12

Noch niemals zuvor war ich einem von ihnen so nahe gewesen. Ich hatte gar nicht gewußt, daß sie so groß wurden.

Seit fünf Tagen war ich die Handschellen los. Seit drei Tagen reiste ich nach Norden.

Plötzlich öffnete die Bestie die Schwingen. Ihre Spanne muß fast neun irdische Meter betragen haben.

Ich hatte das Floß ein paar Meter hinter mir auf einer Sandbank zurückgelassen. Das Renceboot, das ich den Soldaten von Ar abgenommen hatte, war verfault und trügerisch. Es war versunken, noch bevor ich das Rencefeld, in dem ich Zuflucht gesucht hatte, verließ. Das Paddel hatte ich behalten, aber das Floß war so schwer, daß es nur von geringem Nutzen war. Allerdings hatte ich eine weggeworfene Bootsstange gefunden, die sich als ausgesprochen nützlich erwies. Man hatte sie mit Goldlack verziert, der aber an den meisten Stellen abgeblättert war. Davon abgesehen tat sie ihre Dienste.

Ich hatte die Bestie über dem Rence schweben sehen, kurz bevor sie zur Landung ansetzte und abtauchte. Neugierig geworden, hatte ich das Floß auf die Stelle zugesteuert.

In diesem Augenblick hatte ich den Schrei der Frau gehört; er war langgezogen, voller Angst und mitleiderregend gewesen.

Ich war nicht darauf zugeeilt, da mir Vorsicht angebracht erschienen war. Nicht daß ich die Echtheit der Angst der Frau in Zweifel gezogen hätte. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß ein Ködermädchen so überzeugend Angst hätte vortäuschen können. Aber ein solcher Schrei würde einem Mädchen nicht schwerfallen, das von jagenden Rencebauern wie ein Verr an einen Pfahl gefesselt wurde, um gefährliche Beutetiere wie beispielsweise Tharlarions anzulocken. Natürlich benutzen sie dazu nicht ihre eigenen Frauen, sondern für gewöhnlich Sklavinnen.

Wenn ich es mir recht überlegte, hatte nicht nur reines Entsetzen in dem Schrei gelegen, sondern auch eine besondere Art flehender Hilflosigkeit. Er hatte in mir das Gefühl hervorgerufen, daß die Frau nicht die Aufmerksamkeit von Jägern erwecken, sie verzweifelt auf die Anwesenheit ihrer Beute aufmerksam machen wollte, sondern daß sich überhaupt keine Jäger in der Nähe befanden. Er erweckte den Eindruck, daß sie allein war.

Ich hatte mich umgesehen. Nichts deutete darauf hin, daß sich hier Menschen aufgehalten hatten, zumindest nicht innerhalb der letzten paar Ahn. Der Sumpfkäfer krabbelt nachts über den Sand, und seine winzigen Spuren sind unverkennbar. Mehrere Fußabdrücke wurden von den Pfaden der Sumpfkäfer gekreuzt. Also waren sie vor der letzten Nacht entstanden. Das Bröckeln ihrer Ränder war ein weiteres Zeichen gewesen, daß mehrere Ahn verstrichen waren, daß sie möglicherweise schon am gestrigen Morgen entstanden waren, wenn nicht sogar am Tag davor.

Wieder war der klägliche Schrei ertönt. Beim Näherkommen hatte ich dann den kleinen Kopf der Kreatur – klein im Vergleich zum Rest des Körpers – erblickt, der in langen, schmalen, mit Reißzähnen bestückten Kiefern endete. Aus dem Hinterkopf ragte ein langer Fortsatz aus Knochen und Haut, der das Gewicht der Schnauze ausbalancierte und – zog man die allgemeine Scherfälligkeit des Körpers in Betracht – für zusätzliche Stabilität vor allem beim Gleitflug sorgte.

Ich war aus dem Rence gesprungen.

Und der Ul, ein geflügeltes Tharlarion, hatte sich umgedreht und plötzlich die Schwingen mit dieser gewaltigen Spanne gespreizt. Dann hatte er sie wieder an den Körper gefaltet.

Ich war ziemlich beeindruckt. Noch niemals war ich einem Ul so nahe gewesen.

Es stieß einen zischenden, grunzenden Laut aus. Sein langer, schlangenähnlicher Schwanz endete in einem flachen, spatenförmigen Knochenblatt. Der Schwanz schlug zu, und das spatenförmige Ende ließ Sand in die Höhe spritzen.

Ein stabiler, etwa fünfzehn Zentimeter durchmessender und ungefähr zwei Meter hoher Pfahl war in den Sand eingegraben worden. Am unteren Ende, etwa einen halben Meter über dem Boden, hatte man einen abgerundeten, einen Meter langen Balken horizontal durch eine in den Pfahl geschlagene Öffnung geschoben. Anderthalb irdische Meter höher gab es einen weiteren, auf die gleiche Weise durchgeschobenen und befestigten Balken, der allerdings etwas länger als der untere war; ihr Durchmesser betrug etwa sechs Zentimeter. Wären sie für einen Mann bestimmt gewesen, wären sie dicker ausgefallen, außerdem wäre der Pfahl länger gewesen.

In diesem Fall reichten die Kreuzbalken allerdings aus.

Sie war blond.

Ihre Füße waren an die unteren Kreuzbalken gefesselt. Ihre Arme hatte man über den oberen Balken gelegt und mit Lederriemen festgebunden, die Hände waren vor den Körper gefesselt.

Sie warf wild den Kopf zurück – ihr Haar fiel in Höhe des Nackens über das Pfahlende – und stieß einen Schrei aus.

Das erregte die Aufmerksamkeit des Uls. Es war wenige Meter vor dem Pfahl gelandet. Sie hatte mich noch nicht gesehen. Sie kämpfte mit aller Kraft gegen die Fesseln an.

Wir waren nicht allein auf der Sandbank. Nur wenige Meter entfernt hockte ein langhalsiges Tharlarion. Aber noch viel gefährlicher waren die beiden kurzbeinigen Tharlarion, die in der Nähe des Pfahls über den Sand schlichen.

Das Mädchen zerrte wieder an den Stricken, ohne jeden Erfolg.

Ja, dachte ich, sie ist hübsch.

Man hatte sie den Tharlarion überlassen. Der Haß der Rencebauern mußte so groß gewesen sein, daß sie sie trotz ihres angenehmen Äußeren weder verkauft noch selbst als Sklavin behalten hatten.

Ich fragte mich, ob sie damit nicht sogar richtig gehandelt hatten.

Natürlich war das, was man ihr angetan hatte, schlichtweg ein Unding. Immerhin war sie eine freie Frau. Wäre sie eine Sklavin gewesen, hätte ihr Herr schon aus einer Laune heraus so mit ihr verfahren dürfen. Einmal davon abgesehen, daß sich mit einer Sklavin Erfreulicheres anstellen ließ.

Sie schrie wieder auf und wand sich an dem Pfahl.

Ja, dachte ich, viel Erfreulicheres.

Ich malte mir aus, wie sie wohl mit einem Sklavenkragen aussah. Aber dann rief ich mir ins Gedächtnis, daß sie noch immer eine freie Frau war, was sie auf eine gewisse Art und Weise zu etwas Besonderem machte. Auf eine lästige Art und Weise.

Das Ul mit der langen Schnauze wandte sich dem Tharlarion mit dem langen Hals zu und fauchte drohend. Die Echse schob sich langsam auf ihren paddelförmigen Pfoten zurück in den Sumpf. Dann drehte sie sich um und zog sich halb untergetaucht zurück.

»Verschwinde! Verschwinde!« brüllte das Mädchen das Ul an.

Solche Ausbrüche sind natürlich verständlich. Andererseits erscheinen sie – falls sie nicht bewußt erfolgen in der Absicht, Lärm zu schlagen – nach gebührlicher Überlegung als ziemlich befremdlich. So ist zum Beispiel eher unwahrscheinlich, daß ein solches Tier Goreanisch versteht. Davon abgesehen, begriff sie denn nicht, daß man sie den Tharlarion zum Fraß vorgeworfen hatte, und, nach der aufrechten Position an dem Pfahl zu schließen, auch den Uls? War ihr denn nicht klar, daß sie, wenn die Tiere sie nicht anfielen, sie in kürzester Zeit verhungern und verdursten würde? Sollte sie den Rachen des Uls nicht lieber willkommen heißen?

»Verschwinde!«

Offensichtlich nicht.

