Ich wurde von entsetzt schreienden, flüchtenden Menschen fast von den Füßen gerissen. Verzweifelt versuchte ich mich im Dunst der Weihrauchwolken zu orientieren.
Die Tempelbesucher, arm oder reich, Fischer, Träger oder Kaufleute, flohen zu den großen Türen und wurden dort von den Äxten begrüßt. Sie hasteten in die Mitte des Tempels zurück und drängten sich dort zusammen.
Ich hörte wildes Gebrüll – das laute Kriegsgeschrei der Torvaldsländer. Goldbeschläge wurden von den viereckigen Säulen des Tempels gerissen. Kelche und andere Gefäße wurden eingesammelt.
Ivar Forkbeard stand inmitten toter Wissender auf dem Altar und dirigierte seine Männer mit erhobener Axt. »Beeilt euch!« brüllte er. »Sammelt alles ein, was euch in die Finger kommt!«
»Kniet nieder vor der Axt!« rief einer der Kassau-Bürger, ein Mann in einem schwarzen Satinanzug. Er trug eine Kette um den Hals. Gehorsam kamen die Kassauer dieser Anweisung nach.
Ich sah, wie die Torvaldsländer Wertgegenstände aus dem Altarbereich in ihren Fellmänteln einsammelten.
Dicht neben mir beugte ein Fischer die Knie vor einem der riesigen Angreifer. Der Torvaldsländer hob die Axt, um ihn zu töten. Ich fing die Waffe ab, als sie sich herabsenkte, und riß sie zur Seite. Der Krieger aus dem Norden sah mich verblüfft an – und riß plötzlich entsetzt die Augen auf. An seiner Kehle lag die Spitze meines Schwerts aus Port Kar.
Waffen sind im Tempel der Priesterkönige verboten, doch schon vor langer Zeit hatte mir Kamchak von den Tuchuks beigebracht, daß es ratsam ist, immer und überall bewaffnet zu sein – und ganz besonders an einem Ort, an dem das Waffentragen verboten ist.
»Knie nieder vor der Axt«, sagte ich zu dem Fischer.
Er gehorchte.
Ich ließ die Axt des Torvaldsländers los und nahm mein Schwert zurück. »Töte ihn nicht«, sagte ich.
Verblüfft trat er einen Schritt zurück und starrte mich an.
»Beute einsammeln!« brüllte Forkbeard. »Wartest du auf die Sa-Tarna-Ernte ?«
Der Mann wandte sich ab und begann Goldbleche von den Wänden zu reißen.
Zwanzig Fuß von mir entfernt wütete der riesige Torvaldsländer. Wie wild hieb er auf die knienden Menschen ein, die sich verzweifelt vor ihm in Sicherheit bringen wollten.
»Rollo!« befahl Forkbeard. »Der Kampf ist vorbei! Hör auf!«
Der große Mann mit dem grauen Gesicht blieb plötzlich unnatürlich still stehen. Langsam wandte er sich dem Altar zu. Zwei andere Torvaldsländer eilten herbei und führten ihn vorsichtig zur Seite. Der große Kämpfer warf noch einen Blick über die Schulter zurück, und die Knienden wichen erschrocken zurück. Aber der Mann schien sie nicht zu erkennen; es war, als hätte er sie noch nie gesehen. Langsam ging er auf eine der Tempeltüren zu.
»Wer leben will, soll sich auf den Bauch legen!« rief Forkbeard.
Die Anwesenden warfen sich schaudernd auf den Boden. Ich blieb stehen.
Die Männer aus Torvaldsland starrten mich an. »Warum legst du dich nicht nieder vor der Axt, Fremder?« fragte Forkbeard.
»Ich bin noch nicht müde.«
Forkbeard lachte. »Das ist ein guter Grund!« sagte er. »Bist du aus Torvaldsland?«
»Nein.«
»Bist du ein Krieger?«
»Das war ich früher einmal, vielleicht.«
»Mal sehen«, sagte Forkbeard und wandte sich an einen seiner Männer. »Gib mir einen Speer.« Einer der Speere, die seine Leichenbahre gebildet hatten, wurde ihm gereicht.
Plötzlich hörte ich hinter mir den Kampfschrei Torvaldslands.
Ich wirbelte in Angriffsstellung herum, merkte mir die Entfernung des Mannes und fuhr erneut herum, um Ivar Forkbeards Speer abzuwehren. Dazu mußte ich die Waffe unmittelbar hinter der Spitze treffen; mein Unterarm fand sein Ziel, und der Schaft wirbelte zur Seite. In derselben Sekunde zuckte ich wieder herum und erwartete geduckt den Mann mit der Axt. Der Krieger blieb mit einem Ruck stehen und blickte zu Ivar Forkbeard hinüber.
