8. Ordensschwester oder Nonne

Als es fast schon zu dunkel war, um noch etwas erkennen zu können, kam ein riesiger Kerl in einem schmierigen braunen Overall zum Haus, um sich meinen Wagen anzusehen. Mit den Händen in den Taschen stand er da, betrachtete den Wagen, dann sagte er schließlich: »Ich geh Ihnen dreißig Pfund für den Schrotthaufen.«

»Ich möchte keine dreißig Pfund haben, ich möchte, dass er wieder fährt, sonst nichts. Er soll nicht wie neu aussehen, die Beulen kümmern mich nicht. Aber wenn Sie was mit den Reifen, den Fenstern und dem Lenkrad machen können. Der Drehzahlmesser ist auch nicht wichtig, aber den Tacho brauche ich.«

Er schüttelte den Kopf so heftig hin und her, als hätte er Wasser im Ohr. »Lohnt sich nicht, Kumpel. Ist die Mühe nicht wert. Ein neuer wäre besser. Das hier kostet Sie dreihundert Pfund. Mindestens. Und das nur für die Ersatzteile.«

»Oh, Scheiße«, erwiderte ich.

Er trat gegen einen der platten Reifen. »In meiner Werkstatt steht ein 78er Ford Cortina, den können Sie für dreihundert haben. Er ist nicht im Bestzustand, aber fahrbereit.«

»Ich weiß nicht. Ich habe keine dreihundert Pfund übrig, jedenfalls nicht im Moment.«

Der riesige Kerl zuckte mit den Schultern. »In dem Fall kann ich Ihnen auch nicht helfen.«

Er fuhr mit seinem Pick-up fort und hinterließ eine Rußwolke. Eine Weile stand ich dort in der Dämmerung und lauschte den Bäumen und dem Flattern der Fledermäuse. Schließlich ging ich zurück ins Haus, wo Liz in der Küche auf mich wartete. Sie bereitete eine Hühnchenkasserolle vor, die köstlich duftete. Aber ich war nicht sicher, ob ich wirklich Hunger hatte. Ich lauschte, ob ich ein Kratzen und Schlurfen hörte oder ferne Geräusche und Stimmen, die nicht menschlichen Ursprungs waren. Ich erschrak über mein eigenes Spiegelbild in den Fensterscheiben und in den gerahmten Fotos im Flur.

Danny kniete auf einem der Küchenstühle und malte mit Buntstiften ein Bild. Ich beugte mich über ihn und sah, dass er ein mageres Mädchen in einem weißen Nachthemd gemalt hatte, mit dünnen roten Fäden auf dem Kopf und blassgrünen Wangen. Sweet Emmeline.

»Komm und spiel mit uns«, ahmte Danny ihre hohe Stimme nach. »Wir sind so viele und wir können so viel Spaß haben.

»Danny«, warnte ich ihn. »Nicht.«

Er sah mich mit weit aufgerissenen Augen an, die so sonderbar leuchteten, als habe er geheult. Nach einem langen Moment des Schweigens widmete er sich wieder seinem Bild. Ich betrachtete ihn mit einem Gefühl der Hilflosigkeit, als sei er aus irgendeinem Grund meiner Kontrolle entglitten.

Liz schob den Schmortopf zurück in den Ofen und sagte: »Und?« Ihr Ton hatte etwas von einer Ehefrau, die von ihrem Mann eine Information erwartete.

»Und was?«

»Und was kann er mit dem Wagen machen?«

»Oh, der Wagen. Nichts, was nicht wenigstens dreihundert Pfund kostet. Er meinte, ich solle mir besser einen neuen kaufen.«

»Und was wirst du jetzt tun?«

»Was soll ich schon tun? Ich muss so lange weiterarbeiten, bis ich mir einen neuen leisten kann.«

»Ich meine immer noch, dass du zur Polizei hättest gehen sollen. Dieser Brecher, oder wie der Typ heißt, gehört hinter Gitter.«

»Belcher«, berichtigte ich sie. Ich ging zum Kühlschrank, nahm eine große Flasche Soave heraus und goss uns zwei Gläser ein.

»Vielleicht hast du Recht. Aber das hätte mir ein paar Unannehmlichkeiten bescheren können. Zum Beispiel die Frage, warum die Steuerplakette abgelaufen war. Und warum der Wagen nicht versichert war.«

»Nicht versichert?«, wiederholte Liz ungläubig.

