Anhang 3: Geschichtliche Aufzeichnungen / Memoranden der Arameri-Familie/Band 1; aus der Sammlung Dekarta Arameris

(übersetzt von Schreiber Aram Vernm, im Jahre 724 des Zeitalters der Helligkeit. Möge Er für immer auf uns scheinen. ACHTUNG: enthält ketzerische Verweise, die mit »KV« gekennzeichnet sind. Verwendet mit der Genehmigung der Litaria.)

»Man kennt mich als Aetr, Tochter der Shahar — sie, die nun tot ist. Dies ist ein Bericht über ihren Tod, für die Geschichtsschreibung und um mein Herz zu erleichtern.

Wir wussten nicht, dass es Schwierigkeiten gab. Meine Mutter war eine Frau, die ihre Meinung für sich behielt. Das war für jede Priesterin eine Notwendigkeit, am meisten natürlich für unser hellstes Licht. Aber Hohepriesterin Shahar — ich werde sie so nennen und nicht Mutter, da sie für mich eher das Erstere war — war immer etwas seltsam.

Die älteren Brüder und Schwestern erzählen mir, dass sie dem Vater des Tages (KV) einmal als Kind begegnet ist. Sie wurde bei den Stammeslosen geboren, den Geächteten, die keinem Gott und keinem Gesetz folgen. Ihre Mutter tat sich mit einem Mann zusammen, der sowohl Mutter als auch Kind als seinen Besitz betrachtete und sie dementsprechend behandelte. Nachdem er sie wieder einmal misshandelt hatte, floh Shahar zu einem alten

Tempel der Drei (KV), wo sie um Erleuchtung betete. Der Vater des Tages erschien ihr und gab ihr Erleuchtung in Form eines Messers. Sie benutzte es gegen ihren Stiefvater, als er schlief, und entfernte diese Finsternis ein für alle Mal aus ihrem Leben.

Ich sage das nicht, um ihr Andenken zu entweihen, sondern um es zu erhellen: Das war die Art Licht, die Shahar schätzte. Schroff, gleißend, nichts verbergend. Es wundert mich nicht, warum Unser Herr sie so schätzte; sie war Ihm sehr ähnlich — schnell darin, zu entscheiden, wer ihrer Liebe wert war und wer nicht (KV).

Ich denke, das ist der Grund, warum Er ihr an dem schrecklichen Tag, an dem alles begann, schwächer zu werden und zu sterben, noch einmal erschien. Er tauchte einfach mitten im Sonnenaufgangsgruß auf und gab ihr etwas, das in einer weißen Kristallkugel versiegelt war. Wir wussten damals nicht, dass es sich hier um das letzte Fleisch von Lady Enefa (KV) handelte, die nun ebenfalls ins Zwielicht gegangen war. Wir wussten nur, dass die Macht dieses Kristalls die Schwächung in Grenzen hielt — allerdings nur innerhalb unserer Tempelmauern. Außerhalb davon waren die Straßen übersät mit Menschen, die nach Luft rangen, die Felder mit verdorbenen Ernten und die Weiden mit verendetem Vieh.

Wir retteten so viele, wie wir konnten. Flamme der Sonne, ich wünschte, es wären mehr gewesen.

Und wir beteten. Das war Shahars Befehl, und wir waren verängstigt genug, dass wir gehorchten, obwohl dies bedeutete, dass wir drei Tage lang auf den Knien lagen, weinten, bettelten und an der Hoffnung festhielten, dass Unser Herr den Konflikt, der die Welt entzweiriss, für sich entscheiden würde. Wir wechselten uns alle ab, geweihte Ordinaten, Akolythen, Ordensbewahrer und gemeines Volk. Wir schoben die erschöpften Körper unserer Kameraden beiseite, wenn sie vor Schwäche zusammenbrachen, damit wir an ihrer Stelle weiterbeten können. Wenn wir zwischendurch wagten, nach draußen zu schauen, sahen wir Albtraumhaftes. Kichernde schwarze katzenähnliche Gestalten, monströse Kinder jagten sich durch die Straßen. Rote Flammensäulen, breit wie Gebirge, fielen in der Ferne nieder — wir sahen, wie die ganze Stadt Dix in Flammen gesetzt wurde. Wir sahen die glänzenden Körper der Gotteskinder vom Himmel fallen. Sie schrien und lösten sich in Luft auf, bevor sie auf dem Boden aufschlagen konnten.

