Ich klingelte bei Nathan und Sarah an, und sie trafen uns vor der Tür des Zimmers 355. Sarah schloß uns auf. Es war eine große Suite — typischer Holiday Inn-Stil —, die sich in jeder Stadt auf der Erde befinden könnte. Abgesehen von dem leichten Geruch nach nassem Fell.
Sarah ging zur Badezimmertür und entriegelte sie. Dahinter regte sich etwas. Nathan, Freds und ich traten unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. Eine Bewegung, und dann stand er vor uns. Ich starrte in die Augen des Yetis.
In der Tourismusbranche von Katmandu gibt es Kalender, Postkarten und bedruckte T-Shirts mit der Zeichnung eines Yetis darauf. Es ist immer dieselbe Zeichnung, was ich nie begriffen habe: Warum sollten sich alle auf dieselbe Vermutung versteifen? Es ärgerte mich: ein kleiner Pelzball, der einem den Rücken zugewandt hatte, mit dem üblichen Affengesicht über die Schulter zurück sah und die Sohle eines großen nackten Fußes zeigte.
Es freut mich, Ihnen bestätigen zu können, daß der echte Yeti ganz anders aussah. Oh, ein Fell hatte er schon; aber er hatte etwa Freds’ Größe und ein eindeutig humanoides Gesicht, umgeben von einer bartähnlichen Krause aus mattem rötlichem Pelz. Er sah ein wenig wie Lincoln aus — klar, wie ein kleiner und sehr häßlicher Lincoln mit einer platten Nase und ziemlich hervorstehenden wulstigen Brauen —, aber die Ähnlichkeit war vorhanden. Es erleichterte mich, wie menschlich sein Gesicht wirkte — mein Plan hing davon ab, und ich war froh, daß Nathan bei seiner Beschreibung nicht übertrieben hatte. Das einzige Merkmal, das wirklich ungewöhnlich wirkte, war der Hinterhauptkamm, ein schmaler erhöhter Streifen aus Knochen und Muskeln, der längs über seinen Kopf verlief, als habe der Schädel selbst einen Mohikaner-Haarschnitt.
Na ja, wir alle standen da wie eine Statue mit dem Namen »Menschen treffen Yeti«, als Freds sich entschloß, das Eis zu brechen; er trat vor und reichte dem Burschen die Hand. »Namaste!« sagte er.
»Nein, nein …« Nathan drängte sich an ihm vorbei und streckte das Halsband mit den fossilen Muscheln aus, das er im Frühjahr bekommen hatte.
»Ist das derselbe?« krächzte ich, kurzzeitig etwas verwirrt. Denn bis sich diese Badezimmertür geöffnet hatte, hatte ein Teil von mir eigentlich nicht daran geglaubt.
»Ich glaube schon.«
Der Yeti bewegte sich und ergriff das Halsband und Nathans Hand. Erneut Statuenzeit. Dann trat der Yeti vor und berührte Nathans Gesicht mit seiner langen, pelzigen Hand. Er pfiff leise. Nathan zitterte; in Sarahs Augen standen Tränen. Ich selbst war auch beeindruckt. »Er sieht aus wie ein Buddha, meint ihr nicht auch?« sagte Freds. »Er hat nicht den Bauch dafür, aber diese Augen, Mann. Buddha in Reinkultur.«
Wir machten uns an die Arbeit. Ich öffnete meine Tragetasche und holte einen weiten Overall heraus, ein gelbes T-Shirt mit dem Aufdruck »Befreit Tibet!« und einen großen Anorak. Nathan zog sein Hemd aus und wieder an, um dem Yeti zu zeigen, was wir vorhatten.
