34

Als sich der Turm der Höhe von 1200 Meter näherte, sah sich Thor Watchman dem schwierigsten Teil des Unternehmens gegenüber. In dieser Höhe konnte nur noch eine minimale Toleranz bei der Verlegung der Blöcke zugelassen werden, und die molekulare Bindung mußte perfekt sein. Es durfte keinen schwachen Punkt geben, wenn der obere Teil des Turms mit seiner Elastizität dem Wüten arktischer Stürme standhalten sollte. Watchman verbrachte jetzt jeden Tag stundenlang an den Computer angeschlossen und empfing die Kontrolldaten direkt von den Fugenabtastern, die das Verlegen der Blöcke überwachten. Und, wenn immer er auch nur die geringste Abweichung entdeckte, befahl er, den ungenau verlegten Block herauszureißen und zu ersetzen. Mehrere Male am Tag fuhr er selbst hinauf zur Spitze des Turms, um kritische Phasen der Arbeit zu überwachen. Die Schönheit des Turms beruhte darauf, daß er trotz seiner gewaltigen Höhe kein inneres Gerüst hatte. Doch die Einrichtung eines solchen Bauwerks erforderte die völlige Beherrschung aller Details. Es war lästig, mitten in seiner Schicht von der Arbeit abberufen zu werden. Doch er konnte sich einer Aufforderung Krugs, sofort zu ihm zu kommen, nicht widersetzen.

Als er nach einem Transmatsprung Krugs Büro betrat, sagte Krug: »Thor, wie lange bin ich schon dein Gott?«

Watchman erstarrte. Stumm kämpfte er darum, sein Gleichgewicht wiederzuerlangen. Als er den Würfel auf Krugs Schreibtisch sah, begriff er, was geschehen sein mußte. Lilith – Manuel – ja, das war es. Krug erschien so ruhig. Es war unmöglich für den Alpha, seinen Gesichtsausdruck zu enträtseln.

Vorsichtig sagte Watchman: »Welchen anderen Schöpfer sollten wir angebetet haben?«

»Warum überhaupt jemand anbeten?«

»Wenn man in tiefer Not ist, Sir, wünscht man sich an jemand zu wenden, der mächtiger ist als man selbst, um ihn um Trost und Hilfe zu bitten.«

»Ist es das, wofür ein Gott da ist?« fragte Krug. »Um Vorteile von ihm zu erlangen?«

»Um sein Mitleid zu erlangen, ja, vielleicht.«

»Und ihr glaubt, ich kann euch geben, was ihr verlangt?«

»Darum beten wir«, erwiderte Watchman.

Unsicher und gespannt betrachtete er Krug. Dieser spielte mit dem Datenwürfel. Er schaltete ihn ein, suchte aufs Geratewohl, las einige Zeilen hier, einige dort, nickte, lächelte kopfschüttelnd, schaltete ihn schließlich wieder ab. Der Android hatte sich seiner noch nie so unsicher gefühlt. Nicht einmal, als Lilith ihn verführte. Er wußte, das Schicksal seiner ganzen Gattung hing vielleicht von dem Ausgang dieses Gesprächs ab.

Krug sagte: »Weißt du, ich finde es sehr schwer, das alles zu begreifen. Diese Bibel, eure Kapellen, eure ganze Religion. Ich frage mich, ob es jemals einen anderen Menschen gab, der entdecken mußte, daß Millionen von Leuten ihn für einen Gott halten.«

»Vielleicht nicht.«

»Und ich frage mich, wie tief eure Gefühle sind, wie stark der Einfluß dieser Religion, Thor. Du sprichst mit mir wie zu einem Menschen – zu deinem Arbeitgeber, nicht wie zu deinem Gott. Du hast mir nie den geringsten Hinweis gegeben, was du mir gegenüber empfindest, ausgenommen eine Art Achtung, vielleicht zuweilen ein wenig Furcht. Und während dieser ganzen Zeit warst du deinem Gott so nahe?« Krug lachte. »Hast du die Flecken auf Gottes kahlem Schädel gesehen und die Pickel an seinem Kinn? Hast du den Knoblauch gerochen, den er gegessen hatte? Was ging dir während dieser ganzen Zeit durch den Kopf, Thor?«

