Es hob den Kopf. Es stand auf dem kleinen Hügel, der sich vor dem Versammlungsfeld erhob. Dieser Hügel war terrassenförmig mit Steinen abgesetzt. Auf diesen Steinen, die halbkreisförmig angelegt waren, standen bedeutende Männer und Jarls, Runenpriester und die Wache von Svein Blue Tooth. Unmittelbar unter dem Gipfel des kleinen Hügels befand sich eine in den Hang hineingeschnittene ebene, mit Steinen bepflasterte Plattform mit Seitenabmessungen von etwa zwölf Fuß.
Hier stand Svein Blue Tooth mit zwei Würdenträgern – hohen Offizieren des Jarl.
Das Wesen schaute mit erhobenem Kopf über die Versammlung freier Männer hinweg. Im Sonnenlicht wirkten die Pupillen seiner Augen ungewöhnlich klein und dunkel. Sie waren wie schwarze Punkte in der grüngelben Iris. Ich wußte, daß diese Punkte bei Nacht wie Monde anschwellen und die ganze Augenöffnung einnehmen konnten, die fast zehn Zentimeter groß war. Die Evolution hatte diese Lebensform auf einer fernen, jetzt vielleicht vernichteten Welt für die Jagd bei Tag und bei Nacht ausgestattet. Zweifellos jagte ein Kur gleich der Katze nur, um sich zu ernähren, und seine vorzüglichen Augen bedeuteten, daß es keine Tages- oder Nachtzeit gab, da man diese Wesen nicht fürchten mußte. Der Kopf entsprach in der Breite ungefähr dem Brustkorb eines großen Mannes. Es hatte eine flache Schnauze mit breiten Nüstern. Die Ohren waren groß und spitz. Sie stellten sich lauschend an der Seite des Kopfes auf und wurden dann wieder angelegt. Die Kurii, so hatte man mir erzählt, legten bei Begegnungen mit den Menschen oft die Ohren an, schon um ihren Gesprächspartnern ähnlicher zu sehen. Das Anlegen der Ohren ist auch als Zeichen der Wut und Feindseligkeit zu deuten. Offenbar ist es für einen Kur physiologisch unmöglich, ohne angehobene Schultern, vorgestreckte Klauen und angelegte Ohren anzugreifen. Die Nüstern des Wesens bebten, während es über die Menge blickte. Das Riechvermögen der Kurii ist nicht so hervorragend wie das der Sleen, doch angeblich konnten sie eine Fährte so gut verfolgen wie ein Larl. Auch ihr Gehör ist ausgezeichnet und wurde ebenfalls mit dem des Larl verglichen. Es bestand kein Zweifel daran, daß das Sehvermögen der Kurii bei Tage dem des Menschen entsprach und vielleicht sogar besser war, ebenso das Gehör. Außerdem waren sie vernunftbegabt wie die Menschen. Wie wir hatten sie ein Gehirn und ein Rückgrat. Die Priesterkönige stellten sie in der Intelligenz dem Menschen gleich, und es war klar, daß sie in gewisser Hinsicht eine ähnliche Erbmasse besaßen. Was sie zu dermaßen gefürchteten Gegnern werden ließ, war nicht so sehr ihre Intelligenz oder – auf den Stahlwelten – ihre technischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten, sondern vielmehr ihre Aggressivität, die Beharrlichkeit und Tollheit in der Befriedigung ihrer emotionalen Bedürfnisse, ihre wesenseigene, zuweilen fast blindwütige Wildheit, die an blutrünstige Raserei grenzte.
Das Ungeheuer war annähernd neun Fuß groß, und ich schätzte sein Gewicht auf etwa neunhundert Pfund. Interessanterweise sehen die Priesterkönige, die nicht sonderlich visuell begabt sind, kaum einen Unterschied zwischen den Kurii und den Menschen. Mir erschien dies schon immer eine unmögliche Haltung für Wesen von der Intelligenz der Priesterkönige, aber trotz der für mich offensichtlichen Unterschiede halten die Priesterkönige Kurii und Menschen für ziemlich ähnliche, fast entsprechende Spezies. Einen Unterschied zwischen einem Menschen und einem Kur haben sie allerdings deutlich festgestellt – die Tatsache, daß der Mensch im allgemeinen ungern tötet. Diese Zurückhaltung kennt der Kur allerdings nicht.
