16. Kapitel


Auch wenn Hewlitt während des Aufenthalts auf Station sieben seine Xenophobie so gut wie überwunden hatte, so stellte er doch mit Erleichterung fest, daß die terrestrischen DBDGs auf diesem Ambulanzschiff eine Mehrheit von fünf zu drei besaßen.


Wie er erfuhr, wurde die Rhabwar bei nichtmedizinischen Einsätzen von einem sehr dienstbeflissenen jungen Offizier namens Major Fletcher kommandiert, während die drei anderen Monitorkorpsoffiziere Haslam, Chen und Dodds für die Kommunikation, Technik und Astronavigation verantwortlich waren. Da es Hewlitt nicht gestattet war, das Unfalldeck zu verlassen, würde er mit diesen Schiffsoffizieren wohl nur selten Kontakt haben, es sei denn, ein Notfalleinsatz würde ihre Gegenwart auf dem Unfalldeck dringend erforderlich machen. In einem solchen Fall würde das Kommando bis zum Abschluß des Notfalleinsatzes automatisch an den Chefarzt des medizinischen Teams übertragen werden, und das war, wie sich herausstellte, der cinrusskische GLNO-Empath Prilicla.


Zunächst war Hewlitt einigermaßen überrascht und später, nachdem er Pathologin Murchison besser kennengelernt hatte, auch sehr erfreut darüber zu erfahren, daß sie als Stellvertreterin des Empathen fungierte. Bei den anderen beiden Angehörigen des medizinischen Stabs handelte es sich um Oberschwester Naydrad - eine DBLF-Kelgianerin und ihres Zeichens Spezialistin für besonders schwierige Rettungsaktionen, und Doktor Danalta, der der physiologischen Klassifikation TOBS angehörte und der die fremdeste und zuweilen auch vertrauteste Persönlichkeit war, die Hewlitt je im Leben zu Gesicht bekommen hatte.


Danalta war nämlich ein polymorphes Wesen; ein Gestaltwandler also, der sich optisch in irgend jemand oder irgend etwas verwandeln konnte, was er anderen auch nur allzu gern vorführte. Sobald dieser Verwandlungskünstler mit der Krankenwache an der Reihe war und insbesondere dann, wenn Hewlitt schlafen und sich nicht unterhalten sollte, saß Danalta allerdings immer nur schwerfällig wie eine unförmige, grüneBirne neben seinem Bett und pflegte lediglich ein großes Auge und ein großes Ohr hervorzustülpen.


Mit Ausnahme während der natürlichen Schlafperioden, an die sich terrestrische DBDG-Patienten strikt halten mußten, konnte Hewlitt natürlich jederzeit das Bett verlassen.


Gleich am ersten Tag an Bord wurde an ihm eine sehr gründliche ärztliche Untersuchung vorgenommen, die auch die Entnahme von Gewebe- und Blutproben umfaßte. Während dieser Prozedur stand oder schwebte das gesamte medizinische Team um sein Bett herum und legte dabei eine Betriebsamkeit mit fast haarsträubenden Folgen an den Tag. Fast alle Beteiligten strahlten nämlich eine ungeheure Besorgnis aus, die selbst Hewlitt spürte, weil sie befürchteten, daß er auf irgendeine dramatische Weise reagieren könnte. Bei dieser einen Untersuchung ließ man es einstweilen bewenden, und weil seine Reaktionen vielleicht nicht ganz den Erwartungen entsprochen hatten, bombardierten ihn die medizinischen Mitarbeiter in den darauffolgenden beiden Tagen unentwegt mit irgendwelchen Fragen, wohingegen alle geflissentlich den von ihm gestellten Fragen auszuweichen versuchten.


Pathologin Murchison war nicht nur Terrestrierin, sondern entsprach auch in ihrer Persönlichkeit und Erscheinung schon eher Hewlitts Vorstellung von einem medizinischen Schutzengel. Als sie wieder einmal an der Reihe war, die Wache auf dem Unfalldeck zu übernehmen, versuchte Hewlitt, sie in ein unverfängliches Gespräch zu verwickeln, da er hoffte, daß sie ihm das eine oder andere über das weitere Vorgehen verraten könnte. Hewlitt wußte, daß er seinen aufgestauten Zorn nicht zu unterdrücken brauchte, denn Prilicla ruhte sich in seiner Kabine aus und befand sich somit außer empathischer Reichweite.


