IX Die Verkündigung

Nach dem Start führte der Kommandant das erneut in eine Masse gehüllte Raumschiff auf eine stationäre Umlaufbahn um den Mond, über der von der Quinta nicht einsehbaren Halbkugel, und ließ nacheinander die Gefährten zu sich kommen, damit ihm jeder darlegte, wie er die Lage einschätzte und was er an seiner Stelle tun würde. Die Ansichten waren breit gestreut.

Nakamura hielt sich an eine kosmische Hypothese. Das Niveau der quintanischen Technologie setzte eine seit langer Zeit entwickelte Astronomie voraus. Die Zeta zog mit ihren Planeten durch eine zwischen den Armen der galaktischen Spirale Hegende Erweiterung und würde in etwa fünftausend Jahren dem Hades gefährlich nahe kommen. Der kritische Zeitpunkt der Annäherung ließ sich nicht genau ermitteln, da es sich um das unlösbare Problem der Wechselwirkung vieler Massen handelte. Es war jedoch wenig wahrscheinlich, daß sie der Kollapsar passieren ließ, ohne daß es zur Katastrophe kam. Die bedrohte Zivilisation versuchte sich zu retten, es entstanden verschiedene Projekte: die Umsiedlung auf den Mond, dessen Verwandlung in einen steuerbaren Planeten und seine Versetzung in das System der Eta Harpyiae, das nur vier Lichtjahre entfernt war und sich — dies das Wichtigste! — von dem Kollapsar wegbewegte. In der ersten Phase der Verwirklichung dieses Projekts erwiesen sich Wissensstand und Energieressourcen als unzulänglich. Möglicherweise war auch ein Teil der Zivilisation, ein Block von Staaten für das Projekt, ein anderer aber dagegen. Bekanntlich kommt es höchst selten vor, daß Experten verschiedener Fachgebiete angesichts einer besonders komplizierten und schwierigen Aufgabe zu völliger Übereinstimmung gelangen.

Ein anderes Projekt wurde vorgelegt — das der astronautischen Emigration oder auch Flucht. Diese Konzeption verursachte die Krise: Die Bevölkerung der Quinta zählte sicherlich Milliarden, und die Werften waren außerstande eine Flotte von Raumschiffen zu bauen, mit der sich der Exodus aller bewerkstelligen ließ. Wenn man eine Analogie zur Erde herstellen wollte, so unterschieden sich die einzelnen Staaten in ihrem Industriepotential voneinander beträchtlich. Die führenden bauten für sich eine kosmische Flotte und gaben die Front der Arbeiten auf dem Mond auf. Diejenige aber, die in den Werften arbeiteten, waren möglicherweise überzeugt, daß die Rettungsschiffe nicht für sie bestimmt waren, und griffen zu Akten der Sabotage. Diese konnte zu Repressalien und Unruhen, zum anarchistischen Kollaps und zum propagandistischen Radiokrieg geführt haben.

Dadurch blieb auch dieses Projekt in den Anfängen stecken und hinterließ als Spur seines Scheiterns die Unmenge der durch das System geisternden Satelliten.

War diese Einschätzung des Sachverhalts auch sehr hypothetisch, so war ihr Wert doch nicht gleich Null. Man mußte mit der Quinta schleunigst ein Übereinkommen finden. Die Sideraltechnologie konnte, wenn man sie an die Bewohner weitergab, die Rettung bedeuten.

Polassar, der die Konzeption des Japaners kannte, sah darin Fakten, die so zurechtgebogen und überzogen waren, daß sie die Voraussetzung stützten — die planetare Auswanderung.

Die Sideraltechnologie kommt nicht wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Die bei der asthenosphärischen Anlage am dem Mond genutzte Energie war um drei Größenordnungen von derjenigen entfernt, die den Zugang zur Gravitologie und deren industrieller Anwendung möglich machte. Außerdem wies nichts darauf hin, daß die Quintaner das System der Eta als gastlich ansehen konnten. Die Eta würde in einigen Jahrmillionen in die Endverbrennung ihres Wasserstoffs eintreten und damit zu einem roten Riesen werden. Zu guter Letzt habe Namakura die Daten der Bewegung von Harpyie und Hades im Intervall der gravitationsbedingten Unbestimmtheit so verschoben, daß der kritische Durchgang der Zeta durch die Nähe des Kollapsars bereits in fünfzig Jahrhunderten wahrscheinlich wurde. Zog man jedoch die durch den Spiralarm der Galaxie ausgelösten Perturbattonen in Betracht, so würde sich der Durchgang um weit über zwanzig Jahrtausende verzögern. Die Nachricht jedoch, in fünfundzwanzigtausend Jahren werde es zum Schlimmsten kommen, könne nur völlig unvernünftige Geschöpfe in Panik versetzen.

Eine Wissenschaft, die — wie die irdische im 19. Jahrhundert — noch in den Windeln liegt, mag von sich glauben, durch ihre Fortschritte bald im Besitz aller Weisheit zu sein. Eine reifere Wissenschaft kennt zwar nicht die zukünftigen Entdeckungen, weiß jedoch, daß sie in exponentialer Progression zunehmen und man demgemäß in wenigen Jahren mehr Kenntnisse erwirbt als zuvor in Jahrtausenden.