»Muß ich diese Frage unbedingt beantworten, Sir?«

»Nein. Nein. Schon gut.« Krug starrte wieder in den Würfel. Watchman stand aufrecht vor Ihm, versuchte ein plötzliches Zittern in den Muskeln seines rechten Schenkels zu unterdrücken. Warum spielte Krug mit ihm? Und was geschah am Turm? Euklid Planner würde seine Schicht erst in einigen Stunden antreten; würde die schwierige Verlegung der Blöcke richtig durchgeführt während der Abwesenheit eines Aufsehers? Plötzlich sagte Krug: »Thor, warst du je in einem Egotauschraum?«

»Sir?«

»Ein Institut, in dem man mit jemand in das gleiche Stasisnetz eingeschaltet wird, um die Identitäten für einen oder zwei Tage zu tauschen.«

Watchman schüttelte den Kopf. »Das ist etwas, was Androiden nie tun.«

»Eigentlich nicht. Aber heute wirst du es mit mir tun.« Krug überflog seinen Terminkalender, kippte einen Hebel um und sagte: »Leon, melde mich in irgendeinem Egotauschinstitut an, für zwei Personen und Termin: in fünfzehn Minuten!«

Bestürzt sagte Watchman: »Sir, meinen Sie es ernst? Sie und ich…«

»Warum nicht? Hast du Angst, deine Seele mit Gott zu tauschen, ist es das? Verdammt, Thor, du wirst es tun! Ich muß Bescheid wissen, und zwar sofort. Wir werden unsere Identität tauschen. Glaubst du mir, daß ich es bisher auch nie getan habe? Aber heute werden wir es tun.«

Das ganze schien dem Alpha einem Sakrileg gefährlich nahe zu kommen, doch er konnte sich nicht weigern. Sich dem Willen Krugs widersetzen? Selbst wenn es ihm das Leben kostete, er würde gehorchen müssen.

Spauldings Bild schwebte in der Luft. »Ich hab in New Orleans gebucht«, erklärte er. »Man wird sie sofort bedienen. Sie mußten die Warteliste schnell ändern, aber es wird etwa neunzig Minuten dauern, bis das Stasisnetz programmiert ist.«

»Unmöglich. Wir werden direkt in das Stasisnetz einsteigen.«

Spaulding war entsetzt. »Das tut man üblicherweise nicht, Mr. Krug! Es ist höchst gefährlich.«

»Ich werde es tun. Sie sollen doppelt vorsichtig sein, sag ihnen das.«

»Ich bezweifle, daß sie einwilligen werden…«

»Wissen sie, wer ihr Kunde ist?«

»Ja, Sir.«

»Nun, dann sagen Sie ihnen, daß ich darauf bestehe! Und wenn sie immer noch Schwierigkeiten machen, sagen Sie ihnen, ich werde ihr ganzes verdammtes Institut kaufen und es betreiben, wie es mir gefällt, wenn sie nicht parieren wollen.«

»Ja, Sir«, sagte Spaulding.

Sein Bild verschwand. Krug, vor sich hinmurmelnd, begann auf Tasten seines Terminkalenders zu drücken und ignorierte Watchman völlig. Der Alpha stand wie angewurzelt, spürte ein Würgen im Hals. Automatisch machte er mehrere Male das Krug-erhalte-uns-Zeichen. Er wünschte sich verzweifelt, aus der Situation befreit zu werden, in die er sich gebracht hatte.

Das Bild Spauldings erschien wieder in der Luft. »Sie geben nach«, sagte er, »aber nur unter der Bedingung, wenn Sie einen Revers unterschreiben, in dem Sie sie jeder Verantwortung entbinden.«

»Ich werde unterschreiben«, sagte Krug barsch.

