10. Kapitel



Zwar wußte Hewlitt, daß es sich um kein Krankheitssymptom handelte, das per Sensorenmeßgerät auf dem Kontrollmonitor im Personalraum angezeigt werden würde, aber allmählich fragte er sich allen Ernstes, ob es so etwas wie unheilbare Langeweile mit einhergehender Verkümmerung der Sprechorgane gab.


Außer sich nach seinem allgemeinen Wohlbefinden zu erkundigen und zu sagen: »Na, dann ist ja alles in Ordnung«, ließ sich Medalont zu keinen weiteren Äußerungen hinreißen. Die hudlarische Schwester war wie immer sehr freundlich und hilfsbereit, wenn sie sich mit ihm unterhielt, doch die meiste Zeit des Tages hielt sie sich nicht auf der Station auf, sondern nahm an Vorlesungen teil oder war mit anderen Dingen beschäftigt. Braithwaite kam jeden Tag auf dem Weg zur Kantine für ein paar Minuten bei ihm vorbei, wobei er stets betonte, daß er ihm nur Gesellschaft leisten wolle und es keine medizinischen Gründe dafür gebe, zumal diese Besuche außerhalb seiner Dienstzeit stattfänden. Immerhin hatte er Hewlitt einige brauchbare Codes für den Bibliothekszugang besorgt, doch ansonsten redete er immer nur viel, ohne wirklich etwas zu sagen. Der tarlanische Kollege des Lieutenants, Padre Lioren, hatte sich bisher noch nicht blicken lassen, genausowenig wie Oberschwester Leethveeschi, die sich laut eigener Aussage nur dann um ihn kümmern wollte, wenn auf seinem Überwachungsmonitor ein medizinischer Notfall angezeigt werden würde.


Die ambulanten Patienten, die auf dem Weg zum Waschraum an seinem Bett vorbeikamen – zwei Melfaner, ein kürzlich eingelieferter Dwerlaner, eine Kelgianerin und eine sich nur sehr langsam fortbewegende Tralthanerin -, redeten zwar manchmal miteinander, aber niemals mit ihm, und bei den wenigen Gesprächen, die er auf der Station mithören konnte, wurde er nie mit einbezogen. Mit den Patienten, die im Nachbarbett beziehungsweise im Bett gegenüber gelegen hatten, konnte er sich nicht mehr unterhalten, weil sie woandershin verlegt worden waren.


Allmählich hatte er es satt, stundenlang der oberlehrerhaft klingendenStimme des Bibliothekscomputers zuzuhören, denn er kam sich wie früher vor, wenn er sich als kleiner Junge durch endlos lange Schulstunden quälen mußte. Damals wie heute empfand er nichts als Langweile und innere Unruhe, aber seinerzeit lockte wenigstens ein offenes Fenster, hinter dem sich eine Landschaft erstreckte, in der man unendlich viele interessante Dinge zum Spielen entdecken konnte. Hier gab es keine offenen Fenster, und wären welche vorhanden gewesen, dann hätte man dahinter nichts anderes als die totale Leere des Weltraums gesehen. Aus lauter Verzweiflung beschloß Hewlitt, auf der Station auf und ab zu gehen.


Als er bereits zweimal die Station durchquert hatte und gerade die dritte Runde drehte, kam Leethveeschi aus dem Personalraum gewatschelt und versperrte ihm den Weg.


»Bitte gehen Sie nicht so schnell, Patient Hewlitt!« ermahnte sie ihn. »Sie könnten mit einer meiner Schwestern zusammenstoßen und sich dabei gegenseitig verletzen. Darüber hinaus ist Ihnen offensichtlich nicht klar, daß eine solch plastische Demonstration ihrer körperlicher Fitness gegenüber den anderen Patienten, die wirklich ernsthaft krank, verletzt oder ans Bett gefesselt sind, nicht gerade von großem Einfühlungsvermögen zeugt. Wenn Sie also unbedingt hier herummarschieren müssen, dann führen Sie Ihre Bewegungen bitte etwas langsamer aus.«


»Das tut mir leid, aber daran hatte ich wirklich nicht gedacht, Oberschwester«, entschuldigte sich Hewlitt kleinlaut.


