Skars Zorn verrauchte beinahe so schnell, wie er aufgeflammt war. Er war niemals jähzornig oder gar cholerisch gewesen, und sein plötzlicher Ausbruch entsprang wohl eher der Bestürzung, mit der ihn Drasks Worte erfüllt hatten, als irgend etwas anderem. Er war die Treppe hinuntergestürmt, wobei er beinahe einen von Drasks Dienstboten über den Haufen gerannt hätte, hinaus aus dem Turm und quer über den Hof, aber der Sturm von Gefühlen, der ihn fast blind gemacht hatte, legte sich bereits wieder. Als er den Gebäudetrakt betrat, in dem seine eigene Kammer lag, war die Wut verraucht, die ihn dazu getrieben hatte, Drask zu schlagen.
Zurück blieb nichts als Leere.
Er fühlte sich schlecht, auch und ganz konkret körperlich schlecht. Der Gedanke an das, was er getan hatte, erfüllte ihn mit Übelkeit. Gott, er hatte diesen schwachen alten Mann geschlagen, der doch nichts anderes getan hatte, als um das Fortbestehen seiner Welt zu kämpfen, und auch das Wissen, daß Drask es sich letzten Endes wohl selbst zuzuschreiben hatte, änderte daran nichts. Es war wahrlich keine Heldentat, einen alten Mann zu verprügeln, dessen einzige Waffe Worte waren - die er allerdings meisterhaft beherrschte. Als er die Treppe zu seinem Gelaß hinaufging, war er fast versucht, kehrtzumachen und zu Drask zurückzugehen, um ihn um Verzeihung zu bitten. Aber nur fast. Sein Zimmer war still und dunkel, als er die Tür aufstieß, denn der Diener, der ihn abgeholt hatte, hatte das Licht hinter ihm gelöscht, und die Kammer lag in einem der ruhigsten Teile der gewaltigen Burganlage.
Trotzdem spürte er, daß jemand da war.
Skar blieb wie versteinert stehen. Er hörte nichts, er sah nichts - der Raum hinter der Tür war wie ein schwarzes Loch, das in die Wirklichkeit gestanzt worden war - aber er fühlte die Anwesenheit von... etwas.
Sein überreizter Geist ließ Visionen von kleinen schwarzen Dingen vor seinen Augen entstehen, das Bild von etwas Dunklem, Glänzendem, das sich wie eine gelähmte schwarze Spinne über den Boden auf ihn zuschlängelte... Er lauschte, hörte noch immer nicht den mindesten Laut und trat vorsichtig einen halben Schritt in den Raum hinein. Jeder Nerv in ihm war bis zum Zerreißen angespannt. Ganz langsam hob er die Arme und ballte die Hände zu Fäusten, spannte sich, verlagerte fast unmerklich sein Körpergewicht, um - »Skar?«
Die Stimme war so dicht neben ihm, daß er instinktiv herumfuhr und zum Schlag ausholte.
Erst im allerletzten Moment sah er, wer neben ihm stand, und erst in diesem Augenblick erkannte er die Stimme. Erschrocken fuhr er zusammen, wich ein winziges Stück zurück und entspannte sich.
»Syrr!« sagte er. »Was zum Teufel tust du hier?« Plötzlich begriff er, daß er sie um ein Haar getötet hätte. Eine Sekunde später, und...
»Bist du von Sinnen?!« fuhr er fort, viel lauter und schärfer und voller Zorn. »Fast hätte ich dich erschlagen!«
Der Schatten, der Syrr war, bewegte sich, trat in das blasse Dreieck aus Licht, das durch die Tür hereinfiel, und nun erkannte er auch ihr Gesicht. Sie war bleich, und ihre Augen waren groß und erschrocken und dunkel vor Furcht. Aber es waren nicht seine Worte, die sie so entsetzt hatten. Die Gefahr, in die sie sich selbst gebracht hatte, schien sie gar nicht bemerkt zu haben. »Was tust du hier?« wiederholte er.
»Ich... wollte dich sehen«, stammelte Syrr. »Ich muß... mit dir sprechen.«
Skar blickte sie einen Moment mit einer Mischung aus Erleichterung und Zorn an, dann schloß er die Tür, tastete sich im Dunkeln dorthin, wo er die Lampe wußte, und suchte mit fahrigen Bewegungen nach den Feuersteinen. Eine der kleinen harten Kugeln entglitt ihm und hüpfte mit einem sonderbar lang nachhallenden Klick-Klack in die Dunkelheit davon. Skar fluchte, ging in die Hocke und tastete blind mit den Händen über den Boden. »Warte«, sagte Syrr. »Ich habe einen anderen. Hier.« Er spürte, wie sie sich dicht vor ihm bewegte, stand auf und ertastete ihre Hand, als er den Arm ausstreckte. Unwillig entriß er ihr den Feuerstein, tastete mit der anderen Hand nach der Öllampe und ließ Funken gegen den Docht springen, bis eine kleine gelbe Flamme hochzüngelte und rasch größer wurde. Erst dann drehte er sich wieder zu Syrr um.
»Was willst du hier?« fragte er ungehalten. »Hat Drask dich geschickt?« Er sah, wie sie unter seinen Worten zusammenfuhr, und seine eigene Grobheit tat ihm schon wieder leid. Aber er entschuldigte sich nicht.