»Jeder scheint mir hier genau dieselben Fragen zu stellen, mit denen mich Medalont und all meine anderen Ärzte schon so oft traktiert haben, und ich kann immer nur dieselben Antworten geben«, beklagte er sich. »Wenn ich könnte, wäre ich ja gerne behilflich, aber wie? Keiner von Ihnen beantwortet meine Fragen, und niemand sagt mir, wie mein gegenwärtigerZustand ist. Was glauben Sie denn nun eigentlich, was mir fehlt? Und warum verrät mir niemand, was dagegen unternommen werden soll?«


Die Pathologin drehte sich gemächlich auf dem bequemen Sessel zu Hewlitt herum und wandte nur widerwillig den Blick von dem großen Monitor ab, auf dem seit geraumer Zeit eine Folge unbewegter Bilder gezeigt wurde, die den Oberflächen von rosa- und lilafarben geäderten Marmorplatten ähnelten. Wie Hewlitt vermutete, handelte es sich dabei um erkrankte Gewebeteile fremder Spezies, und vielleicht war Murchison davon ausgegangen, die Bilder könnten ihn derart langweilen, daß er sofort einschlafen würde.


Die Pathologin stieß einen langen Seufzer aus, bevor sie antwortete: »Eigentlich sollten Sie erst morgen nach der Landung während der Lagebesprechung darüber informiert werden. Da sich aber in den letzten drei Tagen nichts an Ihrem allgemeinen Gesundheitszustand geändert hat, sehe ich keinen triftigen Grund, es Ihnen bis dahin zu verschweigen. Also das, was ich Ihnen jetzt sagen werde, wird Ihnen bestimmt nicht gefallen, weil…«


»Haben… haben Sie etwa schlechte Nachrichten für mich?« unterbrach Hewlitt sie. »Dann fangen Sie bitte gleich mit den schlechtesten an.«


»Wenn Sie Antworten auf Ihre Fragen haben möchten, dann unterbrechen Sie mich bitte nicht. Das Ganze ist nämlich etwas peinlichfür mich.«


Peinlich? dachte Hewlitt entsetzt und sagte dann laut: »Entschuldigen Sie.«


»Es sind weder gute noch schlechte Nachrichten, es gibt nämlich gar keine. Zuerst haben wir Ihnen die hinlänglich bekannten Fragen gestellt, in der Hoffnung, daß Sie uns etwas Neues sagen würden; etwas, das sie versäumt haben, Medalont oder den anderen zu erzählen; etwas, das wir Ihnen hätten glauben und worauf wir hätten reagieren können. Laut Prilicla läßt Ihre emotionale Ausstrahlung erkennen, daß sie nicht lügen, zumindest nicht bewußt, und dennoch sind die zumindest subjektiv als wahr empfundenen Geschichten, die Sie uns erzählen, überhaupt nicht hilfreich füruns. Nun zu Ihrer zweiten Frage, nämlich zu der, was Ihnen fehlt. Nun, soweit wir es herausfinden konnten, ist Ihr Zustand nicht nur gut, sondern Sie sind auch ein ungewöhnlich körperlich wie geistig fites und gesundes männliches Exemplar der Gattung DBDG-Terrestrier. Ihnen fehlt also überhaupt nichts.«


Sie atmete tief ein, wodurch ihre eindrucksvolle Brust in dem enganliegenden weißen Overall voll zur Geltung kam, und was Hewlitt zudem daran erinnerte, daß er immerhin ein Mann war. Dann fuhr sie fort: »Deshalb müßten wir uns eigentlich der Meinung der Ärzte anschließen, von denen Sie in der Vergangenheit behandelt worden sind, und Ihnen mitteilen, daß Sie ein gesunder Hypochonder mit psychischen Problemen sind und daß Sie nach Hause gehen und endlich damit aufhören sollen, unsere kostbare Zeit zu vergeuden… «


