»Dort, seht es euch an«, sagte ich.
»Ja«, sagte Marcus.
»Das sind die Mauern von Brundisium«, erklärte ich Ina.
»Ich wußte gar nicht, daß die Stadt so groß ist.«
»Es ist eine der größten Küstenstädte südlich des Deltas.«
Marcus streckte den Arm aus. »Sieh dir die vielen Zelte vor der nördlichen Stadtmauer an.«
»Die meisten gehören sicher zu dem Expeditionsheer«, meinte ich. »Das Heer, mit dem wir damals gereist sind. Man kann Brundisium keinen Vorwurf machen, daß es nicht so viele Männer innerhalb seiner Mauern aufnehmen kann oder will.«
»Nein«, sagte Marcus.
In den Kleidern, die wir uns unterwegs besorgt hatten, sahen wir aus wie verarmte Reisende. Wir hatten sie mit unserem Anteil an der Beute bezahlt, die wir den Banditen abgenommen hatten. Marcus hatte seine cosische Uniform einem von Labienus’ Männern überlassen. Einige hatten die Kleidung der Banditen angezogen. Doch die meisten hatten ihre Reise in der Uniform von Ar begonnen und mittlerweile hoffentlich sicheres Gebiet erreicht.
Marcus und ich hatten zusammen mit Ina den Weg nach Brundisium eingeschlagen. Dafür gab es drei gewichtige Gründe: Es lag in der Richtung, die für uns am ungefährlichsten gewesen war; niemand hätte erwartet, daß Flüchtlinge aus dem Delta diese Route einschlügen. Allerdings mußten wir dafür sorgen, daß Marcus so gut wie nichts sagte, denn sein Akzent – der Akzent von Ar-Station – hätte bei Leuten, die etwas davon verstanden, für Mißtrauen gesorgt. Daß Ina mit ihrem Akzent Aufmerksamkeit erregte, war wiederum unwahrscheinlich, denn sie war eine Frau und gehörte offensichtlich zu uns. Nach dem Fall von Ar-Station und den Erfolgen der Invasoren auf dem Festland hatten sich die Menschen dieser Gegend gewiß an Frauen mit derartigen Akzenten gewöhnt. Die meisten von ihnen trugen wahrscheinlich den Kragen oder waren an Sklavenwagen angekettet.
Zweitens konnte man von Brundisium aus einen Bogen schlagen und eine Route zu den Territorien nehmen, die mit Ar verbündet oder ihm zumindest freundlich gesonnen waren.
Und drittens hoffte ich, hier meinen Freund Ephialtes, den Marketender, zu finden, denn er war mit dem Expeditionsheer nach Brundisium gezogen. Ich wollte aus verschiedenen Gründen mit ihm in Kontakt treten, nicht zuletzt weil er einige Geldmittel für mich aufbewahrte. Nachdem ich dafür gesorgt hatte, daß sich Marcus und Ina in relativer Sicherheit befanden, wollte ich nach Torcodino reisen, wo ich Dietrich von Tarnburg Information über die Lage im Norden überbringen wollte.
»Es ist wunderschön«, sagte Ina.
»Es ist eine schöne Stadt in einer schönen Lage«, bestätigte ich. Man konnte den Hafen sehen und das sich anschließende glitzernde Thassa, das Meer.
Ich sah zu Ina hinunter.
Sie trug ein ärmelloses, bis zum Unterschenkel reichendes Kleid, das aus Hurtwolle gewoben war. Trotz der fehlenden Ärmel war es die Kleidung einer freien Frau. Das verrieten Qualität, Länge, Steifheit und Undurchsichtigkeit. Es war aber auch ein Kleid, wie es nur von einer Frau der unteren Kasten getragen wurde. Es war ein einfaches und alltägliches Kleidungsstück, wie man es bei der Arbeit trug. Ich fand, daß es Ina gut stand, trotz seiner Steifheit und Undurchsichtigkeit. Natürlich war das alles, was sie abgesehen von ihren Sandalen trug.
»Werden wir die Stadt betreten?« fragte sie.
»Ich habe mich noch nicht entschieden«, erwiderte ich. »Ich will vor allem meinen Freund Ephialtes finden, und sein Wagen und seine Ware dürften sich aller Wahrscheinlichkeit nach am Rand des Lagers befinden.« Dort würden die meisten Marketenderwagen stehen. Man gestattet ihnen während bestimmter Ahn den Zutritt zum Lager, damit sie Waren liefern oder verkaufen konnten.
»Soviel ich weiß, gibt es außerhalb von Brundisium auch ein großes Sklavenlager«, sagte Marcus.
»Das stimmt.« Das Lager existierte seit mehreren Monaten – eine lange Zeit für solche Lager. Das hatte vermutlich mit dem Krieg und der großen Zahl in Gefangenschaft geratener Frauen zu tun; allein in Ar-Station waren es mehrere tausend gewesen. In solchen Lagern arbeiten die meisten Händler als Großhändler, die nach preiswerter Ware Ausschau halten. Es war nur natürlich, daß sich ein solches Lager in Brundisium befand. Von Brundisium aus, einer wichtigen Hafenstadt, die Cos freundlich gesinnt war, die sogar der Anlaufpunkt für die Invasionsstreitmacht gewesen war, konnte man bequem Beute nach Cos und zu den Inseln verschiffen. Natürlich konnte man von dem Lager aus Hunderte von Orten auf dem Kontinent erreichen, beispielsweise die Sklavenmärkte von Semris, Samnium, Besnit, Harfax oder Ko-ro-ba.
»Laßt uns weitergehen«, sagte ich.
Wir gingen weiter, auf Brundisium und damit auf das Lager der Cosianer zu.
Ich hoffte, bei Einbruch der Dunkelheit dort einzutreffen.