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»Die Schweine von Gadara ...«, wiederholte Staunton nachdenklich. »Nein, ich fürchte, daß ich im Augenblick nichts damit anfangen kann.«

»In der Bibel«, erklärte Miß Talley. »Ich glaube im Evangelium des Lukas. Christus traf einen Mann, der von Teufeln besessen war, und befahl ihnen, daß sie ihn verließen. Ich kann den wichtigsten Vers sogar noch auswendig, der von den Schweinen handelt: ›Da fuhren die Teufel aus dem Menschen und fuhren in die Säue; und die Herde stürzte sich von dem Abhang in den See und ersoff.‹ Das geschah in Gadara.«

Doc stieß einen Seufzer aus. »Miß Talley, Sie wollen mir doch nicht etwa weismachen, daß Sie an Besessenheit durch Dämonen glauben. Bitte!«

»Selbstverständlich nicht. Jedenfalls nicht an Dämonen. Aber Besessenheit ...«

»Von wem denn? Ich bin Materialist, Miß Talley, obwohl ich keineswegs bestreite, daß es Phänomene wie Telepathie und Telekinese gibt. Auch Hypnose und die dazugehörigen Nachfolgeerscheinungen sind wissenschaftlich beweisbar. Aber selbst die begeistertsten Parapsychologen sind bisher noch nicht auf den Gedanken gekommen, daß ein Lebewesen ein anderes von innen her kontrollieren könnte.«

»Ein menschliches Lebewesen kann es bestimmt nicht«, stimmte Miß Talley zu. »Aber das Universum enthält Milliarden Planeten, von denen Millionen bewohnt sein müssen. Woher wissen wir, welche Fähigkeiten ein nichtmenschlicher Geist besitzt? Wie können wir ahnen, was ein außerirdisches Lebewesen fertigbringt?«

»Hmmm«, machte Doc nachdenklich und sah seine Nachbarin dabei einen Augenblick lang an. Ihre Augen glänzten aufgeregt, aber ihr Gesichtsausdruck hatte sich nicht verändert. Also meinte sie jedes Wort ernst.

»Schließlich unternehmen wir doch größte Anstrengungen, um die anderen Planeten zu erreichen«, fuhr Miß Talley fort. »Und weshalb sollten ausgerechnet wir die am weitesten fortgeschrittene Rasse des Universums sein? Woher wissen Sie, daß dies alles nicht die Schuld eines fremdartigen Lebewesens ist?«

»Hmmm«, wiederholte Doc. »Beweisen kann ich es selbstverständlich nicht. Aber warum nur ein fremdartiges Wesen, anstatt gleich mehrere?«

»Weil jeweils nur ein Mensch oder ein Tier besessen war – ich muß es so nennen, weil mir kein besseres Wort dafür einfällt. Die Feldmaus; dann Tommy, nachdem die Maus tot war; dann der Hund, nachdem Tommy tot war; dann die Eule, nach dem der Hund tot war; dann die Katze ... Das meine ich damit, Doktor. Niemals zwei gleichzeitig. Und die Wirte müssen sterben oder Selbstmord begehen, damit dieses Wesen sich einen neuen suchen kann.«

Doc lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter. »Sie verfügen über eine blühende Phantasie, Miß Talley«, sagte er leichthin. »Vielleicht sollte ich lieber Science Fiction als Kriminalromane lesen.«

»Vielleicht sollten Sie das wirklich, Doktor. Aber andererseits ist es durchaus möglich, daß Sie gar keine anregende Lektüre mehr brauchen. Falls Sie eine Katze in Ihrem Haus vorfinden, ist sie vielleicht der Wirt eines fremden Wesens, das uns belauschen wollte. Am besten fragen Sie sie danach.«

Doc lachte. »Und dann muß ich nur noch die Katze umbringen, damit dieses Wesen von mir Besitz ergreifen kann? Ich werde Sie benachrichtigen, wenn dieser Fall eintreten sollte, Miß Talley.«

Als er sich wieder auf der Rückfahrt befand, nahm sein Gesicht einen nachdenklichen und sogar besorgten Ausdruck an. Natürlich waren das alles nur Hirngespinste, aber wenn ...?

Er öffnete die Haustür nur einen Spalt breit und achtete sorgfältig darauf, daß nichts an ihm vorbei ins Freie entwischte. Dann lehnte er sich von innen gegen die Tür, stopfte seine Pfeife und zündete sie an. Nirgendwo ein außergewöhnliches Geräusch. Er ging in das Wohnzimmer hinüber und ließ sich in einen ledernen Klubsessel fallen, um dort nachzudenken.

Sollte er das Haus vom Dachboden bis zum Keller durchsuchen? Das hatte bestimmt wenig Zweck, denn das alte Gebäude bot unendlich viele Verstecke. Und hier unten im Erdgeschoß brauchte das Tier sich gar nicht vor ihm zu verbergen, sondern nur vor ihm her von einem Zimmer zum anderen zu laufen. Das war leicht möglich, weil unten sämtliche Türen fehlten und nie ersetzt worden waren. Eine Katze war ihm sogar deshalb überlegen, weil sie wesentlich besser hörte, so daß sie jederzeit vor ihm ausweichen konnte.

Vorausgesetzt, daß sich wirklich eine Katze in dem Haus befand.

