Was mathematisch ungewöhnlich wenig wahrscheinlich ist, hat die Eigenschaft, daß es zuweilen dennoch eintrifft. Von den drei Abfangraketen, die in den gequetschten Raum gesogen und durch die Schwererelaxation in heliofugale Richtung geschleudert worden waren, fand sich keine Spur, die vierte jedoch spürte der HERMES nach kaum acht Tagen auf und nahm sie an Bord. GOD erklärte diesen wahrhaft besonderen Zufall mit einer ausgeklügelten Version topologischer Analyse durch Verwendung transfinaler Ergodikderivate, aber Nakamura, der durch Steergard von dem nächtlichen Streitgespräch zwischen GOD und dem Piloten wußte, bemerkte dazu, daß man die Berechnungen jederzeit nach dem tatsächlich Vorgefallenen zurechtbiegen könne — die entsprechenden Tricks seien jedermann geläufig, der sich mit angewandter Mathematik befasse. Als die Kräne das zerfetzte, zerdrückte Wrack an Bord hievten, wollte Nakamura seine Neugier stillen und fragte den Piloten, wie er auf den treffenden Schluß gekommen sei.
Tempe lachte auf.
„Mathematiker bin ich überhaupt nicht. Wenn ich einen Schluß gezogen habe, so weiß ich nicht, wie das vor sich gegangen ist. Ich erinnere mich nicht mehr, wer mir wann einmal bewiesen hat, daß jemand, der die Wahrscheinlichkeit seiner eigenen Geburt bestimmen will und zu diesem Zweck den Stammbaum über Eltern, Großeltern und Urgroßeltern zurückverfolgt, eine Wahrscheinlichkeit herausbekommt, die beliebig nahe bei Null liegt. Haben schon die Eltern sich nicht ganz zufällig getroffen, so ganz gewiß die Großeltern, und gelangt man zurück ins Mittelalter, so ist die Kapazität des Komplexes aller möglichen Vorfälle, die sämtliche für die Geburt notwendigen Zeugungen und Niederkünfte ausgeschlossen hätten, größer als die sämtlicher Atome im Kosmos. Anders ausgedrückt: Keiner von uns hat auch nur den geringsten Zweifel, daß er existiert, aber durch keinerlei Stochastik hätte sich das ein paar Jahrhunderte zuvor vorausbestimmen lassen.“
„Nun ja, aber was hat das mit den Singularitätseffekten im Holenbachschen Intervall zu tun?“
„Keine Ahnung. Wahrscheinlich nichts. Ich kenne mich in der Singularität nicht aus.“
„Niemand kennt sich da aus. Der Apostolische Gesandte würde vielleicht sagen, es sei eine Eingebung von oben gewesen.“
„Von oben wohl nicht. Ich habe mir einfach das Ende GABRIELS genau angesehen.
Ich wußte, daß er die Verfolger nicht zerstören wollte. Daher tat er alles, um sie nicht unter den Kerr-Horizont zu ziehen. Ich sah, daß sie nicht ideal gleichmäßig hinter GABRIEL herkamen. Wenn sie sich in der Entfernung unterschieden, dann vielleicht auch in ihrem Schicksal.“
„Und auf dieser Grundlage…?“ Auch der Japaner lächelte jetzt.
„Nicht nur. Die Rechenleistung hat eine Grenze — den limes computibilitatis. GOD steht an dieser Grenze. An Berechnungen, von denen er weiß, daß sie transkomputibel sind, geht er nicht heran, also löst er sie auch nicht. Er hat es nicht einmal versucht, und ich hatte Glück. Was sagt die Physik über das Glück?“
„Dasselbe wie über das Klatschen mit einer Hand“, erwiderte der Japaner. „Das ist Zen?“
„Ja, aber nun folgen Sie mir bitte. Ihnen steht Finderlohn zu.“ Im Glanz der Lampen, auf dem Podium aus Duraluminium mitten in der Halle, lag wie ein verkohlter, aufgeschlitzter Fisch das schwarze Wrack. Die Obduktion hatte den bereits bekannten Aufbau aus kleinen Kammern ergeben, dazu Lichtstromtriebwerke von beträchtlicher Leistung und im Bug ein geschmolzenes Gerät, das Polasser für einen Laserstrahler hielt, während Nakamura meinte, es sei ein spezieller Apparat zur Löschung des Lichtschubs, denn GABRIEL sollte nicht zerstört, sondern gefangen werden. Polassar schlug vor, den vierzig Meter langen Leichnam von Bord zu entfernen, da er mit den zuvor aufgegriffenen fast die halbe Halle füllte. Wozu sollte man aus ihr einen Lagerraum für Gerumpel machen, das nur Ballast bildete? El Salam widersprach und wollte wenigstens ein Exemplar, am liebsten das letzte, an Bord behalten, obwohl er, vom Kommandanten gefragt, keinen rationalen Grund dafür anzugeben wußte.
Steergard interessierte sich für diese Frage überhaupt nicht. Er hielt die Lage für radikal verändert und wollte von seinen Leuten hören, welchen Schritt sie jetzt für den angemessenen oder richtigsten ansahen.
Nachdem der Satellitenschrott über Bord geworfen war, sollte eine Beratung stattfinden. Die beiden Physiker suchten zuvor Rotmont auf, um — wie Polassar boshaft bemerkte — „das einleitende Referat auszuarbeiten und durch eine Bibliographie abzusichern“.
In Wirklichkeit wollten die drei ihre Standpunkte aufeinander abstimmen, weil sich seit der Zerstörung GABRIELS m den Gesprächen innerhalb der Crew Anzeichen einer Spaltung bemerkbar machten.
Niemand wußte, wer das Wort von einer „Demonstration der Stärke“ aufgebracht hatte. Harrach sprach sich kategorisch, El Salam mit Vorbehalten für eine solche Taktik aus. Die Physiker und Rotmont waren dagegen, und Steergard hörte zwar nur zu, schien aber auf der Seite der letzteren zu stehen. Die anderen enthielten sich jeder Wortmeldung. Auf der Beratung gerieten die beiden Gruppen heftig aneinander. Kirsting verstärkte — eher unerwartet — die Reihen der Fürsprecher einer Demonstration.
„Gewalt ist ein unabweisbares Argument“, gab Steergard schließlich sein Urteil ab. „Ich habe gegen eine solche Strategie drei Vorbehalte, und jeder von ihnen ist eine Frage: Verfügen wir ganz gewiß über die Überlegenheit? Kann eine derartige Erpressung die Aufnahme des Kontakts herbeiführen? Werden wir bereit sein, unsere Drohungen wahrzumachen, wenn die anderen nicht nachgeben? Das sind rhetorische Fragen. Keiner von uns kann sie entscheiden. Die Konsequenzen einer auf die Demonstration der Stärke gebauten Strategie sind unvorhersehbar. Wenn jemand anderer Meinung ist, soll er sich bitte äußern.“ Die zehn Männer in der Kajüte des Kommandanten sahen einander abwartend an.
„Was mich und El Salam angeht“, sagte Harrach, „so wünschen wir, daß der Kommandant seine Alternative darlegt. Wir von uns aus sehen eine solche nicht.
Wir sind in eine Zwangslage geraten, das dürfte klar sein. Drohung, Demonstration der Stärke, Erpressung — das sind Wörter, die abscheulich klingen.
