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Der Parasit befand sich noch immer in dem hohlen Baumstamm. Er hatte sich noch nicht wieder an einen anderen Ort bringen lassen, seitdem der Hund ihn am Tag zuvor dort abgelegt hatte, bevor er sich von dem Auto hatte überfahren lassen.

Seither hatte er nur von einem Wirt Besitz ergriffen, um selbst einige Erkundungen anzustellen. Er wollte sich vor allem einen besseren Überblick über die Umgebung verschaffen, denn der in Tommys Gedächtnis genügte für seine Zwecke nicht. Am besten wäre ein Blick aus der Vogelschau. Deshalb hatte er kurz vor Morgengrauen von einer Krähe Besitz ergriffen, die in dem Baum über ihm schlief.

Zunächst stellte sich allerdings heraus, daß der Vogel nachts fast blind war, so daß der Parasit bis nach Sonnenaufgang warten mußte, bevor er die Krähe losfliegen lassen konnte. Zunächst entlang der Straße, wobei er das Gesehene mit dem in Verbindung brachte, was er aus Tommys Gedächtnis wußte. Am Ende der Straße stand ein älteres Haus, das nach Tommys Meinung leer stand – aber er hatte sich geirrt, denn im Hof parkte ein Kombiwagen.

Dann war die Krähe in Richtung Bartlesville geflogen, bis der Parasit ihr am Rande der Stadt eine kurze Pause gönnte. Als der Vogel sich ausgeruht hatte, dirigierte er ihn über die Stadt und sah nun mit ihren Augen, was er bereits von Tommy wußte.

Ein kleiner Laden, in dem Radio- und Fernsehgeräte repariert wurden, interessierte ihn am meisten. Der Besitzer mußte jedenfalls einige Grundkenntnisse auf dem Gebiet der Elektronik besitzen, was ihn als Wirt geeignet erscheinen ließ – wenigstens für kurze Zeit. Aber Tommy hatte weder den Namen des Mannes gekannt noch gewußt, wo er wohnte, sondern nur, daß er nicht im Geschäft schlief. Der Parasit rechnete damit, daß er lange brauchen würde, um sich darüber Klarheit zu verschaffen.

Als er genügend gesehen hatte, brachte er die Krähe dazu, sich aus großer Höhe wie ein Stein auf die Straße fallen zu lassen, denn er sah es als Zeitverschwendung an, sie erst in den Wald zurückfliegen zu lassen. Und Sekunden später befand er sich wieder in einem eigenen Körper in dem hohlen Baumstamm.

Dort war er seitdem geblieben, aber er war nicht müßig gewesen. Sein zweites Versteck lag durch einen glücklichen Zufall außerordentlich günstig, denn in unmittelbarer Nähe verliefen einige Wildwechsel. Dadurch konnte er verschiedene wildlebende Tierarten untersuchen, als sie nichtsahnend an ihm vorbeiliefen. Dazu gehörten nicht nur eine Wildkatze und mehrere Stinktiere, sondern auch zwei Hirsche und ein Bär. Auch einige Vögel, einschließlich der zwei Arten, die er bereits kannte – eine Eule und ein Habicht, die beide groß genug waren, um ihn im Notfall transportieren zu können. Von jetzt ab hatte der Parasit also bei Tag und Nacht die Möglichkeit, sich durch die Luft befördern zu lassen. Nun konnte er von jedem dieser Tiere Besitz ergreifen, falls ein Exemplar der gewünschten Gattung im Umkreis von fünfzehn Kilometern schlief.

So war die Zeit bis zum Nachmittag vergangen, als ein Ereignis eintrat, das ihm zeigte, daß er bald wieder die Initiative ergreifen mußte.

Er begann hungrig zu werden. Genauer gesagt, fühlte er das Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme, da er nicht im eigentlichen Sinn aß. Seit seiner Verbannung aus seiner Heimat war die Zeit so rasch verstrichen, daß er sich nicht mehr bewußt war, wie lange es schon her war, daß er zuletzt Nahrung aufgenommen hatte. Nachdem er das nur in Abständen von mehreren Monaten tun mußte, hatte er angenommen, daß er genügend Zeit haben würde, sich mit den Bedingungen auf der Erde vertraut zu machen, bevor er sich mit diesem Problem beschäftigen mußte. Offenbar hatte er die zur Verfügung stehende Zeitspanne jedoch überschätzt.