»Nein«, antwortete Syrr. »Das heißt... er hat mich nicht geschickt, aber ich bin seinetwegen hier. Auch wenn er nichts davon weiß.«
»Aha«, sagte Skar. »Und was bedeutet das?«
»Ich... wollte dich einfach sehen, Skar«, sagte Syrr leise. »Drask war bei mir und hat gesagt, daß du fortgehen würdest, heute oder morgen, und... und er...« Sie brach ab, kämpfte in einem letzten Rest von Beherrschung die Tränen zurück, die plötzlich ihre Augen füllten, und machte Anstalten, auf ihn zuzutreten, verharrte aber mitten in der Bewegung, als sie seinem Blick begegnete. Die Lampe begann jetzt stärker zu brennen, und Skar sah, daß er sich nicht getäuscht hatte: Auf ihren Zügen lag ein Ausdruck von Furcht, die nichts mit seiner übersteigerten Reaktion zu tun hatte. Sie hatte Angst, beinahe panische Angst. Aber wovor?
Plötzlich spürte er eine heftige Woge von Mitleid, und das Schuldgefühl, das er bisher Drask gegenüber gehabt hatte, empfand er nun für Syrr. Selbst wenn es Drask gewesen war, der sie geschickt hatte - woran Skar keinen Augenblick zweifelte - war es nicht ihre Schuld. Er hatte so lange und so oft kämpfen müssen, daß er manchmal vergaß, daß das Leben nicht nur aus Flucht und Töten oder Getötet werden bestand. Syrr war noch ein halbes Kind, auch wenn sie gelernt hatte, sich wie eine Erwachsene zu benehmen, allein um zu überleben.
Er lächelte milde, trat einen Schritt auf sie zu und blieb plötzlich wieder stehen. Der Lampendocht brannte jetzt zur Gänze; trotzdem war es noch immer sehr dunkel in der Kammer. Die Schatten umlagerten ihn und Syrr wie lautlose dunkle Angreifer, die beharrlich an den Rändern des flackernden Lichtkreises nagten, in dessen Zentrum sie standen. Einem Impuls folgend, den er selbst nicht völlig begriff, drehte er sich um, ging zum Fenster und stieß die Läden auf. Das graue Zwielicht der Nacht strömte lautlos ins Zimmer und verscheuchte die Schatten der Angst. Aber nicht ganz.
»Erzähle«, sagte er. »Was ist passiert?«
»Er... er war bei uns«, begann sie stockend. »Heute abend, kurz... kurz bevor die Sonne unterging.«
»Drask?«
Syrr nickte. »Er sagte, du... würdest fortgehen, und wahrscheinlich nicht wiederkommen, und... und ob ich mich nicht von dir verabschieden wollte. Und... und er sagte, wenn du fort bist, dann müssen auch Talin und ich gehen, weil... weil es hier keinen Platz für uns gäbe und... und es wahrscheinlich Krieg geben würde, und...«
»Gehen?« Skar begriff. Natürlich - Drask brauchte weder Syrr noch ihren Bruder. Er hatte ja keinen Hehl daraus gemacht, daß er sie einzig auf die Burg geholt hatte, um Skar einen Gefallen zu erweisen. War er nicht mehr da, gab es keinen Grund mehr für sie, hierzubleiben.
»Vielleicht hat er sogar recht«, murmelte er. »Es wird Krieg geben, weißt du? Wenn die Quorrl kommen...«
»Er hat gesagt, daß sie alle fortschicken werden«, sagte Syrr unsicher. »Das ganze Lager. Alle, bis... bis auf die Männer, die ein Schwert führen können.«
Auch das war nur logisch, dachte Skar bedrückt. Er selbst hätte an Drasks Stelle nicht anders gehandelt. Selbst wenn die Festung nicht fiel, wäre es Mord, all diese Leute dort unten im Lager zu lassen. Trotzdem wuchs sein Zorn auf Drask.
»Hat er gesagt, wohin er sie schicken will?«
Syrr schüttelte den Kopf. Tränen füllten ihre Augen. »Irgendwohin«, schluchzte sie. »Hinter die Berge. Vielleicht nach Malab oder Besh-Ikne oder...« Sie schluckte heftig. Ihre Hände ballten sich zu kleinen, weißen Fäusten. »Ich will nicht weg, Skar«, sagte sie plötzlich. »Ich... ich will hierbleiben. Bei dir.«
»Bei mir? Du hast mich nicht einmal gesehen, während der letzten zwei Wochen, Kind.«
»Aber du warst da«, beharrte Syrr. »Bitte, sprich mit ihm. Sag ihm, daß er uns hierläßt. Ich will nicht fort. Und Talin auch nicht.«
»Und wenn ich wirklich gehe, wie Drask es gesagt hat?«
»Dann kommen wir mit«, sagte Syrr hastig. »Egal, wohin. Talin und ich können dir von Nutzen sein. Wir... wir kennen uns in den Bergen gut aus. Wir können dich führen, Skar. Und wir können kämpfen, wenn es sein muß, das weißt du. Bitte, Skar!« Die letzten beiden Worte schrie sie fast.
