18


Doc Staunton hatte in der vergangenen Nacht nicht mehr als zwei, höchstens drei Stunden Schlaf gefunden, und als er um sieben Uhr aufwachte und sah, daß es draußen bereits hell war, stand er mißmutig auf.

Er kochte sich Kaffee und trank eine Tasse nach der anderen, während er darauf wartete, daß es spät genug war, um nach Bartlesville fahren zu können. Miß Talley und er hatten sich nach dem Abendessen noch lange unterhalten, so daß er bezweifelte, daß sie vor Mitternacht mit ihrer Schreibarbeit fertig geworden war. Deshalb wollte er sie nicht vor neun Uhr aufsuchen, vielleicht sogar erst um zehn. Dann setzte er sich aber doch schon um halb neun in das Auto und fuhr in die Stadt.

Dort hatte er eigentlich nichts zu erledigen, denn er wollte erst auf die Post gehen oder den Sheriff anrufen, nachdem er die Berichte von Miß Talley bekommen hatte. Andererseits konnte er nicht einmal ein Bier trinken, denn die kleine Bar machte erst um zehn auf. Er setzte sich in ein Restaurant und bestellte sich eine Portion Kaffee.

Um Viertel nach neun beschloß er, Miß Talley in einer Viertelstunde anzurufen, um zu hören, ob er zu ihr kommen konnte. Aber der Sheriff mußte unterdessen in seinem Büro in Wilcox anzutreffen sein; er würde ihn anrufen und einen Termin mit ihm vereinbaren.

Er rief den Sheriff an und wollte gerade einen Zeitpunkt mit ihm vereinbaren, als der andere ihn unterbrach. »Einen Augenblick, Doc. Warten Sie, bitte.« Dann folgte eine längere Pause, bis der Sheriff sich wieder meldete. »Doc, nicht heute morgen; rufen Sie doch später noch einmal an. Ich habe eben einen dringenden Funkspruch von einem Streifenwagen der Staatspolizei bekommen, daß sich auf der Straße zwischen Bartlesville und Green Bay ein Verkehrsunfall ereignet hat. Ich muß sofort an die Unfallstätte. Tut mir leid, Doc.«

Staunton hängte den Hörer auf und überlegte dabei, ob der Unfall jemand zugestoßen sein konnte, den er kannte. Wahrscheinlich nicht, dachte er, sonst hätte der Sheriff etwas davon gesagt – aber andererseits hatte der andere keine Ahnung, wen Doc kennen mochte, und war zudem in größter Eile gewesen.

Er warf noch eine Münze ein und rief das Büro des Sheriffs an. Als ein Deputy antwortete, erkundigte Doc sich nach dem Unfall, zu dem der Sheriff gerufen worden war.

Zum Glück schien der Deputy recht mitteilsam veranlagt zu sein. Bei dem Unfall war ein junger Mann namens Jim Kramer umgekommen, der irgendwo außerhalb von Bartlesville gewohnt hatte. Er war allein in einem Lieferwagen in Richtung Green Bay unterwegs gewesen und vermutlich am Steuer eingeschlafen; er war geradewegs gegen einen Brückenpfeiler geprallt und auf der Stelle tot gewesen.

Doc bedankte sich für die Auskunft und hatte bereits wieder aufgehängt, bevor ihm der Name Kramer auffiel. Die Familie Kramer lebte auf einer Farm in der Nähe von Mrs. Gross, und er erinnerte sich gehört zu haben, daß ihr Sohn – ein Junge in Tommy Hoffmanns Alter – für Mrs. Gross arbeiten sollte bis sie die Farm verkauft hatte. Und den Kramers gehörte die graue Katze, die fast eine Woche lang bei ihm gelebt hatte – bis gestern!

Und jetzt war der Junge umgekommen – unter Umständen die ohne weiteres auf Selbstmord schließen ließen. Der dritte menschliche Selbstmord – und wieder eine Verbindung zu dem freiwilligen Tod eines Tieres!