Man wußte nicht, was auf der Quinta geschah, der Kontakt aber mußte hergestellt werden. Riskant, aber notwendig. „Möglich ist alles“ — das war die Ansicht, die Kirsting vertrat. Eine hohe Technologie schließt Glaubensvorstellungen religiöser Natur nicht aus. Die Pyramiden der Ägypter und Azteken würden dem Gast aus anderen Welten ihren Zweck ebensowenig offenbaren wie die Kathedralen der Gotik. Die Fundstätten auf dem Mond der Quinta konnten das Werk eines Glaubens sein. Ein Kult der Sonne — einer künstlichen Sonne. Ein Altar von Kernplasma. Ein Gegenstand der Idololatrie, Symbol der Macht oder der Herrschaft über die Materie. Daneben aber Schismen, Apostasien, Ketzertum, Bekehrungsversuche — nicht durch Kreuzzüge, sondern per Radio, elektromagnetischer Zwang, zur „Konversion“ der abgefallenen Häretiker oder vielmehr ihrer sakralen Informationsmaschinen: Deus est in machina! Nicht, daß dies wahrscheinlich oder geradezu beweisbar wäre. Glaubenssymbole geben Besuchern aus fremder Gegend ihren Sinn ebensowenig preis wie die Produkte von Ideologien Wer für die Absichten von Menschen verschiedener irdischer Kulturen und Epochen den gemeinsamen Nenner finden will, muß mindestens wissen, daß das Materielle nie für alles gehalten wurde, was, sofern vorhanden, der Existenz völlige Befriedigung schafft. Man kann diese Annahme für ein Unding halten — vorausgesetzt, daß Technologie sich stets aus dem Sacrum herleitet! Die Technologie hat aber stets ein außerordentliches Ziel. Und wenn das Sacrum versiegt, muß das in der Kultur entstehende Loch durch etwas anderes ausgefüllt werden.

Kirsting verstieg sich bei der Brautschau von Technologie und Frömmigkeit auf so mystische Höhen, daß Steergard ihn gerade noch ausreden ließ. Und der Kontakt?

Selbstverständlich, für den Kontakt war auch er. Die Piloten hatten gar keine Meinung. Es lag nicht in ihrer Art, Rätselhaftes durch die Phantasie nach Seiten hin aufzubauschen, die mehr oder minder jenseits des Menschentums lagen.

Rotmont fand sich bereit, die technischen Aspekte einer Verständigung zu erörtern, vor allem die Frage, wie sich das Raumschiff vor den quintanischen Satellitenschwärmen schützen sollte. Er war der Ansicht, die Quinta könne in der Vergangenheit bereits von einer anderen Zivilisation besucht worden sein. Dies habe ein böses Ende genommen, und die Lehre sei beherzigt worden: Die Quintaner hatten sich gegen Invasionen abgeschottet, eine Technologie des universellen Mißtrauens hervorgebracht. Man müsse sie zunächst von den friedlichen Absichten der Menschen überzeugen, ihnen „Grußgeschenke“ zukommen lassen und die Reaktion abwarten.

El Salam und Gerbert waren ähnlicher Meinung. Steergard verfuhr dann doch nach eigenem Ermessen. Die „Grußgeschenke“ konnten vor der Landung kaputtgehen, das Schicksal der Fünferpatrouille um den Quinta-Mond war Fingerzeig genug. Er schoß einen großen Orbiter zur Sonne, damit dieser der Quinta als ferngesteuerter Botschafter die „Beglaubigungsschreiben“ überreichen konnte. Sie wurden als Lasersignale abgesetzt, die imstande waren, die Rauschhülle des Planeten zu durchdringen. Durch einen Redundanzcode wurde den Empfängern die Lehre erteilt, wie sie Kontakt aufnehmen konnten. Der Botschafter sendete das Programm ein paar hundertmal. Die Antwort war dumpfes Schweigen.

Drei Wochen lang wurde der Text der Botschaft auf alle mögliche Weise variiert — es gab keine Reaktion. Die Emissionsleistung wurde erhöht, die Lasernadel wanderte über die gesamte Planetenoberfläche, im Infrarot und Ultraviolett, in allen möglichen Modulationen. Der Planet gab keine Antwort.


Der Botschafter stopfte sich bei der Gelegenheit mit Details des Äußeren der Quinta voll und übermittelte sie dem HERMES. Auf den Kontinenten befanden sich Agglomerationen vom Ausmaß der großen Ballungszentren auf der Erde. Nachts waren sie unbeleuchtet, sie hatten die Form platter Sterne, ihre strauchartigen Verzweigungen gaben eine metalloide Reflexion. Von den Ausläufern gingen gerade Linien ab wie Verkehrsadern, auf denen sich aber nichts bewegte.

Je schärfere Bilder man über den Botschafter gewann (er war ein bißchen zum Kundschafter geworden), desto offensichtlicher erwiesen sich die von der Erde übernommenen Vermutungen als Unsinn. Die Linien waren weder Straßen noch Pipelines, und das Gelände dazwischen sah oft nur so aus wie Wald. Der vermeintliche Baumbestand wurde von einem Gewimmel regelmäßiger Blöcke mit zerzausten Schößlingen gebildet. Ihre Albedo ging fast auf Null: Sie schluckten mehr als 99 Prozent des einfallenden Sonnenlichts. Man Konnte sie folglich für Fotorezeptoren halten. Vielleicht hatte die Quinta auf diese Weise auch die „Beglaubigungsschreiben“ geschluckt, sie mit ihren Empfängern nicht als Information, sondern als Energiezufuhr behandelt? Der vor der Sonnenscheibe bisher unsichtbare Botschafter gab nun her, was er konnte. Er strahlte im Infrarot „Botschaften“ ab, die die Sonnenradiation in diesem Bereich hundertfach übertrafen. Nach gesundem Menschenverstand mußte er mit diesem kohärenten Licht die Wellenschlucker beschädigen, das Wartungspersonal hätte die Havarie und ihre Ursachen zu untersuchen gehabt, früher oder später würden höhere Fachleute dahinterkommen, daß die Strahlung Signalcharakter habe. Doch erneut vergingen Tage, und alles blieb, wie es war.