»Das ist unmöglich, Kind«, sagte er. »Ich...« Seine Stimme versagte. Es war sinnlos. Syrr wußte alles, was er sagen konnte; all diese leeren wahren dummen Worte, die er ihr entgegengeschleudert hatte, um sie zu verletzen und damit abzuschrecken. Sie würde nichts davon gelten lassen. Plötzlich begriff er, daß Syrr ihm mit offenen Augen selbst in den Tod folgen würde. Und daß es ganz genau das war, was er wollte.
»Ich weiß, daß du mich verachtest, Skar«, fuhr Syrr ganz leise fort. »Aber das... das macht nichts. Laß mich nur in deiner Nähe sein, das reicht. Vielleicht... vielleicht magst du mich ja eines Tages doch, wenn auch nur ein bißchen. Und... und wenn nicht, macht es auch nichts.«
»Aber warum?« fragte Skar verwirrt.
»Weil ich nicht hierbleiben will«, sagte Syrr. »Aber ich will auch nicht mehr allein sein.«
Skar trat wortlos auf sie zu, legte die Arme um ihre Schultern und drückte sie an sich; sehr sanft, aber fest genug, um ihr das Gefühl von Schutz zu geben, das sie von ihm haben wollte. Denn mehr war es nicht. Da war keine Liebe; allerhöchstens ein wenig kindliche Bewunderung für ihn, den Satai. Sie war allein, sie hatte Angst, sie wollte Schutz, und sein Stirnband und das Schwert an seiner Seite versprachen ihn.
Und war es nicht ganz genau das, was auch er wollte?
»Geh mit uns fort, Skar«, flüsterte Syrr. »Bitte. Ich will nicht hierbleiben. Wir... wir könnten uns Pferde stehlen und davonreiten, noch heute nacht. Niemand würde es merken. Nicht, ehe wir nicht weit genug weg wären.« Sie sprach sehr schnell, so daß Skar spürte, daß sie sich jedes einzelne Wort lange überlegt hatte. »Wir haben alles vorbereitet. Ich... ich habe Lebensmittel gestohlen, in den letzten beiden Wochen, immer nur ein bißchen, so daß niemand Verdacht geschöpft hat, und... und Talin hat Sättel und Zaumzeug besorgt. Er arbeitet in den Ställen, weißt du, und er hat gute Pferde für uns ausgewählt, die schnellsten, die da sind, und -«
Skar verschloß ihre Lippen mit einem Kuß. Er spürte, wie sich Syrr in seinen Armen versteifte, und für einen ganz kurzen Moment fühlte er ein fast schmerzliches Verlangen nach ihr. Aber nur für die Dauer eines Herzschlages. Dann erinnerte er sich wieder, daß sie ein Kind war. Sie hätte seine Tochter sein können; sein Enkelkind, wenn er die achtzehn Jahre dazuzählte, die er der Zeit abgetrotzt hatte.
Und trotzdem tat es unglaublich wohl, sie in den Armen zu halten, einfach, weil auch er sich nach nichts so sehr sehnte wie nach ein bißchen menschlicher Wärme und Zuneigung.
Es war ein Moment sonderbarer Klarheit: Alles schien unwichtig zu werden. Drask, die Quorrl, sein eigenes Schicksal - selbst das der ganzen Welt. Das hier war es, was er wollte, sonst nichts. Einen Menschen, der ihm Vertrauen entgegenbrachte, ein wenig Wärme, Frieden...
Vielleicht hatte Drask ihm den richtigen Weg gewiesen, ohne es zu ahnen. Was ging ihn das Schicksal der Welt an? Wenn er wirklich nur ein Werkzeug war, ein winziges Rädchen in einer ungeheuer großen Maschine, dann spielte es überhaupt keine Rolle, ob er da war oder nicht.
Und er verstand noch mehr. Jetzt, als seine Erregung allmählich verging, begriff er, daß auch Drasks scheinbarer Ausbruch nichts als ein Teil eines akribisch vorbereiteten Planes gewesen war. Er hatte Skar all seine verletzenden Worte nicht im Zorn entgegengeschleudert, wie er ihn hatte glauben machen wollen. Skar war fast sicher, daß der Alte niemals etwas dem Zufall überließ; und schon gar nicht seine eigenen Worte. Nein - er hatte all dies, jedes einzelne Wort, bis ins Kleinste vorausberechnet. Es war ein Teil des Spieles, ein neuer, überraschender Zug, der Skar weiter in die Enge treiben sollte, bis ihm keine andere Wahl mehr blieb, als genau das zu tun, was Drask von ihm erwartete. Ebenso, wie er Syrr hierhergeschickt hatte.
Und vielleicht war dies sein erster Fehler gewesen.
»Talin«, fragte er. »Wo ist er?« Sein Gesicht war dem Syrrs noch immer sehr nahe, seine Arme umschlossen sie, seine Hand streichelte ihre Schultern. Er spürte ihre Nähe, ihre Wärme und den Wohlgeruch ihres Haares. Und doch war es nur eine väterliche Geste. Irgendwie... ja, irgendwie liebte er sie wohl, aber nicht so, wie ein Mann eine Frau, sondern so wie ein Bruder, vielleicht wirklich wie ein Vater. Es waren seine Beschützerinstinkte, die Syrr weckte, nicht den Mann in ihm. Aber war das nicht genug?