Vermutlich muß man einer Frau in dieser Situation ein gewisses Maß an Hysterie oder Unvernunft zugestehen. In einer vergleichbaren gefährlichen Lage hätte ich vielleicht ähnlich gehandelt. An meiner Stelle war es leicht, Kritik zu üben.

Das Ul stolzierte zwei, drei Meter näher heran. Sein Kopf befand sich etwa dreieinhalb Meter über dem Boden. Es war nur noch ein kleines Stück von der Frau entfernt.

»Geh weg!« schluchzte sie. »Verschwinde!«

Erneut spreizte das Ul die Schwingen. Sie bestehen aus Haut und erstrecken sich von den klauenbewehrten Hinterbeinen, mit denen sie verwachsen sind, bis zu den außerordentlich langen vierten Fingern der Klauenhände. Es fauchte die beiden Tharlarion in der Nähe des Pfahls an. Eine der Echsen wich zurück. Die andere behauptete ihre Stellung, öffnete den Rachen und fauchte zurück.

Daraufhin spreizte das Ul wieder und wieder die Schwingen. Ich hatte nicht mit den Windstößen gerechnet, die dadurch erzeugt wurden, und wurde rücklings in das Schilf gestoßen. Nachdem ich wieder auf den Beinen stand, kämpfte ich mich schrittweise vorwärts, wie durch einen Sandsturm in der Tahari. Dabei hielt ich mir den Arm vors Gesicht. Das kurzbeinige Tharlarion gab einen seltsamen Laut von sich, dann sah ich durch zusammengekniffene Augen, wie es in die Höhe gehoben und geschüttelt wurde. Etwas in seinem Rücken gab krachend nach. Das Ul erhob sich mit seinen mächtigen Schwingen in die Luft, wobei es durchaus mit dem Gewicht des Tharlarion zu kämpfen hatte, und ließ es dann aus einer Höhe von vielleicht dreißig Metern in den Sumpf fallen. Wegen der riesigen Rencehalme konnte ich nicht sehen, wie es ins Wasser fiel; ich sah nur hundert Meter von uns entfernt das Aufspritzen.

Dann sauste ein gewaltiger Schatten über das Sumpfwasser, einen Augenblick später gruben sich krallenbewehrte Klauen in den Sand, und zwar genau dort, wo sich die Echsen eben noch befunden hatten. Die ganze Sache hatte nur wenige Ihn gedauert.

Ich hatte gar nicht gewußt, daß Ul über derartige Kräfte verfügten oder daß sie solche Lasten heben konnten. Im Vergleich dazu würden sie das Gewicht eines Mannes oder einer Frau überhaupt nicht spüren. Es wunderte mich nicht, daß viele das räuberische Ul als den König des Deltas betrachteten.

Die Bestie näherte sich wieder der jungen Frau.

Sie warf den Kopf zurück, schrie und kämpfte vergeblich gegen die Fesseln an. Man hatte sie den Tharlarions überlassen wollen. Warum sollte ich mich also einmischen?

Sie fing an zu schluchzen.

Das Ul hockte nun vor ihr.

Sie kämpfte. Ja, sie war hübsch. Unglücklicherweise war sie eine freie Frau. Aber eine solche Unsinnigkeit, ein solcher Fehler des Gesetzes und der Gesellschaft war nicht unabänderlich.

Das Ul klappte den Rachen auf.

Ich bezweifelte keinen Augenblick lang, daß es das Mädchen von dem Pfahl pflücken, oder, wegen der Lederriemen, das Mädchen mitsamt dem Pfahl aus dem Sand ziehen konnte.

Ich fragte mich erneut, aus welchem Grund ich mich hier einmischen sollte.

Sie warf verzweifelt schluchzend den Kopf zur Seite.

Das Ul schob den biegsamen Hals nach vorn, um sie von dem Pfahl zu befreien.

»Ho!« brüllte ich. »Ho!«

Die Flugechse drehte den Kopf, blickte in meine Richtung. Die Frau gab einen verblüfften, hilflosen, völlig hysterischen Laut von sich.

Ich hob einen großen Stein auf, warf ihn nach dem großen Körper und traf die linke Flügelhaut zwischen Bein und Arm.

Die Frau verrenkte sich mühsam, um mich besser sehen zu können. »Rette mich! Rette mich!« flehte sie.

Unglücklicherweise schien das Ul nicht besonders von dem Stein beeindruckt zu sein. Dabei hätte er einem Mann den Schädel einschlagen können.

Ich hob noch einen auf und warf. Diesmal traf ich die Brust.

»Verschwinde!« brüllte ich. »Verschwinde!« Erst später fiel mir ein, daß das Ul bestimmt kein Goreanisch verstand. Andererseits, was hätte ich sagen sollen? Vielleicht ›Komm her, alter Freund, laß uns eine Tasse Tee trinken‹? Bestimmt nicht.

Das Ul tat einen Schritt in meine Richtung. Unglücklicherweise hatte es vor Menschen keine Angst. Ich hatte gehofft, es würde sich von meinen Rufen verscheuchen lassen, und wenn schon nicht davon, so zumindest doch von den Steinen. Das war aber nicht der Fall. Ich zog mich einen Schritt ins Schilf zurück. Die Flugechse machte einen Schritt vorwärts. Ich zog das Schwert.

Falls sie mich mit dem von diesen riesigen Schwingen erzeugten Wind umwerfen wollte, hatte ich mitten im Rence eine bessere Position. Dort konnte ich mich auf dem Rücken liegend mit der Klinge verteidigen. Aus dem, was ich bis jetzt beobachtet hatte, schloß ich, daß sie vermutlich versuchen würde, mich mit dem langen Rachen zu packen. Und dagegen würde ich mich zur Wehr setzen können. Meine Kenntnisse über Uls hielten sich in Grenzen, aber ich ging davon aus, daß sie sich nicht mit Menschen und Stahl auskannten.

Aber das Ul schlug nicht mit den Schwingen. Statt dessen verfolgte es mich und stieß plötzlich mit schräg gelegtem Kopf mit dem Schnabel zu. Ich schlug mit dem Schwert zu, Knochensplitter und Zähne sausten durch die Luft. Der Kopf des Uls zuckte zurück. Ich glaube nicht, daß es große Schmerzen verspürte. Plötzlich schlug es mit den Flügeln und stieg einen Meter in die Luft. Es schwebte auf der Stelle, griff mit den Krallenfüßen nach mir. Ich duckte mich, halb geblendet von dem durch die Luft wirbelnden Sand und Rence, schlug nach den Klauen. Die Klinge traf etwas, sie war blutbeschmiert. Das Ul stieg höher in die Luft, außer Reichweite, schwebte ein Stück zurück und landete auf dem Sand. Der Boden in Nähe des linken Fußes war blutig. Die Flugechse hob den Fuß und leckte ihn mit der langen Zunge ab. Dann betrachtete sie mich wieder. Sie schlug mit den Schwingen. Der Windstoß zerrte an der Uniformtunika von Ar. Anscheinend war sie wütend. Vielleicht würde sie jetzt verschwinden. Doch sie machte keinerlei entsprechende Anstalten. Aber hatte ich sie nicht besiegt? Hatte ich sie denn nicht wenigstens entmutigt? Hätte sie nicht den Anstand besitzen können, aufzusteigen und ihren Hunger an einem anderen Ort zu stillen, wo doch das Delta mit einem so reichhaltigen Angebot an Nahrung aufwartete?

Aber die Aufmerksamkeit des Uls war offenbar auch weiterhin auf mich gerichtet. Man hätte es für ein Sleen halten können, ein Raubtier, das für seine Hartnäckigkeit berüchtigt ist. Nun gut, dachte ich, dann soll es den gefährlichsten Verbündeten des Menschen kennenlernen, das geheimnisvolle Feuer.

Ich wollte trockene Rencehalme sammeln und sie mit dem Feuermacher, einem einfachen Werkzeug, das im wesentlichen aus einem Rad und einem Feuerstein bestand und das ich in meiner Gürteltasche trug, entzünden. Doch das Ul kam schnell mit weit aufgerissenem Rachen näher. Ich zog mich in das Schilf zurück. Aber es verfolgte mich, stieg auf und verursachte mit den Schwingen einen derartigen Sturm, daß das Schilfgras niedergedrückt wurde. Ich schlug nach ihm, ohne jedoch etwas Entscheidendes zu bewirken. Einmal stürzte ich, konnte aber hinter einem Baumstamm Zuflucht finden, der vom Vosk angespült worden war.