Die auf den Fotos festgehaltenen Bilder der Tag- und Nachthalbkugel des Planeten mehrten noch die Rätsel. Nach Sonnenuntergang wurde die Dunkelheit durch nichts erhellt — die beiden mit steilen, schneebedeckten Gebirgsketten aus dem Ozean ragenden Kontinente leuchteten nachts nur im gespenstischen Schein des Polarlichts, aber auch dieses Flakkern, das den unbewölkten Eisfeldern der Polkappen einen schauerlichen grüngoldenen Glanz verlieh, huschte nicht beliebig umher, sondern schien von einer unsichtbaren Riesenfaust gegen die Drehrichtung der Quinta gekehrt zu werden. Weder auf den Binnenseen der beiden ausgedehnten Festländer noch auf offenem Meer waren Schiffe zu entdecken, und da auf den Ausläufern der Geraden, die schnurstracks durch die bewaldeten Ebenen und die sich übereinander türmenden Bergrücken schnitten, ebenfalls keinerlei Bewegung war, konnten diese nicht dem Verkehr dienen. Dem Ozean der Südhalbkugel entragten wie unzählige, auf den uferlosen Wassern verstreute Perlen die erloschenen Vulkane scheinbar unbewohnter Archipele. Der einzige Kontinent dieser Halbkugel lag direkt am Pol unter einem riesigen Gletscher. Aus dem matten Silber seines ewigen Eises ragten vereinzelte Felsspitzen hervor, die Gipfel von Achttausendern, die unter der Eishülle verschlossen lagen. Im Tropengürtel, unter dem gefrorenen Ring, tobten Tag und Nacht Unwetter, deren Entladungen in violetten Blitzen vom Schild des Eises wie von einem schwindelerregend dahinjagenden Spiegel reflektiert und verstärkt wurden. Das Fehlen jeglicher Spur zivilisatorischer Betriebsamkeit, das Nichtvorhandensein von Hafenstädten in den Mündungen der Ströme, die gewölbten Metallschilde in den Gebirgskesseln die deren Grund mit einem nur spektrochemisch von natürlichem Gestein unterscheidbaren Panzerbelag verschlossen, die Abwesenheit jeglichen Flugverkehrs bei Vorhandensein von etwa hundert von niedrigen Gebäuden gesäumten Kosmodromen mit glatter Betondecke — all das machte die Schlußfolgerung unabweislich, daß jahrhundertelange Kämpfe die Quintaner ins Innere des Planeten gedrängt hatten, daß sie in diesem Untergrund ihr Leben führten, zur Beobachtung des Raums, von Himmel und Universum, angewiesen auf den metallenen Blick der Radioelektronik.

Wärmedifferenzmessungen entdeckten an der Oberfläche von Norstralien und Heparien thermische Flecken, so etwas wie Höhlenstädte, miteinander verbunden durch tief in den Boden gewühlte Gänge. Die genaue Strahlungsanalyse schien diese Vermutung jedoch Eugen zu strafen. Jeder der ausgedehnten Flecken, die vierzig Meilen Durchmesser erreichten, zeichnete sich durch einen sonderbaren Gradienten der abgeschiedenen Wärme aus: Am heißesten war das Zentrum, die Quelle der Strahlung aber lag unter der Lithosphäre, an der Grenze des Mantels.


Sollten die Quintaner die Energie aus dem flüssigen Kern ihres Planeten beziehen? Die riesigen, geometrischen regelmäßigen Felder, die man ursprünglich für landwirtschaftliche Nutzflächen gehalten hatte, waren in Wirklichkeit millionenfache Konzentrationen kegelförmiger Stümpfe, einer kilometerweiten Pflanzung von Pilzen aus Keramik gleichend. Sende- und Empfangsantennen für Radar — so lautete das abschließende Urteil der Physiker. Der Planet schien sich bewußt unter Wolken, Gewittern und Wirbelstürmen zu verkriechen, auf der Lauer liegend unter dem unablässigen Ruf der Signale, die um ein Echo, eine Antwort baten.

Ohne sicheres Ergebnis blieben die unter dem Zeichen der Archäologie angestellten Beobachtungen — um Spuren einer historischen Vergangenheit zu finden, Ruinen von Städten Entsprechungen irdischer Kult- und Sakralbauten wie Tempel und Pyramiden, antike Metropolen. Waren sie durch Kriege spurlos verwüstet worden oder Menschenaugen außerstande, sie in ihrer totalen Andersartigkeit zu erkennen so blieb als Brücke, die über diese Fremdheit geschlagen werden konnte, allein die Technik. Man forschte also nach Anlagen, die gewaltig gewesen sein mußten, da sie dazu gedient hatten, das Wasser der Ozeane in den Kosmos zu schleudern. Die Lokalisierung dieser Apparatur ließ sich nach universell gültigen, von der Physik entschiedenen Kriterien berechnen. Aus der Richtung der Rotation des Eisrings, aus seiner rings um den Äquator laufenden Bahn ließ sich auf die Anordnung der planetaren Wasserwerfer schließen.

Hier jedoch fuhr den Forschern ein Faktor in die Parade, der die Diagnostizierung jener Installationen erschwerte: Man hatte diese unzweifelhaft an der Berührungslinie von Festland und Ozean errichtet — in einer Gegend, über der jetzt der in Frost gebannte Ring kreiste und hinter den durch die ständige Reibung an der Gashülle verursachten Sturzbächen einer wilden Regenzeit genau die kritischen Stellen verbarg. Der Versuch, die Methoden nachzuvollziehen, mit deren Hilfe die Ingenieure der Quinta ein Jahrhundert zuvor ihren Ozean in den Raum geschossen hatten, war geplatzt. Die Archive des Raumschiffs quollen zwar über von sogenannten Indizfotos, die sich aber von kaum größerem Wert erwiesen als die Flecken auf den Tafeln des Rorschach-Tests.