»Er wartet auf uns«, antwortete Syrr. »Unten in den Ställen.« Ein schwacher Funke von Hoffnung glomm in ihren Augen auf. Ihr Griff verstärkte sich.
»Du... du kommst mit uns?« fragte sie.
Es war Wahnsinn. Er wußte, daß es nicht funktionieren konnte. Selbst wenn sie das Unmögliche schafften und aus der Burg entkamen, und selbst wenn sie darüber hinaus die Berge überwinden und den Quorrl entkommen sollten - irgendwann würde sie die Wirklichkeit einholen. Es war ein Traum, den Syrr ihm anbot - aber er wollte ihn. Er wollte einfach nicht mehr kämpfen. Er wollte nicht mehr töten, nicht seinen Sohn, nicht irgendwelche Quorrl, nicht einmal die Sternengeborenen. Enwor... Was war er diesem Wort schuldig? Es war seine Welt, aber was hatte sie ihm schon gegeben, außer einem Leben voller Schmerzen und Leid und immer neuer Furcht, außer Entsetzen und Verbitterung? Zum Teufel, sollte es doch untergehen! »Ja«, sagte er. »Wahrscheinlich werden wir alle dabei sterben, aber wir versuchen es.« Ein Teil von ihm schrie ihm noch immer zu, daß er den Verstand verloren hatte, daß er das Unmögliche wollte. Aber er hörte nicht auf diese Stimme. Vielleicht waren es nur Tage, die sie dem Schicksal abtrotzen konnten, vielleicht auch Wochen, ein Jahr... sicherlich nicht mehr. Und trotzdem war er bereit, alles zu opfern, für dieses eine Jahr voller Frieden. Drask hatte sich getäuscht. Er hatte ihm die Wahrheit gesagt, oder das, was er dafür hielt, aber seine Worte hatten Skar tiefer und nachhaltiger getroffen, als er auch nur hatte ahnen können. Sie hatten irgend etwas in ihm zerstört. Wenn es so war, dachte er, wenn der Alte recht hatte und sein Leben immer nur darin bestanden hatte, wegzulaufen, dann wurde er jetzt vielleicht zum ersten Mal konsequent sein. In diesem einen, flüchtigen Moment war Skar willens und bereit, alles zu opfern für einen Traum. Vielleicht war dies seine Bestimmung, und nicht, die Welt zu retten.
»Ja«, sagte er noch einmal. »Wir gehen.«
Syrr loste sich aus seiner Umarmung, ordnete rasch ihr Haar und ihre Kleider und wollte sich zur Tür umdrehen, aber Skar hielt sie noch einmal zurück. »Warte«, sagte er. »Wir müssen -« Etwas geschah. Skar wußte es, den millionsten Teil einer Sekunde, ehe es wirklich geschah, aber er spürte es: Es war, als zögen sich die Schatten im Raum zusammen, als kippe die Wirklichkeit ab, glitte ein ganz kleines Stückchen weiter in die Richtung, in der die Alpträume lauern, als würde aus dem Wispern des Windes draußen ein lautloses, unglaublich böses Lachen. Der Traum war vorüber, so schnell, wie er begonnen hatte. Syrrs Augen wurden groß vor Schrecken, während sie auf etwas starrte, das hinter Skar war, er hörte ein Geräusch, ein Schaben und Klirren, das er kannte oder wenigstens kennen sollte, etwas wie Atemzüge, einen kurzen unglaublich harten Ruck, aber er war nicht fähig, sich umzudrehen, denn irgend etwas lähmte ihn, und plötzlich ragte ein silberner Stern aus Syrrs Hals, fünfzackig und kleiner als seine Hand, tödlich, mit unglaublicher Präzision und Kraft geworfen, der sein Ziel nur verfehlt hatte, weil ihn das Entsetzen in Syrrs Blick gewarnt hatte und er erschrocken zusammengefahren war.
Dann fiel die Lähmung von Skar ab. Mit einem fast körperlich spürbaren Ruck fiel er in die Wirklichkeit zurück. Syrr taumelte, brach in seinen Armen zusammen und wollte etwas sagen, aber sie konnte es nicht. Aus ihrem Mund kam nur Blut und ein entsetzlicher, feuchter Laut, weil der Shuriken ihre Kehle zerschnitten hatte und sie an ihrem eigenen Blut erstickte. Sie fiel gegen ihn. Ihre Fingernägel krallten sich in seine nackten Arme und rissen die Haut auf, als sie verzweifelt versuchte, sich an irgend etwas festzuhalten, sich an ihn zu klammern, als wäre er das Leben, das aus ihrem Körper herausfloß. Ihr Hals und ihre Brust waren rot. In ihren Augen stand ein unsäglicher Schmerz.
Sie starb, noch ehe Skar sie vollends zu Boden gleiten lassen konnte.
Für die Dauer einer einzelnen, aber endlosen Sekunde stand Skar einfach da, halb über sie gebeugt, reglos, unfähig, etwas zu tun, zu denken, zu fühlen, blickte auf ihr Gesicht herab, ihre großen, gebrochenen Augen, in denen noch der entsetzliche Schmerz stand, den sie im allerletzten Moment gespürt haben mußte. Er spürte das Blut an seinen Händen und an seiner Brust, das Gewicht ihres Körpers, der jetzt im Tod viel schwerer geworden zu sein schien.
