John Norman Die Vagabunden von Gor

1

»Einst lautete dein Name Lady Temione, nicht wahr?« fragte ich.

»Ja, Herr«, erwiderte sie und hob das Kinn einen Fingerbreit von dem staubigen Boden, auf dem sie im Heerlager von Cos mit gesenktem Kopf kniete. Das Lager befand sich am Südufer des Vosk, genau nördlich der Stadt Holmesk.

»Leg dich auf die rechte Seite«, verlangte ich. »Streck dabei das linke Bein aus.«

Sie gehorchte. Ihr knappes Seidengewand klaffte auf und entblößte Hüfte, Oberschenkel und Unterschenkel. Ich konnte das winzige, geschmackvolle, aber unverkennbare Sklavenzeichen sehen, das ein Stück unterhalb der Hüfte auf ihrem Oberschenkel eingebrannt war. Es handelte sich um ein gewöhnliches Kajirazeichen, Stab und Blatt, der Disziplin unterworfene Schönheit, wie es die meisten Sklavinnen auf Gor tragen. Die Zehen ihres linken Fußes waren gerade ausgestreckt; das betonte die Sinnlichkeit ihrer Wade. Offensichtlich hatte sie eine Ausbildung genossen.

»Du darfst deine Ausgangsposition wieder einnehmen.«

Sie nahm wieder die gewöhnliche Gehorsamstellung ein.

In den Wochen, seit ich sie das letzte Mal als freie Frau an der Sklavenkette des Marketenders Ephialtes gesehen hatte, den ich in der Herberge Zum Krummen Tarn an der Vosk-Straße kennengelernt hatte, war ihr Haar gewachsen. Er war so freundlich gewesen, sich in gewissen Angelegenheiten als mein Agent zu betätigen.

»Erzähl mir, was seit unserer letzten Begegnung geschehen ist.«

»Das war im Krummen Tarn, nicht wahr?« fragte sie.

»Schon möglich.«

»Oder war es im Lager von Cos, vor Ar-Station?«

»Sprich.«

»Wie mein Herr sich vielleicht erinnert, hielt man mich im Krummen Tarn als Zechprellerin fest.«

Ich nickte.

»Man zwang mich, mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen.«

»Ja.« Ihre Dienste hatten mich ein Tarskstück gekostet.

»Früh am nächsten Morgen, nach dem Abend, an dem man mich gefesselt zu deinem Schlafplatz gebracht hatte, damit ich dir diente, hat man mich zusammen mit den anderen Frauen…«

»Den Zechprellerinnen«, verbesserte ich sie.

»Ja, Herr«, sagte sie. »Man hat uns ausgelöst. Wir waren überglücklich, glaubten, frei zu sein, mußten aber zu unserer Verzweiflung feststellen, daß sie uns aneinanderketteten, um uns auf der Vosk-Straße nach Norden in die Nähe von Ar-Station zu bringen.«

»Ich verstehe.«

»Ein Mann namens Ephialtes, ein Marketender aus Cos, bezahlte für uns.«

»Also hat er euch ausgelöst?«

»Ich glaube nicht, Herr.«

»Er handelte als Mittelsmann?«

»Ich glaube schon, Herr«, sagte sie. »Aber offensichtlich hatte er die Befugnis, zu kaufen und zu verkaufen, wie er es für richtig hielt.«

»Im Namen seines Auftraggebers?«

»Zweifellos, Herr.«

»Du darfst dich hinknien.«

Sie stand auf, spreizte die Beine und hockte sich auf die Fersen; die Hände legte sie auf die Oberschenkel. Ich hatte diese Position, eine der vertrautesten für eine Vergnügungssklavin, nicht befohlen, sie hatte sie, ohne zu fragen, selbst eingenommen, wie es sich gehörte. Es war ein Test gewesen. Sie hatte ihn bestanden. Es war nicht nötig, sie zu bestrafen.

Im Hintergrund rauschte der Vosk.

»Wie du dich vielleicht erinnerst, waren wir zu sechst, alles freie Frauen, aber wir mußten nackt, am Hals aneinandergekettet, hinter einem Marketenderwagen hermarschieren.«

»Hast du dich beschwert?« fragte ich.

»Ja, ich und eine andere von uns, Klio. Vielleicht erinnerst du dich auch an sie.«

»Und was ist geschehen?«

»Wir wurden ausgepeitscht. Das hat eine schreckliche Person besorgt, eine Frau namens Liadne, die als erstes Mädchen über uns bestimmen durfte, obwohl wir frei und sie nur eine Sklavin war!«

Ich erinnerte mich an Liadne. Sie war wunderschön. Ich hatte sie bei einem eisigen Sturm unter dem Wagen ihres Herrn kennengelernt. Sie war mir zu Willen gewesen, und ich hatte ihr eine Münze als Bezahlung für ihren Herrn in den Mund gesteckt. Ephialtes hatte sie dann am darauffolgenden Morgen in meinem Auftrag gekauft. Ich hatte den Eindruck gehabt, sie gebe ein großartiges erstes Mädchen ab, das ihren freien Schwestern etwas über ihre Weiblichkeit beibringen würde.

»Danach haben wir gehorcht.«

Ich hatte nicht den geringsten Zweifel gehabt, daß Liadne sie, die hochnäsigen, verwöhnten freien Frauen, einer strengen Disziplin unterwerfen würde. Diese Vermutung war dann auch bestätigt worden, als ich sie alle nackt und mit verbundenen Augen in einer Reihe im Feldlager von Cos vor Ar-Station gesehen hatte.

»Wir wurden ins Lager der Cosianer gebracht, in die Nähe von Ar-Station«, berichtete sie weiter. »Dort brachte man uns Disziplin bei; man kettete uns in einer Reihe an. Eines Morgens mußten wir Augenbinde anlegen.«

Sie hatten nicht erfahren sollen, daß ich sie ausgelöst hatte, keineswegs zu meinem persönlichen Vergnügen, sondern aus ganz bestimmten Gründen. Das war nicht ungewöhnlich. Sklavenjäger enthüllen ihren Gefangenen nicht immer sofort ihre Identität. Es ist manchmal durchaus amüsant, die Frauen im Ungewissen darüber zu lassen, in wessen Macht sie sich befinden. Sie sollen nervös darüber nachdenken, verzweifelt wilde Vermutungen anstellen. Dann ist immer noch der richtige Zeitpunkt, sich ihnen zu offenbaren und möglicherweise ihre schlimmsten Ängste zu bestätigen.

»Als ich am nächsten Morgen geweckt wurde, waren zwei der Mädchen fort, Elene und Klio, dafür befand sich eine Neue, ein schlankes, sehr schönes Mädchen, das wie wir eine freie Frau war, an der Kette.«

»Wie hieß sie?«

»Phoebe.«

»Erzähl mir von ihr!«

»Kragen und Kette standen ihr gut, sogar ausgesprochen gut. Sie gehorchte Liadne sofort und ohne Widerstand, voller Eifer und Hingabe. Es war, als würde sie intuitiv Autorität begreifen und verstehen, daß ihre Unterwerfung richtig ist. Obwohl dieses neue Mädchen wie wir frei war, habe ich selten eine Frau gesehen, die nach so kurzer Zeit in Gefangenschaft für die Wahrheiten des Kragens bereit war.«

»Vielleicht hat sie mit diesen Empfindungen ja schon seit Jahren in den verschwitzten Laken ihres Bettes gerungen.«

»Wie andere auch«, meinte das Mädchen mit einem Lächeln und senkte den Blick.

»Du bist wunderschön«, bemerkte ich und musterte im Licht des nahen Lagerfeuers ihre Züge.

»Danke, Herr«, flüsterte sie.

»War das neue Mädchen stolz?« fragte ich.

»Ich denke nur an solche Dinge wie ihre Fähigkeit, Liebe zu geben, und ihr Sklaventum.«

»Aber du hast gesagt, sie sei frei«, erinnerte ich sie.

»Ihr natürliches Sklaventum«, lächelte sie.

»Dann war sie also nicht auf die übliche Weise stolz?«

»Jedenfalls nicht auf die übliche Weise einer eitlen freien Frau.«

»Trotzdem trug dieses neue Mädchen im Gegensatz zu euch ein Sklavenband.«

»Aha, Herr, es ist, wie ich vermutete«, sagte sie. »Ihr wart das, der uns ausgelöst hat.«

»Natürlich.«

»Das neue Mädchen wollte nichts über die Identität ihres Fängers verraten, aber ich nehme an, daß Ihr sie zu Ephialtes Kette gebracht habt.«

Ich nickte. Natürlich hatte ich Phoebe zum Schweigen verpflichtet, da meine Angelegenheiten im Norden – zumindest zu diesem Zeitpunkt – geheim gewesen waren.

»Wart Ihr es dann auch, der Elene und Klio von der Kette geholt hat?«

»Ja.«

»Was habt Ihr mit ihnen gemacht?«

»Sollte eine Sklavin nicht um Erlaubnis bitten, wenn sie etwas sagen will?«

»Verzeiht, Herr.«

»Wie ist dein Name?« fragte ich.

»Temione«, erwiderte sie. Dieser Name war jetzt natürlich nur noch ein Sklavenname, den sie von ihrem Herrn verliehen bekommen hatte. Man kann Sklaven jeden Namen geben, der einem gefällt.

»Ich habe sie verkauft.«

Sie sah mich an.

»Du darfst sprechen.«

»Beide?«

»Ja.« Ich hatte sie an jenem Morgen in den Belagerungsgräben verkauft. Sie hatten mir den Vorwand geliefert, den ich brauchte, um in die Nähe der Mauern von Ar-Station zu gelangen.

»Erzähl mir von Ephialtes, Liadne, der Kette und dergleichen«, befahl ich. Ich erinnerte mich an die sechs Zechprellerinnen, die ich in der Herberge Zum Krummen Tarn ausgelöst hatte, Lady Amina aus Venna, Lady Elene aus Tyros und Klio, Rimice, Liomache und Temione, die alle aus Cos stammten.

»Ephialtes geht es gut«, sagte sie. »Er scheint Liadne sehr zugetan zu sein, und sie ihm auch. Eines Tages fiel ich dem Betreiber eines Paga-Ausschanks auf, einem Mann namens Philebus. Natürlich war es unmöglich, uns zu verbergen. Wir fielen selbst dem müßigsten aller Spaziergänger auf. Er brachte sein Interesse zum Ausdruck. Ich wurde vorgeführt und sagte ›Kauf mich, Herr‹. So einfach war das.«

»Du bist schöner, als ich dich in Erinnerung hatte«, sagte ich.