Der Anführer der Torvaldsländer grinste. »Ja«, sagte er. »Kann schon sein, daß du mal ein Krieger warst.«
Ich schaute langsam in die Runde. Die Torvaldsländer hoben langsam die Äxte in der rechten Hand. Ihr Gruß galt mir.
»Er kann stehenbleiben«, sagte Ivar Forkbeard, und ich schob mein Schwert wieder in die Scheide.
»Beeilt euch!« trieb Forkbeard seine Männer an. »Beeilt euch! Die Stadtbevölkerung wird sich zusammenrotten!«
Hastig raubten die Männer aus Torvaldsland den Tempel aus; sie nahmen alles, was sich losreißen ließ und was sie tragen konnten. Ivar Forkbeard sprang vom Altar und begann mit ärgerlichen Bewegungen Gefäße voller heiliger Öle gegen die Wand hinter dem Altar zu werfen. Dann nahm er ein Gestell mit Kerzen, das er ebenfalls als Wurfgeschoß benutzte. Gleich darauf züngelte das Feuer an der Holzwand hinter dem Altar empor, die bald in hellen Flammen stand. Nun sprang Forkbeard zwischen den Liegenden hin und her und nahm den reicheren die Geldbeutel und Wertsachen ab. Dem Mann im Satinanzug raubte er die Silberkette – offenbar handelte es sich um den Administrator der Stadt.
Als er seine Runde beendet hatte, stellte er sich in die Mitte des Tempels und beschrieb mit der Axt einen großen Kreis auf den Boden – einen Leibeigenenkreis. »Ihr Frauen!« brüllte er und deutete mit der großen Axt auf die Wand gegenüber den Türen. »Stellt euch mit den Rücken an die Wand!«
Mein Blick fiel auf das blonde Mädchen mit dem roten Wams und Rock. Daneben stand eine große, gut gewachsene junge Frau in schwarzem Samt mit silbernen Streifen über den Brüsten.
Forkbeard ging hastig an den Mädchen vorbei, entriß ihnen die Geldbörsen und nahm Armbänder und Ringe an sich. Dem großen blonden Mädchen raubte er den Geldbeutel und auch die Silberstreifen, die den schwarzen Samt ihres Kleides verzierten. Sie wich vor ihm zurück. Sie hatte schwere Brüste, was den Torvaldsländern sehr gefällt. Die Beutestücke wurden in eine goldene Opferschale geworfen, die einer der Torvaldsländer hinter Forkbeard hertrug, dann ließ der furchteinflößende Barbar mehrere Frauen in die Mitte des Raums zurückkehren.
Schließlich standen noch neunzehn Mädchen an der Mauer. Ich bewunderte Forkbeards Geschmack. Ich hätte ebenso gewählt.
Zu den Erwählten gehörten natürlich das schlanke blonde Mädchen in dem roten Rock und die große junge Frau in dem Samtkleid. Die neunzehn jungen Geschöpfe starrten den Piratenführer entsetzt an. Ihre Gesichter wurden auf einer Seite von den flackernden Flammen rötlich beleuchtet.
»Geht zum Sklavenkreis!« befahl Ivar Forkbeard und deutete auf die Mitte des Tempels.
Die Frauen schrien entsetzt auf. Das Betreten dieses Kreises ist nach den Gesetzen Torvaldslands der Schritt in die Leibeigenschaft. Natürlich braucht eine Frau den Kreis nicht freiwillig zu betreten. Sie kann auch gewaltsam hineingeworfen werden, nackt und gefesselt. Doch wie immer sie den Kreis betritt – nach den Gesetzen Torvaldslands verläßt sie ihn nur als Leibeigene.
Siebzehn Mädchen hasteten schluchzend in den Kreis und drängten sich darin zusammen. Zwei blieben stehen – das schlanke blonde Mädchen und die junge Frau in dem schwarzen Samtkleid.
»Ich bin Aelgifu«, sagte die junge Frau. »Ich bin die Tochter Gurts von Kassau. Er ist Administrator dieser Stadt. Er wird ein Lösegeld für mich bezahlen.«
»Richtig!« rief ein Mann, der Bürger im schwarzen Satingewand, dessen Amtskette Forkbeard an sich genommen hatte.
»Hundert Goldstücke!« sagte Forkbeard zu ihm, ohne das Mädchen aus den Augen zu lassen.
Sie erstarrte.
