I Birnams Wald

„Diese Landung hast du ja noch mal sauber hingekriegt. Der Mann, der das sagte, sah den Piloten, der im Raumanzug, den Helm unterm Arm, vor ihm stand, nicht mehr an, sondern trat an eine der gläsernen Wände, die den runden Kontrollraum mit seinen hufeisenförmig angeordneten Steuerpulten umschlossen. Man erkannte von hier aus trotz der Entfernung die Größe des zylindrischen Raumschiffs und den Ruß an seinen Düsen, aus denen immer noch ein schwärzlicher Auswurf auf den Beton kleckerte. Der andere Fluglotse, ein vierschrötiger Mann, der eine Baskenmütze auf dem Kahlkopf trug, ließ die Bandaufzeichnungen rückwärtslaufen und schielte dabei nach dem Ankömmling nur aus den Augenwinkeln, wie ein Vogel mit reglosen Lidern. Er hatte Kopfhörer auf und vor sich eine Reihe chaotisch flimmernder Monitore.

„Es ging zu machen“, warf der Pilot hin. Er stemmte sich leicht gegen die vorstehende Kante eines Pultes, als brauchte er das, um die schweren Handschuhe mit den doppelten Säumen auszuziehen. In Wahrheit hatte er nach dieser Landung noch weiche Knie. „Was war denn los?“

Der Kleine am Fenster, der ein Mausgesicht hatte, unrasiert war und in einer schäbigen Lederjacke steckte, klopfte auf der Suche nach Zigaretten die Taschen ab. „Eine Deflexion des Schubs“, brummelte der Pilot, den diese ganze phlegmatische Begrüßung ein wenig verblüfft hatte. Der andere hatte seine Zigarette inzwischen im Mund, nahm einen Zug und fragte durch den ausgeatmeten Rauch: „Aber warum? Wissen Sie das nicht?“

„Nein“, wollte der Pilot antworten, aber er verschluckte es, weil ihm schien, er hätte es wissen müssen. Das Band war abgelaufen, sein Ende raschelte um die wirbelnde Trommel. Der Große stand auf, nahm den Kopfhörer ab, nickte dem Besucher jetzt erst zu und sagte heiser: „Ich bin London, und das ist Gosse.

Willkommen auf dem Titan. Was trinken wir? Wir haben Kaffee und Whisky da.“ Der junge Pilot wurde verlegen. Er kannte diese Männer mit Namen, hatte sie aber nie gesehen und willkürlich angenommen, Gosse, der Chef, müsse der Große sein, nun aber war es umgekehrt. Er traf im Kopf die notwendige Umstellung und entschied sich für Kaffee.

„Was für Fracht? Karborundköpfe?“ fragte London, als sie zu dritt an einem aus der Wand gezogenen Tisch saßen. Der Kaffee dampfte in Gefäßen, die an Laborgläser erinnerten — sie hatten Tüllen.

Gosse spülte mit dem Kaffee eine gelbe Tablette hinunter, er atmete tief durch, mußte husten und schneuzte sich, daß ihm die Tränen kamen.

„Und Strahler haben Sie auch gebracht, nicht?“ wandte er sich dem Piloten zu.

Dieser, von neuem erstaunt, daß seine Leistung kein größeres Interesse fand, bejahte nur mit einem Nicken. Schließlich passiert es nicht alle Tage, daß es einer Rakete bei der Landung den Schub abwürgt. Statt der Frachtliste hatte er den fertigen Bericht auf den Lippen gehabt, wie er, ohne erst lange die Düsen durchzuspülen oder den Hauptschub zu erhöhen, sofort die Automatik abgeschaltet und nur mit den Boostern aufgesetzt hatte, ein Kunststuck, das er außerhalb des Simulators noch nie probiert hatte, und auch das war lange her. Er mußte seine Gedanken also erneut umstellen. „Habe ich“, sagte er aus alledem heraus und verspurte sogar Genugtuung, denn es hatte nicht schlecht geklungen. So lakonisch nach überstandener Gefahr! „Aber nicht dorthin, wo sie hingehörten“, lächelte Gosse, der Kleinere.

Der Pilot wußte nicht, ob das ein Scherz sein sollte. „Wieso nicht? Ihr habt mich doch angenommen. Angefordert habt ihr mich“, korrigierte er. „Das mußten wir.“

„Ich verstehe nicht.“

„Sie sollten doch im Gral landen.“

„Wozu habt ihr mich dann vom Kurs geholt?“ Ihm wurde heiß, die Aufforderung hatte einen kategorischen Klang gehabt. Zwar hatte er unterwegs einen Funkspruch des Grals über einen Unfall aufgefangen, aber wegen des Störrauschens wenig davon verstanden. Er flog den Titan nämlich vom Saturn aus an, um durch dessen Gravitation die Geschwindigkeit zu drosseln und Treibstoff zu sparen. Das Raumschiff hatte die Magnetosphäre des Riesen gestreift, so daß es auf allen Wellenlängen nur so prasselte. Gleich darauf war der Ruf vom hiesigen Kosmodrom gekommen, der Flugkontrolle hat der Navigator zu gehorchen, und nun ließen sie ihn nicht einmal den Raumanzug ausziehen, sondern nahmen ihn gleich ins Verhör.

Im Geiste war er immer noch im Steuerraum, die Gurte schnitten ihm scheußlich in Brust und Rucken, als die Rakete mit den ausgefahrenen Landestelzen auf den Beton knallte, die noch nicht leergebrannten Booster Feuer spien und den ganzen Rumpf durcheinanderrüttelten.

„Worum geht es? Wo sollte ich eigentlich landen?“

„Ihr Stuckgut gehört dem Gral“, erklärte der Kleine und putzte sich die gerötete Nase. Er hatte Schnupfen. „Wir haben Sie oberhalb der Umlaufbahn abgefangen und hierher gerufen, weil wir Killian brauchen, Ihren Passagier.“

„Killian“, wunderte sich der junge Pilot. „Der ist nicht bei mir an Bord. Bei mir ist nur Sinko, mein Kopilot.“ Die beiden waren verdattert. „Wo ist Killian?“

„Jetzt bestimmt schon in Montreal. Seine Frau kriegt ein Kind. Er ist vor mir mit einer Güterfähre geflogen, noch vor meinem Start.“

„Vom Mars?“

„Klar, woher sonst… Was Ist tos?“

„Die Schlamperei im All steht der auf der Erde nicht nach“, konstatierte London und stopfte sich die Pfeife mit einer Gewalt, als wolle er sie zerbrechen. Er war wütend, der Pilot nicht minder.

„Fragen konntet ihr mich wohl nicht, was?“

„Wir waren sicher, daß er bei Ihnen an Bord ist. So hieß es im letzten Funkspruch.“ Gosse schneuzte sich erneut und seufzte. „Wegfliegen können Sie jetzt so und so nicht mehr“, meinte er schließlich. „Und Marim konnte die Strahler kaum erwarten. Jetzt wird er alles auf mich schieben.“

„Aber sie sind ja da.“ Der Pilot wies mit einer Kopfbewegung hinaus, wo durch den Dunst die schlanke dunkle Spindel seines Raumschiffs zu sehen war. „Sechs Stück sind es wohl, zwei davon im Gigajoule-Bereich. Sie pusten jeden Nebel und jede Wolke weg wie nichts.“

„Aber ich kann sie nicht auf den Buckel nehmen und zu Marlin schleppen“, gab Gosse zurück, dessen Laune immer schlechter wurde.

Der Pilot war verärgert über die Fahrlässigkeit und Eigenmächtigkeit, mit der ihn nach drei Flugwochen ein untergeordneter Landeplatz — wie dessen Chef sich ausdrückte — „abgefangen“ hatte, ohne sich die Gewißheit verschafft zu haben, daß der erwartete Passagier an Bord war. Er hatte es daher gar nicht eilig mit der Erklärung, daß die Sorge um die Ladung allein ihre Sache war. Vor der Behebung des Schadens konnte er nichts machen, selbst wenn er wollte. Er schwieg.

„Es ist klar, daß Sie bei uns bleiben.“

Mit diesen Worten trank London den Kaffee aus und erhob sich von seinem Aluminiumhocker. Er war gewaltig wie ein Schwergewichtsringer. Als er jetzt vor die gläserne Wand trat, bot die Landschaft des Titan seiner Gestalt einen prächtigen Hintergrund: die leblose Raserei des Gebirges, unirdisch durch seine Farbe in dem roten Glanz, den braune Wolken über den Bergrücken festhielten. Der Fußboden des Towers vibrierte leicht. Die müssen hier einen uralten Trafo haben, dachte der Pilot. Auch er stand auf, um sein Raumschiff zu betrachten. Wie ein Leuchtturm ragte es senkrecht aus dem niedrigen Nebel, dessen Schwaden zwar vom Wind dahingetrieben wurden, die Flecken der überhitzten Stellen an den Düsen jedoch verbargen. Vielleicht lag es aber auch an Entfernung und Dämmerung, oder sie waren ganz einfach erkaltet. „Habt ihr hier Gamma-Defektoskope?“ Das Raumschiff war für ihn wichtiger als ihre Sorgen. Die hatten sie sich ja selbst bereitet.


„Ja, aber im normalen Raumanzug lasse ich niemanden an die Rakete ran“, sagte Gosse.

Der Pilot fuhr herum. „Sie meinen, es ist der Reaktor?“

„Und Sie?“

Der kleine Flugleiter stand ebenfalls auf und trat zu ihnen. Aus den Schlitzen im Fußboden unterhalb der gewölbten Scheiben wehte angenehme Wärme.

„Beim Niedergehen sprang die Temperatur über die Norm, aber die Geigerzähler sprachen nicht an. Es ist wohl doch nur die Düse. Vielleicht hat sie die Keramik aus der Brennkammer ausgestoßen. Ich hatte den Eindruck, etwas zu verlieren.“

„Die Keramik mag fort sein, aber da ist etwas ausgelaufen“, sprach Gosse energisch. „Keramik schmilzt nicht.“

„Die Pfütze dort?“ Der Pilot wunderte sich.

Sie standen vor den Scheiben aus Thermoglas. Unter dem Heck war durch die Nebelschwaden, die der Sturm um den Rumpf des Raumschiffs jagte, tatsächlich eine schwarze Lache zu sehen.

„Was haben Sie im Reaktor? Schweres Wasser oder Natrium?“ erkundigte sich London. Er überragte den Piloten um Haupteslänge. Aus dem Funkgerät kam ein Zirpen, Gosse sprang hinzu, setzte Kopfhörer und Kehlkopfmikrofon auf und sprach leise mit jemandem.

„Das kann nicht aus dem Reaktor sein“, sagte ratlos der Pilot. „Ich habe schweres Wasser, die Flüssigkeit ist durchsichtig und klar wie Kristall. Das dort jedoch ist schwarz wie Teer.“

London stimmte ihm zu.

„Dann ist eben die Kühlung in der Düse undicht geworden, und die Keramik ist geplatzt.“ Er sprach, als handele es sich um ein Streichholz. Die Havarie, die den Piloten mit seinem Raumschiff in diesem Loch gefangensetzte, regte ihn überhaupt nicht auf.

„Bestimmt war es das“, pflichtete der junge Mann bei. „Der größte Druck m den Trichtern herrscht beim Bremsen.

Wenn die Keramik an einer Stelle platzt, fegt der Hauptschub restlos alles hinaus. So ist es bei der Steuerborddüse passiert.“

London sagte nichts dazu, und der Pilot meinte zögernd: „Vielleicht habe ich zu nahe aufgesetzt…“

„Quatsch. Gut, daß Sie überhaupt gerade aufgesetzt haben.“

Der Pilot wartete auf weitere Bemerkungen, die er als Lob auffassen konnte, aber London musterte ihn nur wortlos von dem zerzausten hellen Schöpf bis zu den Füßen in den weißen Stiefeln des Raumanzugs.

„Morgen schicke ich einen Techniker zur Defektoskopie… Haben Sie den Reaktor auf Leerlauf gestellt?“ setzte er plötzlich hinzu.

„Nein, ich habe ihn ganz abgeschaltet. Wie fürs Docking.“

„Das ist gut.“

Der Pilot sah nun schon, daß er niemandem von dem Kampf berichten konnte, den er direkt über dem Kosmodrom mit seiner Rakete ausgefochten hatte. Der Kaffee war ja gut gewesen, aber sollten die Gastgeber, die sich ihm dermaßen aufgedrängt hatten, nicht ein Zimmer und ein Bad für ihn haben? Er sehnte sich nach einer warmen Dusche. Gosse brabbelte immer noch ins Mikrofon, London stand über ihn gebeugt. Die Situation war unklar, aber spannungsgeladen. Der Pilot spürte, daß die beiden Wichtigeres am Hals hatten als seine Abenteuer und daß das mit den Funkmeldungen des Grals zusammenhängen mußte. Auf dem Fluge hatte er Fetzen davon mitbekommen — es war die Rede von verschollenen Maschinen und von der Suche nach ihnen. Gosse drehte sich auf seinem Sitz herum, so daß die Leitung des Kopfhörers sich straffte und ihm das Gerät von den Ohren auf den Hals riß.

„Wo steckt denn dieser Sinko, den Sie bei sich haben?“


„An Bord. Er soll den Reaktor überprüfen.“ London sah den Chef immer noch fragend an. Dieser machte eine kaum merkliche verneinende Bewegung mit dem Kopf und murmelte: „Nichts.“

„Und ihre Hubschrauber?“

„Sind umgekehrt. Sicht Null.“

„Hast du nach ihrer Tragkraft gefragt?“

„Sie schaffen es nicht. Was wiegt so ein Gigastrahler?“ wandte er sich an den Piloten, der der Unterredung zuhörte.

„Ich weiß nicht genau. Knapp hundert Tonnen.“

„Was machen Sie?“ drängte London.

„Worauf warten Sie?“

„Auf Killian…“, antwortete Gosse und setzte einen saftigen Fluch dazu.

London entnahm dem Wandschrank eine Flasche „White Horse“, schüttelte sie, als wolle er prüfen, ob das für den Sachverhalt das geeignete Mittel sei, und stellte sie zurück in ihr Fach. Der Pilot stand abwartend da. Er fühlte nicht mehr die Last des Raumanzugs.

„Wir haben zwei Männer verloren“, sagte Gosse. „Sie sind nicht im Gral angekommen.“

„Nicht zwei, sondern drei“, verbesserte London finster. „Vor einem Monat“, griff Gosse den Faden auf, „bekamen wir einen Transport neuer Diglatoren. Sechs Stück, für den Gral. Dort konnten sie das Raumschiff nicht aufnehmen, weil sie mit dem neuen Beton des Kosmodroms nicht fertig waren. Die gesamte Rüstung der Platten, für die eine Kommission die Garantie übernommen hatte, war nämlich geborsten, als der ACHILLES, der erste Containertransporter, landete. Er wiegt neunzigtausend Tonnen, und es war ein Glück, daß er nicht umgekippt ist. Zwei Tage brauchten sie, um ihn von der Bruchstelle in die Werft zu ziehen. In aller Eile machten sie Zementspritzen, zogen einen feuerfesten Belag darüber und öffneten den Flughafen. Die Diglatoren aber standen bei uns. Die Herren Experten hielten einen Transport per Rakete für unrentabel, und Kapitän des ACHILLES ist außerdem Ter Leoni. Würde der mit seinem Neunzigtausendtonner etwa die hundertachtzig Meilen vom Gral herüberkommen? So eine Kiste ist doch kein Floh!

Marlin schickte seine beiden besten Steuerleute. Letzte Woche haben sie zwei Maschinen nach dem Gral überführt, die dort bereits eingesetzt sind. Vorgestern kamen die beiden wieder mit dem Hubschrauber her. Im Morgengrauen machten sie sich mit den nächsten Maschinen auf den Weg, mittags passierten sie den Großen Zacken, und als sie den Abstieg begannen, brach die Funkverbindung ab. Es ging eine Menge Zeit verloren, weil vom Zacken an der Gral das Lotsen übernimmt. Wir dachten, wir hörten nichts mehr, weil sie in unserm Funkschatten waren.“ Gosse berichtete ruhig und monoton. London stand mit dem Rücken am Fenster. Der Pilot hörte zu. „Mit demselben Helikopter wie die Steuerleute war Pirx gekommen. Er hatte seine CUVIER im Gral aufgesetzt und wollte mich sehen. Wir kennen uns seit Jahren. Am Abend sollte ihn der Helikopter wieder abholen, konnte aber nicht kommen, weil Marlin alles für die Suche aufgeboten hatte, Pirx wollte oder konnte nicht warten, er sollte morgen starten und dabei sein, wenn das Raumschiff klargemacht wird. Er setzte durch, daß ich ihn mit einem der Diglatoren zum Gral zurückkehren ließ. Ich verlangte sein Wort, daß er die südliche Route nahm, die länger war, aber außerhalb der Depression blieb. Er gab mir sein Wort und brach es. Ich sah auf dem ORSAN, wie er in die Depression hinabstieg.“

„Was ist ORSAN?“ fragte der Pilot. Er hatte Schweiß auf der Stirn und war blaß geworden, wartete aber auf die Erklärung.

„Der Orbitalsatellit für Patrouillen. Er überfliegt uns alle acht Stunden und lieferte mir gerade das Bild. Pirx stieg hinunter und verschwand.“

„Sagten Sie übrigens Pirx?“ fragte der Pilot mit verändertem Gesicht. „Der Kommodore Pirx?“

„Ja. Kennen Sie ihn?“

„Ob ich ihn kenne!“ rief der Pilot aus. „Ich bin als Assistent bei ihm geflogen.

Er hat mein Diplom unterschrieben… Pirx? So viele Jahre ist er heil aus den schlimmsten…“ Er stockte, in ihm kochte es, er hob den Helm mit beiden Händen, als wolle er ihn auf Gosse schleudern. „Wie konnten Sie ihn allein mit dem Diglator gehen lassen, wie konnten Sie! Er ist Fernflugkommandant und kein Chauffeur…“

„Er hat diese Geräte schon gekannt, als Sie noch in kurzen Hosen gingen“, erwiderte Gosse. Es war offenkundig, daß er sich gegen den Vorwurf zu wehren suchte. London ging mit steinernem Gesicht zu den Monitoren, zwischen denen mit herabgerutschtem Kopfhörer Gosse saß, und klopfte vor dessen Nase die Pfeifenasche in eine leere Aluminiumtrommel. Er sah die Pfeife an, als wüßte er nicht, was er da hielt, und nahm sie in beide Hände. Sie zerbrach. London warf die Stücke weg, ging wieder ans Fenster und blieb reglos stehen, die Hände auf dem Rücken verschränkt. „Ich konnte es ihm nicht verweigern…“ Gosse wandte sich damit zweifellos an London, der aber nichts zu hören schien, sondern durch die Scheibe in die wallenden Knäuel des roten Nebels starrte. Von der Rakete war jetzt nur noch manchmal die Spitze zu sehen. „Gosse!“ sagte auf einmal der Pilot. „Sie geben mir so eine Maschine.“

„Nein.“

„Ich habe das Führerpatent für Tausendtonner.“ Gosses Augen blitzten kurz auf, aber er wiederholte: „Nein. Sie haben noch nie auf dem Titan gearbeitet.“ Der Pilot Öffnete wortlos seinen Raumanzug. Er schraubte den breiten Metallkragen ab, löste die Schulterklemmen, zog den darunter liegenden Reißverschluß auf, griff tief unter die Achsel und brachte eine Brieftasche hervor, die vom langen Tragen gequetscht war. Die Schulterteile des Raumanzugs klafften auseinander wie aufgeschnitten. Der Pilot trat zu Gosse und legte ihm ein Papier nach dem anderen vor.

