5

»New York«, sagte Krug. »Das obere Büro.«

Er und Spaulding betraten die Transmatkabine. Das strahlend grüne Transmatfeld stieg aus der Bodenöffnung und bildete einen Vorhang, der die Kabine in zwei Hälften teilte. Der Ektogene stellte die Koordinaten ein. Die verborgenen Kraftstationen des Transmaterialisierungssystems waren direkt mit dem Hauptgenerator verbunden, der Irgendwo unter dem Atlantik stets auf hohen Touren lief und die Theta-Energie erzeugte, die das Transmatreisen brauchte. Krug machte sich nicht die Mühe, die Koordinaten zu prüfen, die Spaulding eingestellt hatte. Er vertraute seinen Mitarbeitern. Eine kleine Abweichung in der Abszisse, und die Atome von Simeon Krug würden unwiderruflich in alle Winde zerstreut werden, aber er trat, ohne zu zögern, in den grünen Schein.

Es war keine Sensation. Krug wurde zerstört; ein Strom der zu Wellen entmaterialisierten Korpuskel, aus denen Krug bestand, wurde mehrere tausend Kilometer weit zu einem parallel geschalteten Empfänger gefunkt, und Krug wurde wiederhergestellt. Das Transmatfeld zerblies den Körper eines Menschen so schnell in subatomare Einheiten, daß das Nervensystem keinen Schmerz empfand, und die Rematerialisierung erfolgte mit der gleichen Geschwindigkeit. Heil und unbeschädigt trat Krug mit Spaulding aus der Transmatkabine seines Büros.

»Kümmern Sie sich um Quenelle«, sagte Krug. »Sie kommt unten an. Unterhalten Sie sie. Ich will für mindestens eine Stunde nicht gestört werden.«

Spaulding ging hinaus. Krug schloß die Augen.

Das Fallen des Blocks hatte ihn in höchstem Maße beunruhigt. Es war nicht der erste Unfall, der sich während des Turmbaues ereignet hatte; es würde wahrscheinlich nicht der letzte sein. Leben hatte es gekostet, zwar nur Androidenleben, gewiß, aber dennoch Leben. Die Vergeudung von Leben, von Energie und von Zeit machte ihn rasend. Wie sollte der Turm steigen, wenn Blöcke abstürzten? Wie sollte er Botschaften ins All schicken, daß der Mensch existierte, wenn es keinen Turm gab?

Krug litt. Krug fühlte sich der Verzweiflung nahe, angesichts der ungeheuren Größe seiner selbstauferlegten Aufgabe.

In Augenblicken der Müdigkeit und der Anspannung wurde er sich schmerzhaft der Rolle seines Körpers als einem Gefängnis seiner Seele bewußt. Seine Bauchfalten, die ständigen Anfälle von Nackenverkrampfung, das häufige Zucken seines linken oberen Augenlids, der stete Druck auf der Blase, seine zunehmende Heiserkeit, das Knacken in den Kniescheiben, jede Andeutung von Sterblichkeit wirkte auf ihn wie ein Alarmsignal. Sein Körper erschien ihm oft als etwas Absurdes, wie ein Sack aus Haut und Fleisch und Knochen, Blut und Kot und verschiedenen Seilen und Schnüren, erschlaffend im Fluß der Zeit, verfallend von Jahr zu Jahr, von Stunde zu Stunde. Was war edel an einem solchen Haufen Protoplasma? Die Sinnlosigkeit der Fingernägel? Die Albernheit der Nasenlöcher? Die Lächerlichkeit der Ellbogen? Doch unter der Schädeldecke tickte das wachsame graue Gehirn wie eine im Schlamm vergrabene Bombe. Krug verachtete sein Fleisch, doch er empfand Ehrfurcht vor seinem Gehirn und vor dem menschlichen Gehirn an sich. Sein wahres Wesen hatte seinen Sitz in den Falten und Windungen dieses weichen Gewebes, sonst nirgends, nicht in den Eingeweiden, nicht in den Lenden, nicht in der Brust, nicht Im Herzen, sondern allein im Geist. Der Körper verfaulte, während sein Besitzer ihn noch trug; der Geist in ihm schwang sich auf zu den fernsten Galaxien.

»Massage«, befahl Krug.

Der schroffe Tonfall seines Befehls veranlaßte einen leicht vibrierenden Tisch, aus der Wand herauszufahren. Drei weibliche Androiden, ständig auf Abruf bereit, betraten den Raum. Ihre geschmeidigen Körper waren nackt; sie waren Gamma-Standardmodelle und sahen aus wie Drillinge, bis auf die üblichen, kleinen programmierten somatotypologischen Unterschiede. Sie hatten kleine hochstehende Brüste, flache Bäuche, schmale Taillen, ausladende Hüften, pralle Gesäße. Sie hatten Haare auf den Köpfen und sie hatten Augenbrauen, aber sonst waren sie ohne Körperbehaarung, was ihnen trotz aller weiblichen Formen ein gewisses geschlechtsloses Aussehen verlieh; doch das weibliche Geschlechtsorgan zwischen den Beinen war vorhanden, und wenn jemand Lust dazu hatte, konnte er in diesem Genital eine echter sexueller Lust ähnliche Ersatzbefriedigung finden. Er selbst hatte es nie getan. Doch Krug hatte mit Absicht ein Element von Sinnlichkeit in seine Androiden einprogrammiert. Er hatte ihnen funktionelle – wenn auch sterile – Genitalien geschenkt, wie er ihnen auch richtige – wenn auch sinnlose – Nabelgruben geschenkt hatte. Er wollte, daß seine Geschöpfe menschlich aussahen (bis auf die erforderlichen Abweichungen) und sich so menschlich wie möglich benahmen. Seine Androiden waren keine Roboter. Es war seine Absicht gewesen, synthetische Menschen zu schaffen, keine Maschinen.

