12. Kapitel



Nachdem das Spiel von der hudlarischen Schwester mit dem Hinweis beendet worden war, sie möchten bitte in ihre Betten zurückkehren und die Medizin für die Nacht einnehmen, um endlich zu schlafen, beschäftigte Hewlitt noch lange der Gedanke, was er Falsches gesagt haben könnte, weil er einen solchen Fehler zukünftig vermeiden wollte. Die drei anderen kamen auf dem Weg zum und vom Waschraum an seinem Bett vorbei, wobei Morredeth keinen Ton sagte, doch traute sich Hewlitt auch nicht, sie anzusprechen, weil er fürchtete, dadurch alles nur noch schlimmer zu machen.


Da er als einziger keine Medikamente bekam, wurde er auch als letzter Patient konsultiert. Die hudlarische Schwester mußte lediglich die Sensorenverbindungen zu seinem Überwachungsmonitor überprüfen und hätte bis zu ihrer nächsten Runde in zwei Stunden nichts weiter zu tun, als den Zustand der schlafenden Patienten zu kontrollieren, es sei denn, es würde ein Notfall eintreten. Vor ihr lag eine lange Nachtschicht, und Hewlitt hoffte, ihre Langeweile unterbrechen und seine Neugier durch einige Fragen befriedigen zu können.


»Versuchen Sie heute abend einmal, nicht den Bildschirm einzuschalten«, riet ihm die Hudlarerin. »Oberschwester Leethveeschi hat mir nämlich erzählt, Sie hätten heute schon genug Aufregung gehabt. Beim Kartenspielen vergeht die Zeit wie im Flug, und es freut mich sehr, daß Sie sich mit Patienten fremder Spezies angefreundet haben. Aber jetzt müssen Sie schlafen.«


»Ich werde es versuchen, Schwester, aber etwas macht mir Sorgen.«


»Haben Sie etwa Schmerzen?« erkundigte sich die Schwester besorgt und kam sofort näher an das Bett heran. »Ihre Sensordaten zeigen einen optimalen Zustand Ihrer Lebenszeichen an. Falls Sie allerdings Beschwerden haben sollten, beschreiben Sie mir die Symptome bitte so genau wie möglich.«»Entschuldigen Sie, Schwester, aber ich habe mich wohl nicht richtig ausgedrückt, es hat nämlich nichts mit meinem körperlichen Zustand zu tun. Ich habe im Laufe des Tages eine andere Patientin gekränkt, und zwar die Kelgianerin Morredeth, aber ich weiß nicht, was an dem, was ich gesagt oder getan habe, so Beleidigendes gewesen sein soll. Wir haben zu viert Scremman gespielt, und die anderen beiden haben anscheinend versucht, mir nonverbal mitzuteilen, daß ich damit aufhören solle. Ich würde gern wissen, was ich falsch gemacht habe, damit ich einen solchen Fehler nicht wiederhole und mich entschuldigen kann, falls es etwas Ernsthaftes gewesen sein sollte.«


Obwohl die Schwester keinerlei Regungen zeigte, die er identifizieren konnte, wirkte die Hudlarerin nun entspannter, als sie antwortete: »Ich glaube nicht, daß es etwas ist, worüber man sich Sorgen machen müßte, Patient Hewlitt. Während eines Scremmanspiels, das sich wie bei Ihnen, so wurde mir jedenfalls berichtet, über mehrere Stunden erstreckt, ist der Austausch beleidigender und kritisierender Äußerungen allgemein üblich… «


»Das ist mir allerdings nicht entgangen«, warf Hewlitt ein.


»…und solche verbalen Attacken sind beim nächsten Spiel längst vergeben. Vergessen Sie einfach den Vorfall, so, wie es die anderen bereits getan haben. Sie können also ganz beruhigt einschlafen.«


»Das ist aber anders abgelaufen«, widersprach Hewlitt. »Diese Äußerungen fielen nämlich während der Spielpausen, und vor allem während wir gegessen haben.«


Die Hudlarerin schwieg für einen Moment, während Sie an den beiden Bettreihen auf der Station entlangblickte. Außer Hewlitt schienen alle zu schlafen, also gab es derzeit für sie nichts Dringenderes zu tun. Hewlitt freute sich und schämte sich auch ein bißchen über seine neu entdeckte Fähigkeit, diesem Monster seinen Willen aufzuzwingen.