Überall klebte das Blut des Urs an mir. Zweimal brachte ich einen Treffer an seinem Rachen an. Dann flog es höher und kreiste; ob der Schmerz es zu einem zwischenzeitlichen Rückzug veranlaßt oder ob es den Kontakt zu mir verloren hatte, kann ich nicht sagen. Ich fürchtete, daß es zurück zu dem Mädchen flog.

Also schob ich das Schwert in die Scheide, brüllte, so laut ich konnte, und fuchtelte wild mit den Armen. Zwischendurch sammelte ich eifrig Rencehalme.

Das Ul beschrieb am Himmel eine Kurve.

Ich ließ Funken auf die trockenen Halme hinabregnen.

Dann schoß die Flugechse auf mich zu, die Klauen ausgestreckt. Ich wich ihr aus. Sie zog nach oben. Das Rence brannte. Ich watete los und zündete die trockenen Schilfspitzen an. Für einen kurzen Augenblick, der nicht lange währen würde, brannte das Rencegras. Rauch stieg in die Höhe. Das Ul flog genau in diesen brennenden Willkommensgruß, kreischte schmerzerfüllt auf, stieg wieder in die Höhe und verschwand irgendwo über dem Sumpf. Ich warf die provisorische Fackel fort. Sie war beinahe bis auf meine Hand niedergebrannt. Einen Augenblick lang zischte sie im Wasser, trieb brennend neben mir her und erlosch dann. Ich stand zwischen qualmenden, geschwärzten Rencehalmen. Von dem Ul war nichts mehr zu sehen. Ich watete zurück an Land. Dabei zitterte ich am ganzen Leib. Ich wollte nie wieder etwas mit einem Ul zu tun haben.

»Ist es weg?« fragte die Frau mit bebender Stimme.

»Ich glaube schon.«

Hätte ich einen Speer gehabt, wäre der Flugechse leichter beizukommen gewesen. Sie hatte keine Angst vor Menschen gehabt und war ungeschützt und zielstrebig auf mich zugekommen. Aber ich hatte keinen Speer. Vielleicht hätte ich auf der von Ar in Beschlag genommenen Sandbank danach suchen sollen, bevor ich die Flucht ergriff. Andererseits hatte ich es aber ziemlich eilig gehabt.

»Befreie mich!« befahl sie jetzt schroff.

»Bist du nicht dankbar für deine Rettung?« fragte ich.

»Es ist die Pflicht der Männer, Frauen zu beschützen!«

»Ach so.«

»Du sollst mich befreien!«

»Aber man hat dich den Tharlarion zum Fraß vorwerfen wollen«, meinte ich.

Sie kämpfte kurz gegen die Fesseln an. »Aber du wirst mich doch sicher befreien.«

Ich schwieg.

»Bitte.«

Ich betrachtete sie. »Du bist hübsch«, sagte ich dann.

Ihre kleinen Füße standen auf dem unteren, abgerundeten Querbalken. Sie hatte hübsche Knöchel. Im Augenblick steckten sie in den Riemen, die sie an den Querbalken und den Pfahl fesselten. Ihre Waden und Oberschenkel waren einfach großartig, während zwischen den ausladenden, wohlgerundeten Hüften süße Geheimnisse auf ihre Erforschungen warteten. Drei Riemen waren um die schmale Taille geschlungen und überkreuzten sich. Sie hatten tiefe Abdrücke in ihrem Bauch hinterlassen, da sie sich von Zeit zu Zeit bewegt hatte. Im Augenblick schnitten sie so tief ein, daß das Fleisch darüberquoll. Von der schmalen Taille, die von den Riemen noch enger zusammengeschnürt wurde, ging es weiter aufwärts zu den unbeschreiblichen Reizen des Oberkörpers mit der weichen und so verletzlichen Brust, den sanft gerundeten Schultern und dem makellosen Hals. Ich betrachtete ihre kurzen, fraulichen Unter- und Oberarme. Ich betrachtete ihr Gesicht, ihr Haar.

»Wirklich hübsch«, sagte ich.

Sie errötete von den Haarwurzeln bis zu den Zehen.

»Bitte, sieh mich nicht so an!« sagte sie.

Ich musterte sie weiter und verspürte dabei großes Vergnügen.

»Bitte!« sagte sie.

Sie war wirklich hübsch. Sie war sogar hübsch genug, um eine Sklavin zu sein.

Ich betrachtete sie weiter.

»Ich appelliere an deine Ehre als Soldat von Ar.«

Richtig, ich trug ja eine Ar-Tunika.

»Kommst du aus Ar?« fragte ich.

»Ja. Ich bin Lady Ina aus Ar.«

»Ich komme aber nicht aus Ar«, sagte ich. Anscheinend erkannte sie mich in der Tunika nicht wieder. Sie hatte mich ja auch nur kurz gesehen, und das bei schlechtem Licht und vor vielen Tagen. Zweifellos hatte sie nicht damit gerechnet, mir jemals wieder zu begegnen. Vielleicht hatte sie unterbewußt auch Angst, mich zu erkennen.

»Dann bist du also ein Rencebauer, der eine Tunika von Ar trägt?«

»Vielleicht.«

»Ich bin gar keine Lady aus Ar«, berichtigte sie sich schnell.

»Was denn dann?«

»Ein einfaches Rencemädchen.«

»Ich glaube, du bist eine Sklavin.«

»Nein!« erwiderte sie empört. »Du siehst doch, daß ich kein Brandzeichen trage.«

Ich nickte. Natürlich trug sie kein Brandzeichen. »Du bist also ein einfaches Rencemädchen.«

»Ja.«

»Wo ist dein Dorf?« fragte ich.

Sie bewegte den hübschen Kopf. »Irgendwo dort hinten«, sagte sie ausweichend.

»Dann bringe ich dich zurück.«

»Nein!« rief sie. »Ich habe das Dorf verlassen.«

»Warum denn?«

»Ich sollte verheiratet werden, mit einem ungeliebten Mann.«

»Und wieso bist du hier angebunden?«

»Wegelagerer haben mich ausgeraubt und hier zurückgelassen.«

»Warum haben sie dich nicht an der Deltagrenze verkauft?«

»Sie haben sofort erkannt, daß ich mich nicht als Sklavin eigne«, antwortete sie hochmütig.

»Da bin ich aber ganz anderer Meinung. Du würdest sogar eine hübsche Sklavin abgeben.«

»Niemals!« rief sie. »Ich bin eine freie Frau!«

»Das waren die meisten Sklavinnen auch einmal.«

Sie riß an den Fesseln.

»Ich werde dich in dein Dorf zurückbringen«, wiederholte ich. »Vielleicht zahlt man mir ja eine Belohnung dafür.«

»Ich will aber nicht zurück.«

»Das spielt keine Rolle«, meinte ich. »Wo genau ist das Dorf?«

»Das weiß ich nicht.«

»Wir können uns ja in ein paar der umliegenden Dörfern erkundigen.«

»Nein!« Sie schwieg. »Es waren gar keine Wegelagerer, die mich hier ausgesetzt haben.«

»Das dachte ich mir schon. Sie hätten dich verkauft. Da habe ich dich also bei einer Lüge ertappt.«

Sie drückte sich an den Pfahl. »Ich bin auch kein Rencemädchen«, gestand sie dann.

»Das überrascht mich nicht.«

»Und du bist auch kein Rencebauer!«

»Das ist wahr.«

»Aber du hast auch behauptet, du kämst nicht aus Ar.«

»Das ist ebenfalls wahr.«

»Dann befreie mich!« verlangte sie begierig. »Wir sind Verbündete.«

Ich sah sie abwartend an.

»Ich bin eine Spionin. Ich arbeite für Cos.«

»Und wieso bist du dann hier an diesem Pfahl?«

»Sie haben ein Rencedorf niedergebrannt«, erzählte sie. »Später wurde das Heer auf der rechten Flanke von den Bauern angegriffen. Sie überfielen auch meine Barke. Meine Wächter ließen mich im Stich, flüchteten in den Sumpf. Man ergriff mich und legte mich nackt in Ketten, obwohl ich eine freie Frau bin! Die Barke wurde angezündet. Dann brachten sie mich in ein Rencedorf. Dort wurde ich in einer muffigen kleinen Hütte tagelang gefangengehalten. Überall waren diese schrecklichen Fliegen. Gestern morgen brachten sie mich dann an diese Stelle.«

Ich zweifelte keinen Augenblick lang an dieser Geschichte. Die Stange, die ich im Sumpf gefunden hatte und mit der ich mein Floß anstieß, war vergoldet, auch wenn der größte Teil der Lackierung weggebrannt war.