Die drei Gammas hatten ihn flink entkleidet und bearbeiteten ihn mit kundigen Fingern. Krug lag auf dem Bauch; unermüdlich kneteten sie sein Fleisch und massierten seine Muskeln. Erstarrte durch die Leere seines Büros auf die Bilder an der gegenüberliegenden Wand.

Der Raum war einfach, ja nüchtern möbliert; er war ein langgezogenes Rechteck und enthielt einen Schreibtisch, ein Datenausgabegerät, eine kleine melancholische Skulptur und eine dunkle Leinwand, die bei einem Druck auf einen Repolarisationsknopf das Panorama der tief unten liegenden City von New York zeigte. Die indirekte und gedämpfte Beleuchtung hielt das Büro in einem ständigen Zwielicht. An einer Wand jedoch leuchtete ein Muster in gelbem Licht:



Es war die Botschaft von den Sternen.

Das Observatorium von Vargas hatte sie zuerst aufgefangen, eine Reihe von schwachen Radioimpulsen auf 9100 Megahertz: zwei kurze Signale, eine Pause, vier Signale, eine Pause, ein Signal usw. Das Muster wurde über eine Zeitspanne von zwei Tagen eintausendmal wiederholt und verstummte dann. Einen Monat später meldete es sich auf 1421 Megahertz, der 21-Zentimeter-Frequenz des Wasserstoffs, und wieder genau eintausendmal, und einen weiteren Monat danach ebenfalls jeweils eintausendmal auf der Hälfte und dem Doppelten dieser Frequenz. Später war es Vargas gelungen, das Muster optisch zu verifizieren, einen starken Laserimpuls auf der Wellenlänge von 5000 Angström. Das Muster war immer wieder das gleiche, Bündel von kurzen Informationen zwischen regelmäßigen Intervallen: 2…4…1…2…5…1…3…1. Jeder Bestandteil der Reihe war vom nächsten getrennt durch eine deutliche Pause, und eine größere Pause trat ein zwischen den Wiederholungen der Gruppe der Impulsbündel.

Sicher handelte es sich um eine Botschaft. Für Krug war die Sequenz 2-4-1-2-5-1-3-1 eine heilige Zahl geworden, die Eröffnungssymbole einer neuen Kabbala. Das Muster stand nicht nur in Leuchtschrift an der Wand, er konnte es auch mittels Knopfdruck im Flüsterton und in mehreren hörbaren Frequenzen im Raum ertönen lassen, und die Skulptur neben seinem Schreibtisch war mit einer Vorrichtung versehen, die sie auf Wunsch im Rhythmus der Zahlensequenz aufleuchten ließ.

Er war von dem Signal besessen; sein Universum drehte sich nur noch um das Problem seiner Beantwortung. Nachts stand er, schwindlig von der Kaskade ihres Lichts, unter den Sternen, schaute hinauf zu den Galaxien und dachte: Ich bin Krug, Ich bin Krug, hier warte Ich, sprecht zu mir! Er schloß jede Möglichkeit aus, daß das Signal etwas anderes sein könnte als eine bewußt ausgesandte Botschaft intelligenter Lebewesen. Er hatte seine gesamte Energie auf die Aufgabe konzentriert, sie zu beantworten.

Aber besteht nicht die Möglichkeit, daß diese ›Botschaft‹ ein natürliches Phänomen ist?

Nein. Die Beharrlichkeit, mit der sie in dieser Vielfalt von Medien ankommt, zeigt ein lenkendes Bewußtsein, das hinter ihr steht. Jemand versucht, uns etwas zu sagen.

Welche Bedeutung haben diese Zahlen? Sind sie eine Art von galaktischem TL?

Wir sehen keine erkennbare mathematische Relevanz. Sie bilden keine erkennbare arithmetische Reihe. Kryptographen haben uns mindestens fünfzig gleich geniale Erklärungen geliefert, was alle fünfzig gleich verdächtig macht. Wir glauben, daß die Zahlen vollkommen willkürlich ausgewählt wurden.

Welchen Sinn hat eine Botschaft, die keinen verständlichen Inhalt besitzt?

Die Botschaft ist ihr eigener Inhalt. Ein Jodler durch die Galaxien. Sie sagt uns, schaut, wir sind hier, wir können senden, wir sind fähig zu rationalem Denken, wir suchen Kontakt mit euch!

Angenommen, Sie haben recht, welche Antwort wollen Sie geben?

Ich werde ihnen sagen: ›Hallo, hallo, wir hören euch, wir empfangen eure Botschaft, wir senden Grüße, wir sind intelligent, wir sind Menschen, wir wollen nicht länger allein sein im Kosmos!‹

In welcher Sprache werden Sie ihnen das sagen?

In der Sprache willkürlicher Zahlen. Und dann mit weniger willkürlichen Zahlen. ›Hallo, hallo, 3.14159, habt ihr es gehört, 3.14159, das Verhältnis von Durchmesser zu Umfang…‹

Und wie wollen Sie ihnen das sagen? Mit Laserstrahlen? Mit Radiowellen?

Zu langsam, zu langsam. Viel zu langsam. Ich kann nicht darauf warten, daß elektromagnetische Strahlen dorthin gelangen und zurückkommen. Wir werden mit Tachyonstrahlen zu den Sternen sprechen, und ich werde zu den Sternenmenschen über Simeon Krug sprechen.