„Das ist vom Merkur. Dort hatte ich einen Biganten, ein japanisches Modell von achthundert Tonnen. Hier ist mein Berechtigungsschein für Tausendtonner. In der Antarktis habe ich Festlandeis gebohrt, mit einem schwedischen Eisschreiter, dem Kryopertor. Das ist eine Fotokopie des zweiten Preises von Wettkämpfen auf Grönland. Und das ist von der Venus.“

Er warf Fotos auf den Tisch wie Trumpfkarten. „Dort war ich mit Holleys Expedition. Das ist mein Thermoped und das der des Kollegen von der anderen Schicht. Beides Prototypen, nicht schlecht. Nur die Klimaanlage war leck.“

Gosse sah zu ihm auf. „Ich denke, Sie sind Pilot?“

„Ich habe mich umschulen lassen. Eben bei Kommodore Pirx. Zuerst diente ich auf seiner CUVIER, mein erstes Kommando bekam ich auf einem Schleppschiff…“

„Wie alt sind Sie?“

„Neunundzwanzig.“

„Wie haben Sie diesen Sprung geschafft?“

„Wenn man will, geht alles. Außerdem hat ein Führer von Planetarmaschinen jeden neuen Typ innerhalb einer Stunde im Griff. Das ist so, als stiege man vom Motorroller aufs Motorrad um.“ Er hielt inne, die Brieftasche enthielt noch einen ganzen Stoß von Fotos, aber er sammelte die auf dem Pult verstreuten ein und steckte sie in die abgeschabte Lederhülle, die er wieder in der Innentasche verbarg. Leicht gerötet, im weitgeöffneten Raumanzug, stand er neben Gosse. Über die Monitore flimmerten immer noch leere Lichtstreifen. London hatte sich auf das Geländer vor den Fenstern gesetzt und verfolgte schweigend die Szene.

„Nehmen wir an, ich gebe Ihnen einen Diglator. Was werden Sie tun?“

Der Pilot lächelte. Auf seiner Stirn glänzten Schweißperlen, das helle Haar trug Druckstellen von den Scheitelpolstern des Helms.

„Ich nehme einen Strahler und gehe dorthin. Mit einem der Gigajoule-Geräte aus meinem Frachtraum. Die Helikopter des Grals bringen ihn nicht fort, aber für den Diglator sind selbst hundert Tonnen ein Klacks. Ich gehe und schaue mich ein bißchen um… Die Suche aus der Luft kann sich Marlin sparen. Ich weiß, wieviel Hämatit es dort gibt. Und wieviel Nebel. Vom Helikopter aus ist nichts zu erkennen.“

„Und Sie gehen mit der Maschine sofort ab.“


Das Lächeln des Piloten wurde noch breiter, die weißen Zähne blitzten. Gosse bemerkte, daß dieser Junge — es war allein der Raumanzug, der ihn älter machte — die gleichen Augen hatte wie Pirx. Vielleicht etwas heller, aber mit den gleichen Fältchen in den Augenwinkeln. So ist der Blick großer Katzen, wenn sie in die Sonne blinzeln — harmlos und scharf zugleich.

„Er will in die Depression steigen und sich ein bißchen umschauen“„, sagte Gosse zu London. Es war halb Frage, halb der Versuch, die Tollkühnheit des Freiwilligen dem Spott auszusetzen. London rührte sich nicht. Gosse stand auf, nahm den Kopfhörer ab, trat an den Kartographen und zog wie ein Rollo eine große Karte der nördlichen Halbkugel des Titan herunter.

Er wies auf zwei dicke Striche, die durch den von Isohypsen überzogenen lilagelben Grund schnitten.

„Wir befinden uns hier. Bis zum Gral sind es hundertzehn Meilen Luftlinie. Das Schwarze ist die 146, die alte Route. Auf ihr haben wir vier Männer verloren, als der Gral betoniert wurde und wir der einzige Landeplatz waren. Damals wurden Pedipulatoren mit hypergolgetriebenen Dieselmotoren verwendet. Für hiesige Bedingungen herrschte schönes Wetter. Zwei Partien der Maschinen gelangten unversehrt zum Gral, dann gingen an einem einzigen Tag vier Großschreiter verloren. Spurlos, hier in der Großen Depression, wo der Kreis eingezeichnet ist.“

„Ich weiß“, bemerkte der Pilot. „Ich habe es gelernt, auch die Namen dieser Männer.“

Gosse hielt den Finger auf die Stelle, wo von der schwarzen Route eine rote Umgebung nach Süden verlief. „Der Weg wurde länger, aber niemand wußte, wie weit das heimtückische Gelände reichte. Man schickte Geologen hin, ebenso gut hätte man Dentisten nehmen können, die verstehen auch was von Löchern. Auf keinem Planeten gibt es wandernde Geiser- hier gibt es sie. Das Blaue im Norden ist das Märe Hynicum. Wir und der Gral sind im Innern des Kontinents, aber das ist kein Festland, sondern ein Schwamm. Das Märe Hynicum kann die Depression zwischen uns und dem Gral nicht überfluten, denn das gesamte Ufer ist ein Hochplateau. Die Geologen haben diesen ganzen Kontinent für so etwas wie den Baltischen Schild, die Fennoskandia erklärt.“

„Und sich geirrt“, warf der Pilot ein. Da alles nach einem längeren Vortrag aussah, setzte er den Helm in die Ecke, lehnte sich im Sessel zurück und faltete wie ein braver Schüler die Hände. Er wußte nicht, ob Gosse ihn mit der Route vertraut machen oder von ihr abschrecken wollte, aber die Situation war nach seinem Geschmack. „Das ist es eben. Unter dem Fels liegt eine Gefrornis aus Kohlenwasserstoffen, eine Schweinerei, die man durch Tiefenbohrungen entdeckt hat. Ewiges Eis, aber falsch, denn es ist aus Kohlenwasserstoffpolymeren. Es schmilzt nicht einmal bei null Grad Celsius, und wir haben hier nie eine höhere Temperatur als minus achtzig Grad registriert. Innerhalb der Depression wimmelt es von alten Calderen und erloschenen Geisern. Die Experten sahen darin Überreste von Vulkantätigkeit. Als diese Geiser wieder losgingen, kamen Gäste mit Hochschulbildung angereist. Die Seismoakustik entdeckte tief unter dem Fels ein Höhlennetz, so verzweigt, wie es die Welt noch nicht gesehen hat. Man machte eine speläologische Expertise — die Leute kamen um, die Versicherungen zahlten, also machte schließlich ein Konsortium Geld locker. Dann kamen die Astronomen dazu: Wenn die Saturnmonde zwischen Titan und Sonne stehen, tritt die Tide der Gravitation in ihr Maximum, der Festlandschild gerät unter Druck, und aus den Herden unter der Mantia wird Magma gepreßt. Der Titan hat immer noch einen heißen Kern. Das Magma erstarrt, bevor es aus den Kaminen gelangt, erwärmt aber dabei ganz Orland. Das Märe Hynicum ist wie Wasser und der Untergrund Orlands wie ein Schwamm. Die verstopften unterirdischen Flußläufe werden durchlässig, und so entstehen die Geiser. Der Druck reicht bis zu tausend Atmosphären. Man weiß nie vorher, wo die Sauerei hervorschießt. Und Sie wünschen sich unbedingt dorthin zu begeben, ja?“


„Aber gewiß doch“, gab der Pilot in der gleichen gekünstelten Form zurück. Er hätte gern ein Bein übers andere geschlagen, aber der Raumanzug hinderte ihn daran. Er erinnerte sich, daß ein Kamerad, der das versucht hatte, mitsamt seinem Hocker umgefallen war. „Es geht um Birnams Wald, nicht wahr?“ setzte er hinzu. „Soll ich mich fortscheren, oder kann ich ernsthaft mit Ihnen reden, Chef?“ Gosse ging darauf nicht ein und fuhr fort: „Die neue Route kostete ein Vermögen. Mit Kumulationsentladungen mußte ein Wall von Lava, der Hauptausfluß der Gorgo, aufgerissen werden. Vor der Gorgo kann sich sogar der Mons Olympus vom Mars verstecken. Das Dynamit war zu schwach. Da hatten wir hier einen gewissen Harenstine, vielleicht haben Sie von ihm gehört. Er schlug vor, diesen Wall nicht zu durchbrechen, sondern Stufen hineinzuhauen, eine Treppe zu bauen. Das wäre billiger. In der UNO-Konvention müßte ein Passus enthalten sein, der es verbietet, für die Raumfahrt Idioten zuzulassen. Nun, dieser Typhon-Wall wurde mit speziellen thermonuklearen Bomben durchbrochen, nachdem man Tunnel hineingebohrt hatte. Gorgo, Typhon — ein Glück, daß die Griechen so viele Götter hatten, daß man sich für all die zu bezeichnenden Dinge der Namen aus der Mythologie bedienen kann. Vor einem Jahr wurde die neue Route eröffnet. Sie durchquert den Kessel der Depression nur in seinem am weitesten nach Süden vorgeschobenen Teil. Dieser hat von den Experten den Befehl erhalten, ungefährlich zu sein. Die Gänge der unterirdischen Höhlen sind jedoch überall, unter ganz Orland. Das entspricht drei Vierteln von Afrika!

Als der Titan erkaltete, kreiste er auf einer stark elliptischen Bahn. Er näherte sich der Roche-Zone, in die eine Masse kleinerer Monde geraten war, die der Saturn zu seinen Ringen zermahlte. Der Titan erstarrte also im Sieden, im Perisaturnium entstanden große Blasen, und im Aposaturnium gefror er. Dann kamen Ablagerungen und Glaziale, die dieses blasenhaltige, schwammige, amorphe Gestein bedeckten und in die Tiefe preßten. Es stimmt nicht, daß das Märe Hynkum dort nur bei entsprechender Aszendenz sämtlicher Saturnmonde eindringt. Dies und die Ausbrüche der Geiser sind nicht vorhersehbar.

Im Grunde wissen das alle, die hier arbeiten, die Transporteure ebenso wie die Piloten und wie Sie. Obwohl die Route eine Milliarde gekostet hat, müßte sie für alle schweren Maschinen verboten sein. Wir befinden uns alle im Himmel — in dessen einstiger Bedeutung. Sagt das nicht schon der Bergwerksname Gral? Nur hat sich der Himmel als ungeheuer kapitalaufwendig erwiesen. Man hätte alles besser machen können, aber die Buchhaltern ist dazwischengefahren. Die Zahlungen für die Umgekommenen sind beträchtlich, aber billiger als Investitionen, die die Gefahr mindern würden. Ich bin gleich fertig. Es kann sein, daß die Männer sich dort herausrappeln, selbst wenn sie versunken sind. Die Ebbe setzt ein, und der Panzer des Diglators hält pro Quadratzoll hundert Atmosphären aus. Der Sauerstoff reicht für dreihundert Stunden. Marlin hat Luftkissenfahrzeuge entsandt und zwei Superschwere Diglatoren zur Überholung gegeben. Was immer Sie auch verrichten können, es lohnt nicht. Es lohnt sich nicht, den Kopf hinzuhalten. Der Diglator gehört zu den schwersten…“

„Sie hatten versprochen, fertig zu werden“, unterbrach ihn der Pilot. „Meine Frage besteht nur aus zwei Wörtern: Und Killian?“

Gosse Öffnete den Mund, begann zu husten und setzte sich. „Deswegen sollte ich ihn doch herbringen“, fuhr der Pilot fort. „Nicht wahr?“

Gosse zog am unteren Ende der Karte, worauf sie sich schnurrend einrollte. Er nahm eine Zigarette und sagte durch die Flamme des Feuerzeugs: „Das ist seine Sache. Er kannte das Gelände. Außerdem hatte er einen Vertrag. Ich kann den Operatoren nicht verbieten, mit dem Gral Verträge zu schließen. Ich kann meinen Rücktritt einreichen und werde das sicher auch tun. Ich kann auch jeden Helden mit leeren Händen abziehen lassen.“

„Sie werden mir eine Maschine geben“, wiederholte gelassen der Pilot. „Ich kann sofort mit dem Gral reden. Marlin kommt herüber, gibt den Auftrag, und fertig.

Sie kriegen es dienstlich. Marlin ist es egal, ob Killian oder ich. Und die Instruktion kann ich auswendig. Es ist schade um die Zeit, Herr Gosse. Bitte geben Sie mir was zu essen, sagen Sie mir, wo ich mich waschen kann, und danach besprechen wir die Einzelheiten.“

Ratlos blickte Gosse zu Eondon hinüber. Wenn er von ihm Unterstützung erwartet hatte, sah er sich enttäuscht. „Er wird gehen“, sagte der Stellvertreter. „Ein Höhlenforscher, der im Sommer im Gral war, hat von ihm erzählt. Er ist genau wie dein Pirx. Ein stilles Wasser. Nur um die Pfeife ist es schade. Geh dich baden, Kollege, die Duschen sind unten. Und komm gleich wieder her, damit die Suppe nicht kalt wird.“

Der Pilot lächelte London dankbar an. Im Hinausgehen hob er seinen Helm auf, so energisch, daß ihm die Enden sämtlicher Schläuche gegen die Hüften schlugen.

Kaum war die Tür hinter ihm zu, begann London an den Wärmegeräten lautstark mit Geschirr zu hantieren.

„Was bringt denn das?“ fragte Gosse wütend den ihm zugekehrten Rücken.

„Du bist vielleicht gut!“

„Und du bist ein tapsiger Freund. Wozu hast du Pirx die Maschine gegeben?“

„Ich mußte, ich hatte sein Wort.“

London drehte sich herum, einen Topf in der Hand. „Tipp dir an die Stirn, mein Junge. Du hattest sein Wort! Wenn dir so einer sein Wort gibt, hinter dir ins Wasser zu springen, dann halt er es. Und wenn er sagt, er wird nur zuschauen, wie du absäufst, dann springt er auch. Habe ich recht?“

„Recht haben und rational denken ist nicht dasselbe“, setzte sich Gosse zur Wehr, ohne offenbar noch hinter seinen Worten zu stehen. „Wie kann er ihnen helfen?“

„Er kann Spuren finden. Er nimmt den Strahler…“

„'Hör auf! Ich höre lieber noch mal den Gral, vielleicht gibt es was Neues.“

Bis zur Dämmerung war es noch lange hin, aber es war dunkel durch die Wolken, die um den hell beleuchteten Pilz des Towers saßen. London machte sich am Tisch zu schaffen, Gosse, die Kopfhörer über den Ohren, rauchte eine Zigarette nach der anderen und lauschte auf das leere Gerede der Basis des Grals mit den Raupenfahrzeugen, die nach der Rückkehr der Helikopter ausgesandt worden waren.

Dabei dachte er über diesen Piloten nach. Hatte er den Kurs nicht allzu eilfertig, ohne zu fragen, geändert, um hier bei ihnen zu landen? Wenn einer mit neunundzwanzig Raumschiffkommandant ist und das Patent für kosmische Fernflüge in der Tasche hat, muß er ein harter Bursche und ein Feuerkopf sein, sonst hätte er es nicht so weit gebracht. Die Gefahr lockte seine jugendliche Kühnheit. Wenn er selbst schuld war, dann nur aus Versehen. Hätte er nach Killian gefragt, hätte er das Raumschiff dem Gral aufgedrungen. Übrigens war sich der Flugleiter Gosse nach vierundzwanzig Stunden ohne Schlaf gar nicht bewußt, daß er den Ankömmling in Gedanken unwillkürlich schon beerdigt hatte. Wie hieß der Mann überhaupt? Er hatte es gewußt und vergessen und hielt dies für eine Erscheinung des nahenden Alters. Er drückte eine Taste, auf dem linken Monitor sprangen Reihen grüner Buchstaben hervor:

RAUMSCHIFF: HELIOS STÜCKGUTFRACHTER II. KLASSE

HEIMATHAFEN: SYRTIS MAIOR

ERSTER PILOT: ANGUS PARVIS

ZWEITER PILOT: ROMAN SINKO

FRACHT: GÜTERLISTE ANGEBEN???

Er schaltete ab, die beiden Genannten erschienen soeben in Pullovern und Trainingshosen. Sinko, ein magerer, kraus haariger Bursche, tat bei der Begrüßung sehr geschäftig, denn der Reaktor hatte in der Tat ein Leck. Sie setzten sich vor die Suppe, die aus Dosen stammte. In Gosse faßte der Gedanke Fuß, daß dieser Draufgänger, dem er die Maschine anvertrauen würde, einen verdrehten Namen habe. Nicht Parvis, sondern Parsifal müßte er heißen, denn das hatte zum Gral gepaßt. Ihm war aber nicht nach Spaßen zumute, und so behielt er das Spielchen mit Anagrammen für sich. Es gab eine kurze Diskussion, ob sie zu Mittag oder zu Abend äßen, ein Streit, der wegen des Unterschieds von Bord-, Erd- und Titanzeit nicht zu entscheiden war. Danach fuhr Sinko nach unten, um mit einem Techniker die Defektoskopie zu erörtern, die für Ende der Woche vorbereitet wurde, wenn der Reaktor abgekühlt war und die Risse in seiner Hülle provisorisch abgedichtet werden konnten. Der Pilot, Gosse und London erzeugten im leeren Teil des Raums ein Diorama des Titans. Das von holographischen Bildwerfern geschaffene dreidimensionale, farbige Bild reichte vom Nordpol bis zum Äquator und enthielt die eingezeichneten Routen. Man konnte es größer und kleiner einstellen, und Parvis machte sich mit dem ganzen Gebiet vertraut, das sie vom Gral trennte.