Das Menschenauge konnte den unbegreiflichen Konturen der sich auf den Kontinenten wiederholenden Sternformen viele von der Erde mitgebrachte Vorstellungen und Vorurteile aufprägen! Welche Vielfalt an Formen und Gestalten kann der Mensch sehen oder sich vielmehr einbilden, wenn nur einen einigermaßen üppigen Tintenklecks betrachtet! Die Hilflosigkeit, die GOD vor diesen Tausenden Fotos erkennen ließ, machte den Menschen bewußt, daß in dieser auf scheinbar absolut objektive Informationsverarbeitung ausgerichteten Maschine dennoch ein Erbteil des Anthropozentrismus geronnen war.

Nakamura drückte das so aus: Man wollte etwas erfahren Über eine fremde Vernunft, und man erfuhr, welch enge Geistesverwandtschaft zwischen den Menschen und ihren Computern bestand. Die Nähe war es, die die fremde, fast in Reichweite befindliche Zivilisation so fern, die Versuche, zu ihrem Kern zu dringen, zum Gespött machte. Man lag im Kampf mit dem übermächtigen Eindruck einer boshaft auf die Expedition losgelassenen Perfidie, gerade so, als sei jemandem — aber wem? — daran gelegen gewesen, sie alle herauszufordern: mit einer Hoffnung, die sich erst am Ende des Weges, erst am Ziel als trügerisch erweisen sollte… Wer von diesem Gedanken geplagt wurde, verbarg es, um mit seiner Schwarzseherei nicht die Gefährten anzustecken. Nach siebzig Stunden fruchtloser diplomatischer Emission entschloß sich Steergard, eine erste Landefähre, GABRIEL genannt, zur Quinta zu schicken. Der Botschafter kündigte das achtundvierzig Stunden vor dem Start an und teilte den Quintanern mit, die Sonde sei völlig unbewaffnet und werde in Heparien, dem großen nördlichen Kontinent, landen, hundert Meilen von einer sternförmigen Bebauung entfernt, m unbewohnter Wüstengegend. Es handle sich um einen unbemannten Gesandten, mit dem die Heparianer sich in der Maschinensprache verständigen könnten. Obgleich auch diese Ankündigung vom Planeten nicht beantwortet wurde, brachte man im Aposelenium GABRIEL auf seine Bahn. Es war eine zweistufige Rakete mit einem Mikrocomputer, der neben den Standardprogrammen für den Kontakt auch über die Fähigkeit verfügte, diese bei unvorhergesehenen Umständen zu revidieren und zu ändern. Polassar hatte GABRIEL mit dem effektivsten der an Bord mitgeführten kleinen Terajoule-Triebwerke ausgerüstet, damit er die vierhunderttausend Kilometer bis zu dem Planeten in etwa einer Viertelstunde, mit einer Gipfelgeschwindigkeit von sechshundert Kilometern pro Sekunde, zurücklegen konnte. Erst über der Ionosphäre sollte er bremsen. Die Physiker wären durch Relaissonden, die man ihm vorausgeschickt hätte, gern in ständigem Kontakt mit ihm geblieben, aber der Kommandant verwarf solche Pläne. GABRIEL sollte auf sich selbst angewiesen bleiben und erst nach der weichen Landung Informationen übermitteln — über Wellen, die durch die Atmosphäre der Quinta gebündelt und auf den HERMES gerichtet werden sollten.

Eine vorherige Dislozierung von Relais in dem Raum zwischen dem Mond, hinter dem der HERMES sich verbarg, und dem Planeten hätte bemerkt werden und das Mißtrauen der paranoiden Zivilisation verstärken können. Der einsame Flug des GABRIEL unterstrich die Friedfertigkeit seiner Aufgabe.

Der HERMES verfolgte diesen Flug, der von den ausgefahrenen Spiegeln des Botschafters reflektiert wurde, wegen der Entfernung, aus der die Retransmission erfolgte, mit fünfminütiger Verspätung. Der phantastisch gekühlte Spiegelreflektor des Botschafters lieferte ein einwandfreies Bild. GABRIEL führte Manöver aus, die eine Ortung seines Mutterschiffs unmöglich machten, und erschien gleich darauf als dunkle Nadel vor dem weiß bewölkten Hintergrund der Planetenscheibe. Acht Minuten waren vergangen, als die Männer vor den Bildschirmen plötzlich erstarrten: Statt weiter dem vorgesehenen Landeplatz in Hepanen zuzustreben, zog GABRIEL in einer Kurve mit wachsendem Radius nach Süden und verlor vorzeitig Geschwindigkeit. Die Ursache wurde auf der Stelle sichtbar — im Subtropengürtel schössen vier schwarze Punkte auf GABRIEL zu, zwei von Osten und zwei von Westen, alle auf mathematisch idealen Jagdbahnen. Die östlichen Verfolger hatten die Distanz zu d m Gejagten bereits verfingen, als dieser seine Gestalt veränderte, aus einer Nadel zu einem Punkt wurde, umgeben von blendendem Glanz. Er hatte mit vierhundertfachem Andruck abgebremst und schoß, statt auf dem Planeten niederzugehen, kerzengerade nach oben. Auch die vier Jäger änderten den Kurs, näherten sich, einander GABRIEL hing scheinbar reglos im Zentrum des Trapezes, dessen Ecken die Verfolger bildeten. Das Trapez schrumpfte — ein Zeichen, daß auch die Jäger von der orbitären in die hyperbolische Bewegung übergegangen waren und, die Glut erhöhten Schubs speiend, einander näher kamen.