»Männer von Torvaldsland!« rief der Kur. Ich konnte ihn zuerst kaum verstehen – ein beängstigendes Erlebnis. Stellen Sie sich vor, in einem Zoo schaut der Tiger im Käfig plötzlich die Besucher an, und man hört aus seinem Knurren und Fauchen annähernd stimmende Phoneme der menschlichen Sprache heraus – ich erschauderte.
»Intelligenzwesen!« rief der Kur.
Das Maul des Kurs ist so groß, daß der Kopf eines erwachsenen Mannes hineinpaßt. Bei geschlossenem Maul ragen die vier langen Reißzähne und die beiden oberen Zähne über Unterlippe und Kiefer hinaus. Die Zunge ist lang und dunkel, das Innere des Mauls schimmert rötlich.
»Männer von Torvaldsland!« brüllte das Wesen. »Ich spreche zu euch!« Seitlich hinter dem Kur standen zwei weitere Kurii. Auch sie waren schrecklich anzuschauen. Jeder trug einen großen runden Eisenschild von etwa vier Fuß Durchmesser und war mit einer großen, etwa sieben Fuß langen Axt bewaffnet, deren doppelte Klinge etwa zwei Fuß breit war. Der erste Kur war nicht bewaffnet. Während des Sprechens waren seine Krallen eingezogen. Um seinen linken Arm zog sich ein goldenes Spiralenband – sein einziges Schmuckstück. Die beiden Kurii hinter ihm trugen goldene Ohrgehänge. Die ›Hände‹ der Kurii haben sechs Glieder und zahlreiche Gelenke. Die Beine sind dick und kurz; trotzdem kann sich ein Kur mit großer Geschwindigkeit bewegen – dazu setzt er wie ein Affe auch seine vorderen Gliedmaßen ein. Im Laufen verwandelt er sich praktisch in ein vierbeiniges Tier. Doch verfügt er über den aufrechten Gang, der die Gehirnentwicklung und die guten Augen eines Zweifüßlers ermöglichte. Diese Haltung steigert natürlich auch die Reichweite der Augen. Zugleich ermöglicht die Anatomie diesen Wesen, ihre Körper bei Flucht und Angriff wie den eines vierbeinigen Wesens einzusetzen. Der Kur soll außerdem große Ausdauer besitzen, aber davon bin ich gar nicht so überzeugt. Nur wenige Tiere, die nicht trainiert sind, haben Ausdauer oder brauchen sie. Eine Ausnahme bilden Rudeljäger wie die Wölfe der Erde.
»Wir kommen in Frieden«, sagte der Kur.
Die Torvaldsländer auf dem Versammlungsfeld sahen sich an.
»Töten wir sie doch!« flüsterte ein Mann dem anderen zu.
»Im Schnee des hohen Nordens findet eine Versammlung meiner Artgenossen statt«, fuhr der Kur fort.
Die Männer traten unruhig von einem Bein aufs andere. Ich lauschte aufmerksam. Ich wußte, daß die Kurii vor allem in Landstrichen zu finden waren, in denen keine Menschen wohnten.
Die Kurii, denen ich bisher begegnet war, waren bräunlich, braunrot oder schwarz gezeichnet gewesen wie diese drei Ungeheuer. Wenn die Kurii auf der Plattform im Schnee lebende Wesen waren, ließ ihr Fell jedenfalls nichts davon erkennen. Ich fragte mich, ob sie vielleicht aus den Stahlschiffen kamen und erst vor kurzem auf Gor gelandet waren.
»Wie viele kommen dort zusammen?« fragte Svein Blue Tooth, der neben den Kurii stand.
Blue Tooth war ein großer bärtiger Mann mit einem breiten, schweren Gesicht. Er hatte blaue Augen, und sein blondes Haar war schulterlang. Unter seinem linken Auge zog sich eine Messernarbe hin. Er machte einen schlauen, intelligenten Eindruck, den Eindruck eines Mannes, der seinen Vorteil zu nutzen verstand. Wahrscheinlich war er ein guter Jarl. Er trug einen rotgefärbten Fellkragen und einen langen roten Umhang aus See-Sleen-Fell über der linken Schulter. Unter dem Umhang trug er gelbe Wolle und einen schwarzschimmernden breiten Gürtel mit einer Goldschnalle, an dem eine Schwertscheide aus geöltem, schwarzem Leder hing. In dieser Scheide steckte ein torvaldsländisches Schwert, ein Langschwert mit juwelenbesetztem Knauf und doppeltem Handschutz. Um seinen Hals hing an einer goldenen Kette der blaugefärbte Zahn eines Hunjerwals.
