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Na also. Wir hatten den gefangenen Yeti befreit. Obwohl ich, als ich uns beide in meinem Zimmer einschloß, eingestehen mußte, daß er nur zum Teil frei war. Ihn völlig zu befreien, ihn in seine heimatlichen Gefilde zurückzubringen, könnte sich als Problem erweisen. Ich wußte noch immer nicht genau, wo er zu Hause war, aber in Katmandu gibt es keine Mietwagen, und die Busse sind immer, ganz gleich, wohin es geht, vollgestopft, und eine Busfahrt würde auch viel zu lange dauern. Würde Buddha es zehn Stunden in einem überfüllten Bus aushalten können? Naja, so, wie ich ihn einschätzte, wahrscheinlich. Aber würde auch seine Verkleidung halten? Das bezweifelte ich.

Außerdem war da noch die Sache mit Adrakian und dem Secret Service. Ich hatte keine Ahnung, was mit Nathan und Sarah und Freds passiert war, und machte mir um sie Sorgen, besonders um Nathan und Sarah. Wenn sie doch endlich kämen! Nun, da wir hier und außer Gefahr waren, kam ich mir mit meinem Gast ein wenig unbehaglich vor; mit ihm darin wirkte mein Zimmer schrecklich klein.

Ich ging ins Badezimmer und pinkelte. Buddha kam rein und beobachtete mich, und als ich fertig war, fand er die richtigen Knöpfe an seinem Overall und folgte meinem Beispiel! Der Bursche war erstaunlich clever! Und noch etwas … Ich weiß nicht, ob ich das hier erwähnen soll, aber in der Hominiden- versus-Primaten-Debatte wird behauptet, daß die Genitalien der meisten männlichen Primaten ziemlich klein sind, und daß die Menschen, was die Größe betrifft, bei weitem die Champions sind. Wie schön für uns. Aber Buddha war, wie ich festzustellen nicht umhin konnte, eher auf der menschlichen Seite der Meßskala. In der Tat, die Beweise häuften sich. Der Yeti war ein Hominide, und darüber hinaus ein hochintelligenter Hominide. Buddhas schnelle Auffassungsfähigkeit, seine rasche Anpassung an sich verändernde Situationen, das Wiedererkennen von Freunden und Feinden, seine Gelassenheit, all das deutete auf eine Intelligenz erster Ordnung hin.

Das ergab natürlich Sinn. Wie sonst hätten sie so lange im Verborgenen bleiben können? Sie mußten von Generation zu Generation ihren Jungen alle Tricks beigebracht haben; verliert keine Werkzeuge oder Artefakte, wohnt nur in den unzugänglichsten Höhlen, meidet alle menschlichen Siedlungen, begrabt eure Toten …

Dann mußte ich mich aber doch wundern. Wenn die Yetis so clever und geschickt darin waren, sich zu verbergen … wieso saß Buddha denn hier in meinem Zimmer? Was war schiefgegangen? Warum hatte er sich Nathan gezeigt, und wie war es Adrakian gelungen, ihn gefangenzunehmen?

Ich spekulierte schließlich darüber, ob auch bei den Yetis vielleicht Geisteskrankheiten auftraten, ein Gedankengang, der mich noch begieriger auf Nathans Eintreffen warten ließ. Nathan war in manchen Situationen keine große Hilfe, aber der Mann hatte eine Beziehung zu dem Yeti gefunden, die ich leider nicht hatte.

Buddha lag auf dem Bett; er hatte die Knie angezogen und musterte mich aufmerksam. Ich hatte ihm nach unserer Ankunft die Sonnenbrille abgenommen, aber er trug noch die Dodgers- Mütze. Er sah mich wachsam, neugierig und verwirrt an. Was jetzt? schien er zu sagen. Irgend etwas in seinem Ausdruck, etwas an der Art, wie er sich mit alledem abfand, war sowohl tapfer als auch rührend — er hatte mein vollstes Mitgefühl. »Kopf hoch, Junge. Wir bringen dich schon wieder zurück. Namaste.«

Er bildete mit seinen Lippen Worte.

Vielleicht war er hungrig. Was gibt man einem hungrigen Yeti? War er ein Pflanzen- oder Fleischfresser? Ich hatte nicht viel vorrätig; ein paar Packungen Hühnersuppe mit Curry, ein paar Süßigkeiten (war Zucker schlecht für ihn?), in Streifen geschnittenes und an der Sonne getrocknetes Rindfleisch; ja, das wäre eine Möglichkeit. Dann noch Nebico-Malzbisquits, kleine, waffelähnliche Plätzchen, in Indien hergestellt, die einen Hauptbestandteil meiner Verpflegung bildeten … Ich öffnete eine Packung und bot ihm auch das getrocknete Rindfleisch an.

Er setzte sich auf dem Bett zurück und schlug die Beine übereinander. Dann tappte er auf das Bett, als wolle er mich zu sich rufen. Ich setzte mich neben ihn. Er nahm einen Streifen Rindfleisch in die langen Finger, roch daran und steckte es zwischen seine Zehen. Ich ging mit gutem Beispiel voran und aß meinen Streifen. Er sah mich an, als hätte ich gerade beim Salat die falsche Gabel genommen. Er begann mit einer Nebico-Waffel und kaute langsam darauf. Ich stellte fest, daß ich hungrig war, und glaubte an seinen großen Augen zu erkennen, daß es ihm nicht anders ging. Aber er blieb gelassen; er ließ mich wissen, daß es galt, eine bestimmte Verfahrensweise zu befolgen. Er nahm die Waffeln vorsichtig in die Hand, schnüffelte an ihnen und aß sie sehr langsam; nahm dann den Streifen Rindfleisch zwischen seinen Zehen und biß ihn halb ab; schaute sich um — oder sah mich an — und kaute sehr bedächtig. So ruhig, so friedlich war er! Ich kam zum Schluß, daß die Süßigkeiten keinen Schaden anrichten konnten, und bot ihm die Tüte Gummibärchen an. Er probierte eins und runzelte die Stirn; dann nahm er eins von derselben Farbe (grün) aus dem Beutel und gab es mir.

Ziemlich bald hatten wir alle Vorräte, die ich besaß, auf dem Bett zwischen uns ausgebreitet und probierten zuerst das eine und dann das andere, schweigend, langsam und ernst, als führten wir ein heiliges Ritual durch. Und wissen Sie was — nach einer Weile kam ich mir vor, als würde es sich genau darum handeln.

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