»Also gut, Patient Hewlitt. Worüber haben Sie sich denn mit den anderen unterhalten? Und können Sie sich an die Bemerkung erinnern, über die sich Patientin Morredeth so geärgert hat?«»Wie ich Ihnen schon gesagt habe, weiß ich das nicht so genau«, entgegnete Hewlitt. »Ich habe lediglich über ein kleines, pelziges Tier – ein terrestrisches Haustier - gesprochen und es beschrieben… Haben Hudlarer eigentlich auch Haustiere? Ich habe als Kind immer gern damit gespielt. Nichts von dem, was ich gesagt habe, schien Morredeth zu verärgern, bis sie mir völlig unvermittelt vorwarf, ich würde schlüpfrige Sachen erzählen, woraufhin Bowab ihr ebenso unverhofft zustimmte. Ich dachte, die beiden würden scherzen, aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher.«


»In ihrem gegenwärtigen Zustand ist Patientin Morredeth, bezüglich ihres Fells ungewöhnlich empfindlich«, erklärte ihm die Schwester, wobei die Sprechmembran so vibrierte, daß es einem hudlarischen Flüstern gleichkam. »Aber das konnten Sie natürlich nicht wissen. Sagen Sie mir doch bitte, worüber Sie genau gesprochen haben.«


Plötzlich fragte sich Hewlitt, ob es möglich sein könnte, daß nicht er die Schwester, sondern sie ihn ausnutzte. Vielleicht war sie ja sogar ganz froh darüber, sich die langweilige Nachtschicht interessanter zu gestalten, indem sie einem besorgten Patienten nichtmedizinische Hilfe leistete. Wahrscheinlich könnte sie diese Unterhaltung, die sich zu einem längeren Mitternachtsschwätzchen zu entwickeln schien, sogar gegenüber Oberschwester Leethveeschi rechtfertigen. Er ließ sich viel Zeit und wiederholte alles, bis er an dem Punkt anlangte, wo er den anderen das Verhalten seiner Katze beim Streicheln beschrieben hatte. Zwar war er der festen Überzeugung, daß ein Wesen, dessen Haut wie elastischer Stahl war, bei Ausdrücken wie ›Fell‹ oder ›Pelz‹ keine erotischen Phantasien bekommen würde, doch am Orbit Hospital konnte man sich anscheinend über nichts und niemanden sicher sein.


Als er zu Ende erzählt hatte, meinte die Schwester: »Jetzt verstehe ich. Doch bevor ich zu erklären versuche, was passiert ist, erzählen Sie mir bitte, was Sie über die kelgianische Lebensform wissen.«


»Ich kenne nur die Informationen, die in den kurzen Einführungspassagen der nichtmedizinischen Bibliothek über die Mitglieder der Föderation geliefert werden, wobei es sich in erster Linie um historisches Materialhandelt«, antwortete Hewlitt. »Die Kelgianer gehören der physiologischen Klassifikation DBLF an. Sie sind mehrfüßige Warmblüter und haben einen zylinderförmigen Körper, der vollständig mit einem beweglichen, silbergrauen Fell bedeckt ist. Dieses Fell ist ständig in Bewegung, wenn das Wesen bei Bewußtsein ist, und im geringeren Ausmaß auch dann, wenn es träumt.


Aufgrund der Unzulänglichkeiten des kelgianischen Sprechorgans mangelt es diesen Wesen an Modulationsmöglichkeiten oder an sonstigen emotionalen Ausdrucksweisen der Stimme. Allerdings gleichen sie diese Defizite mit dem Fell aus, das, soweit ein anderer Kelgianer betroffen ist, perfekt und unwillkürlich den Gefühlszustand des Sprechenden widerspiegelt. Infolgedessen können sie nicht lügen, und Begriffe wie Diplomatie, Taktgefühl oder Höflichkeit sind ihnen völlig fremd. Kelgianer sagen immer genau das, was sie denken oder fühlen, weil das Fell ohnehin ihre Emotionen alle Augenblicke widerspiegelt und es eine dumme Zeitverschwendung wäre, wenn sie es nicht täten. Habe ich soweit recht?«


»Ja«, bestätigte die Hudlarerin. »Wenngleich die medizinischen Bibliotheksdaten für Sie diesbezüglich von mehr Nutzen gewesen wären. Hat Morredeth ihren Gesundheitszustand Ihnen gegenüber denn genauer erörtert?«


»Nein. Als ich sie danach gefragt habe, sagte sie, daß sie nicht darüber reden wolle. Ich bin natürlich neugierig gewesen, ließ das Thema aber rasch fallen, da ich es für möglich hielt, daß ihre Gebrechen peinlich für sie sein könnten und mich das Ganze sowieso nichts anging.«