Bevor Hewlitt etwas dazu sagen konnte, hielt Murchison besänftigend ihre wohlgeformten Hände hoch und sagte rasch: »Sie brauchen sich erst gar nicht aufzuregen, denn genau das werden wir nicht tun. Jedenfalls nicht, bevor wir nicht für Ihre ungewöhnlichen Kindheitserlebnisse und die Regeneration von Morredeths beschädigtem Fell eine einleuchtende Erklärung gefunden haben. Sollte es nämlich diesbezüglich tatsächlich einen Zusammenhang geben, dann hoffen wir, Beweise dafür auf Etla zu finden. Das ist doch der Ort, an dem diese eigenartigen Vorfälle angefangen haben, und wo wir während unserer Nachforschungen Ihre Mithilfe sowie Ratschläge und Erinnerungen sehr zu schätzen wissen werden.


Also lautet die Antwort auf Ihre dritte Frage: Wir wissen nicht, was wir mit Ihnen machen sollen«, beendete die Pathologin ihre Ausführungen mit einem Lächeln.


»Ich würde Ihnen ja gern behilflich sein, aber höchstwahrscheinlich sind meine Kindheitserinnerungen für Ihre Absichten nicht genau genug. Haben Sie daran auch schon mal gedacht?«


»Nach Aussage der psychologischen Abteilung ist Ihr Erinnerungsvermögen wie alles andere an Ihnen: nämlich nahezu perfekt. Würden Sie jetzt also bitte schlafen und mich weiter arbeiten lassen, PatientHewlitt?«


»Zumindest werde ich es versuchen«, antwortete Hewlitt. »Was machen Sie da eigentlich?«


Murchison seufzte erneut. »Unter anderem vergleiche ich gerade eine Reihe vergrößerter Scannerbilder von Gehirnen der DBDGs und anderer Spezies, inklusive des Ihren übrigens, weil ich eine strukturelle Veränderung oder Anomalie zu finden hoffe. Auf diese Weise ließe sich vielleicht erklären, wie es Ihnen möglich war, einige dieser wundersamen Dinge zu bewirken – falls Sie überhaupt etwas damit zu tun gehabt haben und nicht eine andere, uns bislang verborgen gebliebene Kraft. Ich erwarte wirklich nicht, Beweise für eine Gabe zu finden, die ihrem Besitzer ermöglicht, Wunder zu vollbringen. Trotzdem darf ich nichts unversucht lassen. Und jetzt schlafen Sie bitte.«


Doch nur wenige Minuten später fragte sie: »Sind Sie sich wirklich sicher, daß Sie uns alles erzählt haben? Oder gab es noch irgendwelche andere Begebenheiten, die Ihnen als Kind oder Erwachsener widerfahren sind und die Ihnen als viel zu belanglos erschienen sind, um sie zu erwähnen D wie zum Beispiel die Geschichte mit Ihren Zähnen? Sind Sie zu Hause oder in Ihrem Arbeitsumfeld mit kranken Leuten in Kontakt gekommen? Aus irgendeinem Grund enthält Ihre Krankenakte überhaupt keine Angaben über Ihren Beruf oder über ein Gewerbe, dem Sie nachgehen. Sind Sie mit Tieren in Berührung gekommen – ich meine, abgesehen von Ihrer Katze -, die vielleicht krank oder erst kurz zuvor von einer Krankheit genesen waren? Oder gab es irgendwelche anderen Tiere, die mit Ihnen… «


»Meinen Sie vielleicht meine Schafe?« unterbrach Hewlitt die Pathologin.


»Kann sein, ich habe keine Ahnung. Erzählen Sie mir davon«, forderte Murchison ihn auf.


