XII Der Paroxysmus

Siderale Operationen als Erscheinungen von astronomischer Dimension können wegen der bei ihnen freigesetzten Gewalten für den Beobachter kein so tiefgreifendes und er-schütterndes Erlebnis sein wie eine Überschwemmung oder ein Wirbelsturm.

Schon ein Erdbeben, ein in stellarem Maßstab submikroskopischer Vorfall, überschreitet die Aufnahmefähigkeit der menschlichen Sinne. Wirkliches Grauen wie auch überwältigendes Entzücken wecken im Menschen die Ereignisse, die weder zu gigantisch noch zu geringfügig sind. Ein Stern läßt sich nicht erleben wie ein Stein oder ein Brillant. Der kleinste Stern schon, ein Ozean von Ozeanen ewiger Glut, wird bereits in einer Entfernung von einer Million Kilometern zu einer das Gesichtsfeld ausfüllenden Feuerwand, und in der Annäherung verliert er jegliche Gestalt, zerfällt in chaotische Wirbel gleichermaßen blendender Flammen. Nur aus großer Ferne schrumpfen die kühleren Trichter der Chromosphäre zu Sonnenflecken. Diese selbe Regel übrigens, die das Erleben der Größe vereitelt, wirkt auch unter den Menschen selbst. Man kann mit einem Individuum, einer Familie mitfühlen, die Vernichtung von Tausenden oder gar Millionen Geschöpfen verschließt sich in den Zahlen einer Abstraktion, deren existen-tieller Gehalt sich nicht erfassen läßt.

Daher ist die durch Kavitation erfolgende Zertrümmerung eines Himmelskörpers, eines Planeten oder Mondes, ein seltsam bescheidenes Schauspiel, das nicht nur mit schläfriger Langsamkeit abrollt, sondern durch den lautlosen und trägen Verlauf künstlich und vorgetäuscht erscheint, zumal man es, um bei der Beobachtung nicht umzukommen, durch ein Teleskop oder auf dem Bildschirm betrachten muß. Die Sideralchirurgen beobachten die fortschreitende Explosion durch Filter, die nacheinander vor die Öffnung der Objektive geschoben werden, damit man genau die einzelnen Phasen des Zerfalls verfolgen kann. Infolgedessen macht das selektiv in den monochromatischen Streifen des Spektrums betrachtete, einmal strohgelbe, dann wieder zinnoberrote Bild den Eindruck eines unschuldigen Spiels mit einem Kaleidoskop, nicht aber den einer alle menschlichen Begriffe übersteigenden Katastrophe.

Die Quinta schwieg bis zur Stunde Null. Die Kavitation des Mondes sollte durch achtzehn Geschosse verursacht werden, die auf evolventenförmigen Bahnen aus großer Entfernung zum Äquator geführt wurden.

Leider erwies sich, wie recht GOD gehabt hatte, als er diese Operation aus dem Bereich der sicher berechenbaren Unternehmungen herausnahm.

Wenn alle Sprengköpfe im gleichen Winkel auf der Kruste des wüsten Trabanten aufgetroffen wären, Tunnel hineingetrieben hätten, sich in dem schweren Kern getroffen und mit der programmierten Sekundengenauigkeit die dort noch nicht erstarrte, noch halbflüssige Masse in Gas verwandelt hätten — dann hätten sich die Mondtrümmer, neben denen die Ketten des Himalaya wie Krümel erschienen wären, auf der bisherigen Umlaufbahn verteilt, die Druckwelle der plötzlich freigesetzten Energie hätte auf dem Planeten nur mäßige Beben verursacht und den Ozean wie in einer Serie von langen Dünungen gegen die Festlandssockel geworfen.

Die Quinta hatte jedoch in die Operation eingegriffen. Die drei Geschosse des HERMES, die den Mond von der Seite des Planeten her anflogen, wurden von schweren ballistischen Raketen getroffen, verwandelten diese zwar in lodernde Gasknäuel, zündeten dabei aber vorzeitig ihre sidera-len Sprengladungen.

Infolgedessen kam es nicht zu der geplanten Zentrierung sämtlicher Schläge im Mondkern, und die Kavitation verlief exzentrisch. Ein Teil der südlichen Kruste mitsamt gewaltigen Felsmassen brach auf die Quinta nieder, während der Rest, etwa sechs Siebtel der Masse, auf eine höhere Umlaufbahn stieg. Dies rührte daher, daß die Sideratoren sich in Spiralen durch die Kruste in den Kern bohren, die auf der der Quinta zugewandten Seite den platzenden Mond also zum Planeten, die auf der abgewandten Seite zur Sonne hin treiben sollten. Da nun gerade die Raketen, die den Planeten vor dem Meteoritenhagel bewahren sollten, gerammt worden waren, stürzten an die einhundert Trillionen Tonnen Gesteinsmassen in vielerlei elliptischen Bahnen auf die Quinta. Ein Teil verglühte durch atmosphärische Reibung, die größten Trümmer jedoch, Trillionen Tonnen, fielen breitgestreut in den Ozean, und die äußersten bombardierten noch die Küste Norstraliens. Der Planet bekam die Mondtrümmer in die Seite wie eine in spitzem Winkel auftreffende Schrotladung. Zwei Hundertstelsekunden nach der Zündung der Kavitationssprengköpfe überzog sich der Mond mit einer gelblichen Wolke, so dicht, daß es aussah, als wüchse und schwölle er an. Dann — ungewöhnlich langsam, wie in einer Zeitlupenaufnahme — brach er in unregelmäßige Stücke auseinander, einer Orange gleich, die von unsichtbaren Krallen zerrissen wird.

Aus den Schrunden der Kruste schössen lange Strahlen heller, sonnengleicher Glut. In der achten Sekunde der Kavitation flammten die Knäuel der Druckwelle auf und verliehen dem Mond das Aussehen eines gewaltigen Feuerbuschs im Weltraum. Der Glanz verdunkelte selbst die nächsten Sterne.

Im Gravitationssteuerraum hockten alle wie erstarrt vor den Monitoren. Nur das Ticken der Chronometer war zu hören, die das Fortschreiten des Lunoklasmus maßen. Aus dem Feuerball schössen unter Wirbeln von Rauch und Staub ganze Hochgebirge von Vulkanen, die wie Kartätschen platzten. Schließlich zog sich die schreckliche Wolke langsam auseinander, ihre zunächst buschige Kugelgestalt streckte sich. Keiner brauchte auf die Instrumente zu blik-ken, um zu wissen, daß der Mond in einigen Stunden auf den Planeten stürzen würde. Er traf ihn — zu Vorteil oder Nachteil — entfernt von dem Eisring. Diesen durchschlug nur im Norden ein Schwärm verirrter Trümmer, die im Aneinanderstoßen dicht über der Atmosphäre wie ein Feuerwerk sprühten.

So war die Demonstration der Stärke in eine Katastrophe abgeglitten.

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