»Warum haben sie mich nur hierhergebracht?« fragte sie. »Wissen sie denn nicht, wie gefährlich die Tharlarion sind?«

»Na, eben wegen der Tharlarion«, sagte ich kopfschüttelnd. »Das muß dir doch klar gewesen sein.«

»Aber warum?«

»Ein Dorf wurde niedergebrannt.«

»Ich habe ihnen aber doch erzählt, daß meine Loyalität Cos gehört.«

»Du hast ihnen vermutlich viel erzählt.«

»Natürlich.«

»Mit einem Akzent, der klar auf Ar hinweist?«

Sie nickte, ohne zu begreifen.

»Und du hast ihnen gedroht.«

»Natürlich.«

»Und ihnen viele Lügen aufgetischt.«

»Auch das, aber wie sich herausstellte, spielte das alles keine Rolle, denn die Rencebauern können kein Goreanisch.«

»Wieso denn das?«

»Sie haben nicht ein Wort zu mir gesagt.«

»Sie sprechen perfekt Goreanisch«, antwortete ich.

Sie erbleichte.

»Immerhin haben sie deinen Status als freie Frau geachtet und dich hier den Tharlarion überlassen.«

»Aber warum haben sie mich nicht…« Sie verstummte.

»Als Sklavin behalten?« half ich ihr auf die Sprünge.

»Ja!«

»Die Bauern werden ihre Gründe gehabt haben. Die Einäscherung ihres Dorfes, der Wunsch nach Rache, ihr Haß auf Ar.«

»Aber ich bin doch eine Frau!« protestierte sie.

»Schon möglich«, erwiderte ich. »Zumindest hast du den Körper einer Frau.«

»Ich bin eine Frau. Eine richtige Frau, in jeder Beziehung!«

»Wie kann das sein, da du doch keine Sklavin bist?«

Wieder zerrte sie wütend an den Lederriemen.

»Freie Frauen sind nichts anderes als Sklavinnen, die noch keinen Sklavenkragen tragen«, meinte ich.

Das gefiel ihr nicht. »Sleen!« schluchzte sie aufgebracht.

»Ich muß weiter.«

»Nein! Nein! Du mußt mich mitnehmen! Ich weiß, daß du Cos’ Sache unterstützt. Genau wie ich! Ich mag aus Ar kommen, aber ich bin eine cosische Agentin! Also sind wir Verbündete!«

»Du gibst also zu, daß du eine cosische Spionin bist?« fragte ich.

Sie zögerte. Dann sagte sie: »Ja.«

»Wirklich?«

»Ja!«

»Sag es laut und deutlich.«

»Ich bin eine cosische Spionin!«

»Ausgezeichnet.«

»Und jetzt binde mich los.«

»Ich stehe nicht auf Cos’ Seite«, sagte ich.

»Aber du kommst doch nicht aus Ar, hast du gesagt.«

»Ich unterstütze weder Ar noch Cos!«

»Welchen Heimstein hast du?« fragte sie plötzlich furchtsam.

»Port Kar.«

Sie stöhnte auf. Es heißt, die Ketten einer Sklavin sind in Port Kar am schwersten.

Ich wandte mich scheinbar zum Gehen.

»Warte!« rief sie.

Ich blieb stehen.

»Du kannst mich nicht den Tharlarion überlassen!«

»Die Rencebauern waren der Meinung, du hättest es verdient«, sagte ich. »Wer bin ich, ein Bürger Port Kars, ein Fremder im Delta, daß ich ihre Entscheidung in Frage stelle?«

»Aber das sind Barbaren!«

»Vielleicht weniger als ich.«

»Befreie mich!«

»Warum?«

»Ich könnte dich belohnen.«

»Wie denn?«

»Als Frau.«

»Drück dich bitte deutlicher aus.«

»Als Frau mit meinen Reizen.«

»Ein interessanter Vorschlag«, meinte ich nachdenklich. »Du handelst also mit deiner Schönheit.«

»Natürlich. Ich werde mich dir unterwerfen, wenn du willst. Ich werde deine Sklavin sein.«

»Paß auf, was du sagst, wenn du dich nicht selbst formell zur Sklavin machen möchtest.«

Eine derartige Erklärung ist bindend; sobald sie ausgesprochen ist, ist die Frau unwiderruflich eine Sklavin.

»Egal, wenn du willst, spreche ich die nötigen Worte aus.«

Ich schwieg. »Erkennst du mich eigentlich nicht?« fragte ich dann.

»Sollte ich?«

»Erinnerst du dich an ein Lager im Sumpf, vor einigen Tagen? Im Südosten, an einem Abend? An einen Gefangenen?«

Sie betrachtete mich eindringlich. »Du bist das!« schluchzte sie dann auf.

»Ja.«

Sie legte stöhnend den Kopf zurück.

Im Sumpf brüllte ein Tharlarion. Sie hörte es. Ihre Augen waren vor Furcht weit aufgerissen.

»Vielleicht sollte ich dein Angebot ja annehmen«, sagte ich nachdenklich.

»Vielleicht?«

»Ja, vielleicht«, antwortete ich. Ich zog das Messer aus der Scheide, schob es behutsam zwischen ihren Bauch und die drei Riemen, mit denen ihre Handgelenke gefesselt waren. Mit einer Bewegung waren sie durchschnitten und flogen beiseite. Dann stieg ich auf den Querbalken und kümmerte ich mich um die anderen Fesseln.

»Langsam«, sagte ich und steckte das Messer zurück. Sie stöhnte, als ich ihr linkes Handgelenk nahm und den Arm behutsam über den Balken führte. Dann kam der rechte Arm an die Reihe. Ich hielt sie fest, damit sie nicht zu Boden stürzte. Zweifellos hatte sie Schmerzen. »Halte dich an dem Pfahl fest.« Sie umklammerte ihn. Ich packte sie an den Hüften und hob sie von dem Querbalken herunter. Sie sank auf die Knie und kroch ein paar Schritte zur Seite. Ihre Handgelenke waren natürlich noch immer gefesselt, lediglich die durchtrennten Riemen baumelten herab. Sie erhob sich unsicher auf die Beine und wandte sich mir zu. Es war schwer, in ihren Augen zu lesen. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, daß sie versuchen würde zu fliehen. Und ich würde ihr die Gelegenheit geben.

»Es wäre nicht gut, wenn die Rencebauern den Pfahl leer vorfänden«, sagte ich. »Ich habe keine Lust, die nächsten Tage oder Wochen damit zu verbringen, sie abzuschütteln. Darum halte ich es für das beste, wenn sie sein Verschwinden natürlichen Ursachen zuschreiben und annehmen, daß ein Tharlarion ihn aus dem Sand gerissen hat, als es an das hübsche Opfer heranwollte, oder daß sich die Strömung verändert hat. Ich werde ihn aus dem Sand ziehen.«

»Er ist doch viel zu schwer.«

»Man kann die Schulter unter das Querholz stemmen«, sagte ich. »Das dürfte nicht allzu schwierig sein.«

Ich wandte mich von Ina ab und kümmerte mich um den Pfahl. Ich stemmte die Schulter unter den Balken, und wie erwartet erwies es sich nicht als allzu schwer, ihn aus dem weichen Sand zu heben. Als er dort der Länge nach lag, blickte ich auf. Ina war verschwunden. Ihre Fußabdrücke verrieten, wo sie den Sumpf betreten hatte. Natürlich konnte sie im Sumpf die Richtung geändert haben. Ich überlegte, welche Route sie vermutlich nehmen würde, verzichtete aber auf eine Verfolgung. Statt dessen zog ich den Pfahl in den Sumpf, watete ein Stück hinein und stieß ihn dann in die Mitte einer vielversprechend aussehenden Fahrrinne. Dann kehrte ich auf die Sandbank zurück und ging weiter in Richtung Floß.

Ich hatte es noch nicht erreicht, als ich Inas Schrei hörte. Er schallte aus der Richtung, aus der ich gerade gekommen war.

Wieder ertönte ein Schrei.

Dann erblickte ich etwa hundert Meter entfernt den Kopf des Uls, das mitten im Rence jagte.

Wirklich hartnäckig, dachte ich.

Wasser spritzte laut auf, gefolgt vom nächsten Schrei.

Das Ul schlug mit den gewaltigen Schwingen und schwebte über dem Rence auf der Stelle.

Die Schreie verstummten.