»Mein Herr sagt, daß ich schöner geworden bin«, erwiderte sie. »Ich weiß nicht, ob es stimmt oder nicht.«

»Das tut es.«

»Vielen Dank, Herr.«

»Als du also die Kette verlassen hast, enthielt sie nur noch Amina, Rimice und Phoebe.«

»Ja.«

»Ich frage mich, ob die Kette sich noch hier im Lager befindet.«

»Ich glaube schon«, sagte sie. »Aber ich weiß es nicht.«

Das mochte stimmen – oder auch nicht.

»Beug dich zurück«, befahl ich.

Sie gehorchte mit Tränen in den Augen, bebend vor Verlangen.

Ich blickte mich in Philebus’ Paga-Ausschank um. Das kreisförmige, aus festgestampfter Erde bestehende Areal hatte einen Durchmesser von etwa zwölf Metern. Die Einzäunung war eher symbolisch gemeint und bestand aus leichten Querhölzern, die auf Dreifüßen ruhten und bis in Hüfthöhe reichten. Diese Barriere, wenn man sie so nennen will, wird immer wieder ab- und neu aufgebaut, wenn das Lager weiterzieht. Innerhalb des Areals gab es einige winzige alkovenähnliche Zelte, die größtenteils gerade noch innerhalb der Grenzlinie standen. Hier und dort brannten kleine Lagerfeuer. In solchen Anlagen begnügt man sich meist – wie allgemein in Heerlagern üblich – mit kleinen Feuern, da man sie schnell löschen kann. Die Sklavinnen trugen hier keine Glöckchen. Im Falle eines Alarms kann das Lager mit nur einem Befehl in Dunkelheit und Stille getaucht werden, und es wird sozusagen eins mit der Nacht. Solche Vorsichtsmaßnahmen dienen hauptsächlich zur Abwehr eines Tarnangriffs.

Die Größe der Feuer unterliegen, wie auch andere Dinge, oft genauen Lagerregeln. Sie umfassen den Aufbau des Lagers, seine Verteidigung, seine Straßen und die Lage der Einrichtungen wie Lazarette, Proviantausgaben und Schmieden. Geregelt sind auch die Aufrechterhaltung der Sicherheit und die Wacheinteilungen innerhalb der einzelnen Regimenter, die Art der Zelte, die Anzahl ihrer Bewohner, ihre Aufstellung und Abwassergruben sowie die sanitären Einrichtungen. Die Einhaltung dieser Vorschriften wird gewöhnlich von Lageraufsehern überwacht. Sicher, dieses Lager bestand hauptsächlich aus Söldnern, was auch der Grund dafür war, daß viele der Regeln eher lax gehandhabt wurden. Es ist schwierig, bei Söldnern Ordnung und Disziplin durchzusetzen. Außerdem befanden sich diese Männer nach dem Fall von Ar-Station im Osten noch immer im Siegesrausch.

Ich sah, wie sich nur wenige Meter entfernt ein Mann in der Nähe des Zauns erleichterte. In einem Lager von Ar hätte einem eine solche Übertretung ein Bußgeld oder Peitschenhiebe eingebracht. Am Himmel zeichnete sich einen kurzen Augenblick lang ein Tarnsmann von einem der Monde ab und senkte sich dann dem Lager entgegen. Da er allein war, handelte es sich vermutlich um einen Kurier. Die Patrouillen setzten sich für gewöhnlich aus zwei oder mehreren Tarnsmännern zusammen. So sind sie einem einzelnen Eindringling überlegen, und man kann, falls nötig, einen von ihnen abkommandieren, um Bericht zu erstatten oder Hilfe zu holen, während sich der Rest anderen Pflichten zuwendet, vielleicht einer Verfolgungsjagd oder einer Suche, oder um die Führung zum Feind zu halten.

»Paga!« rief ein Mann, der mit untergeschlagenen Beinen ein paar Meter von mir entfernt saß. Ein Mädchen eilte mit einem Krug zu ihm.

Überlebende – darunter viele Frauen und Kinder – aus Ar-Station, Ars größter Kolonie und Stützpunkt am Vosk, waren von einer Flotte unidentifizierbarer Schiffe von den Landungsbrücken des brennenden Hafens gerettet worden, Schiffe, gegen die die Cosianer hier auf dem Kontinent nichts ausrichten konnten, da ihnen dazu die nötigen Mittel fehlten. Obwohl die Herkunft der Schiffe vermeintlich unbekannt war, war es am Fluß ein offenes Geheimnis, daß sie aus Port Cos stammten und von der Voskliga ausgerüstet worden waren. Das hatte etwas mit einem Topas und einem Schwur zu tun, was anscheinend auf frühere Geschehnisse am Fluß zurückging. Wie sich herausstellte, hatte sich das Ubarat von Cos dafür entschieden, diese Tat offiziell nicht zur Kenntnis zu nehmen, eine meiner Meinung nach kluge Entscheidung. Vermutlich gründete sie sich auf dem Respekt vor der Macht von Port Cos wie auch dem Wunsch, mittels der Stadt die Politik der Voskliga und damit den Fluß und das ganze Voskbecken zu beeinflussen, wenn nicht gar zu beherrschen. Ich hatte mich unter den Überlebenden befunden. Man hatte uns nach Port Cos in Sicherheit gebracht.

In dem Areal befanden sich vielleicht hundert Männer und etwa fünfzehn bis zwanzig Mädchen. Diese Mädchen füllten Krüge, deren Henkel zum besseren Eintauchen wie bei dem Hydria oder Wasserkrug sehr weit oben angesetzt sind, aus einem großen Kessel, dessen Inhalt über einem Feuer in der Nähe des Eingangs vor sich hinkochte. Es wird allgemein behauptet, daß warmer Paga einen schneller betrunken macht. Für gewöhnlich mag ich keinen erwärmten Paga, ausgenommen in kalten Nächten. In dieser Nacht war es warm, nicht kalt. Wir näherten uns dem Frühlingsende. Einige Cosianer schätzen heißen Paga. Das gilt interessanterweise auch für einige der Bewohner der nördlicher gelegenen Inseln wie Hunjer und Skjern, westlich von Torvaldsland. Möglicherweise zeigt sich da der cosische Einfluß, der durch Kaufleute und Seefahrer den Weg zu ihnen findet. Im allgemeinen wird im Norden Met, ein Gebräu aus fermentiertem Honig, Wasser und oftmals Gewürzen, Paga vorgezogen.

»Herr«, flüsterte das Mädchen vor mir.

Ich blickte sie an. Sie hatte nicht um Erlaubnis zum Sprechen gebeten. Schnell senkte sie den Kopf. »Verzeiht mir, Herr.« Ängstlich und beschwichtigend schob sie die Knie ein Stück weiter auseinander.

Ich betrachtete die einst stolze und freie Frau. Sie wagte es nicht, den Blick zu heben. Dafür gab sie mitleiderregende leise Laute des Verlangens von sich, ihr ganzer Körper zitterte.

»Hast du etwas gesagt?« fragte ich.

»Verzeiht mir, Herr.«

»Willst du was?«

Sie blickte mich ängstlich und bittend an. »Ich will Euch dienen«, flüsterte sie.

Es war schon interessant, welche Veränderungen ein Sklavenkragen in einer Frau hervorrufen konnte.

»Bitte, Herr«, bettelte sie.

»Also gut. Du darfst mir dienen.«

»Danke, Herr«, hauchte sie erfreut.

»Bring mir Paga.«

»Oh!« schluchzte sie enttäuscht.

Ich sah sie nur an.

»Ja, Herr«, schluchzte sie, erhob sich schnell und eilte auf den Paga-Kessel zu.

Ich sah ihr nach. Wie wunderschön sie war! Wie anmutig sie sich bewegte! Welch eine Sklavin aus ihr geworden war!

Philebus’ Ausschank war eigentlich eine transportable Paga-Taverne, so gestaltet, daß sie ein reisendes Feldlager begleiten konnte.

Eine andere Paga-Sklavin eilte vorbei; ein blonder Mann hatte sie zu sich befohlen.

Wie bereits erwähnt trugen die Mädchen keine Glöckchen, was angeblich damit zu tun hatte, daß sich ganz plötzlich die Notwendigkeit für Dunkelheit und Stille im Fall eines Angriffs auf das Lager ergeben konnte. Der Abend war warm. Die Monde standen am Himmel. Es wäre eine gute Nacht für einen Angriff auf ein Heerlager gewesen. Ein müßiger Gedanke. Ich rechnete nicht damit, daß es dazu kommen würde. Falls doch, wäre er bestimmt schon vor langer Zeit erfolgt. Die Sicherheitsmaßnahmen im Lager waren oberflächlich. Der Mann, den ich eingewilligt hatte zu begleiten – ein junger Krieger aus Ar-Station namens Marcus, das heißt, sein richtiger Name lautete Marcus Marcellus von den Marcelliani –, und ich hatten keine Probleme gehabt, uns in der Verkleidung von Kaufleuten in das Lager einzuschleichen. Im Prinzip waren wir Spione. Der junge Marcus hatte von Aemilianus, seinem ehemaligen Kommandanten in Ar-Station, der sich nun unter den Flüchtlingen in Port Cos befand, die Erlaubnis erhalten, die Bewegungen der Cosianer im Norden des Kontinents zu verfolgen und die gesammelten Informationen dem zur Zeit vor Holmesk lagernden Heer von Ar zukommen zu lassen. So tief verwurzelt waren die alten Loyalitäten, und das, obwohl Ar es unerklärlicherweise nicht geschafft hatte, Ar-Station zu Hilfe zu kommen. Ich hielt den jungen Marcus für einen prächtigen, wenn auch launischen Soldaten. Er war derjenige gewesen, dem es gelungen war, Ar-Stations Hälfte des Topas nach Port Cos zu bringen, was in der Erfüllung des Schwurs des Topas resultiert und die Streitmacht von Port Cos und darüber hinaus anscheinend die Schiffe der Voskliga mobilisiert hatte, die Piers von Ar-Station zu evakuieren und die Überlebenden, die sich hauptsächlich aus Bürgern zusammensetzten, zu retten. Wenn der junge Marcus, der mir ans Herz gewachsen war, eine Schwäche hatte, dann seine Launenhaftigkeit und seinen unglaublichen Haß auf die Cosianer und alles Cosische. Dieser Haß, der schon beinahe krankhafte Ausmaße annahm, war zweifellos die Folge seiner Kriegserlebnisse, vor allem der Belagerung von Ar-Station. Es ist schwer, mitansehen zu müssen, wie alles – oder fast alles –, das man geliebt hat, zerstört wird, und den für diese Zerstörung Verantwortlichen danach keinen Zorn entgegenzubringen. Wären die Streitkräfte von Ar in Telnus gelandet, kann ich mir nicht vorstellen, daß das Ergebnis wesentlich anders ausgesehen hätte. Wie viele Krieger neige auch ich dazu, den Krieg eher als die gefährlichste und aufregendste aller sportlichen Betätigungen anzusehen, ein Spiel von Kriegern und Ubars. Was, wie ich zugeben muß, sicher schrecklich ist. Auch ich bin dem Beutemachen keineswegs abgeneigt, besonders wenn sie wunderschön und kurvenreich ist.

