20

Ephialtes, der Marketender, trat um den Wagen herum; er kam von der anderen Seite, auf der man ein kleines Lager aufgeschlagen hatte und wo ein Kochfeuer brannte.

»Tarl, mein Freund!«

Wir reichten uns die Hände, dann umarmten wir uns.

»Es ist schön, dich zu sehen, mein Freund«, sagte ich.

»Wie geht es dir?« wollte er wissen.

»Ausgezeichnet. Und dir?«

»Großartig.«

»Das ist schön. Was macht das Geschäft?«

»Man versucht verzweifelt, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.«

»In deine Tunika sind Goldfäden eingewebt«, sagte ich.

»Das ist nur gelber Faden.«

»Dein Geldbeutel scheint prall gefüllt.«

»Alles nur Tarskstücke.«

»Ich glaube, dein Glück hat sich gewandelt.«

»Wenn das so ist, dann hast du dazu beigetragen.«

»Und die Bedürfnisse der Truppen von Cos.«

»Natürlich.«

»Es sind großartige Zeiten für einen Marketender – bei den vielen Soldaten und den Erfolgen der Cosianer.«

»Ich schätze, meine Kollegen bei den Truppen von Ar sind weniger erfolgreich.«

»Einige von ihnen haben ihre Ware vielleicht nach Brundisium gebracht«, meinte ich.

»Das ist richtig«, flüsterte er.

Wagen konnte man einen anderen Anstrich verpassen. Akzente konnten vorgetäuscht werden. Marketender waren in erster Linie Geschäftsleute, denen man es kaum zum Vorwurf machen konnte, wenn sie nach guten Märkten Ausschau hielten.

Ephialtes sah zu den beiden Frauen am Boden hinunter, die neben dem Wagen an Pflöcken festgekettet waren.

»Amina«, sagte er, »Rimice, ihr kennt doch sicherlich noch unseren Freund Tarl, dem ihr eure Erlösung aus dem Krummen Tarn verdankt.«

Die Angst in ihren Augen verriet mir, daß sie mich erkannten. Sie nahmen sofort die Gehorsamsstellung ein, auf den Knien, die Hände auf die Oberschenkel gelegt.

»Gut gemacht«, sagte ich zu Ephialtes. Er hatte sie wirklich hervorragend ausbilden lassen. »Übrigens, da war doch noch ein Mädchen.«

»Die hübsche Cosianerin aus Telnus, Phoebe?«

»Ja.« Wir gingen zur anderen Wagenseite. »Hast du sie verkauft?«

»Nein.«

Das freute mich außerordentlich, denn sie war einer der weiteren Gründe, warum ich nach Brundisium gekommen war. Ich folgte Ephialtes und setzte mich mit untergeschlagenen Beinen vor das Feuer.

»Was gibt es Neues aus Torcodino?« fragte ich.

»Ich habe nichts gehört.«

Ein Mädchen in einer gelben Tunika bediente uns, schweigend, unterwürfig, aufmerksam. Es war Liadne, eine Sklavin. Auch sie war vor Monaten in der Nähe des Krummen Tarn erworben worden.

»Das ist seltsam«, sagte ich. »Mittlerweile hätte man doch etwas aus Torcodino hören müssen.«

»Dietrich von Tarnburg sitzt in der Falle«, sagte Ephialtes. »Es ist nur eine Frage der Zeit. Man wird ihn aushungern.«

Das konnte ich mir nicht vorstellen. Er hielt Torcodino mit nur fünftausend Mann, und die konnten sich mit dem ernähren, was man in der Stadt selbst anbaute, in Hinterhöfen, auf Dachgärten, in aufgerissenen Straßen und dergleichen mehr. Die Zivilbevölkerung war kurz nach der Einnahme der Stadt ausgewiesen worden, was ebenfalls sehr hilfreich war.

»Er kann nirgendwohin fliehen«, sagte Ephialtes.

»Das wohl nicht.«

»Das gilt zumindest für seine Männer«, fuhr der Marketender fort. »Vielleicht könnten er und einige Offiziere bei Nacht auf Tarnrücken fliehen.«

»Vielleicht.« Ich bezweifelte jedoch, daß Dietrich seine Männer im Stich ließe.

