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Der Parasit war zutiefst erschrocken, als der Mann, den er jetzt als Doc Staunton kannte, die Katze ansprach: »Okay, Katze ...«

Dies war allerdings nur eine ganz natürliche Reaktion auf die Tatsache, daß Staunton, der ein geradezu idealer Wirt zu sein schien, der Wahrheit auf der Spur war und deshalb gefährlich werden konnte. Der Parasit war überrascht, denn bisher hatte die Intelligenz der Menschen ihm nur Grund zur Geringschätzigkeit gegeben.

Aber Staunton schien der perfekte Wirt zu sein – ein erstklassiger Naturwissenschaftler, wohlhabend und jederzeit reisebereit, unverheiratet und unabhängig. Der Parasit hatte die Unterhaltung zwischen Staunton und Miß Talley mit wachsendem Erstaunen verfolgt und jedes Wort aufgenommen, das er ihr diktierte.

Und – das war allerdings nur eine Vermutung – er nahm an, daß Staunton zu sämtlichen Geräten Zugang hatte, die er brauchen würde. Mit Staunton als Wirt konnte es nur noch wenige Wochen dauern, bis er wieder auf seinem Heimatplaneten zurück war – als gefeierter Held, der eine neue Rasse geeigneter Sklaven entdeckt hatte.

Aber warum hatte er nur den Fehler begangen, sich zurückzuziehen und sich zu verstecken, als Miß Talley so unvermutet aufgesehen und ihn entdeckt hatte? Hätte er doch daran gedacht – was er in der Aufregung über diesen Staunton vergessen hatte –, daß er sich wie eine gewöhnliche Katze benehmen mußte! Er hätte einfach in die Küche kommen müssen, nachdem seine Anwesenheit entdeckt worden war. Wahrscheinlich hätten sie ihn gestreichelt, ihm etwas Milch angeboten und ihn hinausgelassen, wenn er an der Tür gekratzt hätte. Und schlimmstenfalls – wenn sie wirklich keine Katzen mochten – wäre er hinausgejagt worden. Auf diese Weise wäre er jetzt schon all diese Stunden in Freiheit, hätte irgendwo unbeobachtet Selbstmord begehen können und befände sich bereits wieder in seinem eigenen Körper unter der Treppe auf der Gross-Farm.

Von dort aus hätte er sich einen Wirt suchen können, der ihn in die Nähe dieses Hauses gebracht hätte, so daß er von Staunton hätte Besitz ergreifen können, sobald er einmal schlief.

Das hätte er tun sollen. Aber nachdem er sich zu Anfang versteckt hatte, wollte er weiterhin verborgen bleiben, bis ein Fenster oder eine Tür lange genug offen blieb. Aber Staunton – der Teufel sollte den Kerl holen! – hatte alle Türen und Fenster geschlossen, bevor er das Haus verließ. Und jetzt, nachdem überall die Abdrücke von Katzenpfoten sichtbar waren, wußte Staunton ganz sicher, daß er sich in dem Haus befand.

Und was vermutete Staunton sonst noch? Er mußte einen bestimmten Verdacht haben, denn sonst hätte er nicht überall Mehl gestreut, bevor er das Haus verließ. Die Katze hatte erst zu spät gespürt, daß etwas auf dem Boden lag. Wie der Parasit nach einer Möglichkeit gesucht hatte, die Spuren zu entfernen oder das Mehl durch neues zu ersetzen! Aber dieser Aufgabe war eine Katze einfach nicht gewachsen, denn das Tier hätte zwar das alte Mehl auflecken, aber unmöglich neues streuen können. Vielleicht hätte sie sogar das Sieb aus dem Schrank holen können, aber alles andere war unmöglich, wenn man es ohne Hände tun mußte. Einfach unmöglich.

Echte Angst hatte der Parasit allerdings erst empfunden, als Staunton nach seiner Rückkehr die Katze ansprach, als unterhalte er sich mit einem intelligenten Lebewesen. War Staunton durch logische Überlegungen oder reine Intuition auf den Gedanken gekommen, daß die Katze gar keine richtige Katze war? Es schien unglaublich, daß er durch das Studium der wenigen verfügbaren Hinweise zu diesem Schluß gekommen sein sollte.