Das Gastzimmer, das er bekommen hatte, war klein, aber gemütlich, es hatte ein Doppelstockbett, einen Schreibtisch mit schräger Platte, einen Sessel, einen kleinen Schrank und eine so enge Dusche, daß er beim Waschen mit den Ellenbogen immer wieder gegen die Wände stieß. Er legte sich auf das Plaid und begann in dem dicken Handbuch der Titanographie zu blättern, das er von London geliehen hatte. Zuerst suchte er im Index das Stichwort BIRNAMS WALD, aber das gab es weder unter W noch unter B. Die Wissenschaft hatte diesen Namen nicht zur Kenntnis genommen. Er blätterte weiter, bis er zu den Geisern kam. Dem Verfasser zufolge verhielt es sich mit ihnen nicht ganz so, wie Gosse gesagt hatte. Der Titan, der schneller als die Erde und die übrigen inneren Planeten erkaltet war, hatte gewaltige Massen komprimierter Gase in sich eingeschlossen, die an den Brüchen seiner Kruste auf die alten Vulkanstöcke und das unterirdische, über Hunderte von Kilometern verzweigte Netz ihrer Magmaadern drückten und bei entsprechender Konfiguration von Synklinen und Antisynklinen unter hohem Druck als Fontänen flüchtiger Körper in die Atmosphäre schössen. Diese chemisch sehr komplizierte Mischung enthielt Kohlendioxid, das sofort zu Schnee gefror. Von den Stürmen breitgetragen, legte er sich in einer dicken Schicht über die Ebenen und Berghänge. Der trockene Ton dieser Ausführungen stieß Angus ab. Er löschte das Licht und deckte sich zu, etwas überrascht, daß Decke und Kopfkissen so ruhig liegenblieben — nach einem knappen Monat Schwerelosigkeit war er daran nicht mehr gewöhnt. Er schlief sofort ein. Ein inneres Ungestüm riß ihn so jäh aus der Bewußtlosigkeit, daß er mit offenen Augen im Bett saß, bereit, herauszuspringen. Geistesabwesend sah er sich um und massierte sich das Kinn.

Diese Bewegung erinnerte ihn an den Traum, den er eben gehabt hatte. Ein Boxkampf. Er hatte gegen einen Profi im Ring gestanden und seine Niederlage gleich vorausgesehen, wie ein Klotz war er k. o. gegangen. Er riß die Augen auf, der Raum drehte sich wie das Cockpit bei einer scharfen Wende. Jetzt wurde er vollends wach, wie durch Kurzschluß war die Erinnerung hergestellt: die gestrige Landung, die Havarie, der Streit mit Gosse und die Beratung vor dem Diorama. Das Zimmer war klein wie die Kabine auf einem Frachter. Das rief ihm zurück, was Gosse ihm gesagt hatte, als sie auseinandergingen: Er sei in seiner Jugend auf einem Walfänger gefahren.

Beim Rasieren überdachte er seinen Entschluß. Wäre nicht der Name Pirx gewesen, hätte er zweimal überlegt, ehe er so rücksichtslos die Genehmigung für solch einen Ausflug verlangt hätte. Unter den Strömen von abwechselnd heißem und eiskaltem Wasser versuchte er in gewohnter Weise zu singen, aber es klang nicht überzeugend. Also war ihm nicht ganz wohl. Er spürte, daß das, worauf er sich versteift hatte, an Dummheit grenzte, die schlimmer war als nur ein Wagnis. Von den Wasserstrahlen geblendet, die ihm ins erhobene Gesicht schlugen, erwog er einen Augenblick lang den Gedanken, eine Ausflucht zu suchen. Er wußte jedoch, daß das ausgeschlossen war. Allenfalls ein Grünschnabel hatte sich so etwas leisten können. Er frottierte sich ordentlich ab, machte das Bett und ging, bereits fertig angekleidet, auf die Suche nach Gosse. Ihn begann auf einmal etwas zu treiben, immerhin mußte er sich noch mit dem unbekannten Modell vertraut machen, ein bißchen trainieren und sich die angemessenen Bewegungen einprägen.

Gosse war nirgends zu finden. Vom Sockel des Kontrollturms, durch Tunnel mit diesem verbunden, erstreckten sich Gebäude nach zwei Seiten. Die Lokalisierung des Kosmodroms war Ergebnis eines Versehens oder eines gewöhnlichen Irrtums. Der unbemannten Erkundung zufolge sollten sich unter diesem einstmals vulkanischen Tal, einem von den seismischen Krämpfen des Titan emporgeblähten alten Kraterrand, Erzlagerstätten befinden. Man brachte also Maschinen und Menschen hierher und begann faßähnliche Wohnkomplexe für die Bergmannschaften zu montieren, als Nachrichten eintrafen, einige hundert Meilen weiter dehnten sich unwahrscheinlich reiche und leicht abzubauende Uranlager aus. In der Verwaltung des Projekts kam es zu einer Spaltung. Die einen wollten das Kosmodrom aufgeben und im Nordosten alles von vorn beginnen, die anderen blieben dabei, nur der hiesige Ort käme in Frage, die Oberflächenlagerstätten jenseits der Depression seien flach und demnach wenig ergiebig. Die Anhänger einer Liquidierung des ersten Brückenkopfes bezeichnete jemand einmal als Leute, die auf der Suche nach dem heiligen Gral seien, und seither war dieser Name an dem Gebiet der Tagebauarbeiten haftengeblieben.

Das Kosmodrom war schließlich weder aufgegeben noch ausgebaut worden, es kam zu einem faulen Kompromiß, erzwungen durch einen Mangel an Kräften und eigentlich an Kapital. Obwohl die Betriebswirtschaftler x-mal vorrechneten, daß es auf längere Sicht rentabler sei, den Landeplatz im alten Krater zu schließen und die Arbeit an einem Ort, dem Gral, zu konzentrieren, siegte die Logik des Provisorischen. Übrigens konnte der Gral lange keine größeren Raumschiffe aufnehmen, während der Roembden-Krater (so hieß er nach seinem Entdecker, einem Geologen) weder Über ein eigenes Reparaturdock noch über Portalkräne zum Verladen oder modernste Geräte verfügte. Es gab einen ewigen Streit, wer wem diene und wer was davon habe. Wie es hieß, glaubte ein Teil des Vorstands nach wie vor an Uran unter dem Krater, man stellte auch Probebohrungen an, die aber nicht vorankamen, weil der Gral, kaum daß ein paar Leute und Kräfte hier eintrafen, sofort bei der Direktion intervenierte und alles zu sich hinüberholte, so daß die Gebäude erneut verödeten und die Maschinen verlassen zwischen den düsteren Wänden des Roembden stehenblieben. Gleich den anderen Frachtfliegern hielt sich Parvis aus all diesen Reibereien und Konflikten heraus, wenngleich er darüber immer ein wenig auf dem laufenden sein mußte — das verlangte die diffizile Lage eines jeden, der im Transport arbeitete.

Der Gral wollte angesichts vollendeter Tatsachen das Kosmodrom liquidieren, vor allem nach dem Ausbau des eigenen Landeplatzes, aber der Roembden kam ihm dabei immer wieder in die Quere und bewies zudem seine Nützlichkeit, als der großartige Beton des Grals in die Brüche ging. Für den Hausgebrauch sah Parvis die Wurzeln dieses chronischen Zwistes nicht in den Finanzen, sondern in der Psychologie, denn es waren zwei lokale und allein schon dadurch zerstrittene Patriotismen, des Roembden und des Grals, entstanden. Alles übrige war die Suche nach Argumenten zugunsten der jeweiligen Seite. Das durfte man aber keinem sagen, der auf dem Titan beschäftigt war. Die Räume unter dem Kontrollturm erinnerten an eine verlassene unterirdische Stadt, und es konnte einem leid tun beim Anblick des Materials, das hier ungenutzt herumlag. Angus war schon einmal als Hilfsnavigator im Roembden gelandet, aber da hatten sie es so eilig gehabt, daß er nicht einmal von Bord gegangen war, sondern die ganze Zeit im Frachtraum verbracht und das Ausladen überwacht hatte.

Jetzt betrachtete er die unausgepackten, noch nicht einmal entsiegelten Container mit um so größerem Verdruß, als er unter ihnen auch die erkannte, die er damals hergebracht hatte. Verärgert über die Leere, begann er zu rufen wie im Wald, aber nur das Echo hallte dumpf und tot aus den geschlossenen Gängen des Lagers.

Er fuhr mit dem Lift nach oben. Im Flugleitraum traf er London an, aber auch der wußte nicht, wo Gosse steckte. Vom Gral gab es nichts Neues. Die Monitore flimmerten. Es roch nach gebratenem Schweinebauch. London schlug ein paar Eier darüber und warf die Schalen in den Ausguß. „Eier habt ihr hier?“ staunte der Pilot. „Das kann ich dir sagen!“ London war mit ihm bereits per du.

„Ein Elektroniker hat einen Käfig mit Hühnern mitgebracht, er hatte ein Magengeschwür und mußte Diät halten. Erst gab es Protest, die Tiere würden hier alles verstänkern, was sollten sie denn zu fressen kriegen, aber er ließ ein paar mit einem Hahn hier, und jetzt geben wir damit sogar groß an. Frische Eier sind eine Delikatesse in dieser Gegend. Setz dich, Gosse wird sich schon einfinden.“ Angus war hungrig, er stopfte sich unanständig große Stücke Spiegelei in den Mund, fand dafür im stillen jedoch eine Rechtfertigung: Für das, was ihn erwartete, brauchte er Kalorien.


Das Telefon läutete, Gosse rief ihn zu sich. Er dankte London für die erlesene Mahlzeit, trank mit einem Zuge seinen Kaffee aus und fuhr ein Stockwerk tiefer.

Der Flugleiter, schon im Overall, stand auf dem Flur. Die Stunde hatte geschlagen. Angus sprang auf sein Zimmer, schlüpfte geschickt in den Raumanzug, schloß den Sauerstoffbehälter an den Schlauch des Anzugs an, ließ den Hahn aber geschlossen und setzte auch den Helm nicht auf, ungewiß, ob sie die hermetisch abgeschlossenen Räume sogleich verlassen würden. Mit einem anderen Lift, dem Güteraufzug, fuhren sie in das Kellergeschoß. Auch dort war ein Lager, vollgestopft mit Behältern, die Munitionswagen glichen, denn aus jedem ragten wie großkalibrige Granaten fünf Sauerstoffflaschen. Der Raum war groß, aber so voll, daß der Weg zwischen Wänden und Kisten führte, Ladungen von Produzenten aller irdischen Kontinente, mit vielsprachigen Aufschriften bemalt. Der Pilot hatte ein Weilchen auf Gosse zu warten, der zum Umziehen gegangen war, und erkannte ihn nicht gleich in dem schweren, ölverschmierten Arbeitsskaphander eines Monteurs, das Nachtsichtgerät vor dem Glas des Helms.

Durch die Druckkammer gingen sie ins Freie. Der Boden des Gebäudes hing über ihnen, denn das Ganze ähnelte einem riesigen Pilz mit verglastem Hut. Oben machte sich bereits London zu schaffen, der den grünen Flimmer der Monitore mit seinem Schatten verdeckte. Sie umschritten den Schaft des Towers, der rund und fensterlos war wie ein m die Brandung gebauter Leuchtturm. Gosse öffnete das Wellblechtor einer Garage. Flackernd gingen die Leuchtröhren an. Vor einem zur Hinterwand gerückten Wagenheber stand in dem sonst leeren Raum ein Jeep, ähnlich den alten Mondautos der Amerikaner. Ein offenes Fahrgestell, Sitze mit Fußstützen, nichts als ein Rahmen auf Rädern, mit einem Lenkrad und dem hinten angebrachten, geschlossenen Batteriekasten. Gosse fuhr auf den holprigen Schotter vor den Tower und stoppte, damit der Pilot einsteigen konnte. Durch den braunroten Dunst fuhren sie auf einen undeutlich sichtbaren, niedrigen, flach-gedeckten Gebäudeklotz zu. Fern hinter den Bergrücken schimmerten matte Lichtsäulen auf wie Suchscheinwerfer der Luftabwehr, hatten aber mit dergleichen Gerumpel nichts gemein. Die Sonne lieferte dem Titan zumal an trüben Tagen nur wenig Licht, und so hatte man während des Abbaus der Uranlager zwei riesige Spiegel leichter Bauart auf eine stationäre Umlaufbahn über den Gral gebracht, sogenannte Solektoren, die die Sonnenstrahlen auf das Bergwerksgelände konzentrieren sollten. Der Nutzen erwies sich als problematisch. Der Saturn mit seinen Monden bildet einen für Berechnungen fatalen Raum der Wirkung großer Massen. Trotz aller Bemühungen der Astroingenieure unterlagen die Lichtsäulen daher Abweichungen und wanderten oft zum Roembden-Krater. Den Einsiedlern dieses Ortes bereiteten solche Sonnenbesuche nicht nur eine ironische Genugtuung, denn zumal nachts offenbarte der Kraterkessel, aus dem Dunkel gerissen, seine ganze drohende, faszinierende Schönheit. Gosse wich mit dem Jeep den Hindernissen aus, ungeschlachten Kufen gleichenden walzenförmigen Blöcken, Pfropfen kleiner vulkanischer Öffnungen. Auch er bemerkte die Helle, die kalt war wie Polarlicht, und brummte vor sich hin: „Sie kommen zu uns. Prima. Gleich werden wir eine Sicht haben wie im Theater.“ Mit unverhohlener Bosheit setzte er hinzu: „Ein guter Kerl, dieser Marlin.“ Angus verstand den Hohn, denn die Helligkeit im Roembden bedeutete ägyptische Finsternis im Gral. Marlin oder sein Dispatcher hatten wohl schon die Bedienungsmannschaft der Solektoren aus den Betten geholt, damit sie die kosmischen Spiegel mit den Steuertriebwerken wieder an die gehörige Stelle brachten. Inzwischen näherten sich die beiden Lichtsäulen immer mehr, und m der einen blitzte bereits der vereiste Rücken des östlichen Grats.

Eine zusätzliche Freude der Leute vom Roembden war die für den Titan seltsame Klarheit der Atmosphäre in diesem Krater. Dadurch konnte man wochenlang am gestirnten Firmament die gelbe, von flachen Ringen umgebene Scheibe des Saturns bewundern. Fünfmal weiter entfernt als der Mond von der Erde, erschien der aufgehende Planet in einer Große, die Neulinge immer wieder verblüffte. Ohne Fernglas gab er die vielfarbigen Streifen seiner Oberfläche preis, dazu die schwarzen Schattentropfen, die seine näheren Monde während ihrer Finsternisse warfen. Dieses Schauspiel wurde möglich durch einen borealen Luftstrom, der so heftig durch die Felsengurgel fegte, daß er einen Föhneffekt erzeugte. Nirgendwo anders auf dem Titan war es so warm wie im Roembden.


Die Bedienungsmannschaft hatte die Solektoren entweder noch nicht wieder im Griff, oder wegen des Alarmzustands konnte sich keiner damit befassen, jedenfalls zog der Lichtstreif bereits über den Boden des Kessels. Es wurde taghell, der Jeep wäre ohne die Scheinwerfer ausgekommen. Der Pilot sah die grauen Betonplatten rings um seine HELIOS. Jenseits dieser Fläche, dort, wo sie hinfuhren, erhoben sich wie versteinerte Stämme monströser Bäume vulkanische Korken, die einst aus seismischen Schußlöchern gebrochen und seit Jahrmillionen erstarrt waren. In der perspektivischen Verkürzung sahen sie aus wie die zertrümmerte Säulenhalle eines Tempels und ihre huschenden Schatten wie die Zeiger von Sonnenuhren, die eine fremde, hastende Zeit anzeigten. Der Jeep fuhr an dieser unregelmäßigen Palisade vorüber. Er schaukelte, die Elektromotoren jammerten leise, das flache Gebäude lag noch im Halbdunkel, aber man sah dahinter bereits zwei schwarze Silhouetten aufragen wie gotische Kirchtürme.

Ihre tatsächliche Größe konnte der Pilot erst abschätzen, als er ausgestiegen war und mit Gosse näher heranging.

Solche Kolosse hatte er noch nie gesehen. Er hatte noch keinen Diglator gesteuert, aber das hatte er nicht zugegeben. Kleidete man eine solche Maschine in haariges Fell, so verwandelte sie sich in King Kong. Die Proportionen waren weniger menschlich als anthropoidal. Die Beine aus Brückengittern kamen senkrecht herab und gingen in die Füße über, die — gewaltig wie Panzer — reglos im Geröll steckten. Die turmgleichen Schenkel führten m einen schüsselförmigen Kreis, und in diesem saß wie ein breitgebauter Schiffsrumpf der eiserne Korpus.

Die Hände an den oberen Extremitäten sah er erst, nachdem er den Kopf weit in den Nacken gelegt hatte. Sie hingen am Leib herunter wie herabgelassene Kranausleger mit stahlhart geballten Fäusten. Beide Kolosse waren ohne Kopf, und was man von weitem für Türmchen halten konnte, erwies sich jetzt vor dem Hintergrund des Himmels als Antennenanlage, die jeweils aus dem Rücken ragte.

Hinter dem ersten Diglator stand — seinen Panzer mit dem gekrümmten Ellenbogengelenk fast berührend, als habe er ihn stoßen wollen und sei mitten in der Bewegung erstarrt — ein zweiter, ihm ähnlich wie ein Zwilling. Da er sich etwas weiter weg befand, war in seiner Brust das blitzende Glas eines Fensters zu sehen. Das war die Steuerkabine. „Das ist Kastor, und das ist Pollux“, vollzog Gosse die Vorstellung. Er ließ das Licht eines Handscheinwerfers über die Riesen streifen. Der Strahl holte aus dem Dunkel die Panzer des Beinschutzes, die Schutzschilde an den Knien und am Rumpf, schwarzglänzend wie der massige Leib eines Wals.

„Haartz, dieser Trottel, hat sie nicht mal in den Hangar steuern können“, sagte Gosse. Er tastete auf der Brust nach dem Griff für die Klimatisierung. Der Atem hatte das Glas seines Helmes beschlagen. „Vor diesem Hang hat er gerade noch bremsen können…“

Der Pilot konnte sich denken, warum dieser Haartz die beiden Kolosse in die Felskluft geklemmt und lieber dort stehengelassen hatte. Es lag an der Trägheit der Masse, Nicht anders als ein Hochseeschiff gehorcht die selbstschreitende Maschine dem Steuermann um so schwerfälliger, je massiver sie ist. Er hatte schon die Frage auf der Zunge, wieviel so ein Diglator wiege, wollte sich jedoch nicht durch Unkenntnis blamieren. Er nahm Gosse die Lampe ab und schritt am Fuße des Giganten entlang. Das Licht über den Stahl führend, fand er wie erwartet in Augenhöhe das angenietete Datenschild. Maximale Dauerleistung 14 ooo kW, zulässige Überlastung 19 ooo kW, Ruhemasse 1680 Tonnen, Multi-Target-Tokamak-Reaktor mit Foucault-Austauscher. Hydraulik des Hauptgetriebes und der Differentiale von Rolls Royce, das Chassis Made in Sweden.