Krug zitterte auf dem Tisch. Die androiden Masseusen kneteten sein Fleisch, schlugen ihn, preßten ihre Knöchel in seine Muskeln. Versuchten sie, die mystischen Zahlen in seine Knochen zu klopfen? 2-4-1,3-1? Wo war die fehlende 2? Selbst wenn sie gesendet worden wäre, was würde die Sequenz bedeuten, 2-4-1, 2-5-1, 2-3-1? Nichts Bedeutungsvolles. Willkür, Zufall? Sinnlose Bündel nackter Information? Nicht mehr als in einem abstrakten Muster angeordnete Zahlen, und doch trugen sie die wichtigste Botschaft, die das Universum je gehört hatte:

Wir sind hier!

Wir sind hier!

Wir sind hier!

Es gibt uns!

Wir rufen euch.

Und Krug würde antworten. Er erschauerte vor Wollust bei dem Gedanken, daß sein Turm bald vollendet sein und die Tachyonstrahlen in die Galaxis hinauseilen würden. Krug würde antworten, Krug, der Raubvogel, Krug, der gefühllose Geldmensch, Krug, der dollarhungrige Abenteurer, Krug, der brutale Industrielle, Krug, der Kapitalist, Krug, der Fettwanst, Krug, der Bauer, Krug, der Ignorant, Krug, der Grobian, Krug, der Größte. Ich! Ich! Krug! Krug!

»Hinaus!« befahl er den Androiden. »Schluß!«

Die Mädchen verschwanden. Krug erhob sich, zog langsam seine Kleider wieder an, ging durch den Raum und glitt mit seinen Händen über das Muster gelber Lampen.

»Botschaften?« fragte er. »Besucher?«

Kopf und Schultern von Leon Spaulding erschienen, frei in der Luft schwebend, von einem Natriumdampfprojektor auf eine unsichtbare Leinwand geworfen. »Dr. Vargas ist hier«, sagte der Ektogene. »Er wartet im Planetarium. Wollen Sie ihn empfangen?«

»Natürlich. Ich gehe hinauf. Und Quenelle?«

»Sie ging zum Seehaus in Uganda. Sie will dort auf Sie warten.«

»Und mein Sohn?«

»Er macht seinen Inspektionsbesuch in der Duluth-Fabrik. Haben Sie Instruktionen für ihn?«

»Nein«, sagte Krug. »Er weiß selbst, was er tut. Ich gehe jetzt hinauf zu Vargas.«

Das Bild Spauldings verschwand. Krug betrat seinen Aufzug und schoß hinauf zu dem Planetarium auf dem Dach des Gebäudes. Unter der kupfernen Kuppel ging Niccolò Vargas erregt auf und ab. Zu seiner Linken befand sich ein Schaukasten mit acht Kilogramm Proteoiden von Alpha Centauri V, zu seiner Rechten ein kubischer Kryostat, in dessen eisiger Tiefe zwanzig Liter Flüssigkeit aus dem Methanmeer des Pluto undeutlich sichtbar waren.

Vargas war ein nervöser, hellhäutiger, kleiner Mann, für den Krug einen an Ehrfurcht grenzenden Respekt empfand, ein Mann, der jeden Tag seines Erwachsenenlebens damit verbracht hatte, nach Zivilisation in den Sternen zu forschen und alle Aspekte des Problems interstellarer Kommunikation zu untersuchen. Sein Eifer hatte einen Stempel auf seinen Zügen hinterlassen; vor fünfzehn Jahren, als er sich in einem Augenblick unerträglicher Erregung unvorsichtigerweise dem Strahl eines Neutronenteleskops aussetzte, war seine linke Gesichtsseite so verbrannt worden, daß eine tektogenetische Wiederherstellung unmöglich war. Man hatte sein zerstörtes Auge nachwachsen lassen, war jedoch nicht in der Lage gewesen, hinsichtlich der Entkalkung der Knochenstruktur mehr zu tun, als sie mit einer Berylliumfaserschicht abzudecken, und so sah seine linke Gesichtshälfte welk und verschrumpelt aus. Deformierungen wie diese waren ungewöhnlich in einem Zeitalter der kosmetischen Chirurgie, Vargas jedoch hatte offenbar kein Interesse daran, sich weiteren Gesichtsoperationen zu unterziehen.

Vargas lächelte sein schiefes Lächeln, als Krug eintrat. »Der Turm ist wunderbar!« sagte er.

»Wird wunderbar sein«, verbesserte ihn Krug.

»Nein. Nein. Er ist es bereits. Ein wunderbarer Torso! Seine schimmernde Glätte, Krug, seine gewaltige Masse, sein Aufwärtsstreben! Wissen Sie, was Sie da bauen, mein Freund? Die erste Kathedrale des galaktischen Zeitalters. Nach Tausenden von Jahren, lange nachdem Ihr Turm aufgehört haben wird, als Kommunikationszentrum zu funktionieren, werden Menschen zu ihm wallfahren, vor ihm niederknien, seine glatte Haut küssen und Sie dafür segnen, daß Sie ihn gebaut haben. Und nicht nur Menschen.«

»Dieser Gedanke gefällt mir«, sagte Krug stolz. »Eine Kathedrale. So hatte ich ihn noch nicht gesehen.« Krug erblickte den Datenwürfel in Vargas’ rechter Hand. »Was haben Sie da?«

»Ein Geschenk für Sie.«

»Ein Geschenk?«

»Wir haben die Signale bis auf ihre Quelle zurückverfolgt«, erwiderte Vargas. »Ich denke, Sie wollen sicher gern ihren Heimatstern sehen.«

Krug beugte sich nach vorn. »Warum haben Sie so lange gewartet, mir das zu sagen? Warum haben Sie nichts gesagt, während wir auf dem Turm waren?«

»Der Turm war ihre Show. Dies ist meine. Soll ich den Würfel einschalten?«

Krug deutete ungeduldig auf den Empfängerschlitz. Vargas stöpselte den Würfel geschickt ein und betätigte den Abtaster. Bläuliche Strahlen fragenden Lichts schossen in das kleine Kristallgitter, entschlüsselten die gespeicherten Informationen.

