Der Parasit beobachtete aufmerksam. Allerdings nicht aus Neugier, denn eine Empfindung dieser Art war ihm völlig fremd. Er selbst war geschlechtslos. Seine Artgenossen vermehrten sich durch Zellteilung, so daß aus einem zwei wurden, wie es auf der Erde nur bei den niedrigsten Lebensformen zu beobachten ist.
Aber er verfolgte die Ereignisse trotzdem aufmerksam, nachdem er begriffen hatte, was dort geschah. Jetzt erkannte er, daß er bald einen geeigneten Wirt finden würde, denn er wußte aus Erfahrung, daß intelligente Lebewesen, die sich in ähnlicher Weise paarten, im Anschluß daran zu schlafen pflegten.
Wenn einer der beiden schlief, würde der Parasit von ihm Besitz ergreifen. Wenn sie beide einschliefen, wollte er das männliche Wesen nehmen, das entschieden größer und stärker als das weibliche war. Vermutlich auch intelligenter. Das weibliche Wesen schlief zuerst ein, aber auch das männliche schloß die Augen und atmete flach und gleichmäßig. Der Parasit wußte, daß seine Wartezeit sich dem Ende näherte.
Dann schlief das männliche Wesen ein, und der Parasit ergriff Besitz von ihm. Es kam zu einem kurzen aber erbitterten Kampf, als Tommys Geist sich verzweifelt gegen den Eindringling wehrte. Das war zu erwarten gewesen, denn alle intelligenten Lebewesen leisteten je nach dem Grad ihrer Intelligenz mehr oder weniger Widerstand. Bei Tieren war dieser Widerstand unbedeutend – der Parasit hatte nur den Bruchteil einer Sekunde gebraucht, um von dem kleinen Vierfüßler Besitz zu ergreifen.
Diesmal benötigte er dazu etwa eine Sekunde, was den Durchschnittswert für ein nicht übermäßig intelligentes Lebewesen darstellte. Dann kontrollierte er Tommy Hoffmanns Geist und damit auch Tommys Körper. Dieser Zustand völliger Unterwerfung und Abhängigkeit würde erst mit dem Tod enden, wenn entweder Tommy oder der Parasit den Tod fand.
Der Parasit hatte jetzt Tommys Gedächtnis, seine Erinnerungen und sein – allerdings beschränktes – Wissen zur Verfügung. Aber er wollte sich zunächst noch nicht damit befassen, sondern zunächst sein wichtigstes Vorhaben ausführen.
Und am wichtigsten war es im Augenblick, sich selbst, seinen eigenen Körper in ein sicheres Versteck zu bringen. Er mußte ihn verstecken, bevor andere Menschen (jetzt dachte er in Ausdrücken, die Tommy geläufig waren) vorbeikamen und ihm Schaden zufügen konnten.
Er suchte in Tommys Gedanken und Erinnerungen nach einer geeigneten Stelle und hatte bald eine entdeckt. Etwa einen Kilometer von der Lichtung entfernt befand sich eine Höhle in einem bewaldeten Hügel. Eine kleine Höhle, die anscheinend niemand außer Tommy kannte, der sie vor Jahren einmal entdeckt hatte. Zudem bestand der Boden der Höhle aus feinem Sand.
Er erhob sich leise und vorsichtig, um das schlafende Mädchen nicht aufzuwecken. Er hätte sie ohne weiteres umbringen können, aber das hätte die Angelegenheit nur unnötig kompliziert; der Parasit empfand zwar mit diesen minderwertigeren Lebewesen keinerlei Mitleid, tötete aber nur, wenn es wirklich unumgänglich war. Da er sich jetzt beeilen mußte – schließlich konnte jederzeit jemand den Weg benutzen –, hielt er sich nicht damit auf, seinem Wirt den Befehl zu geben, daß er sich zunächst anziehen solle. Tommy trug nur ein Paar blaue Socken; seine restlichen Kleidungsstücke – Schuhe, Unterhosen, Hose und ein Hemd – lagen noch an der Stelle, wo er sie abgelegt hatte.
Als er den Weg erreicht hatte, setzte er sich in einen leichten Trab und bewegte sich in Richtung auf die Höhle zu, nachdem er sich selbst vom Boden aufgehoben hatte.
Als er Tommys Gedanken durchforschte, entdeckte er die Antwort auf eine Frage, die ihn verblüfft hatte – warum Tommy und das Mädchen ihn nicht näher betrachtet hatten, obwohl sie ihn deutlich gesehen hatten. Von oben her gesehen glich er entfernt einem Tier, das auf der Erde (er kannte jetzt den Namen des Planeten, auf dem er sich befand) Schildkröte genannt wurde. Jeder, der nicht allzu genau hinsah, mußte in ihm eine etwa fünfzehn Zentimeter lange Schildkröte sehen, die Kopf und Beine eingezogen hatte. Diese Art von Tieren bewegte sich äußerst langsam und besaß keine große Intelligenz; Schildkröten belästigten die Menschen nicht, und diese stellten ihnen nicht immer nach. Gewiß, sie waren eßbar – er empfand den Geschmack von Schildkrötensuppe deutlich auf der Zunge –, aber ein Tier von dieser Größe war zu klein, um viel Suppe zu ergeben. Nur ein Mensch, der dem Hungertod nahe war, würde sich die Mühe machen, eine so kleine Schildkröte zu töten.