Er richtete das Lichtbündel in die Höhe, an dem gegitterten Bein hinauf, konnte jedoch nicht den ganzen Rumpf auf einmal erfassen. Nur die Konturen der schwarzen Schultern, über denen kein Kopf war, zeichneten sich ab. Er wandte sich nach Gosse um, aber der war verschwunden. Sicher war er gegangen, um die Heizung des Landeplatzes einzuschalten. Kleine Rohre auf dem Boden begannen den niedrig-stehenden, dünnen Nebel zu zerstreuen. Die verirrte Sonnensäule des Solektors tanzte wie betrunken durch den Kraterkessel, riß aus dem Dunkel bald die Klötze der Lagerhäuser, bald den Pilz des Kontrollturms mit dem grünen Band seiner Beleuchtung, bald brachte er, wenn er auf die vereisten Berge fiel, ein sogleich wieder erlöschendes Glitzern hervor — es war, als wolle er die tote Landschaft wecken, durch Bewegung zum Leben erwecken. Auf einmal schoß er zur Seite, jagte über die Betonbahnen, übersprang den Pilz des Towers, die Palisade der Magmastämme, das ebenerdige Magazingebäude und traf den Piloten. Dieser schirmte sich sogleich mit dem Handschuh und legte den behelmten Kopf in den Nacken, um bei dieser Gelegenheit den Diglator in voller Größe zu sehen. Von schwarzem Korrosionsschutz überzogen, glänzte er über ihm wie ein aufgebäumter Panzerkreuzer.

Es war, als posiere er für ein Blitzlichtfoto. Die gehärteten Brustplatten, die runde Lagerung der Hüften, die Pfeiler und Antriebswellen der Schenkel, die Schutzschilde der Kniegelenke, die Gitterstreben des Schienbeins — alles glänzte untadelig zum Zeichen, daß er bisher noch nie zum Einsatz gekommen war. Angus empfand Freude und Lampenfieber. Er schluckte durch die gepreßte Kehle den Speichel hinunter und ging in dem sich bereits entfernenden Licht weiter, um auf die Rückseite des Riesen zu kommen. Als er sich der Ferse näherte, wurde die Ähnlichkeit mit dem menschlichen Fuß zunächst zur Karikatur, verschwand jedoch gänzlich bei der ins Geröll gegrabenen Sohle. Der Pilot stand hier wie unter dem Fundament eines Portalkrans, den nichts aus seinen Grundfesten reißen kann. Der gepanzerte Absatz konnte einer hydraulischen Presse als Ständerplatte dienen.

Das Sprunggelenk hielten Bolzen wie Schiffsschrauben zusammen, und das Knie, das sich zwei Stockwerke hoch in der Mitte des Beines wölbte, war die reine Mühle.

Die Hände des Riesen, größer als Baggerschaufeln, hingen reglos herab, erstarrt in Habachtstellung.

Gosse war verschwunden, aber der Pilot wollte keine Zeit verlieren. Er bemerkte Fußtritte und Handgriffe, die aus dem Außenblech der Ferse ragten, und stieg daran nach oben. Das Sprunggelenk war von einem kleinen Podest umgeben, von dem aus im Innern der vergitterten Wade eine senkrechte Leiter aufwärts führte. Es war weniger schwierig als seltsam, ihre Sprossen hinaufzuklettern. Sie führte an eine Klappe, die nicht sehr günstig über dem rechten Oberschenkel angebracht war, denn ihre ursprüngliche, den Konstrukteuren viel praktischer erscheinende Anordnung war Ursache nicht enden wollender, übrigens nur auf mäßigem Niveau stehender Witzeleien gewesen. Die Projektanten der ersten Pedipulatoren machten sich zwar daraus gar nichts, mußten aber später darauf Rücksicht nehmen, als die Zahl der Bewerber für einen Posten nachließ, dessen Inhaber ewig von Sticheleien geplagt wird, wo er seinem Atlas hineinkriecht.

Die Entriegelung der Klappe löste das Aufleuchten einer Girlande kleiner Lampen aus. Über eine Wendeltreppe gelangte Parvis in die Kabine. Sie war wie ein großes gläsernes Faß oder Rohr, durchgängig in die Brust des Diglators eingesetzt, nicht in der Mitte, sondern auf der linken Seite, als hatten die Ingenieure den Menschen dort unterbringen wollen, wo bei einem Riesen von Fleisch und Blut das Herz sitzt.

Mit einem Blick umfaßte er das ebenfalls bereits beleuchtete Innere und erkannte voller Erleichterung die vertraute Anordnung der Steuersysteme. Er fühlte sich wie zu Hause. Hastig nahm er den Helm ab, zog den Raumanzug aus und schaltete die Klimaanlage ein. Er trug ja nur noch den Trikotpullover und die Trainingshose und sollte sich, um den Riesen zu bewegen, splitternackt ausziehen. Die Kabine füllte sich mit warmer Luft, und er hielt durch die gewölbte Frontscheibe Ausschau. Es war bereits Tag, trübe wie gewöhnlich, denn auf dem Titan herrscht immer Dunkel wie vor einem Gewitter. Er blickte in die felsige Trümmerlandschaft fern hinter dem Kosmodrom wie aus dem Fenster eines Hochhauses, immerhin befand er sich in einer Höhe, die acht Stockwerken entsprach. Selbst auf den Pilz des Kontrollturms sah er von oben herab. Bis zu den Bergrücken am Horizont wurde sein Standpunkt nur vom Bug der HELIOS überragt. Durch ein ebenfalls konkav gewölbtes Seitenfenster konnte er in dunkle Schächte blicken, die nur schwach von Lampen erhellt waren. Die Maschinerie darin gab ein gleichmäßiges Schnaufen von sich, als sei sie aus der Lethargie oder dem Schlaf erwacht. Die Kabine enthielt weder Reglerpulte noch Steuergriffe oder Monitore, nichts außer der Bekleidung des Führers, die wie eine leere, metallisch glänzende Haut am Boden lag, und Mosaiken kleiner schwarzer Würfel, die an der Vorderscheibe befestigt waren und wie Spielzeug aus einem Kinderzimmer aussahen. Ihre Seitenflächen trugen nämlich die Umrisse winziger Arme und Beine, die rechten rechts, die linken links. Wenn der Koloß in Bewegung war und alles seinen normalen Gang ging, leuchteten diese kleinen Bildchen in einem ruhigen Grün, das bei kleineren Störungen in Graugrün und bei einer ernsthafteren Havarie in Purpurrot umschlug. Dieses schwarze Mosaik vermittelte in seinen einzelnen Segmenten ein Bild von der ganzen Maschine. Im warmen Hauch der Klimaanlage zog sich der junge Mann aus, warf das Trikot in die Ecke und legte die Maschinistenkleidung an. Das nachgiebige, elastische Material schmiegte sich eng um seine nackten Füße, um Schenkel, Bauch und Rücken. Als er bis zum Hals in dieser elektronischen Schlangenhaut steckte, zog er sorgfältig, Finger für Finger, die Handschuhe an. Nachdem er dann in einem Zug den von unten über die Brust reichenden Reißverschluß geschlossen hatte, leuchtete das bisher schwarze Mosaik in vielfarbigen Lämpchen auf. Mit einem Bück überzeugte er sich, daß sie genauso angeordnet waren wie in den Eisschreitern, die er in der Antarktis bedient hatte, wenngleich diese den Diglatoren an Masse weit nachstanden. Mit einem Griff holte er von der Decke das Gurtwerk einer Art Geschirr, das er sich umlegte und auf der Brust festzog. Als das Klammerschloß zuschnappte, hob ihn das Geschirr sanft federnd in die Höhe, so daß er, unter den Achseln gehalten, wie in einem gutgepolsterten Korsett in der Schwebe hing und ungehindert die Beine bewegen konnte. Er vergewisserte sich, daß die Arme ebenso frei waren, und griff sich ins Genick, um den Hauptschalter zu suchen. Er fand den kleinen Hebel und legte ihn bis zum Anschlag um. Die Lämpchen auf den Würfeln verdoppelten ihre Helligkeit, und zugleich hörte er, wie tief unter ihm die Triebwerke der Gliedmaßen anliefen, im Leerlauf, leise schmatzend, weil aus den Pleueln das übermäßige Schmierfett gedrückt wurde, das man noch auf der Erde zum Korrosionsschutz in die Lager gepreßt hatte. Aufmerksam nach unten blickend, um nicht die Ecke der Lagerhalle mitzunehmen, tat er den ersten, vorsichtigen, kleinen Schritt. Im Futter seines Anzugs steckten Tausende in winzigen Spiralen eingenähte Elektroden. Eng am nackten Körper anliegend, nahmen sie die Impulse der Nerven und Muskeln auf, um sie an den Goliath weiterzuleiten. Wie jedem Knochengelenk des Menschen in der Maschine ein tausendfach größeres, hermetisch abgeschlossenes Metallgelenk entsprach, so gab es analog den Muskelgruppen, die die Gliedmaßen beugen und strecken, Zylinder, die reinsten Kanonenrohre, in denen Kolben, von öl getrieben, auf und nieder fuhren. Das alles aber brauchte der Maschinist weder zu bedenken noch überhaupt zu wissen. Er hatte sich so zu bewegen, als ginge er über den Boden, als trete er mit den Füßen auf, als beugte er den Rumpf, um mit der ausgestreckten Hand einen Gegenstand aufzuheben.

Wichtig waren lediglich zwei Unterschiede. Der erste bestand allein schon in der Große, denn ein Schritt des Mannes in der Kabine brachte die Maschine um zwölf Meter voran, und ähnlich verhielt es sich bei jeder anderen Bewegung auch. Dank der unerhörten Präzision der Relais konnte die Maschine nach dem Willen des Maschinisten ein volles Glas von einem Tisch nehmen und in eine Höhe von zwölf Stockwerken heben, ohne einen Tropfen zu verschütten oder das Gefäß in dem stählernen Zangengriff zu zerbrechen, aber das wäre nicht mehr gewesen als die Demonstration besonderer Kunstfertigkeit des Maschinisten, denn nicht Steinchen oder Gläschen sollte der Koloß aufnehmen, sondern tonnenschwere Röhren, Traversen und Gesteinsbrocken. Gab man ihm die entsprechenden Werkzeuge in die Hand, so wurde er zum Bohrturm, zum Bagger oder zum Kran — immer ein Kraftpaket, das fast unerschöpfliche Starke mit menschlicher Geschicklichkeit vereinte. Die Großschreiter waren eine Potenzierung des Konzepts eines Exoskeletts, wie es — als äußerer Verstärker des menschlichen Körpers — bereits aus vielen Prototypen des 20. Jahrhunderts bekannt war. Damals war die Erfindung verkümmert, weil man auf der Erde keine Bedingungen vorfand, in denen sie konkurrenzlos anwendbar gewesen wäre. Die Eroberung des Sonnensystems ließ diese Vorstellungen wieder aufleben. Planetarmaschinen tauchten auf, den örtlichen Aufgaben und Gegebenheiten, den jeweiligen Himmelskörpern angepaßt, auf denen sie arbeiten sollten. Vom Gewicht her unterschieden sie sich also, aber das Beharrungsvermögen der Masse ist überall gleich, und hier lag der zweite, wesentlichste Unterschied zwischen ihnen und den Menschen.


Sowohl die Belastbarkeit des Baustoffs als auch die Antriebskraft haben ihre Grenzen. Sie werden gesetzt von der Trägheit der Masse, die selbst dann vorhanden ist, wenn sich weit und breit kein gravitierender Körper befindet. Man kann mit dem Großschreiter keine schnellen Bewegungen machen, ebensowenig wie sich ein Panzerkreuzer auf See jäh zum Halten bringen oder der Ausleger eines Krans wie ein Propeller herumwirbeln läßt. Wer mit dem Diglator so etwas versuchte, würde ihm die Brückenkonstruktion der Gliedmaßen brechen. Um solchen Unfällen vorzubeugen, haben die Techniker in alle Zweigstücke des Antriebs Sicherungen eingebaut, die jedes Manöver, das einer Katastrophe gleichkäme, vereiteln. Der Maschinist kann diese Wächter jedoch einzeln oder insgesamt abschalten, falls er in schlimmste Schwierigkeiten gerät. Auf Kosten der ruinierten Maschine konnte er dann mit dem Leben davonkommen — bei einem Steinschlag etwa oder in anderen Notsituationen. Sollte selbst das keine Rettung bieten, blieb ihm als letzte Chance, als ultimum refugium der Vitrifikator. Der Mensch wurde ja durch den Außenpanzer des Schreiters und die inneren Schutzschilde der Kabine geborgen, in der letzteren jedoch gähnte über ihm wie eine Glocke die Mundöffnung des Vitrifikators. Diese Anlage konnte einen Menschen in Sekundenbruchteilen einfrosten. Die Medizin war allerdings noch außerstande, den vitrifizierten Körper wiederzubeleben, die Katastrophenopfer ruhten in Behältern mit Flüssigstickstoff und warteten, ohne sich zu verändern, auf die Resurrektionskünste kommender Jahrhunderte. Dieses Aufschieben der Arztespflichten in eine unbestimmte Zukunft sah vielen Menschen nach einer makabren Desertierung aus, einem Hilfeversprechen ohne jegliche Garantie der Erfüllung. Dennoch war es ein Präzedenzfall, der an eine Grenze stieß, aber in der Medizin nicht der erste war. Die ersten Transplantationen von Affenherzen für Menschen in Todesgefahr hatten ähnliche Reaktionen der Entrüstung und des Grauens ausgelöst. Bei Umfragen unter den Maschinisten wurde übrigens festgestellt, daß sie in die Vitrifizierungsapparate nur bescheidene Hoffnungen setzten. Ihr Beruf war etwas Neues, der darin lauernde Tod so alt wie alle menschlichen Unternehmungen. Auch Angus Parvis gedachte, während er mit schweren Schritten über den Boden des Titan stampfte, nicht im geringsten des schwarzen Brunnenrings über seinem Kopf und des Auslösers, der wie ein kleiner Rubin in einer durchsichtigen Haube glomm. Mit übertriebener Vorsicht betrat er die Betonfläche des Kosmodroms, um dort die Gange des Diglators zu erproben.

Sogleich kehrte der seit langem bekannte Eindruck wieder, ungewöhnlich leicht und schwer zugleich zu sein, frei und gefesselt, langsam und schnell — ein annähernd entsprechendes Gefühl mag ein Taucher haben, den der Auftrieb des Wassers seines Körpergewichts entledigt, dem das flüssige Medium aber um so größeren Widerstand leistet, je rascher er sich bewegen will. Die Prototypen der Planetarmaschinen, die noch keine Begrenzer der Beweglichkeit hatten, waren schon nach wenigen Arbeitsstunden schrottreif. Dem Neuling, der mit dem Großschreiter ein paar Schritte gemacht hat, teilt sich die Überzeugung mit, die Kunst sei kinderleicht, und so kommt es, daß er bei der Ausführung einer einfachen Aufgabe, etwa wenn er eine Reihe Traversen auf die Mauern eines Baues legen soll, diese Mauern eingerannt und alle Stützen verbogen hat, ehe es ihm zu Bewußtsein gekommen ist. Doch kann auch die Maschine mit Sicherungen für den unerfahrenen Führer ihre Tücken haben. Die Werte für extreme Belastungen abzulesen ist ebenso leicht wie die Lektüre eines Buches über das Skilaufen. Nur ist dank solchen Lesestoffs allein noch nie jemand Meister im Riesenslalom geworden. Angus, der bereits gut mit Tausendtonnern vertraut gewesen war, spürte bei einer anfänglich nur leichten Beschleunigung der Schritte, daß sein Diener hier fast die doppelte Masse hatte. In der gläsernen Kabine hängend wie eine Spinne in einem wunderlichen Netz, bremste er sofort die Bewegung der Beine und blieb sogar stehen, um — absichtlich langsam — einige Übungen auf der Stelle zu machen. Er trat von einem Fuß auf den anderen, neigte den Rumpf mehrmals zur Seite und schritt erst dann mehrmals um seine Rakete herum. Sein Herz schlug schneller als sonst, aber alles ging fehlerlos. Er sah das unfruchtbare, grau im niedrigen Nebel liegende Tal, die fernen Lichterketten, die das Ende des Landeplatzes markierten, und unter dem Tower die Gestalt Gosses, winzig wie eine Ameise. Ein gedämpfter, wenig aufdringlicher Lärm umgab ihn, sein Ohr lernte jeden Augenblick besser die Unterscheidung der Geräusche. Er erkannte den Baß der Haupttriebwerke, der sich bald zu einem dumpfen Gesang steigerte, bald wie mit müdem Vorwurf brummte, wenn die nach vorn geworfenen hundert Tonnen schweren Füße zu jäh abgebremst wurden. Er hörte den Ruf der Hydraulik heraus, einen ganzen Chor, denn das Öl preßte sich durch Tausende Leitungen in die Zylinder, damit die Kolben jedes der panzerbeschuhten Gliedmaßen gleichmäßig hoben, beugten und auf den Beton setzten. Schließlich vernahm er noch den zarten Refrain der Gyroskope, die ihn automatisch dabei unterstützten, das Gleichgewicht zu halten. Als er einmal absichtlich eine schärfere Wendung versuchte, erwies sich das Massiv, in dem er steckte, nicht wendig genug für die Leistung der Motoren, die zwar gehorsam alles hergaben, den Riesen aber ins Wanken brachten. Er geriet dem Piloten jedoch nicht außer Kontrolle, denn dieser milderte sofort die Kehre, indem er ihren Radius vergrößerte. Dann trieb er eine Weile sein Spiel mit tonnenschweren Felsblöcken, die er vom Rand der Betonbahn aufhob. Immer wenn die Greifzangen knirschend zupackten, sprühten die Funken von dem Gestein. Keine Stunde verging, und er war sich seines Diglators völlig sicher, er war in dem wohlbekannten Zustand, den alte Hasen als „Verwachsensein von Mensch und Großschreiter“ bezeichneten. Die Grenze zwischen ihm und der Maschine war verwischt, ihre Bewegungen waren die seinen geworden.