Die Sterne erblühten an der Decke des Planetariums.

Krug war zu Hause in der Galaxis. Seine Augen machten vertraute Marken aus: Sirius, Canopus, Wega, Capella, Arcturus, Beteigeuze, Altair, Formalhaut, Deneb, die hellsten Strahlenquellen des Himmels, imposant verstreut an der Kuppel des Doms über ihm. Er suchte die nächsten Sterne, diejenigen innerhalb des Zwölf-Lichtjahre-Radius, die des Menschen Sternensonden zu seinen Lebzeiten erreicht hatten: Epsilon Indi, ROSS 154, Lalande 21185, Barnards Stern, Wolf 359, Procyon, 61 Cygni. Er schaute zum Stier hinüber und fand den roten Aldebaran, weit dahinter den Haufen der Hyaden und die in ihrer leuchtenden Hülle funkelnden Plejaden. Immer wieder veränderte sich das Bild an der Kuppel, wenn der Fokus kleiner wurde, wenn die Entfernungen wuchsen. Krugs Brust weitete sich. Vargas hatte kein Wort gesagt, seit er das Planetarium eingeschaltet hatte.

»Nun?« fragte Krug schließlich. »Was soll ich sehen?«

»Schauen Sie zum Wassermann«, sagte Vargas.

Krug suchte den nördlichen Himmel ab. Er folgte der vertrauten Linie: Perseus, Cassiopeia, Andromeda, Pegasus, Wassermann. Ja, dort stand der alte Wasserträger, zwischen den Fischen und dem Steinbock. Krug versuchte sich des Namens eines größeren Sterns im Wassermann zu erinnern, doch er fiel ihm nicht ein.

»Und nun?« fragte er.

»Passen Sie auf. Ich vergrößere das Bild jetzt.«

Krug hielt den Atem an, als der Himmel auf ihn zustürzte. Er konnte nicht länger die Muster der Sternbilder ausmachen; der Himmel taumelte, und alle Ordnung war dahin. Als die Bewegung aufhörte, sah er sich konfrontiert mit einem einzelnen Segment der galaktischen Sphäre, das die ganze Kuppel einnahm. Unmittelbar über ihm stand das Bild eines feurigen Ringes, dunkel im Kern, umgeben von einem unregelmäßigen Halo aus leuchtendem Gas. Im Zentrum des Ringes schimmerte ein Lichtpunkt.

Vargas sagte: »Dies ist der planetarische Nebel NGC 7293 im Wassermann.«

»Und?«

»Er ist die Quelle unserer Signale.«

»Wie sicher sind Sie sich dessen?«

»Absolut sicher«, antwortete der Astronom. »Wir haben parallaktische Beobachtungen, eine ganze Reihe von Spezialtriangulationen, mehrere bestätigende Verfinsterungen und noch viel mehr. Wir haben von Anfang an vermutet, daß NGC 7293 die Quelle ist, doch die letzte Bestätigung fanden wir erst heute morgen. Jetzt sind wir absolut sicher.«

Mit heiserer Stimme fragte Krug: »Wie weit entfernt?«

»Etwa 300 Lichtjahre.«

»Nicht schlecht! Nicht schlecht! Zwar außerhalb der Reichweite unserer Sonden, außerhalb der Reichweite wirksamen Radiokontakts. Doch kein Problem für den Tachyonstrahl. Mein Turm ist gerechtfertigt.«

»Und es besteht immer noch Hoffnung auf Kommunikation mit den Sendern der Signale«, sagte Vargas. »Was wir alle befürchteten – daß die Signale aus dem Andromedanebel oder einer anderen Galaxis kommen, daß die Botschaften ihre Reise zu uns vor einer Million oder mehr Jahren unserer Zeitrechnung begonnen hätten – «

»Diese Möglichkeit besteht jetzt nicht mehr?«

»Nein. Ausgeschlossen.«

»Erzählen Sie mir etwas über diesen NGC 7293«, sagte Krug. »Ein planetarischer Nebel – was ist das für ein Ding? Wie kann ein Nebel ein Planet sein?«