Während er sich mit gedrosselter Geschwindigkeit fortbewegte, fühlte er sich immer unbehaglicher dabei, weiterhin nur stur geradeaus oder auf den Fußboden zu starren. Deshalb rang er sich schließlich dazu durch, wenigstens kurze Blicke auf die Patienten zu werfen, an deren Betten er vorbeikam. Die meisten beachteten ihn nicht, weil sie wahrscheinlich schliefen, zu krank waren oder ihn – genauso wie er sie – als zu häßlich empfanden. Die anderen Patienten verfolgten ihn mit den Augen, in einigen Fällen mit viel zu vielen, und es wunderte ihn nicht, daß sich lediglich eine Kelgianerin traute, ihn anzusprechen.


»Meines Erachtens sehen Sie für einen Terrestrier sehr gesund aus«,meinte die Kelgianerin, wobei sie das Fell kräuselte, das auf der sichtbaren Seite von einem großen Rechteck aus silbergrauem Stoff bedeckt war. »Was fehlt Ihnen denn?«


»Ich weiß auch nicht, was mir fehlt«, antwortete Hewlitt, der stehengeblieben war, um die Kelgianerin besser ansehen zu können. »Genau das versucht man jetzt hier im Orbit Hospital herauszufinden.«


»An dem Tag, an dem Sie eingeliefert worden sind, hat Leethveeschi doch das Reanimationsteam gerufen, nicht wahr? Es muß sehr ernst um Sie stehen«, meinte die Kelgianerin. »Werden Sie sterben?«


»Das hoffe ich doch nicht. Aber wie ich schon sagte, weiß ich selbst nicht, was mit mir ist«, antwortete Hewlitt.


Die Kelgianerin lag seitlich in einem großen, quadratischen Bett auf der Decke und hatte ihren pelzigen Körper zu einem S geformt, das etwas an Konturen verlor, als sie sich ein Stückchen mit dem Oberkörper hochwand. »Mir wird immer ganz übel, wenn ich sehe, wie ihr Terrestrier nur auf zwei Beinen das Gleichgewicht halten könnt. Wenn Sie sich mit mir unterhalten möchten, dann setzen Sie sich doch bitte auf die Bettkante. Keine Angst, ich bin nicht zerbrechlich, und ich werde auch nicht beißen, ich bin nämlich Pflanzenfresserin.«


Nachdem die Kelgianerin das erwähnt hatte, wurde Hewlitt schlagartig klar, wie befremdlich es für ein Wesen sein mußte, das sich auf vierunddreißig Füßen fortbewegte, wenn jemand nur zwei Beine zum Gehen benötigte. Auf jeden Fall beruhte das Gefühl auf Gegenseitigkeit. Als er sich auf die Bettkante setzte, achtete er geflissentlich darauf, den pelzigen Körper und die kurzen Raupenbeine der Kelgianerin bloß nicht mit den Oberschenkeln zu berühren.


Er hatte sich schon immer gern mit anderen Leuten unterhalten, und wenn er die Augen schloß oder hin und wieder einfach wegsah, könnte er sich vielleicht einbilden, daß die Kreaturen an diesem Ort auch in diese Kategorie fielen. Innerlich bereitete er sich auf ein höflich geführtes Gespräch vor, falls eine solche Form der Konversation mit einer Kelgianerin überhaupt möglich war.»Mein Name ist übrigens Hewlitt«, stellte er sich vor. »Ich habe mitbekommen, daß Sie einige Male an meinem Bett vorbeigegangen sind, und zwar gewöhnlich mit einer Tralthanerin oder einem Dwerlaner und einmal auch mit einem Duthaner, soweit ich mich erinnern kann. Um die verschiedenen physiologischen Klassifikationen kennenzulernen und einen besseren Überblick zu bekommen, habe ich mir einige Programme aus der Bibliothek angesehen. Dadurch weiß ich jetzt, wer mir etwas anhaben kann und wer nicht, wenngleich ich mir bei einigen Wesen immer noch nicht ganz sicher bin.«


