Dokument 14

KomKon 2

Ural/Norden

Bericht Nr. 047/99

Datum: 4.-11. Mai’99

Autor: S. Mtbewari, Inspektor

Projekt 101: »Rip van Winkle«

Betr.: Ergebnisse der Inspektion zu »Gruppe der Achtziger«


Ich erhielt Ihre Anweisung zur Inspektion am Morgen des 4. Mai. Mit der Ausführung habe ich unverzüglich begonnen.


4. Mai, gegen 22:40 Uhr:

Astangow, Juri Nikolajewitsch. War unter der eingetragenen Adresse nicht anzutreffen. Hat keine neue Adresse im GGI hinterlassen. Die Befragung von Verwandten, Freunden und Bekannten, die dienstlich mit ihm zu tun hatten, blieb ergebnislos. Übliche Antworten: Wir können nichts sagen; wir hatten in den letzten Jahren keinen Kontakt, weil er seit seiner Rückkehr im Jahr’95 noch menschenscheuer geworden ist als vor seinem Verschwinden. Die Überprüfung des Kosmodromnetzes, des erdnahen Null-T sowie von BeG-Systemen (Betrieben mit erhöhter Gefährdung) erbrachte ebenfalls kein Resultat. Vermutung: J. Astangow hat sich, wie schon voriges Mal, »zur Vollendung seines neuen philosophischen Systems in den Urwald des Amazonasbeckens zurückgezogen«. (Es wäre interessant, mit jemandem zu sprechen, der seine früheren philosophischen Systeme kennt. Die Ärzte bestreiten es zwar, aber ich halte ihn für verrückt.)

6. Mai, gegen 23:30 Uhr:

Leyère, Fernand. Ich wurde um 11:05 Uhr unter der eingetragenen Adresse von ihm empfangen. Ich legte ihm meine Legende dar, worauf wir uns bis 12:50 Uhr unterhielten. F. Leyère erklärte, er fühle sich hervorragend, leide unter keinerlei Krankheitssymptomen, verspüre keine Folgen seiner Amnesie der Jahre’89 bis’91 und sehe daher auch keinen Grund, sich einer Mentoskopie zu unterziehen. Seinen Angaben aus dem Jahre’91 könne er nichts hinzufügen, da er sich nach wie vor an nichts erinnere. Die Transmantialtechnik interessiere ihn seit langem nicht mehr, und er befasse sich seit mehreren Jahren mit der Erfindung und Erforschung mehrdimensionaler Spiele. Bis zu diesem Punkt des Gesprächs war Leyère entgegenkommend, aber auch zerstreut gewesen. Nun wurde er lebhaft: Er war auf die Idee gekommen, mir das Spiel »Schnipp-schnapp-schnurr« beizubringen. Es kam allerdings nicht dazu, da wir uns kurz darauf verabschiedeten. (Ich habe seine Angaben überprüft: F. Leyère ist heute ein bedeutender Spezialist auf dem Gebiet mehrdimensionaler Spiele; er wird auch der »Spielmeister für Professoren« genannt.)

Tuul, Albert Oskarowitsch. Unter der eingetragenen Adresse nicht anzutreffen. Neue Adresse im GGI: Venusborg (Venus). Unter dieser Adresse ebenfalls nicht anzutreffen. Angaben der Venusregistratur: A. Tuul ist nie auf der Venus eingetroffen. Im Jahr’97 teilte er seiner Mutter mit, er wolle bei den Fährtensuchern im Lager »Chius« (Planet Kala-i-Mug) arbeiten. Seitdem erhält sie regelmäßig Nachrichten von ihm, zuletzt im März d. J. - lange Briefe, in denen er ausführlich und sehr poetisch von der Spurensuche nach der »Wechselbalg«-Zivilisation erzählt. Information des Lagers »Chius«: A. Tuul ist nie dort gewesen, ruft über Null-Verbindung aber regelmäßig einen Ausgräber der Gruppe, J. Kapustin, an, der fest davon überzeugt ist, dass sein lieber Freund A. Tuul unter der eingetragenen Adresse auf der Erde wohnt. Am 1. Januar d. J.


