»Willst du nicht mit Sarus und mir nach Port Kar zurückkehren?« fragte Samos.
»Nein, ich fahre mit Ivar Forkbeard«, erwiderte ich lächelnd. »Ich weiß noch immer nicht, wie man dem Angriff mit der Jarls Axt begegnet.«
»Vielleicht können wir von wichtigen Dingen sprechen, wenn du in Port Kar eintriffst«, fuhr Samos fort.
»Vielleicht.«
»Ich glaube eine neue Einstellung zum Leben in dir zu spüren. Vielleicht ist es dir hier im Norden gelungen, dich selbst zu finden.«
An meiner Stirn baumelte der Talmit eines Jarls. Heute früh hatte mir Svein Blue Tooth unter dem Jubel der Männer den Talmit überreicht. »Tarl Rothaar«, hatte er gesagt, »mit diesem Talmit mache ich dich zu einem Jarl von Torvaldsland!« Die Männer hatten mich auf ihre Schilde gehoben. »Noch nie«, fuhr Svein Blue Tooth fort, »ist ein Mann, der nicht aus dem Norden kommt, bei uns zu einem Jarl gemacht worden.« Ich war mir der großen Ehre bewußt, die mir hier zuteil wurde. Als Jarl von Torvaldsland konnte ich nun aus eigenem Antrieb den Kriegspfeil losschicken und Helfer herbeirufen. Ich konnte über Schiffe und Männer befehlen, über die rauhen Kämpfer des Nordens. »Ich bin dir sehr dankbar«, sagte ich zu Svein Blue Tooth.
»Ich wünsche dir alles Gute, Bosk von Port Kar«, sagte Samos.
»Tarl Cabot«, sagte ich.
Er lächelte. »Ich wünsche dir alles Gute, Tarl Cabot.«
»Und ich dir.«
»Ich wünsche dir alles gute, Herr«, sagte Sarus.
»Und ich dir, Sarus aus Tyros.«
Samos und Sarus machten kehrt und gingen zum Schiff des Samos, mit dem sie in den Norden gekommen waren.
Ich sah den Sklavinnen zu, die Forkbeards Schiff, die Hilda, beluden. Schwere Säcke, Beutel, Kisten und Körbe mit Gemüse, Sleenhautbeutel voller Geräte und gefüllte Wasserschläuche kamen an Bord – Aelgifu, Gunnhild, Olga, Schmollmund, Hilda und Thyri bereiteten die Abfahrt vor.
Ich sah Rollo an Bord kommen. Er trug seine große Axt und andere Waffen. Er war der erste Ruderer.
Ich blickte zum Himmel empor, der ungemein blau war. Über einen Tag lang war ich im Delirium gewesen, während mein Körper den Kampf zwischen Gift und Gegengift durchstand. Ich hatte geschwitzt und geschrien und getobt, doch schließlich hatte ich die Felle von mir geworfen. »Ich will Fleisch«, hatte ich gesagt, »und eine Frau!« Forkbeard, der die Stunden der Pein bei mir durchwacht hatte, umfaßte meine Schultern. Er hatte heißes Boskfleisch und Milch kommen lassen, und dann Leah zu mir auf die Felle geschickt. Sie war ein geübtes Mädchen. Sie hatte einen herrlichen Körper und zärtliche Hände und Lippen.
Dann ging ich an Bord, stellte mich an die Reling und schaute auf das Thassa hinaus. Es ging ein angenehmer Wind.
Irgendwie hatte ich mich hier im Norden verändert, das wußte ich. Den Tarl Cabot früherer Tage gab es nicht mehr – ich war ein anderer Mensch geworden. Es hatte einmal einen Jungen dieses Namens gegeben, einen Menschen mit einfachen, naiven, eitlen Träumen, die am Verrat seiner Ehrvorstellungen zerbrochen waren, an der Entdeckung einer Schwäche, wo er nur Stärken vermutet hatte. Dieser unbekümmerte Junge war im Voskdelta gestorben; an seiner Stelle war Bosk aus Port Kar erstanden, skrupellos, verwegen – und doch unsicher; doch nun war ein anderer da, den ich vielleicht wieder Tal Cabot nennen konnte. Hier in Gesellschaft Forkbeards auf diesem Meer, in diesem Wind, in diesem Kampf, war ich ein anderer geworden. Im Norden hatte mein Blut sich selbst gefunden, hatte sich selbst erfahren; im Norden hatte ich meine Stärke erkannt, hatte ich es gelernt, für mich allein zu stehen.
Leah kam an Bord. Sie war barfuß. In einem Sleenhautsack trug sie meine Sachen. Ich zeigte ihr, wo sie sie zwischen den Bänken ablegen sollte.