»Heute in fünf Nächten«, fuhr Ivar Forkbeard fort, »auf Einars Felsenriff beim Runenstein von Torvaldsmark.«
Ich hatte schon von diesem Stein gehört. Er gilt als Grenzmarkierung zwischen Torvaldsland und dem Süden. Viele Torvaldsländer jedoch meinen, daß die Grenze ihres Landes viel weiter im Süden liegt – ja daß sie immer dort zu Hause sind, wo ihre Schiffe Land berühren.
»Ja!« sagte der Mann. »Ich bringe das Geld an diesen Ort.«
»Geh zum Kreis«, sagte Ivar Forkbeard zu der Frau. »Aber bleib außerhalb.«
»Ja«, erwiderte sie und gehorchte.
»Die Tempelwand hält sich nicht mehr lange«, meldete einer der Torvaldsländer. »Das Dach könnte einstürzen.«
Forkbeard starrte das jüngere Mädchen an. »Mein Vater ist zwar nicht so reich wie Aelgifus Vater«, sagte sie. »Aber auch für mich wird ein Lösegeld gezahlt.«
Er blickte auf sie nieder und grinste. »Du bist zu hübsch für ein Lösegeld«, sagte er.
Sie sah ihn entsetzt an. Ivar Forkbeard packte sie lachend und zerrte sie mit gewaltigem Schwung in den großen Kreis.
»Gleich stürzt die Wand ein«, sagte einer seiner Kämpfer.
Die Hände der Sklavinnen wurden mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt.
Das Feuer war inzwischen bis zum Dach vorgedrungen und fraß bereits an einer anderen Wand. Die Atemluft wurde knapp.
»Bindet die Sklavinnen zusammen!« befahl Forkbeard.
Mit einer langen Schnur wurden die Mädchen miteinander verbunden; die Fessel führte von Hals zu Hals. Nur Aelgifu blieb frei; sie bildete die Spitze der Gruppe. Mit hastigen Bewegungen bürdete man den Mädchen Lasten auf, die man ihnen um Hals und Schultern band – aus Mänteln improvisierte Säcke voller kostbarer Kelche und Goldgegenstände. Nach kurzer Zeit waren die Mädchen schwer beladen; einige drohten unter ihrer Last zusammenzubrechen.
»Im Norden werdet ihr andere Lasten tragen, meine Hübschen«, sagte Ivar. »Nicht Gold, sondern Holzstapel für die Feuerstellen und Wassereimer und Körbe mit Dung für die Felder!«
Die Mädchen starrten ihn entsetzt an. Einige begannen laut zu weinen.
»Wir sind abmarschbereit«, meldete ein Torvaldsländer.
Von draußen klang Stimmengewirr herein.
»Du bringst uns nie bis zum Schiff!« sagte das schlanke Mädchen, das nun eine Sklavin war.
»Ich brauche ein Schiff nach Torvaldsland«, sagte ich. »Ich will dort Ungeheuer jagen.«
»Kurii?« fragte er.
»Ja.«
»Du bist ja verrückt.«
»Vermutlich weniger verrückt als Ivar Forkbeard«, sagte ich.
»Meine Schlange ist kein Passagierschiff.«
»Ich spiele Kaissa.«
»Es wird eine lange Reise nach Norden.«
»Ich bin ein guter Spieler«, sagte ich. »Wenn du nicht ganz ausgezeichnet bist, werde ich dich besiegen.«
Draußen wurden nun Schreie laut. Ich hörte, wie einer der Deckenbalken sich knisternd zu senken begann. Das Brüllen der Flammen schien alle anderen Geräusche zu übertönen. »Wenn wir nicht bald fliehen, sterben wir!« rief einer der Torvaldsländer. Von allen Anwesenden im Tempel zeigten wohl nur ich und Ivar Forkbeard und der riesige Torvaldsländer keine Anzeichen von Unruhe. Der Hüne schien die Flammen gar nicht wahrzunehmen. Er trug einen schweren Sack voller Gold auf dem Rücken.
»Auch ich bin ein guter Spieler«, sagte Ivar Forkbeard. »Beherrschst du das Spiel wirklich gut?«
»Ja. Ob ich allerdings so gut bin wie du, wissen wir erst, wenn ich gegen dich spiele.«
»Das stimmt.«
»Ich komme zum Schiff.«
»Tu das«, sagte er und wandte sich an einen seiner Männer. »Bleib in der Nähe mit den Münzen, die die Armen der Stadt im Tempel gespendet haben.« Diese Münzen befanden sich in einer großen Schale.