»Konnte ich mir nicht leisten. Janie hatte das Geschäftskonto komplett geplündert.«

»So eine Kuh.«

»Ja, so eine Kuh. Aber vielleicht habe ich das ja auch so verdient. Ich habe sie nicht sehr gut behandelt.«

Liz nahm einen Schluck Wein und sah mich mit Augen an, die älter schienen, als sie selbst an Jahren zählte. »Du hast sie doch nicht geschlagen?«

»Nein, ich habe sie ignoriert. Ich glaube, manchmal ist es schlimmer, jemanden zu ignorieren, als wenn man ihn schlägt.«

»Vielleicht hättest du sie schlagen sollen.«

Ich setzte mich hin. »Keine Ahnung. Vielleicht habe ich sie auch gar nicht richtig geliebt. Wenn ich so drüber nachdenke, bin ich gar nicht mal so sicher, ob ich weiß, was Liebe eigentlich ist. Du weißt schon, richtige Liebe. Die Liebe, für die man sogar sein Leben geben würde.«

»Ich glaube, das geht den meisten so«, sagte Liz. Sie lächelte, dann sprach sie weiter. »Ich war so etwa neun Jahre alt, als ich einen Goldfisch hatte. Ich habe ihn wirklich geliebt. Er hieß Billiam. Ich sagte meiner Mutter, dass ich mich umbringen würde, wenn Billiam eines Tages stürbe. Als er dann wirklich starb, hat meine Mutter mir nichts davon gesagt. Stattdessen hat sie mir erzählt, er sei abgehauen. Ich war so dumm und habe ihr geglaubt. Ich habe allen meinen Klassenkameraden erzählt, dass derjenige zehn Pence Finderlohn bekommt, der ihn mir wiederbringt. Und die waren sogar so dumm, dass sie nach ihm gesucht haben.«

»Und was willst du mir damit sagen?«, wollte ich wissen. »Dass man sich in nichts und niemanden verlieben soll? Nicht mal in einen Goldfisch?«

Sie zuckte mit den Schultern, sagte »Keine Ahnung« und begann zu lachen.

In dem Moment kam Danny zurück in die Küche. Ich hatte nicht mal gemerkt, dass er hinausgegangen war. Er trug sein Malbuch unter dem Arm und machte einen irritierten Eindruck.

»Wo ist der Mann hin?«, fragte er verwundert.

»Du meinst den Mann von der Werkstatt?«

»Nein, den Mann auf dem Bild.«

»Auf welchem Bild?«

»Draußen. Ich male ein Bild von Sweet Emmeline und von dem Mann mit dem Schornsteinhut. Ich wollte auf dem Bild nachsehen, wie er aussieht, damit ich ihn richtig male. Aber

er ist weg.«

Ich erschrak. Es geht wieder los ... das Haus bewegt sich ... Schatten zucken umher ... leise Stimmen murmeln etwas in den Zimmern im Obergeschoss. Aus irgendeinem Grund kam mir ein längst vergessener Reim in den Sinn. »Die: Wände samt bespannt, so schwarz wie Sünde und so fein ... Und kleine Zwerge kriechen raus und kriechen rein.«

Als kleiner Junge glaubte ich immer, der Reim würde das beschreiben, was mit meinem Schrank passiert, sobald es dunkel ist. Ich hatte mich immer entsetzlich gefürchtet. Kleine böse Leute trieben ihr Unwesen zwischen meiner Kleidung. Jeden Abend überprüfte ich zweimal, ob die Tür zu meinem Kleiderschrank auch wirklich zu war und dass der Stuhl sie zusätzlich blockierte. Und selbst dann konnte ich hören, wie sich die kleinen Zwerge in meinem Schrank bewegten und wie sie die Kleiderbügel ganz sanft schaukeln ließen.

Ich war der Ansicht gewesen, dass ich dieses Gefühl der Hilflosigkeit lange hinter mir gelassen hatte, das jene Worte damals in mir ausgelöst hatten. Aber als Danny »Er ist weg« sagte, da brach die Erinnerung über mich herein, und einen Moment lang konnte ich nichts sagen.

»Er kann nicht weg sein«, brachte ich schließlich mühsam hervor. Meine Zunge schien angeschwollen, mein Hals war trocken.