Temione war mittlerweile am Kessel angelangt und tauchte ihren schmalen Krug vorsichtig in den brodelnden Paga. Anscheinend hatte sie geweint, aber vielleicht war es auch nur die von dem Paga ausgehende Hitze, die sie sich mit dem Handrücken aus den Augen wischte. Ja, das hatte ich mir gedacht, denn ich hatte gesehen, wie sie die Faust ballte und sich die Fingernägel in die Haut bohrten, wie sich ihre Hüften unwillkürlich frustriert bewegten. Es ist schwer für eine Frau, sich zu beherrschen, wenn sie leicht bekleidet den Kragen trägt, wenn sie eine Sklavin ist.

Die Cosianer waren ganz offen marschiert und hatten dabei ein gemütliches Tempo angeschlagen; sie hatten sogar das Südufer des Vosk benutzt, statt sich ans Nordufer zu begeben. Das war an sich der blanke Wahnsinn, denn dort hätte man sie zum Fluß treiben, in die Zange nehmen und vernichten können. Im Gegensatz zu der Situation vor Ar-Station wären sie nun in der Minderzahl gewesen. Vielleicht verstand Policrates, der Lagerkommandant, ja nichts vorn Kriegführen. Aber es hatte den Anschein, als wüßte er, daß er nichts oder nur wenig zu befürchten hatte. Das wenige, das ich von ihm gehört hatte, hatte in mir die Zuversicht wachsen lassen, daß er genau wußte, was er tat. Man hatte sogar den Eindruck, als würde er der Welt hochmütig verkünden, daß ihm nichts geschehen konnte, daß er eine Art Immunität besaß, deren Ursprung in Politik oder Verrat zu suchen war. Sicher, wegen des früheren Ausmaßes der von Ar eingerichteten Pufferzone – eine Politik, die schon lange nicht mehr verfolgt wurde – war das Südufer des Vosk weitaus dünner besiedelt als das Nordufer. Außerdem marschierte das Expeditionsheer vermutlich entweder auf Brundisium zu, den Ausgangspunkt der Invasion, oder es würde nach Süden abbiegen, um vor Torcodino zu Myron zu stoßen; dort lauerte der Söldner Dietrich von Tarnburg wie ein Larl in seiner Höhle. Bis jetzt hatten die tapferen Soldaten von Ar trotz all ihrer Macht nicht den geringsten Versuch unternommen, dem Heer den Weg abzuschneiden, es gegen den Vosk zu drängen oder es auf dem Schlachtfeld zu stellen.

In unserem Lager befanden sich mehrere tausend Cosianer und Söldner, aber Ar verfügte angeblich über fast fünfzigtausend Mann, eine für einen goreanischen Stadtstaat unglaubliche Streitmacht. Eine gewöhnliche goreanische Armee umfaßt für gewöhnlich nicht mehr als vier- bis fünftausend Mann. Söldnerheere haben sogar selten mehr als zweihundert Mann. Dietrich von Tarnburg, der etwa fünftausend Kämpfer kommandierte, bildete da eine Ausnahme. Er ist einer der gefürchtetsten und tatkräftigsten Söldnerhauptmänner Gors. Und einer der teuersten. Aber trotz des Angriffsziels, das Kommandant Policrates – angeblich ein ehemaliger Pirat, den Myron, der Polemarkos von Temos, ein Cousin des Lurius von Jad, dem Ubar von Cos, von einer Galeere gerettet hatte – scheinbar so einladend bot, hatte Ar nicht zugeschlagen; seine Männer hatten nicht einmal die Fourageure behindert. Militärisch gesehen schien Ars Verhalten unerklärlich. Vielleicht kannte er ja weder die Stärke noch den Standort der Cosianer, so unwahrscheinlich das auch erschien.

Temione hatte den Pagakrug gefüllt. Von einem Gestell in der Nähe des Kessels nahm sie einen Becher. Die Regalbretter bestanden aus schmalen Holzplanken. Die Becher werden umgedreht darauf aufbewahrt. Auf diese Weise können sie nach dem Spülen trocknen. Davon abgesehen werden sie so vor Staub geschützt. Ich beobachtete, wie sie den Becher sorgfältig ausputzte. Wehe der Sklavin, die es wagt, Paga oder Wein in einem schmutzigen Becher zu servieren!

Ich lauschte dem Rauschen des Vosk im Hintergrund, den gemurmelten Unterhaltungen, den Geräuschen des Heerlagers.

Die Sklavin wandte sich mir zu.

Als sie meinen Blick bemerkte, senkte sie den Kopf. Demütig und verängstigt kam sie näher, sich meines prüfenden Blicks anscheinend schrecklich bewußt.

Wie schön sie doch war.

»Herr«, sagte sie und kniete vor mir nieder. Sie goß mir Paga ein, füllte mit dem Krug den Becher, den sie vom Regal genommen hatte.

»Paga!« rief ein in der Nähe sitzender Bursche einer Rothaarigen zu, die sich beeilte, vor ihm auf die Knie zu fallen und den Kopf in den Staub zu legen.

Ich lächelte.

Sie hatte keine Zeit versäumt.

Natürlich ist an einem solchen Ort jede Sklavin dem Willen des Gastes unterworfen. Kein Wunder, daß die Mädchen sich nach Kräften bemühen, alle zufriedenzustellen.

»Herr?« hauchte Temione.

Ich nahm den Paga.

»Habt Ihr noch einen Wunsch?« fragte sie zaghaft.

Ich trank einen Schluck Paga. Er war heiß.

»Du trägst keine Glöckchen am Fuß«, bemerkte ich.

»Das tut keine von uns.«

Ihre Antwort deutet darauf hin, daß ihr der Grund dafür vermutlich unbekannt war.

»Ein Glöckchen würde deinem Knöchel stehen«, sagte ich.

»Ich habe noch nie Glöckchen getragen«, meinte sie schüchtern.

»Ein Glöckchen macht es einem einfacher, ein Mädchen im Dunkeln zu finden.«

»Zweifellos, Herr.« Sie lächelte.

Plötzlich flog das Tor des Paga-Ausschanks auf und schlug gegen den Zaun.

»Es ist Borton!« rief ein Mann erfreut.

»Laßt uns feiern!« rief der Neuankömmling, ein großer, breitschultriger Kerl mit einem Vollbart; er ließ eine prall gefüllte Geldbörse am Riemen kreisen und schlug sie einem Mann, den ich für den Wirt Philebus hielt, gegen den Leib. Der Wirt griff danach, konnte sie aber nicht festhalten, da sie am Riemen zurückgerissen wurde. Philebus schrie in gespieltem Entsetzen auf. Dann nahm der Kerl die Geldbörse und drückte sie seinem Gegenüber fest in die Hand.

»Ich bin lange gereist und habe meinem Hauptmann Bericht erstattet«, sagte er. »Ich bin den Sattel überdrüssig und will was zu trinken – und was Anschmiegsameres zum Reiten!«

Gelächter und Jubel ertönten. Männer drängten sich um den Kurier. Die angeketteten Mädchen zuckten zusammen und machten sich so klein und unauffällig wie nur möglich.

Dieser Borton war hier wohl allgemein bekannt. Unglücklicherweise hatte auch ich in der Vergangenheit seine Bekanntschaft gemacht.

Temione keuchte auf. Auch sie hatte ihn erkannt.

Er trug Uniform und Insignien der Tarnsmänner von Artemidorus, dem bekannten cosischen Söldnerführer.

»Laßt das Fest beginnen«, rief er ungestüm. Wieder ertönte Jubel. »Es ist Borton!« rief ein Mann. »Borton ist zurückgekehrt!« Der Tumult fiel nun auch Männern außerhalb des Ausschanks auf, und sie eilten herein. Philebus, der Wirt und damit Temiones Besitzer, befahl ein paar Burschen, bei denen es sich wohl um seine Helfer handelte, für Essen und Trinken zu sorgen. Einer von ihnen schloß das Eingangstor zum Ausschank. Schon kletterten Männer über den Zaun.

»Sitzt du nicht auf meinem Platz?« fragte der Kurier mit polternder Stimme einen armen Kerl, der ziemlich in der Mitte des Ausschanks saß, was für gewöhnlich als der beste Platz für prompte Bedienung angesehen wurde. Der Kerl verdrückte sich, so schnell er konnte. Auf allen vieren.

Wieder erschallte Gelächter.

Borton warf seinen Helm auf den Platz und nahm ihn damit in Besitz. Es würden sich wohl nur wenige finden, die dieses Zeichen seiner Inbesitznahme mißachten würden.

Ich stellte den Paga ab und überprüfte den freien Zugriff zu meiner Klinge, wobei ich sie einen Zentimeter oder so aus der Scheide schob.

»Nein, Mann«, flüsterte ein Mann in meiner Nähe. »Das ist Borton.«

»Soviel habe ich auch mitbekommen«, erwiderte ich.

»Er ist einer der besten Schwertkämpfer des Lagers«, warnte mich der Mann.

Ich schob die Klinge wieder zurück in die Scheide. Bis auf ein kleines Stück.

»Herr«, hauchte Temione atemlos und mit glänzenden Augen. »Er ist es.«

»Ja«, bestätigte ich. In diesem Augenblick verstand ich ihre Gefühle nicht. »Er ist es.«

Borton schlenderte zum Pfahl. Die dort angeketteten Mädchen drängten sich an ihn, als könnte er ihnen Sicherheit oder Schutz bieten. Borton zog zwei davon auf die Füße und musterte sie kritisch. Eine andere hieß er, sich bäuchlings hinzulegen und dann einen Buckel machen. Temione keuchte auf, entsetzt über die Kühnheit, mit der die Frauen behandelt wurden.