Aber vielleicht war es doch möglich. Schließlich war Staunton ein Wissenschaftler, der vielleicht manche Dinge als selbstverständlich empfand, die Tommy Hoffmann oder Siegfried Gross als unwahrscheinlich erschienen wären. Nun, darüber konnte er sich immer noch informieren, nachdem er von Staunton Besitz ergriffen hatte.

Im Augenblick beschäftigte ihn vor allem der Gedanke an seine Flucht aus diesem Haus, das ihm zum Gefängnis geworden war. Ein Selbstmord kam nicht in Frage, selbst wenn er hier Mittel und Wege dazu finden sollte, denn diese Anhäufung von Selbstmorden hatte Staunton überhaupt erst auf die Spur gebracht, die er jetzt so eifrig verfolgte. Wenn unter diesen Umständen ein weiterer sozusagen unter seinen Augen erfolgte, dann konnte dies das letzte Glied in einer Beweiskette sein, die Staunton bisher – der Parasit hoffte es jedenfalls – noch nicht hatte schließen können.

Nein, es gab nur eine Lösung. Er mußte sich am folgenden Morgen offen zeigen und sich wie eine ganz gewöhnliche Katze benehmen. Das war nicht ungefährlich, aber ihm blieb keine andere Wahl. Die Gefahr bestand nicht darin, daß Staunton ihn etwa aus irgendeinem Grund umbrachte; in diesem Fall war er sofort wieder frei – aber wenn Staunton einen Verdacht hatte, würde er ihn ganz bestimmt nicht töten. Dann wußte er nämlich, daß er den Parasiten in Freiheit setzte, wenn er den Wirt umbrachte. Die Gefahr bestand darin, daß Staunton ihn in Kenntnis dieser Tatsache gefangenhielt, um ihn beobachten zu können. Das bedeutete vor allem einen erheblichen Zeitverlust; vielleicht mußte er sogar den natürlichen Tod der Katze abwarten – und Katzen lebten sehr lange. Noch größer war die Gefahr, daß Staunton die psychologischen Tests kannte, mit deren Hilfe man feststellen konnte, ob ein Lebewesen als Wirt benutzt wurde.

Und wenn Staunton diese Tatsache nachweisen konnte? Aus Tommy Hoffmanns Erinnerungen wußte der Parasit, daß die Wissenschaft ein sogenanntes Wahrheitsserum entwickelt hatte. Wenn Staunton der Katze dieses Mittel einspritzte und mit dem Parasiten unter Einwirkung dieser Droge in Verbindung trat, war alles verloren. Dann mußte er das Versteck seines eigenen Körpers auf der Gross-Farm preisgeben.

Aber selbst wenn Staunton die Katze nur über längere Zeit hinweg einsperrte und zu Studienzwecken beobachtete, bedeutete das praktisch ein Todesurteil für den Parasiten. Er mußte verhungern, denn die Nahrungsmenge, die er erst kürzlich aufgenommen hatte, reichte zwar fast ein Jahr, aber bestimmt nicht so lange, wie die Katze noch zu leben hatte.

Der Parasit suchte verzweifelt nach einer Lösung dieses Problems. Einmal überlegte er bereits, ob er die Katze nicht einfach gegen das geschlossene Fenster springen lassen sollte – vielleicht zerbrach die Scheibe, so daß er hinausschlüpfen konnte. Aber auch dieser Ausweg war ihm versperrt, denn selbst wenn der Versuch glückte, bedeutete er nur eine weitere Bestätigung des Verdachts, den Staunton bereits zu haben schien.

Er konnte nur hoffen, daß Staunton vorläufig nicht mehr als einen Verdacht hatte, so daß er ihn am nächsten Morgen ohne weiteres ins Freie hinauslassen würde. Jedenfalls mußte er sein Bestes tun, um den Mann davon zu überzeugen, daß er eigentlich doch nur eine ganz gewöhnliche kleine Katze sei.


Doc Staunton war erst gegen ein Uhr morgens ins Bett gegangen und hatte nicht sofort einschlafen können, so daß er am folgenden Morgen später als gewöhnlich aufwachte. Kurz nach zehn Uhr öffnete er die Augen und versuchte sich an den konfusen Traum zu erinnern, den er gerade gehabt hatte – ein Traum, in dem er ein Meßgerät für einen Satelliten konstruieren sollte, ohne von jemand erfahren zu können, was das verfluchte Ding eigentlich messen sollte. Er schüttelte verwundert den Kopf und setzte sich dann plötzlich auf, als ihm die Sache mit der Katze wieder einfiel.