Um das Training abzuschließen, erklomm er einen Geröllhang bis in beträchtliche Höhe, und er hatte bereits so viel Übung, daß er am Krachen der Steine, die zertreten unter ihm wegrutschten, erkannte, was er dem Koloß, den er schon liebgewonnen hatte, zumuten durfte. Erst als er wieder zu den verschwommen glimmenden Linien des Flugplatzes hinunterstieg, stach in seine komplette Genugtuung wie eine Nadel der Gedanke an die bevorstehende Expedition, zugleich mit dem Bewußtsein, daß Pirx und die beiden anderen Männer, in ebensolche Riesen eingeschlossen, in der Großen Depression des Titan nicht nur steckengeblieben, sondern verschwunden waren. Ohne selbst zu wissen, ob er es als zusätzliche Übung oder zum Abschied tat, umschritt er in einem enger werdenden Kreis sein Raumschiff und führte noch ein kurzes Gespräch mit Gosse. Der Flugleiter stand inzwischen neben London hinter den Scheiben des Towers. Er sah sie, erfuhr, daß man über das Schicksal der Vermißten immer noch nichts wisse, und streckte vor seinem Aufbruch die eiserne Rechte hoch empor. Mochte diese Geste anderen auch pathetisch oder gar närrisch vorkommen, so zog er sie doch allen Worten vor. Er machte eine maßvolle Kehrtwendung, warf auf den unter der Kabinendecke befindlichen — einzigen — Monitor das holographische Bild des zu durchquerenden Gebiets, schaltete die Azimutanzeige mit der Projektion der zum Gral führenden Route ein und machte sich, jeder Schritt zwölf Meter lang, auf den Weg.

Es gibt zwei Arten von Landschaften, die den näheren Planeten der Sonne eigentümlich sind: zweckdienliche und verwüstete. Zweckdienlich eingerichtet ist jede Landschaft der Erde als eines Planeten, der Leben hervorgebracht hat — dort nämlich hat alles einen dem Gebrauch angemessenen Sinn. Gewiß, es war nicht immer so, aber Jahrmilliarden organischer Arbeit haben das Ihre getan: Die Farben der Blüten sind dazu da, Insekten anzulocken, die Wolken dazu, Weideplätze und Wälder mit Regen zu bewässern. Jede Form und jede Sache wird dort durch jemandes Nutzen erklärt, während das, was wie die Gletscher der Antarktis oder kahle Gebirge eines solchen Nutzens offenkundig entbehrt, eine Enklave der Wüste darstellt, eine Ausnahme von der Regel, wildes, wenn vielleicht auch reizvolles Brachland, wobei das nicht gewiß ist, denn der Mensch, der den Lauf von Flüssen umkehrt, um dürres Land fruchtbar zu machen, oder die Polkappen erwärmt, zahlte für die Verbesserung der einen Landstriche mit der Versteppung anderer und verletzte damit das klimatische Gleichgewicht der Biosphäre, das durch die entwicklungsgeschichtliche Mühsal des Lebens nur scheinbar unzulänglich herausgearbeitet und reguliert worden war. Die Schlünde des Ozeans dienten den Geschöpfen der Tiefsee nicht durch das Dunkel, das vor Angriffen schützte, damit sie es gemäß dem Bedarf an Luminiszenz erhellten, sondern umgekehrt: Diese Finsternis rief ebensolche dem Druck widerstehende und leuchtende Schwimmer ins Leben. Auf den von Leben strotzenden Planeten kommt nur unter der Oberfläche, in Höhlen und Grotten schüchtern diejenige Schöpferkraft der Natur zu Wort, die nicht in den Dienst der Anpassung gespannt, nicht durch den Kampf ums Dasein in ihren Werken beschnitten ist und mit unendlicher Geduld, in Jahrmilliarden währender Konzentration durch Tropfen gerinnender Salzlösungen die phantasmagorischen Wälder der Stalaktiten und Stalagmiten schafft. Das ist auf solchen Himmelskörpern jedoch nur ein versteckter Winkel der planetaren Arbeiten, festverschlossen durch Felsgewölbe und allein deshalb unfähig, seine Intensität zu offenbaren. Daher der Eindruck, solche Orte seien nicht Normalität der Natur, sondern Brutstätten für monströse Randerscheinungen mit dem Recht der Ausnahme von der Regel des Chaos.

Ausgetrocknete Planeten wie Mars oder Merkur wiederum sind dem beißenden Sonnenwind ausgesetzt, diesem verdünnten, aber unaufhörlich wehenden Hauch des Muttergestirns, ihre Oberfläche ist tote Wüste, denn die Glut vernichtet alle emporwachsenden Formen, um sie in Asche zu verwandeln und damit die Schüsseln der Krater zu füllen. Erst dort, wo ewiger und friedlicher Tod herrscht, wo weder Sieb noch Korn der natürlichen Auslese am Werk sind, um jedes Geschöpf nach den Erfordernissen des Überlebens zu formen, erst dort bietet sich Raum für erstaunliche Werke der Materie, die nichts nachahmt, niemandem Untertan ist und nach menschlicher Ansicht alle Grenzen menschlicher Phantasie hinter sich laßt.

Ebendarum waren auch die phantastischen Landschaften des Titan eine solche Überraschung für die ersten Erforscher. Die Menschen hatten Ordnung mit Leben, Unordnung mit langweiliger Öde für identisch gehalten. Man mußte auf den äußeren Planeten, auf dem Titan, ihrem größten Mond, gestanden haben, um die ganze Irrigkeit dieser apodiktischen Diagnose zu erkennen. Die Wunderdinge des Titan, ob sie nun relativ harmlos oder aber heimtückisch sind, sehen von weitem und von oben wie gewöhnliche chaotische Trümmerfelder aus. Ganz anders aber stellen sie sich dar, wenn man den Boden betritt. Die schreckliche Kälte des Raums, in dem die Sonne zwar noch scheint, aber nicht mehr wärmt, hat sich für die Kreativität der Materie nicht als Würgerin, sondern als Sporn erwiesen. Sie hat sie wohl gedrosselt, ihr aber gerade dadurch Raum zur Betätigung gegeben, ihr nämlich die Dimension geboten, die für eine von Leben unberührte und nicht von der Sonne verglühte Natur unerläßliche Voraussetzung ihres in die Ewigkeit gerichteten Schöpfertums ist: die Zeit, in der es keinerlei Bedeutung hat, ob ein oder zwei Millionen Jahrhunderte vergehen. Stoff der Natur sind hier prinzipiell die gleichen chemischen Elemente wie auf der Erde, nur haben sie sich auf der letzteren sozusagen in die Knechtschaft der biologischen Evolution begeben und nur in dieser den Menschen in Erstaunen versetzt durch das Raffinement komplizierter Verbindungen, die sich zu Organismen und deren lebensbedingten Artenhierarchien fügten. Daraus wurde der Schluß gezogen, daß hohe Kompliziertheit eine Eigenschaft nur der lebendigen, aber nicht jeder Materie sei, da das Chaos im anorganischen Zustand nichts hervorbringen könne als blinde vulkanische Zuckungen, bei denen Lavaströme und Wolken von herabregnender Schwefelasche ausgespien werden.

Im Nordosten seines Runds war der Roembden-Krater einst geborsten. Danach war durch diese Lücke ein Gletscher aus gefrorenem Gas eingedrungen. Nach Jahrmillionen hatte er sich zurückgezogen und auf dem zerpflügten Gelände mineralische Ablagerungen zurückgelassen, die das Entzücken und den Kummer der Kristallographen und der anderen, nicht minder erstaunten Wissenschaftler hervorriefen. Es war wirklich etwas zu sehen. Der Pilot, jetzt Führer eines Großschreiters, hatte vor sich eine von fernen Berghängen gerahmte ausgedehnte Ebene, die übersät war mit — ja, womit eigentlich? Es sah aus, als hätten sich die Schleusen unirdischer Museen und Lapidarien darüber entleert, als wären Kaskaden von Gerippen, Leichnamen und Überresten morscher Scheusale hier niedergegangen — oder vielmehr die mißratenen, irrsinnigen Entwürfe solcher Spukgestalten, eine phantastischer als die andere. Zerschmetterte Fragmente von Geschöpfen, denen nur ein Zufall verwehrt hat, am Kreislauf des Lebens teilzunehmen. Er sah gewaltige Rippen oder die Gerüste von Spinnen, die mit ihren Schienbeinen blutig gesprenkelte Scheucheneier umkrampften, mit kristallenen Hauern ineinander verbissene Kiefer, tellerförmige Rückenwirbel, wie von vorsintflutlichen Echsen nach der Verwesung gleich rollenweise verstreut. Diese ganze Schauerlichkeit in all ihrem Reichtum war aus der Höhe des Diglators am besten zu sehen. Die Bewohner des Roembden nannten dessen Umgebung zu Recht den „Friedhof“, denn diese Landschaft schien ein verlassenes Schlachtfeld Jahrhunderte währender Kämpfe zu sein, ein Beinhaus über jedes Maß gewachsener morscher Skelette. Angus erblickte glattgeschliffene Gelenkflächen, die aus dem Kadaverberg der Ungeheuer ragten und auf denen sogar in blutigroten Gerinnseln die Stellen zu erkennen waren, wo die Sehnen ansetzten. Daneben lagen zerfranste Felle, deren Behaarung in den Farben des Regenbogens schillerte und sich, vom Wind sanft durchkämmt, in wechselnde Wellen legte. Weiter weg schimmerten durch den Nebel vielstöckige Gliederfüßer, die sich ineinandergefressen, sich im Tode gegenseitig durchdrungen hatten. Von spiegelnden Prismen ragten nicht minder glitzernde Gehörne auf, umgeben von verstreuten schmutzigweißen Knochen und Schädeln. Der Pilot sah das alles und wußte, daß die in seinem Gehirn entstehenden Assoziationen und ihr düsterer Sinn nur eine Täuschung des durch die Fremdartigkeit überraschten Blicks waren. Hätte er im Gedächtnis nur gut nachgegraben, so wäre er wohl darauf gekommen, welche Verbindungen in einer in Jahrmilliarden tätigen Chemie ebendiese Formen hervorbrachten, die, mit Roteisenstein gefleckt, einen blutigen Knochen vortäuschten und solche, die bescheidenen Leistungen der irdischen Asbeste weit übertreffend, die den irisierenden Flausch des zartesten Fells erzeugten. Doch auch die feierlichsten Ergebnisse solcher Analysen dürften sich als kraftlos erweisen vor dem Eindruck, der sich den Augen aufdrängte. Eben dadurch, daß hier niemals etwas einer Sache zu dienen hatte, daß hier nie das Fallbeil der Evolution in Aktion war, das jedem Wildwuchs wegschnitt, was das Überleben nicht unterstützte oder ihm nicht diente, eben dadurch, daß die Natur — weder durch entstehendes Leben noch durch zugefügten Tod gebändigt — die Befreiung erlangen konnte, offenbarte sie die ihr eigentümliche Großzügigkeit, eine grenzenlose Vergeudung als brutalen Pomp für nichts und wieder nichts, als ewige Kraft der Schöpfung ohne Zweck, ohne Bedarf, ohne Sinn — und diese Wahrheit, von der sich der Betrachter zunehmend ergriffen fühlte, war selbstverständlich grausamer als der Eindruck, er habe vor sich ein kosmisches Panoptikum einer Mimikry des Todes, es breiteten sich unter dem Gewitterhimmel tatsächlich die sterblichen Überreste unbekannter Geschöpfe aus.

Das gesamte angeborene Denken, das nur in eine Richtung zu gehen vermochte, mußte also gewissermaßen auf den Kopf gestellt werden: Diese Formen hier glichen nicht deshalb Knochen, Rippen, Schädeln und Zähnen, weil sie einmal dem Leben dienstbar gewesen wären (das waren sie nie!), sondern die Skelette der irdischen Wirbeltiere, deren Fell, die Chitinpanzer der Insekten und die Schalen der Muscheln zeichneten sich durch solche Architektonik, Symmetrie und Grazie aus, weil die Natur so etwas auch dort hervorzubringen vermag, wo es weder Leben noch die ihm eigene Zweckdienlichkeit gegeben hat und geben wird.

Der junge Pilot war in einen Trancezustand geraten, der philosophischer Versenkung glich, und er schrak auf, als er sich erinnerte, wo er herkam, wo er steckte und welche Aufgabe er hatte. Sein eisernes Vehikel aber vertausendfachte im Augenblick gehorsam sein Zusammenzucken und Stocken; das Aufkreischen der Transmission und das Rattern der riesigen Körpermasse ernüchterte und beschämte ihn. Er nahm sich zusammen und ging weiter. Anfangs war es ihm irgendwie unangenehm, die Füße, die wie Dampfhämmer aufschlugen, auf die Pseudoskelette zu setzen, aber Umgehungsversuche waren ebenso vergeblich wie schwierig. So zögerte er nur noch, wenn ihm ein größerer Haufen den Weg versperrte, und er umging ihn schließlich, weil das Durchstapfen und Zermalmen dieses Berges selbst seinem braven Riesen Mühe bereitet hätte. Der Eindruck übrigens, er trample über ungezählte Knochen, zermalmte Schädeldecken, Flügelrippen, abgesprungene Jochbögen und Hörner, verringerte sich in der Nahe und verlor sich allmählich ganz. Bald war es, als ginge er über die Reste organischer Maschinen, also hybrider Geschöpfe, Halbtiere, entstanden aus der Kreuzung von Leben und Tod, Sinn und Unsinn, dann wieder glaubte er mit seinen Iridiumschuhen übermenschlich aufgetriebene Kleinodien zu zertreten, edle und unreine, die durch gegenseitige Durchdringung und Metamorphose weiß angelaufen waren. Da er aus seiner Hohe aber stets aufpassen mußte, wohin und in welchem Winkel er die Türme seiner Beine zu setzen hatte, da die Absolvierung dieser ersten Marschetappe — notwendigerweise verlangsamt — mehr als eine Stunde dauerte und er also Zeit hatte, schüttelte ihn ein Lachen bei dem Gedanken, wie die irdischen Künstler sich immer wieder angestrengt hatten, aus der menschlichen, das heißt alles mit einem Sinn versehenden Imagination auszubrechen, wie sich die Armen an den Wänden ihrer Vorstellungskraft die Kopfe einrannten und wie wenig sie, so sehr sie die Gehirne auch ausquetschten, vom Banalen wegkamen, während sich hier auf einem halben Hektar mehr Originalität austobte als auf einem Hundert ihrer in Kummer und Qual entstandenen Ausstellungen. Da es jedoch keinen Reiz gibt, an den der Mensch sich nicht rasch gewöhnt, marschierte er bald über diese Friedhöfe von Chalkozyten, Spinellen, Amethysten, Plagioklasen oder vielmehr deren unirdischen, fernen Verwandten, als stapfe er über gewöhnlichen Schutt. Im Bruchteil einer Sekunde zerbrach er einen Zweig, der für seinen unwiederholbaren kristallinen Wuchs Jahrmillionen gebraucht hatte. Nicht aus Mutwillen, sondern aus Notwendigkeit verwandelte er ihn in gläsernen Staub. Anfangs tat es ihm bei einem prächtigeren Produkt dieser seit Ewigkeiten währenden Arbeiten noch leid, aber sie dämpften sich gegenseitig in ihrem Glanz, löschten einander aus in ihrer unermeßlichen Überfülle.

Schließlich ergriff ihn bis ins Letzte nur noch eines — daß nämlich ihm (und nicht nur ihm allein!) diese Landschaft vorkam wie ein Traum, ein Reich von Trugbildern und von Tollheit geschlagener Schönheit. Wie von selbst formten seine Lippen die Worte, dies sei eine Zone, in der die Natur träume, in der sie ihre großartige Schauerlichkeit, Ihre entfesselten Alpträume direkt, unter Umgehung jedweder Psyche, in feste materielle Formen gießt. Genau wie im Traum nämlich erschien ihm alles, was er sah, völlig fremd und zugleich absolut eigen, ständig erinnerte es ihn an etwas und entzog sich sogleich wieder dieser Erinnerung, immer wieder erschien es als großer Unsinn, einen feinen, anspielungsartigen, arglistigen Sinn markierend — alles begann hier gewissermaßen ja seit Urzeiten mit großartiger Präzision, kam aber niemals zu einem Ende, konnte nicht in die Fülle der Verwirklichung eintreten, sich nicht für das Finale entscheiden — für eine eigene Bestimmung. So grübelte er, benommen sowohl von der Umgebung als auch von seinen Reflexionen, denn philosophische Gedanken lagen gar nicht in seiner Gewohnheit. Er hatte die emporgestiegene Sonne nun im Rücken, sein eigner Schatten eilte ihm weit voraus, und es verursachte ihm ein sonderbares Kribbeln, in seinen Bewegungen sowohl die Maschinenais auch die eigene Menschennatur zu erkennen: Es war ja die Silhouette eines kopflosen, im Gehen wie ein Schiff schwankenden Roboters, der gleichzeitig die nur seinem Führer eigenen Bewegungen ausführte und — da in gewaltiger Vergrößerung — mit ostentativem Trotz demonstrierte. Angus erlebte diesen Anblick zwar nicht zum ersten Mal, aber der fast zweistündige Marsch durch die gespenstische Einöde hatte seine Phantasie beflügelt oder subtiler gestimmt. Er bereute es nicht, daß er sich hinter dem Roembden mehr nach Westen gehalten und dadurch den Funkkontakt mit den Leuten dort verloren hatte. Bis zum Austritt aus dem Funkschatten waren es nur noch dreißig Meilen, aber jetzt wollte er allein sein, befreit von dem stereotypen Frage- und Antwort-Spiel der Meldungen.

Am Horizont dunkelten schwärzliche Umrisse, er war zunächst nicht sicher, ob von Wolken oder Bergen. Angus Parvis, der unterwegs zum Gral war, brachte bei allem eben erlebten Schwung seiner Phantasie kein einziges Mal seinen Namen in eine Verbindung mit Parsifal; ebenso schwer, wie aus der eigenen Haut zu fahren, fällt es dem Menschen, aus seiner geistigen Identität heraus- und noch dazu in den Mythos einzutreten. Er achtete nicht mehr so sehr auf das Umfeld seines Marsches, und er tat dies um so weniger, als die Szenerie vorgeblichen Todes, das planetare theatrum anatomicum der Mineralien, spärlicher wurde. Mit ungeheuchelter Gleichgültigkeit schritt er an den Orten vorbei, die so perfide funkelten, als seien sie als Lockung für seine Augen aufgestellt.

Seit er seinen Entschluß gefaßt hatte, verbot er sich jeden Gedanken an den, der die Ursache dieses Entschlusses war. Dies bereitete ihm keine Mühe. Als Raumfahrer hatte er das lange Alleinsein gelernt. Er marschierte vorwärts, und der Diglator schwankte, denn er mußte sich abwechselnd nach den Seiten neigen, aber das war ein wohlbekanntes Gefühl.