»Auch du bist eine Sklavin«, erinnerte ich sie. »Dasselbe könnte auch mit dir geschehen.«

»Ich weiß.«

»Ich will noch andere sehen«, rief Borton und machte es sich auf dem Platz bequem, den er zuvor beansprucht hatte.

Philebus brachte zwei Mädchen. Bis auf den Kragen waren sie nackt. Borton ließ eine neben sich niederknien, die andere, eine Blondine, legte er sich quer über den Schoß. »Beweg dich nicht«, warnte er sie.

»Borton!« rief ein Mann fröhlich von der anderen Seite des Ausschanks. »Mußtest du in letzter Zeit mal wieder in einer Herberge ausgelöst werden?«

»Ich glaube, dazu habe ich auch etwas beigesteuert!« rief ein anderer, ein Bursche, der ebenfalls Artemidorus’ Tarnsmannuniform trug.

»Das habe ich dir zurückgezahlt, und zwar das Fünffache, du Sleen«, brüllte Borton lachend.

Das Mädchen, das auf dem Rücken quer über seinen Knien lag, schrie plötzlich überrascht auf. »Beweg dich nicht«, warnte er sie erneut. Das andere Mädchen, das neben ihm im Staub kniete, machte Anstalten, vorsichtig fortzukriechen. »Und du bleibst auch hier.«

Daraufhin kam sie zugleich ängstlich und aufgeregt wieder näher, hob den Kopf und küßte sein Knie. Die Blonde auf seinem Schoß schrie wieder auf. Sie starrte mit weit aufgerissenen Augen zu den Monden hoch. Ihre Fäuste öffneten und schlossen sich. Sie stöhnte.

»Es ist einige Wochen her«, sagte der Mann neben mir, »vor dem Fall von Ar-Station. Borton beförderte Depeschen für Artemidorus. Er übernachtete in einer Herberge an der Vosk-Straße. Während er sich mit dem morgendlichen Bad erfrischte, stahl ihm irgendein Schurke seine Kleidung, sein Geld, seinen Tarn, die Depeschen. Eben alles.«

»Interessant«, bemerkte ich.

Der Mann kicherte. »Man hielt ihn in der Herberge fest, nackt an einen Ring im Hof gefesselt, bis seine Rechnung, die, wie ich hörte, beträchtlich war, bezahlt wurde.«

»Wer hat ihn ausgelöst?«

»Seine Kameraden. Ein paar Tage später kehrten andere von Artemidorus’ Tarnsmännern in der Herberge ein. Sie hatten ihren Spaß daran, ihn so vorzufinden. Also ließen sie ihn noch zwei oder drei Tage dort schmoren, verspotteten ihn und steigerten seine Sorge, sie könnten das Geld zum Auslösen nicht aufbringen, oder behaupteten, sie hätten es zwar geschafft, es aber wieder beim Spiel verloren. Außerdem brachten sie, wie du dir sicher vorstellen kannst, solche Dinge wie die Ehre der Truppe ins Gespräch und warfen die Frage auf, ob jemand, der so dämlich war, sich in eine solche Zwangslage zu bringen, überhaupt ausgelöst werden sollte. Er fluchte und tobte, aber was konnte er schon tun, nackt, in Ketten! Am Ende befreiten sie ihn natürlich, nachdem sie ihm das Versprechen abgenommen hatten, ihnen ihre Scherze nicht heimzuzahlen, und beglichen seine Schulden.«

»Es hat doch sicher Ärger wegen der verlorenen Depeschen gegeben«, meinte ich.

»Anscheinend waren sie nicht wichtig, Routinekram. Angeblich waren sie nicht mal verschlüsselt. Außerdem schätzte man seine Fertigkeiten mit dem Tarn und dem Schwert. Sicher, er mußte eine Strafe bezahlen und wurde degradiert. Aber wie ich gehört habe, hat er seinen finanziellen Engpaß überwunden, vermutlich durch seinen Anteil an der Beute, die Artemidorus beim Fall von Ar-Station gemacht hat. Was seine Ehre angeht, bin ich mir nicht so sicher.«

»Ihr müßt flüchten, Herr«, flüsterte Temione mir zu.

»Ich habe meinen Paga noch nicht ausgetrunken«, erwiderte ich. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, diesem Kerl noch einmal über den Weg zu laufen. Sowohl ich als auch Ephialtes waren mit ihm aneinandergeraten. In einem aus Tausenden von Männern bestehen Heerlager, in dem es mindestens zwei Dutzend Paga-Schenken gab, mußte ich mir ausgerechnet diese aussuchen. Zugegeben, das war nicht so erstaunlich, wie es vielleicht den Anschein hatte, denn Philebus Wirtschaft war angeblich die beste im ganzen Lager. Natürlich hatte ich mich vorher erkundigt. Wie dem auch sei, es gab kaum Grund zur Sorge. Borton hatte mich nicht gesehen und würde sich vermutlich auch nicht an mich erinnern. Vielleicht würde er auch die Komik der Situation zu schätzen wissen, und wir würden darauf gemeinsam und friedlich anstoßen. Aber ich zog das Schwert ein kleines Stück weiter aus der Scheide. Wem es um den Bruchteil eines Ihn geht, kann ein Viertelzentimeter ein beträchtlicher Vorteil sein. Unter bestimmten Umständen verzichten Krieger ganz auf die Schwertscheide. Das ist übrigens auch einer der Gründe dafür, warum man sie an einer Schlinge über der linken Schulter trägt; so kann man sie sofort nach dem Ziehen der Klinge zur Seite werfen, damit sie einen nicht behindert oder der Gegner daran zieht.

»Tarskbraten!« verkündete Philebus stolz und trat auf Borton zu. Er deutete auf einen seiner Gehilfen, der ein Tablett mit dampfendem Fleisch trug. Borton griff sich eine Keule heißes, fetttriefendes Tarsk und biß hinein. »Ausgezeichnet!« strahlte Philebus, dann bedeutete er seinem Gehilfen, das Tablett herumzutragen und die anderen zu bedienen. Der andere Gehilfe verteilte ebenfalls Essen, Würste und Brot. Eine der Sklavinnen, die sich dicht hinter Philebus gehalten hatte, kniete gehorsam vor dem Tarnsmann nieder und stellte einen Becher Paga vor ihm ab. Sie war ausgesprochen schön, und sie wußte es.

»Auf Borton!« rief ein Mann.

Jubel ertönte. »Danke«, sagte ich. Ich nahm ein Stück Tarsk von dem Tablett. Wenn der Tarnsmann schon so freundlich war, alle einzuladen, wäre es einfach albern gewesen, seine Gastfreundschaft zurückzuweisen.

»Diene ihm!« sagte Borton lachend zu der Schönheit, die vor ihm kniete, und zeigte mit der Keule auf einen Kameraden.

Die Schönheit sah ihn verblüfft an, als könnte sie nicht glauben, daß sie fortgeschickt wurde. Einen kurzen Augenblick lang glaubte ich so etwas wie Wut in ihren Zügen zu sehen, aber dann eilte sie plötzlich zu dem Mann, auf den Borton gezeigt hatte, als wäre ihr schlagartig ihr unmögliches Verhalten bewußt geworden; sie warf sich ihm zu Füßen. »Du wirst heute abend ausgepeitscht«, versicherte Philebus ihr. »Ja, Herr«, stöhnte sie. Sie hatte nicht sofort gehorcht. Eine Sklavin hat sofort und unverzüglich zu gehorchen.

»Danke«, sagte ich zu dem anderen Gehilfen und nahm eine Wurst von dem Tablett.

»Paga für alle, von unserem Gastgeber, dem ehrenwerten Borton!« rief Philebus. Mädchen eilten geschäftig umher und bedienten. Ich streckte die Hand aus und hielt Temione fest. »Herr?« fragte sie.

»Du bedienst mich!«

Philebus kettete sogar die Mädchen von dem Pfahl los, damit sie ebenfalls bedienen konnten. Sobald sie frei waren, sprangen sie auf. Er warf Temione einen Blick zu, die sich ängstlich bewegte, gab ihr aber kein Zeichen. Offensichtlich gehörte sie zu mir.

Als der Gehilfe wieder an mir vorbeiging, nahm ich ein Stück Brot von dem Tablett. Wäre Marcus dagewesen, hätte auch er ein kostenloses Abendessen gehabt.

Der Tarnsmann hatte genug von der Keule und warf den Rest einem Freund zu.

»Trinken wir auf Borton den Edlen, Borton den Großzügigen!« rief ein Mann und erhob sich unsicher auf die Beine.

»Ja, auf ihn!« stimmten andere ein.

Ich schloß mich ihnen an und hob den Becher. Ich machte mir einen Spaß daraus, das zu tun.

Temione konnte den Blick nicht von dem bärtigen Kerl wenden. Vor langer Zeit hatte Temione genau wie Amina, Klio, Elene, Rimice und Liomache zu den Frauen gehört, die von Männern lebten. Vielleicht war es der Krieg gewesen, der Mangel an vermögenden Reisenden, die Horden halb verhungerter Flüchtlinge oder die hohen Preise; als ich sie kennengelernt hatte, ging es ihnen schlecht. Aufgrund der unbezahlten Rechnungen und da ihre Ausflüchte das Herbergspersonal nicht länger zufriedenstellten, hatte man sie ergriffen und an Stricken um den Hals vor den Verwalter geführt. Er hatte sie voll bekleidet in einen Käfig auf Rädern auf eine Bank gesetzt, in der Nähe des Eingangs, wo sie Gelegenheit hatten, Männer anzubetteln, ihre Rechnung zu bezahlen. Nachdem sich dies als erfolglos erwies, ließ er sie von kräftigen freien Frauen durchsuchen und entkleiden, um sie dann wieder in den Käfig bringen, wo sie nun wieder auf der Bank saßen, diesmal jedoch nackt und völlig mittellos. Später hatte er sie mit zusammengebundenen Knöcheln neben dem Eingang aufgereiht, mit freien Händen, damit sie die Herbergsgäste noch flehentlicher anbetteln konnten. Zur siebzehnten Ahn hatte der Verwalter sie fortschaffen lassen; vielleicht hatte er sie nicht mehr sehen können, oder er hatte einfach nicht mehr daran geglaubt, daß sich jemand fände, der ihre Rechnungen bezahlte. Zum erstenmal in ihrem Leben hatten sie Ketten getragen. Ich hatte die einstige Lady Temione aus Cos im Pagaraum kennengelernt, wo sie nackt und in Ketten als meine Bedienung fungierte. Dort war sie auch dem Mann begegnet, der sich nun als Borton entpuppte. Er hatte sie nicht haben wollen, da sie keine Sklavin war, hatte sogar wütend abgelehnt, auch nur von ihr bedient zu werden. »Bringt mir eine Frau!« hatte er gebrüllt. »Eine richtige Frau!«

Das war ein schwerer Schlag für ihre Eitelkeit, ihr Selbstbewußtsein und ihren Stolz gewesen, da sie sich, wie die meisten freien Frauen, für einen wunderbaren und kostbaren Schatz hielt.