Aber bei Tageslicht besehen wirkte die ganze Angelegenheit längst nicht mehr so bedeutend wie am Abend zuvor. War es nicht etwas übertrieben, die Anwesenheit einer streunenden Katze mit den merkwürdigen Todesfällen der vergangenen zehn Tage in Verbindung zu bringen?

Nun ... vielleicht. Aber trotzdem blieb noch ein Punkt zu klären. Es war bestimmt nicht ungewöhnlich, daß eine Katze aus Neugier oder aus Hunger durch ein offenes Fenster oder eine nur angelehnte Tür in ein Haus kam. Staunton bezweifelte zwar, daß dies oft der Fall war; aber trotzdem bestand durchaus die Möglichkeit. Merkwürdig war nur der Weg, den diese Katze gewählt hatte.

Selbst diese Tatsache ließ sich zur Not noch damit erklären, daß die Katze hungrig gewesen war. Vielleicht war sie auf den Baum geklettert, weil sie dort oben einen schlafenden Vogel gesehen hatte, den sie fangen wollte. Und dann hatte sie ihn nicht erwischt, war aber statt dessen auf das offene Fenster aufmerksam geworden. Jede Katze – selbst eine streunende – würde wissen, daß in einem Haus etwas Eßbares zu finden war.

Aber dann hatte sie sich im Hausflur in der Nähe der Küchentür versteckt, als wolle sie die Unterhaltung belauschen, die in der Küche geführt wurde. Und seitdem hatte sie sich verborgen gehalten.

Andererseits bestand die Möglichkeit, daß das Tier nie jemand gehört hatte, daß es schon öfters mit Steinen beworfen worden war und deshalb vor Menschen Angst hatte ...

Staunton stand auf, wusch sich und zog sich an. Beim Rasieren beschloß er, daß er zunächst die Katze finden mußte, selbst wenn er stundenlang zu suchen hatte, bevor er eine endgültige Entscheidung traf.

Er erinnerte sich daran, daß in der Kommode alte Lederhandschuhe lagen und nahm sie heraus. Wenn er die Katze in eine Ecke getrieben hatte und sie sich wehrte, konnten diese Handschuhe recht nützlich sein. Nach der Größe der Abdrücke, die ihre Pfoten in dem Mehl hinterlassen hatten, mußte die Katze ziemlich klein sein. Vielleicht halbwegs verwildert, aber bestimmt keine Wildkatze; Doc kannte sich gut genug mit Wildfährten aus, um das beurteilen zu können.

Als er das Schlafzimmer verließ, schloß er die Tür hinter sich. Wenn er schon suchte, dann wollte er wenigstens systematisch vorgehen und zuerst sämtliche Räume im ersten Stock des Hauses durchsuchen, bevor er nach unten ging.

Die Katze hielt sich nicht im ersten Stock auf.

Er sah sie, als er die Treppe hinabging. Sie saß ruhig an der Haustür, wie es ein Hund oder eine Katze tun, wenn sie hinaus möchten.

Sie wirkte keineswegs gefährlich – nur eine kleine graue Katze. Sie schien weder Hunger noch Angst zu haben, sondern sah ihn sogar zutraulich an. Dann miaute sie und kratzte leicht an der Tür.

Nur eine Katze, eine ganz gewöhnliche Katze, die ins Freie wollte.

Fast zu gewöhnlich, dachte Doc, für eine Katze, die sich gestern so lange vor ihm versteckt gehalten hatte. Er setzte sich auf die unterste Stufe der Treppe und starrte das Tier an, das immer noch an der Tür saß. »Miau«, sagte die Katze.

Doc schüttelte den Kopf. »Nicht sofort, Katze. Später lasse ich dich vielleicht hinaus, aber vorher möchte ich mich noch ein bißchen mit dir unterhalten. Wie wäre es mit einem Frühstück? Ich werde mir jedenfalls eines machen.«

Er stand auf und ging in die Küche, ohne sich noch einmal umzusehen, bevor er den Kühlschrank erreicht hatte. Die Katze folgte ihm, aber nicht zu nahe. Jetzt saß sie neben dem Herd und starrte ihn an. Dann schien ihr plötzlich etwas eingefallen zu sein, denn sie ging an Doc vorbei – und hielt sich aus seiner Reichweite – auf die Tür zu, die von der Küche aus in den Hof führte. Dort kratzte sie wieder leicht, miaute nochmals und sah den Mann fragend an. Damit sagte sie »Ich möchte bitte hinaus« so deutlich, wie eine Katze es überhaupt ausdrücken kann. Jedenfalls eine gewöhnliche Katze.