Die Flugechse stieg in die Höhe und drehte suchend ihre Kreise. Ihre Beute mußte sich irgendwo im Schilf verbergen. Sie hatte sie wohl aus den Augen verloren. Dann beobachtete ich, wie das Ungeheuer die Flughöhe veränderte und lautlos auf den Sumpf herabglitt. Als es auftraf, spritzte Sumpfwasser fast zehn Meter in die Höhe. Die Schreie setzten wieder ein. Lady Ina stolperte mit ausgestreckten Händen und wehendem Haar durch den Sumpf. Über dem Schilfgras erhob sich nun wieder der kleine Kopf des Uls, der vogelähnlich neugierig auf- und abhüpfte.

Ich zog das Schwert und eilte auf die Insel zu, in der Absicht, Lady Ina abzufangen. Ich erhaschte einen kurzen Blick auf sie, eine kleine weiße blonde Person, die sich in panischer Angst einen Weg durch das Schilf bahnte. Es war einfacher, den Weg des Uls im Auge zu behalten, dessen Kopf über die Halme hinausragte. Einmal sah ich den ganzen Körper, der sich, angetrieben vom Schlagen der großen Hautschwingen, mit großer Geschwindigkeit bewegte. Dann war wieder nur sein Kopf zu sehen. Obwohl ich Lady Ina nur selten direkt zu Gesicht bekam, war es eigentlich nicht schwer, ihre Position zu bestimmen. Die Entschlossenheit des Uls verriet sie mir. Ina floh vor der Flugechse. Sie befand sich genau auf ihrer Spur.

Ich erblickte Ina wieder, als sie sich dem Rand der Sandinsel näherte. Sie watete heran, stürzte, stemmte sich hoch, watete weiter. Sie erreichte festen Boden und blickte sich wild um. Direkt hinter ihr brach das Ul aus dem Schilf. Ina wandte den Kopf und schrie auf. Sie wollte weiterlaufen, stolperte aber und fiel in den Sand, und sofort hatte das Ul sie erreicht und drückte sie mit einer seinem riesigen Krallenfüße in den Boden. Ina wand sich verzweifelt, und die Flugechse griff zu. Dann packte sie auch noch mit dem anderen Fuß zu. Ina war nun so hilflos wie in den Krallen eines Tarns. Sie hob den Kopf Zentimeter vom Sand und schrie.

Das Ul senkte gerade den Kopf und riß den Rachen auf, als es mich entdeckte und die Kiefer wieder zuklappte. Und dann, aus welchem Grund auch immer – vielleicht erinnerte es sich an das Feuer oder an die Verletzungen, die ich ihm beigebracht hatte, vielleicht wollte es auch nur seine Beute schützen – entfaltete es die riesigen Schwingen, schlug damit, daß Sand aufstäubte und sich das Schilf bog, und erhob sich langsam in die Luft. Mit halb geschlossenen Augen kämpfte ich mich geduckt durch Böen und den wehenden Sand auf die Flugechse zu. Ich griff nicht ihre Krallenfüße an, aus Angst, das Mädchen zu treffen. Dann war ich ganz unter der Bestie.

Mit ausgestrecktem Schwert sprang ich in die Höhe, und die Klinge bohrte sich in den schlagenden Flügel und durchstieß ihn wie ein Blatt Papier. Das Ungeheuer stieß ein zischendes Geräusch aus, während es mit dem Mädchen in den Klauen weiter in die Höhe stieg. Zusammen mit mir, denn ich hing an dem zerschnittenen Flügel.

Der Flug war ziellos; die Flugechse stieg in die Höhe, wirbelte umher, Wind wehte durch den verletzten Flügel, der zusätzlich mit meinem Gewicht belastet war. Ich wurde hin- und hergeschleudert. Unter mir zog der Sumpf auf schwindelerregende Weise vorbei. Das Krächzen der Bestie hatte sich zu einem wilden, ohrenbetäubenden Kreischen gesteigert. Die Beute des Uls, deren weiße Glieder in seinen Klauen hingen und deren blondes Haar im Wind flatterte, gab schluchzende, verzweifelte Geräusche von sich. Ich glaube, sie bekam wegen des ständigen Auf und Ab kaum noch Luft.

Mein Arm rutschte durch den Riß in der Haut. Ich befürchtete, den Halt zu verlieren und in den Sumpf zu stürzen, der mal dreißig Meter und dann wieder nur fünf Meter unter uns lag. Das Ul wollte mich beißen, mich von seiner Schwinge ziehen, und ich trat nach dem langen Rachen. Dabei geriet meine Hand einmal in den Unterkiefer, und es gelang mir im buchstäblich letzten Augenblick, sie zurückzuziehen, bevor die Kiefer wie eine geöffnete Truhe zusammenschnappten. Dann beschrieb das Ul erneut eine unerwartete Kurve, und die Welt drehte sich.

Als wir wieder eine einigermaßen stabile Lage erreicht hatten, gelang es mir, das Schwert in die linke Hand zu verlagern. Dann stieß ich die Klinge in den Echsenleib, immer wieder. Wegen meiner ungünstigen Position fielen die Stöße eher kraftlos aus, aber ich hörte nicht auf, und das fließende Blut zeigte meinen Erfolg. Dann öffnete sich der Rachen wieder, vielleicht die ganzen anderthalb Meter, und schnappte nach mir.

Ich versuchte zurückzuschwingen, hatte aber keinen Platz zum Ausweichen. Also stieß ich die Klinge waagerecht zwischen die Kiefer. Sie klappten zu, und die Schwertspitze durchstieß den Oberkiefer, während sich der Knauf im Unterkiefer verkantete. Die Zunge züngelte am Stahl vorbei und schnitt sich dabei, bis sie blutend meine Hand traf. Fauchend raste das Ungeheuer durch die Luft und bemühte sich, den Rachen zu schließen. Das trieb die Klinge nur noch weiter durch die lange Schnauze. Meine Hand kam dabei den gnadenlosen Reißzähnen des Oberkiefers zusehends näher, bis die Parierstange sie aufhielten. Die Echsenzunge stieß gegen meine Hand und den Griff.

Plötzlich wirbelte das Ul mitten in der Luft herum, gewann an Höhe und versuchte, den Rachen wieder zu öffnen. Sein linkes Auge starrte mich unheilvoll an. Seine linke Seite blutete an vielen Stellen. Es stürzte in die Tiefe und drehte sich in der Luft, aber irgendwie gelang es ihm, wieder eine stabile Fluglage einzunehmen. Links unter mir befand sich eine helle Fläche, die ich für die Insel aus Sand hielt. Wir waren vielleicht fünfzehn Meter vom Schilf entfernt.

Das Ul bog ruckartig den Kopf zurück, der Kraft seines Körpers hatte ich nichts entgegenzusetzen, und das Schwert, das noch immer in seinem Rachen steckte, wurde mir aus der Hand gerissen. Ich hörte Ina aufschreien. Plötzlich losgelassen, stürzte sie dem Sumpf entgegen. Von dem Gewicht befreit, versuchte die Flugechse an Höhe zu gewinnen, schaffte aber nur wenige Meter. Die riesigen Schwingen schlugen nicht mehr so rasend wie zuvor.

Es versuchte, mich mit den Klauen zu erwischen. Mit dem linken Fuß war das unmöglich, also griff es mit dem anderen Fuß quer über den Körper hinweg. Ich wollte ausweichen, aber die Krallen fuhren über mein Bein.

Die Flugechse schlug eine andere Taktik ein. Sie griff jetzt mit der Klaue nach mir, der Flügelklaue, die sich in der Mitte der Schwinge befindet. Die Klauen sind größtenteils verkümmert, da der Arm so verändert ist, daß er die Hautschwinge hält. Allerdings ermöglichen sie es der Flugechse im Zusammenspiel mit den Klauenfüßen, sich wie eine Fledermaus an Felsklippen oder Bäumen festzuklammern. Sie dienen auch bei Revierkämpfen als Waffe.

Ich stieß die Krallen beiseite. Bei dem Versuch, mich damit zu erreichen, verlor das Ul natürlich seine stabile Fluglage und stürzte dem Boden entgegen. Es erkannte seinen Fehler, ging in den Gleitflug über und bemühte sich, mich nun durch Flügelschlagen abzuschütteln. Doch bei diesem Versuch verlor es erneut das Gleichgewicht und trudelte wieder dem Sumpf entgegen. Es spreizte die Schwingen weit und gewann flatternd erneut an Höhe, um gleich darauf wieder abzusacken. Plötzlich kam es mit der Wasseroberfläche in Berührung, und ich befreite mich von der zerfetzten Hautschwinge und wich sofort zurück.