Funken flogen durch die Luft und brannten mir auf dem Gesicht, »öffnet das andere Tor!« rief Ivar Forkbeard. Zwei seiner Männer stießen die zweite Tür des Tempels auf. Hysterisch schluchzend sprangen die Kassauer, die entsetzt am Boden ausgeharrt hatten, ins Freie.
Ivar ließ sie ziehen.
»Sie kommen!« brüllte eine Stimme von draußen. Doch als wir ins Freie traten, war ein großer Teil der Menge damit beschäftigt, ihre Verwandten und Freunde zu umarmen, die aus dem anderen Tor geeilt waren. Mit schnellen Schritten bog Ivar Forkbeard mit seinen Männern und seiner Beute in die Straße zum Hafen ein. Viele von den Bauern und Fischern und anderen Armen, die im Tempel keinen Platz mehr gefunden hatten, drehten sich um. Ein Teil der Menschenmenge begann uns mit erhobenen Dreschflegeln und Sensen zu folgen. Einige trugen Ketten, andere hatten sich mit Hacken bewaffnet. Aber ihnen fehlte der Anführer.
Fäusteschüttelnd und brüllend liefen sie hinter uns her, doch keiner wagte es, näher zu kommen. Plötzlich flog ein Felsbrocken durch die Luft – doch niemand mochte das Risiko eingehen, sich gegen die Äxte der Torvaldsländer zu stellen.
»Rettet uns!« rief das blonde Mädchen. »Ihr seid doch Männer! Rettet uns!«
Diese Rufe schienen den Männern Mut zu machen, und sie drängten näher heran, doch die gewaltig ausschwingenden Äxte trieben sie wieder zurück.
»Versammelt euch!« rief Administrator Gurt, der in einen schwarzen Satinanzug gekleidet war. Der Menge hatte ein Anführer gefehlt – jetzt hatte sie ihn.
Daraufhin packte Ivar Forkbeard Aelgifu am Haar und drehte sie herum, damit die Verfolger sie sehen konnten.
»Halt!« rief Gurt seinen Leuten zu.
Die scharfe Klinge der großen Axt lag an Aelgifus Hals. Ihr Kopf war zurückgelegt. Forkbeard grinste Gurt an.
»Halt!« rief der Vater des Mädchens entsetzt. »Laßt sie ziehen!«
Ivar Forkbeard ließ das Mädchen los und stieß sie von sich. »Beeilt euch!« rief er seinen Männern zu.
In diesem Augenblick stürzte hinter uns das Tempeldach ein. Dunkler Rauch stieg auf.
Hundert Meter vor der Anlegestelle sahen wir eine Gruppe aufgebrachter Männer, die uns den Weg versperrten; es mochten zweihundert sein. In den Händen hielten sie Fischhaken, Harpunen und angespitzte Stangen. Andere hatten sich mit Stauerhaken, Hebeisen und Brechstangen bewaffnet.
»Siehst du!« rief das blonde Mädchen triumphierend. »Meine Sklaverei dauerte nicht lange!«
»Bürger von Kassau!« rief Ivar Forkbeard fröhlich. »Seid gegrüßt von Ivar Forkbeard!«
Die Männer starrten ihn an, zum Sprung geduckt, die Waffen kampfbereit erhoben.
Grinsend warf Forkbeard seine Axt über die linke Schulter und steckte sie in die breite Lederschlaufe, die die Waffe so festhielt, daß ihr Griff links hinter dem Kopf emporragte.
Dann griff er mit beiden Händen zu und nahm einem seiner Männer die Schale mit Opfermünzen ab.
Lächelnd schleuderte er das Geld mit vollen Händen links und rechts in die Menge.
Die Männer beobachteten ihn starr. Die Münzen waren zwar nicht von hohem Wert, doch stellte jede von ihnen im Hafen von Kassau immerhin einen Tagesverdienst dar.
»Kämpft!« schrie das blonde Mädchen sie an. »Kämpft!«
Einer der Männer bückte sich plötzlich und las eine Münze vom Boden auf, dann eine zweite und dritte. Gleich darauf machten es ihm einige andere Männer nach, und schließlich konnten die übrigen der Versuchung nicht widerstehen. In unentwirrbarem Durcheinander krochen sie auf dem Boden herum, balgten sich und rafften zusammen, was sie erwischen konnten. Ihre Waffen waren vergessen.
»Feiglinge! Sleen!« schluchzte das blonde Mädchen.