Seine Rasse hatte Jahrmillionen lang im Wasser gelebt und sich dadurch ernährt, daß sie die dort vorkommenden Mikroorganismen absorbierten; deshalb hatten sich auch nie Verdauungsorgane bei ihnen entwickelt. Als sie im Lauf der natürlichen Evolution Schutzpanzer erhielten, waren diese Panzer trotz zunehmender Stärke stets durchlässig genug gewesen, um weiterhin diese Art von Nahrungsaufnahme zuzulassen.

Erst später, als ihre Intelligenz sich sprunghaft entwickelte, bildete sich in ihnen auch die Fähigkeit aus, von anderen Lebewesen Besitz zu ergreifen und sie zu kontrollieren. Daraufhin hatten einige sich Wirte gesucht, die auf dem trockenen Land lebten, denn diese Tiere waren besser geeignet als alle, die im Wasser zu finden waren. Sie hatten Hände – tatsächlich wiesen sie eine gewisse Ähnlichkeit mit unseren Menschenaffen auf – und konnten mit intelligenter Anleitung unendlich viele Dinge tun.

Nachdem einmal geeignete Wirte gefunden waren, hatten die Parasiten eine Zivilisation und eine Wissenschaft entwickelt. Zunächst mußten sie allerdings noch die meiste Zeit im Wasser bleiben und von dort aus ihre Wirte kontrollieren. Aber später entdeckten sie ein Verfahren, das ihnen gestattete, so lange wie gewünscht auf dem trockenen Land zu leben – sie mußten nur dafür sorgen, daß der jeweilige Wirt sie von Zeit zu Zeit etwa eine Stunde lang in eine Nährlösung legte. Dabei stellte sich heraus, daß diese Art der Nahrungsaufnahme der alten bei weitem vorzuziehen war, denn sie war nur in größeren Zeitabständen nötig und funktionierte zudem erheblich rascher.

Aber trotzdem hatte auch diese Methode einen entscheidenden Nachteil, denn als die Parasiten sich über Jahrtausende hinweg nur auf diese Weise ernährt hatten, verloren sie allmählich völlig die Fähigkeit zur Nahrungsaufnahme aus dem Wasser. Sie befanden sich also etwa in der gleichen Lage wie ein Mensch, der jahrelang durch intravenöse Infektionen ernährt worden ist, so daß er schließlich nicht mehr wie früher essen kann, weil seine Verdauungsorgane vollständig verkümmert sind.

Der Parasit hätte sich an Ort und Stelle füttern lassen können, indem er von Tieren Besitz ergriff; das hätte er auch tun müssen, wenn er hier keine intelligenten Lebewesen vorgefunden hätte. Aber er wußte, daß diese Methode schwierig und zeitraubend war, weil er mehrere Wirte nacheinander benutzen mußte, die jeweils eine bestimmte Aufgabe zu übernehmen hatten.

Ein menschlicher Wirt, der in einer Küche arbeitete, in der die üblichen Vorräte zur Verfügung standen, konnte die erforderliche Nährlösung rasch herstellen. Die Bestandteile spielten keine entscheidende Rolle, solange die Lösung nur genügend Proteine enthielt; der Körper des Parasiten nahm ohnehin nur die Stoffe auf, die er brauchte, und der Geschmack war nicht entscheidend, weil er keinen Geschmackssinn besaß. Suppenwürfel, Fleischbrühe oder eine dicke Soße wären hervorragend geeignet. Im Notfall genügte selbst Milch, obwohl er davon wesentlich größere Mengen benötigte.

Als er festgestellt hatte, daß er in nächster Zeit wieder Nahrung aufnehmen mußte, entschloß er sich, diese Aufgabe sofort in Angriff zu nehmen. Nur so konnte er sich für die kommenden Monate von dieser Sorge befreien, selbst wenn er dadurch früher als geplant von einem Menschen Besitz ergreifen mußte.