Die Flugechse griff mit den Flügelkrallen nach mir. Ich sprang noch ein Stück zurück. Sie kippte um und lag mit einem zerrissenen und verstümmelten Flügel zur Hälfte im Wasser. Ihr Kopf wandte sich mir zu. Ich wartete ab. Der Körper sank tiefer. Vorsichtig kam ich näher und befreite mein Schwert aus dem Rachen. Ich stieß dem Ul die Klinge tief in die linke Seite, und es war tot.

Nicht das Ul ist der König des Deltas, dachte ich. Der Mensch, der winzige, kleine Mensch mit seinen Waffen ist der König des Deltas. Es war viel Blut im Wasser, ich watete zu der Insel zurück. Zwei kurzbeinige Tharlarion schwammen wie Schiffe an mir vorbei auf das tote Ul zu.

Ich betrat den Sand. Das Schwert hielt ich noch immer in der Hand.

»Warte«, ertönte da eine leise, zittrige Stimme. Ich drehte mich nicht um. Ich hatte sie für tot gehalten.

»Bitte, warte«, rief Lady Ina.

Ich drehte mich um.

Sie stand einige Meter hinter mir, kam ein paar Schritte näher, blieb dann zitternd und ängstlich stehen. Sie war von oben bis unten verdreckt, voller Sumpfschlamm.

»Ich glaubte, du wärst tot«, sagte sie.

»Und ich glaubte, du wärst tot.«

»Ich fiel ins Wasser.«

»Offensichtlich in einen Kanal.«

»Um ein Haar wäre ich im Schlamm erstickt.«

»Du siehst widerlich aus«, stellte ich fest.

»Ist es tot?« fragte sie furchtsam.

Ich nickte.

»Du bist verwundet«, sagte sie dann. Mein Bein war blutig.

»Es ist nichts.«

»Vielleicht sind ja noch andere in der Nähe.«

»Das ist unwahrscheinlich«, erwiderte ich. Im Gegensatz zu den kleineren Uls, von denen einige Arten nicht viel größer als Jards sind, neigen die größeren dazu, ihr Territorium eifersüchtig zu hüten.

»Aber im Sumpf lauern noch viele andere Gefahren.«

»Das ist schon möglich.«

Plötzlich eilte sie auf mich zu und fiel vor mir auf die Knie. Sie schluchzte unbeherrscht. Am ganzen Leib bebend legte sie den Kopf auf den Sand. Ihre Hände lagen ebenfalls flach auf dem Sand, der zwischen ihren Fingern hervorquoll. Diese Haltung behielt sie für mehrere Ihn bei. Dann blickte sie auf allen vieren flehend zu mir hoch. »Bitte«, sagte sie. »Bitte!«

Ina hatte vor mir die Position der Unterwerfung angenommen.

»Bitte!« schluchzte sie.

Ich betrachtete sie reglos.

Sie kroch auf mich zu, umschlang meine Knie mit beiden Armen und sah mit Tränen in den Augen zu mir hoch. Ich konnte das Beben ihres Körpers spüren. Dann legte sie die Wange an mein blutiges Bein. »Bitte«, flüsterte sie mitleiderregend.

»Zurück«, befahl ich. »Bleib auf den Knien.«

Auf den Knien rutschte sie einen Meter zurück.

Ich hob das Schwert ein Stück. »Heb das Kinn.«

Sie gehorchte.

»Du bist schmutzig.«

»Laß mich mit dir kommen.«

»In deinem derzeitigen Zustand kann man dich nur schwer einschätzen.«

Sie sah mich bestürzt an.

»Geh und mach dich zurecht.« Bestimmt würde sie sich daran erinnern, daß die Soldaten vor unserem kleinen Gespräch mein Äußeres hergerichtet hatten.

Aufschluchzend sprang sie auf, eilte über den Sand und lief ins Wasser. Sie wusch sich Arme und Beine, den ganzen Körper. Tropfen spritzten durch die Luft. Ich sah ihr zu. Es war ganz nett. Eine Sklavin hätte es natürlich viel geschickter angestellt, und zwar auf eine Weise, die ihren zusehenden Herrn verrückt vor Leidenschaft gemacht hätte. Lady Ina hingegen war nur eine freie Frau. Aufgeregt blickte sie gelegentlich zurück, aber das geschah meiner Meinung nach weniger, um mein Interesse und meine Reaktion zu beobachten, als vielmehr um sich zu vergewissern, daß ich sie nicht verlassen hatte. Dann kniete sie sich ins Wasser und wusch sich die Haare. Das geschah mit einem Hauch von Sinnlichkeit, vielleicht weil sie angemessen zuversichtlich war, daß ich nicht im Schilf verschwand. Diese Sinnlichkeit wurde ausgeprägter, als sie sich das Haar mit den Fingern auskämmte und es danach trocknete, indem sie es leicht hin- und herwirbelte und zwischen den Fingern rieb. Schließlich warf sie es zurück über die Schultern, erhob sich und ging langsam auf mich zu.

Sie blieb vor mir stehen, voller Anmut, bis zu den Knöcheln im Sand versunken, von der Sonne beschienen. Ihre Haut war jetzt – vom Schlamm befreit – sehr hell, ihr Haar wunderschön. Sie glänzte förmlich. Dann lächelte sie. Ich glaube, sie wußte, daß sie eine Schönheit war, oder zumindest hielt sie sich dafür. Aber als ich sie unverwandt reglos anblickte, verlor sie ihr Selbstvertrauen.

Ich zeigte auf den Sand zu meinen Füßen.

Augenblicklich ließ sie sich auf die Knie fallen und legte Kopf und Hände in den Sand.

Es ist schön, wenn eine Frau einem Gehorsam erweist. Und es gehört sich so. Mit solchen symbolischen Gesten kann man die der Natur innewohnende Ordnung und die in ihr verborgenen tieferen Wahrheiten auf konventionelle und zivilisierte Art zum Ausdruck bringen.

Zugegeben, diese Geste war diesmal nicht freiwillig erfolgt, diese Frau hatte zu diesem Zeitpunkt nicht von sich aus dem Mann, der Natur und damit sich selbst die nötige Ehrerbietung erwiesen, sondern auf meinen Befehl gehandelt. Und ich hatte diese Position nicht nur um meines eigenen Vergnügens willen angeordnet, um diese Schönheit bewundern zu können, sondern es zu ihrem eigenen Besten getan, damit sie die Natur unserer Beziehung deutlich begriff, damit sie in ihrem tiefsten Inneren verstand, daß sie sich hier unterwarf. Ich hatte es bedingungslos, ja, gnadenlos von ihr verlangt, wie ein Herr von seiner Sklavin.

»Du darfst den Kopf heben«, sagte ich.

Ina blickte zu mir hoch, ihre Unterlippe zitterte.

»Hock dich auf die Fersen«, befahl ich. »Spreiz die Beine, weiter, noch weiter, so ist es gut.« Ich zweifelte keinen Augenblick lang, daß sie sich daran erinnerte, wie sie mir vor Tagen den gleichen Befehl gegeben hatte, damals, als sie noch Macht ausgeübt und zahllose bewaffnete Soldaten hinter sich gewußt hatte. »Leg die Hände auf die Oberschenkel. Heb den Kopf.«

»Das ist eine Sklavinnenposition, nicht wahr?« fragte sie atemlos.

»Ja.«

»Aber ich bin keine Sklavin!«

»Du sollst die Position halten.«

In ihren Augen schimmerten Tränen.

»Du darfst sprechen.«

»Nimm mich mit!« rief sie. »Beschütze mich! Verteidige mich! Ich kann mich nicht allein schützen! Ich bin eine Frau. Ich brauche männlichen Schutz! Ich bin nur eine Frau. Ohne deinen Schutz werde ich im Delta sterben. Ohne deinen Schutz werde ich das Delta niemals lebend verlassen. Ich bin eine Frau, nur eine Frau. Ich brauche dich dringend.«

Ich ließ den Blick über den Sumpf schweifen. Es war schon später Nachmittag.

»Ich glaube, ich könnte ohne große Schwierigkeiten aus dem Delta herauskommen, auf mich allein gestellt«, sagte ich. »Jedoch eine Frau mitzunehmen, ganz besonders eine Frau wie dich, ist, wie du dir sicher vorstellen kannst, eine sehr große Behinderung.«

»Ich mache keine Schwierigkeiten!!« versprach sie eifrig.