»Ich heiße Morredeth«, stellte sich nun ihrerseits die Kelgianerin vor. »Das mit dem Duthaner und den anderen beiden haben Sie ganz richtig erkannt. Wenn wir an Ihrem Bett vorbeigekommen sind, haben Sie nie etwas gesagt. Deshalb sind wir der Meinung gewesen, daß Sie entweder sehr krank oder einfach nur ungesellig sind.«


»Ich habe Sie nicht angesprochen, weil Sie sich immer mit Ihren Begleitern unterhalten haben«, entgegnete Hewlitt. »Außerdem hielt ich es nicht für höflich, Sie zu unterbrechen.«


»Höflich! Schon wieder dieses komische Wort!« empörte sich die Kelgianerin, wobei sich ihr Fell stachelig aufrichtete. »In unserer Sprache gibt es dafür keinen entsprechenden Ausdruck. Wenn Sie mit mir reden wollten, dann hätten Sie das ruhig tun sollen. Hätte ich nämlich keine Lust gehabt, Ihnen zuzuhören, dann hätte ich Sie schon aufgefordert, lieber den Mund zu halten. Warum müssen Nichtkelgianer immer alles so furchtbar kompliziert machen?«


Hewlitt empfand das als eine rhetorische Frage, die man nicht beantworten mußte. »Und was fehlt Ihnen, Morredeth?« erkundigte er sich nach dem Wohlbefinden der Kelgianerin. »Ist es etwas Ernsthaftes?«


Selbst als sich das darauffolgende Schweigen in die Länge zu ziehen begann, machte die Kelgianerin noch immer keine Anstalten, die Frage zu beantworten. Wie sich Hewlitt erinnerte, waren Kelgianer zwar psychisch nicht imstande zu lügen, doch konnte sie nichts und niemand davon abhalten zu schweigen, wenn sie nicht antworten wollten. Gerade als er sich für dieFrage entschuldigen wollte, begann Morredeth zu sprechen.


»Die ursprüngliche Verletzung war eigentlich nicht so schwerwiegend, die Folgeerscheinungen sind allerdings sehr ernst und unheilbar. Leider werde ich nicht daran sterben, trotzdem möchte ich nicht darüber sprechen.«


Hewlitt zögerte, bevor er fragte: »Möchten Sie sich über etwas anderes unterhalten, oder möchten Sie lieber, daß ich gehe?«


Ohne auf die Frage einzugehen, fuhr Morredeth fort: »Lioren meint, ich solle versuchen, darüber zu sprechen und nachzudenken, anstatt das Problem zu verdrängen. Im Moment möchte ich mich aber lieber über die anderen Patienten, das Klinikpersonal und solche Dinge unterhalten, damit ich nicht dauernd daran denken muß. Natürlich kann ich nicht die ganze Zeit über etwas anderes reden und nachdenken, vor allem dann nicht, wenn alle Patienten schlafen oder wenn die Nachtschwester sich nicht mehr mit mir unterhalten kann, weil sie andere Dinge zu erledigen hat. Selbst im Schlaf werde ich noch von meinen Problemen eingeholt. Ich weiß nicht, wie es bei Ihrer Spezies ist, aber Kelgianer haben keine Kontrolle über den Ablauf ihrer Träume.«


»Da geht es uns Terrestriern auch nicht besser«, antwortete Hewlitt, der die ganze Zeit das silberne Stoffrechteck auf dem Körper der Kelgianerin musterte und sich fragte, welch schreckliche Verletzung sich darunter verbergen könnte.


Morredeth entging das natürlich nicht. »Ich habe wirklich keine Lust, darüber reden«, bekräftigte sie mit gekräuseltem Fell.