Steergard hätte den Programmierer Rotmont jetzt gern fragen mögen, was GABRIEL denn nun anstellen werde, da die von den Abfängern ausgestoßene Glut auf eine gewaltige Antriebsleistung schließen ließ. Jäger und Gejagter entwickelten eine solche Rückstoßenergie, daß in dem weißen Wolkenmeer ein breiter Trichter entstand. In der verdunkelten Steuerzentrale war es still. Keiner der Männer, die dieses einzigartige Schauspiel verfolgten, sagte ein Wort. Die vier Punkte kamen GABRIEL immer näher. Der Dopplersche Entfernungsmesser und der Beschleunigungsmesser ließen ihre roten Ziffern am Rande des Blickfelds rasen, als mäßen sie die Zahlen scheffelweise. Die Geschwindigkeit war kaum ablesbar.

GABRIEL war nicht mehr im Vorteil, er hatte Zeit für den Bremsvorgang und die Umkehr verloren, die Verfolger hatten unaufhörlich beschleunigen können und nahmen ihn nun in die Zange. GOD markierte auf dem Bildschirm den voraussichtlichen Schnutpunkt der fünf Flugbahnen. Den Meßgeräten zufolge konnte alles nur noch zwölf bis sechzehn Sekunden dauern. Diese Zeit kann selbst dem Menschen, der millionenfach langsamer als ein Computer denkt, sehr lang werden, noch dazu m Momenten hochgespannter Aufmerksamkeit. Steergard wußte selber nicht, ob es ein Fehler gewesen war die Sonde nicht wenigstens mit Defensivwaffen auszurüsten. Er fühlte sich überwältigt von einer ohnmächtigen Wut GABRIEL besaß nicht einmal eine Ladung, um sich selbst zu sprengen.

Auch ehrenwerte Absichten müssen ihre Grenzen haben konnte der Kommandant in Gedanken eben noch konstatieren, als das Viereck der Jagd auf das Maß eines winzigen Buchstaben schrumpfte. Obwohl Jäger und Gejagter sich von dem Planeten bereits um dessen Durchmesserweite entfernt hatten, brachte der Schlag ihres Rückstoßes das Zirrusmeer zum Brodeln, ein Wolkenfenster riß auf und gab den Blick frei auf den Ozean und die unregelmäßige Küstenlinie Hepariens.

Wolkenfetzen vergingen in der Öffnung wie Zuckerwatte in der Hitze.

Der dunkle Hintergrund des Ozeans verschlechterte die Sicht. Nur die unvermindert rot flimmernden Ziffern des Entfernungsmessers sagten etwas aus über die Situation GABRIELS. Die Jäger hatten ihn von vier Seiten umzingelt, sie waren da. Das Wolkenfenster bauchte sich plötzlich aus, als wüchse der Planet wie ein gewaltig geblähter Ballon, die Gravimeter gaben ein scharfes Knacken von sich, die Bildschirme erloschen, aber gleich darauf war das Bild wieder da. Das trichterförmige Wolkenfenster war wieder klein, weit weg und völlig leer.

Steergard erriet nicht sogleich, was vorgefallen war, und warf einen Blick auf die Entfernungsmesser. Überall blinkten rote Nullen.

„Jetzt hat er sie zur Schnecke gemacht!“ sagte jemand, Harrach wahrscheinlich, mit grimmiger Genugtuung. „Was ist da passiert?“ fragte Tempe verständnislos.

Steergard wußte es inzwischen, sagte aber nichts. Er war von der eisernen Gewißheit erfüllt, daß er, wenn er den Versuch wiederholte, eher das Raumschiff aufs Spiel setzte, als daß er die Aufnahme des Kontakts erzwang. In Gedanken schon weit von diesem ersten Scharmützel entfernt, grübelte er darüber nach, ob er weiter dem festgelegten Programm folgen sollte. Er hörte dabei kaum auf die erregten Stimmen im Steuerraum.

Rotmont mühte sich mit einer Erklärung ab, was GABRIEL gemacht hatte, ohne daß sein Kundschaftsauftrag das vorsah. Fr hatte durch eine siderale Implosion eine Quetschung des Raums und damit auch der Verfolger herbeigeführt. „Er hatte doch gar keinen Siderator!“ rief Tempe ver-blüfft. „Nein, aber er konnte einen herstellen, er besaß ja ein Teratrontriebwerk. Er drehte es, indem er es kurzschloß, und lenkte die sonst dem Antrieb dienende Energie ins eigene Innere — mit voller Pulle! Es war ein ganz schlauer Trick, ein riskantes Pokerspiel, aber GABRIEL machte es zum Bridge. Er kam mit dem höchsten Trumpf heraus: Nichts geht über den Zusammenbruch von Schwerefeldern. Dadurch hat er sich nicht schnappen lassen.“

„Warte mal!“ Tempe begann den Vorgang zu begreifen.

„Hat er das im Programm gehabt?“

„Aber nein! Er hatte Terawatts im Annihilationstriebwerk und volle Autonomie. Er spielte va banque. Das war eine Maschine, mein Lieber, kein Mensch. Also war es kein Selbstmord. Der Hauptdirektive zufolge durfte er sich manipulieren lassen — aber erst nach der Landung.“

„Hätte man ihm nach dieser Landung nicht das Teratron entfernen können?“ erkundigte sich Gerbert erstaunt. „Wie denn? Das gesamte Hecksegment einschließlich des Teratrons sollte beim Eintritt in die Atmosphäre schmelzen. Nach dem Anschmelzen des Stators hätte der innere Druck die Pole auseinandergesprengt, und zusammen mit der Kraftzentrale wäre alles in Klump gegangen. Noch dazu ohne die geringste Radioaktivität. Landen sollte nur das Bugsegment — um einen freundschaftlichen Small-talk mit den Gastgebern zu führen…“

„Hol der Teufel diese Arbeit!“ brauste Harrach auf. „Es galt als ausgemacht, daß die Raketen von denen da unten nicht diese Beschleunigung entwickeln können!