»Es ist ja nicht so, als wärst du eine Sklavin«, meinte ich, »ein Besitz, den man nicht zurücklassen will.«

»Ich könnte ja eine Sklavin werden«, erwiderte sie mit einem seltsamen Unterton in der Stimme.

»Außerdem kann man davon ausgehen, daß eine Sklavin keine Scherereien macht.«

»Dann versklave mich!«

»Aber du bist eine freie Frau.«

»Das stimmt.«

»Wenn ich dich als freie Frau mitnehmen würde«, sagte ich, »welche Bedingungen würdest du stellen?«

»Wenige«, antwortete sie. »Nur daß ich mit Respekt und Würde behandelt werde.« Sie verstummte. Dann rief sie: »Komm zurück! Bitte!«

Ich blieb stehen, drehte mich wieder um und sah sie an. Ihre Anspannung war überdeutlich. Aber sie hatte ihre Position nicht verlassen.

»Ich stelle keine Bedingungen!« rief sie. »Nicht die geringsten.«

Ich kehrte zu ihr zurück.

»Ich bin eine Frau aus Ar«, sagte sie. »Du bist aus Port Kar. Unsere Städte führen beide Krieg gegen Cos. Also sind wir Verbündete.«

»Du bist eine cosische Spionin.«

»Ich stelle keine Bedingungen.«

»Wenn ich dich mitnehme, dann ohne jedes Zugeständnis.«

»Einverstanden.«

»Bedingungslos wie eine Sklavin.«

»Einverstanden.«

»Außerdem, wenn ich dich mitnehme, dann nur als Gefangene, als willige Gefangene. Verstehst du, was es bedeutet, eine willige Gefangene zu sein?«

»Ja«, flüsterte sie.

»Du wirst mich behandeln, als wärst du eine Sklavin.«

»Ja.«

»Ich kann mit dir machen, was ich will.«

»Ich verstehe.«

»Ich kann dich weggeben, verkaufen, vermieten, was ich will.«

»Ich verstehe.«

»Und ich kann dich versklaven, oder dich versklaven lassen.«

»Ja.«

»Hast du alles verstanden?«

»Ja.«

Ich betrachtete sie. Ausgiebig.

»Ich hoffe, dir gefällt, was du da siehst.«

»Du bist nicht unattraktiv«, räumte ich ein.

Ina lächelte. »Es freut mich, daß ich dir gefalle.«

»Warum?«

»Ich nehme an, daß du dann eher bereit bist, mir zu erlauben, dich zu begleiten.«

»Gibt es da noch einen anderen Grund?«

»Natürlich nicht«, stammelte sie.

Ich lächelte. Was war sie doch nur für ein falsches, eitles Ding! Wie alle Frauen hoffte sie, den Männern zu gefallen, reizvoll und begehrenswert zu sein.

»Ich werde dich Ina nennen«, sagte ich.

»Nicht Lady Ina?«

»Nein.«

»Und wie soll ich dich ansprechen?« fragte sie furchtsam.

»Du nennst mich Herr.«

»Ah«, meinte sie erleichtert.

»Hast du verstanden?«

»Ja.«

Ich blickte sie an.

»… Herr«, fügte sie hinzu.

»Steh auf und geh in diese Richtung.«

Sie ging vor mir her bis zum Rand der Insel, zögerte kurz und watete dann auf ein grobes Wort hin in den Sumpf hinein. Nur wenige Augenblicke später waren wir zu der kleinen Sandbank gekommen, auf die ich mein Floß gezogen hatte.

»Ein Floß!« sagte sie erfreut. Ich glaube, sie hätte sich nicht mehr freuen können, hätte sie ihre Barke unzerstört entdeckt. Selbst ein einfaches Gefährt wie ein Floß erhöht die Überlebenschancen im Delta hundertfach. »Seht mal, Herr«, sagte Ina, die jetzt die höfliche Anrede benutzte, »Das ist doch eine der Stangen von meiner Barke! Man kann noch den Goldüberzug sehen, wo er nicht abgebrannt ist!«

Das Floß war schwer. Ich glaubte nicht, daß sie es wie ich mit einem Joch würde ziehen können, genausowenig wie sie mit der Stange zurechtkommen würde, da sie sehr dick und lang war.

»Wir haben ein Floß«, sagte Ina.

»Ich habe ein Floß«, stellte ich fest.

»Und da ist ja auch Proviant.«

»Für den gilt dasselbe.«

»Aber bestimmt werdet Ihr doch der kleinen Ina etwas davon abgeben«, sagte sie und drehte sich lächelnd zu mir um. Dann stutzte sie. »Warum seht Ihr mich so an?«

»Ich frage mich, welchen Wert du für mich hast.«

»Wert?«

»Ich glaube nicht, daß du mir bei dem Floß eine große Hilfe sein wirst.«

»Natürlich nicht«, erwiderte sie. »Ich bin eine Frau.«

»Ganz genau.«

»Ich kann Euch meinen Wert vorführen«, sagte Ina und kam näher. Sie blickte zu mir hoch. »Jetzt spürt Ihr, was ich wert bin, nicht wahr?«

»Wir werden hier auf dieser Sandbank ein paar Ahn lang lagern«, sagte ich.

Sie lachte leise. Sie glaubte, diese Entscheidung habe etwas mit ihr zu tun.

»Dann reisen wir weiter.«

»Nach Einbruch der Dunkelheit?«

Ich nickte. »Aus Sicherheitsgründen.« Jetzt, wo wir zu zweit waren, war das noch wichtiger geworden.

»Und wie wollt Ihr etwas sehen?«

»Da sind die Sterne, die Monde.«

»Wir bleiben also ein paar Ahn lang hier?« fragte sie. »Ich glaube, das wird mir genug Zeit geben, meine Passage zu verdienen.«

»Du wirst gefesselt an einer Leine folgen.«

Ina lachte. »Das ist doch sicherlich nicht Euer Ernst, Herr.«

»Geh auf die Sandbank.«

»Ich werde tun, was Ihr wünscht.«

Ich blickte sie nur an.

»Ich tue, was Ihr wollt«, versicherte sie, legte mir die Hand auf die Schulter und lächelte. Dann drehte sie sich um und betrat die winzige Insel im Sumpf. Ich folgte ihr kurz darauf, nachdem ich das Floß mit seiner Ladung verborgen hatte. Ina erwartete mich schon an einer warmen, von der Sonne beschienen Stelle.

»Die Gefangene erwartet ihren Herrn«, sagte sie und streckte die Arme nach mir aus.

»So?« fragte ich lediglich. »Soll ich gehen und noch einmal wiederkommen?«

Sie kniete schnell nieder und nahm die Haltung ein, die ich ihr beigebracht hatte.

Ich betrachtete sie. Sie bot einen wunderschönen Anblick in der Position der Unterwerfung.

»Steh wieder auf und komm näher«, sagte ich.

Sie gehorchte. Nur noch eine Handbreit trennte uns. Ich hätte sie mühelos in den Arm nehmen können. »Seht Ihr«, sagte sie. »Ich kann doch sehr gehorsam sein.« Ich rührte mich nicht. Sie hob die Arme und legte sie mir um den Hals. »Ich bin bereit, mir meine Reise zu verdienen.«

»Deine Reise?«

»Meinen Unterhalt«, verbesserte sie sich schnell.

»Zweifellos ist das für dich das erste Mal, daß du, eine Frau, dir deinen Unterhalt verdienen mußt.«

»Das ist schon möglich«, lachte sie.

»Und bist du sicher, daß du das willst?«

»Ja«, sagte sie. »Da bin ich mir absolut sicher.« Sie hob den Kopf und stellte sich auf die Zehen, um mich zu küssen, aber ich wich zurück und entfernte ihre Arme um meinem Hals. Dann hielt ich sie fest. Sie hatte noch so viel zu lernen.

Ina blickte mich unsicher an.

»Dreh dich um«, sagte ich, »und leg dich auf dem Bauch in den Sand.«

»Ich verstehe nicht.«

»Bist du eine ungehorsame Gefangene?«

»Nein!« erwiderte sie und legte sich schnell hin.

Ich zog die Tunika aus.

»Oh!« schrie sie einen Augenblick später auf. »Oh!« protestierte sie.

Unwillkürlich schrie ich ebenfalls auf, bemühte mich dann aber, nicht zuviel Lärm zu machen.