Seitdem ich mich aufs Bett gesetzt habe, spricht dieses bedauernswerte Wesen fast über nichts anderes als darüber, daß es nicht darüber sprechen will. Ein Psychologe könnte dieser Kelgianerin bestimmt weiterhelfen, dachte Hewlitt und sagte dann laut: »Sie haben eben eine Person namens Lioren erwähnt. Mir wurde gesagt, daß mich demnächst ein Tarlaner mit diesem Namen aufsuchen würde.«


»Hoffentlich nicht zu bald«, meinte Morredeth.


»Warum sagen Sie das?« erkundigte sich Hewlitt mit einem etwasmulmigen Gefühl im Magen. »Ist Lioren eine besonders unangenehme Kreatur?«


»Nein, nein«, beruhigte ihn Morredeth. »Ich finde, daß er eigentlich ein ganz nettes Wesen ist, zumindest für einen Nichtkelgianer. Außerdem bin ich noch nicht lange genug hier, um zu wissen, was er genau macht. Horrantor hat mir allerdings erzählt, Lioren werde normalerweise nur zu den Patienten geschickt, bei denen die Ärzte mit ihrem Latein am Ende seien. Ich nehme an, damit sind wohl die hoffnungslosen Fälle gemeint, oder?«


Hewlitt gefiel dieser Ausdruck überhaupt nicht, und er fragte sich, ob Braithwaites frühere Bezugnahme auf Lioren auch wirklich völlig sachgemäß gewesen war. Nicht jeder oder, besser gesagt, niemand war so direkt wie ein kelgianisches Wesen.


»Und wer ist dieser Horrantor?« wollte Hewlitt wissen. »Ist das einer der Ärzte?«


»Nein, eine Patientin«, stellte Morredeth klar und deutete den Gang hinunter. »Und zwar die da. Sie kommt gerade zu uns herüber, um zu erfahren, worüber wir reden. Das spürt man schon am bebenden Boden.«


»Und was ist mit ihr?« erkundigte sich Hewlitt mit leiser Stimme, falls die tralthanische Patientin ebenfalls Probleme haben sollte, über ihre Krankheit zu sprechen.


»Das ist ja wohl offensichtlich, wenn sie nur noch auf fünf Beinen geht!« fauchte ihn die Kelgianerin an. »Das hochgebundene Bein hat sie sich bei einem Betriebsunfall eingequetscht. Mit Hilfe der Mikrochirurgie ist es wiederhergestellt worden und wird schon bald so gut wie neu sein. Bei dem Unfall sind aber auch die Fortpflanzungsorgane und insbesondere der Gebärmutterhals in Mitleidenschaft gezogen worden, so daß noch weitere Behandlungen notwendig sind, aber fragen Sie Horrantor lieber nicht nach den blutigen Einzelheiten. Ich habe mehr von den chirurgischen Installationsarbeiten an ihrem Fortpflanzungssystem gehört, als mir lieb ist, und außerdem erinnert mich das nur an meine eigenen Probleme. Ach, sehen Sie nur! Bowab steuert gerade in unsere Richtung. Normalerweisespielen wir Karten – Bellas oder Scremman -, um uns die Zeit zu vertreiben. Spielen Sie auch gern Karten?«


»Ja und nein. Ich meine, ich kenne zwar die Regeln einiger terrestrischer Kartenspiele, bin aber kein besonders guter Spieler. Ist Bowab der Duthaner, der hinter Horrantor hergeht? Was hat er denn für eine Krankheit?«


»Sie sind sehr unentschlossen, Hewlitt«, tadelte ihn Morredeth. »Entweder können Sie spielen, oder Sie können es nicht. Bellas ist ein tralthanisches Geschicklichkeitsspiel, ähnlich dem terrestrischen Whist. Scremman kommt ursprünglich von Nidia, und ist, da stimme ich mit Bowab überein, der sich diesbezüglich als Experte betrachtet, ein Spiel für ausgesprochen geschickte Lügner und Betrüger. Ach so, ich weiß übrigens nicht genau, was der Duthaner hat, nur, daß sein Problem ungewöhnlich und eher ein Fall für die innere Medizin als für die Chirurgie ist. Das hier ist die Hauptbeobachtungs-, Übergangs- und manchmal auch Erholungsstation für Patienten, die das Glück haben zu überleben, was übrigens laut Oberschwester Leethveeschi auch wirklich die meisten tun. Manchmal werden hier schon ziemlich verrückte Patienten eingeliefert.«