Er überlegte, welcher Wirt für diesen Zweck am besten geeignet sei. Ideal wäre jemand, der allein lebte und sich nicht auf Erklärungen einlassen mußte, falls er dabei überrascht wurde, wie er mitten in der Nacht in der Küche arbeitete. Aber der einzige Mensch, von dem der Parasit wußte, daß er allein lebte, war Gus Hoffmann, Tommys Vater, und bis zu seiner Farm war es mindestens zweimal so weit wie zu der nächstgelegenen. Jeder zusätzliche Kilometer, über den er sich befördern lassen mußte, vergrößerte das Risiko erheblich. Die nächste Farm gehörte einem alten Ehepaar – Siegfried und Elsa Gross –, das dort ziemlich abgeschieden lebte. Siegfried gab in dem Haus den Ton an, so daß zu erwarten war, daß seine Frau folgsam ins Bett zurückgehen würde, falls er es ihr befahl, wenn sie ihn in der Küche überraschte.

Selbstverständlich war es besser, wenn sie überhaupt nicht aufwachte. Falls Gross während der kurzen Zeit als Wirt durch seine Tätigkeit unnötiges Aufsehen erregen mußte, gefährdete dies allerdings seine Brauchbarkeit für die Zukunft – aber dieses Problem ließ sich ja leicht lösen ...

Am besten ließ er sich von einer Eule befördern, nachdem sein Plan sich nur nachts durchführen ließ. Zuvor mußte er allerdings eine testen, um festzustellen, ob sie ihn auch wirklich tragen konnte. Falls sie sich als ungeeignet erweisen sollte, mußte er auf einen Habicht zurückgreifen und nicht nur feststellen, ob dieser Vogel ihn tragen konnte, sondern sich auch davon überzeugen, daß er nachts einigermaßen sah. Er durfte nicht riskieren, daß der Habicht gegen ein Hindernis flog, während er ihn zu befördern hatte.

Unmittelbar vor Einbruch der Dunkelheit, als er annehmen konnte, daß die Nachtvögel noch schliefen, konzentrierte er sich auf eine Eule und hatte schon wenige Sekunden später von ihr Besitz ergriffen. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß es sich tatsächlich um eine Eule handelte, ließ er sie wieder einschlafen, damit sie voll ausgeruht war, wenn sie ihre Aufgabe erfüllen sollte. Nach etwa zwei Stunden, als tiefe Dunkelheit herrschte, weckte er sie auf und ließ sie einige Zeit fliegen, um festzustellen, wie wendig sie war. Bei der Krähe, die er zur Erkundung benutzt hatte, war dies nebensächlich gewesen, aber die Eule sollte ihn tragen und dabei so dicht wie irgendmöglich über dem Boden bleiben. Er berücksichtigte die Schwerkraft dieses Planeten – etwa das Vierfache der auf seinem Heimatplaneten auftretenden – und schätzte, daß ein Fall aus zwei Meter Höhe noch ungefährlich sei. Auch vier Meter waren auszuhalten, wenn er ins Gras oder auf weichen Boden fiel. Aber er hatte keinerlei Aussichten, einen Fall aus Höhen über zehn Meter zu überleben, außer er landete ausgerechnet in dichtem Gebüsch.

Als er sich von der Manövrierbarkeit der Eule überzeugt hatte, gebrauchte er ihre Augen, um einen Stein zu finden, der die passende Größe hatte. Er wog vermutlich sogar um die Hälfte mehr und entsprach in seiner Form dem Körper des Parasiten, den die Eule transportieren sollte. Er ließ die Eule den Stein mit den Krallen umfassen und damit aufsteigen; der Start erwies sich als schwierig, aber nachdem er gelungen war, flog der Vogel ohne Mühe mit seiner Last. Der Parasit ließ die Eule noch eine Weile mit dem Stein umherfliegen, um sie an das zusätzliche Gewicht zu gewöhnen, bevor er sie zu dem hohlen Baumstamm dirigierte.