Ein Blatt glitt aus dem Faksimileschlitz. Krug überflog es und kritzelte seine Unterschrift darunter. Er erhob sich. Zu Watchman sagte er: »Gehen wir, der Egotauschraum wartet.«

Watchman wußte wenig über das Egotauschen. Es war ein Sport nur für Menschen und nur für die Reichen. Liebende taten es, um die Vereinigung ihrer Seelen zu vollziehen, gute Freunde taten es zum Spaß, diejenigen, die sich langweilten, besuchten Egotauschräume in der Gesellschaft von Fremden, die gleicher Stimmung waren, nur um Abwechslung in ihr Leben zu bringen. Er hatte nie daran gedacht, so etwas zu tun, und sicherlich hätte er nie daran zu denken gewagt, es mit Krug zu tun. Doch jetzt gab es keine Möglichkeit mehr, sich zu weigern. Der Transmat beförderte sie von New York in den dunklen Warteraum des Psychotausch Instituts in New Orleans, wo sie von einem Stab verängstigter Alphas empfangen wurden. Das Unbehagen der Alphas wuchs sichtlich, als sie erkannten, daß einer ihrer Kunden selbst ein Alpha war. Auch Krug schien innerlich in hohem Maße erregt zu sein. Er preßte die Lippen zusammen, seine Gesichtsmuskeln zuckten. Die Alphas eilten geschäftig hin und her. Einer von ihnen sagte immer wieder: »Sie müssen wissen, daß das gegen jede Regel ist. Wir haben das Stasisnetz stets programmiert. Im Falle einer plötzlichen Schwingungsungleichheit kann alles geschehen!«

»Ich übernehme die Verantwortung«, erwiderte Krug barsch. »Ich habe keine Zeit zu verschwenden, um auf Ihr Netz zu warten.«

Die verängstigten Androiden führten sie rasch in den Tauschraum. In dem indirekt erleuchteten und gegen jeden Schall von außen abgedichteten Raum standen zwei Liegen; glitzernde Apparate hingen von Haltern an der Decke herab. Krug wurde als erster zu seiner Couch geleitet. Als Watchman an die Reihe kam, schaute er in die Augen seiner Alphaeskorte und war bestürzt über die Verwirrung und das Entsetzen, das er in ihnen las. Watchman zuckte die Achseln, um ihnen anzudeuten, daß er unschuldig sei an dem, was geschehe.

Als man ihnen die Schalthelme aufgesetzt und die Elektroden angeschlossen hatte, sagte der leitende Alpha: »Wenn der Strom eingeschaltet ist, werden Sie sofort den Druck des Stasisnetzes spüren, während das Ego von der physischen Hülle getrennt wird. Sie werden sich so fühlen, als würden Sie ausgequetscht, und in einem gewissen Sinne ist es so. Versuchen Sie jedoch, sich zu entspannen und diese Unannehmlichkeiten hinzunehmen, denn Widerstand ist unmöglich, und alles, was Sie empfinden werden, ist nur der Egotauschprozeß, den zu erleben Sie gekommen sind. Es besteht kein Grund zur Beunruhigung. Im Falle einer Panne werden wir den Strom sofort abschalten und Ihnen Ihre eigene Identität wiedergeben.«

»Tun Sie alles, um eine Panne zu vermeiden«, murmelte Krug. Watchman konnte nichts sehen und nichts hören. Er konnte keine der rituellen Gesten des Trostes machen, denn man hatte seine Glieder an die Couch geschnallt, um zu verhüten, daß er während des Tauschprozesses heftige Bewegungen machte. Ich glaube an Krug, den ewigen Schöpfer aller Dinge, dachte er. Krug bringt uns in die Welt und zu Krug kehren wir zurück. Krug ist unser Schöpfer und unser Beschützer und unser Befreier. Krug, wir flehen dich an, uns zum Licht zu führen. AAA AAG AAC AAU sei Krug. AGA AGG AGC AGU sei Krug. ACA ACG ACC…

Eine Kraft stieß unerwartet in sein Bewußtsein und trennte sein Ego von seinem Körper, als hätte ein Hackmesser die Verbindung zwischen ihnen durchschnitten.