Der Schrittmesser zeigte fast dreißig Meilen pro Stunde. Die gespenstischen Reminiszenzen an Todestänze von Amphibien und Reptilien wichen sanft gewelltem Felsboden, der mit vulkanischem Tuff bedeckt war, feinkörniger und leichter als Sand. Er hätte einen Schritt zulegen können, wußte jedoch, daß die bei vollem Lauf auftretenden Beschwerden nicht lange durchzunähen waren. Immerhin erwartete ihn noch ein mehrstündiger Marsch, der — sogar noch vor der Depression — durch sehr viel schwereres Gelände führte. Die flach gezähnten Konturen am Horizont gaben nicht länger vor, Wolken zu sein. Er schritt auf sie zu, und sein Schatten glitt vor ihm her, er sah plump aus, denn mit Rücksicht auf seine Masse hatte der Großschreiter Beine, die nur ein Drittel der Rumpflänge ausmachten: Zu größerer Schnelligkeit getrieben, mußte er, um die Schritte zu verlängern, jedesmal das Bein zusammen mit der Hüfte nach vorn werfen. Im Grunde war das möglich, denn das ringförmige Lager der Beine, sozusagen deren Fahrgestell, das den Hüften entsprach, war eine riesige Gleitscheibe, in die der Rumpf eingepaßt war. Jedoch gesellte sich dann zu dem seitlichen Schlingern noch ein ruckartiges Auf und Nieder des ganzen Großschreiters, und die Landschaft schwankte vor den Augen des Maschinisten wie betrunken. Zum Laufschritt waren so schwere Apparate nicht fähig. Schon ein Sprung aus zwei Meter Höhe wurde auf dem Titan für sie problematisch. Auf kleineren Himmelskörpern und auf dem Erdmond war die Bewegungsfreiheit größer. Übrigens war es den Konstrukteuren nicht um die besondere Schnelligkeit dieser Maschinen gegangen, denn diese sollten nicht als Transportmittel dienen, sondern schwere Arbeiten verrichten. Die Fähigkeit zu gehen war nur eine Zugabe, die die arbeitsamen Kolosse selbständig machte.

Wohl eine Stunde lang hatte Angus abwechselnd den Eindruck, daß er sogleich in dem Felsengewirr steckenbleiben müßte oder daß der Azimut geradezu genial ausgerichtet war. Jedesmal nämlich, wenn er sich wieder einer Halde vom Gehängeschutt näherte, Felsplatten, die so labil im Gleichgewicht waren, als würde sie der nächste Lufthauch in einen donnernden Steinschlag verwandeln — immer dann bot sich im letzten Moment ein günstiger Durchgang, so daß er nicht lavieren mußte und sich nie aus einer Sackgasse zurückzuziehen brauchte. Rasch gelangte er zu der Auffassung, der ideale Maschinist wäre auf dem Titan ein Schielender, denn der könne das Gelände vor der Maschine und gleichzeitig den leuchtenden Richtungsanzeiger im Auge behalten, der wie eine normale Kompaßnadel im Hintergrund der halb durchsichtigen Karte zitterte. Irgendwie schaffte es aber auch Angus, und das nicht einmal schlecht, denn er vertraute sowohl seinem Blick als auch dem Zeiger. Von der Welt abgeschnitten durch den Lärm der Kraftmaschinen und die dröhnende Resonanz, in die der schwierige Marsch den ganzen Rumpf versetzte, sah er diese Welt des Titan dennoch durch die nichtreflektierenden Scheiben seiner gläsernen Behausung. Wohin immer er den Kopf wandte — er tat dies jedesmal, wenn ebenes Gelände das gestattete —, sah er aus dem Nebelmeer Bergrücken aufsteigen, hier und da besetzt mit geborstenen Vulkanen, die seit Jahrhunderten erstorben waren. Beim Gang über holpriges Eis erblickte er tief dann versunken die Schatten vulkanischer Bomben und unerkennbare dunklere Formen gleich Seesternen oder Kopffüßern, eingeschlossen wie Insekten im Bernstein. Dann wandelte sich das Gelände, aber schauerlich blieb es, nur auf andere Art. Es sah aus, als hätte der Planet eine Periode von Bombardements und Eruptionen durchgemacht, die in blinden Ausbrüchen himmelhoch Lava und Basalt emporgetürmt hatten, um zu ersterben und eine erstarrte, fremdartige Wildnis zurückzulassen. Er steckte bereits mittendrin in diesen vulkanischen Hohlwegen. Die Überhänge der Wände erschienen schier unmöglich. Nun ja, die Sprache von Geschöpfen, die ein idyllischer Planet hervorgebracht hatte, besaß keine Wörter zum Beschreiben dieser dynamischen Wirkung von Leblosigkeit, dieser seismischen Erstarrungen, aufgehalten mitten in einem Schwung, der noch potenziert wurde durch eine Schwerkraft, nicht größer als die des Mars.

Dem Mann, der sich in dieses Labyrinth verloren hatte, kam das schreitende Vehikel nicht mehr wie ein Riese vor. Es war klein, geradezu winzig geworden vor diesen Lavabrüchen. Kosmische Kälte mußte die kilometerlangen Feuerströme einst in Bann geschlagen, ihren Lauf unterbrochen und sie, als sie erkaltend in den Abgrund stürzten, zu gigantischen senkrechten Zapfen gezogen haben — monströse Kolonnaden, ein einzigartiger Anblick. Der Diglator wurde davor zu einem mikroskopisch kleinen Insekt, das an den gen Himmel getürmten Säulen entlangwanderte wie an einem Bauwerk, das nach ebenso nachlässiger wie gewaltiger Errichtung von den wirklichen Riesen des Planeten verlassen worden war. Es war wie zäher Sirup, vom Tischrand getropft, zu stalaktitenförmigen Zapfen geronnen — und gesehen aus einer Dielenritze, mit den Augen einer Ameise.

Nein, die Proportionen waren noch erschreckender. Gerade in dieser Wildheit, dieser Ordnung des Chaos, dem Menschenauge so fremd, daß einem gar nicht der Gedanke an irdische Gebirge kam, offenbarte sich die schreckliche Schönheit einer Wüstenei, die von der Tiefe des Planeten ausgewürgt und unter einer anderen Sonne aus Glut in Stein gebannt worden war. Jawohl, unter einer anderen Sonne, denn diese hier war nicht die flammende Scheibe wie auf dem Mond oder der Erde, sondern ein kalt leuchtender Nagelkopf, eingeschlagen in ein braunrotes Himmelsgewölbe, kaum Licht und noch weniger Wärme spendend. Draußen waren 90

Grad minus, die Temperatur des in diesem Jahr außergewöhnlich milden Sommers.

Durch die Mündung des Hohlwegs bemerkte Angus am Himmel einen hellen Glanz, der immer höher stieg und bald ein Viertel des Firmaments einnahm. Er begriff nicht sogleich, daß dies weder das Morgenrot noch der Strahl eines Solektors war, sondern der Herr des Titan — der vielberingte, honiggelbe Saturn.

Eine jähe Schlagseite, heftiges Schaukeln der Kabine, das plötzliche Aufheulen der Motoren, von der Reaktion der Gyroskope schneller bereinigt als durch sein Eingreifen, riefen ihm schlagartig ins Bewußtsein, daß jetzt keine Zeit für Kontemplationen astronomischer oder gar philosophischer Natur war. Demütig richtete er den Blick nach unten. Kurioserweise wurde er sich ausgerechnet in diesem Moment darüber klar, wie komisch er mit seinen Bewegungen wirkte. In dem Geschirr hängend, bewegte er die Beine in der Luft, und obgleich er scheinbar nur schaukelte wie ein spielendes Kind, spürte er jeden seiner dröhnenden Schritte,

Der Hohlweg stieg steil an. Angus verlangsamte die Gangart, dennoch wurde der Maschinenraum vom verstärkten Heulen der Turbinen erfüllt. Er gelangte in tiefen Schatten, und ehe er die Scheinwerfer eingeschaltet hatte, konnte er im letzten Moment einer Felswölbung ausweichen, die größer war als der Diglator. Dem ersten Newtonschen Gesetz gehorchend, war es die Tendenz seiner pendelnd vorwärtsstrebenden Masse, sich weiter auf gerader Bahn fortzubewegen; durch die plötzliche Kehre jedoch gestört, stürzte sie die Motoren in extreme Überlastung.

Sämtliche Anzeigen, bisher in ruhigem Grün, leuchteten purpurrot auf, die Turbinen heulten verzweifelt und gaben her, was sie konnten. Der Drehmomentanzeiger des Hauptgyroskops blinkte zum Zeichen, daß seine Sicherung durchbrannte. Die Kabine hing schräg, als stürze der Diglator um, dem Piloten brach der kalte Schweiß aus — auf welch blödsinnige Weise ritt er die ihm anvertraute Maschine in Klump! Doch nur die linke Ellbogenhaube streifte den Felsen, und es ertönte ein Knirschen, als liefe ein Schiff auf ein Riff. Unter dem Stahl qualmte und stiebte es, Funkengarben sprühten, und bebend fand der Großschreiter wieder das Gleichgewicht. Der Pilot schüttelte sich. Er war froh, daß in dem Hohlweg die Funkverbindung mit Gosse unterbrochen war, denn der automatische Sender hätte den Zwischenfall auf dem Bildschirm gezeigt. Er kam aus dem Schlagschatten heraus und verdoppelte seine Aufmerksamkeit. Immer noch verspürte er Scham, denn der Fall war so elementar und so alt wie die Welt.

Schließlich weiß auch ein Lokführer aus reiner Gewohnheit, daß es einen kompletten Unterschied macht, ob er nur mit der Maschine oder mit einem langen Schwanz von Waggons anfahrt. Also marschierte er wie beim Exerzieren, und der Koloß gehorchte ihm wieder, daß es ein Wunder war. Durch die Scheibe sah er, wie eine kleine Bewegung seiner Hand augenblicklich zu einem mächtigen Schwung der zangengleichen Pranke wurde und wie ein Schritt von ihm den Beinturm vorwärtsschob und den Knieschild aufblitzen ließ. Vom Kosmodrom hatte er sich bereits um achtundfünfzig Meilen entfernt. Durch die Karte, von den Satellitenaufnahmen, die er am Abend zuvor studiert hatte, und schließlich von dem im Maßstab 1:800 angefertigten Diorama des Geländes wußte er, daß der Weg zum Gral in drei grundsätzliche Teilstrecken zerfiel. Die erste umfaßte den sogenannten Friedhof und den vulkanischen Hohlweg, den er soeben passiert hatte.

Die zweite sah er bereits vor sich: eine Bresche im Massiv der erstarrten Lava, hineingebrochen mit einer Serie thermonuklearer Ladungen, da sich dieser größte Austritt des orländischen Vulkans wegen der steil wie ein Damm ansteigenden Hänge nicht anders bewältigen ließ. Die Kernexplosionen hatten sich in das seismische Gebirge, das den Durchgang versperrte, hineingefressen und es in zwei Teile geschnitten wie ein erwärmtes Messer ein Stück Butter. Auf dem Titanogramm in der Kabine war dieser Paß mit Ausrufezeichen umrahmt: Hier durfte das Vehikel unter keinen Umständen verlassen werden — die von den thermonuklearen Sprengungen hervorgerufene Reststrahlung war für den Menschen außerhalb des Panzers eines Großschreiters immer noch gefährlich. Die Mündung des Hohlwegs trennte vom Eingang in den Paß eine schwarze, wie mit Ruß bestreute Ebene von einer Meile Breite. Hier war Gosse wieder zu hören. Der Pilot verschwieg den Zusammenstoß mit dem Felsen. Gosse aber teilte ihm mit, jenseits des Passes, am Großen Zacken, auf der Hälfte des Wegs, werde der Gral die Funkaufsicht übernehmen. Dort begann auch der dritte und letzte Teil der Route — durch die Depression.

Der schwarze Staub auf der Ebene zwischen den Ausbauchungen des Gebirges setzte sich bis zu den Knien an den Beinen des Diglators ab. Schnell und gewandt schritt er durch die niedrigen Schwaden auf die fast senkrecht abfallenden Wände des Durchbruchs zu. Er erreichte ihn über Gesteinsschutt, der durch die Sonnenhitze der Explosion an den glatten Bruchstellen verglast war. Unter den Iridiumsohlen des Diglators zerbrachen diese Splitter, die doch hart wie Diamant waren, mit dem Knall von Schüssen. Der Boden des Passes selbst war glatt wie ein Tisch. Nun ging er bereits zwischen den geschwärzten Wänden dahin, im donnernden Widerhall der Schritte, die seine eigenen geworden waren: Er war mit der Maschine verwachsen, sie war die Vergrößerung seines Körpers. Er gelangte plötzlich in ein so undurchdringliches Dunkel, daß er die Scheinwerfer einschalten mußte. Ihr Quecksilberlicht kämpfte im Gewimmel der durch die Pfeiler des Felsenlochs zuckenden Schauen mit dem roten, kalten, unfreundlichen Licht des Himmels im Tor des Passes, das immer größer wurde, je näher er ihm kam. Auf dem letzten Abschnitt verengte sich der Gang, als wolle er den Großschreiter nicht durchlassen, als müsse dieser sich mit seinen eckigen Schultern in dem kaminartigen Schlund verkeilen. Doch das war eine Sinnestäuschung, auf beiden Seiten blieben noch einige Meter Raum. Andererseits mußte Angus seinen Schritt verlangsamen, denn Pollux geriet in um so größeres Schlingern, je schneller er ging, und dagegen gab es kein Mittel. Der Entengang bei der Beschleunigung ergab sich aus den Gesetzen dynamisch bewegter Massen, und nicht in allem war es den Ingenieuren gelungen, die großen Drehmomente zu bewältigen. Die letzten dreihundert Meter ging es immer steiler aufwärts.

Vorsichtig setzte er die Füße und neigte sich ein wenig aus seinem hoch oben aufgehängten Platz, um zu sehen, wohin er trat. Dieses Ausspähen nahm ihn so in Anspruch, daß er den Kopf erst hob, als ihn von allen Seiten Licht umgab, das die Kabine erhellte. Vor ihm lag wieder eine völlig andere, unirdische Landschaft.

Einsam, schwarz und schlank, die einzige Spitze bis zum Horizont, ragte der Große Zacken über einen weißen und roten Ozean flaumiger Wolken m den Himmel.

Angus konnte verstehen, daß er von manchen „Finger Gottes“ genannt wurde. An diesem Ort, der den großartigsten Anblick bot, stoppte er ab und blieb stehen, um im gedämpften Gesang der Turbinen zu versuchen, die Stimme vom Gral zu empfangen. Da er nichts hörte, rief er Gosse, aber auch der meldete sich nicht.

Er befand sich also im Funkschatten. Da ging in ihm etwas Seltsames vor. Vorhin war ihm der Funkkontakt mit dem Kosmodrom irgendwie unangenehm gewesen, er störte ihn wohl dadurch, daß er nicht aus den Worten, sondern aus der Stimme Gosses eine verborgene Besorgnis herausgehört hatte, den Zweifel, ob er es schaffen würde, und darin wiederum steckte etwas wie der Wunsch, den Beschützer zu spielen. Das aber war ihm unerträglich. Nun jedoch, da er wirklich allein war, da ihn weder eine Menschenstimme noch die automatischen Signale des Funkleitsenders vom Gral in dieser grenzenlosen weißen Einöde unterstützen konnten, verspürte er statt ungebundener Erleichterung eine Unsicherheit wie jemand, der m einem Palast voller Wunder steht, eigentlich nicht die geringste Lust hat, diesen zu verlassen, aber plötzlich sieht, daß sich die Tore, die eben noch einladend offenstanden, hinter ihm von selbst geschlossen haben. Angus schalt sich wegen dieser fruchtlosen Stimmung, die der Furcht ähnelte, und schritt auf die Oberfläche des Wolkenmeeres zu, einen sanften, aber stellenweise vereisten Hang hinab, direkt auf den Großen Zacken zu, der schwarz in den Himmel ragte, leicht gekrümmt wie ein Finger, der ihn zu sich winkte. Ein ums andere Mal glitt die Sohlenplatte des Großschreiters mit dumpfem Knirschen ab und löste einen Hagel des aus der eisigen Umklammerung gerissenen Gerölls aus, aber diese Rutscher bargen nicht die Gefahr eines Sturzes. Mit jedem Schritt hackte er die Fersenkante in den verkrusteten Firnschnee, wodurch er nicht mehr so rasch vorankam wie bisher. Er ging über einen gewölbten Rücken zwischen zwei Felsrinnen, beharrlich und übertrieben fest auftretend, so daß aufstiebende Eissplitter gegen die Beinschienen und Kniepanzer wirbelten. Dabei blickte er immer wieder voraus, hinunter in das Tal, dessen Grund durch Lücken im Nebel bereits zu sehen war. Je weiter er nach unten kam, um so höher stand über ihm, weit über die fernen, milchig glänzenden Wolken ragend, der schwarze Finger des Großen Zackens. Er erreichte eine Zone bauschiger Wolken, die gleichmäßig und langsam wie über unsichtbare Wasser dahinzogen — sie schwebten um seine Oberschenkel, dann um deren Trochanter; eine hüllte seine Kabine ein, verschwand jedoch wie weggeblasen. Einige Male noch tauchte schattenhaft der schwarze Finger über dem pludrigen Weiß auf — eine Keule aus Stein, aufgepflanzt über einem arktischen Ozean, reglos zwischen Gischt und Eis. Dann verschwand er wie aus dem Blick eines Tauchers, der sich auf den Meeresgrund hinabgelassen hat.

Angus blieb stehen und lauschte, er glaubte einen unterbrochenen, schwachen Pfeifton zu hören. Er drehte den Diglator nach links und rechts, bis der greinende Ton, jetzt ganz deutlich, in beiden Ohren gleich stark vernehmbar war.

Es war nicht der Gral selbst, sondern die Kursfunkbake des Großen Zackens. Er hatte direkt darauf zuzugehen, und falls er vom Wege abkam, verdoppelte sich das Signal je nach der Abweichung: Hielt er sich zu weit rechts, also in die verhängnisvolle Richtung der Depression, so würde er im rechten Ohr ein warnendes Jaulen hören, wich er aber nach links ab, auf die unzugänglichen Felswände zu, so würde sich das Signal nicht ganz so alarmierend, aber doch in einem auffälligen Baßton melden. Der Schrittmesser zeigte die hundertste Meile an. Das größte und technisch schwierigste Wegstück hatte er hinter sich, das kürzere, heimtückischere lag, in tiefen Dunst versenkt, noch vor ihm. Die massiven Wolken standen jetzt sehr hoch und dunkel, die Sicht betrug ein paar hundert Meter, das Aneroid ließ keinen Zweifel, daß sich von hier die eigentliche Senke der Depression erstreckte, genauer gesagt, vorerst noch ihr verläßlicher, fester Rand.