»Weder ein Planet noch ein Nebel«, antwortete Vargas, nervös auf und ab gehend. »Ein ungewöhnlicher Himmelskörper. Ein außergewöhnlicher Himmelskörper.« Er klopfte auf den Schaukasten mit den Centauri-Proteoiden. Die scheinbar lebendigen Partikel begannen sich zu bewegen und zu winden. Vargas sagte: »Dieser Ring, den Sie sehen, ist eine Hülle, eine Gasblase, die einen Stern vom O-Typus umgibt. Die Sterne dieser Spektralklasse sind blaue Riesen, heiß, unstabil, verharren nur wenige Millionen Jahre im gleichen Zustand. In einem späteren Stadium ihres Lebenszyklusses erleben einige von ihnen eine explosionsartige Veränderung, vergleichbar der Entstehung einer Nova; sie schleudern die äußeren Schichten ihrer Struktur von sich und bilden eine gasartige Hülle. Der Durchmesser des planetarischen Nebels, den Sie sehen, beträgt etwa 1.3 Lichtjahre und wächst mit einer Geschwindigkeit von vielleicht fünfzehn Kilometer pro Sekunde. Die ungewöhnliche Helligkeit der Hülle ist das Resultat eines Fluoreszenzeffekts: der Zentralstern produziert große Mengen von kurzwelligen ultravioletten Strahlen, die von dem Wasserstoff der Hülle absorbiert werden, was zur Folge hat…«

»Einen Augenblick«, unterbrach ihn Krug. »Sie erzählen mir, dieses Sternensystem habe eine ähnliche Entwicklung durchgemacht wie eine Nova, die Explosion habe vor so kurzer Zeit stattgefunden, daß die Hülle einen Durchmesser von nur 1.3 Lichtjahren besitzt, obwohl er um fünfzehn Kilometer pro Sekunde wächst, und die Zentralsonne stoße so viele harte Strahlung aus, daß die Hülle fluoresziert?«

»Ja.«

»Und Sie wollen mir weismachen, innerhalb dieses Hochofens existiere eine intelligente Rasse, die uns Botschaften funkt?«

Vargas nickte: »Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß die Signale von NGC 7293 kommen.«

»Unmöglich!« rief Krug aus. »Unmöglich!« Er schlug sich mit den Fäusten gegen die Rippen. »Ein blauer Riese, nur wenige Millionen Jahre alt. Wie soll sich dort Leben entwickelt haben, geschweige denn eine intelligente Rasse? Dann eine Art von Sonneneruption… wie soll irgend etwas diese überleben? Und die harte Strahlung! Erklären Sie mir das. Sie verlangen von mir, daß ich mir ein System vorstelle, in dem nach allen Naturgesetzen kein Leben existieren kann. Gut, diesen verdammten planetarischen Nebel nehme ich Ihnen ab. Aber wie steht es mit den Signalen? Von wem sollen sie kommen?«

»Wir haben diese Faktoren in Erwägung gezogen«, erwiderte Vargas ruhig.

Erregt fragte Krug: »Dann sind die Signale doch natürliche Phänomene? Impulse, ausgestrahlt von den Atomen Ihres Nebels?«

»Wir sind trotzdem sicher, daß die Signale einen intelligenten Ursprung haben.«

Das Paradoxon verblüffte Krug. Er schwieg verwirrt. Der Schweiß brach ihm aus. Er war nur ein Amateurastronom; er hatte viel gelesen, hatte sich vollgestopft mit technischen Tonbändern und wissenserweiternden Drogen, er wußte rote Riesen von weißen Zwergen zu unterscheiden, er konnte das Hertzsprung-Russell-Diagramm zeichnen, er konnte am Firmament Alpha Crucis und Spica ausmachen, doch all dies waren Daten äußerer Art, Bilder an den Außenwänden seiner Seele. Er war im Kosmos nicht zu Hause, wie Vargas es war; ihm fehlte der Sinn für die innere Natur der Fakten, es gelang Ihm nur schwer, über die Grenzen der gegebenen Daten hinaus vorzustoßen. Daher seine Ehrfurcht vor Vargas. Daher sein wachsendes Unbehagen.

»Fahren Sie fort«, murmelte Krug. »Erklären Sie mir das Was, das Wie.«

Vargas sagte: »Es gibt mehrere Möglichkeiten. Alles Spekulationen, alles Vermutungen, natürlich. Die erste und wahrscheinlichste ist die, daß die Sender der Signale von NGC 7293 erst nach der Explosion dort ankamen, als sich alles wieder beruhigt hatte. Sagen wir, Innerhalb der letzten zehntausend Jahre. Kolonisatoren aus einem tieferen Teil der Galaxis… Forscher… Flüchtlinge… Verbannte.«

»Und die harte Strahlung?« warf Krug ein. »Selbst nachdem sich alles beruhigt hatte, mußte diese mörderische blaue Sonne noch tödliche Strahlung In ungeheuren Mengen abgeben.«

»Offensichtlich vertragen sie diese Strahlen. Wir benötigen Sonnenlicht für unsere Lebensprozesse; warum soll es nicht eine Rasse geben, die ihre Energie aus einem Bereich bezieht, der etwas höher im Spektrum liegt?«

Krug schüttelte den Kopf. »Also gut, Sie erfinden Superrassen, ich spiele den advocatus diaboli. Ihrer Meinung nach absorbieren sie harte Strahlen. Wie steht es mit den genetischen Effekten? Welche Art von stabiler Zivilisation können sie aufbauen bei einer so hohen Mutationsrate?«

»Eine an hohes Bestrahlungsniveau adaptierte Rasse hat wahrscheinlich eine genetische Struktur, die Bombardierungen gegenüber nicht so verwundbar ist wie die unsere. Sie absorbiert alle Arten von harten Partikeln ohne zu mutieren.«

»Vielleicht. Vielleicht nicht.« Nach einer Weile sagte Krug: »Also gut, einverstanden, sie sind also von irgendwo hergekommen und haben sich auf Ihrem planetarischen Nebel angesiedelt, als er einigermaßen stabil war. Warum erhalten wir keine Signale von dort, wo sie hergekommen sind? Wo ist das Heimatsystem? Verbannte, Kolonisatoren… von wo?«