»Er ist nicht mehr auf dem Bild.«

Ich folgte ihm in den Flur und schaltete das Licht an. Am anderen Ende des Flurs hing das Foto. >Fortyfoot House, 1888<. Ich ging darauf zu, Liz dicht hinter mir, und beugte mich vor.

Danny hatte Recht. Der junge Mr. Billings war nicht mehr zu sehen. Sein Schatten war allerdings noch da und lag wie ein achtlos weggeworfener Umhang auf dem Rosenbeet, aber von dem Mann war nichts mehr zu sehen.

»Das ist doch irgendein Trick«, sagte ich. »Leute verschwinden nicht einfach aus einem Foto, das ist schlicht unmöglich.«

»Komm, wir sollten uns das bei mehr Licht ansehen«, schlug Liz vor, nahm das Bild von der Wand und brachte es in die Küche. Dort angekommen blieb sie unter der hellen Deckenlampe stehen. Wir starrten eindringlich auf die Stelle, an der bis vor kurzem noch der junge Mr. Billings gestanden hatte. Das Glas über dem Foto war verstaubt und praktisch frei von Fingerabdrücken, abgesehen von Liz' und von meinen. Als ich das Bild umdrehte, gab es keinen Hinweis darauf, dass das braune Papierklebeband, mit dem das Bild im Rahmen gehalten wurde, aufgeschnitten worden war. Das gravierte Schild des Rahmenbauers war auch immer noch dort: Rickwood & Sons, Picture Framers & Restorers, Ventnor, Isle of Wight.

Ich drehte das Bild wieder um, und wir betrachteten das Foto eine Weile, bis Danny plötzlich sagte: »Guck mal! Was ist das?«

Kinderaugen sehen immer mehr und besser. Sie können Formen, Zeichen und Omen viel besser erkennen als ein Erwachsener. Ich sah auf die Stelle, auf die Danny zeigte, und erkannte etwas. Dort, wo der Rasen in Richtung Gartentor und See abfiel, war gerade eben das leicht gekippte schwarze Rechteck eines Zylinders zu sehen. Der junge Mr. Billings war noch immer auf dem Foto, aber er hatte einen Spaziergang unternommen.

Liz schüttelte ihren Kopf. »Ich glaube das nicht. Das muss ein Trick sein. Ich möchte wetten, dass es mehrere Fotos mit der gleichen Ansicht gibt und dass irgendjemand sie austauscht.«

»Wer?«, fragte ich. »Und vor allem: Warum?«

»Hausbesetzer«, sagte Liz. »Ich hab dir doch gesagt, dass bestimmt Hausbesetzer oder obdachlose Kinder oben auf dem Dachboden leben. Vermutlich haben sie auch Harry Martin so zugerichtet.«

»Schhh«, machte ich und deutete auf Danny. Zum Glück schien er ihre Bemerkung entweder nicht gehört oder deren Bedeutung nicht verstanden zu haben.

»Du meinst, sie wollen uns aus dem Haus jagen?«, fragte ich. »So wie in einem dieser Filme mit Bette Davis, in dem die Kinder versuchen, sie in den Wahnsinn zu treiben, damit sie alles von ihr erben?«

»Naja, möglich wäre es doch, oder? Klingt jedenfalls plausibler als Geister. David, ich habe immer wieder darüber nachgedacht. Wie sollten es Geister gewesen sein? Es gibt keine Geister.«

»Und die Geräusche? Und die Lichter?«

»Tonbänder? Halogenscheinwerfer?«

»Also gut. Nehmen wir mal an, es wäre ein Trick. Wo sollen dann diese Hausbesetzer sein? Die Polizei hat das ganze Haus abgesucht, auch den Speicher.«

»Sie haben nicht das zugemauerte Stück neben deinem Schlafzimmer durchsucht.«

»Aus einem einfachen Grund: Dort kann niemand hineinkommen. Und auch nicht herauskommen.«

»Vielleicht gibt es eine Geheimtür.«

»Ach, Liz, hör auf. Da ist nirgendwo Platz für eine Geheimtür. Und selbst wenn, wohin sollte sie führen?«