»Manchmal möchte Patientin Morredeth nicht über ihre Sorgen sprechen, und dann gibt es wieder Zeiten, da will sie unbedingt darüber reden. Wenn Sie sie morgen oder übermorgen danach fragen, wird sie Ihnen wahrscheinlich in allen Einzelheiten ihren Unfall schildern und auch die sich daraus ergebenden langfristigen Folgen, die für sie zwar sehr ernst, aber nicht lebensgefährlich sind. Ich sage Ihnen das nur, da fast jeder auf der Station über Morredeths Probleme Bescheid weiß. Deshalb breche ich der Patientin gegenüber auch nicht die Schweigepflicht, wenn ich diephysischen und emotionalen Aspekte ihres Krankheitszustandes mit Ihnen bespreche.«


»Ich verstehe«, murmelte Hewlitt nachdenklich.


»Nein, das können Sie gar nicht«, widersprach die Hudlarerin, wobei sie noch näher an das Bett herantrat und im selben Verhältnis die Stimme senkte. »Aber gleich werden Sie das verstehen. Falls Sie einige der von mir verwendeten Fachbegriffe nicht kennen, was angesichts Ihrer Krankengeschichte und der Erfahrungen, die Sie während Ihrer vorangegangenen Klinikaufenthalte gesammelt haben, unwahrscheinlich ist, dann unterbrechen Sie mich bitte, damit ich Ihnen eine für Laien verständliche Erklärung geben kann. Soll ich anfangen?«


Während Hewlitt den wuchtigen Körper der Schwester musterte, der auf den sechs Tentakeln ausbalanciert wurde, fragte er sich, ob es überhaupt irgendeine intelligente Spezies im All gab, die es – ganz unabhängig von ihrer Größe, Gestalt oder Anzahl der Gliedmaßen - nicht genoß, ein nettes Schwätzchen zu halten.


Da er sich jedoch daran erinnerte, was ihm ein paar unüberlegte Worte für Probleme mit Morredeth eingebracht hatten, stellte er diese Frage lieber nicht laut.


»Das Wichtigste, was Sie über die Anatomie der Kelgianer wissen sollten, ist, daß die DBLF-Klassifikation mit Ausnahme des dünnwandigen Schädelgehäuses, in dem sich das Gehirn befindet, kein Knochengerüst besitzt«, fuhr die hudlarische Schwester in demselben Ton fort, den Chefarzt Medalont bei seinen Auszubildenden anzuschlagen pflegte. »Der kelgianische Körper wird von einem aus Muskelbändern bestehenden äußeren Zylinder zusammengehalten. Abgesehen davon, daß er die Fortbewegung unterstützt, dient er auch als Schutz für die lebenswichtigen Organe. Für Wesen wie uns, deren Körper großzügig durch ein Knochengerüst verstärkt werden, scheint dieser Schutz bei weitem nicht ausreichend zu sein. Im Fall einer Verletzung ist das komplexe und äußerst anfällige Kreislaufsystem ein schwerwiegender Nachteil. Die gewaltigen Muskelstränge, die den ganzen Körper umschließen, werden durchBlutgefäße versorgt, die wie die Nervenverbindungen, die das bewegliche Fell kontrollieren, direkt unter der Haut entlangführen. Das dicke Fell bietet zwar etwas Schutz, jedoch nicht gegen solch tiefe Fleisch- und Rißwunden wie sie sich Patientin Morredeth zugezogen hat, als sie bei einer Weltraumkollision gegen ein Hindernis aus unebenem Metall geschleudert wurde …«


Wie die Schwester weiterhin ausführte, konnte eine Verletzung, die bei den meisten anderen Spezies nur oberflächlich gewesen wäre, bei Kelgianern bereits innerhalb weniger Minuten zum Verbluten führen.


Das blutgerinnungsfördernde Mittel, das gleich nach dem Unfall verabreicht worden war, hatte die Blutung unter Kontrolle gebracht und somit Morredeth das Leben gerettet, wenngleich zu einem hohen Preis. Auf dem Ambulanzschiff und später im Krankenhaus waren die wichtigsten verletzten Blutgefäße operiert worden, aber selbst das auf DBLF-Mikrochirurgie spezialisierte Ärzteteam des Orbit Hospitals war nicht in der Lage gewesen, die Kapillargefäße und die Nervenbahnen des vernichteten oder beschädigten Fells zu retten. Infolgedessen würde Morredeths wunderschönes Fell, das zum einen für das Tastgefühl wichtig war und zum anderen während der Liebeswerbung und der Vorbereitung auf die Paarung eine ästhetisch bedeutende Rolle spielte, an der betroffenen Stelle nie wieder richtig nachwachsen. Sollte es das wider Erwarten doch tun, wäre das Fell steif, vergilbt und leblos und deshalb optisch für ein anderes kelgianisches Wesen – egal, ob nun männlich oder weiblich – schrecklich abstoßend.