»Das kann man wohl laut sagen«, pflichtete ihr Hewlitt bei, und während er beobachtete, wie Horrantor und Bowab näher kamen, überlegte er, ob Morredeths letzte Bemerkung einem der arideren Patienten oder ihm galt.


Horrantor blieb am Fußende des Bettes stehen, wobei ihr verletztes Bein nur leicht den Boden berührte. Jeweils eins ihrer vier ausstreckbaren Augen, die rundherum aus dem unbeweglichen, kuppelförmigen Kopf herausragten, war auf Morredeth, Bowab und Hewlitt gerichtet und aus irgendeinem Grund auch auf den weiter entfernt gelegenen Personalraum. Der Duthaner begab sich auf die gegenüber von Hewlitt gelegene Bettseite. Hewlitt selbst überlegte, ob das unregelmäßig braungefleckte Fell auf dem ansonsten dunkelgrünen, zentaurartigen Körper ein Anzeichen für seinen Gesundheitszustand oder ein natürliches Merkmal war. Dasselbe galt für den breiten, weißen Streifen, der von der Mitte der Stirn ausging und sowohl oben als auch unten an der Wirbelsäule entlang breiter wurde, umdann in einen langen buschigen Schwanz überzugehen. Doch erkundigte er sich lieber nicht danach. Der Duthaner knickte die Hinterbeine ein und verlagerte das Gewicht auf die Vorderbeine, während er sich mit den Ellbogen und Unterarmen auf dem Bett abstützte und mit beiden Augen, mit denen er nur in eine Richtung gleichzeitig sehen konnte, Hewlitt anstarrte.


Nach kurzem Zögern stellte sich Hewlitt vor und beschrieb kurz sein Problem. Ihm fiel nichts anderes ein, worüber er hätte reden können, denn die einzige Gemeinsamkeit, die sie nach seiner Auffassung alle vier besaßen, war eine Reihe verschiedener Krankheitssymptome.


Horrantor gab einen tiefen, stöhnenden Laut von sich, der so etwas wie Mitgefühl bedeuten mochte, und sagte: »Wenigstens wissen wir drei, was uns fehlt. Wenn die Ärzte nicht wissen, was Ihnen fehlt und Sie sich körperlich fit fühlen, dann könnte es sehr lange dauern, bis man die richtige Therapie für Sie gefunden hat.«


»Das ist wohl wahr«, pflichtete ihr Bowab bei. »Zumindest kann es lange genug dauern, daß es einem unendlich langweilig wird. Es sei denn, Sie finden einen angenehmen Zeitvertreib. Spielen Sie eigentlich gern Karten, Hewlitt?«


Bevor Hewlitt antworten konnte, mischte sich Morredeth ein: »Selbst eine Kelgianerin wie ich könnte das Thema behutsamer wechseln. Hewlitt kann zwar Karten spielen, kennt aber weder Bellas noch Scremman. Wir könnten ihm die Regeln erklären, oder vielleicht möchte er uns ja lieber ein terrestrisches Spiel beibringen.«


»Das würde Ihnen anfängliche Vorteile verschaffen, Hewlitt«, warf Horrantor ein, wobei sie ein weiteres Auge auf ihn richtete. »Mit uns dreien als Gegner könnte Ihnen das nicht schaden.«