»Bist du allein nach Brundisium gekommen?«

»Nein. Ich habe zwei Gefährten dabei, aber die sind in meinem Lager geblieben.«

»Sie sind hier natürlich willkommen«, sagte Ephialtes. »Unter dem Wagen ist noch Platz.«

»Danke.« Ich hatte Marcus und Ina nicht zu Ephialtes’ Wagen mitnehmen wollen, da er sich aus praktischen Erwägungen in unmittelbarer Nähe des cosischen Heerlagers befand. Ich hätte einen Stein zwischen die Zelte der Soldaten werfen können, ohne mich anstrengen zu müssen. Hier hätte Marcus’ Akzent Mißtrauen und Erkundigungen auslösen können. Ich hatte ihn und Ina an einem dichtbevölkerten großen Platz in unmittelbarer Nähe des Sklavenlagers zurückgelassen, an dem sich Reisende, Händler, Lagerwachen und dergleichen mehr versammelten. An einem solchen Ort gab es zahllose Akzente, und ich konnte mir nicht vorstellen, daß der junge Mann und die blonde Frau übertriebene Aufmerksamkeit erregen würden.

»Ich möchte, daß du Phoebe prächtig herrichtest, und zwar für die neunte Ahn.« Mit diesen Worten wechselte ich das Thema. Das war die Ahn vor dem Mittag. Der goreanische Tag hat zwanzig Ahn.

»Das ist leicht zu bewerkstelligen«, sagte Ephialtes. »Liadne wird sich darum kümmern.«

»Ja, Herr«, sagte Liadne. »Sie wird strahlen!«

»Ausgezeichnet«, sagte ich. »Danke für das Essen, Ephialtes.« Wir standen auf, und er reichte mir die Hand. Dann verließ ich das Lager.

»Es wird bald Neuigkeiten aus Torcodino geben«, sagte ich Marcus. Er blickte mich verblüfft an.

»Komm her, Mädchen!« befahl ich Ina, und sie eilte herbei.

»Warum setzt Ihr mir eine Haube auf?« fragte sie.

»Diese Kunde könnte sich bereits in den Paga-Tavernen herumsprechen«, fuhr ich fort.

»Ich habe auch etwas gehört, und das möchte ich dir erzählen, damit du die Wichtigkeit einschätzen kannst«, sagte Marcus.

»Ich glaube, ich habe das gleiche gehört. Es hat sich im Lager herumgesprochen.«

»Ich kann nichts sehen«, protestierte Ina.

»Das ist ja auch der Zweck einer Sklavenhaube«, sagte ich.

»Ich bin keine Sklavin.«

»Die Hauben passen auch einer freien Frau.« Ich wandte mich wieder Marcus zu. »Du beziehst dich da auf die angeblich geheimen Meldungen, die im Lager nicht an den Tafeln angeschlagen werden dürfen.«

»Ich denke schon.«

»Wo es um einhundert Goldstücke geht.«

»Ja.«

»Eine stolze Summe.«

»Warum legt Ihr mir eine Leine um den Hals?« fragte Ina.

»Warum sollte es Neuigkeiten aus Torcodino geben?« fragte Marcus.

»Ich habe Grund zu der Annahme, daß wir bald etwas hören werden.«

»Könntest du mich vielleicht über die Quelle deiner Überlegungen aufklären?«

»Es hat etwas damit zu tun, was ich heute abend auf der Straße in der Nähe des Heerlagers sah, als ich von dem Marketender zurückkehrte.«

»Mehr willst du mir nicht erzählen?«

»Im Augenblick ist das alles«, sagte ich. »Die Hände auf den Rücken!«

Ina gehorchte, und ich ließ die Handschellen zuschnappen. Dann zog ich zweimal prüfend an der Leine.

»Wohin gehst du?«

»Nach Brundisium«, erklärte ich. »Mit etwas Glück sollte ich morgen früh zurück sein.«

»Soll ich dich begleiten?«

»Ich glaube, es ist besser, ich gehe allein.«

»Wie du wünschst.«

Ich zog noch einmal an der Leine, diesmal um Ina darauf hinzuweisen, daß sie gleich geführt werden würde und in welche Richtung es losging.

Marcus ließ nicht locker. »Warum gehst du nach Brundisium?«

»Da gibt es drei Gründe.«

»Hättest du die Güte und würdest mir wenigstens einen davon nennen?«

»Aber sicher«, sagte ich. »Ich vergesse nur selten eine Sklavin.«

»Und morgen wirst du das Geschäft mit deinem Freund zu Ende bringen?«

»Ich glaube schon.«

»Und dann willst du nach Torcodino aufbrechen.«

»Das wird nicht länger nötig sein.«

Marcus runzelte die Stirn. »Ich verstehe nicht.«

»Dietrich von Tarnburg hält sich nicht mehr in Torcodino auf.«

»Wo ist er dann?«

»In Brundisium.«

Er starrte mich ungläubig an. »Wie kommst du denn darauf?«

»Ich habe ein ausgezeichnetes Gedächtnis, für Sklavinnen«, erwiderte ich.

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