»Die Sklavinnen sollen sich zeigen!«, rief ein Mann und hob seinen Becher Paga.

»Die Sklavinnenparade!« stimmte ein anderer ein. »Die Sklavinnenparade!«

»Ja, ja!«

Die ›Sklavinnenparade‹, wie man sie manchmal nennt, findet für gewöhnlich in Paga-Tavernen und Bordellen statt. Natürlich veranstaltet man sie auch anderswo, in den Häusern reicher Männern, bei Festgelagen und dergleichen. Es ist eine Zurschaustellung von Schönheit und körperlichen Reizen. Die Sklavinnen bieten sich, für gewöhnlich eine nach der anderen, von Musik begleitet, den Gästen dar. In gewisser Weise ähnelt es den Modeschauen der Erde, wobei es natürlich hier nicht darum geht, Sklavenmode vorzuführen – obwohl auch das vorkommt –, sondern um sozusagen die Schätze des Hauses zu präsentieren. Während bei den Modeschauen auf der Erde sich die Frau für die Mode und der Mann für die Frau interessiert und die Frauen für die Designer lediglich Mittel zum Zweck sind, nehmen an einer Sklavinnenparade grundsätzlich keine freien Frauen teil, und die Männer können sich an der Schönheit der Sklavinnen erfreuen, wie es von der Natur beabsichtigt ist. Und die Frauen dienen nicht den Designern, sondern einem Herrn, der, falls er sie auswählt, ihr Mietgeld bezahlt. Die Frauen ziehen ebenfalls ihren Gewinn daraus, nicht nur was das Geldverdienen angeht, sondern in einer tiefergehenden psychologischen und biologischen Hinsicht; so können sie ihre wahre Natur ausdrücken und erfüllen.

Ein Flötentrillern ertönte, eine einfache Flöte, keine Doppelflöte, gefolgt vom schnellen Schlag einer kleinen Tabor; die Instrumente waren in den Händen von Philebus’ Gehilfen. Die Sklavinnen des Ausschanks sahen einander an, ängstlich und aufgeregt zugleich. Dann ließ Philebus eine Peitsche knallen; es klang wie ein Schuß. Die Mädchen in ihren Eisenkragen und knappen Kostümen schrien entsetzt auf. Selbst Temione zuckte zusammen, obwohl sie an meiner Seite kniete. Es war ein Laut, der Sklavinnen nicht unbekannt war.

»Dora!« rief Philebus.

Sofort wirbelte eines der Mädchen im Takt der Musik zwischen den Gästen umher, eine sinnliche Sklavin mit breiten Hüften und süßen Brüsten; halb tanzend und halb gehend bot sie sich besonders Borton dar, wich vor und zurück, drehte sich.

»Lana!« rief Philebus, und Dora wirbelte aus der Mitte des Kreises heraus und vollendete ihren Tanz durch den Schankraum, wobei sie sich bemühte, den zupackenden, liebkosenden Händen der Männer zu entgehen, und kniete dann im Hintergrund nieder.

Das Mädchen, das der Tarnsmann seinem Freund zum Vergnügen überlassen hatte, sprang auf die Füße und begann ihre Runde auf ziemlich die gleiche Weise wie ihre Vorgängerin. Sie war eine aufregende, langbeinige Frau, und ihr Kleid, das aus dünner Seide bestand, die immer wieder aufklaffte, überließ kaum einen ihrer Reize der Phantasie.

»Aii!« rief ein Mann und huldigte damit der Schönheit der vorbeitanzenden Sklavin.

Sie posierte verführerisch vor Borton.

»Wie schön sie doch ist!« entfuhr es Temione.

»Aii!« rief ein anderer Mann.

Mit einem Schwenken seines Bechers und einem Lachen entließ Borton sie.

Diesmal eilte sie unverzüglich los, bewegte sich auf wunderschön anzusehende Weise an den Männern vorbei und vollendete ihre Schau. Sie hatte keinen Augenblick lang gezögert. Sie war fortgeschickt worden.

»Tula!« rief Philebus, und ein weiteres Mädchen sprang auf die Füße.

Lana, die ihre Runde beendet hatte, kehrte an die Seite des Mannes zurück, dem Borton sie vorhin überlassen hatte. Sie gehörte noch immer ihm, durch den Willen eines anderen, bis man sie entließ.

»Lina!« rief Philebus. Sie hatte kurze Beine und war ziemlich stämmig, mit einer wunderbar breiten Liebesschaukel, wie man so sagt. Das sind oft die besten Sklavinnen.

»Ich habe Angst«, sagte Temione.

Die wüsten Komplimente, mit denen sie überschüttet wurde, ließen Lina erröten. Dann tanzte sie, ebenfalls entlassen, aus dem Kreis heraus und kniete im Hintergrund nieder.

»Sucha!« rief Philebus. Sie war ebenfalls ziemlich klein, mit dunkler Haut. Meiner Meinung nach stammte sie möglicherweise aus der Tahari.

»Ina!« rief Philebus. Sie war größer und blond, kam vielleicht aus einem Dorf in der Nähe von Laura. Trotz ihrer blonden Haare war offensichtlich, daß in ihrem Leib das Sklavenfeuer entfacht worden war. Ich lächelte. Ohne jeden Zweifel würde sie trotz ihrer Haarfarbe in den Armen eines Mannes so hilflos sein wie jede gewöhnliche Sklavin.

»Susan!« rief Philebus. Susan war eine Rothaarige.

Das Mädchen, das quer auf Bortons Schoß gelegen hatte, lag nun neben ihm bäuchlings am Boden und sah der Sklavinnenparade zu. Ihr stockte der Atem. Das andere Mädchen hatte sich auf Hände und Knie erhoben. Sie keuchte auf. Sie schien überwältigt und aufgeregt. »Runter!« befahl Borton. Sie und die andere kauerten sich zusammen, jede auf einer Seite, und betrachteten aufgeregt die Zurschaustellung der Sklavinnen. Gelegentlich gaben sie Borton einen Kuß, als wollten sie ihn darin erinnern, daß sie auch noch da waren, daß sie Frauen und bereit waren.

»Jane!« rief Philebus. Jane war eine kurvenreiche Brünette. Die Namen Susan und Jane sind Erdennamen. Aber dies bedeutete nicht, daß es sich bei diesen Mädchen um Menschen von der Erde handelte. Irdische Mädchennamen dienen auf Gor oft als Sklavennamen. Natürlich war es nicht ausgeschlossen, daß sie von der Erde kamen. Aber selbst falls dies zutraf, waren sie jetzt goreanische Sklavinnen, verkäufliche Ware, laszive, hemmungslose Frauen. Ich erwähne die Möglichkeit, daß sie von der Erde stammten, nur aus dem Grund, weil so etwas durchaus nicht ausgeschlossen war. Das hat etwas mit dem Sklavenhandel zu tun. Es gibt eindeutige Beweise dafür, daß Schiffe der Kurii zwischen der Erde und Gor eine beständige Sklavenroute aufrechterhalten. Dies nur zur Erläuterung.

»Jasmine, Geize!« rief Philebus.

»Ich kann mich dort nicht zeigen«, schluchzte Temione.

»Ziehst du die Peitsche vor?« fragte ich.

»Er verachtet mich«, sagte sie. »Er würde mich auslachen. Er würde mich verspotten und erniedrigen! Er hat mich angeekelt abgewiesen. Er findet mich häßlich, dick, dumm, ein Sleen-Weibchen, das so abstoßend und widerwärtig ist, daß er mich aus seiner Gegenwart entfernen lassen würde.«

»Aber jetzt bist du eine Sklavin«, bemerkte ich.

Sie starrte mich mit einem wilden Blick an.

»Temione!« rief Philebus.

Sie stand augenblicklich auf den Beinen, mit einer Bewegung voller Sinnlichkeit und Anmut.

Ich keuchte überrascht auf.

»Aii!« riefen einige Männer.

Sie war eine Sklavin, aber was für eine!

Sie glitt an den Männern vorbei, in ihrem Auftritt bei der Sklavinnenparade, schritt den staubigen Pfad zwischen ihren Herrn entlang; die einen waren Goreaner, Larls unter Männern, harte, durch nichts verweichlichte, ungezähmte Bestien, gebieterisch und gnadenlos, und sie war eine Frau, unaussprechlich begehrenswert und verletzlich, weich und schön, ein Wesen, wie sie es zu ihren Füßen liegen haben wollten!

»Aii!« rief ein Bursche.

Aber da hatte sie sich schon von ihm zurückgezogen, als ob sie ihn fürchteten, und doch auf eine Weise, daß er genau wußte, daß sie ihm oder einem anderen unaussprechliche Freuden bereiten würde.

Ich mußte mich zwingen zuzusehen.

Borton hatte den Becher gesenkt.

Selbst Philebus sah überrascht aus. Ich glaube, bis zu diesem Augenblick hatte er gar nicht gewußt, was ihm da eigentlich gehörte.

Auch die im Hintergrund knienden Mädchen sahen zu, einige erhoben sich von den Fersen. Sie blickten Temione und dann einander an. Einige keuchten auf. Sie waren fassungslos. Anscheinend konnten sie nicht glauben, was sie da sahen. Bis zu diesem Augenblick hatten sie – genausowenig wie Philebus oder ich, was das betraf – auch nur geahnt, wieviel Weib in Temione steckte. Einige der Mädchen rissen ihre Seide auf und wanden sich im Staub auf den Knien vor Verlangen. Als sie sahen, wie schön und begehrenswert eine Frau sein konnte, wollten sie sich ebenfalls auf diese Weise bewegen und so die Aufmerksamkeit ihrer Herrn auf sich lenken, um sie darum zu bitten, ihr Verlangen nach Liebe und Unterwerfung zu stillen.

