daß er es mit einem unerfahrenen Krieger zu tun hat, und dazu verleiten, das Gewicht seines Körpers zur Unzeit in einen vollen Schlag zu legen. Die Axt der Torvaldsländer ist eine der schrecklichsten Waffen auf Gor, und es ist nicht leicht, einen Mann zu überlisten, der sich auf diese Waffe versteht. Zum Sieg braucht er nur einen Streich, den er erst ansetzen wird, wenn er sich seines Ziels ganz sicher ist.

Eine Stunde später inspizierte Forkbeard seine Felder, begleitet von Ottar, dem Hüter seiner Farm, und Tarl Rothaar, Gast in Forkbeards Heimstatt.

Das gelbe Sa-Tarna des Nordens, in Reihen angesät, stand etwa fünfundzwanzig Zentimeter hoch. Die Reifezeit betrug an diesem Breitengrad, gemäßigt durch den Torvaldstrom, ungefähr hundertundzwanzig Tage. Die Aussaat hatte schon im letzten Herbst stattgefunden, einen Monat nach dem Erntefest. Die Saat kommt so frühzeitig in den Boden, daß sich vor dem tiefen Frost, der das Wachstum vorübergehend bremst, ein ausreichendes Wurzelsystem entwickeln kann. In der Wärme des Frühlings setzen sich die unempfindlichen Pflanzen durch. Der Ernteertrag des im Herbst ausgesäten Sa-Tarnas ist höher als der später ausgesäter Arten.

»Gut«, sagte Forkbeard, richtete sich auf und klopfte sich den Schmutz von den Knien seiner ledernen Hosen. »Gut«, sagte er noch einmal.

Sa-Tarna ist das Hauptgetreide auf Forkbeards Land, aber es werden auch viele Gärten unterhalten. Ottar grub für Forkbeard und mich zwei Rettiche aus, die wir reinigten und verzehrten. Die Tospits im Obstgarten waren noch zu grün zum Essen; ich mochte diese Frucht ohnehin nicht besonders, weil sie ziemlich bitter ist. Manche schätzen sie als Leckerbissen. Sie wird gewöhnlich in Honig oder Sirup eingelegt und bei einer Vielzahl von Speisen als Zutat verwendet. Sie dient vor allem zur Verhinderung von Mangelerscheinungen bei der Ernährung, weil sie wertvolle Vitamine enthält. Auf langen Seereisen werden Tospits in Fässern an Bord genommen, in denen sie sich lange halten.

Als wir unsere Inspektion beendeten, gab es große Aufregung. Mehrere Männer waren bei der Halle zusammengelaufen. In ihrer Mitte stand ein hinkender Thrall; seine Augen waren vor Entsetzen aufgerissen.

»Zeig uns, was du gefunden hast«, verlangte Forkbeard.

Wir folgten dem Mann vier Pasang weit den Hang hinauf, zu den Sommerweiden. Wir erreichten schließlich eine Höhe, von der aus wir den Hof und das Schiff tief unter uns sehen konnten; hier blieb der Thrall stehen und deutete auf seinen grausigen Fund.

»Gibt es hier Larls in den Bergen?« fragte ich verwundert.

Die Männer sahen mich an, als hätte ich den Verstand verloren.

»Ein Sleen war das jedenfalls nicht«, fuhr ich fort.

Vor uns lagen die Überreste eines ausgewachsenen Bosk, der förmlich zerrissen worden war. Sogar große Knochen waren gebrochen, offenbar von mächtigen Kiefern zermalmt, das Mark war ausgesaugt. Auch das Gehirn war aus dem aufgebrochenen Schädel geholt worden.

»Weißt du nicht, welches Tier hier am Werk war?« fragte Forkbeard.

»Nein«, sagte ich.

»Der Bosk ist von einem Kur getötet worden.«


Vier Tage lang jagten wir das Ungeheuer, doch wir fanden es nicht. Obwohl der Bosk erst vor kurzem getötet worden war, blieb der Kur spurlos verschwunden.

»Wir müssen ihn finden«, sagte Forkbeard. »Er muß erkennen, daß er sich nicht ungestraft auf Forkbeards Land herumtreiben darf!«

Aber wir fanden nichts. Und je länger sich unsere Suche hinzog, desto unruhiger, mürrischer und wütender wurden die Männer. Auch die Sklavinnen lachten und scherzten nicht mehr. Die Anwesenheit eines Kur auf Ivar Forkbeards Land bedrückte alle.

»Das Ungeheuer hat sicher die Gegend verlassen«, mutmaßte Ottar am vierten Abend.

»Es hat jedenfalls bisher nicht wieder zugeschlagen«, sagte Gautrek der Schmied, der uns begleitet hatte.

»Glaubst du, es ist dasselbe Wesen, das im letzten Monat den Verr getötet hat?« fragte ich Ottar.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte der Torvaldsländer. »Möglich, denn Kurii tauchen hier im Süden nur selten auf.«

»Vielleicht ist er von seinen Artgenossen vertrieben worden«, meinte Forkbeard. »Vielleicht ist er sogar zu bösartig, um in seinen eigenen Höhlen geduldet zu sein.«

»Vielleicht ist er auch verrückt oder dumm«, warf Ottar ein.

»Oder krank oder verletzt und hat bei den schnellen Tieren des Nordens keine Chance mehr.«

»Wie dem auch sei«, meinte ich, »der Kur scheint fort zu sein.«

»Wir sind sicher«, meinte Gautrek.