Sie wand sich, kämpfte gegen mich an. Sie stützte sich auf die Ellbogen, bäumte sich auf. »Nein, ich bin eine freie Frau!« rief sie. »Nicht so!« Ich hielt sie fest. »Hör auf!«

Wieder stöhnte ich vor Erleichterung, vor Vergnügen, vor Zufriedenheit. Ich hatte lange keine Frau gehabt.

Keuchend hielt ich sie fest, rang nach Atem.

»Oh«, sagte sie leise. Sie war schweißüberströmt, genauso atemlos wie ich. »Du benutzt mich wie eine Sklavin«, stöhnte sie. »Hör auf.« Sie war wieder in die frühere Anredeform verfallen.

»Also gut«, erwiderte ich und hielt inne.

»Nein! Nein!« rief sie da. »Nicht aufhören! Nicht aufhören! Was machst du nur mit mir?«

Ich schwieg. Sie war wunderschön, verschwitzt, voller Leben, wie sie sich wand und stöhnte, mich bestürmte, nur nicht aufzuhören. »Jetzt verstehe ich, was es bedeutet, eine Sklavin zu sein! Bring mich noch einmal zu den höchsten Höhen! Zeig keine Gnade!« schluchzte sie.

»Keine Gnade?«

»Nein!«

Ich erfüllte ihr den Wunsch.


Einige Ahn später schob ich das Floß aus seinem Versteck und machte es zur Abreise bereit. Dann ging ich zu meiner schönen Gefangenen. Sie erwachte, als ich den Riemen löste, der ihre Hand- und Fußfesseln miteinander verband. Ich warf sie mir über die Schulter und trug sie zum Floß. Dort setzte ich sie ab und schnallte ihr einen Lederriemen um den Hals, den ich aus dem Geschirr geschnitten hatte, mit dem ich das Floß gezogen hatte.

Ich betrachtete sie im Licht der Monde, die Knöchel gebunden, die Hände auf den Rücken gefesselt, den improvisierten Kragen um den Hals.

»Ich glaube, ich werde mich noch etwas ausruhen«, sagte sie und legte sich auf das Floß. Das tat sie auf eine Weise, die keinen Zweifel an ihrer Weiblichkeit ließ.

Ich schob das Floß in den Sumpf. Sie sah mir dabei zu. Ich zog mich auf das Floß, bückte mich und befreite sie von den Fußfesseln. »Danke«, sagte sie und streckte die schönen Beine. »Was tust du da?« fragte sie plötzlich. Ich hob sie hoch und warf sie hinter dem Floß ins Wasser. Sie tauchte unter und kam sofort wieder hoch.

»Was hat das zu bedeuten?« schrie sie wütend.

»Warum sollte ich dein zusätzliches Gewicht befördern?« fragte ich und nahm die Stange. Sie stand bis zur Taille im Wasser. Die Leine um ihren Hals, deren eines Ende ich am Heck befestigt hatte, hing schlaff durch. »Ich habe dir doch gesagt, daß du gefesselt hinterhergehst.«

»Nein! Das kann nicht dein Ernst sein.«

Ich stieß die Stange in den schlammigen Sumpfboden und setzte das Floß in Bewegung.

»Das kann unmöglich dein Ernst sein«, rief sie. »Oh!«

Ich blickte zurück; sie folgte mir an der Leine.

Ein paar Ehn später sagte sie plötzlich: »Warte!«

Ich hielt das Floß an.

»Wir gehen gar nicht nach Norden, nicht wahr?«

»Nein«, erwiderte ich. »Wir gehen nach Süden.« Ich hatte mich schon gefragt, wann es ihr auffallen würde.

»Aber du wolltest doch nach Norden.«

»Ich habe meine Meinung geändert.«

»Aber im Süden ist Ar!«

»Und Brundisium und Torcodino und hundert andere Städte.«

»Du wirst mich doch nicht den Arern ausliefern!« rief sie. »Ich habe Ar verraten!«

»Aber das werden sie doch nicht wissen«, meinte ich.

»Ich habe Saphronicus’ Stab angehört«, sagte sie. »Ich war eine Beobachterin für Talena aus Ar. Diejenigen, die im Delta waren, werden mittlerweile zweifellos erkannt haben, welchem Verrat sie zum Opfer gefallen sind.«

»Vielleicht auch nicht.«

»Und sie kennen mich!« schluchzte sie. »Liefere mich ihnen nicht aus!«

»Glaubst du nicht, daß sie gern eine cosische Spionin in ihrer Gewalt hätten?«

»Liefere mich ihnen nicht aus!« flehte sie.

»Ich glaube, du wirst lernen, bescheiden und gehorsam zu sein.«

»Ja, das werde ich. Das werde ich!«

»Aber vielleicht würden die Soldaten dich auch gar nicht erkennen«, meinte ich.

»Wieso?« fragte sie.

»Du bist nackt, in Fesseln; selbst wenn du den Wunsch hättest, würde dir der Beweis schwerfallen, daß du Lady Ina aus Ar bist.«

»Aber dann würden sie mich ja nur als eine nackte, gebundene Frau ansehen und mich dementsprechend behandeln«, rief sie.

»Ja.«

Das Stöhnen, das sie ausstieß, kam aus tiefster Seele. »Natürlich könnte ich dich auch den Cosianern ausliefern«, schlug ich ihr vor.

»Das würdest du nicht wagen!« rief sie.

Ich setzte das Floß wieder in Bewegung. Ina watete niedergeschlagen hinterher.

»Das wäre interessant, wenn man deinen Akzent in Betracht zieht.«

»Nein!« schluchzte sie.

»Wenn du in Ketten zu ihren Füßen liegst, könntest du ihnen doch immer noch erklären, daß du eigentlich zu ihren Spionen gehörst.«

»Aber das würde mir doch sicher keiner glauben.«

»Das glaube ich auch nicht.«

»Aber ich weiß viel«, sagte sie. »Ich bin die Vertraute von Lady Talena.«

»Steht sie Ar genauso verräterisch gegenüber wie du?« fragte ich.

»Ja.«

Ich drehte mich um und blickte sie an.

»Sie ist eine Erzverräterin«, sagte sie und verstummte jäh. »Warum siehst du mich so an? Töte mich nicht!« flehte sie dann.

Ich beruhigte mich und stemmte mich wieder gegen die Stange. »Man wird dich für eine gedungene Spionin halten«, sprach ich weiter. »Lady Talena wird über jeden Verdacht erhaben sein. Mittlerweile hat sie sich bestimmt von dir distanziert.«

»Das dürfte nicht so leicht sein«, meinte sie. »Ich kenne viele Geheimnisse.«

»Ich verstehe.«

Ina lachte.

Anscheinend begriff sie nicht, daß ihre Auftraggeber sie in der Zwischenzeit als Gefahr für ihre Gruppe halten könnten.

»Vielleicht sollte ich dich auch irgendwelchen Männern aus Brundisium übergeben.«

»Aber für die wäre ich doch nur eine Frau aus Ar.«

»Genau.«

»Und wie würde mein Schicksal dann aussehen?«

»Du hast einen hübschen, gut entwickelten Körper«, meinte ich. »Du könntest Tänzerin werden, in einer Taverne in Brundisium.«

»Ich kann nicht tanzen.«

»Das würde man dir schon beibringen, verlaß dich drauf«, sagte ich.

Wasser spritzte auf, als sie vergeblich gegen ihre Fesseln ankämpfte. Dann folgte sie dem Floß wieder.

»Warum stört dich das?« fragte ich. »Du weiß doch, daß du im Grunde deines Herzens gern dürftig bekleidet oder nackt vor Männern tanzen würdest.«

Die Antwort bestand aus einem wütenden Schnauben. Aber sie stritt es nicht ab.

Im Licht der Monde steuerte ich das Floß weiter nach Süden. Ich hatte diesen Entschluß gefaßt, nachdem ich auf meine schöne Gefangene gestoßen war. In gewisser Weise hatte sie mich an den Krieg und das erinnert, was hier auf dem Spiel stand. Im Süden befanden sich auch die Dinge, die mich noch viel mehr angingen, und ich hatte mich entschlossen, sie nicht länger zu mißachten. Im Süden war Dietrich von Tarnburg in Torcodino eingeschlossen. Und in Ar hatte man mich verraten. Davon abgesehen erinnerte mich Ina an eine ganz bestimmte Frau, deren Name Talena war und die einst die Tochter des Marlenus aus Ar gewesen war.

Ich stemmte mich gegen die Stange.

Es lag noch ein weiter Weg vor uns.

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