Und plötzlich erlosch aller Schmerz. Skar fühlte... nichts. Der Teil von ihm, der Mensch war, existierte nicht mehr in diesem Moment. Er war nur noch Satai, eine mörderische Kampfmaschine, die keine Gefühle, keine Furcht und kein Mitleid kannte. Nicht einmal Zorn.
Ein Schatten stemmte sich hinter ihm durch das Fenster, die linke Hand noch auf der Brüstung, um sein Gewicht abzustützen, die andere zum Gürtel gesenkt, um einen zweiten Shuriken hervorzuziehen. Seine Bewegungen erschienen Skar beinahe lächerlich langsam.
Mit einem einzigen, großen Schritt trat er dem Angreifer entgegen, duckte sich fast spielerisch unter dem heransausenden Wurfstern weg und trat aus der gleichen Bewegung heraus zu. Sein Fuß traf den anderen in die Seite. Der Mann taumelte mit einem Schmerzlaut gegen die Wand, steppte blitzschnell zur Seite und hob die Arme. In seiner Hand blitzte Metall. Etwas berührte Skars linken Oberarm und biß tief und schmerzhaft hinein. Plötzlich war es sein Blut, das an seinem Körper herunterlief. Aber er spürte den Schmerz nicht einmal in diesem Moment. Rücksichtslos schlug er zu, spürte, wie er traf und hörte das helle, sonderbar harmlos klingende Knacken, als das Handgelenk des Angreifers brach.
Der Dolch klirrte zu Boden. Der Schatten vor ihm krümmte sich. Ein dumpfer Schmerzenslaut drang an Skars Ohr. Aber er griff nicht nach seiner gebrochenen Hand, wie es jeder andere Angreifer getan hätte, sondern schlug nach Skars Gesicht, die Hand zur Kralle verkrümmt, Zeige- und Mittelfinger starr ausgestreckt, um seine Augen zu treffen.
Skar drehte blitzschnell den Kopf zur Seite, packte den Arm und brach auch ihn, ließ aber dann nicht los, sondern schleuderte den Angreifer mit aller Gewalt gegen die Wand. Der Mann keuchte vor Schmerz. Skar trieb ihm die Faust in den Leib und erstickte seinen Schrei.
Plötzlich waren auch hinter ihm Geräusche. Ein gedämpfter Schrei drang vom Gang herein, und etwas polterte gegen die Tür. Skar hörte, wie sie aus dem Schloß gerissen und wuchtig gegen die Wand geschleudert wurde. Hastige Schritte näherten sich ihm.
Skar achtete nicht darauf. Mit beiden Händen packte er den Mann vor sich, riß ihn in die Höhe und herum und hoch. Für einen Moment kam das Gesicht des Angreifers ins Licht: ein sehr schmales, noch fast jugendliches Gesicht mit hellem, schulterlangem Haar und grausamen Augen, in denen auch jetzt noch keine Furcht stand, sondern allenfalls Überraschung und ein ungläubiger Zorn. Und darüber ein schmales, ledernes Stirnband, auf dem ein winziger fünfzackiger Stern prangte, wie eine verkleinerte Ausgabe des Todessternes, der Syrr getroffen hatte.
Skar fuhr herum, den Satai wie ein Spielzeug mit sich zerrend, sah einen Schatten auf sich zufedern und sprang instinktiv zur Seite. Der Schwerthieb, der seinen Schädel hatte spalten sollen, traf die Schulter des Satai in seinen Händen und tötete ihn auf der Stelle, aber Skar ließ ihn immer noch nicht los. Warmes, klebriges Blut lief über seine Hände und Arme und ließ den Boden unter ihm schlüpfrig werden. Das Tschekal pfiff ein weiteres Mal heran, besser gezielt und mit sehr viel mehr Kraft diesmal. Skar tauchte unter dem Hieb hindurch, schleuderte dem Angreifer den Toten entgegen und sah, wie er zu Boden ging, sich krümmte und mit einer blitzschnellen Bewegung wieder auf die Füße kam. Aber Skar war schneller.
Blitzschnell war er bei dem Satai, packte seine Waffenhand und verdrehte sie mit der Linken; seine Rechte ergriff die Spitze des Satai-Schwertes, drängte sie mit erbarmungsloser Kraft herum und nach oben und drückte noch einmal zu, mit einem kurzen, harten Ruck. Er spürte nicht einmal Widerstand, als die Schneide des Tschekals durch die Kehle seines eigenen Besitzers glitt.