Plötzlich hatte Doc Staunton keine Angst mehr. Nein, er war jetzt ruhig und gelassen, nachdem er wußte, was er zu tun hatte – und das so schnell wie möglich, denn er hatte bereits zuviel Zeit vertan.

Dieser Sache war ein einfacher Sheriff nicht mehr gewachsen, denn damit mußten sich das FBI und Wissenschaftler befassen. Selbstverständlich würde er auch den Sheriff informieren, aber selbst die Staatspolizei war bestimmt überfordert – obwohl das FBI sie bestimmt zu Routineuntersuchungen heranziehen würde. Vielleicht war sogar die Army daran interessiert. Glücklicherweise war er durch seine Arbeit an den Satelliten mit einigen Geheimdienstoffizieren und hohen Beamten des FBI bekannt geworden, die ihn ernst genug nehmen würden, um seinen Erzählungen Glauben zu schenken – selbst wenn sie noch so unglaubwürdig klangen.

Er würde sie anrufen und alle Hebel in Bewegung setzen, nachdem er die Berichte von Miß Talley bekommen hatte. Aber zunächst mußte er etwas anderes erledigen. Er mußte die Gefahrenzone verlassen!

Doc ging zu seinem Wagen und überlegte dabei, daß er in ein Hotel nach Green Bay umziehen würde, nachdem er sein Gepäck aus dem Haus geholt hatte. Von dort aus konnte er einige Ferngespräche führen – und wenn er nur halb soviel Einfluß hatte, wie er zu haben glaubte, dann würden noch am gleichen Tag die ersten FBI-Männer und Geheimdienstagenten in Bartlesville auftauchen. In der Zwischenzeit konnte er seinen Bericht ergänzen, indem er alle Einzelheiten über Jim Kramers Tod hinzufügte. In Green Bay ließ sich bestimmt eine Stenotypistin finden, falls Miß Talley nicht sogar mitfuhr. Doc glaubte zu wissen, daß sie ihn begleiten würde.


Der Parasit gebrauchte seinen Spürsinn und stellte fest, daß Staunton nicht zu Hause war. Diese Tatsache überraschte ihn einigermaßen, denn es war erst wenige Minuten nach neun; Staunton fuhr selten so früh in die Stadt. Er schien aber auch nicht beim Angeln zu sein oder einen Morgenspaziergang zu machen, denn das Auto war mit ihm verschwunden. Trotzdem ...

Der Parasit untersuchte das Haus. Stauntons persönliches Eigentum befand sich noch dort; das Frühstücksgeschirr war nicht abgewaschen. Der Mann mußte heute aus irgendeinem Grund früher als gewöhnlich aufgewacht sein und sich bald auf den Weg in die Stadt gemacht haben, anstatt wie üblich gegen Mittag zu fahren. Kein Grund zur Besorgnis; Staunton würde zurückkommen. Und heute nacht, nachdem er eingeschlafen war ...

In der Zwischenzeit konnte es nicht schaden, wenn er sich mit dem Haus und seiner Umgebung vertraut machte, denn selbst nachdem er von Staunton Besitz ergriffen hatte, würde er noch etwa zwei Wochen hierbleiben. Wie lange dieser Aufenthalt dauern würde, hing von verschiedenen Faktoren ab. Aber er durfte jedenfalls nicht plötzlich abreisen, wenn sein Wirt ursprünglich den ganzen Sommer in dem Haus hatte leben wollen.

Dann zeigten ihm fast unmerkliche Vibrationen an, daß sich ein Auto auf der Straße näherte. Stauntons Kombiwagen, Staunton am Steuer, kein Beifahrer. Auf der Uhr in der Küche war es zehn.