Trommel und Flöte ertönten. Da waren die Männer, der Ausschank, der Vosk im Hintergrund, der Feuerschein und die Sklavin.

»So wunderschön«, flüsterte ein Mann.

Auf ihrer Runde machte sie vor mir halt, ihre Hände strichen über die Hüften, ihre Schultern und ihre Brüste bewegten sich.

Ich trank von meinem Paga. Dann entließ ich sie mit einer kleinen Kopfbewegung.

Sie wirbelte von mir fort.

Und näherte sich dem Kurier.

Es war sehr schön, ihr zuzuschauen, einer in Seide gehüllten, mit dem Sklavenkragen versehenen barfüßigen Schönheit.

Dann stand sie vor Borton, dem Tarnsmann, die Schultern nach hinten genommen, den Kopf hoch erhoben, stolz in ihrem Sklaventum, furchtlos; ihr Körper schien sich kaum zu bewegen, und doch folgte er gehorsam und enthüllend dem Takt der Musik, wie es sich bei einer Sklavinnenparade gehörte.

»Ah!« sagte der Tarnsmann mit leuchtenden Augen.

Sie sah ihn an. Er mußte sie doch erkennen!

Dann wich sie vor ihm zurück und wieder vor. Seine Hand krampfte sich um den Becher. Die Mädchen im Hintergrund murmelten etwas. Er entließ Temione nicht. Er ließ sie weitertanzen.

Männer sahen einander an und grinsten.

Temione wiegte sich weiter, machte einen Schritt in die eine und dann in die andere Richtung, drehte sich im Kreis, kam näher, wich zurück, kam wieder näher.

Und noch immer entließ er sie nicht. Als sie einmal von ihm zurückwich, trafen sich unsere Blicke. Sie sah überrascht aus. Anscheinend hatte sie damit gerechnet, auf jeden Fall von ihm erkannt zu werden. Zweifellos war sie darauf gefaßt gewesen, wieder zurückgestoßen zu werden, fortgeschickt, vielleicht sogar geschlagen zu werden, aber er hatte sie nicht einmal aus dem Kreis gelassen. Als sie mir kurz darauf wieder das Gesicht zuwandte, konnte ich nicht umhin, zusammen mit ihrer Verblüffung ihre schön geformten, nackten Beine wahrzunehmen; ihre zarten Knöchel und Füße, der wunderbare Schwung ihrer Hüfte, Taille und Brüste, preisgegeben von der Seide, dieser Verhöhnung eines Kleidungsstücks, die Anmut ihrer Ober- und Unterarme, die zierlichen Hände und Finger, ihre Schultern, ihr Hals mit dem Kragen, ihr zartes, wunderschönes Gesicht – wie wunderbar sie doch war! Vielleicht war es verständlich, daß er diese aufregende Sklavin vor ihm nicht mit der freien Frau in Verbindung brachte, der er seinerzeit soviel Verachtung entgegengebracht hatte. Vermutlich wäre das vielen Männern so gegangen.

Wieder tanzte sie vor ihm.

Nein, er erkannte sie nicht.

Dann blieb sie verwegen vor ihm stehen, als würde sie ihn herausfordern, sie zu erkennen.

Und er tat es noch immer nicht!

Plötzlich riß sie sich völlig unerwartet die Seide vom Körper. Die Mädchen stöhnten auf. Männer beugten sich vor. Philebus Hand verkrampfte sich um die Peitsche. Er hob sie zögernd.

Temione bemerkte das nicht. Sie hatte nur Augen für den Kurier, und er für sie, verblüfft, verzaubert, wie gelähmt.

»Ist der Herr zufrieden?« fragte Philebus.

»Ja! Ja!« rief Borton aus.

Sie blieb weiter vor ihm stehen. Obwohl sie sich kaum bewegte, war in ihrem Körper noch immer Musik. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Philebus sie dafür bestrafen würde, daß sie so vor Borton, seinem Kunden, getanzt oder sich die Seide vom Leib gerissen hatte. In der Abgeschiedenheit seines Zuhauses ermuntert ein Herr seine Sklavinnen zu solch erregenden Spontanaktionen. In der Öffentlichkeit wie einem Paga-Ausschank ist es jedoch für ein Mädchen ratsam, sehr vorsichtig zu sein, zumindest in Gegenwart ihres Besitzers. Sie darf auf keinen Fall den Anschein erwecken, daß sie nicht mehr unter der völligen Kontrolle ihres Herrn steht.

»Los, los«, sagte Borton und gestikulierte mit der linken Hand und dem Becher in seiner rechten, »bring sie alle her!«

Philebus gab den Mädchen ein Zeichen, und sie eilten mit leisen Schritten nach vorn und knieten im Halbkreis hinter Temione nieder, die noch immer mit zerrissener Seide dort stand.

»Möchte der Herr vielleicht seine Auswahl für heute nacht treffen?« fragte Philebus.

Gelächter erscholl.

Diese Frage war nun wirklich rein rhetorisch.

Philebus wies mit der zusammengerollten Peitsche auf seine Mädchen, wie ein Zuckerbäcker, der seine Süßigkeiten anpreist.

Weiteres Gelächter erscholl.

Ich glaube, es bestand kein Zweifel, wen der Tarnsmann wählen würde.

Die beiden Gehilfen, die für die Musik gesorgt hatten, waren verstummt. Der eine wischte die Flöte ab, der andere kümmerte sich um die Tabor, löste ein paar Pflöcke und verringerte die Spannung der Trommelhaut. Für gewöhnlich nahm man Verrhaut, genau wie für Weinschläuche.

»Können sie tanzen?« fragte Borton, als hätte er sich doch noch nicht entschieden.

Der Trommelspieler blickte auf.

»Leider nein!«, rief Philebus in gespielter Verzweiflung. »Leider ist keines meiner Mädchen eine Tänzerin.«

Der Trommelspieler wandte sich wieder seiner Arbeit zu.

Aus der Menge ertönten gespielte Ausrufe der Enttäuschung.

»Ich werde tanzen«, sagte Temione.

Die Sklavinnen zuckten zusammen, stöhnten auf. Stille senkte sich über den Schankraum. Philebus hob wütend die Peitsche. Aber der Tarnsmann bedeutete ihm, sie zu senken.

»Vergebt mir, Herr«, sagte Temione. Sie hatte ohne Erlaubnis gesprochen.

»Zeig sie mir genauer«, verlangte Borton.

Philebus drückte Temione unsanft nach unten, auf die Knie, dann drückte er ihr Kinn nach oben. Sie starrte den Kurier an.

»Ich kenne dich von irgendwoher, nicht wahr?« sagte Borton.

»Vielleicht, Herr«, stammelte sie.

»Ich glaube, ich kenne dich«, sagte er.

»Vielleicht, Herr«, wiederholte sie. Und schrie furchterfüllt auf und krümmte sich zusammen, als Philebus die Peitsche knallen ließ.

»Drück dich deutlich aus, Sklavin«, fauchte Philebus. »Kennst du ihn oder nicht?« Er ließ die Peitsche erneut knallen.

»Ich kenne ihn aus dem Krummen Tarn, Herr«, rief sie und schaute Borton ängstlich an.

»Du!« brüllte er.

»Ja, Herr!«

»Die freie Frau!«

»Die jetzt eine Sklavin ist, Herr«, sagte sie, »eine Sklavin.«

»Ha! Was für einen Narren hast du aus mir gemacht!«

»Nein, Herr«, sagte sie furchtsam.

»Du hast mich wirklich hinters Licht geführt.«

»Nein, Herr«, schluchzte sie.

»Eine amüsante kleine Sklavin«, bemerkte er.

Sie wagte nicht, darauf etwas zu erwidern.

»Ich kaufe sie«, sagte Borton.

Der Wirt schüttelte den Kopf. »Sie ist nicht zu verkaufen.«

»Ein Goldstück«, sagte Borton. »Zehn Goldstücke.«

»Du bist betrunken.«

»Nein«, sagte Borton. »Ich war in meinem Leben noch nie so nüchtern.«

Temione erschauderte.

»Ich will dich haben«, sagte Borton zu ihr.

»Darf ich sprechen?«

Er nickte.

»Was würde der Herr mit mir machen?« fragte sie mit zitternder Stimme.

»Wozu ich Lust habe«, lautete die Antwort.

Einer der Männer rief: »Hast du überhaupt zehn Goldstücke?«

Borton runzelte die Stirn und warf ihm einen finsteren Blick zu. Gelächter ertönte. Seit dem Vorfall in der Herberge waren seine Finanzen wohl in Unordnung.

»Zehn Silbertarsk«, meinte Borton grinsend.

»Das ist ein guter Preis, Philebus«, sagte ein Mann. »Verkauf sie!«

»Sie ist nicht zu verkaufen«, sagte Philebus.

Enttäuschte Rufe ertönten.

»Aber vielleicht möchtest du sie für den Abend haben?« schlug er dann Borton vor. Er gab ihm die Peitsche. Die Sklavin erbebte. »Umsonst.«

»Ausgezeichnet, Philebus«, lobten einige Männer.

Ich stand auf. »Einen Augenblick!«

Überrascht wandten sich mir alle Blicke zu.

»Sie dient schon mir«, sagte ich.

Erstaunte Ausrufe ertönten.

»Paß auf«, sagte ein Mann. »Das ist Borton!«

»So wie ich die allgemein üblichen Regeln einer Paga-Taverne kenne, die meines Wissens auch für einen solchen Ausschank gelten, steht die Sklavin mir zu, bis ich sie entlassen habe, oder bis zur Sperrstunde, oder bis zur Morgendämmerung. Ausnahmen von dieser Regel müssen vorher verkündet werden, sagen wir durch eine Verlautbarung oder ein Schild.«

»Sie hat dir nicht gedient«, sagte jemand.

»Hast du mich bedient?« fragte ich die Sklavin.

»Ja, Herr.«

»Und habe ich dich entlassen?«

»Nein, Herr.«

Ein Mann neben mir warnte: »Das ist Borton!«

»Ich freue mich, seine Bekanntschaft zu machen.« Das war nicht ganz ehrlich gemeint.