Langsam, vorsichtig, sanft, mit vielen leise gesprochenen Worten und behutsamen Gesten, brachten wir den Yeti dazu, das Zeug anzuziehen. Das T-Shirt stellte uns vor die größten Schwierigkeiten: er zappelte etwas, als wir es ihm über den Kopf zogen. Der Anorak hatte zum Glück einen Reißverschluß. Bei jeder Bewegung, die ich machte, sagte ich: »Namaste, gesegneter Herr, namaste.«
Die Hände und Füße waren ein Problem. Seine Hände waren seltsam, die Finger waren knochig und fast doppelt so lang wie meine und auch ziemlich haarig; aber mitten am Tag in Katmandu Fäustlinge zu tragen, war fast noch schlimmer. Ich schob die Entscheidung hinaus und wandte mich seinen Füßen zu. Hier entsprach die Zeichnung für die Touristen einigermaßen der Wirklichkeit: seine Füße waren groß, fellbewachsen und fast viereckig. Sein großer Zeh ähnelte einem fetten Daumen. Die Stiefel, die ich mitgebracht hatte, die größten, die ich in der Eile finden konnte, waren viel zu klein. Schließlich zog ich ihm tibetanische Wollsocken und Birkenstock-Sandalen an, bei denen ich mit einem Taschenmesser herumgefuhrwerkt hatte, damit die großen Zehen über die Seiten hinaushängen konnten.
Schließlich setzte ich ihm noch meine blaue Dodgers-Mütze auf den Kopf. Reflektierende Sonnenbrillen mit breiten Bügeln erledigten den Rest. »He, toll«, bemerkte Freds. Dazu noch ein Sherpa-Halsband, bestehend aus fünf Korallenstücken und drei großen Brocken ungeschliffenem Türkis, aufgereiht an einer schwarzen Schnur. Das Ablenkungsprinzip, Sie verstehen.
Während ich den Yeti verkleidete, durchwühlten Sarah und Nathan die Schubladen und das Gepäck und sammelten alle Filme, Notizbücher und alles andere ein, was Beweise für die Existenz des Yetis enthalten mochte. Und die ganze Zeit über stand der Yeti ruhig und aufmerksam da: Er beobachtete Nathan, steckte die Hand in einen Ärmel wie ein Millionär bei seinem Kammerdiener, trat vorsichtig in die Birkenstocks, schob den Schirm der Baseballmütze zurecht und so weiter. Ich war wirklich beeindruckt, und Freds ebenfalls. »Er ähnelt wirklich einem Buddha, nicht wahr?« Die körperliche Ähnlichkeit war im Augenblick wohl nicht gegeben, doch sein Verhalten hätte nicht ausgeglichener sein können, wenn er der Gautama persönlich gewesen wäre.
Als Nathan und Sarah mit ihrer Suche fertig waren, betrachteten sie unser Werk. »Mein Gott, sieht der unheimlich aus«, sagte Sarah.
Nathan setzte sich einfach aufs Bett und legte den Kopf in die Hände. »Es wird nie funktionieren!« sagte er. »Nie!«
»Sicher wird es das!« rief Freds und zog den Reißverschluß des Anoraks noch etwas höher. »Auf der Freak Street sieht man solche Typen ständig! Mann, als ich noch auf der Schule war, sah unser ganzes Football-Team genauso aus wie er! In meinem Staat könnte er ohne weiteres als Senator kandidieren …«
»Hört, hört«, sagte ich. »Wir haben keine Zeit zu verschwenden. Gebt mir die Schere und die Bürste, ich muß noch sein Haar machen.« Ich versuchte mit wenig Erfolg, es über die Ohren zurückzukämmen, und schnippelte hinten dann etwas herum. Nur ein kurzes Stück, dachte ich, nur die paar Meter bis zu dem Taxi. Und in ziemlich dunklen Gängen. »Ist es auf beiden Seiten gleichmäßig?«
»Um Gottes willen, George, gehen wir endlich!« Nathan wurde etwas zapplig. Wir sammelten unsere Besitztümer ein, packten die Taschen zusammen und zerrten den alten Buddha auf den Gang.