6


Doc Staunton fluchte leise vor sich hin, als er den Wagen zum Stehen brachte. Er hatte keine Schuld an dem Unfall; er hatte ihn nicht verhindern können, aber trotzdem bedauerte er das arme Tier aufrichtig. Was war nur mit dem Hund los gewesen? Wieso war er geradewegs vor das Auto gelaufen? Selbst wenn er sich nicht umgesehen hatte, ob auf der Straße Verkehr herrschte, hätte er diesen Wagen doch zumindest hören müssen – nachdem das Motorengeräusch die über der Landschaft liegende Stille deutlich genug durchbrach. Doc Staunton fuhr einen uralten Kombiwagen, den er sich vor zwei Wochen in Green Bay gekauft hatte. Der Kaufpreis war so lächerlich gering gewesen, daß er das Auto am Ende seines Urlaubs als Schrott verkaufen konnte, ohne allzuviel Geld einzubüßen. Jedenfalls kam er auf diese Weise wesentlich billiger weg, als wenn er sich für diese sechs Wochen einen Wagen gemietet hätte.

Er schaltete die Zündung aus, öffnete die Autotür und ging die wenigen Schritte zu dem überfahrenen Hund zurück. Dabei hoffte er, daß das Tier nicht noch lebte, denn es mußte auf jeden Fall schwere Verletzungen erlitten haben, als es von beiden Rädern auf der rechten Seite des Wagens überrollt worden war. Der Hund lag bewegungslos im Straßenstaub und gab keinerlei Lebenszeichen von sich, als Staunton sich über ihn beugte.

»Tut mir leid, alter Knabe«, sagte Doc, als wolle er sich entschuldigen. »Jetzt werde ich wohl deinen Herrn benachrichtigen müssen.«

Er wollte den Hund schon an den Beinen hochheben, um ihn in den Straßengraben zu legen, aber dann richtete er sich wieder auf und dachte nach. Das Tier mußte auf jeden Fall begraben werden – entweder von ihm oder von seinem vorläufig noch unbekannten Eigentümer –, aber wenn er es jetzt hier liegen ließ, würden vermutlich die Krähen über den Kadaver herfallen. Andererseits hatte er eine alte Plane im Wagen, in die er das Tier einwickeln konnte, um es nach Bartlesville mitzunehmen. Ja, das war die beste Lösung, deshalb machte er sich sofort an die Arbeit und verstaute den toten Hund im Gepäckraum hinter den Rücksitzen des Wagens.

Als er wenig später in verschiedenen Läden einkaufte, beschrieb er den Hund, der ihm vor die Räder gelaufen war, und fand schließlich jemand, der ihm sagen konnte, daß dies Gus Hoffmanns Hund gewesen sein mußte. Von demselben Mann erfuhr Staunton auch, daß Hoffmann heute nachmittag in Bartlesville sein würde, weil dort über den Selbstmord seines einzigen Sohnes verhandelt werden sollte.

Doc Staunton hatte noch nie Gelegenheit gehabt, an einer solchen Verhandlung teilzunehmen, deshalb ging er in das Leichenschauhaus hinüber, wo sie gerade erst begonnen hatte. Die zur Verfügung stehenden Stühle waren bereits besetzt, aber einige Männer standen an der rückwärtigen Wand des kleinen Saales, zu denen er sich gesellte.

Charlotte Garner machte ihre Aussage, und Doc war vom ersten Augenblick an geradezu fasziniert. Zunächst nur von der Art und Weise, in der sie ihre Beziehungen zu Tommy Hoffmann freimütig und offen schilderte, dann aber von ihrem Bericht über die Ereignisse, nachdem sie aufgewacht war und nur noch Tommys Kleidungsstücke, aber nicht Tommy selbst neben sich liegen gesehen hatte. Der Coroner wollte sie bereits entlassen, aber sie bat noch einmal um das Wort und erwähnte nun den Vorfall mit der Feldmaus. Vielleicht war die Maus tollwütig gewesen und hatte Tommy angesteckt ...?

Der Coroner ließ sie ausreden, aber bevor er den nächsten Zeugen aufrief, wandte er sich an die Jury und erläuterte die Symptome der Tollwut, wobei er besonders auf die verhältnismäßig lange Inkubationszeit hinwies. Falls die Maus den Jungen wirklich gebissen haben sollte – wofür keinerlei Anzeichen vorhanden waren –, konnte dies unmöglich solche Folgen gehabt haben.