»Wir kommen in Frieden«, wiederholte der Kur.
»Wie viele versammeln sich?« hakte Blue Tooth nach.
»So viele, wie sich Steine an der Küste befinden«, sagte der Kur. »So viele, wie Nadeln an den Nadelbäumen hängen.«
»Was wollt ihr?« rief ein Mann aus dem Publikum.
»Wir kommen in Frieden«, wiederholte der Kur noch einmal.
»Sie haben kein weißes Fell«, sagte ich zu Forkbeard, der jetzt neben mir stand. »Unwahrscheinlich, daß sie aus Schneegebieten kommen.«
»Natürlich nicht«, sagte Forkbeard.
»Sollten wir Svein Blue Tooth nicht darüber informieren?« fragte ich.
»Blue Tooth ist kein Dummkopf«, erwiderte Forkbeard lächelnd. »Hier glaubt niemand daran, daß sich die Kurii im Lande des Schnees versammeln. Es gibt dort nicht genug Wild, um so viele Lebewesen zu ernähren.«
»Wie weit sind sie also wirklich entfernt?« fragte ich.
»Das weiß niemand.«
»Leider kennt ihr uns nur durch unsere Geächteten, durch Pervertierte, die aus unseren Höhlen vertrieben worden sind, ungeeignet für die Feinheiten der Zivilisation. Ihr kennt bisher nur unsere Kranken und Ausgestoßenen und Wahnsinnigen, jene, die sich trotz unserer Bemühungen nicht unserer friedlichen und harmonischen Lebensweise anpassen wollten.«
Die Torvaldsländer waren sichtlich verblüfft. Ich schaute auf die großen Äxte in den Händen der beiden Kurii, die hinter dem Sprecher standen.
»Wir sind oft im Kampf aneinandergeraten«, sagte der Sprecher. »Aber an diesen Vorfällen tragt ihr in großem Maße selbst die Schuld. Ihr habt uns grausam und rücksichtslos gejagt, ihr habt uns umbringen wollen, während wir Kameradschaft suchten, als intelligente Mitbewohner dieser Welt.«
»Bringt sie um!« murmelte so mancher Mann. »Es sind Kurii.«
»Selbst jetzt noch«, sagte der Kur und bleckte die Zähne, »gibt es Männer in euren Kreisen, die unseren Tod wünschen, die auf unsere Vernichtung drängen.«
Die Torvaldsländer schwiegen. Der Kur hatte ihre Worte verstanden, obwohl er weit entfernt und hoch über uns stand. Was für ein Gehör!
Wieder wurden die scharfen Zähne entblößt, und ich fragte mich, ob das Wesen vielleicht ein menschliches Lächeln nachzuahmen versuchte. »Wir kommen in Freundschaft«, sagte der Kur und sah sich um. »Wir sind einfache, friedliche Wesen, die sich für die Landwirtschaft interessieren.«
Svein Blue Tooth warf den Kopf in den Nacken und stimmte ein lautes Lachen an. Ein mutiger Mann, fürwahr! Auch Ivar Forkbeard begann zu lachen, weitere fielen ein.
Ich fragte mich, ob der Magen – oder die Mägen – der Kurii Pflanzennahrung überhaupt vertrugen. Die ganze Versammlung hatte nun zu lachen begonnen.
Der Kur schien sich über die Reaktion nicht zu ärgern. Ich fragte mich, ob er mit dem Lachen überhaupt etwas anfangen konnte. Für ihn mochte es nur ein seltsames Geräusch sein, ebenso nichtssagend wie für uns die Schreie von Walen.
»Ihr seid amüsiert«, sagte er.
Also doch – die Kurii wußten, was das Lachen bedeutete. Daß die Kurii Humor hatten, beruhigte mich nicht sonderlich. Ich fragte mich eher, in welchen Situationen sich dieser Humor wohl zeigen mochte. Wäre eine Katze intelligent gewesen, hätte sie sich vielleicht über das Zucken und Beben der Maus amüsiert, die sie eben gefangen hatte. Wenn eine Spezies lacht, so zeugt dies von ihrer Intelligenz und ihrer Fähigkeit, logisch zu denken – und nicht von ihrer Güte oder Harmlosigkeit. Der Verstand ist harmlos – wie ein Messer, dessen Anwendung eine Funktion der Hand ist, die es umfaßt, und der Energien und des Willens, die es bewegen.