Ein weiterer Schatten erschien unter der Tür, und Skar hörte jetzt auch vom Hof Schreie herauf dringen. Das Blitzen eines Satai-Sternes, der häßliche Laut eines Tschekal, das aus der Scheide gezogen wurde und seine blutbesudelte Spitze auf ihn richtete, dann etwas Kleineres, Tödliches, das auf sein Gesicht zielte. Skar schlug den Shuriken mit der bloßen Hand beiseite, spürte einen kurzen, heftigen Schmerz, als die Waffe seinen Handrücken aufriß und abprallte, und sprang vor. Sein Fuß kam hoch und zielte nach dem Gesicht des Satai, aber er traf nicht, denn der andere drehte sich mit einer fast unmöglich erscheinenden Bewegung zur Seite und schlug gleichzeitig mit dem Schwert nach seinem Bein. Skar fiel, als er dem Hieb auswich, prallte mit Schulter und Gesicht gegen die Tür und griff ganz instinktiv zu, um nicht vollends zu Boden zu gehen.
Er fand sein Gleichgewicht den Bruchteil einer Sekunde vor dem anderen wieder. Das Tschekal in der Faust des Satai bewegte sich nach oben und auf ihn zu, in einem geraden, mit unglaublicher Leichtigkeit und Kraft ausgeführten Stich, der Skar keine Chance mehr ließ, auszuweichen.
Er tat es nicht, sondern warf die Tür mit aller Gewalt zu.
Das eisenharte Holz traf den Satai mit der Wucht eines Hammerschlages, schmetterte ihm die Waffe aus der Hand und ließ ihn mit haltlos rudernden Armen auf den Gang hinaustaumeln, wo er wuchtig gegen die Wand prallte und stöhnend zusammenbrach. Skar setzte ihm nach, riß ihn in die Höhe und tötete ihn mit einem einzigen, geraden Fauststoß gegen die Kehle.
Und es war noch nicht vorbei. Erst jetzt, als hätte sein Geist alles andere um ihn herum als unwichtig eingestuft und schlichtweg ignoriert, hörte er den Lärm wirklich - Schreie und Klirren von Stahl, Schritte und das dumpfe Krachen aufeinanderprallender Körper. Er sprang auf, riß sein Schwert aus dem Gürtel und fuhr herum.
Er war allein, aber nur wenige Schritte vor ihm lag eine verkrümmte Gestalt in der zerfetzten Uniform von Drasks Leibgarde. Eine blutige, vielfach unterbrochene Spur zeigte den Weg, den er sich geschleppt hatte, um zu sterben: zur Treppe hin, von wo aus die Kampfgeräusche herauf drangen. Irgendwo auf dem Hof begann ein Horn zu dröhnen, Sekunden später beantwortet vom tiefen vibrierenden Hall eines Alarmgongs. Skar bückte sich nach dem Tschekal des toten Satai, nahm es in die Linke und lief los. Er fühlte noch immer nichts. Nicht einmal den Schmerz in seinem Arm.
Die Schreie und das Klirren von Stahl wurden lauter, als er die Treppe erreichte. Er fand einen weiteren toten Krieger, der auf den steinernen Stufen zusammengebrochen war, setzte über den Leichnam hinweg und stürmte weiter, immer drei, vier Stufen auf einmal nehmend und mehr die Treppe hinabspringend als laufend. Überall waren Tote: fünf, zehn, ein Dutzend Männer, die vergeblich versucht hatten, sich den beiden Satai in den Weg zu stellen.
Dann erreichte er die Halle und blieb einen Moment stehen, um sich zu orientieren.
Unter ihm tobte ein erbarmungsloser Kampf.
Es waren vier Männer in den schwarzen Mänteln und Brustpanzern der Satai, die sich gegen eine vielleicht zehnfache Übermacht von Drasks Kriegern wehrten, aber Skar war im ersten Moment nicht einmal sicher, wer nun der Angreifer und wer der Verteidiger war: ein Dutzend Krieger lag tot oder verwundet am Boden, und jedesmal, wenn einer der Satai vorsprang, die Schulter an Schulter einen engen Kreis bildeten, fiel ein weiterer Soldat.
Trotzdem hatten sie keine Chance. Der Alarm dröhnte jetzt ununterbrochen durch die Festung, und von überall her strömten frische Krieger herbei. Die Übermacht wuchs mit jedem Moment. Selbst die vier Satai würden ihr nicht mehr lange standhalten.
»Aufhören!« schrie Skar.
Seine Stimme ging fast im Lärm des Kampfes unter, aber sie wurde gehört: Erschrockene Blicke wandten sich ihm zu, und einer nach dem anderen stellten Drasks Krieger ihre Angriffe auf die Satai ein. Es dauerte eine Minute, bis der Kampf wirklich endete, aber danach trat eine schon fast unheimliche Stille ein. Auch die Blicke der vier Satai konzentrierten sich auf ihn, und er sah den ungläubigen Schrecken, den sie bei seinem Anblick empfanden. Ganz kurz wurde sich Skar bewußt, welche Wirkung sein plötzliches Erscheinen nicht nur auf die Männer aus Drasks Garde haben mußte. Er stand hoch aufgerichtet auf den obersten Stufen der Treppe, über und über mit Blut besudelt, ein blutiges Schwert in der Faust, wie ein Racheengel, der von den Toten auferstanden war. Er lächelte. Ja, mehr war er vielleicht auch nicht. In diesem Moment wollte er auch nicht mehr sein. »Aufhören«, sagte er noch einmal, sehr ruhig jetzt, aber trotzdem so laut, daß seine Stimme überall gehört werden mußte. »Diese Männer gehören mir.«
Langsam begann er die Treppe hinabzugehen. Irgend etwas geschah mit ihm, mit seinem Körper, während er sich auf die vier Satai-Krieger zubewegte. Es geschah ohne sein Zutun, und er hätte selbst Schrecken davor empfunden, wäre er in diesem Moment dazu fähig gewesen. Es war, als spanne sich in ihm ein unsichtbares Raubtier zum Sprung. Er sah das Entsetzen in den Gesichtern der Satai - keine Furcht vor ihm, denn sie waren zu viert, aber Entsetzen über die bloße Tatsache seines Daseins - und er genoß es.