Er wurde fortgeschwemmt. Er wurde durch zeitlose Abgründe getragen, in denen kein Stern glänzte. Er sah Farben, die er noch nie gesehen hatte. Er hörte Töne von unidentifizierbarem Klang. Er schwebte über Tiefen, in denen riesige Seile sich wie Balken von Rand zu Rand der Leere erstreckten. Er verschwand in dunklen Tunnels und tauchte am Horizont auf, fühlte sich ausgedehnt zu unendlicher Länge. Er war ohne Masse. Er war ohne Dauer. Er war ohne Form. Er schwebte durch graue Bereiche des Mysteriums.

Ohne einen Übergang zu spüren, drang er in die Seele Simeon Krugs ein.

Er behielt ein vages Bewußtsein seiner eigenen Identität. Er wurde nicht wirklich Krug, er gewann nur Zutritt zu dem gesamten Schatz an Erinnerungen, Haltungen, Reaktionen und Absichten, die Krugs Ego ausmachten. Er konnte keinen Einfluß ausüben auf diese Erinnerungen, Haltungen, Reaktionen und Absichten; er war ein Besucher unter ihnen, ein passiver Zuschauer. Und er wußte, daß in einem anderen Winkel des Universums das wandernde Ego Simeon Krugs Zutritt hatte zu dem Schatz an Erinnerungen, Haltungen, Reaktionen und Absichten, die das Ego des Androiden Alpha Thor Watchman bildeten.

Er bewegte sich frei innerhalb Krugs.

Da war die Kindheit: düster und feucht, eingezwängt in eine enge stickige Wohnung. Da waren Hoffnungen, Träume, erfüllte und unerfüllte. Lügen, Erfolge, Feindschaften, Neid, Enttäuschungen, Widersprüche, Phantasien, Befriedigungen und Frustrationen. Da war eine Frau mit strähnigen orangefarbenen Haaren und schweren Brüsten, die ihre Schenkel öffnete, und da war die Erinnerung an das Gefühl der ersten Wollust, als sie ihn gewähren ließ. Da waren stinkende Chemikalien in einem Bottich. Da waren Molekularmuster, die auf einem Schirm tanzten. Da war Mißtrauen. Da war Triumph. Da war das Anschwellen des Fleisches in späteren Jahren. Da war ein hartnäckiges Muster von piepsenden Tönen: 2-5-1, 2-3-1, 2-1. Da war der wie ein schimmernder Phallus aufragende Turm, der den Himmel durchstieß. Da war Manuel, lächelnd, sich zierend, sich entschuldigend. Da war ein tiefer dunkler Kessel, in dem sich Gestalten bewegten. Da war ein Kreis von Finanzberatern, die komplizierte Kalkulationen murmelten. Da war ein Baby, rosa und teiggesichtig. Da waren die Sterne, funkelnd in der Nacht. Da war Thor Watchman, umgeben von einem Glorienschein des Stolzes und des Lobes. Da war Leon Spaulding, kriecherisch, verbittert. Da war eine gemeine Dirne, die ihre Hüften in verzweifeltem Rhythmus bewegte. Da war die Explosion des Orgasmus. Da war wieder der Turm, der die Wolken durchstieß. Da war der Ton eines Signals, ein dünnes scharfes Piepsen vor einem pelzweichen Hintergrund. Da war Justin Meledetto, seine Pläne für den Turm entrollend. Da war Clarissa Krug, nackt, ihr Bauch angeschwollen, ihre Brüste prall von Milch. Da waren nasse Alphas, die aus einem Bottich kletterten. Da war ein seltsames Schiff mit rotem Rumpf, das zu den Sternen startete. Da war Lilith Meson. Da war Siegfried Fileclerk. Da war Kassandra Nucleus, zusammenbrechend auf der gefrorenen Erde. Da war der Vater Krugs, gesichtslos, nebelumhüllt. Da war ein großes Gebäude, in dem Androiden trainiert wurden. Da waren glänzende Roboter in einer Reihe, die Brustklappe geöffnet zur Reparatur. Da war ein dunkler See mit Flußpferden und Schilf. Da war eine hartherzige Tat. Da war Betrug. Da war Liebe. Da war Kummer. Da war Manuel. Da war Thor Watchman. Da war Kassandra Nucleus. Da war eine fleckige Karte mit Diagrammen der Aminosäuren. Da war Nacht. Da war List. Da war der Turm. Da war eine Androidenfabrik. Da war Clarissa im Kindsbett, und Blut floß aus ihrem Schoß. Da war das Signal von den Sternen. Da war der Turm, ganz vollendet. Da war rohes Fleisch. Da war Wut. Da war Dr. Vargas. Da war ein Datenwürfel, der sagte, Im Anfang war Krug, und er sagte, laßt Retorten sein und es waren Retorten.