In die Tat umgesetzt, können sie zu katastrophalen Folgen führen. Die Frage nach unserer Überlegenheit bedeutet am wenigsten. Es geht nicht darum, ob wir sie haben, sondern darum, daß die anderen das glauben und nachgeben, ohne den Kampf aufzunehmen.“
„Den Kampf…?“ wiederholte wie ein Echo der Mönch. „Das Geplänkel, das Scharmützel. Gefällt Ihnen das besser? Euphemismen sind hier nicht angebracht. Die Androhung von Gewalt, welcher Art sie auch sein mag, muß real sein, denn Drohungen, hinter denen nicht die Aussicht steht, daß sie wahrgemacht werden, verfehlen taktisch und strategisch ihren Zweck.“
„Es darf nichts unausgesprochen bleiben“, stimmte Steergard zu. „Möglich wäre allerdings auch ein Bluff…“
„Nein“, widersprach Kirsting. „Der Bluff setzt ein Minimum an Kenntnis der Spielregeln voraus. Wir besitzen diese Kenntnis gar nicht.“
„Gut“, gab Steergard zu. „Setzen wir voraus, daß wir ein echtes Übergewicht besitzen und es vorweisen können, ohne den anderen direkten Schaden zuzufügen. Das wäre eine offene Drohung. Sollte dieser Versuch vergeblich sein, so werden wir Harrach zufolge eine Schlacht schlagen oder sie zumindest abwehren müssen. Besonders günstige Vorbedingungen für eine Verständigung sind das nicht.“
„Nein, keineswegs“, unterstützte Nakamura den Kommandanten. „Es sind die schlechtesten aller Ausgangsbedingungen. Allerdings haben nicht wir sie geschaffen.“
„Darf ich etwas einwenden?“ fragte Arago. „Wir wissen nicht, wozu sie GABRIEL abfangen wollten. Ganz sicher zu dem Zweck, mit ihm das zu tun, was wir mit ihren beiden Satelliten in der Nähe der Juno und jetzt mit ihrer Rakete gemacht haben. Wir sind aber nicht der Ansicht, daß wir wie Aggressoren gehandelt haben. Wir wollten die Schöpfungen ihrer Technik, sie die Schöpfungen unserer Technik untersuchen. Das ist eine einfache Symmetrie.
Also darf nicht die Rede sein von einer spektakulären Destruktion, einer Demonstration der Stärke, einem Kampf. Ein Fehler muß nicht identisch sein mit einem Verbrechen. Er muß nicht, aber er kann.“
„Es gibt keine Symmetrie“, erhob Kirsting Einspruch. „Wir haben insgesamt acht Millionen Informationsbits ausgesandt, vom Botschafter aus mehr als siebenhundert Stunden lang rund um die Uhr auf allen Wellenlängen gesendet. Wir haben Lasersignale gegeben, die Codes und Instruktionen zur Dechiffrierung geliefert, eine Landefähre ohne ein Gramm Sprengstoff entsandt. Unter den von uns übermittelten Nachrichten befanden sich die Lokalisierung unseres Sonnensystems. Bilder der Erde, ein Abriß der Entstehung unserer Biosphäre.
Angaben über die Anthropogenese — eine ganze Enzyklopädie also. Dazu physikalische Konstanten, die kosmisches Allgemeingut und ihnen wohlbekannt sein müssen.“
„Aber von der Sideraltechnologie, der Holenbachschen Forammistik und den Heisenbergschen Einheiten war da wohl kaum etwas dabei, nicht wahr?“ fragte Rotmont. „Ebensowenig wie von unseren Antriebssystemen und der Schwereortung, dem ganzen SETI-Projekt, der EURYDIKE, den GRACERN, dem Hades…“
„Nein“, sagte El Salam. „Du weißt am besten, was nicht dabei war, denn du hast die Programme für den Botschafter zusammengestellt. Es gab auch nichts über Vernichtungslager, Weltkriege, Scheiterhaufen und Hexenprozesse. Wenn jemand einen Antrittsbesuch macht, packt er nicht gleich alle Sünden seiner selbst oder seiner Eltern auf den Tisch! Hätten wir die anderen ganz allgemein und in aller Höflichkeit wissen lassen, daß wir aus einer Masse, die größer als der hiesige Mond ist, etwas machen können, was in ein Schlüsselloch paßt, so würde der hier anwesende Pater Arago sagen, dies sei bereits der Anfang einer frevelhaften Erpressung.“
„Ich biete mich als Schiedsrichter an“, mischte sich Tempe ein. „Da die anderen nicht in Höhlen sitzen und aus Steinen Feuer schlagen, sondern mindestens im Durchmesser ihres Sonnensystems Raumfahrt betreiben, wissen sie, daß wir nicht mit Paddeln, mit einem Segelboot oder einem Rindenkanu gekommen sein können.
Ebendies jedoch, daß wir aus einer Entfernung von vielen hundert Parsek direkt hierhergekommen sind, bedeutet mehr als jedes Spiel selbst mit den dicksten Muskeln.“
„Recte. Habet“, flüsterte Arago.
„Tempe hat recht“, stimmte der Kommandant zu. „Allein durch unser Erscheinen haben wir sie in Sorge versetzen können, zumal sie noch nicht zur Galaktodromie imstande sind, aber bereits wissen, welche Größenordnungen an Energie dafür vonnöten sind… Bis zum Einsatz des Botschafters haben wir angenommen, sie wüßten nichts von uns. Haben sie den HERMES viel früher entdeckt — immerhin kreisen wir hier schon den dritten Monat —, so war es unser Schweigen, unsere Tarnung, was sie in Schrecken versetzen konnte.“ Harrach zuckte unwirsch die Achseln.
„Du übertreibst, Astrogator!“
„Durchaus nicht. Stell dir vor, im Jahre 1950 oder 1990 wären über der Erde meilenlange Galaxiskreuzer erschienen. Selbst wenn sie ausschließlich Schokolade abgeworfen hätten, wäre es zu Panik und Chaos, zu einer unbeschreiblichen Verwirrung und zu politischen Krisen gekommen. Jede Zivilisation in ihrer mehrstaatlichen Phase muß eine Menge innerer Konflikte haben. Es bedarf keiner Demonstration der Stärke, denn hundert Parsek zurückgelegt zu haben ist gegen jedermann, der dazu nicht imstande ist, Demonstration genug…“
„Also schön, Kommandant, was meinst du also, was wir tun sollen? Wie sollen wir den Beweis erbringen, daß wir in guter, sanfter, friedlicher und freundschaftlicher Absicht kommen? Wie können wir ihnen versichern, daß sie von uns nichts zu fürchten haben und daß wir ein Ausflug braver Pfadfinder unter der Obhut eines Priesters sind — jetzt, nachdem unser kleiner Erzengel vier ihrer perfektesten Kampfmaschinen, die fünfzigmal schwerer waren als er, wie Stäubchen ins Jenseits von Zeit und Raum gepustet hat? Ich sehe, El Salam und ich waren im Irrtum. Da kommen Gäste mit Blumensträußen, im Garten fällt sie der Hund des Hausherrn an, einer will ihn mit dem Schirm verjagen und durchbohrt die Tante des Gastgebers!
Was sollen wir noch von einer Demonstration der Stärke reden, das ist Schnee von gestern! Sie hat doch schon stattgefunden!“ Harrach grinste breit, nicht ohne Bosheit. Er sprach zwar zu dem Kommandanten, sah aber den Geistlichen an. „Die Asymmetrie liegt nicht dort, wo ihr sie vermutet“, sagte der Dominikaner.