»Nun, ich habe eine ganze Menge Schafe.«


»Ach, sind Sie etwa ein Schafhirte?« erkundigte sich die Pathologin erstaunt. »Ich hätte nie gedacht, daß es heutzutage noch Schafhirten gibt. Erzählen Sie weiter.«»Ich bin zwar selbst kein Schafhirte, aber die gibt es immer noch«, stellte Hewlitt klar. »Schafehüten ist eine seltene, stark spezialisierte und zu dem sehr gut bezahlte Arbeit, besonders wenn man für mich arbeitet. Ich habe das Familienunternehmen von meinen Großeltern geerbt, da mein Vater ihr einziges Kind war. Als er bei dem Flugzeugunglück ums Leben kam, war ich somit der einzige Nachkomme. Mein Beruf ist in der Krankenakte nicht erwähnt worden, weil auf der Erde ohnehin fast jeder weiß, wer ich bin oder was ich tue. Mann kennt mich dort unter dem Namen ›Hewlitt der Schneider‹.«


»Ich fürchte, ich müßte jetzt beeindruckt sein«, reagierte Murchison auf ihre typisch unterkühlte Weise. »Aber Sie müssen schon entschuldigen, denn ich wurde nicht auf der Erde geboren.«


»Da dies bei weit über neunzig Prozent der Föderationsmitglieder der Fall ist, bin ich auch keineswegs beleidigt«, stellte Hewlitt klar. »Jedenfalls handelt es sich dabei um eine relativ kleine, aber sehr exklusive Firma, die den Mond und die Erde mit handgearbeiteten, maßgeschneiderten Kleidungsstücken sowie mit handgewebtem oder gesponnenem Tweed und edlen Kammgarnmaterialien beliefert. In der heutigen Zeit billiger Synthetikstoffe gibt es immer mehr Leute, die bereit sind und über das nötige Geld verfügen, unsere Preise zu bezahlen. Einige versuchen sogar, durch Bestechungsgelder auf unsere Warteliste zu gelangen. Aber trotz der schwindelerregenden Preise, die wir berechnen, ist die Gewinnspanne nicht einmal besonders hoch. Wir müssen Schaf- und andere Wolltierherden unterhalten, die als gesetzlich geschützte Arten gelten. Die Tiere müssen regelmäßig geschoren werden, damit wir unseren Rohstoff für die Webereien bekommen. Sie glauben ja gar nicht, welch enorme Kosten der hohe Haltungsstandard und die Gesundheitspflege unserer Tiere verursachen.


Meine Arbeit erfordert regelmäßige Kontrollbesuche bei unseren Herden, wobei ich natürlich auch einige Tiere vor dem Scheren zur Überprüfung der Wollqualität anfassen muß. Selbstverständlich achten wir penibel darauf, daß sie nicht krank werden oder sich irgendwelcheansteckenden Krankheiten einfangen. Tja, das war schon alles. Tut mir leid, diese Informationen sind wohl auch nicht besonders nützlich für Sie, oder?«


»Wahrscheinlich sind sie wirklich nicht sonderlich nützlich, aber zumindest sehr interessant«, meinte Murchison. »Trotzdem sollten wir diesen Umstand bei unseren Untersuchungen nicht aus den Augen verlieren.«


»Und ich bin natürlich auch kein richtiger Schneider«, beendete Hewlitt seine Ausführungen, »sondern nur das stets tadellos gekleidete Aushängeschild des Unternehmens, wenn ich nicht gerade ein Krankenhaushemd trage.«


Murchison nickte lächelnd. »Wir haben uns schon alle gefragt, weshalb ein offenbar nicht gerade schwerkranker Patient wie Sie ins Orbit Hospital überwiesen worden ist. Könnte es sein, daß einer Ihrer wohlhabenden und einflußreichen Kunden etwas damit zu tun hat? Vielleicht handelt es sich ja zufälligerweise um einen einflußreichen Arzt, der unbedingt auf Ihre Warteliste wollte.«


»Aber bestimmt nicht einflußreich genug, um extra ein Ambulanzschiff wie die Rhabwar für meinen Fall einsetzen zu lassen«, wandte Hewlitt ein. »Warum hält man mich für so ungeheuer wichtig?«