GABRIEL sollte durch den Satellitenmüll schießen wie eine Flintenkugel durch einen Bienenschwarm und anständig landen!“

„Warum hat er eigentlich nicht sein Triebwerk zerschmolzen, als sie ihn jagten?“ fragte der Arzt. „Warum ist eine Henne kein Segelflieger?“ Rotmont ließ sich von seiner Verärgerung hinreißen.

„Womit hätte er das Teratron denn schmelzen können? Die Energie zur Verbrennung des Antriebssegments sollte er doch von außen beziehen, aus der atmosphärischen Reibung! So war er projektiert. Das wußten Sie wohl nicht? Kommen wir also auf den Kern des Wettlaufs zurück. Entweder wäre er entkommen (wonach es aber überhaupt nicht aussah), oder sie hätten ihn im Raum erwischt, auf eine Umlaufbahn gezwungen und ausgeschlachtet. Hätte er den Kurzschluß erst gemacht, nachdem sie das Triebwerk erledigt hatten, so wäre es zur Explosion gekommen, und der Ringkörper mit den Rotoren wäre eventuell ganz geblieben. Da er es nicht dazu kommen lassen durfte, konzipierte er ein Schwarzes Loch mit doppeltem Ereignishorizont, sog durch den Kollaps die Verfolger in sich ein, und als die innere Sphäre in sich zusammenfiel, entwich die äußere. In diesem Maßstab gleichen sich die Effekte der Quantelung nämlich mit denen der Gravitation aus.

Der Raum erfuhr eine Krümmung — daher sahen wir die Quinta wie durch ein Vergrößerungsglas.“ Arago hatte bisher geschwiegen.

„Das war wirklich nicht programmiert?“ fragte er jetzt. „Diese Eventualität war nicht einmal im Ansatz vorgesehen?“

„Nein und nochmals nein! Die Maschine hat zum Glück mehr Verstand gehabt als wir!“ Rotmont machte kein Hehl mehr daraus, wie sauer er über die ganze Fragerei war. „Wehrlos wie ein Kleinkind sollte sie sein! Das Teratron GABRIELS war nicht darauf programmiert, durch Kurzschluß die hyperthermische Produktion von Kollapsaren auszulösen. Das hätten die dort unten ohne weiteres aus der Konstruktion schließen können, sie hatten es sogar schließen müssen, denn GABRIEL ist in wenigen Sekunden von selbst darauf gekommen.“

„Von selbst?“

Diese Bemerkung des Mönchs brachte Rotmont endgültig aus der Fassung.

„Ja, was denn sonst! Wie oft soll ich mich denn noch wiederholen? Er hatte einen Lichtstromcomputer mit einem Viertel der Kapazität von GOD! Sie, Pater Arago, verarbeiten in fünf Jahren nicht so viele Bits wie er in einer Mikrosekunde. Er hat sich geprüft und festgestellt, daß er das Teratron im Feld umkehren kann, wobei durch Polschluß ein mononuklearer Siderator entsteht. Mit seiner Entstehung fliegt er zwar auseinander, zugleich jedoch mit einem Kollaps..“

„Das war vorhersehbar“, merkte Nakamura an. „Wenn du auf einem Spaziergang von einem tollen Hund angefallen wirst, so ist, falls du einen Stock bei dir trägst, vorhersehbar, daß du von diesem Gebrauch machst“, gab Rotmont zurück. „Ich wundere mich nur, daß wir so naiv sein konnten! Jedenfalls ist es gut so. Sie haben ihre Gastlichkeit zu erkennen gegeben, und GABRIEL hat ihnen gezeigt, daß er sie durchschaut hat. Natürlich hätte man ihn mit einer konventionellen Ladung zur Selbstzerstörung ausrüsten können, aber der Kommandant wünschte es nicht…“

„Und das, was passiert ist, ist besser?“ fragte Arago. „Sollte ich ihm den Motor eines Rasenmähers einbauen? Er brauchte Energie, und die hat er bekommen. Daß ein Teratron in seinem Aufbau einem Siderator gleicht, entsprang nicht irgendeiner Laune von mir, sondern allein der Physik. Nicht wahr, Kollege Nakamura?“

„Das ist richtig“, bestätigte der Japaner. „Jedenfalls kennen die Quintaner weder die Siderotechnik noch die Gravistik — dafür wette ich meinen Kopf!“ konstatierte Rotmont.

„Woher weißt du das?“

„Weil sie sie sonst angewandt hätten. Dieser ganze Koloß, der dort auf dem Mond begraben liegt, ist unter dem Aspekt der Siderurgie doch nur alter Plunder. Wozu soll man Stollen ins Magma und in die Asthenosphäre treiben, wenn sich die Schwerkraft so transformieren laßt, daß sie Makroquanteneffekte liefert? Die Physik ist hier andere Wege gegangen, Umwege, die die Quintaner von der höchsten Trumpffarbe weggeführt haben. Zu unserem Glück! Schließlich wollen wir den Kontakt, nicht den Kampf.“

„Ja, aber können sie nicht gerade das Vorgefallene als Kampf ansehen?“

„Ja, gewiß können sie das.“

„Könnt ihr in etwa bestimmen, wo die Reste der von GABRIEL weggeräumten Jäger geblieben sind?“ wandte sich Steergard an die Physiker.