»Vielleicht ist das Heimatsystem so weit entfernt, daß die Signale uns erst nach Tausenden von Jahren erreichen würden«, erwiderte Vargas. »Oder vielleicht schickt das Heimatsystem keine Signale aus. Oder…«

»Sie haben mir zu viele Antworten«, murmelte Krug. »Die Idee gefällt mir nicht.«

»Das bringt uns zu der anderen Möglichkeit«, sagte Vargas, »daß die Signale aussendende Spezies auf NGC 7293 heimisch ist.«

»Wie? – Aber die Eruption…«

»Vielleicht hat die Eruption sie nicht gestört. Diese Rasse gedeiht bei harten Strahlen. Mutation ist vielleicht eine Lebensnotwendigkeit. Wir sprechen von Unbekannten, mein Freund. Wenn sie wirklich fremdartig sind, können wir sie mit unserem Wissen nicht begreifen. Also spekulieren Sie weiter mit mir. Wir haben einen Planeten eines blauen Sterns, einen Planeten, der weit genug von seinem Zentralgestirn entfernt ist, um dessen Explosion zu überdauern, aber einem Bombardement unglaublich harter Strahlung ausgesetzt ist. Sein Meer ist eine Brühe brodelnder Chemikalien, in ständiger Umwandlung befindlich. Eine Million Jahre nach der Abkühlung der Oberfläche entwickelt sich Leben. Dies geschieht schnell auf einer unter solch starker Strahlung liegenden Welt. Nach einer weiteren Million Jahre ist komplexes vielzelliges Leben vorhanden, eine Million Jahre später gibt es Lebewesen, die den Säugetieren unserer Erde entsprechen mögen und im Verlauf einer weiteren Million Jahre eine galaktische Zivilisation aufbauen. Veränderungen, ungestüme, hektische Veränderungen.«

»Ich möchte Ihnen glauben«, erwiderte Krug düster. »Ich möchte, doch ich kann es nicht.«

»Strahlenkonsumenten«, fuhr Vargas fort, »klug, anpassungsfähig, welche die Notwendigkeit ständiger heftiger genetischer Veränderung akzeptieren, ja begrüßen. Ihr Stern dehnt sich aus, und sie passen sich der vermehrten Strahlung an, finden ein Mittel, sich zu schützen. Jetzt leben sie innerhalb eines planetarischen Nebels, umgeben von einem fluoreszierenden Himmel. Irgendwie entdecken sie die Existenz des Restes der Galaxis. Sie senden uns Botschaften. Ist das so schwer vorstellbar?«

Krug hob gepeinigt die Hände Vargas entgegen. »Ich möchte es ja glauben!«

»Dann glauben Sie! Ich glaube es.«

»Es ist nur eine Theorie, eine wilde Theorie.«

»Sie erklärt die Daten, die wir haben«, sagte Vargas. »Kennen Sie das italienische Stichwort: Se non é vero, é ben trovato?, ›Selbst wenn es nicht wahr ist, ist es gut erfunden.‹ Die Hypothese wird genügen, bis wir eine bessere haben. Sie erklärt die Fakten besser als die Theorie einer natürlichen Ursache für ein komplexes, ständig wiederholtes Signal, das uns auf mehreren Ebenen des elektromagnetischen Spektrums erreicht.«

Krug hob eine Hand abwehrend gegen den Aktivator, als könne er das Bild an der Kuppel nicht länger ertragen, als spüre er, wie diese fremde mörderische Sonne tödliche Blasen auf seiner Haut verursachte. In seinen Träumen hatte er etwas völlig anderes gesehen. Er hatte sich einen Planeten unter einer gelben Sonne vorgestellt, irgendwo draußen im Raum, achtzig, neunzig Lichtjahre entfernt, eine milde Sonne, vertraut wie die, unter der er geboren worden war. Er hatte geträumt von einer Welt mit Seen und Flüssen und Wiesen, von wohlriechender, vielleicht nach Ozon schmeckender Luft, von purpurblättrigen Bäumen und glänzenden grünen Insekten, von vornehmen schlanken Lebewesen mit abfallenden Schultern und vielfingrigen Händen, ruhig plaudernd, während sie durch die Haine und die Täler ihres Paradieses wandelten, die Mysterien des Kosmos ergründend und schließlich ihre Botschaft in das Universum ausschickend. Er hatte sie ihre Arme öffnen sehen, um die ersten Besucher von der Erde zu begrüßen mit den Worten, Willkommen, Brüder, willkommen, wir wußten, Ihr mußtet da sein. All das war nun zerstört. Vor seinem geistigen Auge sah Krug eine höllische blaue Sonne, die wie ein dämonischer Drache Flammen ins Leere spie, sah einen geschwärzten, schrumpfenden Planeten, auf dem mit Schuppen gepanzerte monströse Ungeheuer unter einem düsteren, dampfenden Himmel durch Quecksilberteiche glitten, sah eine Gruppe von Schreckgestalten um eine gespenstische Maschine geschart, um eine unverständliche Botschaft über den Abgrund des Raumes zu senden. Und diese sind unsere Brüder? Alles ist verdorben, dachte Krug bitter.