Da Murchisons Gesicht plötzlich wie versteinert war, wußte er, daß sie auf diese Frage nicht antworten wollte. Statt dessen lächelte sie erneut und sagte mit fester Stimme: »Keine weiteren Fragen mehr, Patient Hewlitt. Wenn Ihnen danach ist, können Sie ja Schäfchen zählen, aber schlafen Sie jetzt endlich.«


Die Pathologin beobachtete ihn, bis er die Augen geschlossen hatte, dann hörte er, wie sie das leise und in regelmäßigen Zeitabständen auftretende Tippen auf der Computertastatur wieder aufnahm. In der Dunkelheit hinter den geschlossenen Lidern wurde die trügerische Stille des im Hyperflug befindlichen Schiffes von einem kaum wahrnehmbaren metallischen Knirschen untermalt, das nur gelegentlich durch die entfernten und gedämpften Stimmen der Besatzung unterbrochen wurde, die durch den Verbindungsschacht hindurch bis zu ihm herüberdrangen… Laute, die erunter normalen Umständen niemals wahrgenommen hätte. Nach seinem Dafürhalten lag er eine Ewigkeit wach da, wobei er sich in dem äußerst komfortablen Bett, das er zunehmend als unbequem empfand, hin und her wälzte und versuchte, an nichts zu denken, bis er es schließlich nicht mehr aushielt und die Augen öffnete.


»Ich kann einfach nicht schlafen«, seufzte er.


»Das ist auch das, was mir Ihr Überwachungsmonitor in den letzten zwei Stunden angezeigt hat«, meinte Murchison, die ihre Gereiztheit mit einem Lächeln zu überspielen versuchte. »Trotzdem ist es immer wieder schön, wenn man eine mündliche Bestätigung erhält. Was soll ich denn nur mit Ihnen machen?«


Hewlitt wußte zu unterscheiden, ob eine Frage rhetorisch gemeint war oder nicht, und zog es vor zu schweigen.


»Leider hat man Ihnen die Einnahme jeglicher Medikamente untersagt, und dazu gehören natürlich auch Sedativa«, fuhr sie fort. »Auf der Rhabwar gibt es auch keinen Unterhaltungssender, der Sie schläfrig machen könnte, denn die Patienten auf dem Unfalldeck sind normalerweise nicht in der Verfassung, sich womöglich lustige Quizshows anzusehen. Danalta löst mich in einer Stunde ab. Falls Sie den Rest der Nacht nicht damit verbringen wollen, ihn bei seinen Verwandlungskünsten zu bewundern,, was übrigens kein schöner Anblick ist, dann kann ich Ihnen als Alternative das Logbuch der Rhabwar empfehlen, in dem sämtliche Einsätze eingetragen sind – das entspricht bei uns noch am ehesten einer Bordunterhaltung.


Wenn Sie möchten, kann ich es auf dem Hauptmonitor mit einer nichtmedizinischen Zusammenfassung abspielen. Einiges von dem Material wird Ihnen für die morgige Lagebesprechung auf Etla nützliche Hintergrundinformation liefern.«


»Und kann ich dann besser einschlafen?« erkundigte sich Hewlitt.


»Das bezweifle ich allerdings sehr«, antwortete Murchison. »Stellen Sie die Rückenlehne so ein, daß Sie den ganzen Bildschirm sehen können undsich nicht den Hals verrenken müssen. In Ordnung? Nun geht's los… «


Bevor Hewlitt an Bord gebracht worden war, hatte er Zeit gehabt, die Bibliotheksinformationen über die Rhabwar abzurufen, und deshalb wußte er bereits, daß er sich auf einem speziellen Ambulanzschiff befand, das hauptsächlich für Rettungseinsätze im tiefen Weltraum genutzt wurde. Dabei drehte es sich in erster Linie um die Bergung und notärztliche Behandlung verunglückter Lebensformen, deren physiologische Klassifikation der Föderation bisher noch unbekannt war. Wenn ein Notruf von einem Föderationsschiff ausging, von dem der Flugplan, der Herkunftsplanet und die Spezies der Besatzungsmitglieder bekannt waren, dann war es in der Regel einfacher, ein Rettungsschiff des Heimatplaneten zu schicken, das mit einem Ärzteteam derselben Lebensform und den entsprechenden medizinischen Versorgungseinrichtungen an Bord ausgestattet war. Ein solcher Rettungseinsatz wäre mit einer Unfallstation, wie sie auf der Rhabwar vorhanden war, etwas völlig anderes und womöglich sogar gefährlicher gewesen. Zu dem Umstand, daß die meisten Unfallopfer unter einem Trauma litten und ihre Wahrnehmungs- und logische Denkfähigkeit durch Schmerz-, Schock-, Angst- und Verwirrungszustände häufig eingeschränkt waren, kam nämlich noch hinzu, daß die Opfer meistens in Panik gerieten, sobald sie die für sie grotesken Kreaturen sahen, die sie zu retten versuchten.