Kurz darauf kletterte Ivar Forkbeard über die Planke, die das Schiff mit dem Land verband. Lachend und kichernd folgten ihm seine Sklavinnen, schließlich auch Ottar und Gorm und die anderen Männer seiner Gefolgschaft. In der Nähe des Masts, mit dem Halsring daran festgekettet, kniete Telima.
Die Leinen wurden losgeworfen, und die Hilda wurde mit Stangen vom Pier fortgedrückt. Gorm hielt das Steuer. Die Seeleute nahmen ihre Schilde von der Bordwand und verstauten ihre Sachen unter den Bänken, dann griffen sie nach den Rudern. Langsam wandte sich der Tarnkopfbug des schmalen Schiffes dem Thassa zu. Endlich senkten sich die Ruder langsam ins Wasser. Das gewaltige rotweißgestreifte Segel fiel herab und entfaltete sich knallend. Ich wandte mich dem Land zu.
Forkbeard und ich hoben die Hand, um die dort versammelten Männer zu grüßen. Wir sahen Svein Blue Tooth, den blauen Hunjerwal-Zahn auf der Brust. Er hob die Hand. Neben ihm sahen wir Bera und Bjarni aus dem Thorstein-Lager, der uns mit dem Speer zuwinkte. In seiner Begleitung der junge Mann, sein Freund, sein ehemaliger Schildträger im Duell. Es standen viele Männer am Ufer, die uns verabschiedeten.
In meinem Beutel lagen der Saphir aus dem fernen Shendi, und der schwere Goldring vom Arm des Kur, den ich getötet hatte. In der Ferne sah ich den weißen Gipfel des Torvaldsberges.
Hrolf, der Mann aus dem Osten, hatte sich erboten, den Kriegspfeil zum Torvaldsberg zurückzubringen. Wir hatten ihm den kostbaren Gegenstand gegeben. Als er die Ruinen der Halle Svein Blue Tooths verließ, war ich ihm nachgelaufen und hatte ihn einen Pasang vom Lager entfernt eingeholt. »Wie heißt du wirklich?« hatte ich gefragt.
Er hatte mich angesehen und gelächelt. Und seine Antwort hatte mich erstaunt. »Mein Name«, sagte er, »ist Torvald.« Und dann hatte er sich abgewandt. Ich hatte ihm nachgeschaut, wie er davoschritt, zurück zu dem Berg.
»Ho!« brüllte Forkbeard und versetzte mir einen Schlag auf die Schultern. »Wir haben guten Wind!« Dann wandte er sich ab, um seinen Pflichten an Bord nachzukommen.
Ich ging zwischen den Bänken hindurch zum Bug und blickte über das Meer. Ich dachte an Ar, an Marlenus, an Talena, die mich enttäuscht hatte. Als ich krank war, hatte sie mich verhöhnt, sie hatte sich für zu gut gehalten. Ich hatte sie nach Ar zurückgeschickt und fragte mich nun, ob wir uns eines Tages wiedersehen würden; wenn das geschah, mochte sie einen anderen Mann in mir sehen.
Aber Reichtum und Macht interessierten mich nicht mehr so, wie zu der Zeit, da ich in die Wälder des Nordens gezogen war, um sie zu suchen. Ich hatte unsere Gefährtenschaft wieder aufleben lassen wollen, um auf Gor ein großer Mann zu werden. Aber jetzt waren mir der Himmel und das Meer und das Schiff unter meinen Füßen wichtiger. Ich träumte nicht mehr davon, ein Ubar zu werden. Im Norden hatte ich mich verändert. Die Zivilisation hatte mich geblendet, ihre Lehren waren falsch gewesen. Ein erster Anflug dieser Ahnung war mir gekommen, als ich auf dem Gipfel des Torvaldsberges stand, auf einem windumtosten Felsen, und auf die Gebiete unter uns hinabblickte, auf die herrliche schwarzweiße Landschaft. Sogar die Kurii hatten einen Augenblick innegehalten, um diesen Anblick zu genießen.
Wieder blickte ich über das Meer und auf den Himmel, an dem jetzt weiße Wolken dahinzogen. Irgendwo jenseits des Asteroidengürtels kreisten die Stahlwelten. Diese Information hatte ich von Samos. Sie waren uns jetzt viel näher gerückt. Irgendwo über diesem friedlichen Himmel mit den schnellen weißen Wolken lauerten die Kurii. Ich dachte an den großen zottigen Kopf auf dem Pfahl.
Wenn ich nach Port Kar zurückkehrte, mußte ich mit Samos reden.
Schweigend lauschte ich auf das Wasser, das gegen die Schiffswand plätscherte, und genoß die ungeheure Weite des Himmels und des Meeres.