Zwar wäre es möglich gewesen, den beschädigten Bereich mit künstlichem Fell abzudecken, aber dem synthetischen Material würde die Beweglichkeit und der seidene Glanz des echten Pelzes fehlen, und das könnte man auf den ersten Blick erkennen. Kelgianerinnen in Morredeths Situation waren normalerweise viel zu stolz, um mit solch einer Pelzimitation gesehen zu werden, und deshalb entschieden sie sich, lieber in der Einsamkeit oder nur mit einem Minimum an sozialem Kontakt zu leben und zu arbeiten.»… insbesondere die männlichen Kelgianer, die dem Klinikpersonal angehören, haben mir schon des öfteren erzählt, Morredeth sei eine besonders gutaussehende junge Frau oder, besser gesagt, sei es mal gewesen«, fuhr die Hudlarerin fort. »Auf jeden Fall habe sie nun keine Hoffnung mehr, sich zu paaren und ein normales Leben zu führen. Deshalb hat sie gegenwärtig auch eher ein emotionales als ein medizinisches Problem.«


»Und ich Trottel mußte ihr ausgerechnet von dem schönen Fell meiner Katze erzählen!« stöhnte Hewlitt, dem vor Verlegenheit ganz heiß geworden war. »Es wundert mich nur, daß Morredeth mir keine runtergehauen hat. Gibt es denn wirklich nichts mehr, was man für Sie tun kann? Meinen Sie, daß ich mich bei ihr entschuldigen sollte, oder würde das die ganze Angelegenheit nur noch verschlimmern?«


»Nur wenige Tage nach Ihrer Einlieferung hier ins Hospital scheinen Sie sich ja bereits mit Horrantor, Bowab und Morredeth mehr oder weniger angefreundet zu haben«, stellte die Hudlarerin fest, ohne auf seine Frage einzugehen. »Die erste Zeit haben Sie noch Symptome einer schwerwiegenden Xenophobie gezeigt, die aber kurz darauf verschwunden sind. Falls es sich dabei um eine ehrliche Reaktion auf Ihre erste freundschaftliche Kontaktaufnahme mit einer Gruppe Aliens handelt und nicht nur um ein aus Höflichkeit heraus gespieltes Theater, um sich auf diese Weise leichter mit einer nervenaufreibenden Situation abzufinden, an der Sie sowieso nichts ändern können, dann bin ich von Ihrer Anpassungsfähigkeit sehr beeindruckt. Dennoch finde ich Ihr Verhalten, das Sie seit kurzem an den Tag legen, ziemlich verwunderlich.«


»Ich spiele doch kein Theater!« protestierte Hewlitt sofort. »Und schon gar nicht aus irgendeiner falsch verstandenen Höflichkeit heraus. Höchstwahrscheinlich liegt es daran, daß ich der einzige gesunde Patient auf dieser Station und entsprechend gelangweilt und neugierig bin. Außerdem sind Sie es selbst gewesen, die mir von Anfang an geraten hat, ich solle versuchen, mich mit den anderen Patienten zu unterhalten. Sämtliche Aliens sahen und sehen für mich noch immer so aus, als würde ich selbst imWachzustand noch unter Alpträumen leiden. Trotzdem wollte ich diese Aliens aus einem für mich unerfindlichen Grund unbedingt kennenlernen, was mich übrigens genauso wundert wie Sie.«


Die Sprechmembran der Schwester vibrierte leicht, doch zu langsam, um irgendwelche Wörter zu formulieren, und Hewlitt fragte sich, ob es sich dabei um die hudlarische Variante eines unentschlossenen Stotterns handelte. Schließlich sagte sie: »Um Ihre frühere Frage zu beantworten: Es gibt nichts, was man noch anderes für Morredeth tun könnte, als ihre Verbände zu wechseln, wodurch die Wunde zwar heilen wird, ohne jedoch die Schäden an dem unter der Haut liegenden Nervengeflecht beheben zu können. Außerdem muß die nichtmedizinische Behandlung fortgeführt werden, die von Chefarzt Medalont auf den Vorschlag von Padre Lioren hin verordnet wurde, der die Patientin bis jetzt jeden Tag besucht hat. Heute ist er auf der Station gewesen, ist aber im Personalraum geblieben, um von dort aus der Unterhaltung zuzuhören, die durch Ihre Sensorenmeßgeräte übertragen wurde, bevor er…«