»Wir waren nicht immer schlichte Bauern«, sagte der Kur. »Nein, früher waren wir Jäger, und unsere Körper tragen noch immer die Spuren unserer grausamen Vergangenheit. Dies hier« – und er fuhr plötzlich seine Krallen aus – »erinnert uns daran, daß wir entschlossen sein müssen, eine zuweilen störrische Neigung zu überwinden. Nicht das, was wir waren, ist wichtig, sondern das, was wir sind, was wir werden wollen. Wir wünschen einfache Bauern zu sein, die den Boden bestellen und ein ländlich-friedliches Dasein führen.«
Die Torvaldsländer sahen sich an.
»Was wollt ihr?« fragte Svein Blue Tooth.
Der Kur wandte sich an die große Versammlung.
»Wir möchten auf einem Marsch nach Süden euer Gebiet durchqueren.«
»Es wäre Wahnsinn«, sagte Forkbeard zu mir, »große Gruppen von Kurii ins Land zu lassen.«
»Wir suchen leere Gebiete im Süden, um dort Landwirtschaft zu treiben«, sagte der Kur. »Wir brauchen nur soviel von eurem Land, wie unsere Kolonne breit ist, und nur so lange, wie der Marsch dauert.«
»Deine Bitte erscheint mir vernünftig«, sagte Svein Blue Tooth. »Wir werden darüber beraten.«
Der Kur trat zurück und stellte sich neben seine Artgenossen. Die drei unterhielten sich in einer Sprache der Kurii; soweit ich weiß, gibt es auf den Stahlwelten verschiedene Nationen dieser Wesen. Ich verstand nichts von dem Gesagten; die Sprache erinnerte mich jedoch sehr an das Schnauben und Knurren von Larls.
»Welches Getreide«, fragte Ivar Forkbeard, »wollen die Kurii eigentlich anbauen?«
Ich sah, wie sich die Ohren des Kurs anlegten. Die Zähne wurden entblößt. »Sa-Tarna«, sagte das Ungeheuer.
Die Männer auf dem Feld nickten verständnisvoll. Sa-Tarna war das Hauptgetreide in Torvaldsland; die Antwort war daher verständlich.
Ivar flüsterte mit einem seiner Männer.
»Was werdet ihr uns für die Durchquerung unseres Landes zahlen?« fragte einer der freien Torvaldsländer.
»Solche Dinge wollen wir aushandeln«, sagte das Ungeheuer. »Wenn es geboten scheint, solche Dinge zu besprechen.«
Dann trat es zurück.
Verschiedene freie Männer erhoben sich nacheinander und äußerten sich vor der Versammlung. Einige sprachen sich dafür aus, den Kurii ihren Durchzug zu erlauben, viele wandten sich dagegen.
Dann kam man zu dem Schluß, daß man doch erst wissen müßte, was die Kurii als Gegenleistung zu bieten gedachten.
Inzwischen war mir klargeworden, daß Torvaldsland praktisch eine Mauer zwischen den Kurii und den südlichen Regionen Gors bildete. Der Kur ist ein Landwesen. Er kann nicht schwimmen und scheut das Wasser. Auf Schiffen fühlt er sich sehr unwohl. Außerdem hat seine Rasse keine Ahnung von der Kunst des Schiffsbaus. Daß plötzlich große Kurii-Gruppen in Erscheinung traten und sich zu einem solchen Marsch in den Süden formierten, konnte in den Kriegen dieser Wesen mit den Priesterkönigen kein Zufall sein. Hier waren in großem Maße goreanische Kurii im Spiel. Sie hatten primitive Waffen. Sie kannten nicht einmal Übersetzungsgeräte. Nach den Gesetzen der Priesterkönige oblag es solchen Spezies Kurii wie Menschen –, Auseinandersetzungen auf ihre Art zu regeln. Ich bezweifelte nicht, daß die Kurii – wahrscheinlich unter Anleitung der Kurii aus den Stahlwelten – einen Einmarsch in Torvaldsland planten, der sie innerhalb einer Generation bis zum Südpol Gors führen sollte. Die Kurii machten Anstalten, ihre wahren Motive zu offenbaren. Endlich waren sie zum Vormarsch bereit. Wenn sie Erfolg hatten, ließ die Invasion aus dem Weltall sicher nicht lange auf sich warten. Aus Barmherzigkeit oder Desinteresse hatten die Priesterkönige viele Kurii am Leben gelassen, die abgestürzt oder abgeschossen worden waren. Diese Wesen hatten im Laufe der Jahrhunderte an Zahl und Kampfkraft zugenommen und mochten nun unter der Leitung der Kurii aus den Stahlwelten stehen; zweifellos hatte Kontakt bestanden. Vermutlich kam sogar der Sprecher aus den Stahlschiffen, ein Wesen, dem man das Goreanische beigebracht hatte. Die goreanischen Kurii, die Gruppe, die man hatte überleben und siedeln lassen, kannte diese Sprache sicher nicht. Es gab kaum Berührungspunkte mit den Menschen außer wenn man sich gegenseitig umbringen wollte.