„Höchstens wenn der Kollaps stark asymmetrisch war. Ich will GOD fragen, bezweifle aber, daß die Gravisoren genaue Aufzeichnungen machen konnten. GOD?“

„Ich habe mitgehört“, sagte der Computer. „Eine Lokalisierung ist nicht möglich.


Die Druckwelle der äußeren Kerr-Hülle hat die Reste gegen die Sonne geschleudert.“

„Und in der Annäherung?“

„Entstand eine Unbestimmtheit von einem Parsek.“

„Das kann doch nicht sein!“

staunte Polassar. Auch Nakamura war verblüfft.

„Ich bin nicht sicher, ob Doktor Rotmont recht hat“, sagte GOD. „Vielleicht ergreife ich, enger als Doktor Rotmont mit GABRIEL verwandt, zu sehr Partei.

Außerdem aber habe ich — den erhaltenen Anweisungen folgend — seine Autonomie begrenzt.“

„Es geht hier nicht so sehr um Verwandtschaftsgrade.“ Der Kommandant fand keinen Geschmack an dem Witz der Maschine. „Sag, was du weißt.“

„Ich nehme an, daß GABRIEL lediglich verschwinden, sich in die Singularität verwandeln wollte. Er wußte, daß er damit weder uns noch den anderen schaden würde, da die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenstoßes mit dieser Singularität praktisch gleich Null ist: Sie hat den 10–50 fachen Durchmesser eines Protons.

Eher stoßen zwei Fliegen zusammen, von denen die eine in New York, die andere in Paris losfliegt.“

„Wen nimmst du eigentlich in Schutz? Doktor Rotmont oder dich?“

„Ich nehme niemanden m Schutz. Obgleich ich kein Mensch bin, spreche ich doch zu Menschen. Hermes und Eurydike stammen aus Griechenland. Möge das also wie vor den Mauern Trojas klingen: Da die Besatzung denjenigen, die GABRIEL programmiert und ausgesandt haben, keinen Glauben schenkt, lege ich einen olympischen Eid ab, daß der Kniff mit dem Kollaps in keinen Gedächtnisblock eingeführt worden ist.

GABRIEL erhielt ein Entscheidungsmaximum von einer Nanosekunde für die Heurese in deren sämtlichen Abläufen. 1031 war also die Kardinalzahl seines kombinatorischen Komplexes. Ich weiß nicht, welchen Gebrauch er von dieser Kapazität gemacht hat, aber ich weiß, wieviel Zeit er für seine Entscheidung hatte: drei bis vier Sekunden. Das war zuwenig, um das Holenbachsche Intervall zu bestimmen. Folglich stand er vor der Alternative alles oder nichts. Hatte er den Raum nicht durch den Kollaps verschlossen, wäre er explodiert wie hundert thermonukleare Megatonnenbomben. Dann nämlich wäre die beim Kurzschluß freigesetzte Energie explosiv gewesen. Angesichts dessen übertrieb er nach der anderen Seite: Das gab die Gewähr einer Implosion in die Singularität, und die Geschosse der Quintaner wurden bei der Gelegenheit unter die Kerr-Hülle geschluckt.“ GOD verstummte. Steergard sah der Reihe nach seine Leute an.

„Schön, ich nehme das zur Kenntnis. GABRIEL hat Gott seinen Geist zurückgegeben.

Davon jedoch, ob er die Quinta mattgesetzt hat, werden wir uns überzeugen. Wir bleiben an Ort und Stelle. Wer hat Dienst?“

„Ich“, sagte Tempe.

„Gut. Wir anderen gehen schlafen. Weckt mich, wenn etwas passiert.“

„GOD hält alles in seiner Hut“, meldete sich der Computer.

Allein geblieben, umkreiste der Pilot den in gedämpftem Licht Hegenden Steuerraum, einem Schwimmer gleich, der in unsichtbarem Wässer seine Runden zieht. An den matten, blinden Bildschirmwänden entlang schwang er sich unter die Decke und stieß sich, von einem unverhofften Gedanken gepackt, heftig ab, um zum Hauptvideoskop zu gelangen.

„GOD?“ fragte er halblaut. „Ich höre.“

„Zeig mir noch einmal die letzte Phase der Verfolgung. Um das Fünffache verlangsamt.“

„Optisch?“


„Ja, mit Infrarotüberlagerung, aber so, daß das Bild nicht zu sehr verwischt wird.“

„Der Grad der Unscharfe ist Geschmacksache“, erwiderte GOD. Gleichzeitig wurde der Bildschirm hell, an seinem Rand erschienen die Ziffern des Entfernungsmessers — nicht in rasendem Lauf wie vorhin, sondern in kleinen Sprüngen.

„Leg ein Netz über das Bild.“

„Bitte sehr.“

Das stereometrisch zerteilte Bild war weiß von Wolken. Plötzlich kam es ms Schwanken, als würde es von Wasser überschwemmt. Die Linien des geodätischen Netzes krümmten sich. Die Distanz zwischen GABRIEL und den Verfolgern schwand.

Infolge der Verlangsamung passierte alles wie in einem Wassertropfen unter dem Mikroskop, wenn kommaförmige Bakterien auf ein schwarzes Schwebeteilchen zuschwimmen. „Das Dopplersche Differentialtelemeter!“ sagte Tempe.