Gus Hoffmann betrat den Zeugenstand als nächster, dann war Jed Garner an der Reihe. Ihre Aussagen stimmten in allen Einzelheiten überein, weil sie die ganze Zeit über beieinander gewesen waren.

Doc Staunton hörte aufmerksam zu, besonders als der Hund namens Buck erwähnt wurde – Buck, der vergangene Nacht die Spur des Jungen aufgenommen hatte, Buck, der die beiden Männer heute morgen zu der Höhle geführt hatte. Zuletzt sagte der Sheriff aus und berichtete über die Ereignisse von dem Zeitpunkt an, wo er von Garner verständigt worden war.

Die Jury zog sich in ein Nebenzimmer zurück, betrat aber den Saal schon nach wenigen Minuten wieder. »Selbstmord im Zustand geistiger Umnachtung«, verkündete der Sprecher als Ergebnis der kurzen Beratung. Die Zuhörer verließen den Raum.

Doc bahnte sich seinen Weg durch die Menschen auf den Mann zu, von dem er annahm, daß er der Besitzer des überfahrenen Hundes sei, aber Gus Hoffmann war bereits verschwunden und hatte Garner und dessen Tochter mitgenommen.

Deshalb wandte Staunton sich an den Sheriff, nannte ihm seinen Namen und berichtete von dem Unfall.

»Vielleicht ist es sogar besser so, Sheriff«, meinte er, »daß ich mit Ihnen, statt mit Mr. Hoffmann darüber spreche. Ich kann mir vorstellen, daß ihn der Verlust seines einzigen Sohnes schwer getroffen hat, deshalb wäre es wahrscheinlich besser, wenn er nicht gleich erfährt, daß sein Hund ebenfalls tot ist. Ich bin der Meinung, man sollte ihn bei dem Glauben lassen, daß der Hund fortgelaufen ist, damit er sich allmählich daran gewöhnt, daß er ihn nicht mehr wiedersehen wird. Was halten Sie von meinem Vorschlag?«

Der Sheriff kratzte sich nachdenklich hinter dem Ohr. »Hm ...« Er zögerte.

»Darf ich Ihnen einen Vorschlag machen?« fragte Doc Staunton. »Wollen Sie nicht ein Glas Bier mit mir trinken gehen? Dann hätten Sie Zeit zum Überlegen, und ich könnte Ihnen ein paar Fragen über diesen Selbstmordfall stellen, der mich interessiert.«

»Okay, für ein Bier habe ich immer Zeit. Zuerst muß ich allerdings noch einige Kleinigkeiten in Zusammenhang mit dem Fall regeln. Wenn Sie schon vorausgehen, komme ich in zehn Minuten nach.«

Doc überquerte die Straße und setzte sich in der kleinen Bar an einen Tisch. Das kühle Bier schmeckte ausgezeichnet, und er hatte gerade sein erstes Glas geleert, als der Sheriff auftauchte. »Der Papierkram macht mich immer so durstig«, erklärte er, als er sich an Docs Tisch niederließ und zwei Finger in Richtung Theke hochhielt. »He, Hank, zwei Bier. Aber große!«

Dann wandte er sich an Staunton. »Ich habe mir die Sache in der Zwischenzeit durch den Kopf gehen lassen. Sie haben recht, man sollte Hoffmann vorläufig noch nichts davon erzählen. Er ist ohnehin schwer mitgenommen. Aber – äh – haben Sie den Hund am Straßenrand liegenlassen, wo er ihn auf der Fahrt nach Hause sehen könnte? Oder wo ihn jemand finden könnte, der ihn natürlich anrufen würde?«

Doc schüttelte den Kopf. »Nein, im Augenblick liegt er in eine alte Plane eingerollt hinten in meinem Wagen. Ich werde ihn begraben, wenn ich wieder zu Hause bin.« Er zündete sich eine Pfeife an. »Tut mir wirklich leid um den Hund, aber ich konnte ihm auch nicht mehr ausweichen. Er tauchte plötzlich auf und rannte mir genau vor den Wagen. Ich konnte nicht einmal mehr auf die Bremse treten, bevor es ihn erwischte.«

»Merkwürdig«, meinte der Sheriff. »Buck hatte sonst immer schrecklich Angst vor Autos und rannte fort, wenn er eins kommen hörte.«

Doc starrte ihn überrascht an. »Dann muß er wirklich verrückt gewesen sein, als er blindlings auf die Straße rannte! Sind hier in der Gegend in letzter Zeit Fälle von Tollwut aufgetreten, Sheriff?«

»Schon seit Jahren nicht mehr. Ich kann mich an keinen erinnern.« Der Sheriff schien das Gesprächsthema nicht besonders interessant zu finden.