„Jemandem, der uns nicht versteht, können wir nicht die Frohe Botschaft bringen.
Himmlische Absichten lassen sich nicht beweisen, solange sie reine Intention sind. Beweisen dagegen läßt sich das Böse, indem man Schaden anrichtet. Es ist ein circulus vitiosus: Um uns mit ihnen zu verständigen, müssen wir sie von unseren friedlichen Absichten überzeugen, und um sie von diesen Absichten zu überzeugen, müssen wir uns erst mit ihnen verständigen. .“
„Alles das, was hier passiert ist und noch passieren kann, ist also von unseren großen Denkern, den Projektanten und Direktoren von CETI und SETI, gar nicht in Betracht gezogen worden?“ fragte Tempe voller Rage. „Und das kommt jetzt alles auf uns herunter wie eine Zimmerdecke? Das ist doch unglaublich blödsinnig!“
Die Kajüte war erfüllt von einem Gewirr aufgebrachter Stimmen. Steergard schwieg. Ohne sich bis ins letzte darüber Rechenschaft zu geben, sah er in diesem Streit, dessen Fruchtlosigkeit er erkannte, ein Ventil für die Erbitterung, die sich während der immer wieder erfolglosen Verständigungsversuche mit der Quinta angestaut hatte — das Resultat durchwachter Nächte, umsonst aufgewandten Scharfsinns bei der Erforschung des Mondes, der Aufstellung von Hypothesen, die keinen Einblick in die fremde Zivilisation gaben, sondern wie Kartenhäuser in sich zusammenfielen, die einen zu dem Gefühl verleiteten, von unlösbaren Rätseln umstellt zu sein, in einem ausweglosen Gestrüpp herumzuirren, die anderen aber in dem zunehmenden Verdacht bestärkten, daß die Quintaner an einer kollektiven Paranoia litten. Wenn letzteres tatsächlich der Fall sein sollte, so war diese Paranoia ansteckend.
Steergard bemerkte, daß über dem Tisch in seiner Koje, die hinten in der Kajüte lag, das Anzeigegerät dunkel war. Einer der Männer hatte auf dem Weg hierher im Steuerraum den Schalter betätigt und das Zentralhirn des Raumschiffs von der Kabine getrennt, als wünschte er bei dieser Zusammenkunft nicht die eisigrationale, logische Anwesenheit von GOD. Der Kommandant fragte nicht, wer das getan hatte. Er kannte seine Leute und wußte, daß es unter ihnen keinen Feigling oder Lügner gab, der diese Handlung geleugnet hätte, aber diese konnte auch ein schlichtweg unbewußter Akt gewesen sein, als wolle man vor einem Fremden seine Blöße bedecken, ein rascherer Reflex als die Scham.
Er sagte also nichts, schaltete jedoch das Terminal ein und verlangte von GOD die optimale Entscheidungsprognose. GOD machte den Vorbehalt, daß es ihm für eine Optimierung an ausreichenden Daten fehle. Hinter der Frage stecke ein unvermeidlicher Anthropozentrismus. Die Menschen äußern sich über sich und andere gut oder schlecht. Das gilt auch für die Ansichten über ihre Geschichte.
Viele hielten sie für eine Häufung von Grausamkeiten, sinnlosen Feldzügen, die sogar außerhalb jeder Ethik sinnlos waren, da sie weder den Angreifern noch den Opfern etwas brachten außer der Zerstörung von Kulturen, dem Untergang von Imperien, auf deren Trümmern neue entstanden — mit einem Wort, die meisten Menschen verabscheuen ihre Geschichte, im allgemeinen aber sieht sie keiner als scheußlichen, schrecklichsten aller möglichen psychozoischen Exzesse im ganzen Universum an, betrachtet keiner die Erde als einen Planeten von Räubern und Mördern, als den einzigen von Millionen Himmelskörpern, der ganz gegen die kosmische Norm von Unrecht und Blut als Effekt der Vernunft überschwemmt wurde.
Ohne davon zu wissen oder sich darüber Gedanken zu machen, halten die Menschen im Innersten die irdische Geschichte in deren gesamtem Verlauf von Paläopithekus und Australopithekus bis in die Gegenwart für „ganz normal“, für ein typisches Element, das für die gesamte kosmische Gemeinschaft häufig ist. In dieser Frage ist jedoch nichts bekannt, und es gibt keine Methode, mit der sich aus einer Null-Information mehr ableiten ließe als Null. Das Hortega-Neyssel-Diagramm stellt nur die durchschnittliche Zeit dar, die zwischen der Geburt einer Protokultur und der technologischen Explosion liegt. Die Kurve des Diagramms, der sogenannte Hauptstrang der Psychozoen, berücksichtigt nicht die biologischen, soziologischen, kulturellen und politischen Faktoren, die sämtlich an der konkreten historischen Entwicklung vernunftbegabter Geschöpfe mitwirken.
Eine solche Exklusion wird gerechtfertigt durch die irdische Erfahrung, denn die Einflüsse, die durch die Zusammenstöße von Religionen und Kulturen, Gesellschaftsformen und Ideologien, Erscheinungen von Kolonisierung und Dekolonisierung, Blüte und Verfall irdischer Imperien ausgeübt wurden, störten m keiner Weise den Verlauf der Kurve technischen Wachstums. Es ist eine Parabel, unanfällig gegen die durch historische Erschütterungen, Aggressionen, Seuchen und Völkermord ausgelösten Störungen, denn die einmal gefestigte Technologie wird zu einer von der zivilisatorischen Basis unabhängigen Variablen — eine in der Integrierung logistische Kurve der Autokatalyse. Die im mikroskopischen Maßstab gesehenen Entdeckungen und Erfindungen stammten stets von einzelnen Menschen, Individuen oder Gruppen, aber die Rechnung darf die Urheber getrost ausklammern, denn Erfindungen bringen Erfindungen und Entdeckungen Entdeckungen hervor, und diese sich beschleunigende Bewegung bildet eben die Parabel, die ins Unendliche zu fliegen scheint. Ein Saturationsknick wird nicht durch andere Individuen verursacht, die die Natur schützen wollen, sondern die Kurve krümmt sich dort, wo sie, wenn sie sich nicht gebeugt hätte, die Biosphäre zerstört hätte. Die Kurve macht diesen Knick stets am kritischen Punkt, denn wenn den Technologien der Expansion nicht die der Rettung oder Ersetzung der Biosphäre zu Hilfe kämen, träte die jeweilige Zivilisation in die Vernichtung, die Krise der Krisen ein: Wenn es nichts mehr zu atmen gibt, kann niemand weitere Entdeckungen machen und Nobelpreise entgegennehmen.
Den Daten der Kosmologie und Astrophysik zufolge berücksichtigt der Hortega-Neysselsche Hauptstrang also lediglich die äußerste Tragfähigkeit der jeweiligen Biosphäre, deren technologische Grenzlast. Das Intervall dieser Tragfähigkeit hängt jedoch nicht von der Anatomie oder der Gesellschaftsordnung des kollektiven Lebens ab, sondern von den physikalischen und chemischen Eigenschaften des Planeten, dessen ökosphärischer Lokalisierung und anderen kosmischen Faktoren, stellare, galaktische und sonstige Einflüsse eingeschlossen. Wo die Biosphäre ihre Grenzlast erreicht, birst der Hauptstrang, was lediglich bedeutet, daß die einzelnen Zivilisationen gezwungen sind, globale Entscheidungen über ihr weiteres Schicksal zu treffen. Wollen oder können sie das zu ihrer Rettung nicht unternehmen, gehen sie zugrunde.