Und wenn das zutraf, warum sollte es sich dabei nicht um eine völlig normale Katze handeln, die aus völlig normalen Gründen hier war? Andererseits war kaum anzunehmen, daß eine gewöhnliche Katze den gefährlichen Sprung gewagt hätte, wenn sie nicht einen besonderen Grund gehabt hätte. Und deshalb sollte sie sich die ganze Zeit über versteckt halten?

Seine Pfeife war ausgegangen. Er stand auf und fragte sich, ob er sich etwas zum Essen machen sollte, oder ob er lieber nach Bartlesville fahren sollte, um dort zu essen. Heute hatte er einfach keine Lust zum Kochen.

Aber die Katze ...?

Dann fiel ihm plötzlich ein, was er tun konnte, um wenigstens festzustellen, ob sich wirklich eine Katze in dem Haus versteckt hielt – falls sie umherschlich und nicht an der gleichen Stelle blieb. Er holte ein feines Sieb aus dem Küchenschrank, füllte es mit Mehl und ging damit durch sämtliche Räume, wobei er das Sieb leicht schüttelte. Auf diese Weise bedeckte sich der Fußboden mit einer dünnen Mehlschicht, in der die Abdrücke von Katzenpfoten deutlich sichtbar sein mußten. Nach getaner Arbeit verließ er das Haus durch die Hintertür und fuhr nach Bartlesville.

Dort aß er in einem Restaurant, das angeblich die geschwätzigste Bedienung der Stadt beschäftigte. Diese Dame machte ihrem Ruf alle Ehre – aber leider wußte auch sie nichts Neues zu berichten. Niemand hatte Selbstmord begangen, sämtliche Haustiere benahmen sich wie immer, und auch die wildlebenden Tiere führten sich keineswegs ungewöhnlich auf.

Doc steuerte gerade wieder auf seinen Wagen zu, als ihn jemand anrief. »He, Staunton!« Es war Dr. Gruen, der jetzt näherkam. »Wir wollen eine Partie Poker spielen und brauchen noch einen, der mitmacht. Wie wäre es damit?«

»Prima«, meinte Doc. »Zwei Stunden habe ich immer Zeit. Wieder dort drüben in der Bar?«

Gruen nickte. »Ich hole nur noch Lem, dann können wir in ungefähr einer Viertelstunde anfangen.«

Zeit ist ein durchaus relativer Begriff; fünf Minuten beim Zahnarzt können einem länger erscheinen als mehrere Stunden bei einer Partie Poker. Doc stellte überrascht fest, daß es bereits Mitternacht war, als die Spieler aufbrachen.

Er parkte den Wagen vor dem Haus und wollte schon die Vordertür öffnen, als ihm gerade noch rechtzeitig einfiel, daß sich darin eine Katze aufhalten mußte – falls Miß Talley nicht an Halluzinationen litt.

Deshalb betrat er das Haus durch die Hintertür und achtete darauf, daß nichts an ihm vorbei ins Freie entkam. Draußen schien der Mond so hell, daß er nichts übersehen haben konnte, was größer als eine Maus war. Er hörte kein Geräusch.

Dann schaltete er das Licht in der Küche ein und sah sich um. Er erinnerte sich an das Mehl, das er auf den Boden gestreut hatte.

Überall waren deutlich Katzenspuren zu sehen.

»Okay, Katze«, sagte er laut vor sich hin. »Du kannst dich ja zeigen, wenn du hungrig oder durstig bist. Ich werde nicht lange nach dir suchen, aber du kommst nicht eher wieder ins Freie, bis ich dich nicht gesehen habe.«

Er ging an den Kühlschrank, holte eine Dose Bier heraus und machte sich ein Schinken-Sandwich. Während er langsam aß und trank, dachte er intensiv nach. Er fürchtete sich, ohne zu wissen, wovor er diese Furcht empfand. Obwohl er sich in dem Haus so gut auskannte, daß er ohne weiteres im Dunkeln zu Bett gehen konnte, nahm er heute seine Taschenlampe mit und richtete sie vor sich auf den Fußboden. Dabei kam er sich selbst verrückt vor (was konnte ihm schon eine Katze tun?), aber trotzdem behielt er die Lampe in der Hand.

Weder im Hausflur noch auf der Treppe war etwas von der Katze zu sehen. Staunton schloß die Schlafzimmertür hinter sich und durchsuchte den Raum mit Hilfe der Taschenlampe. Dabei bückte er sich sogar und sah unter das Bett.

Kurze Zeit später wußte er, daß die Katze sich bestimmt nicht in diesem Zimmer befand. Falls das Tier wirklich so harmlos und normal wie jeder andere Katze war, brauchte er nicht befürchten, daß es hier eindringen würde, während er schlief. Glücklicherweise war es diese Nacht ziemlich kalt, so daß Doc ohne weiteres mit geschlossenem Fenster und bei geschlossener Tür schlafen konnte. Das Fenster wollte er lieber geschlossen halten – nicht weil er glaubte, daß die Katze so entkommen könnte, sondern weil er verhindern wollte, daß etwas anderes den gleichen Weg benutzte, um in das Haus einzudringen.

Er wälzte sich unruhig im Bett umher und wünschte sich, daß er ein Gewehr mit nach oben genommen hätte.

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