Doc schüttelte entschieden den Kopf. »Nein, Katze. Später, aber nicht gleich. Ich muß es mir noch überlegen.«

Er nahm eine Milchflasche aus dem Kühlschrank und goß etwas Milch in eine Schüssel, die er auf den Fußboden stellte. Die Katze nahm keine Notiz davon; sie blieb unbeweglich an der Tür sitzen, während Doc sein Frühstück – Rühreier, Toast und Kaffee – zubereitete.

Als er sich zum Frühstück an den Tisch setzte, verließ die Katze ihren Platz und trank gierig aus der Schüssel mit Milch.

»Schon besser, Katze«, meinte Doc aufmunternd. »Möchtest du nicht eine Weile hierbleiben?«

Die Katze gab keine Antwort. Staunton beobachtete sie und überlegte dabei, daß es wirklich nett wäre, eine Katze im Haus zu haben – notfalls konnte man sich mit ihr sogar unterhalten. Und wenn er sie behielt, hatte er wenigstens Gelegenheit, sie länger zu beobachten.

Selbstverständlich konnte er sie nicht ewig eingesperrt halten, ohne selbst an heißen Tagen fast vor Hitze umzukommen. Oder war es vielleicht doch möglich, wenn er vor allen Fenstern Fliegengitter anbringen ließ? Damit zeigte er sich gleichzeitig seinem Freund gegenüber erkenntlich, der ihm das Haus zur Verfügung gestellt hatte. Richtig, das war eine gute Idee – er würde sie auf jeden Fall anbringen lassen, selbst wenn er die Katze nicht behielt.

Andererseits wollte er die Katze nicht einfach behalten, wenn ihr Besitzer ihr vielleicht nachtrauerte. Das ließ sich wahrscheinlich feststellen, indem man in Bartlesville nachfragte. Wenn er den Besitzer ausfindig machte, konnte er ihm das Tier vermutlich für ein paar Dollar abkaufen, falls es nicht gerade einem Kind gehörte, dessen Herz daran hing. In allen Kleinstädten auf dem Land gibt es eine Unmenge Katzen, die sich so schnell vermehren, daß das Angebot immer die Nachfrage übersteigt.

Wenn er wieder nach Boston zurückfuhr, mußte er jemand finden, der die Katze bei sich aufnahm, aber das war bestimmt nicht allzu schwierig, wenn er sich für den Gefallen mit Geld erkenntlich erwies. Einem Farmer, der bereits mehrere Katzen besaß, konnte es auf eine mehr nicht ankommen, und normalerweise sorgten die Katzen recht gut für sich selbst, indem sie Mäuse fingen.

»Katze«, sagte er deshalb, »ganz im Ernst – möchtest du nicht eine Weile bei mir bleiben? Oh, und wie heißt du eigentlich?« Die Katze trank noch immer und gab keine Antwort.

»Schön, wenn du es mir nicht sagen willst ...« Doc lächelte. »In diesem Fall bekommst du einen brandneuen Namen, mit dem ich dich bereits angesprochen habe. Katze. Er paßt zu dir ... hoffe ich.«

Anscheinend hatte er ihr zuviel Milch gegeben, denn sie trank jetzt nicht mehr, sondern ging wieder an die Tür und setzte sich davor.

»Miau«, sagte sie.

»Ich verstehe, Katze«, antwortete Doc. »Eine ganz natürliche Regung, wenn man bedenkt, wie lange du jetzt schon hier bist. Aber die Tatsache, daß du unbedingt hinaus willst, beweist mir, daß du stubenrein bist. Einen Augenblick, das werden wir gleich haben.«

Er schob seinen Teller zurück, ging durch die Küche und die Kellertreppe hinunter. Dort lag in einer Ecke ein ziemlich großer Haufen Sägemehl, den die Handwerker zurückgelassen hatten, als sie das Haus renovierten. Doc suchte aus einem Stapel alter Pappkartons eine geeignete Schachtel aus, füllte sie mit Sägemehl und nahm sie mit in die Küche hinauf, wo er sie in eine Ecke stellte.

