Dokument 13

An den Leiter der Abteilung BV, M. Kammerer

Antrag von Inspektor T. Glumow


Da ich meine Frau während einer längeren Dienstreise auf die Pandora begleiten muss, bitte ich um die Gewährung eines Urlaubs von sechs Monaten.

10. Mai’99

T. Glumow

Entscheidung: Nicht genehmigt. Führen Sie weiterhin Ihren Auftrag aus.

10. Mai’99

M. Kammerer


Abteilung BV, Arbeitszimmer D. 11. Mai ’99


Am Morgen des 11. Mai erschien Toivo in düsterer Stimmung bei der Arbeit und las meine Entscheidung. Anscheinend hatte er sich über Nacht ein wenig beruhigt, denn ohne zu protestieren oder auf seinem Wunsch zu beharren, setzte er sich in sein Arbeitszimmer »D« und fing an, die Liste der Inversanten zusammenzustellen. Schon bald hatte er sieben Personen gefunden, doch nur zwei mit vollständigem Namen; die Übrigen waren als »Patient S., Servomechaniker«, »Theodor P., Ethnolinguist« oder dergleichen registriert.

Gegen Mittag erschien Sandro Mtbewari im Zimmer »D« - abgekämpft, aschfahl und zerzaust. Er setzte sich an seinen Tisch und erklärte Toivo - ohne jede Vorrede oder die Witze, die er normalerweise machte, wenn er von einem längeren Einsatz zurückkehrte -, er stelle sich ihm laut Befehl von Big Bug zur Verfügung, würde aber gerne vorher den Bericht über seine Dienstreise zu Ende schreiben. »Was ist denn passiert?«, fragte Toivo beunruhigt und überrascht von seinem Anblick. Es sei ihm eine Geschichte passiert, antwortete Sandro gereizt, von der er nicht wisse, ob er sie in seinen Bericht aufnehmen solle, und wenn ja, unter welchem Vorzeichen.

Und sogleich machte er sich ans Erzählen, hatte aber Mühe, die richtigen Worte zu finden, verlor sich in Einzelheiten und machte sich immer wieder, fast krampfhaft, über sich selbst lustig.

Am Morgen war er aus der Null-Kabine des kleinen Kurorts Rosalinda unweit von Biarritz getreten, hatte etwa fünf

Offenbar war das der Moment, als ihm schlecht wurde. In seinen Ohren begann es zu klingen, und ihm schien, als verlösche das helle Sonnenlicht. Er hatte den Eindruck, als folge er dem Pfad abwärts. Als gehe er, ohne die Beine unter sich zu spüren, an einer lustig anzusehenden Laube vorüber, die er von oben gar nicht bemerkt hatte; vorbei an einem Gleiter mit aufgeklappter Schutzhaube und zerlegtem Motor, so, als hätte jemand ganze Blöcke daraus entfernt; und an einem riesigen zottigen Hund vorbei, der mit heraushängender roter Zunge im Schatten lag und Sandro gleichgültig musterte. Dann sei er die Stufen zu einer von Rosen dicht umrankten Veranda hinaufgestiegen. Dabei konnte er deutlich hören, wie die Stufen knarrten, spürte aber seine Beine noch immer nicht. Weiter hinten auf der Veranda stand ein Tisch, auf dem sich viele rätselhafte Gegenstände türmten, und dort entdeckte Sandro auch den Mann, den er gesucht hatte: Er stand über den Tisch gebeugt da, die Arme weit ausgestreckt, um sich auf den Rändern der Tischplatte abzustützen.

Der Mann hatte kleine, unter grauen Brauen versteckte Augen und blickte Sandro ein wenig ärgerlich an. Der stellte sich vor und fing sogleich an, seine Legende aufzutischen, obwohl er kaum seine eigene Stimme hörte. Er hatte aber noch keine zehn Sätze gesprochen, als der Mann seine Stirn in tiefe Falten zog und etwas sagte wie: »Muss das jetzt sein, du

