14

Wir standen vor Anbruch der Dämmerung auf, und Freds zog die Klamotten an, die Buddha am Tag zuvor getragen hatte. Wir klebten Freds ein paar Büschel von Buddhas Rückenfell ins Gesicht, die als Bart dienen sollten. Wir hatten sogar etwas von dem rotbraunen Fell in die Innenseite der Dodgers-Mütze geklebt, damit sie hinten hinabhing. Fäustlinge und ein großes Paar Schneestiefel vervollständigten die Verkleidung; noch die Sonnenbrille auf seine Nase, und er sah zumindest genauso seltsam aus wie Buddha im Sheraton. Freds schritt im Zimmer auf und ab, um sich an die Verkleidung zu gewöhnen. Buddha betrachtete ihn mit diesem überraschten Blick, und Freds war wieder obenauf. »Ich sehe wie dein lange verschollener Bruder aus, was, Buddha?«

Nathan brach verzagt auf dem Bett zusammen. »Das wird einfach nicht klappen.«

»Das hast du letztes Mal auch gesagt«, wandte ich ein.

»Genau! Und sieh dir doch an, was daraus geworden ist! Nennst du das klappen? Willst du mir sagen, daß es gestern geklappt hat?«

»Na ja, das kommt darauf an, was du mit klappen meinst. Ich meine, wir sind doch hier, oder?« Ich packte meine Tasche. »Immer mit der Ruhe, Nathan.« Ich legte eine Hand auf seine Schulter, und Sarah legte ihre beiden Hände auf seine andere Schulter. Das richtete ihn etwas auf, und ich lächelte Sarah zu. Diese Frau war zäh; sie hatte im Sheraton unseren Arsch gerettet und verlor auch während des Wartens nicht die Nerven. Ich hätte eigentlich nichts dagegen gehabt, sie zu bitten, mich auf einen langen Trek in den Himalaja zu begleiten, und sie bekam das mit und schenkte mir ein kurzes Lächeln, das mir sagen sollte, daß sie es zu würdigen wußte, aber auch, daß ich keine Chance hatte. Außerdem wäre es mir vorgekommen, den guten alten Nathan zu hintergehen, als hätten die Dodgers Steve Garvey aus dem Vertrag entlassen. Solche Menschen kann man nicht hintergehen, nicht, wenn man hinterher noch in den Spiegel sehen können will.

Freds hatte sich mittlerweile Buddhas Haltung und Gang ausreichend eingeprägt, und er und ich verließen das Zimmer. Freds blieb stehen und warf noch einen traurigen Blick zurück, und ich zerrte ihn weiter, verwirrt über seine sentimentale Anwandlung; wir wollten von niemandem außerhalb des Star gesehen werden, bis wir unten waren.

Aber ich muß sagen, daß Freds insgesamt eine erstaunliche Leistung vollbrachte. Er hatte gar nicht so viel von Buddha gesehen, doch als wir über den Hof und auf die Straße gingen, ahmte er den Gang des Yeti genau nach: etwas steif in der Hüfte und krummbeinig, ein schaukelnder Matrosengang, aus dem er sich anscheinend jeden Augenblick auf alle viere fallen lassen konnte. Ich konnte es kaum glauben.

Die Straßen waren fast leer; ein Brotlieferant, streunende Hunde (sie bedachten Freds mit keinem Blick — würde uns das nicht verraten?), der alte Bettler und seine junge Tochter, ein paar Kaffeefreaks vor der German Pumpernickel Bakery, Ladenbesitzer, die ihre Geschäfte öffneten … Ein paar Schritte weiter gingen wir an einem am Straßenrand stehenden Taxi mit drei Männern darin vorbei, die sorgsam in die andere Richtung sahen. Abendländer. Ich eilte weiter. »Kontakt«, murmelte ich Freds zu. Er pfiff nur etwas.

Auf dem Times Square stand ein Taxi; der Fahrer schlief. Wir sprangen hinein, weckten ihn und baten ihn, uns zum Busbahnhof zu fahren. Das Taxi, an dem wir vorbeigegangen waren, folgte uns. »Sie haben angebissen«, sagte ich zu Freds, der die Aschenbecher beschnüffelte, am Polster leckte und sich aus dem Fenster lehnte, um wie ein Hund nach Luft zu schnappen. »Übertreib’s nicht«, sagte ich; ich hatte Angst, daß meine Dodgers-Mütze mit dem ganzen festgeklebten Haar fortfliegen könnte.

Wir fuhren am großen Uhrenturm vorbei, hielten an, stiegen aus und bezahlten den Taxifahrer. Unser Schatten blieb ein Stück weiter die Straße hinauf stehen, wie ich zufrieden feststellte. Freds und ich gingen die breite, schlammige Auffahrt zum Busbahnhof hinab.

Der Busbahnhof war ein großer, morastiger Hof, der etwa anderthalb oder zwei Meter unter der Straßenebene lag. Dutzende von Bussen standen kreuz und quer auf dem Hof, und ihre Reifen hatten den Schlamm aufgewühlt, bis der Hof wie ein Verdun von Fahrzeugen aussah. Sämtliche Busse gehörten Privatfirmen — normalerweise ein Bus pro Firma mit einer einzigen vorgegebenen Strecke —, und alle Fahrkartenverkäufer in den Buden aus Holz und Zeltstoff am Eingang schrien auf uns ein, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen, als seien wir ohne ein bestimmtes Ziel im Sinn gekommen und würden den Verkäufer aussuchen, der uns das lauteste Angebot machte.