Doc betrachtete das Gesicht seines Gegenübers eingehend und versuchte herauszubekommen, ob der Sheriff ein Trottel war oder nicht. Vielleicht doch nicht, entschied er schließlich; vermutlich war der Mann durchschnittlich intelligent, aber völlig phantasielos. Er brachte es jedenfalls fertig, das seltsame Benehmen der Maus und des Hundes mit einer Handbewegung als nebensächlich abzutun und sich nur auf den Jungen zu beschränken. Tommy hatte sich seltsam aufgeführt, das stimmte, aber andererseits war er übergeschnappt, und Verrückte neigen eben zu Verrücktheiten. So ähnlich lauteten die Schlußfolgerungen des Sheriffs – und in dieser Beziehung stimmte er mit allen anderen überein, die als Zuhörer oder Zeugen an der heutigen Verhandlung teilgenommen hatten.

Was hatte er den Sheriff noch fragen wollen? Ach ja ... »Äh – Sheriff, ich bin zu spät gekommen, um das Gutachten des Coroners zu hören. Ist eigentlich eine Autopsie vorgenommen worden?«

»Eine Autopsie? Nein, wozu denn? Schließlich stand doch fest, daß der Junge Selbstmord begangen hatte, indem er sich die Pulsadern aufschnitt. Sonst wies sein Körper keinerlei Verletzungen auf, wenn man von ein paar Kratzern absieht, die vermutlich von Brombeerranken oder Ästen stammen.«

Doc öffnete den Mund und schloß ihn langsam wieder.

Der Sheriff nahm einen Schluck Bier. »Hören Sie, ich habe mir gerade überlegt, wo Sie wohl an der Straße wohnen könnten. In dem alleinstehenden Haus am Ende der Straße – ungefähr fünfzehn Kilometer von hier?«

»Stimmt«, antwortete Doc. »Auf der ehemaligen Burton-Farm, die allerdings jetzt völlig verwildert ist. Einer meiner Freunde in Boston hat sie gekauft, weil er seinen Urlaub auf dem Land verbringen möchte. Aber dieses Jahr kann er erst im Herbst weg, deshalb hat er mir das Haus für meinen Urlaub zur Verfügung gestellt.«

»Ja, jetzt erinnere ich mich. Ein Mr. Hastings, glaube ich. Letzten Sommer habe ich ihn öfters hier gesehen. Ist Ihre Frau auch hier, oder hausen Sie ganz allein dort draußen?«

»Allein. Ich bin Junggeselle. Es ist schön, wenn man einmal aus dem ganzen Trubel herauskommt. Wenn man wie ich unterrichtet ...«

»Was unterrichten Sie, Mr. Staunton?«

»Nennen Sie mich doch einfach Doc, Sheriff. Ich bin Professor für Physik am Massachusetts Institute for Technology. Spezialgebiet Elektronik. Unter anderem auch für Satelliten. Die erste Hälfte meines Urlaubs habe ich bereits für einige wichtige Arbeiten verwendet, aber jetzt will ich mich nur noch erholen.«

»Sie haben wirklich mit Raketen zu tun?« Die Stimme des Sheriffs klang plötzlich respektvoll.

»Nicht direkt Raketen, sondern mehr die Ausrüstung der Satelliten mit Meßgeräten. Aber im Augenblick interessiert mich das Angeln mehr. Ungefähr einen Kilometer von dem Haus entfernt fließt ein Bach, in dem ...«

»Ich weiß, ich habe auch schon dort draußen gewohnt«, warf der Sheriff eifrig ein. »Aber Sie und Ihr Freund Hastings sollten einmal kommen, wenn die Jagdsaison beginnt. In den Wäldern im Norden gibt es eine Menge Rotwild.«

»Leider bin ich kein großer Jäger vor dem Herrn, Sheriff. Ich habe zwar eine Schrotflinte und eine Pistole mitgenommen, aber nur für Schießübungen auf Scheiben. Angeblich soll es auf der alten Farm auch Ratten geben, obwohl ich noch keine gesehen habe. Noch ein Bier?«

»Okay«, meinte der Sheriff und hielt nochmals zwei Finger in die Höhe.