»Das ist für dich, Katze«, erklärte er dabei. »Leider kannst du die nächsten Tage nicht hinaus.«

Die Katze warf einen Blick auf die Schachtel, blieb aber an der Tür sitzen. »Miau«, sagte sie fast klagend.

»Hast du immer im Freien gelebt und kennst keine Schachtel mit Sägemehl?« fragte Doc. »Na, du wirst es schon noch lernen, wenn du nicht anders kannst.«

Er trug das Frühstücksgeschirr zum Spülbecken, um es abzuwaschen.

»Hör zu, Katze«, sagte er über die Schulter hinweg. »Ich finde, daß wir es ein paar Tage lang miteinander versuchen sollten. Während dieser Zeit muß ich eben saubermachen, wenn du dich nicht an das Sägemehl gewöhnst.

Und wenn wir uns gegenseitig mögen, dann lasse ich dir die Wahl – du kannst gehen und wiederkommen, wenn du den Wunsch danach hast, oder dich nie wieder sehen lassen. Ist das fair genug?«

Die Katze gab keine Antwort, wenn man nicht ihr Benehmen als Antwort bezeichnen wollte; sie blieb unbeweglich an der Tür sitzen.

Doc verrichtete seine tägliche Hausarbeit und beachtete die Katze dabei absichtlich nicht, um zu sehen, was sie tun würde.


Der Parasit, der hilflos in dem Körper der Katze gefangen war, aus dem er sich nicht befreien konnte, ohne dabei noch mehr Verdacht zu erregen, blieb an der Tür. Das natürliche Bedürfnis, das die Katze bereits seit einiger Zeit empfand, wurde immer dringender. Aber Staunton wollte sie offensichtlich nicht hinauslassen, sondern sogar noch mehrere Tage lang eingesperrt halten. In dieser Zeit mußte die Katze sich wie jede andere benehmen, denn sonst bestand die Gefahr, daß Staunton noch mißtrauischer wurde. Also blieb nur noch die Wahl zwischen Fußboden und Sägemehlschachtel. Würde Staunton die Katze vielleicht eher in Freiheit setzen, wenn sie so oft wie möglich auf den Boden machte, anstatt wie ein stubenreines Tier die Schachtel zu benutzen?

Plötzlich fiel ihm etwas ein. Es war durchaus möglich, daß Staunton sich danach erkundigte, wem die Katze gehörte, die ihm zugelaufen war. Und dann würde er wahrscheinlich auch andere Einzelheiten erfahren – zum Beispiel die Tatsache, wie stubenrein sie war. Jede Diskrepanz in diesem Punkt mußte seinen bestehenden Verdacht noch mehr verstärken. Der Parasit überlegte sich, daß er sich so benehmen mußte, wie es diese Katze unter den gleichen Umständen getan hätte.

Einen Augenblick später hatte er das Gedächtnis seines Wirts durchforscht und einen Hinweis gefunden. Er ging zu der Schachtel mit Sägemehl hinüber.

Staunton, der immer noch abwusch, warf einen kurzen Blick in die Ecke. »Ausgezeichnet«, meinte er beifällig. »Brave Katze.«

Der Parasit wußte jetzt, daß er diese Methode schon von Anfang an hätte benutzen sollen – das Gedächtnis des Wirts überprüfen und sich dann so benehmen, wie dieser es unter den gegebenen Umständen getan hätte. Warum war ihm das nur nicht schon gestern eingefallen, als die Frau ihn entdeckt hatte – er hätte einfach in die Küche kommen sollen, anstatt sich so auffällig zu verstecken ...

Dann überlegte er sich, was er als nächstes tun mußte, um seine Rolle wirklich täuschend echt zu spielen. Vielleicht irgendwo schlafen? Katzen mochten dazu eine weiche Unterlage. Zum Beispiel das Sofa im Wohnzimmer. Er ging durch die Tür, sprang auf die Polster und rollte sich bequem zusammen.