Was diesmal ja beinahe auch zutraf. Doch ich entdeckte den Verkäufer für den Bus nach Jiri, wohin ich Freds eigentlich schicken wollte, und erstand zwei Fahrkarten, wobei mich alle anderen Verkäufer umschwärmten und meine Wahl kritisierten. Freds ging ein wenig in die Hocke und schaute angemessen mißmutig drein. Ein großer Tumult entstand; eine der Firmen hatte ihr Recht durchgesetzt, den Hof als nächste zu verlassen, und nun versuchte ihr Bus, es die Auffahrt hinauf zu schaffen, die die einzige Zufahrt zum Hof darstellte.

Eine jede Abfahrt stellte höchste Ansprüche an den Fahrer, das Getriebe und die Reifen des Busses und die beratenden Fähigkeiten der um ihn herumstehenden Fahrkartenverkäufer. Nach zahlreichem Schalten und Rangieren schoß dieser hell angestrichene Bus die Schräge hinauf, und die Debatte über den Fahrplan begann erneut. Nur drei Busse hatten freien Zugang zur Auffahrt, und der Streit zwischen den Verkäufern war hitzig.

Ich nahm Freds an die Hand, und wir wanderten auf dem von den Reifen zerwühlten Gelände herum und suchten nach dem Bus nach Jiri. Schließlich fanden wir ihn: wie alle anderen Busse farbenfroh gelb, blau, grün und rot lackiert, aber zusätzlich noch mit etwa vierzig Darstellungen von Ganesh auf der Windschutzscheibe, die dem Fahrer helfen sollten, besser zu sehen. Wie üblich war der ›andere Bus‹ der Firma nicht da, und dieser war überfüllt. Wir drängten uns an Bord und durch die dicht an dicht stehenden Menschen auf dem Gang und fanden dann hinten noch freie Plätze. Die Nepali fahren gern vorn mit. Nachdem noch weitere Passagiere zugestiegen waren, wurde es sogar hinten sehr eng. Aber Freds hatte einen Fensterplatz, und darauf kam es mir ja an.

Durch das schlammverkrustete Glas konnte ich unsere Verfolger ausmachen: Phil Adrakian und zwei Männer, die vielleicht zum Geheimdienst gehörten, obwohl ich mir nicht ganz sicher war. Sie wehrten die Fahrkartenverkäufer ab und versuchten gleichzeitig, auf den Hof zu gelangen, keine leichte Aufgabe. Als sie den Verkäufern auswichen, gerieten sie auf die Auffahrt und wurden beinahe von dem Bus überfahren, der gerade hinaufjagte; einer rutschte beim Ausweichen im Schlamm aus und fiel auf den Hintern. Die Fahrkartenverkäufer hatten ihre helle Freude daran. Adrakian und die beiden anderen eilten davon und schlenderten von einem Bus zum anderen, wobei sie den Eindruck zu erwecken versuchten, eigentlich nach nichts im besonderen zu suchen. Sie wurden von den beharrlicheren Verkäufern verfolgt und blieben gelegentlich schon mal im Schlamm stecken, und ich befürchtete nach einer Weile schon, daß sie uns nicht finden würden. Und sie brauchten dafür auch etwa zwanzig Minuten. Aber dann sah einer Freds am Fenster, und sie gingen hinter einem Bus in Deckung, der bis zu den Achsen im Schlamm eingesunken war, und versuchten die Verkäufer mit verzweifelter Zeichensprache zu verscheuchen. »Sie haben endgültig angebissen«, sagte ich.

»Ja«, erwiderte Freds, ohne die Lippen zu bewegen.

Der Bus war nun endgültig voll; eine alte Frau hatte sich sogar zwischen Freds und mich gedrängt, was mir sehr gut in den Kram paßte. Aber für ihn würde es eine fürchterliche Fahrt werden. »Du nimmst für unsere Sache wirklich einiges auf dich«, sagte ich zu Freds, als ich mich anschickte, den Bus zu verlassen.

»Kein Hroblem«, sagte er wieder, ohne den Mund zu bewegen. »Ich ’ahr gern ’us!«

Irgendwie glaubte ich ihm. Ich kämpfte mich auf den Gang und verabschiedete mich. Unsere Schatten beobachteten die einzige Tür des Busses, aber das war wirklich kein Problem. Ich drängte mich einfach zwischen den Nepali durch, deren Vorstellung von persönlicher ›Körperfreiheit‹ ziemlich genau auf den Raum beschränkt ist, den ihre Körper tatsächlich einnehmen und stieg aus einem Fenster auf der anderen Seite des Busses aus. Unsere Beschatter konnten unmöglich durch das Businnere sehen, und so hatte ich freie Hand. Ich entschuldigte mich bei dem Sherpa, auf dem ich saß, öffnete mit einigen Schwierigkeiten das Fenster und kletterte hinaus. Der Sherpa half mir überaus höflich dabei, ohne sich im geringsten anmerken zu lassen, daß etwas Ungewöhnliches vor sich ging, und ich sprang hinab in den Schlamm. Kaum jemand im Bus bemerkte überhaupt, daß ich ihn verlassen hatte. Ich schlich mich durch das Niemandsland der hinten stehenden Busse, war ziemlich schnell wieder auf der Durbar Marg und fuhr mit einem Taxi zum Star zurück.

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