»Wie können wir zu ihnen gelangen?« fragte er. »Wie können wir sie umarmen? Vargas, ich habe ein Schiff fast fertig, ein Schiff für die Sterne, ein Schiff, um einen für Jahrhunderte eingeschläferten Menschen dorthin zu befördern. Wie kann ich es zu einem solchen Ort schicken?«

»Ihre Reaktion überrascht mich. Ich hatte nicht erwartet, daß Sie derart enttäuscht sein würden.«

»Und ich habe nicht einen solchen Stern erwartet.«

»Wären Sie glücklicher gewesen, wenn ich Ihnen gesagt hätte, die Signale seien doch nur natürliche Impulse?«

»Nein! Nein!«

»Dann freuen Sie sich über diese unsere fremden Brüder. Vergessen Sie die Fremdheit und denken Sie nur daran, daß es intelligente Wesen sind, Brüder!«

Vargas’ Worte wirkten. Krug fand Stärke in ihnen. Der Astronom hatte recht. Wie fremd diese Wesen auch sein mochten, wie bizarr auch ihre Welt – immer in der Annahme, daß Vargas’ Hypothese zutraf – sie waren zivilisiert, wissenschaftlich interessiert, nach außen orientiert. Unsere Brüder! Wenn der Raum morgen zusammenstürzte und die Erde und ihre Sonne und alle ihre Nachbarwelten verschlang und der Vergessenheit anheimgab, dann würde die Intelligenz nicht aus dem Universum verschwinden, denn sie waren da.

»Ja«, sagte Krug. »Ich freue mich über sie. Wenn mein Turm vollendet ist, werde ich ihnen meine Grüße senden.«

Zweieinhalb Jahrhunderte waren vergangen, seit der Mensch zum erstenmal aus dem Gravitationsfeld seines Geburtsplaneten ausgebrochen war. In einer unerhört dynamischen Entwicklung hatte die Raumfahrt menschliche Forscher von Luna nach Pluto gebracht, zum Rand des Sonnensystems, und nirgends hatten sie Spuren von intelligentem Leben gefunden; Flechten, Bakterien, primitive niedere Kriechtiere ja, aber nicht mehr. Enttäuschung war das Schicksal jener Archäologen, die davon geträumt hatten, die alte Kultur des Mars aus in der Wüste begrabenen Artefakten rekonstruieren zu können. Es waren keine Artefakte vorhanden. Und als die Sternsonden ausgeschickt wurden, immer weiter vordrangen und ihre jahrzehntelangen Erkundungsreisen in die benachbarten Sonnensysteme unternahmen, kehrten sie erfolglos zurück. Innerhalb einer Sphäre von einem Dutzend Lichtjahre im Durchmesser hatte offensichtlich nie eine Lebensform existiert, die komplexer war als die Centauri-Proteiden, denen gegenüber nur eine Amöbe sich unterlegen zu fühlen brauchte.

Krug war ein junger Mann gewesen, als die ersten Sternsonden zurückkehrten. Es hatte ihm mißfallen, daß seine Miterdbewohner ganze Philosophien konstruierten, um zu erklären, warum man in den benachbarten Sonnensystemen kein intelligentes Leben finden konnte. Was sagten sie, diese Apostel des Neogeozentrismus?

Wir sind die Auserwählten!

Wir sind die einzigen Kinder Gottes!

Auf dieser Welt und keiner andern schuf der Herr sein Volk!

Uns fällt das Universum zu als unser göttliches Erbe!

Krug sah den Keim des Wahnsinns in dieser Denkungsart.

Er hatte nie viel über Gott nachgedacht, doch ihm schien, daß die Menschen zuviel vom Universum verlangten, wenn sie behaupteten, daß nur auf diesem einen kleinen Planeten einer kleinen Sohne das Wunder der Intelligenz sich hatte ereignen dürfen. Milliarden über Milliarden von Sonnen existierten in der ungeheuren Tiefe des Alls. Wie konnte Intelligent sich nicht immer wieder und wieder entwickelt haben in diesem unendlichen Meer von Galaxien?

Und er empfand es als Größenwahn, die mageren Ergebnisse einer flüchtigen Suche innerhalb eines Umkreises von einem Dutzend Lichtjahren zu einem absoluten Dogma zu erheben. War der Mensch wirklich allein? Wie konntest du es wissen? Krug war seiner Natur nach ein rationaler Mensch. Er bemühte sich, alle Aspekte einer Sache zu betrachten. Er glaubte, daß die Erhaltung der geistigen Gesundheit der Menschheit davon abhing, daß sie aus diesem Traum der Einmaligkeit erwachte, denn dieser Traum war sicher zu Ende, und wenn das Erwachen später kam als früher, würde die Wirkung vernichtend sein.

»Wann wird der Turm fertig sein?« fragte Vargas.

»Im übernächsten Jahr. Im nächsten vielleicht, wenn wir Glück haben. Sie sahen heute morgen: unbegrenztes Budget.« Krug runzelte die Stirn. Er fühlte sich plötzlich unbehaglich. »Sagen Sie mir die Wahrheit. Selbst Sie, der Sie Ihr ganzes Leben mit dem Belauschen der Sterne verbringen, Sie glauben, der alte Krug ist ein bißchen verrückt, stimmt’s?«

»Bestimmt nicht!«

»Doch, Sie tun es. Alle tun es. Mein Sohn Manuel denkt, ich müsse eingesperrt werden, doch er fürchtet sich, es zu sagen. Spaulding draußen auch, jedermann, vielleicht selbst Thor Watchman, und er baut das verdammte Ding. Sie wollen alle wissen, was es mir bedeutet. Warum ich Milliarden von Dollar in einen gläsernen Turm stecke. Auch Sie, Vargas!«

Das entstellte Gesicht verzerrte sich zur Grimasse. »Ich hege nur Sympathie für dieses Projekt. Sie beleidigen mich mit diesen Verdächtigungen. Glauben Sie, Kontakt aufzunehmen mit einer extrasolaren Zivilisation, wäre für mich nicht so wichtig wie für Sie?«