»Wer bist du?« fragte Borton.

»Ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen«, versicherte ich ihm.

»Wer bist du?« wiederholte er die Frage.

»Ein netter Bursche«, antwortete ich, »der keinen Streit sucht.«

Borton warf die Peitsche zur Seite. Sein Schwert flog förmlich aus der Scheide.

Männer wichen zurück.

»Aii!« rief jemand. Auch mein Schwert hatte seine Scheide verlassen.

»Ich habe nicht gesehen, wie er gezogen hat«, stieß ein Mann hervor.

»Meine Herren, wir wollen hier doch keinen Ärger haben«, beschwor uns Philebus.

»Warte!« rief Borton da plötzlich. »Warte! Warte! Ich kenne dich! Ich kenne dich!«

Ich warf einen schnellen Blick nach links. Dort stand ein Mann. Er würde mir dienlich sein.

»Er ist derjenige, der auch im Krummen Tarn war!« brüllte Borton wütend. »Er war es, der meine Depeschen gestohlen hat, der sich mit meinem Geld aus dem Staub gemacht hat, mit meiner Kleidung, meiner Ausrüstung, meinem Tarn!«

Ich schätze, man konnte es Borton nicht verdenken, daß er so ungehalten war. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, hatte ich auf seinem Tarn gesessen und den Vogel über dem Hof schweben lassen, während er in der Tiefe nackt an einen Sleenring gekettet worden war, noch ganz naß von seinem Bad. Trotz seiner Größe und Kraft war der Ring stark genug gewesen, ihn zu halten, selbst als er mich dann erblickte, was ihn offensichtlich vollends aufbrachte. Ich hatte ihm fröhlich mit der Kuriertasche zugewinkt. Ich hatte ihm nichts nachgetragen. Er hatte mir von dort unten etwas zugebrüllt, aber der Flügelschlag des Tarns und der Wind hatten verhindert, daß ich es verstehen konnte. Aber seine Freunde hatten ihn ja ausgelöst.

Wie dem auch sei, jetzt stand er vor mir, in keiner guten Stimmung und mit einem Schwert in der Hand.

»Er ist ein Spion und ein Dieb!« rief er.

Männer sprangen auf die Beine.

»Ein Spion!«

»Ergreift ihn!«

Plötzlich verlor ich Temione, die zur Seite gestoßen wurde, aus dem Blick.

Borton stürmte auf mich zu.

Ich packte den Burschen links neben mir an seinem Gewand und stieß ihn Borton vor die Füße. Männer drängten vorwärts. Borton lag am Boden; er sah ziemlich unzufrieden aus. Ich versetzte einem Mann zu meiner Rechten mit der Hand, mit der ich das Schwert hielt, einen Fausthieb. Knochen splitterten. Er spuckte Zähne aus. Es blieb keine Zeit für eine Entschuldigung. Ich fuhr herum, ließ mich auf alle viere fallen; über mir prallten Männer zusammen. Ich sprang wieder auf und stieß drei oder vier Burschen zur Seite. Dann bahnte ich mir einen Weg durch den Rest der Männer, von denen die meisten mich in dem Gedränge gar nicht richtig wahrnehmen konnten, riß mich los und setzte über den niedrigen Zaun hinweg, um durch die Dunkelheit auf den Vosk zuzueilen.

»Da läuft er!« rief jemand. Hinter mir schrien einige der Mädchen auf, die in der Verwirrung vermutlich zur Seite gestoßen oder über den Haufen gerannt wurden. Für gewöhnlich steht Sklavinnen nicht der Sinn danach, inmitten von Männern und blankgezogenen Klingen zu hilflosen, kurvenreichen, leicht bekleideten Hindernissen zu werden. Sie sind dazu da, ihnen Freude zu bereiten, was ihnen auch klar ist, und nicht, ihnen im Weg zu stehen.

»Er flüchtet zum Vosk!« rief ein Mann. Aber als ich das hörte, eilte ich längst nicht mehr in Richtung Fluß. Ich hatte zwischen den umstehenden Zelten – von denen die meisten leer standen, was vermutlich dem Lärm des Paga-Ausschanks und der sich in Windeseile verbreitenden Nachricht von Bortons Großzügigkeit zuzuschreiben war – die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen. Allerdings hatte ich in ihrem Schutz das Schwert in die Scheide gesteckt und Schrittempo eingeschlagen; wenn ich jemandem begegnete, blieb ich stehen und blickte zurück, als würde mich der aus dem Ausschank herüberdringende Lärm interessieren. »Was ist denn da hinten los?« fragte ein Soldat.

»Keine Ahnung«, erwiderte ich. Schließlich war ich ja nicht mehr dort. Aber ich konnte es mir natürlich denken. Dutzende von Männern mit Fackeln oder Laternen würden auf der Suche nach mir durch den Uferschlamm des Vosk waten und mit gezückten Schwertern Schilfbüschel teilen. Ich beneidete sie nicht um diese Aufgabe. Es ist schon schwer genug, dort jemanden am Tag zu finden, erst recht also in der Nacht. Und wenn sich der Gesuchte dann nicht einmal dort befindet, wird es sogar noch schwieriger.

»Ich glaube, ich werde hingehen und mir die Sache einmal ansehen«, sagte der Soldat.

»Könntest du mir den Weg zu dem Zelt von Borton, dem Kurier, zeigen?« fragte ich.

»Sicher«, erwiderte er. Ich bedankte mich höflich. Dann sah ich zu, wie er neugierig in Richtung des Paga-Ausschanks ging. Unterwegs gesellten sich noch ein paar Burschen zu ihm. Sie waren vermutlich ebenfalls neugierig. Ich konnte es ihnen nicht verdenken. Da ich mich nun in einem höher gelegenen Teil des Lagers aufhielt, konnte ich mehrere Fackeln sehen, die am Flußufer entlangflackerten. Anscheinend befanden sich auch ein paar kleine Boote im Wasser, an deren Bug man hinter Blenden Fackeln angebracht hatte, wie man es tut, wenn man nachts Tabuk und Tarsk jagt. Vermutlich hatte man sie sich von einheimischen Fischern ausgeliehen. Ich machte mich auf den Weg zu den Unterkünften von Artemidorus, dem cosischen Söldner.

Sie befanden sich am Südrand des Lagers, in der Richtung, in der man die Streitkräfte Ars vermutete. So gesehen war es ein guter Ort für Erkundungsflüge. Die Tarnsmänner konnten ziemlich unbeachtet kommen und gehen. Außerdem war es nicht nötig, den Luftraum des Hauptlagers zu durchqueren, der für gewöhnlich und aus naheliegenden Gründen nicht verletzt werden darf. Die dortigen Verteidigungsanlagen boten auch so etwas wie einen Puffer zwischen dem Süden und dem Hauptlager. Es ist schwierig und vor allem auch gefährlich, sich in der Nähe unbekannter Tarns zu bewegen, vor allem in der Nacht. Die Zelte der Kuriere standen vermutlich in der Nähe von Artemidorus’ Hauptquartier. Das machte Sinn. Dann hatte ich Artemidorus’ Lager erreicht. Ich ging den Stellungen der Wachposten aus dem Weg. Allerdings waren einige nicht einmal besetzt. Augenblicke später befand ich mich unerkannt zwischen den Zelten.

»Freund, wo befindet sich das Zelt von Borton, der dem Befehl Artemidorus’ untersteht?« sprach ich einen Söldner an.

»Was willst du von ihm?«

»Nichts, was dich angeht«, erwiderte ich.

Seine Hand fuhr zum Schwert.

»Du hast deine Klinge gezogen?« fragte er verblüfft.

Ich ließ sie zurück in die Scheide gleiten. »Sieh her«, sagte ich, griff in meine Gürteltasche und zog eine Handvoll Sklavenperlen hervor. »Sind die nicht schön?« Er betrachtete sie im Mondlicht.

»Billiger Tand«, meinte er.

»Natürlich«, erwiderte ich, »aber hübsch, sogar sehr hübsch, und auf einem starken Faden aufgefädelt.« Die Perlen waren groß und rund, bestanden aus hellbuntem Holz und maßen etwa einen halben Hort im Durchmesser.

»Du bist ein Händler«, räumte er ein.

»Trete ans Feuer«, sagte ich. Dort hielt ich die Perlen ins Licht. Er betrachtete sie.

»Ja, schon, hübsch«, meinte er.

»Ich soll sie in Bortons Zelt abliefern«, sagte ich.

»Er besitzt keine Sklaven, er mietet sie.«

»Die müssen doch gar nicht für eine Sklavin sein, zumindest nicht sofort.«

»Das ist wahr«, lachte der Söldner.

»Stell sie dir am Hals einer entkleideten freien Frau vor, die zu seinen Füßen liegt«, sagte ich.

»Ja, genau«, lachte er.

Sklavenperlen werden gewöhnlich aus Holz und Glas hergestellt und kosten so gut wie nichts. Warum teure Dinge wie Gold, echte Perlen, Rubine und dergleichen an Sklavinnen verschwenden? Aber sie sind hübsch, und Mädchen betteln darum. Tatsächlich kämpfen sie darum, verzweifelt, manchmal sogar verbissen. Und als Wesen voller Eitelkeit wissen sie damit umzugehen, schmücken sich damit, vergrößern ihre Schönheit, machen sich so noch begehrenswerter.

»Sein Zelt?« fragte ich.

»Da hinten«, sagte der Söldner und zeigte auf ein Zelt am Fuß des Hügels, der von Artemidorus’ Hauptquartier gekrönt wurde. Daß es sich um das Hauptquartier handelte, bedeutete noch lange nicht, daß sich Artemidorus in diesem Zelt aufhielt oder gar schlief. Manchmal dienen solche auffälligen Zelte Tarnangriffen oder Meuchelmördern als Zielscheibe.

»Danke, Freund«, sagte ich, verabschiedete mich von dem hilfsbereiten Söldner und begab mich zu dem Zelt. Für einen einfachen Kurier fand ich es ziemlich groß, wenn nicht sogar protzig. Wie die meisten goreanischen Feldzugszelte – zumindest jene, die man in großen, befestigten Lagern aufstellt – war es kreisrund und hatte ein kegelförmiges Dach. Es war mit roten und gelben Streifen versehen, und der Eingang verfügte über einen Baldachin. Am Hauptpfahl, der durch das Dach hindurchführte, flatterte eine Flagge mit den Insignien von Artemidorus’ Truppe, ein Schwert in der Klaue eines Tarn. Ich persönlich ziehe niedrigere, unauffälliger gefärbte Zelte vor; sie fügen sich besser in ihre Umwelt ein. Ein solches Zelt begleitete den Tarnsmann nicht auf seinem Flug, getragen von Zugtarns, sondern folgte in den Nachschubwagen des Trosses. Eine Abteilung Tarnsmänner wie die des Artemidorus’ hält sich beim Flug nicht mit dem Transport solcher Gegenstände auf. Sie reisen nur mit der nötigsten Kriegsausrüstung wie den Geschossen und Waffen und Vorräten für eine bestimmte Zahl von Tagen.