Das Bersten des Haupstrangs deckt sich mit dem sogenannten oberen Rahmen des Kontaktfensters. Dieser Rahmen, eine auch als Wachstumsbarriere bezeichnete Grenze, zeugt davon, daß vom einheitlichen Stamm des Hauptstrangs Zweige abgehen, denn die verschiedenen Zivilisationen setzen ihre Existenz auf unterschiedliche Weise fort. Obgleich es bisher noch nie zum Informationsaustausch zwischen Psychozoen gekommen ist, weiß man durch Berechnung, daß es nicht nur eine — und nicht nur eine einzige optimale! — Entscheidung als perfektesten Ausweg aus der Gefahr gibt, die der Versehrung der Biosphäre durch die Technosphäre entspringt. Auch eine vereinigte Zivilisation hat vor sich nicht nur einen Weg, der sie absolut von allen entstandenen Dilemmata und Gefahren befreit.
Was die aktuelle Situation betraf, so war sie die Folge unangemessener Maßnahmen, die ihre Ursache im Abgehen vom Expeditionsprogramm gehabt hatten.
GOD zufolge hatten sich falsche Schritte zu einer ganzen Serie ausgewachsen, denn als man sie machte, erachtete man sie nicht für falsch. Ihre reichlich fatale Bilanz offenbarte sich erst aus der Rückschau.
Genau gesagt, der HERMES war ins Arrow-Paradoxon geführt worden. Dieses beruht darauf, daß der Entscheidende stets konkrete Werte zu verwirklichen sucht, deren jeder für sich wertvoll ist, die alle zusammen aber nicht ausführbar sind. In der Spannweite zwischen maximalem Risiko und maximaler Vorsicht entstand eine Resultante, aus der nicht leicht herauszukommen war. GOD war nicht der Ansicht, daß für die entstandene Sackgasse der Kommandant die Verantwortung trug, denn dieser habe einen Kömpromiß erreichen, Risiko und Vorsicht in Einklang bringen wollen. Nach dem Abfangen der quintanischen Orbiter jenseits der Juno und der Entdeckung ihrer „Viroiden“ war er vom Programm in übermäßige Vorsicht abgewichen, indem er das Raumschiff tarnte und der Quinta keine Signale sandte, die den Besuch aus dem All ankündigten. Die Kosten dieser Zurückhaltung würden gegenwärtig offenbar. Ein zweiter Fehler war die Ausstattung GABRIELS mit einem Übermaß an Autonomie in Form einer zu großen Erfindungsgabe. Paradoxerweise entsprang auch das der Übervorsicht und der irrigen Annahme, GABRIEL werde, da er den Orbitern und Raketen der Quinta durch seine Schnelligkeit überlegen war, landen können und sich nicht abfangen lassen. Um diese Geschwindigkeit entwickeln zu können, erhielt er den Teratronantrieb. Um nach der Landung angemessen auf ein unvorhersehbares Verhalten der Bewohner reagieren zu können, erhielt er den superintelligenten Computer. Das SETI-Programm hatte vorgesehen, daß zuerst leichte Sonden entsandt werden, aber darauf hatte man verzichtet, nachdem die diplomatischen Funksprüche des Botschafters zu nichts geführt hatten. Obwohl sich niemand auch nur vorgestellt hatte, daß GABRIEL sein Antriebsaggregat in ein implosives Sideralgeschoß verwandeln könnte, war genau das passiert. Durch den übertriebenen Einfallsreichtum von GABRIELs Computer waren sie aus dem Programm in eine Falle gesprungen. Man konnte jetzt nicht weitere Sonden losschicken, als sei nichts geschehen. Der neue Sachverhalt machte eine neue Taktik erforderlich. GOD verlangte für ihre Entwicklung zwanzig Stunden. So verblieb man vorerst.
Nach dem Spätdienst konnte der Pilot nicht einschlafen. Er überdachte noch einmal die Beratung, auf der für ihn nichts herausgesprungen war als eine verstärkte Abneigung gegen GOD. Dieser allerhöchste elektronische Verstand mochte die Logik zwar perfekt beherrschen, aber deren Effekte waren erstaunlich pharisäerhaft. Es waren Fehler gemacht worden, man war vom Programm abgewichen, aber weder lag das Verschulden beim Kommandanten, noch trug GOD die kleinste Verantwortung. Das verstand er auch präzise nachzuweisen. Die Arrow-Paradoxa, die folgenschwere Tarnung als übertriebener Argwohn gegen die Quintaner, verursacht durch die Hypothese, die Viroiden seien zu Sabotagezwecken entwickelt worden — wie elegant GOD das jetzt alles definierte! Und wer hatte dem Kommandanten die ganze Zeit mit Ratschlägen gedient?
Wegen der Schwerelosigkeit ans Bett gegurtet, steigerte sich Tempe so in Wut, daß von Schlaf keine Rede mehr sein konnte. Er schaltete den Punktstrahler am Kopfende ein, zog unter der Koje ein Buch hervor und machte sich an die Lektüre.
Es war das PROGRAMM DES HERMES. Zuerst blätterte er die allgemeinen Vorstellungen durch, die man sich von der Quinta machte. Es war ein Computerdruck, kurz vor dem Start der EURYDIKE zusammengestellt auf der Grundlage der Ergebnisse astrophysikalischer Beobachtungen und ihrer Interpretation. Danach verfügten die Quintaner über Energie in einer Größenordnung von schätzungsweise 1030 Erg. Ihre Zivilisation befand sich damit unterhalb der Sideralschwelle. Hauptenergiequellen waren mit Gewißheit thermonukleare Reaktionen stellaren Typs, aber die Kraftwerke waren nicht m den Weltraum ausgelagert worden. Wahrscheinlich hatte die Energieerzeugung nach Erschöpfung der fossilen Brennstoffe ähnlich wie auf der Erde eine Phase der Nutzung von Aktiniden durchgemacht, deren weitere Ausbeutung unrentabel wurde, sobald man den Bethe-Zyklus im Griff hatte. Es sah nicht so aus, als hätte der Planet im Laufe des letzten Jahrhunderts Kriege erlebt, in denen Kernwaffen zum Einsatz gekommen wären. Der kalte Äquatorialfleck konnte nicht Folge eines derartigen Krieges sein, der nukleare Winter nach Atomschlägen muß praktisch den gesamten Planeten erfassen, denn die in die Stratosphäre geschleuderten Staubmassen erhöhen die Albedo der ganzen Scheibe. Die Gründe dafür, daß der Bau des Eisrings aus dem Wasser des Ozeans eingestellt worden war, ließen sich nicht ausmachen.