»Sind eigentlich hier in letzter Zeit noch andere merkwürdige Todesfälle berichtet worden, Sheriff?« fragte Doc Staunton beiläufig.

Der Sheriff starrte ihn überrascht an. »Ich kann mir nicht recht vorstellen, was Sie unter ›merkwürdigen Todesfällen‹ verstehen«, sagte er dann langsam. »Ein paar Leute sind ermordet worden, aber das waren alles Raubmorde, wie sie überall vorkommen.«

»Keine anderen Fälle, wo jemand plötzlich verrückt wurde und sich – oder andere – umbrachte?«

»Hmmm – ich bin jetzt sechs Jahre Sheriff, aber in dieser Zeit ist nichts in dieser Art passiert. Aber was wäre daran merkwürdig? Schließlich ist es doch nicht völlig ungewöhnlich, daß ein Mensch überschnappt?«

»Das stimmt, aber Anfälle, die dazu führen, sehen meistens etwas anders aus. Und Tommy Hoffmann – nun ...«

»Sie wollen doch nicht etwa behaupten, daß der Junge nicht Selbstmord begangen hat?«

»Selbstverständlich nicht. Ich frage mich nur, welche Art von Psychose ihn so unvermutet und rasch dazu gebracht haben kann. Eigentlich hätte er doch glücklich und zufrieden sein müssen ... Reden wir nicht mehr darüber, Sheriff. Sie haben also schon einmal in dem Bach hinter der Farm geangelt – welche Art von Fliegen nehmen Sie für Forellen?«

Kurze Zeit später stand der Sheriff auf und entschuldigte sich, weil er wieder nach Wilcox zurückfahren mußte, wo er noch einiges zu erledigen hatte. Doc bestellte sich noch ein Bier, stopfte sich eine Pfeife – die allerdings immer wieder ausging, weil er daran zu ziehen vergaß – und dachte nach. Ging er wirklich zu weit, wenn er annahm, daß die drei Todesfälle – die Feldmaus, der Junge und der Hund – auf fast unglaubliche Weise miteinander in Zusammenhang standen? Der Sheriff schien diese Auffassung nicht zu teilen, aber ...

Oder machte er nur viel Lärm um Nichts? Eine Feldmaus hatte sich seltsam benommen. Zuerst hatte sie sich aufgerichtet, als wolle sie dadurch erreichen, daß der Junge und das Mädchen nicht weitergingen. Dann hatte sie sich von dem Mädchen aufheben lassen, sie aber anschließend zu beißen versucht. Schließlich hatte sie den Jungen angefallen, was eigentlich auf Selbstmord hinauslief.

Dann Tommy Hoffmann. Wieder ein plötzlicher Anfall von Geistesgestörtheit, der mit Selbstmord endete. Doc wußte, daß es Menschen gab, die plötzlich verrückt wurden und in diesem Zustand selbst ihrem Leben ein Ende setzten. Aber er hatte einiges über diese Fälle gelesen und erinnerte sich jetzt daran, daß sämtliche Kapazitäten in einem Punkt übereinstimmten – Anfälle dieser Art kamen nie unvermutet und ohne einen nachträglich feststellbaren Anlaß.

Als nächstes der Hund, durch den Doc auf die Angelegenheit aufmerksam gemacht worden war. Selbstverständlich war es durchaus möglich, daß er tollwütig gewesen war – aber wenn nicht, dann hatte er tatsächlich Selbstmord begangen, indem er vor das Auto lief. Der Sheriff hatte erzählt, wie sehr Buck sich vor Autos fürchtete, und diese Eigenschaft ließ seinen Tod nicht gerade natürlicher erscheinen.

Aber Tiere – wenn man von Lemmingen absieht – begehen nicht Selbstmord.

Doc stand plötzlich auf, zahlte sein Bier und ging zu seinem Wagen hinaus. In Green Bay mußte es eine Untersuchungsstelle geben, die feststellen konnte, ob der Hund die Tollwut gehabt hatte oder nicht. Bis nach Green Bay waren es nur siebzig Kilometer, so daß er genügend Zeit hatte. Außerdem war er die ganze Woche nicht über Bartlesville hinausgekommen, so daß ein Abend in Green Bay eine willkommene Abwechslung darstellen würde. Er konnte in einem Restaurant zu Abend essen und vielleicht sogar ins Kino gehen, falls ein guter Film lief.