Offenbar hatten die Kurii keine Lust, sich den Weg zu fruchtbaren Landstrichen im Süden zu erkämpfen. Sie wünschten sich einen leichten Aufmarsch, ohne ihre Kampfkraft zu reduzieren. Zugleich wollten sie Torvaldsland vom Süden abriegeln. Es war nicht viel zu gewinnen, wenn man gegen Torvaldsland kämpfte, und nicht viel zu verlieren, wenn man darauf verzichtete – das Versäumnis konnte man später nachholen, wenn die Machtverhältnisse im Süden gefestigt worden waren. Ich hatte natürlich meine Zweifel an der Frage, ob eine Kur-Invasion in den Süden ohne Unterstützung durch die Stahlwelten möglich war. Vielleicht stand hinter dem Versuch die Absicht, den Einflußbereich der Kurii so weit wie möglich in den Süden vorzuschieben und auch zum erstenmal die Kräfte der Priesterkönige herauszufordern. Dies ermöglichte eine Abschätzung der Kampfstärke der Priesterkönige, ein Faktor, der den Kurii bis her weitgehend unbekannt war. Die Wesen im Sardargebirge sollten dazu verleitet werden, sich eine Blöße zu geben, die womöglich einen erfolgreichen Angriff aus dem Raum ermöglichte. Alles in allem war die Invasion in den Süden in diesem Augenblick noch ein Versuch. Wenn sie Erfolg hatte, mochten die Priesterkönige zum Eingreifen gezwungen sein, um die Menschen auf diesem Planeten zu erhalten – und damit brachen sie ihre eigenen Gesetze. Wenn die Priesterkönige aber nicht einschritten – vielleicht aus Stolz –, mochte Gor schnell zu einer Kur-Welt werden, auf der die Priesterkönige schließlich isoliert und vernichtet wurden. Dies war meines Wissens bisher der kühnste und gefährlichste Vorstoß der Kurii. Dabei wurden große Streitkräfte auf Gor eingesetzt, die weitgehend aus eingeborenen Kurii bestanden. Natürlich mochten sich Kurii aus den Schiffen als Organisatoren und Offiziere in dieser Armee befinden, auf jeden Fall gab es eine Verbindung zu den Schiffen. Der große Marsch mochte nur der erste Schritt einer Invasion sein, die mit der Landung vieler tausend Stahlschiffe enden konnte, Angreifer von den Sternen, um sich der Küsten Gors zu bemächtigen.
Natürlich war auch denkbar, daß die Kurii die Torvaldsländer angreifen wollten, sobald sie mitten im Land standen. Wenn es erst einmal soweit war, konnten sie sich abschnittsweise vorankämpfen, ehe eine große Armee gegen sie aufgeboten werden konnte.
Ebenso war vorstellbar, daß sich die Kurii gemäßigt und notgedrungen tatsächlich eine Neigung zur Landwirtschaft entwickelt hatten, weil sie von den Schiffen unzureichend versorgt wurden. Oder sie wurden allmählich doch eine friedfertigere Lebensform. Vielleicht konnten wir doch gemeinsam mit dieser Rasse eine friedlichere Welt schaffen, eine Welt, in der Wagemut, Neugier, Abenteuerlust und die Freiheit des Menschen mehr waren als vernachlässigte, verkrüppelte, halb vergessene Anachronismen, ererbt von unseren fernen Vorfahren, den Ur-Barbaren. Damit hätten wir unser barbarisches Menschsein überwunden und wären eins geworden mit allen Lebewesen, mit den Schnecken, den Kurii und den Blumen.