»Es sollte wichtig sein für Sie. Es ist Ihr Gebiet, Ihr Spezialfach. Ich jedoch, Ich bin Geschäftsmann, Hersteller von Androiden, Landbesitzer, Kapitalist, Ausbeuter, vielleicht auch ein bißchen Chemiker, ich weiß etwas über Genetik, ja, aber ich bin kein Astronom, kein Wissenschaftler. Es ist ein bißchen verrückt von mir, Vargas, mich um eine Sache wie diese zu kümmern, ist es nicht so? Verschwendung von Milliarden. Unproduktive Investierung. Welche Dividende beziehe ich von NGC 7293? Können Sie mir das sagen?«

Vargas bemerkte nervös: »Vielleicht sollten wir hinuntergehen. Die Erregung…«

Krug schlug sich auf die Brust. »Ich bin gerade sechzig geworden. Ich habe noch hundert Jahre zu leben, vielleicht noch mehr, vielleicht zweihundert, wer weiß? Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Doch Sie können es zugeben. Sie wissen, es ist verrückt von einem Ignoranten wie mir, sich für so etwas zu interessieren.« Krug schüttelte heftig den Kopf. »Ich weiß selbst, daß es verrückt ist. Ich muß es mir selbst immer wieder erklären. Ich kann Ihnen nur sagen, es ist etwas, das getan werden muß, und ich werde ihn bauen, diesen Turm. Ich werde ihn hinausschicken, diesen Gruß an die Sterne. Als ich aufwuchs, sagten sie uns immer: Wir sind allein, wir sind allein, wir sind allein! Ich glaubte ihnen nicht, konnte es nicht glauben. Ich machte meine Milliarden und jetzt gebe ich sie aus, um jedermann das Gegenteil zu beweisen. Sie haben die Signale entdeckt. Ich werde sie beantworten. Zahlen gegen Zahlen. Und dann Bilder. Ich weiß, wie man es macht. Eins und Null, Eins und Null, Eins und Null, Schwarz und Weiß, Schwarz und Weiß, so sendet man die Bits, und sie formen ein Bild. Man füllt einfach die Häuschen auf seiner Karte. So kann man alles darstellen. Ein Wassermolekül, unser Sonnensystem, alles…« Krug unterbrach sich, atmete schwer und keuchend, als er zum erstenmal die Bestürzung und die Angst in des Astronomen Gesicht bemerkte. In einem friedlicheren Ton sagte er zu Vargas: »Es tut mir leid. Ich sollte nicht schreien. Manchmal geht mir die Stimme durch.«

»Es ist gut. Sie besitzen das Feuer der Begeisterung. Besser von etwas mitgerissen, als durch nichts bewegt zu werden.«

Krug sagte: »Wissen Sie, was mich so erregt hat? Dieser planetarische Nebel, mit dem Sie mich überraschten. Er brachte mich außer Fassung. Und ich will Ihnen sagen, warum. Ich hatte davon geträumt, zu dem Ort zu reisen, von dem die Signale kamen. Ich, Krug, in meinem Schiff, im Tiefschlaf, hundert, ja zweihundert Lichtjahre weit, als Botschafter der Erde. Ich wollte eine Reise unternehmen, die nie zuvor ein Mensch unternommen hat. Nun eröffnen Sie mir, von welcher Höllenwelt die Signale kommen. Fluoreszierender Himmel, Sonne vom Typ O, ein Blaulicht-Hochofen. Ist meine Reise also abgesagt? Sie hat mich etwas aus dem Gleis gebracht, Ihre Überraschung. Doch machen Sie sich keine Sorgen. Ich passe mich der neuen Situation an. Er wirft mich nicht um, dieser Schlag. Er treibt mich nur zu erhöhter Energie an, das ist alles.« Impulsiv zog er Vargas an sich, umarmte ihn plump wie ein Bär. »Ich danke Ihnen für Ihre Signale. Ich danke Ihnen für Ihren planetarischen Nebel. Ich danke Ihnen millionenmal, hören Sie, Vargas?« Krug trat zurück. »Jetzt gehen wir nach unten. Sie brauchen Geld für das Laboratorium. Sprechen Sie mit Spaulding. Er weiß, Sie haben Blankokredit, jederzeit, jede Summe.«

Vargas entfernte sich, um Spaulding aufzusuchen. Allein in seinem Büro, fühlte sich Krug von gesteigerter Vitalität erfüllt und überwältigt von einer neuen Vision von NGC 7293. Erglühte innerlich, seine Haut erschien ihm zu eng.

»Ich muß hinaus ins Freie«, brummte er vor sich hin.

Er stellte die Transmatkoordinaten seines Feriensitzes in Uganda ein und betrat die Kabine. Eine Sekunde später stand er, rematerialisiert, siebentausend Meilen östlich auf seiner Onyxveranda, schaute hinunter auf den von Schilf gesäumten See. Zur Linken, einige hundert Meter weit draußen, trieben vier Flußpferde im Wasser, zeigten nur ihre rosa Nüstern und ihre mächtigen grauen Rücken. Rechts sah er Quenelle, eine seiner Frauen, nackt im seichten Wasser liegend. Krug entkleidete sich. Schwer wie ein Rhinozeros, doch mit der Ungeduld eines brünstigen Antilopenhirsches, stapfte er den abfallenden Strand hinunter, um sich im Wasser zu ihr zu gesellen.

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