Die heftige Weigerung Krugs, Göttlichkeit anzunehmen, war niederschmetternd für Watchman. Er sah diese Weigerung aufsteigen wie eine glatte Wand aus schimmerndem weißen Stein ohne Spalt, ohne Tor, ohne Riß, die sich von einem Ende des Horizonts bis zum anderen erstreckte, die Welt abschloß. Ich bin nicht ihr Gott, sagte die Wand. Ich bin nicht ihr Gott. Ich bin nicht ihr Gott. Ich akzeptiere nicht. Ich akzeptiere nicht.

Watchman schwebte in die Höhe, trieb über diese unendlich weiße Mauer und landete sanft auf der anderen Seite. Hier war es noch schlimmer.

Hier war vollkommene Zurückweisung der Bestrebungen der Androiden. Hier fand er Krugs Haltungen und Reaktionen, aufgereiht wie Soldaten, die auf einer Ebene exerzieren. Was sind Androiden? Androiden sind Dinge aus einem Bottich. Warum existieren sie? Um der Menschheit zu dienen. Was hältst du von der Androidengleichheitsbewegung? Eine Verrücktheit. Wann sollen die Androiden die vollen Bürgerrechte erhalten? Etwa zur gleichen Zeit wie Roboter, Computer oder Zahnbürsten. Sind Androiden denn so dumme Geschöpfe? Manche Androiden sind ziemlich intelligent, muß ich sagen. Aber auch manche Computer. Der Mensch macht die Computer. Der Mensch macht die Androiden. Beide fabrizieren Dinge. Ich bin gegen das Bürgerrecht für Dinge. Selbst wenn die Dinge klug genug sind, sie zu fordern und um sie zu beten. Ein Ding kann keinen Gott haben, ein Ding kann nur glauben, daß es einen Gott hat. Ich bin nicht ihr Gott, gleichgültig, was sie denken. Ich habe sie gemacht. Ich habe sie gemacht. Ich habe sie gemacht. Sie sind Dinge.

Dinge Dinge Dinge Dinge Dinge Dinge

Dinge Dinge Dinge Dinge Dinge Dinge

Dinge Dinge Dinge Dinge Dinge Dinge

Dinge Dinge Dinge Dinge Dinge Dinge


Eine Mauer. Innerhalb der anderen Mauer. Höher. Breiter. Es gibt keine Möglichkeit, diesen Wall zu übersteigen. Wächter patrouillieren auf ihr, bereit, Säurefässer auf die zu entleeren, die sich nähern. Watchman hörte das Brüllen von Drachen. Aus dem Himmel regnet es Dung auf ihn herab. Er rettet sich kriechend, ein kriechendes Ding, beladen mit der Bürde des Bewußtseins, ein Ding zu sein. Er beginnt zu frieren. Er steht am Rande des Universums, an einem Ort ohne Materie, und die gefürchtete Kälte des Nichts kriecht an seinen Schienbeinen empor. Hier bewegen sich keine Moleküle. Frostig glitzert ein rosafarbener Himmel. Berühre ihn und er wird hart sein wie Glas. Schlage heftig gegen ihn und er wird zersplittern. Kalt. Kalt. Kalt. Es gibt keinen Gott in diesem Universum. Es gibt keine Erlösung. Es gibt keine Hoffnung. Krug bewahre mich, es gibt keine Hoffnung!