»Was wollt ihr für die Erlaubnis zahlen, unser Land zu durchqueren, sollten wir euch diese Erlaubnis gewähren?« fragte Svein Blue Tooth.
»Wir nehmen wenig oder nichts«, sagte der Kur, »und erwarten daher, daß ihr auch nichts fordert.«
Ärgerliches Murmeln wurde in der Versammlung laut.
»Aber«, fuhr der Kur fort. »Da unsere Zahl so groß ist, brauchen wir Proviant, den wir von euch erwarten!«
»Von uns?« fragte Svein Blue Tooth. Ich sah, daß in der Menge drohend Speere geschwenkt wurden.
»Für jeden Tag des Marsches«, sagte der Kur, »brauchen wir hundert Verr, hundert Tarsk, hundert Bosks und hundert gesunde Frauen von der Art, die ihr Sklavinnen nennt.«
»Als Proviant?« fragte Blue Tooth verblüfft.
In den Sprachen der Kurii gab es verschiedene Worte, die sich auf eßbares Fleisch bezogen. Diese allgemeinen Begriffe schlossen auch den Menschen ein. Sie wurden zuweilen mit ›Fleischtiere‹ oder mit ›Vieh‹ übersetzt, manchmal einfach auch mit ›Nahrung‹.
»Ja«, sagte der Kur.
Svein Blue Tooth lachte.
Diesmal schien der Kur die Reaktion nicht amüsant zu finden. »Wir verlangen ja keine eurer kostbaren freien Frauen«, sagte er.
Das weiche Fleisch der Menschenfrau galt bei den Kurii als Delikatesse.
»Wir haben eine bessere Verwendung für unsere Sklavinnen«, sagte Svein Blue Tooth. »Wir verfüttern sie nicht an die Kurii!«
Gelächter brandete durch die Menge.
Ich hatte auch nicht damit gerechnet, daß die Torvaldsländer ihre Sklavinnen hergeben würden. Dazu waren sie viel zu begehrenswert.
»Außerdem brauchen wir tausend männliche Sklaven als Träger, die auch als Nahrung verwendet werden können.«
»Und wenn wir euch dies alles gewähren«, fragte Svein Blue Tooth, »was erhalten wir dafür?«
»Euer Leben«, sagte der Kur lapidar.
Wutgeschrei gellte auf. Die Torvaldsländer begannen zu toben. Sie waren frei, freie Goreaner. Sie fuchtelten erbost mit ihren Waffen.
»Bedenkt eure Antwort wohl, meine Freunde«, sagte der Kur. »Alles in allem sind unsere Forderungen sehr mäßig.«
Die Feindseligkeit der Männer schien ihn zu verwirren. Er hielt seine Forderungen offenbar für großzügig.
Und vermutlich waren sie wirklich großzügig – wenn man die Maßstäbe der Kurii anlegte. Hätten wir einer Herde Vieh, die zwischen uns und einem ersehnten Ziel stand, soviel geboten?
Ich sah den Mann, mit dem Ivar Forkbeard gesprochen hatte, auf die Plattform steigen. Er trug einen Holzeimer und einen zweiten Gegenstand, der in Leder eingewickelt war. Er wandte sich an Svein Blue Tooth, und der große Jarl lächelte. »Ich habe hier«, rief Svein Blue Tooth, »einen Eimer voller Sa-Tarna-Korn. Zum Zeichen unserer Gastfreundschaft biete ich ihn unseren Gästen als Gabe.«
Der Kur betrachtete das gelbe Korn im Eimer. Ich sah, wie die Krallen der rechten Pfote kurz entblößt wurden und schnell wieder in den weichen Polstern der Tatze verschwanden.
»Ich danke dem großen Jarl«, sagte das Ungeheuer. »Vorzügliches Korn! Wir hoffen, daß wir im Süden mit unserer Ernte ebenso erfolgreich sind. Aber ich muß darauf verzichten, euer Geschenk zu kosten. Wir ernähren uns nicht wie die Menschen von Korn im Rohzustand.«
Nun nahm der Jarl aus der Hand von Ivar Forkbeards Helfer den in Leder gewickelten Gegenstand entgegen.