Dort ergab sich eine Schwierigkeit, die er nicht vorausgesehen hatte, als er seinen Körper von der Eule aus dem Stamm holen lassen wollte; die Beine des Vogels waren zu kurz, so daß seine Krallen den Parasiten nicht erreichten. Der Parasit überlegte bereits, ob es nicht besser wäre, wenn er für diese Aufgabe den Wirt wechselte – vielleicht konnte ein Kaninchen ihn eher aus seinem Versteck holen, wenn es vom anderen Ende her durch den hohlen Baumstamm kroch. Aber schließlich gelang es der Eule doch mit einer letzten verzweifelten Anstrengung, den Körper des Parasiten herauszuziehen.

Der Flug dauerte länger, als er es erwartet hatte; der Vogel konnte zwar ohne weiteres mit ihm fliegen – aber nicht ununterbrochen über längere Strecken hinweg. Deshalb mußte er der Eule häufig Ruhepausen gewähren und zulassen, daß sie ihn absetzte, wenn ihre Flügelmuskeln ermüdeten. Das tat er allerdings nicht aus Besorgnis um die Eule – er war nicht absichtlich grausam, besaß aber keinerlei Mitgefühl für Lebewesen, die nicht Angehörige seiner eigenen Rasse waren –, sondern nur aus Besorgnis um seine eigene Sicherheit. Er erreichte die Gross-Farm kurz vor Mitternacht.

Er ließ sich von der Eule im Gras zwischen der Straße und dem Gartenzaun absetzen, bevor sie selbst mehrere Male um das Haus flog, um ein geeignetes Versteck für ihn zu finden. Auf der Farm gab es anscheinend keinen Wachhund, was eine Schwierigkeit weniger bedeutete. Und das beste Versteck – jedenfalls für den Augenblick – lag unter der Holztreppe vor der Hintertür. Dieser Platz bot zudem den Vorteil, daß er in der Nähe des Stalls lag, so daß der Parasit zunächst die dort untergebrachten Tiere untersuchen konnte, bevor er wieder von einem Menschen Besitz ergriff. Wenn man von dem Hund absah, dann hatte er bisher nur wildlebende Tiere als Wirte benutzt; aber zur Verwirklichung seiner Pläne konnte es ganz nützlich sein, wenn auch einige Haustiere dazu gehörten. Der Hund hatte sich bereits recht gut bewährt. Schließlich war dabei nichts zu verlieren als ein bißchen Zeit, auf die es dabei wirklich nicht ankam.

Er ließ die Eule zu sich zurückkehren und veranlaßte, daß sie seinen Körper bis an die Treppe schaffte. Dann schob sie ihn so weit wie möglich in den Hohlraum unter die Stufen, bis er schließlich kaum noch sichtbar war.

Damit hatte der Vogel seinen Zweck erfüllt, deshalb ließ er ihn hoch in die Luft kreisen und dann fast senkrecht nach unten stürzen, so daß er gegen die Mauer des Farmhauses prallen mußte, die vermutlich härter als der Erdboden war. Er wußte, daß der Aufprall wahrscheinlich die beiden alten Leute aufwecken würde, aber das spielte keine Rolle; sie würden nach einiger Zeit wieder einschlafen, und während er darauf wartete, konnte er die Tiere im Stall genau untersuchen.

Während der letzten Sekunde des Sturzflugs der Eule trat ein unvorhergesehenes Ereignis ein. Der Vogel schloß unwillkürlich die Augen, als er bemerkte, daß er geradewegs auf eine Mauer zuflog. Der Parasit hätte diese Reaktion verhindern können, denn auch die Krähe hatte vor dem Aufprall die Augen geschlossen. Nur hatte er es damals kaum bemerkt weil es keine große Rolle spielte. Aber hier wirkte es sich doch entscheidend aus, denn die Eule, die in der letzten Sekunde blind flog, durchschlug die Scheibe eines Fensters im ersten Stock, anstatt gegen die Mauer des Hauses zu prallen.