Wir drängten uns zwischen den beschäftigten Dockarbeitern hindurch und sahen vor uns den Hafen und das schmale schnelle Schlangenschiff Ivar Forkbeards. Zehn Männer waren an Bord geblieben. Acht bewachten das Schiff mit gespannten Bögen und aufgelegten Pfeilen. Niemand hatte sich dem Wasser genähert, denn der kurze, schußstarke Bogen der Torvaldsländer ist überall gefürchtet.
Die Torvaldsländer warfen ihre gefüllten Mäntel über die Bordwand.
Ivar Forkbeard blickte zurück.
In der Ferne ertönte ein Krachen. Eine Außenmauer des Tempels war eingestürzt, gleich darauf folgte eine zweite. Dunkler Rauch wallte über Kassau auf.
»Ich hole meine Sachen«, bemerkte ich, »und bin gleich zurück.«
»Bleib nicht zu lange«, ermahnte mich Ivar Forkbeard.
Ich lief in den Hinterhof einer Taverne, die in der Nähe des Hafens lag. Dort sattelte ich meinen Tarn ab, mit dem ich nach Norden geflogen war, und befreite ihn von den Zügeln. »Flieg!« befahl ich. Das große Wesen schlug mit den Flügeln und stieg in den raucherfüllten Himmel Kassaus auf. Es wandte sich nach Südwesten.
Hastig warf ich eine goldene Tarnscheibe zu Boden, die als Entgelt für meine Unterkunft in Kassau und die Versorgung des Vogels gedacht war.
Der Sattel sollte zurückbleiben; doch zuvor nahm ich aus den Satteltaschen einige Besitztümer, etwas Gold und den Schlafsack aus Fell und Boskleder, ergriff den Langbogen und die vierzig Pfeile, die in einer wasserdichten Hülle steckten.
Ich blickte dem Tarn nach, der bereits am düsteren Himmel über Kassau verschwunden war. Ich bedauerte nicht, daß ich mich von dem Tier getrennt hatte. Ich hatte nun eine bessere Möglichkeit, nach Torvaldsland zu gelangen.
Ich machte kehrt und lief zum Hafen zurück.
Acht Bögen waren auf mich gerichtet; acht Pfeile lagen auf den angespannten Saiten.
»Nicht schießen!« rief Ivar Forkbeard seinen Bogenschützen zu und grinste. »Er spielt Kaissa.«
Ich warf meine Sachen ins Schiff und sprang mit dem Bogen in der Hand an Bord.
»Ablegen!« befahl Ivar Forkbeard.
Die beiden Taue wurden losgeworfen, und die Bogenschützen setzten sich zu ihren Genossen auf die Ruderbänke. Das Schlangenschiff glitt vom Pier fort und wendete im Hafenbecken. Das rotweiß gestreifte Segel wurde von der Spiere herabgelassen und öffnete sich knallend.
Zwischen den Bänken und inmitten der Beutestücke saßen die gefesselten Sklavinnen, dicht daneben Aelgifu. Ivar Forkbeard stellte sich vor seine Leibeigenen hin und blickte auf das schlanke blonde Mädchen hinab. »Anscheinend ist deine Sklaverei doch nicht ganz so kurz, wie du angenommen hast, meine Hübsche«, sagte er.
Sie senkte den Blick.
Die Männer aus Torvaldsland an den Rudern begannen zu singen.
Ivar Forkbeard kam zu mir ans Heck. Wir sahen Männer am Kai. Einige versuchten ein Küstenschiff zur Abfahrt klarzumachen, mit dem sie die Schlange verfolgen wollten. Aber der Versuch war sinnlos.
Die Torvaldsländer sangen lautstark. Die Ruder, jedes von zwei Männern bewegt, hoben sich und fuhren gleichmäßig durchs Wasser. Der Steuermann lehnte sich an sein großes Steuerruder.
Hinter uns sahen wir den Rauch des brennenden Tempels. Offenbar hatte die Feuersbrunst auf andere Gebäude Kassaus übergegriffen; der Wind schien sein unheilvolles Werk zu tun.
Die Männer am Hafen hatten inzwischen ihr Vorhaben aufgegeben und liefen in die Stadt zurück. Wir hörten die Schläge der großen Metallstange, die vor dem Tempel hing. Die Stadt brannte. Die Kassauer eilten durch die schmutzigen Straßen, um sich dieser neuen Gefahr zu stellen.
Hinter uns erklang das Schluchzen der gefesselten Frauen, die nach Norden gebracht wurden, um rauhen Kriegern zu dienen. Die Männer sangen, die Ruder hoben und senkten sich – das Boot Ivar Forkbeards verließ den Hafen von Kassau und stach in See.