Drasks Krieger wichen vor ihm zur Seite, als er sich den Satai näherte, und auch auf ihren Zügen lag nichts als Erschrecken, ja Angst. Das Etwas in ihm genoß auch dies. Es zog Kraft aus ihrer Furcht.
Die vier Satai hatten ihre Kreisformation nicht aufgegeben, als er sie erreichte, aber sie sahen ihn an, und in jedem einzelnen Gesicht stand der gleiche Ausdruck: sie wußten, daß sie sterben würden. Nicht einmal sie konnten hoffen, lebend aus der Festung zu entkommen. Die Übermacht war zu groß. Aber vorher würden sie tun, wozu sie gekommen waren.
»Ihr wolltet mich«, sagte Skar ruhig. »Dann kommt.«
Sie kamen. Es gab keinen Grund mehr zu zögern - jede Sekunde vergrößerte die Übermacht nur, der sie sich gegenüber sahen, und sie schienen auch zu spüren, daß Drasks Krieger sich nicht einmischen würden, weil Skar jeden getötet hätte, der es auch nur versuchte.
Skar erwartete den Ansturm der beiden ersten Satai völlig ruhig. Die Männer sprangen nebeneinander auf ihn zu, Schulter an Schulter, bereit, im letzten Moment zur Seite zu weichen, um ihren Kameraden Platz zu machen, die dicht hinter ihnen heranstürmten; ein Trick, der schon alt gewesen war, als Skar geboren wurde. Skar versuchte nicht, zurück oder zur Seite zu springen, denn das eine wäre so tödlich gewesen wie das andere. Statt dessen sprang er den Angreifern entgegen, ließ sich blitzschnell auf ein Knie herabfallen und stieß zu, mit beiden Schwertern und aller Gewalt, ein doppelter, schräg aufwärts geführter Hieb, zu schnell, als daß selbst die Reaktionen der beiden Satai ausgereicht hätten, ihm noch auszuweichen. Die Schwerter wurden ihm aus der Hand gerissen, als die Satai stürzten. Er fiel nach hinten, von der Wucht des doppelten Anpralles aus dem Gleichgewicht gebracht, rollte über die Schulter ab und warf sich zur Seite, als er ein Blitzen aus den Augenwinkeln wahrnahm. Das Tschekal hämmerte wenige Fingerbreit neben ihm in den Boden, schlug Funken aus dem Stein und flog davon, als Skar noch im Aufspringen nach der Waffenhand des Satai schlug.
Als er aufsprang, drang der vierte Angreifer auf ihn ein, wie er selbst zuvor mit zwei Schwertern bewaffnet und so schnell, daß Skar seine Bewegung kaum sah. Er taumelte zurück, tauchte instinktiv unter den beiden Schwertern durch, die wie eine tödliche Schere nach seinem Hals schnappten, und fiel zum zweiten Mal. Als der Satai ihm nachsetzte, brachte er ihn mit einer Beinschere zu Fall, rollte zur Seite und sprang wieder auf die Füße.
Die kurze Zeitspanne hatte dem zweiten Satai gereicht, sein Schwert wieder aufzuheben. Aber sonderbarerweise griff er noch nicht wieder an, obwohl er für einen winzigen Moment im Vorteil gewesen wäre, sondern umkreiste Skar mit schnellen, wiegenden Schritten und beschränkte sich darauf, ihn mit warnenden Schwertstößen, die nicht wirklich treffen sollten, auf Abstand zu halten. Er wartete, bis sein Kamerad wieder auf den Beinen war, um Skar dann gemeinsam anzugreifen. Diesmal würden sie eine andere Taktik wählen. Mit Sicherheit eine gefährlichere. Die vier hatten ihn unterschätzt, begriff Skar. Sie waren hergekommen, um ihn zu töten, aber sie hatten nicht gewußt, wer er war.
Skar hob die Hand. Einer von Drasks Kriegern warf ihm ein Schwert zu. Er fing es, führte zwei rasche Hiebe in die leere Luft, um sich an das Gewicht der Waffe zu gewöhnen, und griff abermals an.
Aber die beiden Satai waren gewarnt. Das Schicksal ihrer beiden Kameraden hatte ihnen bewiesen, daß Skar ihnen überlegen war, was Schnelligkeit und Kraft anging. Sie wechselten zu einer Taktik, die selbst gegen einen Mann wie ihn Erfolg haben konnte: der einzigen, die ihn immer wieder in Bedrängnis brachte. Skar sah sich plötzlich zwei Gegnern gegenüber, die seinen Attacken auswichen, vor seinem Schwert und seinen Tritten zurücksprangen, statt sich ihnen zu stellen, immer wechselweise, so daß Skar stets von einem angegriffen wurde, wenn er versuchte, den anderen zu treffen. Er war nicht wirklich in Gefahr, aber er wußte, daß ihn diese Art zu kämpfen binnen weniger Augenblicke zermürben würde.