Offensichtlich hielten sich diese Wesen für sehr gute Kartenspieler, und Hewlitt reizte der Versuch, sie mit den Regeln eines komplizierten Spiels zu verwirren, bei dem man sich wie bei Whist oder noch besser Bridge mit einem Partner zusammenschließen mußte. Andererseits könnte ihre Selbstbeurteilung durchaus richtig sein, so daß eine mögliche anfängliche Verwirrung nicht besonders lange anhalten würde.»Ich hätte mehr Lust, ein neues Spiel zu lernen, als Ihnen eins beizubringen«, schlug er deshalb vor. »Außerdem habe ich nicht daran gedacht, terrestrische Spielkarten von der Erde mitzubringen.«


»Das wäre weiter nicht schlimm. Wenn man irgendwelche Karten haben möchte, kann Leethveeschi sie aus dem Freizeitbereich anfordern«, informierte ihn Bowab. Dann langte er in die Tasche einer kurzen Schürze, die das einzige Kleidungsstück war, das er trug, und holte daraus einen dicken Packen Spielkarten hervor. »So sind wir auch immer an unsere Sachen gekommen. Also, wir werden erst einmal ein paar Übungsspiele machen, bei denen wir mit aufgedeckten Karten spielen, damit Sie wissen, wie es funktioniert. Lassen Sie uns keine Zeit verlieren, Morredeth. Rutschen Sie etwas weiter nach oben, und machen Sie uns Platz zum Spielen.«


Die Kelgianerin wickelte sich zu einem noch engeren S zusammen, so daß das untere Bettende frei war, dann drehte sie den kegelförmigen Kopf und den Oberkörper zur Seite, bis ihre kurzen Arme über der Spielfläche baumelten. Bowab, Horrantor und Hewlitt waren bereits startklar, als die Tralthanerin sagte:


»Da hinten kommt Leethveeschi auf uns zugesteuert. Was kann sie denn um diese Tageszeit von uns wollen. Ist bei einem von Ihnen die Medikamenteneinnahme fällig?«


»Guten Tag, Patient Hewlitt«, begrüßte ihn die Oberschwester und blieb dabei so stehen, daß sie ihn durch die Spalte zwischen Horrantor und Bowab hindurch ansehen konnte. »Ich freue mich, daß Sie mit anderen Patienten Bekanntschaft geschlossen haben und gemeinsam mit ihnen Karten spielen. Lieutenant Braithwaite wird bestimmt auch sehr zufrieden sein, wenn er davon hört.


Trotzdem muß ich Sie auf eine Krankenhausregelung hinweisen, die sich auf diverse Gruppen- oder Freitzeitaktivitäten bezieht«, fuhr sie fort. »Spiele dürfen nur der geistigen Übung oder auch Zerstreuung dienen und nicht der persönlichen Bereicherung. Auf keinen Fall darf um Geld, um Föderationswährung oder Schuldscheine irgendwelcher Art gespieltwerden. Sie befinden sich hier inmitten einer Horde zivilisierter Raubtiere, Patient Hewlitt, und der Gedanke, der mir dazu automatisch einfällt, wird wohl am besten durch die terrestrische Redensart ›ein Schaf unter Wölfen sein‹ beschrieben. Bitte versuchen Sie also nicht, sich beim Spielen zu sehr aufzuregen, weil Ihr Sensorenmeßgerät sonst womöglich einen klinischen Notfall meldet. Ach so, diese Dinger hier könnten Sie vielleicht zum Spielen gebrauchen…«


Eine grüne, formlose Hand wühlte in einer Tasche, die an der Außenfläche von Leethveeschis Schutzhülle angebracht war, und zog eine kleine Plastikschachtel heraus, die sie direkt neben Hewlitt aufs Bett warf.


»… sie werden von Ihrer Spezies unter anderem dazu benutzt, um zwischen den Zahnlücken haftende Essensreste zu entfernen. Bestimmt finden Sie eine andere Verwendung dafür. Viel Glück.«


Nachdem die Oberschwester gegangen war, fand Bowab als erster seine Stimme wieder.


»Eine ganze Schachtel mit Zahnstochern!« rief er. »Wir drei mußten uns eine halbe Schachtel teilen. Hewlitt, Sie sind ein Millionär!«


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