Auf seiner Uhr war es bereits kurz vor Mitternacht, als er aus Green Bay zurückfuhr. Das Haus, in dem er wohnte, hatte früher einem Farmer gehört, der es großzügig eingerichtet hatte. Im Erdgeschoß befanden sich eine riesige Küche, ein geräumiges Wohnzimmer und ein kleinerer Raum, in dem Staunton seine Jagdwaffen und Angelruten aufbewahrte. Eine Treppe höher lagen drei Schlafzimmer nebeneinander, von denen allerdings nur eins möbliert war, und ein altmodisches Bad. Im Keller stand ein kleiner Generator, der von einem Benzinmotor angetrieben wurde, und dieser Motor betrieb auch die Pumpe, die das Wasser aus dem Brunnen in einen Tank auf dem Dach förderte. Das Haus hatte keinen Telefonanschluß, aber Doc war im Grunde genommen sogar froh darüber. Der zu der Farm gehörige Grund und Boden war in den letzten zwanzig Jahren aus unbekannten Gründen nicht mehr bebaut worden und war jetzt völlig mit Unkraut überwuchert.

Bis heute abend hatte er sich dort ausgesprochen wohl gefühlt.

Doc holte sich eine Dose Bier aus dem Eisschrank und ließ sich in einem Sessel nieder, um einen der Kriminalromane zu lesen, die er in Green Bay gekauft hatte. Aber er brachte einfach nicht genügend Interesse dafür auf, denn er spürte ein gewisses Unbehagen. Zum erstenmal empfand er die Einsamkeit als bedrückend. Er unterdrückte den Wunsch, die Vorhänge zuzuziehen, so daß er nicht mehr sichtbar war, falls etwas oder jemand ihn von draußen beobachtete.

Aber warum sollte jemand sich die Mühe machen, bis zu diesem Haus hinauszufahren, um ihn beobachten zu können? Und weshalb hatte er an etwas gedacht? Etwas, das durch die Fenster in das Zimmer hineinsah, konnte bestenfalls ein Tier sein – und warum sollte es ihn beunruhigen, wie viele Tiere ihn beobachteten? Er schalt sich selbst einen hysterischen alten Trottel, machte eine zweite Dose Bier auf und vertiefte sich wieder in seinen Kriminalroman.

Er hatte bereits zwanzig Seiten davon gelesen, aber trotzdem konnte er sich an nichts mehr erinnern, was auf den ersten Seiten gestanden hatte. Er begann wieder von vorn. Dabei handelte es sich um einen ausgezeichneten Kriminalroman – mit einem Mord auf der ersten Seite. Aber trotzdem stellte Staunton fest, daß seine Gedanken immer wieder zu Tommy Hoffmann und seinem unerwarteten, überraschenden Ende abschweiften ... Der Junge war nackt durch den Wald geirrt, hatte sich in einer Höhle versteckt, bis sein Vater und der Vater seiner Freundin zusammen mit dem Hund nach ihm suchten, und war dann zu seinem Ausgangspunkt zurückgekehrt, wo er ein altes, rostiges Messer aufnahm und sich damit die Pulsadern durchschnitt.

Das Buch war jetzt auf Seite fünfzehn offen, aber Doc Staunton konnte sich wieder nicht mehr daran erinnern, was er eigentlich gelesen hatte. Er warf den Kriminalroman wütend zu Boden und lehnte sich in den Sessel zurück, um nachzudenken.

Schließlich entschied er sich dafür, möglichst überhaupt nicht mehr an den Fall Hoffmann zu denken, bis er morgen nachmittag in Green Bay angerufen hatte, um das Ergebnis von Bucks Untersuchung auf Tollwut zu erfahren. Falls der Hund tollwütig gewesen war, was einen der drei Todesfälle erklären würde, wollte er sich die Angelegenheit endgültig aus dem Kopf schlagen – und die noch verbleibenden fünf Urlaubswochen genießen, ohne etwas lösen zu wollen, was vielleicht nur ein Zufall und keineswegs ein geheimnisvoller Vorfall war ... Aber wenn Buck nicht die Tollwut gehabt hatte ...

Er trank noch eine Dose Bier, um müde zu werden, und ging zu Bett. Wenige Minuten später war er eingeschlafen.

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