Wütend griff er den älteren der beiden an, sah aus dem Augenwinkel, wie der andere sein Schwert hochriß und nach seiner ungeschützten Flanke stach und parierte den Hieb im letzten Moment, fand aber nicht einmal Zeit zu einem blitzschnellen Konter, weil er in diesem Moment schon wieder angegriffen wurde, während sich der jüngere Satai rasend schnell zurückzog. Und dann tat er etwas, was ihn selbst überraschte: Er schlug das Schwert des Satai zur Seite, aber statt sich dem zweiten Angreifer zuzuwenden, der im gleichen Moment auf ihn zusprang, federte er mit einem gewaltigen Satz zurück und aus der Reichweite ihrer Klingen.
»Tötet sie!« sagte er. Seine Hand wies auf die beiden Satai, die stehengeblieben waren, einen Moment unschlüssig, was sie tun sollten.
Es ging sehr schnell. In dem winzigen Bruchteil einer Sekunde, bevor sie starben, mochten sie noch begreifen, wie entsetzlich sie sich in ihm getäuscht hatten, aber sie fanden nicht einmal mehr Zeit, eine Abwehrbewegung zu machen. Ein zorniger, gellender Aufschrei aus fünfzig Kehlen zerriß die Luft, und die Waffen, die bisher ein drohendes Spalier für Skar und seine beiden Gegner gebildet hatten, wurden geschleudert. Mehr als zwei Dutzend Speere und Dolche flogen wie tödlicher Hagel auf sie zu. Die beiden Satai starben, ohne auch nur einen Schreckenslaut hervorbringen zu können.
Skar empfand noch immer nichts. Nichts außer einer vagen, nicht einmal sehr tiefen Befriedigung, während er die Leichen der beiden toten Satai anblickte. Und Zorn. Einen kalten, gerade erst erwachenden Zorn, der tief aus dem Grunde seiner Seele emporwuchs und alles andere verschlang. Jemand würde bezahlen, für das, was hier geschehen war. Jemand oder etwas.
Als er sich umdrehte, stand er Drask gegenüber.
»Das war... nicht sehr klug«, sagte der alte Magier. »Wir hätten sie gebraucht. Wenigstens einen von ihnen.«
»Ich weiß«, sagte Skar kalt.
»Und war auch nicht sehr ehrenvoll«, fuhr Drask fort. Er wies auf die beiden von zahllosen Speeren und Messern durchbohrten Toten. »Du wärst ihnen einen fairen Kampf schuldig gewesen, nach dem Ehrenkodex deines... Clans.«
Auch das wußte Skar. Aber es stimmte nicht. Er war längst kein Satai mehr, vielleicht schon seit Jahren. Einen fairen Kampf? Er war ihnen den Tod schuldig gewesen, mehr nicht. Er hatte ihren Tod gewollt, und diesem Es war völlig egal, wie. Vielleicht hatte er damit den letzten Rest des Satais zerstört, der er einmal gewesen war. Aber auch dafür würden sie bezahlen.
Drask seufzte. »So viel Blut«, murmelte er. »Und alles so sinnlos. Es waren... noch mehr. Sieben oder acht, die über die Mauern kamen, und noch einmal die gleiche Zahl in den Ställen.«
»In den Ställen?«
Drask wußte, was Skars Erschrecken bedeutete. »Der Junge«, sagte er matt. »Es tut mir leid, Skar, aber er... er ist tot. Sie haben ihn erschlagen.« Er lächelte sehr traurig. »Vorher konnte er schreien und die Wachen alarmieren. Vielleicht hätten wir sonst gar nicht gemerkt, daß sie da sind...« Er seufzte abermals, schüttelte traurig den Kopf und schien erst jetzt zu sehen, daß Skar über und über mit Blut besudelt war. Plötzlich erschrak er, und Skar begriff, daß er wieder einmal seine Gedanken las und im gleichen Moment wußte, daß Talin nicht das einzige Opfer gewesen war. »Das Mädchen!« stieß er hervor. »Bei allen Göttern, sie auch. Sie... sie... haben dich in deinem Zimmer überrascht?« Skar ignorierte seine Frage. Talin. Erst Syrr, und dann Talin. Die beiden nächsten Gräber auf seinem Weg. Wie viele noch? dachte er. Wie viele mußten noch sterben, nur weil sie den Fehler begingen, ihm zu begegnen? Plötzlich hatte er das Bedürfnis zu schreien. Aber er tat es nicht.
»Ist dein Kundschafter zurück?« fragte er leise.
Drask nickte.
»Dann zeig mir den Weg.«
»Du willst -«
»Ich werde ein Ende machen«, unterbrach ihn Skar. »So oder so, Drask. Es ist genug.«
Drask nickte. Er wirkte sehr ernst, ja betroffen, als teile er Skars Schmerz. Vielleicht tat er es, so wie er seine Gedanken teilte.
Aber es gelang ihm nicht ganz, das triumphierende Glitzern in seinen Augen zu unterdrücken.