Tempe ließ die mit Diagrammen und Tabellen gefüllten Seiten durch die Finger gleiten, bis er zu dem gesuchten Kapitel kam: „Stand der Zivilisation-Hypothesen“. Dort hieß es unter Punkt 1: „Die Quinta leidet an inneren Konflikten, die die technologischen Faktoren mitgestalten. Das läßt auf das Vorhandensein antagonistischer Staaten oder anderer Aggregationen schließen. Die Ära offener bewaffneter Auseinandersetzungen gehört bereits der Vergangenheit an, sie hat nicht zu einer Entscheidung des Typus „Sieger — Besiegten geführt, sondern ist allmählich in eine kryptomilitärische Phase übergegangen.“
An dieser Stelle war — bereits an Bord des HERMES — eine ergänzende Druckausgabe eingeklebt, deren Urheber GOD war:
„Eines der Argumente zugunsten eines kryptomilitärischen Konflikts sind die Schmarotzer in den beiden Satelliten der Quinta. Bei dieser Auslegung verharren die Blöcke der Gegenspieler in einem Zustand, der im Clausewitzschen Sinne weder klassischer Frieden noch klassischer Krieg ist. Sie bekämpfen einander — außerhalb aller Fronten der Kryp-tomachie, wie sie etwa geführt wird, indem man dem Feind klimatische Schläge versetzt — durch die katalytische Erosion des technologisch-produktiven Materials. Dadurch kann auch die Schaffung des Eisrings zu Fall gekommen sein, denn dafür wäre eine globale Zusammenarbeit unabdingbar gewesen.“
Weiter ging es dann im Text der EURYDIKE: „Wenn derartige antagonistische Komplexe existieren und auf nichtklassische Weise miteinander kämpfen, kann der Kontakt mit jedwedem Besucher aus dem Weltraum erheblich erschwert werden. A priori ist der Gewinn eines kosmischen Alliierten eine wenig wahrscheinliche Möglichkeit für jede der Seiten, falls derer nur zwei sind. Es gibt nämlich kein rationales Motiv in Form eines konkreten Vorteils, den der außerplanetarische Eindringling erzielt, wenn er in dem Konflikt Partei nimmt. Der Kontakt kann sich dagegen als Zündkapsel erweisen, die die stille, schwelende, kontinuierlich und hartnäckig fortgesetzte Kryptomachie in einen frontalen Zusammenstoß beider Seiten und Kräfte verwandelt. Beispiele:
1. Auf dem Planeten T befinden sich die Blöcke A, B und C, die einander bekämpfen. Nimmt B den Kontakt zu dem Eindringling auf, wird das eine Herausforderung für A und C sein, die sich stark bedroht fühlen. Sie können entweder den Eindringling angreifen, damit er nicht das Potential von B vergrößern kann, oder gemeinsam über B herfallen. Die Situation befindet sich in einem labilen Gleichgewicht, bei jeder Instabilität aber genügt ein äußerer Faktor mit großem technischen Potential (ein solches muß der Ankömmling ja haben, da er zu dem galaktischen Sprung imstande war), um es zur Eskalation der feindseligen Handlungen kommen zu lassen.
2. Die Quinta ist vereinigt — als Föderation oder als Protektorat. Es gibt keine gleich starken Antagonisten, da eine der Mächte den gesamten Planeten unter ihre Herrschaft gebracht hat. Diese Herrschaft, die Resultat siegreicher Kampfhandlungen, einer nichtmilitärischen Eroberung oder der Unterwerfung des Schwächeren sein kann, bietet unter dem Aspekt der Strategie eines Kontaktes mit dem galaktischen Eindringling ebenfalls keine gute Stabilität. Der Globalmacht dürfen weder dämonische noch imperialistische Absichten einer außerplanetarischen Expansion unterstellt werden. In der Absicht einer so modellierten Quinta liegt nicht die Vernichtung des Ankömmlings, sondern die Vereitelung der Kontaktaufnahme, vor allem der Landung auf dem Planeten. Die technologischen Gastgeschenke, die von dem Ankömmling zu erwarten sind, können sich leicht als verderbenbringend erweisen. Versuche, den Gast in die Schranken zu weisen, damit er nicht das herrschende soziopolitische Gleichgewicht stört, können leicht auf Kosten ebendieses Gleichgewichts zurückschlagen. In dieser Konstellation ist die Verweigerung des Kontakts also seitens der globalen Macht eine vernünftige Entscheidung, eine in den Kosmos gerichtete Politik unter dem Namen PERFIS (Perfect Isolation) — in Anlehnung an die historische „splendid Isolation* der Briten. Die Informationsschwelle, die der Ankömmling für den Kontakt bewältigen muß, hat eine unbestimmte Höhe.
3. Nach Holger, Kroch und ihrem Team kann auch einem völlig geeinten Planeten, auf dem es weder Sieger noch Besiegte, weder eine starke Macht noch versklavte Untertanen gibt, der Kontakt unerwünscht sein. Die Hauptdilemmata einer solchen Zivilisation, die in der oberen Zone des Fensters vom Hauptstrang nach Hortega-Neyssel abweicht, liegen an der Berührungslinie ihrer Kultur und ihrer Technologie. Gegenüber einer in der präsaturativen parabolischen Beschleunigung befindlichen Technologie zeichnet sich die Kultur stets durch einen regulativen zeitlichen Rückstand der hervorzubringenden rechtlichen, sittlichen und ethischen Normen aus. Die Technologie macht bereits möglich, was die kulturelle Tradition noch verbietet und für unantastbar hält.
(Beispiele: die Gentechnologie, angewandt an Geschöpfen, die den Menschen entprechen; die Regulierung des Geschlechts; Gehirntransplantationen usw.) Im Lichte dieser Konflikte betrachtet, offenbart der Kontakt mit den Ankömmlingen seine Ambivalenz. Die planetare Seite, die den Kontakt von sich weist, braucht den Eindringlingen deswegen keine feindlichen Absichten zu unterstellen. Die Befürchtungen lassen sich sachlich rechtfertigen. Eine Spritze radikal neuer Technologien kann die gesellschaftlichen Bindungen und Beziehungen destabilisieren und ist in ihren Konsequenzen ohnehin niemals prognostizierbar.
Das betrifft nicht den über Funk oder anderweitig von fern aufgenommenen Kontakt, denn die Empfänger der Signale können die gewonnenen Informationen nach eigenem Ermessen nutzen und ignorieren.“
Tempe war müde, aber der Schlaf wollte immer noch nicht kommen. Er überblätterte mehrere Kapitel und las das letzte: über die Prozedur des Kontakts. Das SETI-Projekt berücksichtigte die bisher dargestellten Dilemmata als Schwierigkeiten der Verständigung des Gastes mit einem potentiellen Gastgeber. Die Expedition war mit speziellen Mitteln des Nachrichtenverkehrs sowie mit Automaten ausgestattet, die auch ohne vorherige Verhandlungen in Form eines Signal- und Informationsaustauschs vor einer Landung den friedlichen Charakter des Unternehmens kundgeben sollten. Das Verfahren hatte mehrere Stufen. Erste Ankündigung der Ankunft eines irdischen Raumschiffs war eine Emission auf den in einer Anlage beigefügten Bereichen von Funk-, Wärme-, Licht-und Ultraviolettwellen sowie im Korpuskelband. Sowohl beim Ausbleiben einer Antwort als auch nach Empfang eines unverständlichen Signals sollten auf alle Kontinente Landefähren entsandt und von Steuersensoren in Gegenden stark konzentrierter Bebauung geführt werden.
Es gab auch eine Menge Abbildungen, Schemata und Beschreibungen. In jeder Landefähre befanden sich ein Sende- und Empfangsgerät sowie Daten über die Erde und ihre Bewohner. Sollte auch dieser Schritt nicht die erhoffte Reaktion auslösen, sollten schwerere Sonden abgesetzt werden, ausgestattet mit Computern, die zur Erteilung von Belehrungen, zur Einführung in visuelle, daktylologische und akustische Codes imstande waren. Dieses Verfahren war nicht umkehrbar, denn jeder Schritt bildete die Fortsetzung des voraufgegangenen.