Als Staunton das Haus betrat, gebrauchte der Parasit – mehr aus Neugier, als aus Interesse – seinen Spürsinn, um auch das Auto zu untersuchen. Dabei bemerkte er plötzlich, daß etwas schiefgegangen war, denn auf dem Rücksitz lag eine tote Katze in eine Decke eingewickelt. Sein vorletzter Wirt. Wie hatte Staunton das Tier gefunden? Warum hatte er es im Wagen liegen? War er der Spur bis an den Bach gefolgt? Aber das war doch unmöglich! Nein, der leichte Regen, der die Pfotenabdrücke hatte sichtbar werden lassen ... Wieder einmal hatte der Parasit sich verraten.

Aber Staunton war jetzt wieder zu Hause und würde früher oder später schlafen. Und von dann ab spielte es keine Rolle mehr, welchen Verdacht er gehegt haben mochte.

Was hatte Staunton jetzt vor? Er trug seine beiden Koffer nach oben, legte seine Anzüge zusammen und packte sein Rasierzeug ein. Er wollte abreisen – für immer, denn sonst hätte er nicht alles mitgenommen.

Aber er durfte nicht; die Abreise mußte unter allen Umständen verhindert werden!


Doc Staunton trug die Koffer zum Auto hinaus, stellte sie auf die rückwärtige Ladefläche und kehrte dann wieder in das Haus zurück. Dort machte er einen kurzen Rundgang und überzeugte sich davon, daß alle Fenster und die Tür zum Hof verschlossen waren. In der Küche stand er einen Augenblick nachdenklich vor dem Schalter, mit dem sich der Motor und der Generator im Keller ausschalten ließen. Aber dann betätigte er ihn doch nicht, weil der Kühlschrank noch Nahrungsmittel und Getränke enthielt, die bei einem späteren Besuch – zusammen mit den Männern vom FBI – verbraucht werden konnten.

Dann ging er wieder zu seinem Wagen hinaus, wobei er das Angelgerät, ein Gewehr und eine doppelläufige Schrotflinte unter dem Arm trug. Die Pistole hatte er schon vorher geladen und in die Jackentasche gesteckt.

Er hatte das Auto schon fast erreicht und wollte bereits nach dem Türgriff fassen, als er den Hirsch sah – einen prächtigen Achtender. Das Tier stand etwa zwanzig Meter von ihm entfernt an der Stelle, wo die Straße begann. Es starrte ihn an, senkte dann den Kopf und scharrte den Boden auf, als bereite es sich auf einen Angriff vor.

Staunton setzte sich rasch hinter das Steuer und ließ den Motor an. Er konnte sich vorstellen, was ihn erwartete, aber er wollte seinen Verdacht bestätigt sehen. Er mußte knapp an dem Hirsch vorbeifahren – wenn der Hirsch es ihm gestattete.

Der Hirsch hatte offensichtlich nicht die Absicht, denn er griff in dem Augenblick an, in dem das Auto sich in Bewegung setzte. Staunton bremste sofort und versuchte sogar – allerdings ohne Erfolg –, die Wucht des Aufpralls dadurch zu vermindern, daß er den Rückwärtsgang einlegte. Der Hirsch glich einem drei Zentner schweren Geschoß, als er zwischen den Scheinwerfern gegen den Kühler des Wagens prallte. Und dann lagen nur noch drei Zentner toter Hirsch auf der Straße – mit zersplittertem Geweih, gebrochenem Hals und inneren Verletzungen. Staunton hatte sich geistesgegenwärtig in letzter Sekunde über die Vordersitze geworfen, so daß er keinen Schaden davontrug, als das Auto fast einen Meter zurückgeschleudert wurde.

Er setzte sich langsam wieder auf. Der Motor war abgestorben, vermutlich durch die Rückwärtsbewegung des Wagens, während noch der erste Gang eingelegt war. Er schaltete die Zündung aus, weil er wußte, daß der Wagen mindestens einen neuen Kühler brauchte. Wahrscheinlich hatte sogar der Motorblock einen Sprung.