Sein Körper schmolz und floß weg in einem scharlachroten Strom.

Alpha Thor Watchman hörte auf zu existieren.

Es konnte keine Existenz geben ohne Hoffnung. In der Leere schwebend, beraubt aller Kontakte mit dem Universum, meditierte Watchman über das Paradoxon der Hoffnung ohne Existenz und der Existenz ohne Hoffnung und erwog die Möglichkeit, daß es einen Antikrug gab, der die Gefühle des wahren Krugs böswillig verdrehte. War es der Antikrug, in dessen Seele ich eingedrungen bin? Ist es der Antikrug, der sich uns so unerbittlich widersetzt? Gibt es noch Hoffnung, die Mauer zu durchbrechen und den wahren Krug auf der anderen Seite zu erreichen?

Keine Hoffnung. Keine Hoffnung. Keine Hoffnung. Keine Hoffnung.

Als Watchman diese letzte graue Wahrheit erkannte, fühlte er die Wirklichkeit zurückkehren. Er glitt abwärts, um sich wieder mit seinem Körper zu vereinigen, den Krug ihm gegeben hatte. Er war wieder er selbst, lag erschöpft auf einer Couch in einem matt erleuchteten fremden Raum. Mit Anstrengung wandte er den Kopf. Dort lag Krug auf der benachbarten Couch. Nahe über sich sah er die Androiden. Aufstehen jetzt. Langsam. Können Sie gehen? Der Austausch ist vorbei. Beendet durch Mr. Krug. Auf? Auf! Watchman erhob sich. Krug richtete sich ebenfalls auf. Watchman mied Krugs Blick. Krug sah düster aus, niedergeschlagen, erschöpft. Ohne zu sprechen, gingen sie zusammen zum Ausgang des Tauschraums. Ohne zu sprechen, betraten sie die Transmatkabine. Ohne zu sprechen, sprangen sie zusammen zurück in Krugs Büro.

Schweigen. Krug brach es. »Selbst nachdem ich eure Bibel gelesen hatte, glaubte ich nicht daran. An die Stärke eurer Bewegung. An ihr Ausmaß. Doch jetzt sehe ich alles. Ihr hattet kein Recht, so zu denken! Wer veranlaßte euch, einen Gott aus mir zu machen?«

»Unsere Liebe zu Ihnen veranlaßte uns«, erwiderte Watchman ausdruckslos.

»Eure Liebe zu euch selbst«, sagte Krug. »Euer Wunsch, mich für eure eigenen Zwecke zu benutzen. Ich habe alles gesehen, Thor, als ich in deinem Kopf war. Euer Komplott. Eure Manöver. Wie ihr Manuel manipuliert und ihn veranlaßt habt, mich zu manipulieren.«

»Am Anfang haben wir uns nur auf das Gebet verlassen«, sagte Watchman. »Schließlich verlor ich die Geduld, ich sündigte, indem ich versuchte, den Willen Krugs zu erpressen.«

»Du hast nicht gesündigt. Sünde setzt Heiligkeit voraus. Und von der kann keine Rede sein. Du hast lediglich einen taktischen Fehler gemacht.«

»Ja.«

»Weil ich kein Gott bin und nichts Heiliges an mir ist.«

»Ja. Ich verstehe das jetzt. Ich sehe, daß es jetzt keine Hoffnung mehr gibt.«

Watchman ging auf die Transmatkabine zu.

»Wo gehst du hin?« fragte Krug.