Die ersten Landefähren enthielten Indikationsemittoren für den einmaligen Gebrauch. Sie konnten nur durch die brutale Zerstörung ihrer Hülle aktiviert werden, nicht durch Havarie oder harte Landung, sondern durch absichtliche „nicht-diskursive Demontage“. (Der Pilot hatte großen Spaß an dieser hochwissenschaftlichen Definierung einer Situation, in der ein Höhlenbewohner mit der Feuersteinkeule auf den transistorierten Abgesandten der Menschheit losgeht — eine „nichtdiskursive Demontage“ findet ja auch statt, wenn man jemandem ohne viel Gerede ein paar Zähne ausschlägt.) Die aus Monokristallen gezüchteten Indikatoren zeichneten sich durch eine solche Widerstandsfähigkeit aus, daß sie selbst dann noch ein Signal senden konnten, wenn die Landefähre in Sekundenbruchteilen — beispielsweise durch Sprengung — zugrunde ging. Weiter stellte das Programm detailliert die Modelle jener Abgesandten und die Salven dar, in denen sie synchron auf die vorgesehenen Landeplätze gelenkt werden sollten, damit kein Kontinent und keine Gegend bevorzugt oder benachteiligt wurde. Das Buch enthielt auch das Votum separatum einer mehrköpfigen Gruppe von SETI-Experten, die einen extremen Pessimismus vertraten. Ihren Behauptungen zufolge gab es weder materielle Mittel noch Botschaften oder leicht dechiffrierbare Erklärungen, die nicht als perfide Verschleierung aggressiver Absichten gedeutet werden konnten. Dies entsprang zwangsläufig den unausräumbaren Unterschieden im technologischen Niveau. Das im 19. und noch auffälliger im 20. Jahrhundert als Rüstungswettlauf bekannte Phänomen war mit dem Paläopithekus auf die Welt gekommen, als er die langen Schenkelknochen der Antilope als Keule benutzte und — nach gastronomischen Kategorien ein Kannibale — damit nicht nur Schimpansen den Schädel einschlug. Nachdem im Schnittpunkt der mediterranen Kultur jedoch die Wissenschaft, die Gebärerin der sich beschleunigenden Technologie, entstanden war, verliehen die militärischen Fortschritte der kriegführenden europäischen und nachher auch außereuropäischen Staaten keinem ein erdrückendes Übergewicht über die anderen. Die einzige Ausnahme von dieser Regel war die Atombombe, aber auch deren Monopol besaßen die Vereinigten Staaten von Amerika, historisch gesehen, nur für einen winzigen Moment. Die technologische Kluft zwischen den Zivilisationen im Universum muß hingegen gigantisch sein, mehr noch, es dürfte praktisch unmöglich sein, auf eine entwicklungsmäßig so ausgestattete Zivilisation wie die irdische zu stoßen.
Der dicke Band enthielt noch viele gelehrte Spekulationen. Ein Ankömmling, der seine unterentwickelten Gastgeber in die Geheimnisse der Sideraltechnologie einweihte, sollte lieber entsicherte Handgranaten in einem Kindergarten verteilen. Offenbarte er sein Wissen jedoch nicht, so setzte er sich dem Verdacht aus, doppelzüngig zu sein und eine Vorherrschaft anzustreben. Auf die eine Weise war es also schlimm und auf die andere nicht gut.
Der Tiefsinn der Ausführungen tat endlich seine Wirkung, und dank dem SETI-Programm sank der Leser, ohne das Buch wegzulegen und das Licht zu löschen, in festen Schlaf.
Er schritt eine schmale, steile Gasse hinunter. Vor den Haustüren spielten Kinder in der Sonne, vor den Fenstern trocknete Wäsche. Das holprige, mit Abfällen, Bananenschalen, Speiseresten und Kippen übersäte Pflaster wurde von einem Rinnstein durchschnitten, der schlammiges Wasser führte. Weit unten öffnete sich der Blick auf den Hafen. Er war voll von Segelbooten, flache Wellen liefen auf den Strand, zwischen den ans Ufer gezogenen Fischerkähnen waren Fangnetze aufgehängt. Das Meer war glatt bis zum Horizont und spiegelte glitzernd die Sonne. Es roch nach gebratenem Fisch, nach Urin und Olivenöl, er wußte nicht, was ihn hierher verschlagen hatte, war sich aber sicher, daß dies Neapel sein mußte. Ein kleines braunes Mädchen rannte schreiend hinter einem Jungen her, er blieb stehen und tat, als wolle er ihr den Ball zuwerfen, aber als sie ihn erreicht hatte, riß er wieder aus. Andere Kinder riefen etwas auf italienisch. Aus einem Fenster im Obergeschoß lehnte sich, mit zerzaustem Haar und nur im Hemd, eine Frau und nahm die getrockneten Unterkleider und Röcke von einer über die Gasse gezogenen Leine. Weiter unten begann eine Treppe mit geborstenen Stufen. Plötzlich kam alles ins Schwanken, Geschrei brach aus, Wände stürzten ein. Wie angewurzelt stand er in Wolken von Mörtelstaub, er sah nichts mehr, hinter ihm krachte es, das Grollen der Erde übertönte das Geschrei, das Gekreisch der Frauen und das Poltern der Ziegel. „Terramoto! Terramoto!“ Der Ruf versank in einem zweiten, langsam anschwellenden Grollen. Ein Schauer von Putz ging nieder, er hielt schützend die Hände über den Kopf, spürte einen Schlag ins Gesicht und erwachte.
Das Beben hörte jedoch nicht auf. Ein gewaltiger Druck preßte ihn auf das Lager, er wollte aufspringen, die Gurte hielten ihn fest, das Buch schlug ihm gegen die Stirn und flog zur Decke — das war nicht Neapel, es war der HERMES, aber es dröhnte, und die Wände krachten, die ganze Kajüte schwankte, er hing in der Luft, die Lampe flackerte. Er sah das aufgeblätterte Buch und seinen Pullover, beide platt an die Decke gepreßt. Aus den kippenden Regalen kullerten Filmrollen — das war kein Traum und auch kein Donner. Die Alarmsirenen gellten. Das Licht wurde schwächer, flammte wieder auf und erlosch. In den Ecken erst der Decke, dann des Fußbodens ging die Notbeleuchtung an. Tempe fingerte an den Schlössern der Gurte herum, um sie zu lösen, aber sie klemmten, ein Druck legte sich auf seine Brust, Blei füllte die Arme, das Blut drängte in den Kopf. Nicht er warf sich hin und her, er wurde gebeutelt, von der Schwere hin und her geschleudert, daß er bald in den Gurten hing, bald fest in der Koje klebte. Jetzt wußte er, was los war. Kam das Ende?
Mitternacht war vorüber, und um diese Zeit war niemand mehr in der Dunkelkammer.
Kirsting setzte sich vor das ausgeschaltete Videoskop, tastete nach den Gurten, um sich anzuschnallen, fand blind auch die Tasten und schaltete das Band ein.