Er schritt aus und verließ sich auf Ohr und Auge zugleich. Die Gegend war von Schnee erhellt, gefrorenem Kohlendioxyd und anderen erstarrten Anhydriden. Unter dem Weiß ragten vereinzelt Findlinge hervor, Spuren des Gletschers, der einst von Norden her in die Kluft des vulkanischen Massivs eingedrungen war, sie mit seinem nach Süden kriechenden Körper vertieft und umgepflügt hatte. Dadurch waren Felsblöcke ins Grundeis gekommen, die der Gletscher ausspie und im chaotischen Rückzug als verstreute Moräne liegenließ, als er wich oder durch die den Tiefen des Titan entströmende magmatische Erwärmung abtaute. Die Landschaft hatte sich umgekehrt, als habe sie unten einen Wintertag hingebreitet und die wolkendunkle Nachtseite darüber gedeckt. Angus hatte nicht einmal mehr den eigenen Schatten zum Begleiter. Sicheren Schrittes stapfte er vorwärts, senkte die kristallbestäubten eisernen Schuhe in den Schnee. In den Panoramarückspiegeln konnte er die eigenen Spuren sehen — sie wären eines Tyrannosauriers würdig gewesen, jenes größten zweibeinigen Raubtiers des Mesozoikums. Bei diesen Blicken prüfte er gleichzeitig, ob die hinterlassene Spur auch immer noch gerade war. Indessen hatte er seit geraumer Zeit ein sonderbares Gefühl, das er als unmöglich von sich zu weisen suchte: Er hatte immer mehr den Eindruck, daß er nicht allein in der Kabine war, daß sich hinter ihm ein anderer Mensch befand, dessen Anwesenheit er an seinen Atemzügen erkannte. Er zweifelte nicht daran, daß es eine Täuschung war, verursacht möglicherweise durch eine Ermüdung des Gehörs, das von der Eintönigkeit der Funksignale abgestumpft war, aber schließlich fühlte er sich von dieser Täuschung so eingekreist, daß er den Atem anhielt. Daraufhin gab der andere einen gedehnten, deutlich hörbaren Seufzer von sich. Von einer Täuschung konnte nun wohl keine Rede mehr sein. Er erstarrte, stolperte, der Koloß kam ins Schleudern. Im Aufglühen der Anzeigen und im Aufheulen der Turbinen fing Angus ihn ab, bremste, ging immer langsamer und blieb stehen.

Der andere atmete nicht mehr. War es doch nur ein Widerhall aus den Maschinenschächten des Diglators gewesen? Im Stehen suchte er mit den Augen das Gelände ab, bis er in den unermeßlichen Schneefeldern einen schwarzen Strich erblickte, ein Ausrufezeichen, mit Tusche auf das Weiß des Horizonts gezeichnet, dorthin, wo die Helligkeit nicht verriet, ob sie ein Wall von Schnee oder von Wolken war. Obwohl Angus noch nie in einer ähnlichen winterlichen Szenerie einen Großschreiter aus meilenweiter Entfernung gesehen hatte, beherrschte ihn die Gewißheit, das könne nur Pirx sein. Er machte sich also auf den Weg zu ihm, ohne sich im geringsten um die sich verstärkende Doppelung der Signale im Kopfhörer zu scheren. Er beschleunigte seine Schritte. Das schwarze Zeichen vor der weißen Wand wurde zu einer kleinen Gestalt, die zappelte, weil auch sie schnell marschierte. Nach einer knappen Viertelstunde zeigten sich ihre wahren Ausmaße.

Eine halbe Meile trennte sie von Angus, vielleicht etwas mehr. Warum meldete er sich nicht, warum rief er ihn nicht an? Er wußte es selber nicht, er wagte es nicht. Er spähte so angestrengt hinüber, daß ihm die Tränen kamen, schon sah er in dem Glasfensterchen, dem Herzen des Kolosses, ein winziges Männchen aufgehängt, das sich bewegte wie ein Hampelmann am Bindfaden. Er hielt sich hinter ihm, und beide schritten aus, lange stiebende Garben hinterlassend wie Schiffe, die die schäumende Furche des Kielwassers hinter sich herziehen. Angus suchte den anderen einzuholen und konzentrierte sich zugleich auf das, was vor ihnen passierte. Dort war wirklich etwas los — in der Ferne wogte und flatterte ein weißes, wolkiges Gestöber, aus dessen lichten Zwischenräumen ein Schein drang, der das Weiß des Schnees übertraf. Das war die Zone der kalten Geiser.

Jetzt rief er den Verfolgten an, er schrie einmal, zwei- und dreimal, aber der andere gab keine Antwort, sondern beschleunigte seine Schritte, als wolle er vor dem Retter flüchten. Angus tat das gleiche, lief mit immer stärker schwankendem Rumpf und schwingenden Armen in die Nähe des Verderbens: Der Schrittmesser zitterte bereits an der roten Marke — achtundvierzig Meilen in der Stunde. Die Stimme, mit der er auf den Gejagten einschrie, klang heiser vor Erregung und versagte ihm plötzlich ganz, denn die schwarze Gestalt vor ihm ging in die Breite, schwoll an, verlängerte sich, ihre Konturen verloren an Schärfe, er sah nicht mehr den Mann im Diglator, sondern einen großen Schatten, der sich zu einem formlosen Fleck verbreiterte, sich auflöste und verschwand.

Er war allein, und sich selbst hatte — einzuholen versucht — ein auch auf der Erde bekanntes, wenn auch seltenes Phänomen, wie beispielsweise das Brockengespenst. Das eigene Spiegelbild, vergrößert, vor dem Hintergrund heller Wolken. Über die Entdeckung betroffen, voll grausamer Enttäuschung, unter Anspannung aller Muskeln, keuchend, in einem Anfall bitterer Wut und Verzweiflung wollte sein Körper — nicht er! — stehenbleiben, auf der Stelle, wie angewurzelt, unverzüglich, doch im Geheul, in das die Eingeweide des Kolosses ausbrachen, riß es ihn weiter vorwärts, die Lampen der Anzeiger flammten in dem Rot aufgeschlitzter Adern, der ganze Diglator wurde erschüttert wie ein Schiff, das auf einen Unterwasserfelsen lauft. Der Korpus neigte sich durch den Schwung nach vorn und wäre zu Boden geschlagen, hätte Angus ihn nicht abgefangen, nicht durch eine Reihe allmählich langsamer werdender Schritte aus der Schräglage wieder aufgerichtet. Der Protestchor der so plötzlich überlasteten Aggregate beruhigte sich, er aber fühlte Tränen des Zorns und der Enttäuschung über sein erhitztes Gesicht rinnen. Keuchend, als wäre er diese letzten Kilometer selbst mit solcher Anstrengung gerannt, stand er auf gespreizten Beinen, er verschnaufte, wischte mit dem weichen Innenpolster der Handschuhe den Schweiß weg, der in die Brauen gesickert war, und sah gleichzeitig, wie die Pranke des Großschreiters diese automatische Geste vergrößerte, sich emporhob, mit der ganzen Breite des Unterarms die Kabine verdunkelte und krachend auf den Strahler traf, der auf den kopflosen Schultern saß. Er hatte vergessen, seine Rechte aus dem Verstärkerschaltkreis zu nehmen! Dieses neuerliche blödsinnige Versehen brachte ihn gänzlich zu sich. Er machte kehrt, um auf der eigenen Spur zurückzugehen — die Signale in seinem Kopfhörer waren total aus dem Häuschen. Er mußte auf die Route zurück, ihr folgen, solange es ging, und sich im Falle der Blendung durch den Schneesturm — er hatte dessen Anblick auch bei der Verfolgungsjagd im Gedächtnis behalten — auf den Strahler verlassen. Er fand die Stelle, wo ihn die Fata Morgana durch ihren Spiegel aus Wolken und Gasen betört und ihm total die Orientierung genommen hatte. Oder war er schon vorher so stumpfsinnig geworden, daß er keiner optischen, sondern einer akustischen Täuschung aufgesessen war und aufgehört hatte, die per Funk gewiesene Route mit ihrem Pendant auf der Karte in der Kabine zu vergleichen? Dort, wohin ihn das eigene Gespenst gelockt hatte, laut Schrittmesser nicht weit, alles in allem neun Meilen von der markierten Route entfernt, gab es der Karte nach überhaupt keine Geiser. Deren Front verlief weiter nördlich — so hatten es die letzten Geländeerkundungen, wie die Karte sie zeigte, erwiesen. Auf der Basis von Meldungen der Flugaufklärung und Radaraufnahmen des ORSAN hatte Marlin die Route vom Roembden zum Gral so weit nach Süden verlegen lassen, daß sie — schwierig, aber sicher — durch die Senke der Depression lief, die bisher nie überschwemmt, wenngleich vom Schnee der Geiser zugedeckt wurde. Schlimmstenfalls kam es also zu Verwehungen durch den Kohlendioxydschnee, aber ein Diglator besaß ausreichend Kraft, solche Berge auch bis zu einer Hohe von fünf Metern zu durchschreiten, und falls er steckenbleiben sollte, konnte er es melden. Der Gral würde dann unbemannte Bulldozer von den Förderarbeiten abziehen und ihm zu Hilfe schicken.

Der Kern des Problems steckte darin, daß man nicht wußte, wo die anderen drei Großschreiter verschollen waren. Auf der alten Route, die nach früheren Unfällen aufgegeben worden war, hatte die Depression einen ununterbrochenen Funkkontakt zugelassen, aber die südliche Senke wurde mit Kurzwellen nicht direkt erreicht, und auch deren Reflektierung kam nicht in Frage, da der Titan keine Ionosphäre besitzt. Mit Relaissatelliten hatte man das zwar bewältigt, aber nun war schon eine Woche zuvor der Saturn in die Quere gekommen: Der Schwanz seiner stürmischen Magnetosphäre deckte jede Funkstrahlung zu. Bliebe noch der Laser.

Dieser drang vom Gral aus zwar durch die Wolkenschichten und konnte die Patrouillesatelliten erreichen, jedoch waren wiederum diese nicht mit Transmittern für einen so großen Wellenbereich ausgerüstet, sie konnten Lichtim-pulse nicht in Funksignale umsetzen. Zwar hätten sie die empfangenen Strahlen kollimieren und in die Depression senden können, aber leider umsonst. Um nämlich durch die Geiserstürme zu dringen, hätte man die Laser mit einer Leistung abstrahlen müssen, daß die Spiegel der Satelliten geschmolzen wären. Sie waren auf ihre Umlaufbahn gebracht worden, als im Gral die Arbeiten erst anliefen, die Spiegel hatten sich inzwischen durch Korrosion getrübt und verschluckten zuviel Strahlungsenergie, statt diese zu neunundneunzig Prozent zu reflektieren. In dieses Gewirr von Versehen, schlecht verstandener Sparsamkeit, Überhast, Transportverzögerungen und gewöhnlichen Dummheiten, die den Menschen überall und also auch im Kosmos eigen sind, waren nacheinander die verschollenen Großschreiter geraten. Die letzte Rettung sollte der feste Boden der Südsenke sein. Ob er in der Tat so fest war, würde Angus ja in Kürze sehen. Wenn er gehofft hatte, eine Spur seiner Vorgänger zu finden, so verlor er diese Zuversicht rasch. Er hielt sich an die Angaben des Azimuts und vertraute ihnen, denn das Gelände stieg an und führte ihn aus dem Schneetreiben heraus. Zur Linken hatte er Hänge alten Magmas, in Wolken gewühlt und vom Schnee freigefegt.

Er überquerte sie mit großem Bedacht. Dann ging er durch einen Steinbruch, über Rinnen voller Eis, das in seinem Innern Blasen ungefrorenen Gases enthielt. Wenn der eiserne Fuß die Kruste durchstieß und ins Leere traf, verstummte der Lärm der Triebwerke, die Ohren füllten sich mit einem Krachen und Bersten, wie es wohl nur die Schiffswache eines Eisbrechers vernimmt, der sich in polares Packeis grabt. Besorgt musterte er das Bein, nachdem er es aus dem Loch gezogen hatte, und erst dann ging er weiter. Er plagte sich so sehr ab, daß das Duett im Kopfhörer, gewöhnlich von ein und derselben Klangfarbe und Tonhöhe, außer sich geriet: Rechts schwoll es zum Pfeifen an, links stieg es in die Bässe hinab.

Also machte er einen Schwenk, damit sich die Töne wieder einig wurden. Zwischen den aufgetürmten Schollen, von denen Angus wußte, daß sie nicht aus Eis, sondern aus erstarrten Kohlenwasserstoffen bestanden, Öffnete sich ein ziemlich breiter Durchgang. Über trockenes, grobkörniges Geröll ging es hinab, wobei er die Schritte abbremste, so gut er konnte, denn die achtzehnhundert Tonnen des Großschreiters drängten die schiefe Bahn hinunter. Die wolkenverhangenen vulkanischen Felswände gaben den Blick frei auf den Talkessel, und statt festen Bodens sah Angus dort unten — Birnams Wald. Aus Tausenden engen Schlünden gleichzeitig stiegen Strahlen von Ammoniumsole in die giftige Atmosphäre. Unter dem ungeheuren Druck der Felsmassen in freiem Zustand gehalten, schössen die Radikale des Ammoniums in den dunklen Himmel und verwandelten ihn in wüstes Getüm-mel. Angus wußte, daß sie hier eigentlich nicht vorkommen durften, die Experten hatten das für ausgeschlossen gehalten, aber daran dachte er jetzt nicht. Ihm blieb nur zweierlei: entweder augenblicklich zurück zum Roembden oder weiter dem Gesang im Kopfhörer nach, der so unschuldig klang und so falsch war wie das Lied der Sirenen des Odysseus. Träge und schwer hingen gelbbraune Wolken über der ganzen Depression, um in einem sonderbaren, klebrig-zähen Schnee herabzusinken und in Birnams Wald zu gerinnen. Dieser Name rührte daher, daß die Erscheinung sich bewegte. Sie erinnerte übrigens nur aus großer Entfernung an einen verschneiten Wald. Das verbissene Spiel der chemischen Radikale, durch immer neuen Zustrom verstärkt (die einzelnen Geisergruppen haben ihren jeweils eigenen, beharrlich wiederkehrenden Rhythmus), bringt einen Dschungel von zerbrechlichem Porzellan hervor, der, begünstigt durch die schwache Gravitation, Höhen bis zu einer Viertelmeile erreicht. Es ist ein dichtverzweigtes Gestrüpp von gläsernem Weiß, in immer neuen Schichten übereinander-gelagert, bis die untersten das in den Himmel steigende Spitzenwerk nicht mehr tragen können und mit einem durchdringenden Klirren und Knirschen in sich zusammenbrechen wie ein planetarer Porzellanladen, den ein Beben zertrümmert. Als „Porzellanbruch“ hat jemand übrigens unbekümmert diese Einstürze in Birnams Wald bezeichnet, die nur aus der Schau eines Vogels oder vielmehr Helikopters ein harmlos-berauschendes Schauspiel sind. Auch aus der Nähe erscheint dieser Wald des Titan wie eine flüchtige Konstruktion aus Spitzen und weißem Schaum, so daß nicht nur der Großschreiter, sondern auch ein Mensch im Raumanzug durch das erstarrte Dickicht dringen kann. Einfach ist es zwar nicht, sich in diesem erstarrten Schaum fortzubewegen, der leichter als Bimsstein ist und ein Mittelding darstellt zwischen einem beim Gefrieren aufgeplusterten Schneebrei und aus feinsten Porzellanfäden gewobener Spitze. Das Ganze ist eigentlich eine geronnene Wolke aus geädertem Spinngewebe in allen Schattierungen von Weiß, vom opalisierenden Perlmutt bis zum blendenden Milchweiß. Rasch kommt man darin nicht voran, aber möglich ist es, obwohl man nie wissen kann, ob nicht gerade diese Gegend die Grenze ihrer Tragfähigkeit erreicht hat und den Wanderer unter einer Hunderte Meter starken Decke selbstzerschellenden Schmelzes begräbt, der nur in kleinen Stücken leicht wie Daunen ist.

Schon vorher, oben auf dem Wall, wo diese Wälder noch hinter dem schwarzen Vorsprung eines Bergrückens verborgen gewesen waren, hatten sie sich durch einen weißen Schein angekündigt, als ginge dort die Sonne auf. Es war die gleiche Helle, die sich auf die Wolken des irdischen Nordmeers legt, wenn ein Schiff, noch im offenen Fahrwasser, sich den Eisfeldern nähert.

Angus schritt dem Wald entgegen. Sein Eindruck, auf einem Schiff zu stehen oder gar selbst ein Schiff zu sein, wurde noch verstärkt durch das gleichmäßige Schaukeln des Riesen, von dem er sich tragen ließ. Beim Herabsteigen von dem Steilhang hatte sein Blick noch bis zum Horizont gereicht, der sich in der Ferne in einer klaren Linie abzeichnete, und der Wald hatte von oben ausgesehen wie eine ins Tal gedrückte Wolke, deren Oberfläche sich blähte und von unerklärlichen Schauern durchzuckt wurde. Schaukelnd schritt er weiter, und die Wolke vor ihm wuchs wie der Kopf eines Gletschers. Schon konnte er lange, gewundene Zungen unterscheiden, die davon ausgingen wie Schneelawinen in unwahrscheinlich verlangsamter Bewegung. Als ihn nur noch einige hundert Schritte von den weißen Ballungen trennten, waren darin Öffnungen unterschiedlicher Weite zu erkennen wie die Mündungen größerer und kleinerer Höhlen. Dunkel hoben sie sich ab von dem glitzernden Gewirr flauschiger Zweige und gegabelter Äste aus halb trübem, halb weißem Glas. Unter seinen eisernen Schuhen raschelte scharfer, zerbrechlicher Schutt, bei jedem Schritt knackte und knirschte es. Das Duett im Kopfhörer versicherte ihm nach wie vor, daß er auf dem richtigen Kurs lag. Also schritt er vorwärts, die Motoren erhöhten ihre Umdrehungen, um den wachsenden Widerstand zu brechen, und durch ihr verstärktes Brummen hörte er das schrille Röcheln des unter seinen Knien und seinem Rumpf berstenden Dickichts. Er hatte das erste Lampenfieber abgestreift, in seinem Herzen war nicht die Spur von Angst, nur Verzweiflung. Er begriff nur allzugut: Um auch nur auf einen der Vermißten zu stoßen, müßte ihm schon ein Wunder zu Hilfe kommen. Eher hätte sich eine Stecknadel nicht nur in einem Haufen, sondern einem Gebirge von Heu finden lassen! In diesem Gestrüpp blieben ja auch keine Spuren zurück, denn die unaufhörlich den Geisern entschießenden Fontänen speisten diese ganze riesige Wolke, und jede Schneise, jeder Durchbruch verwuchs augenblicklich wie eine vernarbende Wunde. Im stillen verfluchte Angus diese auf der Welt wohl einzigartige Schönheit, die ihn hier umgab. Derjenige, der bei der Namensgebung die Anleihe im „Macbeth“ gemacht hatte, war sicherlich ein Schöngeist gewesen, aber Angus in seinem Diglator hatte keine Veranlassung, jetzt solchen Assoziationen nachzuhängen. Birnams Wald auf dem Titan war durch ein Gewirr bekannter und unbekannter Ursachen ständig in Bewegung, innerhalb der Depression, auf Tausenden, Zehntausenden Hektar, abwechselnd im Vordringen und auf dem Rückzug. Die Geiser selbst bargen keine Gefahr, da einem ihre Anwesenheit von weitem auffiel, ehe man sie noch als himmelhoch emporschießende, vibrierende Säulen der durch unterirdischen Druck verfestigten Gase sehen konnte. Allein ihr Getöse — ein Dröhnen und so durchdringendes Heulen, als brülle in den Geburtswehen der Planet selbst vor Schmerz oder Wut — brachte die Umgebung ins Wanken und riß mit der Heftigkeit einer Windhose das ganze bereits zu Schmelz erstarrte, bebende, brechende und splitternde Dickicht nieder. Man mußte ausgesprochenes Pech haben, um in die Mündung eines Geisers zu fallen, der zwischen zwei Eruptionen in zeitweiliger Ruhe lag. Leicht und in sicherer Entfernung zu umgehen waren aber diejenigen, die ihre Aktivität durch ständiges Donnern und Zischen kundtaten und das vor dem Tode zitternde weiße Gestrüpp ringsum erschütterten. Ein plötzlicher Ausbruch hingegen, selbst in einiger Entfernung, wurde meist zur Ursache eines gigantischen Bruchs. Angus klebte fast mit dem Gesicht an der Scheibe aus Panzerglas und spähte hinaus, langsam, ganz langsam einen Fuß vor den anderen setzend. Er sah die milchweißen Stämme der stärksten, in der Senkrechten erstarrten Strahlen, die nur unten geschlossen und massiv waren, sich nach oben jedoch verzweigten und zu flimmernden Knäueln bauschten. Im Eisdschungel zu ebener Erde aber wuchsen schon die nächsten Gebilde in immer luftigere Etagen empor, gerannen zu Spinnweben und Skeletten, zu Hohlräumen, Kokons und Nestern, zu Bärlapp und Geißeltierchen, zu Kiemen, vom Fischkörper losgerissen, aber immer noch atmend, denn alles war hier in rieselnder Bewegung, es kroch und wand sich, aus dicken Wächten reckten sich dünne, nadlige Zweige, vereinten sich zu Bündeln, senkten sich herab, glitten fort und lagerten sich wieder übereinander in der gefrierenden klebrigen Milch, die unablässig aus unbekannten Höhen nieselte.