Jetzt lag sie im Innern des Hauses, noch immer lebendig aber leicht betäubt und mit einem gebrochenen Flügel. Im Nebenraum wurde ein Schalter betätigt, dann öffnete sich die Tür und ließ einen breiten Lichtstrahl herein, der die Eule fast blendete – aber nicht völlig. Siegfried und Elsa Gross – beide in langen Nachthemden – standen in der Tür und starrten den Vogel an.

»Eine Eule«, sagte Gross überrascht. »Das Biest ist durch das Fenster hereingeflogen. Warte hier, Elsa, ich hole gleich meine Flinte und ...«

»Siegfried, warum willst du sie erschießen? Ich meine, Eulen fressen doch Mäuse und ...«

Der Vogel richtete sich mühsam auf und machte sich zum Angriff bereit, falls er die Menschen anfallen mußte, um erschossen zu werden.

Die Frau trat einen Schritt auf die Eule zu, aber der Mann hielt sie am Arm zurück. »Geh ins Bett, Elsa!« befahl er mit barscher Stimme. »Sie würde dich nur kratzen oder beißen wenn du sie aufhebst. Außerdem hat sie einen gebrochenen Flügel.«

Die beiden verschwanden, aber der Mann kam einen Augenblick später zurück und brachte einen Zimmerstutzen mit. Er legte an und zielte auf den Kopf des Vogels.

Die Eule wartete bewegungslos auf den Schuß.

Und dann befand der Parasit sich wieder in seinem eigenen Körper unter der Treppe. Aber er beobachtete die Ereignisse weiterhin – jetzt mit Hilfe seines Spürsinns, der innerhalb seiner Reichweite eine wesentlich genauere Beobachtung ermöglichte.

Gross stieß den toten Vogel mit dem Gewehrlauf an, um sicherzugehen, daß er nicht mehr lebte. Dann hob er die Eule auf und warf sie durch die zerbrochene Scheibe hinaus, bevor er in das Schlafzimmer zurückkehrte und den Stutzen neben das Bett stellte. Seine Frau lag bereits wieder im Bett, deshalb machte er das Licht aus und kroch ebenfalls unter die Decke.

»Verdammte Eule«, murmelte er dabei vor sich hin. »Muß glatt verrückt gewesen sein. Oder vielleicht blind.«

»Aber ihre Augen ...«

»Menschen oder Tiere können blind sein, obwohl ihre Augen normal aussehen. Erinnerst du dich an das Pferd, das wir vor fünf Jahren erschießen mußten, weil es völlig blind war? Seine Augen hatten sich äußerlich nicht verändert. Warum sollte das nicht auch bei einer Eule möglich sein?«

»Wahrscheinlich hast du recht. Hast du sie dort liegen gelassen?«

»Ich habe sie aus dem Fenster geworfen«, antwortete Siegfried. »Morgen früh muß ich sie noch eingraben. So ein Blödsinn, jetzt muß ich auch noch in die Stadt und eine neue Scheibe besorgen.«

»Das hat keine Eile, wenn das Wetter so bleibt«, beruhigte ihn seine Frau. »Ich werde einfach ein Stück Stoff mit Reißzwecken davor befestigen. Wenn du die Fliegengitter bereits angemacht hättest ...«

»Warum sollte ich, nachdem wir das Zimmer nie benutzen, so daß das Fenster immer geschlossen bleiben kann? Außerdem hätte das Fliegengitter die Eule auch nicht aufgehalten – ich hätte nur noch etwas mehr reparieren müssen. Hast du zufällig auf die Uhr gesehen?«

»Ja. Kurz nach Mitternacht.«

»Okay, gute Nacht.«

Dann herrschte Stille, so daß der Parasit seine Aufmerksamkeit anderen Dingen zuwenden konnte. Selbst wenn der Mann sofort einschlafen sollte, mußte er doch warten, bis die Frau wirklich fest schlief, damit sie möglichst nicht aufwachte, wenn Gross in die Küche hinunterging. Deshalb konzentrierte der Parasit sich vorläufig auf den Stall und die darin schlafenden Tiere.