Es handelte sich um einen flachen Laib Sa-Tarna-Brot.
Der Kur besah sich das Brot. Seinen Gesichtsausdruck vermochte ich nicht zu deuten.
»Iß«, sagte Svein Blue Tooth.
Der Kur ergriff das Brot. »Ich nehme die Gabe mit in mein Lager«, sagte er, »als Zeichen des guten Willens der Torvaldsländer.«
»Iß«, wiederholte Svein Blue Tooth.
Die beiden Kurii hinter dem Sprecher begannen wie aufgebrachte Larls leise zu knurren. Der Ton ließ mir die Nackenhaare zu Berge stehen; ich wußte, daß sich die drei soeben miteinander unterhalten hatten.
Der Kur betrachtete das Brot, wie wir Gras oder Holz oder einen Schildkrötenpanzer betrachtet hätten.
Dann steckte er es langsam in sein Maul. Kaum hatte er zu schlucken begonnen, als er angewidert würgte und das ganze Brot wieder von sich gab.
Da wußte ich, daß dieser Kur – und vermutlich auch alle seine Artgenossen – ausschließlich Fleischfresser waren.
Das Wesen stand mit hochgezogenen Schultern auf der Plattform; die Krallen waren vorgestreckt, die Ohren lagen flach am Kopf, die Augen funkelten tückisch.
Ein Speer kam dem Wesen zu nahe. Es packte zu, entriß dem Mann die Waffe und biß den Schaft mit einer kurzen Bewegung seiner Zähne in zwei Teile, als handelte es sich um einen dürren Zweig. Dann hob es den Kopf und stieß einen ungeheuren Wutschrei aus, wie ein geblendeter Larl. Sicher gab es in diesem Augenblick keinen Mann in der Versammlung, der nicht vor Entsetzen erstarrte. Das Gebrüll des Ungeheuers mußte sogar auf den Schiffen zu hören sein.
»Freie Männer aus Torvaldsland!« rief Svein Blue Tooth. »Wollen wir den Kurii die Erlaubnis geben, durch unser Land zu wandern?«
»Nein!« brüllte ein Mann.
»Niemals!« riefen andere.
Dann hallten die aufgebrachten Rufe der Männer über das ganze Feld.
»Tausend von euch können durch die Klauen eines einzigen Kur sterben!« rief der Kur drohend.
Neues Wutgeschrei, Waffen wurden gehoben. Der Kur mit dem goldenen Armband wandte sich ärgerlich ab. Seine Artgenossen folgten ihm.
»Laßt sie ziehen!« rief Svein Blue Tooth. »Der Friede des Thing schützt sie!«
Die Männer wichen zurück, und durch ihre Mitte bewegten sich mit schnellen, trottenden Schritten die drei Kurii.
»Mit denen sind wir fertig«, sagte Ivar Forkbeard.
»Morgen!« rief Svein Blue Tooth, »werden die Talmits an die Sieger in den Wettbewerben vergeben!« Er lachte. »Und morgen abend gibt es ein großes Fest!«
Diese Ankündigung löste Jubelgeschrei aus.
»Ich habe sechs Talmits gewonnen«, erinnerte mich Ivar Forkbeard.
»Willst du es wirklich wagen, sie abzuholen?« fragte ich.
Er sah mich an, als hätte ich den Verstand verloren! »Natürlich! Ich habe sie doch gewonnen!«
Als wir das Thingfeld verließen, erblickte ich in der Ferne einen hohen schneebedeckten Berg, der entfernt einer verbogenen Speerklinge ähnelte. Ich hatte diesen Berg schon mehrmals gesehen, doch hier vom Thingfeld aus hatte man einen besonders guten Blick auf ihn.
»Was ist das für ein Gipfel?« fragte ich.
»Das ist der Torvaldsberg«, erwiderte Ivar Forkbeard.
»Der Torvaldsberg?«
»In den Legenden steht, daß Torvald in diesem Berg schläft. Er wird erwachen, wenn er in Torvaldsland wieder gebraucht wird.«
Dann legte er mir den Arm um die Schulter. »Komm in mein Lager. Du weißt noch immer nicht, wie man dem Angriff mit der Jarls Axt begegnet.«
Ich lächelte. Nein, noch hatte ich diesen waghalsigen Spielzug des Nordens nicht gemeistert.