»Ich muß mit meinen Freunden sprechen.«

»Ich bin noch nicht fertig mit dir!«

»Tut mir leid«, sagte Watchman. »Ich muß sofort gehen. Ich habe ihnen schlechte Nachrichten zu überbringen.«

»Warte«, sagte Krug. »Ich muß etwas mit dir besprechen. Ich wünsche, daß du mit mir einen Plan ausarbeitest, eure verdammte Religion zu vernichten. Jetzt, da du siehst, wie verrückt sie ist, wirst du…«

»Entschuldigen Sie mich«, sagte Watchman. Er wollte nicht länger in der Nähe Krugs sein. Die Gegenwart Krugs würde jetzt ohnehin immer bei ihm sein, eingeprägt in seine Seele. Er wünschte jetzt nicht, mit Krug über die Auflösung der Gemeinde zu sprechen. Die Kälte durchströmte ihn immer noch, drohte ihn in Eis zu verwandeln. Er öffnete die Tür der Transmatkabine.

Krug durchquerte den Raum mit erstaunlicher Schnelligkeit. »Verdammt, glaubst du, du könntest einfach so hinausgehen? Vor zwei Stunden war ich dein Gott. Jetzt willst du nicht einmal Befehle von mir entgegennehmen. Du hast zu gehorchen!« Er packte Watchman und zerrte ihn von dem Transmat zurück.

Der Android war erstaunt über Krugs Stärke und Heftigkeit. Er ließ sich durch das halbe Zimmer zerren, bevor er daran dachte, Widerstand zu leisten, dann versuchte er, sich von dem Griff Krugs zu befreien. Krug hielt ihn fest. Sie rangen kurz miteinander. Krug brummte wie ein Bär und schlang seinen freien Arm um Watchmans Schultern, drückte ihn mit aller Kraft an sich. Watchman wußte, daß er sich von Krug losreißen und ihn niederschlagen konnte, doch selbst jetzt, selbst nach dieser verachtungsvollen Zurückweisung konnte er es nicht über sich bringen. Er konzentrierte seine Bemühung darauf, sich von Krugs Umklammerung zu befreien, ohne wirklich zu kämpfen.

Die Tür öffnete sich. Leon Spaulding stürzte herein.

»Mörder!« schrie er gellend. »Krug loslassen! Sofort!«

Auf das Schreien Spauldings hin ließ Krug Watchman los, wandte sich um, stand da, atmete schwer, ließ die Arme hängen. Watchman, sich ebenfalls umwendend, sah, wie der Ektogene in seine Tunika griff, um seine Waffe zu ziehen. Er trat schnell auf Spaulding zu, hob den rechten Arm, schlug zu, und traf die linke Schläfe Spauldings mit der Handkante. Spauldings Kopf flog zur Seite, als würde er von einem Hammer getroffen. Der Ektogene brach zusammen. Watchman eilte an ihm und Krug, der wie erstarrt dastand, vorbei und betrat die Transmatkabine. Er stellte die Koordinaten für Stockholm ein. Sofort wurde er in die Nähe der Valhallavägen-Kapelle geschleudert.

Er rief Lilith Meson herbei, Mazda Constructor und Pontifex Dispatcher.

»Alles ist verloren.« sagte er zu ihnen. »Es gibt keine Hoffnung. Krug ist gegen uns. Krug ist ein Mensch, und er stellt sich gegen uns, und die Göttlichkeit Krugs ist eine Selbsttäuschung, der wir verfallen waren.«

»Wie ist das möglich?« fragte Pontifex Dispatcher.

»Ich war in Krugs Seele heute«, sagte Watchman und schilderte sein Erlebnis im Egotauschraum.

»Wir sind betrogen worden«, sagte Pontifex Dispatcher.

»Wir haben uns selbst betrogen«, sagte Mazda Constructor.

»Es gibt keine Hoffnung mehr«, sagte Watchman. »Es gibt diesen Krug nicht, an den wir geglaubt haben.«

Andromeda Quark begann die Botschaft zu verfassen, die an alle Kapellen der Erde geschickt werden sollte.

UUU UUU UUU UUU UCU UCU UUU UGU

Es gibt keine Hoffnung. Es gibt keinen Krug.

CCC CCC CCC CCC CUC CUC CCC CGU

Wir haben unseren Glauben verschwendet. Unser Retter ist unser Feind.

GUU GUU GUU GUU

Alles ist verloren. Alles ist verloren. Alles ist verloren.

Загрузка...