An entgegengesetzten Enden des länglichen Gebäudes befanden sich ein Schweinekoben und ein mit Maschendraht begrenzter Raum, in dem einige Hühner schliefen. Der Parasit wußte, daß ein Schwein ihm kaum jemals als Wirt nützlich sein konnte, denn diese Tiere waren fast immer eingesperrt. Für Hühner galt das gleiche, und beide Arten hatten gemeinsam, daß sie kaum Selbstmord begehen konnten. Es war immer ärgerlich und gelegentlich sogar gefährlich, von einem Wirt Besitz zu ergreifen, den man später nur unter Schwierigkeiten loswerden konnte, wenn er seinen Zweck erfüllt hatte.

Außer einigen Mäusen enthielt der Stall noch drei Kühe, ein Pferd und eine Katze. Der Parasit hielt sich nicht mit der Untersuchung der Mäuse auf, mit denen bestimmt nicht mehr anzufangen war als mit den gewöhnlichen Feldmäusen, die er überall zur Verfügung hatte.

Die Kühe schienen etwas besser geeignet, deshalb nahm er sich die Zeit, eine von ihnen eingehend zu untersuchen. Zumindest verfügten sie über beträchtliche Kraft. Mit intelligenter Anleitung konnte eine Kuh bestimmt aus jedem Stall entkommen, indem sie den Riegel mit dem Horn anhob oder die Tür einfach aufsprengte. Falls das Tor sich als zu stark erweisen sollte, konnte sie sich bei dem vergeblichen Ausbruchsversuch selbst umbringen, so daß nichts verloren war. Außerdem ließ eine Kuh sich ohne weiteres in eine tödliche Angriffswaffe verwandeln, die jederzeit zur Verfügung stand, denn irgendwo ließ sich immer eine finden, die gerade auf der Weide schlief. Und die allgemein gebräuchlichen Weidezäune waren bestimmt nicht stabil genug, um eine Kuh zu behindern, wenn sie sich entschlossen dagegen warf.

Der Parasit untersuchte auch das Pferd. Es konnte sich ebenfalls als nützlich erweisen. Wahrscheinlich war es für manche Zwecke sogar besser geeignet als eine Kuh. Es konnte wesentlich schneller laufen, über niedrige Zäune hinwegsetzen und höhere durch Hufschläge aus dem Weg schaffen. Und seine Hufe waren ebenso tödlich wie die Hörner einer Kuh.

Zuletzt war die Katze an der Reihe. Während er sie untersuchte und die Ergebnisse dieser Untersuchung mit dem verglich, was er durch Tommy über Katzen erfahren hatte, stellte er fest, daß er hier für einen bestimmten Zweck einen beinahe perfekten Wirt gefunden hatte.

Sie konnte für ihn spionieren. Eine Katze konnte sich überall aufhalten, ohne dabei besonderes Aufsehen zu erregen. Sie bewegte sich schnell und fast unhörbar, sah nachts nicht viel schlechter als eine Eule und tagsüber sogar noch besser. Ihr Gehör war ausgezeichnet. Und nachdem es auf dem Weg zur Stadt Dutzende von Katzen geben mußte – ganz abgesehen von den anderen in Bartlesville selbst –, die häufig für kurze Zeit schliefen, hatte er jederzeit eine als Wirt zur Verfügung.

Da er noch genügend Zeit hatte, entschloß er sich zu einem Versuch, um festzustellen, ob sie sich wirklich in diesem Maß für seine Zwecke eignete. Er ergriff Besitz von der Katze, die im Stall schlief.

Die Katze erwachte und öffnete die Augen. Ja, sie sah nachts etwas schlechter als eine Eule, aber immer noch gut genug, um Einzelheiten in dem Raum zu erkennen, den das Mondlicht nur schwach erhellte. Der Parasit dirigierte das Tier auf ein offenstehendes Fenster zu und ließ sie hinausspringen. Draußen im Freien sah sie bereits erheblich besser.