Selbst mit den Waffen, die er bei sich hatte, würde er bestimmt nie bis nach Bartlesville oder nur zu der nächsten Farm kommen, wo er telefonieren konnte. Das war unmöglich, denn er mußte an einigen Viehweiden vorbei, auf denen Kühe und vielleicht sogar Stiere grasten oder schliefen. Und auf der anderen Straßenseite erstreckte sich der Wald, in dem es Hirsche, Bären und Wildkatzen gab. Zudem bestand noch eine weitere Möglichkeit – was sollte er tun, wenn der Feind einen menschlichen Wirt auf ihn ansetzte? Was sollte er tun, wenn zum Beispiel Mrs. Kramer oder Mrs. Gross mit einem Gewehr bewaffnet auf der Straße auftauchten und nach ihm schossen? Zurückschießen? Natürlich hätte er nicht die wirkliche Mrs. Kramer oder Mrs. Gross vor sich – aber trotzdem würde er niemals auf eine Frau schießen können.

Zudem bestand keine Aussicht, daß er sein Ziel jemals lebend erreichte, denn sein unsichtbarer Feind – er glaubte zu wissen, daß es sich nur um einen Feind handelte – konnte immer wieder neue Angreifer gegen ihn vorschicken. Und viele Hunde waren des Hasen Tod ...

Wenigstens hatte der kalte Krieg jetzt ein Ende, überlegte er sich grimmig. Der Gegner – wer oder was er auch immer sein mochte – war offen zum Angriff übergegangen. Zumindest Staunton gegenüber hatte er anscheinend nicht mehr die Absicht, sich mit halben Maßnahmen zufriedenzugeben. Er wollte ihn hier festhalten und konnte es auch. Doc holte eine Schachtel Munition aus dem Handschuhfach des Wagens, lud die Pistole und die Schrotflinte und stopfte die restliche Munition in die Taschen.

Seltsamerweise empfand er keine Angst, sondern überlegte kaltblütig. Und das mußte er auch, wenn er in diesem Kampf bestehen wollte. Nur ein wacher Verstand konnte hier den Sieg bringen; mit Feuerwaffen ließ sich vielleicht eine Schlacht aber nie der Krieg gewinnen.

Dann war die erste Entscheidung fällig: War es sicherer, wenn er in dem Wagen blieb, anstatt sich in das Haus zurückzuziehen? Er überlegte sich, daß das Haus mindestens ebenso sicher, aber wesentlich bequemer war, falls es zu einer längeren Belagerung kommen sollte. Der Feind hatte zu erkennen gegeben, daß er ihn notfalls umbringen würde, wenn er Hilfe zu holen versuchte. Aber würde sein Gegner ihn auch dann töten wollen, wenn er den Belagerungszustand hinnahm und nicht zu fliehen versuchte?

Doc war sich nicht völlig sicher, aber immerhin gab es eine Art Beweis dafür, daß der Feind ihn nur an der Flucht hindern wollte. Staunton hatte den Hirsch erst gesehen, als er neben seinem Wagen stand, obwohl das Tier ihn schon länger beobachtet haben mußte. Der Hirsch hätte ihn selber angreifen können – anstatt das Auto. Die Waffen waren nicht geladen gewesen.

Zurück in das Haus. Er stieg vorsichtig aus dem Wagen, hielt die Schrotflinte feuerbereit und sah sich um. Nirgendwo ein lebendes Wesen. Falls nicht ...

Er sah nach oben. Etwa dreißig Meter über ihm beschrieb eine Ente langsam einen großen Kreis in der Luft – wie ein Bussard über seiner Beute kreist. Aber Enten fliegen sonst anders. Ein Luftangriff? Diese Möglichkeit war ihm bisher nicht eingefallen, aber jetzt überlegte er sich, daß ein Kamikaze-Angriff durch einen ziemlich schweren Vogel genauso gefährlich sein konnte, wie es die Attacke eines wütenden Stiers war. Er ging weiter auf das Haus zu und behielt die Ente dabei im Auge. Plötzlich setzte der Vogel zu einem Sturzflug an. Doc riß die Flinte hoch – aber er brauchte nicht zu schießen. Die Ente schlug fünfzehn Meter von ihm entfernt auf den Boden auf. Über der Stelle erhob sich eine kleine Staubwolke.