Durch das weiße Rechteck des Projektors liefen nacheinander die Schichtbildaufnahmen. Sie waren beinahe schwarz, nur Häufungen runder Umrisse zeichneten sich heller ab als Schatten auf Röntgenbildern. Ein Ausschnitt nach dem anderen zog vorbei, bis Kirsting das Band stoppte. Er sah sich die Oberflächenspinogramme der Quinta an. Sachte drehte er an der Mikrometerschraube, um das Bild auf größte Schärfe zu stellen. In der Mitte befand sich eine buschige Ballung, einem Atomkern ähnelnd, der nach einem Treffer in strahligen Trümmern auseinanderfliegt. Kirsting verschob das Bild von dem formlosen zentralen Fleck gegen dessen weniger milchigen Rand. Keiner wußte, ob das Wohngebäude sein konnten, so etwas wie eine riesige Stadt. Die Filmaufnahme zeigte sie in einem Schnitt, der sich durch Nukleonen von Elementen abzeichnete, die schwerer waren als Sauerstoff. Diese seit Urzeiten bekannte Schichtbildaufnahme astronomischer Objekte hatte ihre Tauglichkeit lediglich bei Sternen und Planeten erwiesen, die zu schwarzen Zwergen erstarrt waren. Bei all ihrer Vortrefflichkeit hatte die Spinovision ihre Grenzen. Das Auflösungsvermögen reichte nicht aus, einzelne Skelette zu unterscheiden, selbst wenn sie die der Giganto-saurier des Mesozoikums und der Kreidezeit in ihren Ausmaßen übertrafen. Trotzdem versuchte Kirsting, die Skelette der quintanischen Geschöpfe zu erkennen — und nur solche, die den Menschen glichen, waren es ja wohl, die jene „Stadt“ bevölkerten (falls sie eine von Millionen bewohnte Metropole war). Er kam an die Grenze des Auflösungsvermögens und überschritt sie: Die winzigen, aus weißlichen, zitternden Fasern zusammengesetzten Streifen zerfielen, über den Bildschirm flimmerte ein Chaos erstarrter Granulation.
Kirsting drehte vorsichtig an der Mikrometereinstellung, bis das vorherige verschwommene Bild zurückkehrte. Er wählte die schärfsten Spinogramme des kritischen Meridians und lagerte sie übereinander, daß die konvexen Konturen der Quinta sich deckten wie ein ganzes Bündel von Röntgenbildern ein und desselben Objekts, geschossen in einer Serie von Momentaufnahmen und übereinandergelegt.
Die vermeintliche Stadt befand sich am Äquator, die Spinographien waren entlang der Achse des Magnetfelds der Quinta angefertigt worden, an der Tangente, wo die Atmosphäre an der Planetenkruste endet. Handelte es sich also um eine Bebauung in einer Ausdehnung von dreißig Meilen, so war sie von den Aufnahmen durchmessen worden wie von einem Röntgengerät, das, in einer Vorstadt aufgebaut, sämtliche Straßen, Plätze und Häuser bis auf die gegenüberliegende Seite der Stadt durchleuchtet. Das bot nicht viel. Betrachtet man eine Menschenmenge von oben, sieht man sie in vertikaler Verkürzung. Betrachtet man sie in der Horizontalen, so sieht man sie nur von vorn, nur die ersten, die in den Straßenzügen auftauchen. Die durchleuchtete Menge erscheint als wildes Getümmel von Knochengerüsten. Immerhin bestand die Möglichkeit, Gebäude von Passanten zu unterscheiden. Bauwerke bewegen sich nicht, also siebten die Filter alles heraus, was auf tausend Spinogrammen am gleichen Ort verharrte. Auch Fahrzeuge ließen sich durch eine Retusche entfernen, die alles beseitigte, was sich rascher fortbewegte als ein Fußgänger. Hätte Kirsting also eine irdische Großstadt vor sich gehabt, wären von den Aufnahmen die Häuser, Brücken und Fabriken ebenso verschwunden wie die Autos und Eisenbahnzüge. Nur die Schatten der Passanten wären übriggeblieben. Derart geo- und anthropozentrische Voraussetzungen waren zwar von höchst zweifelhaftem Wert, aber der Wissenschaftler hoffte dennoch auf einen glücklichen Zufall.
Kirsting hatte so manche Nacht in der Dunkelkammer zugebracht und die Filmrollen durchgesehen, aber immer noch nicht die Hoffnung aufgegeben, durch die Auswahl und Überlagerung der entsprechenden Spinographien endlich doch die Entdeckung zu machen, die Skelette dieser Geschöpfe zu erblicken — seien sie auch noch so verschwommen. Waren sie möglicherweise menschenähnlich? Gehörten sie zu den Wirbeltieren? Bestand das Knochengerüst wie bei deren irdischen Verwandten aus Kalk, in mineralischen Verbindungen? Die Exobiologie hielt die Menschenähnlichkeit für unwahrscheinlich, eine osteologische Parallele zum irdischen Knochenbau jedoch für möglich im Hinblick auf die Masse und demnach die Schwerkraft des Planeten sowie auf die Zusammensetzung der Atmosphäre, die auf ein Vorhandensein von Pflanzen hindeutete. Von diesen zeugte der ungebundene Sauerstoff, und Pflanzen befassen sich nicht mit Raumfahrt oder Raketenbau.
Kirsting rechnete nicht auf einen Knochenbau nach menschlichem Vorbild. Dieser war durch die verschlungenen Bahnen der Entwicklung der Arten auf der Erde geformt worden. Übrigens hätten selbst Zweibeinigkeit und aufrechter Gang keinen Anthropomorphismus bestätigt — schließlich waren Tausende fossiler Kriechtiere auf zwei Beinen gegangen, und hätte man Spinographien von galoppierenden Igu-anodons angefertigt, so wären sie in planetarem Maßstab, aus solcher Entfernung nicht von den Teilnehmern eines Marathonlaufs zu unterscheiden gewesen. Die Empfindlichkeit der Apparatur hatte selbst die kühnsten Erwartungen der Väter der Spinographie übertroffen: An der Resonanz des Kalks ließ sich die Schale eines Hühnereis erkennen, das einhunderttausend Kilometer entfernt war. Der m die Betrachtung vertiefte Wissenschaftler vermeinte zwischen den trüben Flecken zuweilen mikroskopisch kleine Fäden zu erkennen, die sich von dem dunkleren Hintergrund abhoben. Sie glichen einem durch das Teleskop fotografierten Holbeinschen Totentanz. Er glaubte, er müsse nur die Vergrößerung verstärken, damit er sie wirklich sähe und sie aufhörten, etwas zu sein, was er den flimmernden Fädchen nur zuschrieb, etwas so Ungewisses und Vergängliches wie die Kanäle, die einst die Beobachter des Mars gesehen hatten, weil sie sie so gern sehen wollten… Wenn er sich zu lange in die Betrachtung einer Gruppe dieser erstarrten, schwachen Fünkchen vertiefte, erlag der ermüdete Blick dem Willen und nahm beinahe schon die milchigen Punkte der Schädel, die haarfeinen Knochen von Wirbelsäulen und Extremitäten wahr. Ein Zwinkern der von der Anstrengung brennenden Lider aber genügte, und die Illusion zerbarst.