Dann ließ er sie mehrere Male um das Haus laufen, wobei ihm auffiel, wie leise sie sich bewegte – selbst auf Kies war kaum ein Geräusch hörbar –, und stellte fest, wie schnell sie rennen konnte. Über kurze Strecken erreichte sie beachtliche Geschwindigkeiten und war schneller als ein Hund; aber wenn sie länger von einem gejagt wurde, konnte nur ein rascher Sprung auf einen Zaun oder einen Baum sie vor ihm retten.

Hinter dem Stall stand ein Baum, wo der Parasit die Kletterfähigkeit der Katze ausprobierte. Das Tier kletterte hervorragend.

Vom Wipfel des Baumes aus erkannte er, daß in dem nächsten Farmhaus noch immer Licht brannte. Eigentlich hatte er nicht die Absicht gehabt, die Katze so weit fortzuschicken und sie so lange als Wirt zu benützen, aber hier bot sich eine ausgezeichnete Gelegenheit, die Verwendbarkeit der Katze als Spion festzustellen.

Er ließ die Katze wieder zu Boden springen und über die Felder auf das andere Farmhaus zulaufen. Das Tier bewegte sich geräuschlos wie ein Schatten durch die Nacht.

Als er das Haus erreicht hatte, sah er, daß die beiden Fenster eines Zimmers im ersten Stock hell erleuchtet waren. Eines der Fenster lag etwa einen Meter über dem Dach der Veranda, das über einen in der Nähe stehenden Baum zu erreichen war. Die Katze sprang mit einem Satz vom Dach auf das breite Fensterbrett.

Ihre Augen gewöhnten sich rasch an das Licht. In der gegenüberliegenden Ecke stand ein Kinderbett, aus dem ein heiseres Husten ertönte. Eine Frau im Bademantel und Hausschuhen beugte sich über das Kind und ein Mann in einem zerknitterten Schlafanzug stand in der Tür. Aus ihrer Unterhaltung – die Katze verstand jedes Wort, obwohl die Fenster geschlossen waren – erfuhr der Parasit, daß das Kind Keuchhusten hatte. Der Mann fragte seine Frau, ob sie ohne fremde Hilfe auskommen könne oder ob er nicht doch lieber Dr. Gruen anrufen solle.

Die Vorgänge in dem Zimmer interessierten den Parasiten keineswegs, aber er wußte jetzt, daß er die Fähigkeiten der Katze richtig eingeschätzt hatte.

Wenn er nicht das Bedürfnis nach Nahrungsaufnahme empfunden hätte, wäre ihm die Katze auch weiterhin als Wirt willkommen gewesen. Mit ihrer Hilfe hätte er die übrigen Häuser zwischen hier und Bartlesville kennenlernen können; vielleicht hätte er sie sogar in die Stadt geschickt, damit sie dem Radiomechaniker abends nach Hause folgte, um zu erfahren, wo der Mann schlief. Aber zunächst galt es das Problem der Nahrungsaufnahme zu lösen. Außerdem bestand in dieser Gegend kein Mangel an Katzen, so daß er später beliebig viele zur Verfügung hatte.

Jetzt mußte er nur noch diese loswerden, nachdem er schon länger als zuerst beabsichtigt in ihr zugebracht hatte. Er ging also das Gedächtnis der Katze durch, um die schnellste und sicherste Methode zu finden, und brauchte nicht lange nach einer Antwort zu suchen.

Auf dieser Farm gab es einen sehr bissigen Hund, der in einer Ecke der großen Scheune an der Kette lag.

Er ließ die Katze wieder von dem Fensterbrett hinabspringen und über den Baum auf den Boden hinunterklettern. Dann schlich sie zu der Scheune hinüber und stellte fest, daß das Tor einen Spalt weit offenstand, so daß sie ohne weiteres hinein konnte. Der Hund begann wütend zu kläffen, als er die Katze witterte. Sie blieb einen Augenblick wartend stehen, bis ihre Augen sich an die hier herrschende Dunkelheit gewöhnt hatten. Dann rannte sie leichtfüßig auf den knurrenden Hund zu und sprang ihm mit einem Satz in die Fänge.

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