Staunton schloß nachdenklich die Haustür auf und verriegelte sie hinter sich. Nein, der unsichtbare Feind wollte ihn nicht umbringen, sondern nur eingesperrt halten. Die Ente hätte ihn bestimmt nicht um fünfzehn Meter verfehlt, wenn sie ihn hätte treffen sollen. Der Feind hatte ihm nur eine weitere tödliche Waffe demonstrieren wollen, um ihn von der Flucht abzuhalten. Die Wildente hätte sich ebensogut auf ihn stürzen können; schließlich hatte sie nichts zu verlieren, denn der Sturz endete auf jeden Fall mit ihrem Tod. Das bewies, daß sein Gegner ihn nicht umbringen wollte, solange er ihn statt dessen zum Hierbleiben zwingen konnte.

Draußen rührte sich nichts. Bildete er sich alles nur ein? Konnte er das Haus ohne weiteres verlassen und zu Fuß die nächste Farm erreichen? Nein, selbst wenn der Hirsch ihm nicht genügt hätte, stellte der Sturzflug der Ente einen schlagenden Beweis dar.

Jetzt war alles ruhig – und so würde es vermutlich auch bleiben, bis er den nächsten Fluchtversuch unternahm. Aber warum?

Er wollte sich eine Dose Bier aus dem Kühlschrank holen, unterließ es aber doch und setzte sich auf das Sofa im Wohnzimmer. Bier in mäßigen Mengen würde seine Denkfähigkeit kaum beeinträchtigen, aber unter Umständen kam es vielleicht gerade auf diese geringfügige Beeinträchtigung an.

Wie sah sein unsichtbarer Gegner aus? Ein menschlicher Mutant, der andere Lebewesen zu kontrollieren vermochte? Ein Dämon? Ein außerirdisches Wesen? Die letzte Möglichkeit schien am wahrscheinlichsten; im All gab es Milliarden Planeten, auf denen sich intelligente Lebensformen entwickelt haben konnten. Warum nur auf der Erde? Und warum sollten sie keine Raumschiffe besitzen?

Ja, diese Möglichkeit war wahrscheinlicher als die anderen – und gefährlicher dazu.

Aber weshalb konzentrierte der Angriff sich jetzt auf ihn allein? Weil er genügend über diesen Gegner wußte, um ihm gefährlich zu werden? Das konnte stimmen – und der unsichtbare Feind hatte davon erfahren, als Doc die graue Katze bei sich behielt, um sie zu beobachten. In Wirklichkeit hatte sie ihn fünf Tage lang beobachtet.

Ja, er stellte eine Gefahr für den Gegner dar, der sich darüber auch im klaren war. Aber warum hatte er ihn dann nicht schon längst umgebracht? Der Hirsch hätte ihn nur anzugreifen brauchen, bevor er in seinem Wagen saß. Und der Sturzflug der Ente war nicht einmal ein ernstgemeinter Versuch dazu gewesen. Der Feind wollte ihn am Leben erhalten – aber nur hier, nicht woanders. Warum?

Weil er ihn als Wirt gebrauchen wollte? Das schien möglich, aber weshalb versuchte er es dann nicht?

Draußen herrschte Ruhe. Doc ging in die Küche und setzte Kaffeewasser auf. Mußten besondere Bedingungen erfüllt sein, bevor der Gegner von einem Wirt Besitz ergreifen konnte?