Während all dem blieb meine Mutter in ihrem Turmzimmer und starrte unverwandt auf den Albtraumhimmel. Als ich nach ihr schaute — viele von uns hatten begonnen, sich aus Verzweiflung selbst zu töten —, fand ich sie im Schneidersitz auf dem Boden sitzend, und die weiße Kugel lag in ihrem Schoß. Sie wurde alt, und diese Position muss ihr Schmerzen bereitet haben. Aber sie sagte, dass sie wartete, und als ich sie fragte, worauf, lächelte sie mir kalt und weiß zu.

›Darauf, dass der richtige Moment zuschlägt‹, sagte sie.

Da wusste ich, dass sie sterben wollte. Aber was konnte ich tun? Ich bin nur eine Priesterin, und sie war meine Oberin. Familie bedeutete ihr nichts. Es ist der Brauch unseres Ordens, zu heiraten und Kinder nach den Gebräuchen der Helligkeit aufzuziehen, aber meine Mutter erklärte, dass der einzige Ehemann, den sie akzeptieren würde, Unser Herr wäre. Sie ließ sich von irgendeinem Priester ein Kind machen, nur um die Älteren bei Laune zu halten. Das Ergebnis waren mein Zwillingsbruder und ich. Sie hat uns nie geliebt. Ich sage das ohne Verbitterung, ich hatte dreißig Jahre, um mich damit abzufinden. Aber deshalb wusste ich, dass meine Worte auf taube Ohren fallen würden, als ich versuchte, sie von ihrer Absicht abzubringen.

Stattdessen schloss ich die Tür und kehrte zu meinen Gebeten zurück. Am nächsten Morgen gab es einen fürchterlichen Donnerschlag und eine Druckwelle, die die Steine des Tempels des Tageslichts auseinanderzureißen schien. Als wir uns wieder hochrappelten, staunten wir, dass wir noch lebten. Meine Mutter jedoch war tot.

Ich war diejenige, die sie fand. Ich und der Vater des Tages, der an ihrer Seite war, als ich die Tür öffnete.

Ich fiel natürlich auf die Knie und murmelte, dass ich durch Seine Gegenwart geehrt sei. Aber in Wahrheit? Ich hatte nur Augen für meine Mutter, die ausgestreckt dort auf dem Boden lag, wo ich sie zuletzt gesehen hatte. Die weiße Kugel lag zerschmettert neben ihr, und in ihren Händen befand sich etwas grau Schimmerndes. In den Augen von Lord Itempas stand Trauer, als Er das Gesicht meiner Mutter berührte, um ihre Augen zu schließen. Ich war froh, diese Traurigkeit zu sehen, weil es bedeutete, dass der größte Wunsch meiner Mutter in Erfüllung gegangen war: ihrem Herrn Freude zu bereiten.

›Meine einzig Wahre‹, sagte Er. ›Alle anderen haben mich verraten, außer dir.«

Erst später erfuhr ich, was Er damit meinte — dass Lady Enefa (KV) und Lord Nahadoth (KV) sich gemeinsam mit Hunderten ihrer unsterblichen Kinder gegen Ihn gewandt hatten. Erst später brachte Lord Itempas mir Seine Kriegsgefangenen, gefallene Götter in unsichtbaren Ketten, und befahl mir, sie so einzusetzen, dass sie die Welt wieder richteten. Das war zu viel für Bentr, meinen Bruder. In der Nacht fanden wir ihn im Zisternenraum. Er hatte sich die Pulsadern in einem Fass mit Waschwasser aufgeschlitzt. Jetzt konnte nur noch ich Zeugnis ablegen — und später die Bürde tragen. Nur ich hatte das Recht zu weinen, denn selbst wenn ein Gott meiner Mutter die Ehre erwies, was half es? Sie war immer noch tot.

Und so schied die Hohepriesterin der Helligkeit, Shahar Ara- meri, dahin.

Für dich, Mutter. Ich werde weiterleben, ich werde die Befehle Unseres Herrn befolgen, ich werde die Welt wiederherstellen

Ich werde einen Ehemann finden, der stark genug ist, mit mir die Bürde zu schultern, und ich werde meine Kinder erziehen, damit sie genauso hart, kalt und unbarmherzig werden wie du. Das ist das Vermächtnis, das du wolltest, nicht wahr? Im Namen Unseres Herrn, so wird es sein.

Die Götter mögen uns allen beistehen.«

Загрузка...