Deshalb bestand die Besatzung der Rhabwar sowohl aus Ärzten als auch aus Experten für Techniken fremder Spezies und Spezialisten für Erstkontakte.


Wenn das Raumschiff nicht für spezielle Aufgaben benötigt wurde, dann setzte man es auch bei allgemeinen Notfällen ein, die von Weltraumunfällen großen Ausmaßes bis hin zur Koordinierung planetarischer Katastropheneinsätze reichten. Die meisten Einsätze, bei denen es sich auch um die amüsantesten und haarsträubendsten zugleich handelte, waren allerdings jene, die im Logbuch unter dem Vermerk › Einsätze, die außergewöhnliche Problemlösungen erforderten‹ eingetragen waren.


Rein zufällig hatte Hewlitt mit angehört, wie Murchison zu Naydradgesagt hatte, der kommende Einsatz werde höchstwahrscheinlich einen neuen Rekord in bezug auf Unterhaltungswert und Ungefährlichkeit aufstellen. Weil er ein sehr gutes Gehör besaß, hatte er auch mitbekommen, daß das medizinische Team immer wieder merkwürdige Anspielungen auf Probleme zu machen pflegte, auf die es bei früheren Einsätzen gestoßen war. So hatten sich die Mitarbeiter unter anderem über die Dewattis oder eine schwangere Gogleskanerin namens Khone unterhalten sowie über blinde Aliens und deren mit normaler Sehkraft ausgestatteten und ungeheuer gewalttätigen Gehirnpartner, die als › Beschützer der Ungeborenen‹ bezeichnet wurden. Doch als jetzt diese schrecklichen Bilder von zerstörten Raumschiffen und Unmengen herumtreibender Wrackteile, in denen sich tote oder sterbende Wesen befanden, den Bildschirm füllten und gezeigt wurde, wie sein eigenes und die anderen Betten von kaum noch lebenden organischen Klumpen belegt waren, da wirkte das alles überhaupt nicht mehr komisch.


Murchison hatte recht gehabt: Die Bilder, die sich vor ihm ausbreiteten, wirkten auf ihn alles andere als einschläfernd, und da er so gespannt war und nichts verpassen wollte, schloß er die Augen allenfalls zum Blinzeln. Er bemerkte weder das Eintreffen von Danalta noch das Verschwinden der Pathologin. Erst als das Deckenlicht angeschaltet wurde, der Bildschirm erlosch und er den sanften Luftzug von Priliclas Flügeln im Gesicht spürte, registrierte er wieder seine Umwelt.


»Guten Morgen, Freund Hewlitt«, begrüßte ihn Prilicla, der über seinem Bett schwebte. »Wir sind bereits aus dem Hyperraum zurück in den Normalraum getaucht und werden in fünf Stunden landen. Ich nehme bei Ihnen die typisch emotionale Ausstrahlung äußerster Erschöpfung wahr, wenngleich Sie sich diesem Zustand ganz bewußt ausgeliefert haben. Es wäre für uns alle nicht sehr angenehm, wenn Sie die ganze Einsatzbesprechung hindurch gähnen würden. Also entspannen Sie sich bitte, machen Sie den Kopf frei, und schließen Sie für zehn Sekunden die Augen, dann werden Sie im Nu schlafen. Vertrauen Sie mir.«


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