»Wollen wir heute abend feiern?« fragte Gorm. »Nein«, sagte Forkbeard. »Heute steht mir der Sinn nicht nach Feiern.«


Ich erwachte in der Dunkelheit. Thyri lag wie immer an mich geschmiegt; sie schlief.

Ich rührte mich nicht.

Aus irgendeinem Grund war ich unruhig.

Ich hörte das schwere Atmen und leise Schnarchen der Männer in der Halle.

Neben mir atmete Thyri tief und regelmäßig.

Ich glaubte einen frischen Luftzug zu spüren.

Und dann roch ich es.

Mit einem Wutschrei sprang ich hoch und schleuderte die Felle von mir. Im gleichen Augenblick packten mich riesige Pranken und hoben mich in die Höhe. Ich vermochte meinen Angreifer nicht zu erkennen. Dann wurde ich gegen die Wand aus Gras und Steinen geschleudert.

»Was ist los?« brüllte jemand.

Thyri erwachte und begann zu schreien.

Ich lag halb betäubt von der Wucht des Aufpralls am Fuß der Wand.

»Fackeln!« brüllte Forkbeard. »Fackeln!«

Männer brüllten; Sklavinnen kreischten.

Ich hörte schmatzende Laute.

Und dann sahen wir im Licht der Fackel, die Forkbeard an der glimmenden Asche der Feuerstelle entzündet hatte, das unheimliche Wesen.

Es war nur zehn Fuß von mir entfernt. Es hob sein Gesicht von dem halb verzehrten Körper eines Mannes. Die großen, runden Augen funkelten im Licht der Fackel.

»Waffen!« brüllte Forkbeard.

»Kur! Kur!« riefen andere Männer. Das Wesen verharrte reglos, halb über den zerfetzten Leichnam gebeugt. Es wollte sich nicht von seiner Beute trennen. Sein Fell war tief schwarz und mit weißen Flecken durchsetzt. Die großen spitzen Ohren lagen flach am Kopf an. Das Wesen war etwa sieben Fuß groß und mochte vierhundert oder fünfhundert Pfund wiegen. Die Schnauze war breit und ledrig. Es besaß zwei geschlitzte Nüstern. Die Zunge war dunkel. Im Maul blitzten zwei Reihen scharfer Zähne, von denen vier besonders hervorstachen. Die Arme waren länger und kräftiger ausgebildet als die Beine; das Wesen umklammerte den Toten, von dem es fraß, mit gewaltigen Klauenhänden, die mit ihren sechs Knöchelgliedern fast wie Tentakel wirkten.

Das Wesen zischte unruhig und bleckte die Fänge.

Anscheinend konnte sich niemand rühren. Im nächsten Augenblick sah ich hinter dem Kur eine Axt aufblitzen. Die Klinge fuhr herab und durchtrennte einen Fuß unterhalb des Halses das Rückgrat des Ungeheuers. Es sackte nach vorn und begrub eine hysterisch schluchzende Sklavin fast völlig unter sich. Hinter dem schwarzen Wesen erblickte ich Rollo, den riesigen Torvaldsländer. Er schien völlig gelassen zu sein; sein Verhalten hatte nichts Menschliches mehr. Er hatte zugeschlagen, während andere Gautrek, Gorm, ich und sogar Forkbeard! – das Ungeheuer nur entsetzt anstarren konnten. Wieder hob Rollo die Axt. »Nein!« rief Ivar Forkbeard. »Der Kampf ist vorbei!«

Der Riese senkte seine Waffe und kehrte langsam zu seinem Lager zurück.

Einer der Männer berührte die Schnauze des Ungeheuers mit dem Speer und schob die Spitze schließlich in das breite Maul – der Speerschaft wurde zur Seite gerissen; die Sklavinnen schrien auf. »Es lebt noch!« brüllte Gorm.

»Schafft es raus!« befahl Ivar Forkbeard. »Nehmt euch vor den Zähnen in acht.«

Mit Ketten und Stangen wurde der Kur aus der Halle geschleift. Wir schafften das Ungeheuer aus der Palisade und schoben es auf die Felsen. Es wurde langsam hell.

Ich kniete neben dem Wesen nieder.

Es lebte immer noch; nun öffnete es die Augen.

»Kennst du mich?« fragte ich.

»Nein«, sagte es.

»Dies ist ein kleiner Kur«, sagte Forkbeard. »Die Ungeheuer sind im allgemeinen größer. Schau dir die weißen Flecken an! Es ist krank«

»Ich hoffe, daß es nicht meinetwegen in die Halle gekommen ist«, sagte ich.

»Nein«, sagte Forkbeard. »Die Kurii können im Dunkeln ausgezeichnet sehen. Wenn es hinter dir her gewesen wäre, hätte es dich erwischt.«

»Warum ist es dann in die Halle gekommen?«

»Kurii«, sagte Ivar Forkbeard, »lieben Menschenfleisch.« »Warum hat es sich nicht gewehrt?«

»Es war beim Fressen«, erwiderte der Torvaldsländer und beugte sich über das Ungeheuer. »Hast du schon vorher hier bei uns gejagt?« fragte er. »Hast du einen Verr und einen Bosk gerissen?«

»Und eben in der Halle einen Menschen«, sagte es stolz, dann verdrehte es röchelnd den Kopf.

»Tötet es!« befahl Forkbeard.

Vier Speere wurden erhoben.

»Halt«, sagte Ivar Forkbeard. »Es ist tot!«

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