4. JUNI’78

Lew Abalkin in natura

»Ljowa!«, sagte Seine Exzellenz mit Erstaunen und Rührung in der Stimme. »Mein Gott, guter Freund! Was haben wir Sie gesucht!«

Lew Abalkin machte eine Bewegung - und mit einem Mal stand er direkt am Tisch. Kein Zweifel, das war ein Progressor der neuen Schule, ein echter Profi, und noch dazu einer der besten. Ich musste mich ziemlich anstrengen, um seinem Tempo folgen zu können.

»Sie sind Rudolf Sikorsky, der Leiter der KomKon 2«, sagte er mit leiser, unerwartet ausdrucksloser Stimme.

»Ja«, erwiderte Seine Exzellenz, wobei er freundlich lächelte. »Aber warum so förmlich? Setzen Sie sich, Ljowa …«

»Ich werde im Stehen sprechen«, sagte Lew Abalkin.

»Ich bitte Sie, Ljowa, was soll das? Setzen Sie sich, es steht uns eine lange Unterhaltung bevor.«

»Nein«, sagte Abalkin. Mich würdigte er keines Blickes. »Es wird keine lange Unterhaltung. Ich will mich nicht mit Ihnen unterhalten.«

Seine Exzellenz war entsetzt. »Was heißt - Sie wollen nicht?«, fragte er. »Sie, mein Lieber, sind im Dienst und verpflichtet, Bericht zu erstatten. Wir wissen immer noch nicht, was mit Tristan passiert ist … Was heißt - Sie wollen nicht?«

»Ich bin einer von ›dreizehn‹?«

»Dieser Bromberg …«, murmelte Seine Exzellenz verärgert. »Ja, Ljowa. Leider sind Sie einer von den ›dreizehn‹.«

»Es ist mir verboten, mich auf der Erde aufzuhalten? Und ich muss mein Leben lang unter Aufsicht bleiben?«

»Ja, Ljowa. So ist es.«

Abalkin hatte sich großartig unter Kontrolle. Sein Gesicht war völlig reglos, und die Augen hatte er halb geschlossen, als

»Also, ich bin hergekommen, um Ihnen zu sagen«, führte Abalkin mit noch immer leiser, ausdrucksloser Stimme fort, »dass Sie uns dumm und gemein behandelt haben. Sie haben mein Leben kaputtgemacht und im Ergebnis nichts erreicht. Ich bin auf der Erde und habe nicht vor, sie jemals wieder zu verlassen. Bitte beachten Sie auch, dass ich Ihre Aufsicht nicht länger dulde und mich ohne Pardon davon befreien werde.«

»Wie von Tristan?«, erkundigte sich Seine Exzellenz beiläufig.

Abalkin schien diesen Einwurf überhört zu haben. »Ich habe Sie gewarnt«, sagte er. »Jetzt haben Sie es sich selbst zuzuschreiben. Ich habe vor, zukünftig so zu leben, wie es mir passt, und fordere Sie auf, sich nicht länger in mein Leben einzumischen.«

»Gut. Wir werden uns nicht einmischen. Aber sagen Sie mir, Ljowa, hat Ihnen Ihre Arbeit nicht gefallen?«

»Jetzt werde ich mir meine Arbeit selbst aussuchen.«

»Sehr gut. Hervorragend. Und in der freien Zeit bemühen Sie bitte Ihre Phantasie und versuchen, sich an unsere Stelle zu versetzen. Was hätten Sie mit den ›Findelkindern‹ gemacht?«

Eine Art Lächeln huschte über Abalkins Gesicht. »Da gibt es nichts zu überlegen«, sagte er. »Das ist offensichtlich. Sie hätten mir alles erzählen, mich zu Ihrem bewussten Verbündeten machen müssen.«

»Und Sie hätten sich dann nach ein paar Monaten das Leben genommen? Immerhin ist es schrecklich, Ljowa, sich als Gefahr für die Menschheit zu fühlen; das hält nicht jeder aus.«

»Unsinn. Das sind alles nur Wahnvorstellungen Ihrer Psychologen. Ich bin ein Erdenmensch! Als ich erfuhr, dass ich

»Aber wer hat denn gesagt, dass Sie nicht auf der Erde leben dürfen?«

»Was denn - ist es nicht wahr?«, erkundigte sich Abalkin. »Darf ich etwa auf der Erde leben?«

»Jetzt - ich weiß nicht … Vielleicht, ja. Aber urteilen Sie selbst, Ljowa! Auf dem ganzen Saraksch wusste nur Tristan, dass Sie nicht zur Erde zurückkehren dürfen. Und er kann es Ihnen nicht gesagt haben … Oder doch?«

Abalkin schwieg. Sein Gesicht blieb nach wie vor reglos; doch auf den bleichen Wangen traten jetzt graue Flecken hervor, als wären es Spuren alter Flechten - er ähnelte jetzt einem pandeischen Derwisch.

»Nun gut«, sagte Seine Exzellenz, nachdem er eine Weile gewartet hatte. Er musterte demonstrativ seine Fingernägel. »Mag Tristan es Ihnen dennoch erzählt haben. Ich verstehe nicht, warum er das tat, aber was soll’s. Warum hat er Ihnen dann nicht den Rest erzählt? Warum hat er Ihnen nicht erzählt, dass Sie eines der ›Findelkinder‹ sind, warum nicht die Gründe für das Verbot erklärt? Schließlich gab es Gründe, und recht gewichtige, was Sie auch davon halten mögen …«

Ein leichtes Zucken lief jetzt über Abalkins Gesicht, dann verlor es auf einmal an Härte, schien kraftlos geworden, der Mund öffnete sich ein wenig, und die Augen waren weit aufgerissen, als sei er verwundert … Und zum ersten Mal hörte ich ihn atmen.

»Ich will nicht darüber … sprechen«, sagte er laut und heiser.

»Das ist sehr schade«, sagte Seine Exzellenz. »Für uns ist das sehr wichtig.«

»Aber für mich ist nur eins wichtig«, erwiderte Abalkin. »Dass Sie mich in Ruhe lassen.«

Sein Gesicht hatte die frühere Festigkeit wiedergewonnen, die Lider hatten sich gesenkt, von seinen Wangen wichen allmählich die grauen Flecken.

Seine Exzellenz begann nun in einem völlig anderen Ton: »Ljowa. Natürlich lassen wir Sie in Ruhe. Aber ich flehe Sie an: Sollten Sie plötzlich etwas Ungewohntes in sich verspüren, eine ungewohnte Empfindung, sonderbare Gedanken … oder wenn Sie sich krank fühlen, geben Sie bitte Nachricht. Meinetwegen nicht an mich. An Gorbowski. Komow. Bromberg, wenn es sein muss.«

Da wandte ihm Abalkin den Rücken und ging zur Tür. Seine Exzellenz schrie ihm fast nach, die Hand ausgestreckt: »Aber sofort! Sofort! Solange Sie noch ein Erdenmensch sind! Vielleicht trage ich Ihnen gegenüber Schuld, aber die Erde trifft doch keine Schuld!«

»Ja, ja, ich benachrichtige Sie«, sagte Abalkin über die Schulter hinweg. »Sie persönlich.«

Er ging aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Ein paar Sekunden lang schwieg Seine Exzellenz, beide Hände in die Armlehnen des Sessels gekrallt, und lauschte angespannt. Dann befahl er halblaut: »Ihm nach. Nur nicht aus den Augen lassen. Verbindung über das Armband. Ich bin im Museum.«

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