Staunton kam an die Tür. »Okay, Katze«, sagte er. »Ich freue mich, daß du es dir gemütlich machst. Warum hast du dich gestern und heute nacht eigentlich versteckt?«

Der Parasit ließ die Katze schlafen und sich ausruhen, dachte aber selbst darüber nach, wie ungeschickt es von ihm gewesen war, sich verborgen zu halten, nachdem die Frau ihn gesehen hatte und Staunton durch die Spuren im Mehl von seiner Anwesenheit wußte.

Erst jetzt nahm er sich die Zeit, das Gedächtnis seines Wirts genau zu untersuchen. Es war zwar ärgerlich, daß er hier ein paar Tage verlieren würde, aber schließlich konnte er später alles wieder einholen. Staunton hatte offenbar nicht die Absicht, ihn psychologischen Tests zu unterziehen, sondern wollte ihn nur unter Beobachtung halten. Nun, davor brauchte der Parasit keine Angst zu haben, wenn er seine Rolle gut spielte ...

Kurze Zeit später betrat Staunton das Wohnzimmer. »Katze«, sagte er, »ich fahre jetzt in die Stadt; du mußt unterdessen hier die Festung halten. Ich werde dir Katzenfutter in Dosen oder Leber mitbringen, damit du siehst, was für ein perfekter Wirt ich bin.«

Der Parasit hätte sich fast durch eine überraschte Bewegung verraten, bevor ihm einfiel, daß Staunton das Wort »Wirt« in einem völlig anderen Zusammenhang gebraucht hatte. So blieb die Katze ruhig liegen und sah den Mann schläfrig an.

Als Staunton zur Tür ging, sprang die Katze zu Boden und lief ihm nach, um in ihrer Rolle zu bleiben. Aber er hielt sie am Nackenfell fest – dabei faßte er sie zum erstenmal an – und schob sie dann von der Tür fort, bis er sie von außen schließen konnte.


In Bartlesville ging Doc zuerst in die Redaktion des Clarion.

Hollis sah von seiner Schreibmaschine auf. »Tag, Doc, was gibt es Neues?«

»Nichts Außergewöhnliches, Ed, ich wollte Sie nur etwas fragen. Wissen Sie zufällig, ob jemand seit gestern seine Katze vermißt?«

Hollis lachte. »Eine Katze? Die gibt es hier doch haufenweise. Wenn eine fortläuft, dann ist sie eben weg. Warum? Haben Sie eine gefunden?«

»Ja. Und ich möchte sie vielleicht behalten, wenn sie bei mir bleiben will. Aber nur dann, wenn ich weiß, daß ihr Besitzer keinen Wert mehr darauf legt. Es könnte ja sein, daß sie einem Kind gehört.«

»Hm, Sie haben recht. Warum geben Sie nicht einfach eine Anzeige unter der Rubrik ›Verloren/gefunden‹ auf? Ich müßte sie allerdings bis Freitag haben, das heißt vor Redaktionsschluß.«

Staunton überlegte einen Augenblick. Wenn er die Anzeige gleich jetzt aufgab, mußte er nicht noch einmal hierher kommen. »Okay, Ed, dann gebe ich Ihnen den Text gleich«, sagte er deshalb. »›Mittelgroße graue Katze zugelaufen.‹ Setzen Sie eine Chiffre dazu; ich komme dann nächste Woche vorbei und erkundige mich, ob eine Antwort eingegangen ist.«

»Wird gemacht, Doc.« Hollis schrieb den Text nieder. »Da fällt mir übrigens ein, wem die Katze gehören könnte. Vergangene Woche war ich bei den Kramers – und dort lief eine nicht sehr große graue Katze herum. Die Kramer-Farm liegt bei Ihnen draußen, deshalb könnte es die gleiche Katze sein.«

»Wo wohnen die Leute genau?«

»Nur ein paar hundert Meter von der Gross-Farm entfernt in Richtung Osten. Sie müssen das Haus gesehen haben, als Sie mit dem Sheriff bei Mrs. Gross waren.«

»Ja, jetzt erinnere ich mich. Danke, Ed. Aber lassen Sie die Anzeige bitte trotzdem erscheinen, falls ich es mir nicht noch anders überlege.«

Doc überquerte die Straße und betrat den Drugstore, um von dort aus Miß Talley anzurufen, ob sie wie vereinbart bis Donnerstag mittag mit der Arbeit fertig sein würde und ob sie etwas Neues gehört hätte. Ja, sie würde bestimmt rechtzeitig fertig, wie sie versprochen hatte, und nein, sie hatte nichts erfahren. Das war allerdings auch nicht zu erwarten gewesen, solange sie noch mit der Schreibarbeit beschäftigt war.