Er zog die Schuhe wieder an, wischte sich den Schweiß vom Gesicht, doch da kam es anscheinend wieder über ihn: Abermals folgte er dem Pfad abwärts, ohne die Beine unter sich spüren zu können. Die Welt sah aus, als schaue er durch einen Neutralfilter, und im Kopf hatte er nur einen einzigen Gedanken: Jetzt komme ich wieder ganz und gar ungelegen … Abermals kam links die lustige Laube vorbei; auf dem Fußboden lag eine Puppe, der beide Arme und ein Bein fehlten. Auch der Gleiter kam wieder vorbei; an die Bordwand war ein freches Teufelchen gemalt, und etwas weiter weg stand ein zweiter Gleiter, ebenfalls mit offener Motorhaube. Der Hund allerdings hatte seine Zunge zurückgezogen und döste vor sich hin, den schweren Kopf auf seine Pfoten gelegt. (Irgendwie sonderbar, dieser Hund, ja, war das überhaupt ein Hund?) Die knarrenden Stufen. Die Kühle der Veranda. Und wieder blickte der Mann unter den grauen Augenbrauen hervor, runzelte die Stirn und sagte in einem gespielt drohenden Ton, so, wie man mit einem übermütigen Kind spricht: »Was hab ich dir gesagt? Ganz und gar ungelegen! Kusch!« Und wieder kam Sandro zu sich, doch diesmal saß er nicht auf dem Stein, sondern daneben im trockenen, stachligen Gras. Ihm war übel.

Was ist denn heute mit mir los? - dachte Sandro voller Angst und Missmut und versuchte sich zusammenzureißen. Die Welt schien noch immer farblos, und in den Ohren klang es ihm; doch hatte er sich jetzt wieder völlig im Griff. Es war fast punkt zehn. Er hätte sehr gerne etwas getrunken, doch

Als er erneut zu sich kam, fand er sich auf einer Bank wieder. Ringsum lag das Kurstädtchen Rosalinda, und neben ihm stand dieselbe Null-Kabine, mit der er hierhergekommen war. Noch immer war ihm übel, und er hatte großen Durst - doch die Welt war licht und freundlich. Seine Uhr zeigte 42 Minuten nach zehn. Unbeschwerte, schön gekleidete Menschen gingen an ihm vorüber, musterten ihn besorgt und verlangsamten den Schritt. Da aber rollte plötzlich ein Kellnerkyber heran und servierte ihm ein eisgekühltes Getränk in einem hohen Glas.

Nachdem er Sandro zu Ende angehört hatte, schwieg Toivo eine Weile. Dann, die Wörter sorgfältig wählend, riet er ihm: »Das musst du unbedingt in den Bericht aufnehmen.«

»In Ordnung«, sagte Sandro. »Aber mit welchem Akzent?«

»Wie du es mir erzählt hast, so schreibst du es auf.«

»Ich habe es dir so erzählt, als wäre mir vor Hitze schlecht geworden und das alles eine Halluzination gewesen.«

»Also bist du nicht sicher, dass es eine war?«

»Woher soll ich das wissen? Ich könnte dasselbe auch so erzählen, als sei ich unter Hypnose geraten und die Halluzination gezielt hervorgerufen worden.«

»Meinst du, es war der Kopfler?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht. Ich glaube aber, eher nicht. Er war zu weit von mir entfernt, siebzig Meter mindestens. Und er war auch zu jung für so etwas. Außerdem, warum sollte er?«

Sie schwiegen. Dann fragte Toivo: »Was hat Big Bug gesagt?«

»Der hat mich gar nicht zu Wort kommen lassen und mich keines Blickes gewürdigt. ›Ich habe zu tun, geh und hilf Glumow. ‹«

»Sag mal«, erkundigte sich Toivo, »bist du eigentlich sicher, dass du nicht bis zu dem Haus gekommen bist?«

»Es gibt nichts, was ich sicher weiß. Nur, dass etwas mit diesen ›van Winkles‹ nicht stimmt. Seit Anfang des Jahres beschäftige ich mich mit ihnen, und es ist nach wie vor nichts klar. Im Gegenteil, mit jedem Vorfall wird es undurchsichtiger. So etwas wie heute ist mir aber noch nie passiert, das war etwas Besonderes.«

Toivo sagte gepresst: »Aber du verstehst, wonach es aussieht, falls das tatsächlich mit dir geschehen ist?« Er stutzte. »Warte! Und der Registrator? Was hast du auf dem Registrator?«

Sandro erwiderte schicksalsergeben: »Auf dem Registrator ist nichts. Wie sich herausstellte, war er ausgeschaltet.«

»Also, weißt du!«

»Ich weiß. Bloß, dass ich mich genau erinnere, ihn, bevor ich aufgebrochen bin, aufgeladen und eingeschaltet zu haben.«

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