Er schaltete das Gerät ab und stand auf. In völliger Dunkelheit hielt er die Augen geschlossen und rief sich das soeben betrachtete Bild ins Gedächtnis, so daß vor schwarzsamtenem Hintergrund erneut die kleinen knöchernen Phantome phosphoreszierten. Als er die Augen Öffnete, sah er das rubinrote Licht über dem Ausgang. Er ließ die Sessellehne fahren und bewegte sich zur Tür. Draußen drang die Helle des Korridors so jäh auf ihn ein, daß er nicht zum Lift ging, sondern sich zurückzuckend in der dick mit Schaumstoff gepolsterten Türnische barg. Das war seine Rettung, denn gleich darauf traf ihn donnernd der Schwerestoß. Die Nachtbeleuchtung erlosch, auf dem mit dem Raumschiff rotierenden Korridor gingen die Notlichter an, aber das sah Kirsting nicht mehr. Er hatte das Bewußtsein verloren.
Steergard hatte sich nach der Beratung nicht schlafen gelegt, weil er wußte: Ungeachtet der Zahl von Taktiken, die GOD konzipieren würde, hatte er sich der Wahl zu stellen, die sich auf die Kurzformel einer Alternative zwischen unabsehbarem Risiko oder Rückzug bringen ließ. Während der Aussprache hatte er den Eindruck der Standhaftigkeit zu wahren gewußt, allein geblieben, fühlte er sich hilflos wie nie zuvor. Immer weniger konnte er der Versuchung widerstehen, die Entscheidung in die Hand des Schicksals zu legen. In einem Wandschränkchen seiner Kajüte hatte er neben anderen persönlichen Dingen eine schwere alte Bronzemünze, die auf dem Avers das Profil Cäsars, auf dem Revers ein Rutenbündel trug. Sie war ein Andenken an den Vater, der Numismatiker gewesen war. Als Steergard die Schublade aufzog, war er sich zwar noch nicht sicher, ob er dieser Münze das Geschick des Raumschiffs, der Crew, der größten Expedition in der Geschichte der Menschheit anvertrauen sollte, aber er wußte schon: Das Liktorenbündel würde Flucht bedeuten (was wäre eine Umkehr anderes gewesen?}, das abgegriffene Profil des massigen Kopfes indessen etwas, was ihrer aller Verderben sein konnte. Er überwand sein inneres Widerstreben, tastete in den Fächern nach dem Futteral und drehte die Münze zwischen den Fingern, Hatte er das Recht…? Bei Schwerelosigkeit war der Wurf nicht möglich. Steergard schob eine stählerne Büroklammer über die Münze und schaltete den unter der Schreibtischplatte befestigten Elektromagneten ein, der sonst auf Stahlwürfel wirkte, damit sie als eine Art Briefbeschwerer die Fotogramme und Karten festhielten. Der Kommandant räumte all diesen Papierkram beiseite, und wie der Junge, der er einst gewesen war, setzte er die Münze in Bewegung wie einen Kreisel. Auf der Spitze der Büroklammer zog sie Kreise, immer kleiner, immer langsamer, bis sie, von dem Magneten überwältigt, umfiel. Das Rutenbündel lag oben. Rückzug.
Steergard packte, während er sich hinsetzte, die Armlehne seines Drehsessels, der Overall haftete gerade an der Lehne fest, als der Stoß kam, zuerst schwach, mehr instinktiv empfunden als bewußt erlebt, dann immer stärker werdend, keinen Zweifel lassend. Eine gewaltige Kraft fegte Filme, Papiere, Beschwerer und die dunkle Bronzemünze vom Tisch und preßte den Kommandanten in den Sitz. Die Überlastung wuchs sprunghaft. Der Blick trübte sich, weil das Blut bereits aus den Augen abfloß, aber Steergard sah noch das unter den heftigen Stößen verschwimmende Licht der runden Wandlampe, er hörte und spürte, wie die Fugen und Nähte der stählernen Wände unter ihrer Verkleidung ächzten und durch das Rumpeln und Rascheln der von überallher übereinanderstürzenden unbefestigten Gegenstände, Geräte und Kleidungsstücke das ferne Heulen der Alarmsirenen drang, als jaulten nicht deren Membranen, sondern das ganze m seiner Masse von hundertachtzigtau-send Tonnen getroffene Raumschiff.
Als die schreckliche Schwere den Hörer dieses Geheuls und des anhaltenden Donners blind machte, den bleigefüllten Körper in die Tiefe des Sessels preßte, fühlte er — im letzten Augenblick — Erleichterung.
Erleichterung, jawohl. Rückzug kam nun nicht mehr in Frage.
Nach einer Viertelminute konnte er wieder sehen. Das Gravimeter stand immer noch im Rotbereich. Der Schlag hatte den HERMES nicht direkt getroffen. Das wäre gar nicht möglich gewesen. Was immer ihn auch gerammt hatte, der stets wachsame GOD hatte den Angriff abgeschlagen, da dieser aber dermaßen geschickt und unsichtbar vorgetragen worden war, konnte er aus Zeitmangel keine gemäßigte Abwehr wählen und hatte zum letzten Mittel gegriffen.
Die Gravitationsschwelle konnte in diesem Kosmos nicht anders durchbrochen werden als durch die Singularität — der HERMES war also heil geblieben, aber die Gewalt eines so plötzlichen Gegenschlags mußte einen Rückstoß ergeben, und wie ein Geschütz, das vom abgefeuerten Geschoß zurückgestoßen wird, erbebte das Raumschiff im Epizentrum der Sideratorenentladung, obwohl es nur einen Bruchteil der emittierten Energie abbekommen hatte. Steergard, der gar nicht erst den Versuch zum Aufstehen machte, weil sein Körper immer noch wie unter einer Presse lag, verfolgte mit weitgeöffneten Augen, wie der große Zeiger zitternd Millimeter um Millimeter aus dem roten Bereich der runden Anzeigetafel kroch.
Bis zum letzten gespannt, fingen auch die Muskeln wieder an zu gehorchen. Das Gravimeter war ins Schwarze, bereits auf die Zwei gefallen. Eintönig heulten auf allen Decks aber immer noch gleichförmig die Alarmsirenen.
Beide Hände auf die Armlehne gestützt, stemmte er sich aus dem Sessel, und als er stand, mußte er sich am Schreibtisch festhalten — wie ein Affe, der sich gebückt mit den Händen abstützt (er wußte selber nicht, wie er gerade jetzt auf diesen Vergleich kam). Unter den auf dem Fußboden verstreuten Filmen und Karten erblickte er die väterliche Münze, die nach wie vor mit dem Revers nach oben lag, also die Umkehr anzeigte.
Steergard lächelte, denn diese Entscheidung war durch einen höheren Trumpf gestochen worden. Das Gravimeter stand auf der Eins und ging langsam weiter zurück. Er mußte in die Steuerzentrale, um zu erfahren, was mit den Leuten passiert war. Schon stand er an der Tür, als er rasch noch einmal umkehrte, die Münze aufhob und in das Schubfach steckte. Niemand sollte etwas über den Moment seiner Schwäche erfahren. Eine solche war es freilich nicht im Sinne der Spieltheorie, denn beim Nichtvorhandensein von Minimal-Maximal-Lösungen gibt es keine besseren Entscheidungen als die rein dem Schicksal überlassenen. Er konnte sich also durchaus vor sich selbst rechtfertigen, wollte es aber nicht. Als er sich in der Mitte des tunnelartigen Korridors befand, kehrte die Schwerelosigkeit zurück. Er rief den Lift.
Die Würfel waren gefallen. Er wollte keinen Kampf, aber er kannte seine Männer und wußte, daß außer dem Abgesandten des Heiligen Stuhls keiner mit einer Umkehr einverstanden sein würde.