Dann fragte sie, ob er eine Katze in dem Haus vorgefunden habe. Staunton gab einen kurzen Bericht und fügte hinzu, daß er sie vorläufig bei sich behalten wolle.

Auf der Heimfahrt hielt er vor dem Haus der Kramers an. Auf den Stufen vor dem Eingang sonnten sich zwei Katzen. Beide wiesen eine gewisse Ähnlichkeit mit der anderen auf und konnten ohne weiteres aus dem gleichen Wurf stammen.

Eine freundliche ältere Frau öffnete ihm, nachdem er an die Tür geklopft hatte.

»Mein Name ist Ralph Staunton«, stellte er sich vor. »Ich wohne in dem letzten Haus an der Bascombe Road. Ich wollte ...«

»Oh, ja«, unterbrach sie ihn. »Ich habe Sie schon öfters vorbeifahren sehen. Wollen Sie nicht einen Augenblick hereinkommen?« Sie trat einen Schritt zurück, um den Eingang freizugeben.

»Gern, aber nur für ein paar Minuten. Es handelt sich um folgendes, Mrs. Kramer – Sie haben eine graue Katze, wenn ich richtig informiert bin, und mir ist eine zugelaufen, die den beiden anderen dort draußen ähnlich sieht. Deshalb wollte ich fragen ...«

»Oh, ja. Ich dachte schon, daß ihr etwas zugestoßen sei, weil sie plötzlich verschwunden war.«

»Nein, zugestoßen ist ihr nichts, sie hat sich nur in mein Haus verirrt. Ich wollte sie eigentlich gern behalten. Würden Sie sie mir verkaufen?«

Sie lachte. »Verkaufen? Mein Gott, ganz bestimmt nicht! Aber Sie dürfen sie gern behalten, wenn sie Ihnen gefällt. Wir haben noch drei andere – und eine von ihnen bekommt schon wieder Junge.« Sie schüttelte den Kopf. »Wir können allmählich bereits mit Katzen handeln.«

»Danke, Mrs. Kramer«, sagte Doc. »Ich behalte sie gern. Wenn ich wieder nach Boston zurück muß, werde ich sie irgendwo unterbringen oder sie mitnehmen, wenn es nicht anders geht. Natürlich unter der Voraussetzung, daß sie bei mir bleiben will.«

»Aber Sie sagten doch eben ...«

»Vorläufig habe ich sie noch im Haus eingesperrt, um zu sehen, ob sie sich an mich gewöhnt. Aber in einigen Tagen werde ich sie wieder hinaus lassen – und dann sehen wir ja, ob sie bei mir bleibt oder zu Ihnen zurückläuft. Ich kann sie nicht gut gegen ihren Willen bei mir behalten; Katzen sind sehr selbständig.«

»Sie haben recht, Mr. Staunton. Aber ich hoffe trotzdem, daß sie bei Ihnen bleibt. Sie heißt übrigens Pat.«

»Von jetzt ab nicht mehr, wenn sie bei mir bleibt«, sagte Doc. »Ich habe ihr einen neuen Namen gegeben und nenne sie Katze.«

Mrs. Kramer lachte.


Die Katze mußte gehört haben, daß Staunton zurückkam, denn sie wartete an der Tür und versuchte zu entwischen, aber er hielt sie zurück. »Nein, Katze«, sagte er, nahm sie diesmal in den Arm und stieß die Tür mit dem Fuß zu. »Ich habe dir doch erklärt, daß du vorläufig unter Arrest stehst. Dann kannst du dich entscheiden, ob du als Katze bei mir bleiben, oder als Pat zu den Kramers zurückgehen willst. Ich kenne dich nämlich jetzt, mußt du wissen.«

Er setzte sie auf das Sofa und sah nachdenklich auf sie hinunter. »Oder vielleicht doch nicht?« fügte er dann leise hinzu.

Erst als er ein Fenster öffnen wollte und es gerade noch rechtzeitig unterließ, fiel ihm ein, daß er die Fliegengitter nicht bestellt hatte. Nun, morgen mußte er ohnehin wieder nach Bartlesville; ein Tag mehr oder weniger spielte bestimmt keine Rolle.

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