„Der Raum verliert den euklidischen Charakter“, erwiderte GOD, schaltete aber den Differentiator zu. Die Maschen des Netzes zuckten und bogen sich, aber die Entfernung war ungefähr abzuschätzen. Die Kommas waren auf ein paar hundert Meter an GABRIEL heran. In diesem Moment blähte sich ein riesiger Teil des Planeten unterhalb der fünf dicht beieinander liegenden schwarzen Punkte gewaltig auf und kehrte sogleich zu seinem gewöhnlichen Aussehen zurück. Die schwarzen Punkte waren verschwunden, an ihrer Stelle gab es ein leichtes Flimmern wie von erhitzter Luft, darauf folgte ein schrecklicher roter Glast, einer Fontäne funkelnden Blutes gleich, das zu einer scharlachroten Blase wurde und dann in trübem Braun erlosch. Die von dem Schlag Tausende von Meilen weggefegten Wolkenfetzen wälzten sich träge über die Fläche des Ozeans, die dunkler war als die östliche Küste. Das Fenster mit den geknäulten Rändern blieb weit geöffnet — gähnend leer. „Die Gravimeter!“ sagte der Pilot. „Bitte sehr.“

Das Bild blieb unverändert, nur die geodätischen Linien wanden sich in der Mitte wie verfilzte Fäden. „Die Mikrograviskopie! GOD, du weißt doch ganz genau, was ich will!“

„Aber ja!“

GOD sprach wie stets mit seiner emotionslosen Stimme, aber der Pilot glaubte einen impertinenten Ton herauszuhören, als wolle ihn die Maschine, die ihm an Fixigkeit überlegen war, merken lassen, wie widerwillig sie seine Befehle ausführte. Im Knäuel der verwickelten geodätischen Linien zeigte sich ein kaum erkennbares Kräuseln, das die Dichte des Netzes durchlief und sich verlor. Das geodätische Gewirr richtete sich wieder aus, vor dem wei-ßen Planeten, der in seiner Wolkendecke nur ein Loch trug wie das Auge eines Zyklons, stand rechtwinklig das Netz der Schwerkraftkoordinaten.

„GABRIEL hat Nukleonen aus dem Teravoltbereich in sich hineingeschossen, nicht wahr?“ fragte der Pilot. „Ja.“

„Auf einer Tangente mit einer Genauigkeit von einem Heisenberg?“

„Ja.“

„Wo hat er die zusätzliche Energie hergenommen? Seine Masse war doch viel zu gering, um den Raum zu einem Mikroloch zu deformieren.“

„Das Teratron arbeitet im Kurzschluß wie ein Siderator. Es bezieht die Energie von außen.“

„Wo ein Defizit entsteht?“

„Ja.“

„Als negative Energie?“

„Ja.“

„In welcher Reichweite?“

„Bei Supralichtgeschwindigkeit im Raumjenseits hat GA-BRIEL sie m einem Radius von einer Million Kilometer bezogen.“


„Warum ist das sowohl der Quinta und ihrem Mond als auch uns verborgen geblieben?“

„Weil es eine Quantenanleihe im Holenbachschen Intervall war. Soll ich es weiter erläutern?“

„Nicht nötig“, sagte der Pilot. „Da der Kollaps in kürzerer Zeit als dem millionsten Bruchteil einer Nanosekunde erfolgte, entstanden zwei konzentrische Ereignishorizonte nach Rahman-Kerr.“

„Jawohl“, sagte GOD. Er konnte sich nicht wundern, aber der Pilot vernahm aus diesem Wort doch Respekt. „Das heißt, daß die von GABRIEL hinterlassene Singularität nicht mehr auf dieser Welt ist. Rechne mal nach, ob ich recht habe.“

„Ich habe bereits gerechnet,“ erwiderte GOD. „Die Wahrscheinlichkeit, daß es sich so verhält, beträgt 1: 10 000.“

„Warum fabelst du dann dem Kommandanten etwas über Fliegen vor?“

„Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gleich Null.“

„Den geodätischen Bewegungen zufolge hatte der Kollaps eine starke heliofugale Beulung. Reduziert man die Massen aller im System vorhandenen Körper auf Punkte, so kann man den Brennpunkt berechnen, der die Raketen der anderen durch den Makrotunneleffekt zerlegt hat. Stimmt's?“

„Es stimmt.“

„Die Verunschärfung muß kürzer sein als ein Parsek. Kannst du rechnen?“

„Ja.“

„Nun?“

„Die Tunnelung verläuft probabilistisch, während die unabhängigen Wahrscheinlichkeiten zunehmen.“

„Übersetzen wir das in die Sprache des gesunden Menschenverstands: Neben der Zeta gibt es in diesem System noch weitere neun Planeten. Es entsteht ein unlineares Gleichungssystem, das nicht zu integrieren ist, aber die Planeten haben das Drehmoment der Protosonne aufgegriffen, so daß sich die Masse des gesamten Systems auf das Zentrum zurückführen läßt.“

„Das ist sehr ungenau.“

„Ja, aber nicht auf ein Parsek.“

„Gehören Sie zur Sparte der sogenannten phänomenalen Rechenkünstler?“ fragte GOD.

„Nein. Ich entstamme einer Zeit, als man auch noch ohne Computer auskam. Man peilte über den Daumen oder rechnete PI mal Fensterkreuz. Wer das nicht konnte, starb in meinem Job einen frühen Tod. Warum sagst du nichts?“

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“

„Daß du nicht unfehlbar bist.“

„Ich bin es nicht.“

„Und GOD dürftest du dich nicht nennen.“

„Nicht ich habe mir diesen Namen gegeben.“

„Mit der Geschwätzigkeit eines Computers können es nicht einmal Frauen aufnehmen. GOD, du berechnest jetzt die Distribution der Wahrscheinlichkeit innerhalb deines Parsek — sie sollte bimodal sein. Die entsprechende Gegend überträgst du auf die Sternenkarte und übergibst sie morgen früh dem Kommandanten mit der Erklärung, daß du das nicht ausrechnen wolltest.“

„Ich hatte dazu keinen Befehl.“

„Den hast du jetzt von mir. Verstanden?“

„Jawohl.“

Damit endete das nächtliche Gespräch im Steuerraum,

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