Kein auf der Erde entstandenes Wort konnte dieser Arbeit gerecht werden, die in einem hellen, von allen Schatten weißgewaschenen Schweigen vor sich ging, dieser Stille, außerhalb derer es doch noch ein fernes, eben erst erwachendes Grollen gab, Zeugnis des unterirdischen Zuflusses, der in die Kamine der Geiser gepreßt wurde.

Als Angus stehenblieb, um zu lauschen, wo dieses lauter werdende Donnern herkam, bemerkte er, daß Birnams Wald ihn in sich aufzunehmen begann. Er kam nicht zu ihm wie der Wald zu Macbeth, sondern wie von nirgendwo, aus der hier völlig unbewegten Luft, erschienen mikroskopisch kleine Schneeflocken, die nicht herabfielen, sondern plötzlich auf den dunklen Platten des Panzers saßen, auf den Schweißnähten der Schulterschilde. Der ganze Rumpf war schon mit diesem Schnee bestäubt, der seine Ähnlichkeit mit irdischem Schnee sogleich verlor, denn er fiel nicht nachgiebig auf die Metallflächen, sammelte sich nicht pulvrig in den Vertiefungen, sondern klebte wie weißer Sirup, keimte, trieb milchige, wollige Fasern, und ehe Angus sich dessen versah, steckte er in einem schneeigen Pelz, der sich in Tausenden kleinen Bahnen um ihn dehnte, flimmernd das Licht brach und den Diglator in eine riesige weiße Vogelscheuche, einen wunderlichen Schneemann verwandelte. Er machte eine leichte Bewegung, einen kleinen Ruck, und die erstarrten Abgüsse seiner eisernen Gliedmaßen und Schultern fielen in großen Stücken herunter. Der Aufprall verwandelte sie in Berge kleiner Splitter.

Der Glanz ließ m diesem Wallen und Strudeln phantasmagorische Formen entstehen, er blendete, erhellte aber nicht den Boden, so daß Angus eigentlich erst jetzt den Vorteil schätzen lernte, den ihm der eingeschaltete Strahler bot. Dessen unsichtbare Hitze taute in das Dickicht einen Tunnel, dem er folgte. Rechts und links hörte er immer wieder wie Kanonenschüsse den Widerhall der aus der festgefügten Unterschicht der Wolke brechenden Gasströme, und einmal kam er gar nicht weit am brausenden Federbusch eines Geisers vorbei, der sich in wütenden Ausbrüchen schüttelte und die Umgebung peitschte.

Plötzlich lichtete sich dieser Wald und bildete unter einer blasenförmig geblähten, verzweigten Kuppel so etwas wie eine Lichtung. Mitten darin lag eine große schwarze Masse. Der Betrachter erkannte die ihm zugewandten Sohlen der ineinander verklammerten eisernen Füße und den zur Seite gedrehten Rumpf, der in der Verkürzung einem Schiffswrack auf einer Sandbank glich. Der linke Arm, der obenauf war, reichte zwischen die weißen Stämme, die Hand lag im Gestrüpp verborgen. Den rechten Arm hatte der Rumpf beim Sturz unter sich begraben. Der stählerne Riese lag verrenkt am Boden, schien aber nicht völlig erledigt zu sein, denn außer den bereiften Gliedmaßen war er frei von Schnee. Über der Wölbung des Körpers zitterte leicht die Luft, erwärmt von dem immer noch Hitze ausstrahlenden Innern.

Parvis stand wie versteinert vor dem Zwillingsbruder seines Schreiters, er wagte seinen Augen nicht zu trauen, denn das unglaubliche Wunder war geschehen — die Begegnung. Schon wollte er sich melden, als er zwei Dinge auf einmal bemerkte: Unter dem gestürzten Diglator stand eine große Lache einer Öligen, gelblichen Flüssigkeit, also waren die hydraulischen Leitungen ausgelaufen, was zumindest die teilweise Bewegungsunfähigkeit bedeutete. Darüber hinaus war die Frontscheibe der Kabine, die jetzt so sehr dem ovalen Bullauge eines Schiffes ähnelte, zerschlagen. Aus den Leisten der Rahmen ragten nur die Isolationspolster. Es dampfte aus dieser finsteren Öffnung, als könne der Gigant in der Agonie nicht die Seele aushauchen. Triumph, Freude, dankbare Überraschung des Piloten wichen dem Grauen. Noch ehe er sich vorsichtig und behutsam über das Wrack beugte, wußte er, daß es verlassen war. Mit dem Scheinwerfer leuchtete er das Kabineninnere aus, lose Strippen hingen darin, an ihnen die metallene Haut.

Er konnte sich nicht tiefer bücken, mühsam spähte er in alle Ecken der leeren Kabine, in der Hoffnung, der Verunglückte habe, bevor er im Raumanzug fortgegangen war, eine Nachricht oder ein Zeichen hinterlassen, aber er entdeckte nur den umgekippten Werkzeugkasten und die herausgefallenen Schlüssel.

Lange suchte er zu erraten, was hier vorgegangen sein mochte. Einer jener „Porzellanbrüche“ konnte den Diglator umgeworfen und verschüttet haben. Als alle Anstrengungen, ihn wieder aufzurichten, nichts fruchteten, hatte der Maschinist das Sicherungssystem der Grenzleistung stillgelegt, und daraufhin waren unter dem Überdruck des Öls die Leitungen geplatzt. Die Kabinenscheibe hatte der Mann nicht selber zerschlagen, er hätte ja den Ausstieg am Oberschenkel oder den Notausgang am Rücken benutzen können. Sie war wohl eher zertrümmert worden, als der Großschreiter stürzte. Zunächst hatte er wohl auf dem Bauch gelegen und sich erst auf die Seite gedreht, als er dem auf ihm lastenden Massiv zu entkommen suchte.

Die in die Kabine eingedrungene giftige Atmosphäre hätte den Menschen schneller getötet als die Kalte. Wenn das so war, dann hatte der Einbruch keinen Unvorbereiteten getroffen. Als der Maschinist das hochgewölbte Dickicht auf die Maschine eindringen sah und erkannte, daß sie nicht standhalten würde, legte er den Raumanzug an. Damit war er auf die Havariesteuerung angewiesen, denn er hatte zuvor ja die elektronische Haut ausziehen müssen. Sein Diglator hatte keinen Hochleistungsstrahler, und so tat er das einzig Vernünftige, was ihm ein gutes Zeugnis ausstellte. Er nahm Werkzeug und stieg in den Maschinenraum. Dort stellte er fest, daß sich die Hydraulik nicht reparieren ließ: Zu viele Rohre waren geplatzt, zu viel Flüssigkeit schon ausgelaufen. Daraufhin trennte er das der Fortbewegung dienende Getriebe vom Reaktor und schaltete diesen auf fast volle Leistung. Den Großschreiter hielt er zu Recht für verloren, aber die Glut des Atommeilers übertrug sich — obgleich sie das Innere des Maschinenraums verbrannte oder aber gerade weil sie ihn rotglühend machte — auf den gepanzerten Rumpf und taute den darüber liegenden Schuttberg weg. So war die Höhlung mit den verglasten Wänden entstanden, deren Aussehen von der dem Wrack entströmenden Hitze zeugte. Um den so rekonstruierten Ablauf zu prüfen, hielt Angus die Geigerzähler an den Rücken des Wracks. Sie begannen sofort heftig zu ticken. Es handelte sich um einen schnellen Reaktor, er war von der eigenen Hitze geschmolzen und wohl bereits erkaltet, aber der Außenpanzer war sowohl heiß als auch radioaktiv. Der Maschinist hatte sein Vehikel also durch das zertrümmerte Fenster verlassen, das unnütze Werkzeug weggeworfen und sich zu Fuß auf den Weg durch den Wald gemacht. Angus forschte in dem ausgelaufenen Öl nach Fußspuren, da er jedoch nichts fand, umkreiste er den metallenen Leichnam und suchte die Wände der Glitzerhöhle nach Öffnungen ab, die groß genug waren, einen Menschen durchzulassen. Auch das gab es nirgends. Angus vermochte nicht zu überschlagen, wieviel Zeit seit der Katastrophe vergangen sein konnte. Zwei Männer waren vor drei Tagen in diesem Wald verschwunden, Pirx zwanzig bis dreißig Stunden später.

Der Zeitunterschied war zu gering, als daß er einen Anhaltspunkt geboten hätte, ob das Wrack einem der Leute vom Gral oder aber Pirx gehörte. Ganz in Eisen, aber lebendig stand er vor dem Schrotthaufen und wog eiskalt ab, was er tun sollte. In irgendeinem Winkel dieser von der Hitze ausgehöhlten Blase mußte ein Loch sein, das dem Maschinisten einen Durchschlupf geboten und sich hinter ihm geschlossen hatte. Die porzellanene Narbe mußte noch ziemlich dünn sein, aber vom Diglator aus würde er sie nicht erkennen. Er stellte den Riesen still, stieg hastig in seinen Raumanzug, rannte die hallenden Stufen zum Ausstieg hinunter, ließ sich die Leiter hinab und sprang auf den gläsernen Boden. Die in die Bruchhalde geschmolzene Höhle kam ihm sogleich viel größer vor, oder vielmehr er war plötzlich sehr klein geworden. Er ging einmal ringsherum — fast sechshundert Schritt. Durchsichtigere Stellen nahm er in Augenschein und klopfte sie ab, es waren leider sehr viele, und als er den aus dem Führerstand mitgebrachten Hammer ansetzte, um eine Nische zwischen zwei wahrhaft eichenstarken Pfeilern zu hacken, splitterte sie zwar wie Glas, aber zugleich kam vom Gewölbe über ihm Geröll herunter, in immer größeren Mengen, bis etwas knirschte und eine Hagelwolke leichter Splitter und gläsernen Staubs auf Angus niederging. Er sah ein, daß es keinen Sinn hatte. Die Spur des anderen würde er nicht finden, und er selbst steckte nicht gerade in der schönsten Falle. Die Bresche, durch die er in die Höhlung eingedrungen war, verschloß sich bereits mit weißen Zapfen, die fest wurden wie Salzsäulen, anders allerdings als auf der Erde, denn hier verzweigten sie sich zu einem armstarken Geflecht. Nichts zu machen, es blieb nicht einmal Zeit zu kühler Überlegung: Das Gewölbe setzte sich allmählich und berührte fast schon die Haube des Strahlers auf den Schultern des Großschreiters, so daß dieser aussah wie ein Atlas, der die ganze Last der erstarrten Geiserstrahlen trug.

Angus wußte nicht, wie er wieder in die Kabine gekommen war, die bereits schräg stand, weil der Rumpf sich Millimeter um Millimeter neigte. Er zog die elektronische Bekleidung über und prüfte einen Augenblick lang den Gedanken, den Strahler einzuschalten, verwarf ihn jedoch — hier lag in jeder Maßnahme ein unvorhersehbares Risiko. Die Decke über ihm konnte durch das Abtauen weichen, aber ebensogut einstürzen. Nach einigen Schritten fand er direkt neben dem schwarzen Wrack eine Stelle, von der aus er Anlauf nehmen und mit aller Kraft die verwachsene Bresche rammen konnte, nicht um feige zu fliehen, sondern um aus der gläsernen Gruft herauszukommen. Danach würde er weitersehen.

Im Maschinenraum heulten die Turbinen, unter dem Aufprall der beiden stählernen Fäuste zeigten sich in der weißen, von den Tropfsteinen höckrigen Wand Risse, die in schwärzlichen Bahnen sternenförmig nach oben und zur Seite liefen, und gleichzeitig gab es von überallher einen donnernden Schlag.

Alles ging so schnell, daß er keine Zeit hatte, es zu begreifen. Er spürte von hoch oben einen Schlag, so gewaltig, daß sein Gigant in ein tiefes Geheul ausbrach, taumelte, durch die geborstene Bresche gefegt wurde wie ein Stück Papier und unter einer Lawine von Geröll, großen Brocken, Scherben und Staub so jäh zu Boden schlug, daß sich Parvis trotz aller Amortisatoren der Aufhängung die Eingeweide umdrehten. Die letzte Phase des Sturzes war dabei unglaublich langsam:

Die Trümmer auf dem Weg, den er gekommen war, näherten sich dem Fenster, als fiele er nicht, sondern als bäume sich ihm diese Schneebahn unter dem Bombardement der Trümmer entgegen. Aus der Höhe mehrerer Stockwerke näherte er sich diesem in Staubwolken gehüllten Weiß, bis er durch alle Spanten des Rumpfes, die heulenden Motoren und ihre Lager sowie durch die Schutzplatten des Panzers den letzten dröhnenden Schlag verspürte. Wie geblendet lag er da. Die Scheibe war nicht zerbrochen, sondern hatte sich in die Trümmerhalde gegraben, deren eigentliche Masse er auf sich, dem Rücken des Diglators lasten fühlte. Die Turbinen heulten nicht mehr unter, sondern hinter ihm, im Leerlauf, da sie sich auf dem Höhepunkt der Überlastung selbst ausgekuppelt hatten. Vor dem rußschwarzen Hintergrund des Fensters flammten sämtliche Anzeigen purpurrot.

Rechts verblaßten sie allmählich und wurden wieder dunkelgrün, links aber erloschen sie nacheinander wie erkaltende Briketts. Er steckte in einem linksseitig gelähmten Wrack. Einem Wrack, jawohl, denn auf die Arm- und Beinbewegungen dieser Seite erfolgte keine Reaktion. Nur die Anzeige der anderen symmetrischen Hälfte des Großschreiters funktionierte. Im krampfhaften Atemholen nahm er noch etwas wahr: Die Luft roch nach heißem Öl — es war passiert. Ob er in dem halbseitig gelähmten Diglator wenigstens kriechen konnte? Er versuchte es, die Turbinen begannen gehorsam, unisono ihren Gesang, aber dann leuchteten wieder die roten Warnlampen auf. Der Einsturz hatte ihn nicht genau nach vorn, sondern auf die Backbordseite geworfen, die zuerst die ganze Wucht des Aufpralls aufgefangen hatte. Tief durchatmend, absichtlich langsam, ohne Sicht, schaltete er die Innenbeleuchtung ein und rief den Havarieinterceptor des Gerätes ab, um sich Über die Lage der Gliedmaßen und des Rumpfes zu informieren.

Die Antriebsaggregate überging er dabei.

Das mit kalten Linien gezeichnete Bild erschien sofort. Die beiden stählernen Beine hatten sich gekreuzt, also war das Kniegelenk des linken geborsten. Der linke Fuß steckte hinter dem rechten, aber auch diesen konnte er nicht rühren.

Die Konstruktion mußte sich ineinander verkeilt haben, und den Rest bewirkte der Druck der auf ihm liegenden Halde. Der Geruch der erhitzten Flüssigkeit aus der Hydraulik reizte und biß schon empfindlich in die Nase. Er versuchte sich noch einmal aufzurappeln, indem er das gesamte hydraulische System auf den viel schwächeren Havariestromkreis umschaltete. War es vergebens? Etwas Warmes, Glitschiges floß ihm um Füße, Schienbeine und Schenkel — auf der Frontscheibe liegend, sah er im weißen Licht der Leuchtröhre das in die Kabine sickernde Öl.

Es gab keinen anderen Ausweg: Er öffnete den Schnappverschluß, kroch aus der elektronischen Hülle und kniete sich nackt vor den Wandschrank, der jetzt an der Decke hing. Beim Öffnen fiel der Raumanzug heraus, Angus stöhnte auf, als ihm die Sauerstoffflaschen auf die Brust prallten. Wie eine weiße Kugel platschte der Helm in eine Öllache. Die Trikots trieften von der hydraulischen Flüssigkeit. Ohne Zaudern, nackt, im ruhigen Schein des künstlichen Lichts, stieg er in den Raumanzug, wischte den Ansatz des Helms ab, der ebenfalls fettig geworden war, stülpte ihn über, zog die Klammern fest und kroch durch das Brunnenloch, das jetzt waagerecht lag wie ein Tunnel, auf allen vieren zum Ausstieg am Oberschenkel.

Weder dieser noch der Notausstieg ließen sich öffnen. Niemand weiß, wie lange er noch in der Kabine gesessen hatte, ehe er den Helm abnahm, sich auf die ölverschmierte Scheibe legte und die Hand nach dem roten Lämpchen ausstreckte, um die Plastikkappe einzuschlagen und den eingebauchten Knopf des Vitrifikators mit aller Kraft tief in die Zukunft zu drücken. Auch kann niemand wissen, was er dachte und fühlte, als er sich für diesen eisigen Tod bereitmachte.

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