Plötzlich fiel ihm eine mögliche Antwort auf diese Frage ein. Tommy Hoffmann schlief, als der Feind von ihm Besitz ergriff. Siegfried Gross ebenfalls. In Jim Kramers Fall war es nicht sicher, aber immerhin möglich. Und die Tiere – sie alle schliefen zu unregelmäßigen Zeiten.

Aber wenn der Feind ihn hier gefangenhalten wollte, bis er schlief, um dann von ihm Besitz zu ergreifen, weshalb hatte er es dann nicht schon vergangene Nacht getan? Doc hatte nicht sehr viel geschlafen, aber doch zwei oder drei Stunden. Dann fiel ihm die Antwort ein, oder zumindest eine mögliche Antwort. Der Feind hatte aus irgendeinem Grund den jungen Kramer als Wirt gebraucht – und dann abwarten müssen, bis sich die Gelegenheit gab, einen tödlichen Unfall vorzutäuschen. Das war ein weiterer Beweis oder wenigstens ein Anzeichen dafür, daß Doc nur einem Gegner gegenüberstand, der anscheinend nicht zwei Wirte zur gleichen Zeit kontrollieren konnte. Aber wie ließ sich die Stichhaltigkeit dieser Theorie nachweisen?

Doc faßte plötzlich einen Entschluß, nahm die Schrotflinte in die Hand und ging zur Tür. Er öffnete sie vorsichtig, trat auf die oberste Stufe der Treppe und sah zum Himmel hinauf.

Vögel, große Vögel, kreisten dort, sieben oder acht sogar. Vögel, Mehrzahl. Hatte er sich getäuscht?

Dann stieß er einen erleichterten Seufzer aus, als er die Vögel beobachtete und dabei feststellte, daß es sich um Bussarde handelte, die über dem toten Hirsch kreisten. Ganz gewöhnliche Vögel, keine Wirte. Noch nie zuvor waren ihm Bussarde so schön vorgekommen wie in diesem Augenblick.

Eine Sekunde später wurde er auf einen anderen Vogel aufmerksam, der vom Wald her auf das Haus zuflog – anscheinend wieder eine Ente. Sie gewann stetig an Höhe und stürzte dann geradewegs auf ihn zu. Vermutlich hätte er sie rechtzeitig abschießen können, aber das Risiko war überflüssig. Er trat zwei Schritte zurück und schloß die Haustür. Draußen knallte der Vogel auf die Stufen der Treppe.

Doc lächelte zufrieden; durch dieses relativ ungefährliche Experiment hatte er wenigstens eine seiner Schlußfolgerungen bewiesen. Wäre der Feind imstande gewesen, von einem wachen Tier Besitz zu ergreifen, hätte er einen der großen Bussarde als Wirt gebrauchen können, die bereits in der Luft kreisten und wesentlich näher waren. Oder alle zusammen, falls er gleichzeitig mehr als einen Wirt kontrollieren konnte. Statt dessen hatte er Zeit verloren, bis er einen anderen Vogel gefunden hatte – wahrscheinlich einen schlafenden.

Der Gegner war zwar gefährlich, aber auch in mancher Beziehung gehandikapt.

Dann bestand also noch Hoffnung auf Rettung. Miß Talley erwartete ihn; es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie besorgt genug war, um den Sheriff zu verständigen. Wenn der Sheriff ihn aufsuchen wollte und nicht durchkam, war das sehr schade für den Sheriff; aber andere Polizisten würden nach ihm suchen, und wenn sie ebenfalls angegriffen wurden, trat bestimmt die Staatspolizei in Aktion. Eine ganze Gruppe bewaffneter Männer mußte mit allem fertig werden, was der Feind ihnen in den Weg zu stellen vermochte, denn schließlich konnte es sich immer nur um ein einzelnes Tier handeln.

Ja, irgendwann mußte Hilfe kommen. Aber bis dahin mußte Doc alle nur möglichen Anstrengungen unternehmen, um nicht einzuschlafen.

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