»Er hat einfach unser Privatgespräch belauscht?« empörte sich Hewlitt. »Das… das kann er doch nicht machen! Ich wußte gar nicht, daß mein Meßgerät auch dazu benutzt werden kann. Ich… wir haben vielleicht etwas gesagt, was andere nicht hören sollten.«


»Und ob Sie das getan haben«, bestätigte die Schwester, »aber Leethveeschi ist daran gewöhnt, abfällige Bemerkungen über sich zu hören. Für den Fall, daß Sie als Patient das Gefühl haben, mit Ihnen könnte etwas nicht stimmen, ist Ihr Meßgerät in der Lage, auch nur sehr leise ausgesprochene Wörter zu übertragen, bevor es tatsächlich reagiert und von sich aus Alarm schlägt. Jedenfalls vertrat Lioren die Auffassung, daß das Scremmanspiel mit einem neuen und unerfahrenen Spieler die Patientin wahrscheinlich besser von ihren Sorgen und Nöten ablenke als alles andere, was er in jenem Moment hätte sagen oder tun können, und daß er Morredeth morgen wieder besuchen wolle.«


Bevor Hewlitt etwas erwidern konnte, fuhr die Hudlarerin fort: »Morredeths nichtmedizinische Behandlung umfaßt auch, die Dosis für dieRuhigstellung während der Nacht zu verringern, die bisher sehr hoch gewesen ist, damit sie, wenn sie allein ist, mehr Zeit hat, sich mit ihren Gedanken auseinanderzusetzen. Medalont und Lioren hoffen, daß sie auf diese Weise ihre Probleme verarbeiten kann. Wie Ihnen vielleicht schon aufgefallen ist, läßt sie sich tagsüber keine Zeit zum Nachdenken. Ich bin angewiesen worden, von heute abend an höchstens noch ein paar Worte mit ihr zu wechseln, es sei denn, wichtige medizinische Gründe sprechen dagegen. Ihr Terrestrier habt so eine Redensart, laut der man in jemandes eigenem Interesse auch mal unbarmherzig sein müsse, aber nach meinem Dafürhalten sollte ein Arzt niemals unbarmherzig sein, und erst recht nicht dann, wenn das Leiden einer Patientin bereits dadurch gemildert werden kann, indem man sie in ein freundschaftlich geführtes Gespräch verwickelt. Deshalb bin ich mit dieser Behandlungsform auch nicht einverstanden.«


Erneut zuckte die Sprechmembran der Schwester lautlos. Hewlitt legte schnell eine Hand auf das Meßgerät, in der Hoffnung, den Ton des Schallsensors so abzudecken, daß kein weiteres Wort ihrer rebellischen Gefühle bis zu jemandem durchdringen könnte, der sich dieses Gespräch möglicherweise später würde anhören wollen.


»Vorhin haben Sie mich gefragt, wie Sie sich nach Ihrem unsensiblen Verhalten gegenüber Morredeth am besten verhalten sollen«, beendete die Schwester ihre Ausführungen, während Sie sich bereits zum Gehen wandte. »Wenn Sie sehen, daß die Patientin ununterbrochen wach ist, und das wird sie demnächst sein, dann würde es nicht schaden, sich bei ihr zu entschuldigen und sich mit ihr zu unterhalten.«


Hewlitt beobachtete, wie die Schwester trotz ihres ungeheuren Körpergewichts vollkommen lautlos durch die Station ging, und dachte, daß diese riesige, klotzige Kreatur mit einer Haut wie biegsames Metall offenbar ein sehr weiches Herz hatte. Er mußte kein Empath sein, um zu wissen, was die Hudlarerin von ihm erwartete.


Aus psychologischen Gründen, die sie als falsch empfand, war es der Schwester von ihrem Vorgesetzten verboten worden, Morredeth in ausgedehnte Gespräche zu verwickeln. Ohne diese Anweisungentatsächlich zu mißachten, hatte sie nun dafür gesorgt, daß diese Aufgabe von jemand anderem erledigt wurde.


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