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Dann geschah eine Ewigkeit lang nichts. Die Sonne ging langsam unter, dann brach die Nacht herein. Doc ging durch sämtliche Räume des Hauses und schaltete überall die Lampen ein.

Und dann ging das Licht plötzlich aus.

Der Generator? Selbstverständlich der Generator. Der Benzinmotor, der ihn antrieb, konnte nicht aus Brennstoffmangel stehengeblieben sein; der Tank enthielt noch genug Benzin für mindestens vier Tage. Aber entweder der Motor oder der Generator arbeiteten nicht mehr.

Der Feind hatte wieder einen Wirt benutzt. Eine Maus? Wahrscheinlich eine Maus, die er entsprechend angeleitet hatte, so daß sie eine der beiden Maschinen stillgelegt hatte. Und das Tier war jetzt bestimmt tot, vielleicht als unkenntliche Masse um den Läufer des Generators geschmiert ... Und es war sinnlos, wenn Doc etwa den Motor oder den Generator wieder in Betrieb zu setzen versuchte – Mäuse gab es übergenug. Oder vielleicht war es gar keine Maus gewesen. Selbst ein Insekt konnte bei entsprechender Anleitung einen Kurzschluß hervorrufen.

Dunkelheit.

Vor allem durfte er nicht einschlafen. Schlaf bedeutete das Ende.

Der Mond stieg über dem Wald auf. Kein Vollmond, aber doch so hell, daß Doc draußen Einzelheiten erkennen konnte. Und durch die Wohnzimmerfenster kam genug Licht herein, daß der Raum einigermaßen beleuchtet war – gut genug, um darin auf und ab zu gehen, ohne dabei überall anzustoßen. Er besaß zwar eine Taschenlampe, aber selbst mit der einen Ersatzbatterie würde sie nicht eine ganze Nacht brennen; er mußte sparsam damit umgehen.

Wie lange konnte er noch wach bleiben? Noch vierundzwanzig Stunden, schätzte er, obwohl er letzte Nacht so wenig geschlafen hatte und bereits müde war.

Er war auch hungrig, wollte aber möglichst wenig Nahrung zu sich nehmen. Essen machte ihn bestimmt müder, als er es jetzt schon war.

Er ging ruhelos auf und ab und dachte nach. Irgendwie mußte er eine Möglichkeit zu einem Gegenangriff finden. Aber wie?

In welcher Beziehung war sein Gegner verwundbar? Besaß er keinen Körper oder verfügte er über einen eigenen – der vielleicht ruhte, während er einen Wirt gebrauchte? Wahrscheinlich hatte er einen Körper; Doc konnte sich erstens kein körperloses Wesen vorstellen und erinnerte sich zweitens an einen seltsamen Vorfall in Verbindung mit Siegfried Gross' Selbstmord. In dieser Nacht waren zwei Schüsseln aus dem Kühlschrank der Gross-Farm verschwunden, die Fleischbrühe und eine Soße enthalten hatten. Gross konnte wohl kaum alles verzehrt haben und hatte bestimmt keinen Grund, die Brühe und die Soße in den Ausguß zu schütten. Aber beide Flüssigkeiten zusammen ergaben eine ideale Nährlösung für jedes Lebewesen, das auf eine proteinhaltige Nahrung angewiesen war. War Gross als Wirt benutzt worden, um den Feind zu ernähren, bevor er Selbstmord beging? Eine groteske Vorstellung – aber waren die Ereignisse bisher nicht alle grotesk gewesen?

Er ging wieder in die Küche und kochte Kaffee. Dann kehrte er in das Wohnzimmer zurück, setzte sich auf die Sofalehne und starrte nach draußen.

Wo konnte der Körper des Gegners sich befinden? Vermutlich nicht sehr weit von hier entfernt, nachdem der Angriff sich auf dieses Haus konzentrierte. Wahrscheinlich in Sichtweite des Gebäudes, möglicherweise sogar darin. Doc hielt es für nicht sehr wahrscheinlich, daß sein Feind dieses Risiko auf sich genommen hatte, aber trotzdem wollte er jede Möglichkeit zu einem Gegenangriff nutzen. Nicht sofort, aber sowie es hell genug war, würde er das Haus von oben bis unten durchsuchen und auf jedes Lebewesen schießen, das er dabei entdeckte.

Die einsame Nacht schien kein Ende nehmen zu wollen. Aber dann brach doch der Morgen an.