8. Mai, gegen 22:10 Uhr:

Bagrationi, Mauricius Amasaspowitsch. Unter der eingetragenen Adresse nicht anzutreffen. Im GGI keine neue Adresse. Nahe Verwandte, mit denen er regelmäßig Kontakt hätte, fehlen aufgrund seines fortgeschrittenen Alters. Die beruflichen Kontakte sind vor etwa 25 Jahren abgerissen. Auch die zwei alten Freunde Bagrationis, die wir seit der Untersuchung seines Verschwindens im Jahre’81 kennen, sind unter den eingetragenen Adressen nicht anzutreffen. Ihr Aufenthaltsort konnte bisher nicht ermittelt werden. Die Überprüfung des Kosmodromnetzes, des erdnahen Null-T und der BeG-Systeme erbrachte kein Ergebnis. Information des Gerontologischen Zentrums: Man sucht Bagrationi seit vielen Jahren, um ihn zu untersuchen, jedoch vergeblich. Vermutung: ein bisher nicht registrierter Unglücksfall. Ich hielte es für richtig, seine Freunde ausfindig zu machen, um sie darüber in Kenntnis zu setzen.

Tschang, Martin. Unter der eingetragenen Adresse nicht anzutreffen. Neue Adresse im GGI: Basis »Matrix« (Secunda,

9. Mai, gegen 21:30 Uhr:

Okigbo, Cyprian. Er empfing mich um 10:15 Uhr unter der eingetragenen Adresse, begrüßte mich freundlich und war sehr aufgeschlossen - obwohl es aussah, als sei er mit den Gedanken ganz woanders. Er ließ mich im Wohnzimmer Platz nehmen, gab mir ein Glas Kokosmilch, hörte sich meine Legende an und sagte: »Ach herrje, das ist wirklich nicht komisch!« Dann zog er sich mit besorgtem Gesichtsausdruck irgendwohin zurück. Ich wartete eine Stunde lang auf ihn, dann inspizierte ich das Haus, konnte aber niemanden entdecken. Im Arbeitszimmer, in beiden Schlafräumen und in der Mansarde standen die Fenster offen, doch waren draußen auf der Erde keine Spuren zu sehen. In der Werkstatt (?) hingegen waren die Fenster fest verschlossen, die Metalljalousien heruntergelassen, und es war unerträglich kalt, minus fünf Grad oder kälter. Das Wasser im Aquarium war von einer Eisdecke überzogen, aber es fehlte jede Spur einer Kühlanlage. Der Kittel, in dem mich C. Okigbo empfangen hatte, lag im Arbeitszimmer auf dem Fußboden. Ich wartete noch zwei Stunden auf ihn; dann befragte ich die Nachbarn. Nichts von Bedeutung: C. Okigbo ist ein verschlossener Mensch, Gäste empfängt er nicht, sitzt fast die ganze Zeit zu Hause, den Garten hat er verwildern lassen, aber sonst ist er freundlich. Er mag kleine Kinder sehr, besonders im Krabbelalter, und kann gut mit ihnen umgehen. Vermutung: Vielleicht ist es mir nur so vorgekommen, als habe C. Okigbo mich empfangen? (Vgl. meine Nr. 048/99.)


11. Mai, gegen 10:45 Uhr:

Beim Versuch festzustellen, ob sich Emile Far Ale unter der eingetragenen Adresse aufhält, erlitt ich einen Anfall von Übelkeit mit Halluzinationen. Da ich nicht beurteilen kann, ob das nur mich persönlich etwas angeht oder auch für den

Sandro Mtbewari


Ich habe bis heute nicht erfahren, was die Inspektionsergebnisse Sandro Mtbewaris bei Toivo Glumow auslösten. Ich glaube, er war erschüttert. Und es waren sicher weniger die Ergebnisse an sich, die ihn erschütterten, als der Gedanke, dass er die ungeheure, ja, unvorstellbare Macht des Feindes in diesem Maße unterschätzt hatte.

Ich bekam Toivo weder am 11. noch am 12. oder 13. Mai zu Gesicht. Es müssen schwere Tage für ihn gewesen sein, in denen er sich an seine neue Rolle gewöhnte - die Rolle des Aljoscha Popowitsch aus der russischen Folklore. Vor diesem erscheint anstelle des angekündigten Götzenbildes plötzlich der boshafte Gott Loki selbst.

Doch all diese Tage dachte ich an Toivo, dachte über ihn nach - denn am Morgen des 11. Mai hatten mich zwei Dokumente erreicht …

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