Diese zufällige Ähnlichkeit hatte ihn gerettet. Das und das Verhalten der Feldmaus, während sie sein Wirt gewesen war. Er hatte sie das Richtige tun lassen, wenn auch mit der falschen Absicht – ein weiterer glücklicher Zufall. Die beiden Menschen hatten weder Angst vor der Maus gehabt noch hätten sie das Tier vom Weg gejagt. Aber dann hatte sie das Mädchen gebissen und den Jungen angegriffen, wodurch die beiden in Angst versetzt wurden, die Maus könne Tollwut gehabt haben. Und diese Furcht brachte Tommy dazu, Charlotte so rasch wie möglich zu dem Versteck zu führen, wo sie nachsehen konnten, ob sie wirklich gebissen worden war. Sonst wären sie wohl langsam weitergegangen und vielleicht sogar stehengeblieben, als das Mädchen die Schildkröte sah. Wahrscheinlich hätte einer von ihnen das Tier aufgehoben, weil es eben doch nicht völlig wie eine Schildkröte aussah – und das wäre fatal gewesen, weil sie dann hätten erkennen müssen, daß sie gar keine Schildkröte vor sich hatten, sondern nur einen geschlossenen Panzer mit keinerlei Öffnungen für Kopf und Beine. Vermutlich hätten sie das seltsame Ding mit nach Hause genommen, wo vielleicht jemand auf die Idee gekommen wäre, es aufzubrechen, um zu sehen, was sich im Innern des Panzers verbarg. Das hätte das Ende des Parasiten bedeutet, selbst wenn er sich schnell einen anderen Wirt gesucht hätte, denn ohne seinen eigenen Körper war er nur begrenzte Zeit lebensfähig.
Jetzt ließ er Tommy so schnell wie möglich rennen, bis er von dem Weg abbiegen mußte. Dabei stellte er fest, daß sein Wirt dieses Tempo nicht sehr lange durchhalten konnte, deshalb ließ er zu, daß der Junge etwas langsamer lief.
Der Eingang der Höhle war eigentlich nur ein verhältnismäßig kleines Loch in der Erde; man mußte sich auf Hände und Knie niederlassen, wenn man hineinwollte, und der Parasit bemerkte zufrieden, daß die Öffnung von dichtem Unterholz verdeckt wurde.
Im Innern der Höhle herrschte ein ungewisses Halbdunkel, aber selbst durch Tommys Augen vermochte er sich einigermaßen zu orientieren. Und durch Tommys Gedächtnis konnte er sich ein Bild von seiner neuen Umgebung machen. (Sein Spürsinn, der unabhängig von jeder Beleuchtung funktionierte, arbeitete nur, wenn er sich in seinem eigenen Körper befand. Hatte er von einem Wirt Besitz ergriffen, dann war er auf dessen Sinnesorgane angewiesen, selbst wenn sie noch so unzulänglich waren.) Die Höhle war nicht übermäßig groß – etwa sieben Meter lang und nicht mehr als zwei Meter breit – und nur in der Mitte hoch genug, daß ein Mann darin aufrecht stehen konnte.
Der Parasit veranlaßte Tommy, ihn etwa in der Mitte der Höhle abzusetzen. Dann ließ er ihn mit den Händen den Sand aufgraben, bis der darunterliegende Fels zum Vorschein kam. Als nächstes erteilte er Tommy den Befehl, ihn in das Loch zu legen, es wieder aufzufüllen und den Sand festzuklopfen. Schließlich kroch der Junge rückwärts aus der Höhle und verwischte dabei sorgfältig alle Spuren, die er zuvor hinterlassen hatte.
Dann brachte er Tommy dazu, daß er sich in der Nähe des Höhleneingangs niederließ und dort wartete.
Jetzt hatte er keine Eile mehr. Jetzt hatte er ein sicheres Versteck gefunden und konnte sich genügend Zeit lassen, um Tommys Wissen in sich aufzunehmen, es zu katalogisieren und es als Grundlage für seine langfristigen Pläne zu benutzen.
Außerdem mußte er sich überlegen, was er in nächster Zeit mit seinem Wirt vorhatte. Er hatte bereits erkannt, daß Tommy nicht der ideale Wirt war, nach dem er suchte. Aber für den Augenblick war er gut genug. Tommy besaß vermutlich einen durchschnittlichen I.Q. für seine Rasse (so dachte Tommy jedenfalls von sich selbst), aber sein Wissen war sehr begrenzt, denn er besaß nur nebelhafte Vorstellungen von Physik, Chemie und anderen Naturwissenschaften.
Aber Tommy war gut genug – für den Augenblick.