Doc begann seine systematische Suche, die ihn vom Dachboden bis in den Keller führte. Er wußte zwar eigentlich gar nicht, wie groß oder wie klein dieses Wesen war, aber falls sein Gegner sich nicht unsichtbar gemacht hatte oder sich in einen Haushaltungsgegenstand verwandeln konnte, mußte er ihn finden. Seine Anstrengung blieb vergeblich. Im Keller stellte er fest, daß er die Ursache des Stromausfalls richtig erraten hatte. Ein kleines Tier – vermutlich eine Maus – war in das Gehäuse gekrochen und dort zur Unkenntlichkeit verstümmelt worden. Er hätte den Generator säubern und wieder in Betrieb setzen können – aber wozu? Wenn der unsichtbare Feind nicht wollte, daß er elektrisches Licht hatte, dann würde er die Stromversorgung wieder unterbrechen, sowie Doc den Keller verlassen hatte.

In dieser endlos langen Nacht hatte er sich jedoch noch eine andere Möglichkeit überlegt. Vielleicht hatte er doch noch eine Chance, das Blatt zu wenden, wenn er die Tatsache ausnutzte, daß der Gegner sozusagen hilflos in seinem jeweiligen Wirt gefangen war und von keinem neuen Besitz ergreifen konnte, bevor nicht der vorherige tot war. Wenn Doc nun den nächsten Wirt, der gegen ihn vorgeschickt wurde, nur leicht verwundete und gefangensetzte, oder nur gefangennahm – und ihn unter solchen Bedingungen am Leben erhielt, daß er nicht Selbstmord begehen konnte, dann war der Feind wenigstens für gewisse Zeit außer Gefecht gesetzt. Und diese Zeitspanne würde vielleicht genügen, um Doc die Stadt erreichen zu lassen, wo er in Sicherheit war.

Aber würde er dazu Gelegenheit haben?

Er sah zur Zimmerdecke hinauf und faßte plötzlich Hoffnung, als er dort eine Motte umherfliegen sah. War das wirklich möglich? Eine Motte konnte ihm in keiner Weise gefährlich werden, aber vielleicht kontrollierte der Feind sie doch – um ihn ständig zu überwachen, was sonst nicht möglich war.

Doc stand so beiläufig wie möglich auf und verließ das Zimmer, um in der Besenkammer nach dem alten Kescher zu suchen, den er dort hatte liegen sehen. Er schloß die Tür hinter sich und fühlte in dem engen Raum umher, bis er das engmaschige Netz gefunden hatte. Dann bog er einen Drahtkleiderbügel auf und befestigte damit den Kescher an einem Besenstiel. Die fertige Konstruktion sah nicht gerade wie ein richtiges Schmetterlingsnetz aus, aber vielleicht erfüllte sie trotzdem den gleichen Zweck.

Die Motte flog noch immer umher. Doc unternahm einige vergebliche Versuche, aber schließlich erwischte er das Insekt doch. Er nahm sie sehr behutsam aus dem Netz, um sie nicht zu verletzen und sperrte sie in eine Zündholzschachtel, die er ausgeleert hatte. Darin würde die Motte bestimmt lange genug leben, bis seine Flucht gelungen war. Immer vorausgesetzt, daß die Motte wirklich ...

Er entschloß sich zu einem sofortigen Versuch, nahm die doppelläufige Schrotflinte mit und öffnete die Haustür. Draußen war nichts zu sehen, wovor er sich hätte fürchten müssen. Nicht einmal in der Luft.

Staunton atmete tief ein und ging die Treppe hinab. Aber schon nach zehn Schritten sah er unwillkürlich nach oben. Ein riesiger Habicht hatte seinen Platz auf dem Giebel des Hauses verlassen und kreiste nun über dem Hof. Dann stürzte er sich in die Tiefe, wobei deutlich zu erkennen war, daß er Doc treffen wollte, anstatt ihn nur zu erschrecken und zum Rückzug zu zwingen.

Staunton riß die Schrotflinte hoch und betätigte den Abzug, als der Habicht nur noch drei Meter von ihm entfernt war und wie ein ferngesteuertes Geschoß herabstürzte, was er ja ihn Grunde genommen auch war. Blut und Federn regneten auf Doc herab. Die Überreste des Vogels fielen neben ihm zu Boden.

Er rannte in das Haus zurück, wusch sich das Blut ab und bürstete die Federn von seiner Jacke. Dann öffnete er die Zündholzschachtel und ließ die Motte frei.

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