»Ich glaube nicht, daß er jetzt da ist«, rief mir der Söldner nach.

»Ich werde warten, zumindest eine Zeitlang«, erwiderte ich. Dann rüttelte ich am Türvorhang aus Segeltuch, und als ich keine Antwort erhielt, trat ich ein.

Im Inneren war es ziemlich dunkel, also schlug ich mit dem Feueranzünder aus meiner Gürteltasche Licht, entdeckte eine Lampe und zündete sie an. Unter diesen Umständen, nach meiner Unterhaltung mit dem Söldner eben und angesichts der anderen Schwierigkeiten, hielt ich es für keine gute Idee, den Versuch zu unternehmen, meine Anwesenheit im Zelt geheimzuhalten. Das hätte nur Argwohn erregt. Außerdem war ich neugierig, wie es hier drin wohl aussehen mochte. Möglicherweise fände ich etwas, das ich gebrauchen konnte.

Im Zelt gab es kleine Teppiche, teure Wandbehänge und Schlaffelle. Darüber hinaus gab es verschiedene kleine Gegenstände wie Krüge, Schüsseln und Schatullen. Am Mittelpfahl war ein Stück Papier befestigt. Dort stand: Sei auf der Hut, dieses Zelt gehört Borton! Jeder, der diesen Zettel las, würde wohl wissen, wer dieser Borton war. Ich freute mich über den Zettel, denn so hatte ich eine Bestätigung, daß ich mich im richtigen Zelt befand. Am Rand eines Teppichs hatte man einen schweren Pfahl tief in den Boden gestoßen. Daneben lagen ein paar hübsche, aber trotzdem stabile Ketten und eine Peitsche. Ich sah erfreut, daß Borton mit Frauen umzugehen verstand. Er war bestimmt kein schlechter Kerl. Mit Sicherheit war er mir in der Vergangenheit sehr nützlich gewesen. Und mit etwas Glück würde er es wieder sein.

Ich drehte ein paar der kleineren Teppiche um und entdeckte eine Stelle, wo der Boden anders aussah. Ich grub dort mit der Messerspitze und fand eine kleine Schachtel mit Münzen. Es waren fünf Goldmünzen, drei Starter aus Brundisium und zwei aus Telnus, elf Silbertarsk aus verschiedenen Städten, da von dieser Währung viele im Umlauf sind, und ein paar weniger wertvolle Münzen. Ich steckte sie ein. Ich hatte unter den Teppichen nachgesehen, da die Schatullen nach dem Öffnen nicht viel von Interesse preisgegeben hatten. Zum Beispiel besaß ich in meinem Zelt bereits Nähzeug. Es ist ein Spaß, sich eine Sklavin zu mieten, sie mit ins Zelt zu nehmen und sie dann etwas flicken zu lassen. Und wenn sie glaubt, daß das alles war, was man von ihr wollte, befiehlt man ihr, sich auf den Rücken oder den Bauch zu legen, um ihr beizubringen, daß ihre Weiblichkeit mehr verlangt als die Erfüllung solcher Arbeiten.

Mittlerweile war die Suche vom Fluß bestimmt auf das Lager verlegt worden. Also hielt ich es für einen guten Zeitpunkt, in die Nähe des Flusses zurückzukehren. Bevor ich das Zelt verließ, hängte ich die Sklavenperlen an den Nagel, mit dem Borton seine Warnung befestigt hatte. Ich war der Ansicht, ihm etwas für seine Mühen schuldig zu sein. Ich musterte die Perlen. Sie waren wirklich hübsch, diese beiden Reihen aus gefärbten runden Holzkugeln, auf einer Schnur aufgezogen, die fest genug war, um eine Sklavin an Händen und Füßen zu binden. Dann verließ ich das Zelt.

»Ich habe keine Lust, noch länger zu warten«, erklärte ich dem Söldner.

Er nickte, ohne mir große Aufmerksamkeit zu schenken.

Ein Wachposten, den ich einen Augenblick später passierte, sprach mich an. »Im Norden geht etwas vor.«

»Wo denn?«

»Da.«

Ich konnte den Schein von Fackeln sehen; undeutlich waren die Rufe von Männern zu hören.

»Ich glaube, du hast recht«, stimmte ich dem Posten zu.

»Was ist da los?« fragte er einen Söldner, der sich zu uns gesellte.

»Ein Spion wird gesucht«, sagte der Söldner.

»Weiß man, wie er aussieht?« fragte ich.

»Soll ein großer Bursche sein, mit roten Haaren«, antwortete der Mann.

»Ich habe rotes Haar«, meinte ich.

»Wenn ich du wäre, würde ich in nächster Zeit kein Aufsehen erregen«, sagte der Wächter.

»Das ist vermutlich eine gute Idee.«

»Es wäre zu dumm, für einen Spion gehalten, mit Armbrustbolzen durchbohrt oder in Stücke gehackt zu werden.«

»Da bin ich ganz deiner Meinung.«

»Sei vorsichtig«, empfahl mir der Wächter fürsorglich.

»Das werde ich«, versicherte ich ihm.

»Sie werden ihn vor dem Morgengrauen haben«, sagte der Söldner, der sich zu uns gesellt hatte.

Der Wächter nickte. »Die werden das ganze Lager auf den Kopf stellen. Es wird keinen Ort geben, an dem man sich verstecken kann. Sie werden überall suchen.«

»Überall?« fragte ich.

»Überall.«

»Sie werden ihn vor dem Morgengrauen schnappen«, bekräftigte der Söldner.

»Ich wünsche euch alles Gute«, verabschiedete ich mich mit dem traditionellen goreanischen Gruß. Sie erwiderten ihn.

Wenn Krieger jemanden suchen, dann gehen sie für gewöhnlich von der Annahme aus, daß der Gejagte an einem Ort bleibt, sich also hartnäckig verbirgt. In diesem Fall muß man nur die vorhandenen Möglichkeiten gründlich durchdenken, und die Aufgabe ist gelöst. Während jedoch den Jägern durchaus bewußt ist, daß sich der Gesuchte am Ort B aufhalten könnte, während sie gerade am Ort A sind, kommt ihnen nur selten der Gedanke, er könnte sich an Ort A aufhalten, während sie an Ort B suchen. In diesem Fall ist es möglich, ›überall‹ zu suchen und nichts zu finden. Männer oder Larls oder Sleen – die oft einen Bogen schlagen und ihre Verfolger von hinten angreifen – aufzuspüren hat nichts mit der Suche nach einem verlorengegangenen Knopf gemeinsam. Viele der Männer in diesem Lager, sowohl die regulären Soldaten als auch die Söldner, waren geschickte Krieger, vielleicht sogar darin ausgebildet, Menschen zu jagen. Die Verfolgung der in der Schlacht geschlagenen, flüchtenden Feinde ist eine eigenständige Kunst. Solche Männer versetzen sich in die Gedanken des Gejagten; sie bilden die Nachhut, sie trennen sich von der Suchmannschaft, sie suchen aufs Geratewohl und dergleichen mehr. Solche Männer fangen viele Gejagte ein.

Es gibt allerdings einen Ort, an dem selbst solch erfahrene Jäger voraussichtlich nicht nachsehen, und das ist in der Suchmannschaft selbst. Einer Sklavin fällt es schwer, in einer solchen Gruppe unerkannt unterzutauchen, allein wegen ihres Geschlechts, ihrer Nacktheit oder ihres Sklavenkragens, aber ein Mann hat da weniger Probleme. Meine Chance bestand also darin, den Augenblick abzuwarten, an dem die Suche außerhalb des Lagers stattfand, und zwar vor allem im Süden, was so gegen Morgen der Fall sein dürfte.

Marcus, der mich in das Lager begleitet hatte, hatte ganz genaue Pläne für jeden Notfall ausgearbeitet und mit Nachdruck darauf bestanden, daß sie, falls einer von uns ertappt oder gefangengenommen wurde, befolgt wurden, Pläne, die er vermutlich genau in diesem Augenblick wie der Blitz in die Tat umsetzte. Nach Möglichkeit sollten wir uns auf der Straße nach Holmesk treffen, in der Nähe des Dorfes Teslit. Falls dieses Treffen nicht zustande kam, sollte derjenige, der sich in der Nähe von Teslit aufhielt, weiter nach Holmesk eilen und sich dort mit den Kontaktleuten aus Ar in Verbindung setzen.

Marcus war ein überaus ernsthafter junger Mann, dem es mit diesen Plänen sehr ernst war. Was mich angeht, so hätte ich, falls er aufgeflogen wäre, mich vermutlich zumindest lange genug im Lager herumgetrieben, bis ich herausgefunden hätte, ob ich ihm helfen konnte oder nicht. Falls jemand gepfählt wurde, ist die Hilfe, die man ihm zukommen lassen kann, eher gering. Marcus hatte jedoch darauf bestanden, daß ich keine Rücksicht auf ihn nähme, ihn unverzüglich opferte und weiterreiste, um mit den Arern Kontakt aufzunehmen. Ich hatte mir jede Widerrede gespart, da es sehr schwer ist, mit nüchtern und sachlich denkenden Leuten über eine solche Sache zu diskutieren. Wir hatten sowieso vorgehabt, in einem oder zwei Tagen nach Süden weiterzureisen, da wir genug Zeit mit dem Expeditionsheer verbracht hatten, um seine Marschrouten bestimmen zu können und diese Informationen weiterzugeben. Ich persönlich konnte nicht so recht glauben, daß Ar die Bewegungen, Marschbefehle und Zusammensetzung der cosischen Streitkräfte im Norden nicht bereits kannte.

Jetzt galt es aber, die Nacht zu überstehen. »Sie werden ihn vor dem Morgengrauen haben!« hatte der Mann gesagt.

Ich ging davon aus, daß er sich irrte.

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