Sie richtete sich auf. »Dann bist du also überzeugt, dass es Geister sind.«

»Ich weiß es nicht. Vielleicht nicht gerade Geister in dem Sinn, dass sie mit einem Laken über dem Kopf herumlaufen. Aber ich bin sicher, was diese Sache mit der Zeit angeht. Jemand hat mal gesagt, dass Geister nicht wirklich Geister sind, sondern Menschen, die man nur vage sehen kann, wenn sich das Heute und das Gestern sozusagen überlappen. Das würde doch Sinn ergeben, nicht wahr?«

Liz nahm wieder das Foto an sich. »Wenn das Sinn ergeben soll, dann tut es mir Leid. Dann muss ich dir nämlich sagen, dass du Unsinn redest. Ich glaube nach wie vor, dass uns jemand hier raustreiben will. Ein menschlicher Jemand, kein Geist. Das kommt mir alles viel zu sehr wie in mysteriösen Spielfilmen vor.«


Nachdem Danny ins Bett gegangen war, hatten wir den Wein fast ausgetrunken und uns aufs Sofa geflegelt, um John Hiatts Stolen Moments anzuhören. Ich fühlte bei dem Song ein gewisses Mitleid mit den sieben kleinen Indianern, die in einem Ziegelsteinhaus an der Central Avenue lebten, wo -allen erbaulichen Geschichten ihres Vaters zum Trotz, die davon erzählten, dass sich alles zum Guten wenden werde -»immer das Gefühl vorherrschte, als würde sich jemand nähern, der sie töten will«.

Es war so gegen elf Uhr, als ich mit leichten Kopfschmerzen und dem Geschmack von zu viel Soave aufstand und sagte: »Ich gehe ins Bett. Kommst du?«

»War das eine Einladung?«

Ich sah sie an, lächelte und sagte: »Ja.« Ich schaffte es gerade noch rechtzeitig, mir ein »wenn du willst« zu verkneifen.

Ich ging in die Küche, um die tropfenden Wasserhähne zuzudrehen und das Licht auszumachen. Das Foto >Fortyfoot House, 1888< lag noch immer mit dem Glas nach unten auf dem Tisch. Ich griff danach, unmittelbar bevor ich den Lichtschalter umlegte, und klemmte es unter den Arm. Ich wollte es auf dem Weg nach oben wieder im Flur an die Wand zurückhängen. Aber mit einem Mal schaltete ich das Licht wieder an und hielt das Foto hoch, um es mit wachsendem Entsetzen zu betrachten.

Der Kopf des jungen Mr. Billings war nun zu sehen, so als würde er sich allmählich nähern. Direkt neben ihm befand sich irgendeine kleine dunkle Gestalt mit zwei Auswüchsen, die wie spitze Ohren aussahen.

Ich kniff die Augen zu, dann öffnete ich sie wieder, nur um sicher zu sein, dass sie mir keinen Streich spielten. Aber das Foto hatte sich nicht verändert. Der Rosengarten, in dem der einsame Schatten des jungen Mr. Billings noch immer wie hingeworfen dalag, die Sonnenuhr, der abfallende Rasen. Und das deutlich erkennbare Gesicht des Hausherrn, der von einem Spaziergang am Meer zurückkehrte - in Begleitung von ... was nur?

»Kommst du oder bleibst du heute Nacht in der Küche?«, rief Liz. »Auf dem Treppenabsatz ist das Licht kaputt.«

»Ich komme«, sagte ich nachdenklich. Wieder knipste ich das Licht in der Küche aus, ging durch den Flur und hängte das Bild zurück an seinen angestammten Platz. Ich weiß nicht, warum, aber ich hatte das Gefühl, dass es das Sicherste sei, was ich machen konnte. Nein, um ganz genau zu sein, hatte ich das Gefühl, dass es das war, was der junge Mr. Billings bevorzugt hätte. Und ich hatte kein Verlangen danach, den jungen Mr. Billings zu verärgern, erst recht nicht wegen einer so albernen Sache wie der, ihn mit dem Gesicht nach unten auf dem Küchentisch zurückzulassen.

Gütiger Gott, schoss es mir durch den Kopf. Ich verliere den Verstand. Ich hänge ein Bild an die Wand, nur weil ich glaube, dass es den Leuten auf dem Bild so lieber wäre!

Liz beugte sich über das Geländer, ihre Brüste drückten gegen den Handlauf. »Nun komm schon. Baden können wir auch morgen früh.«

Ich schaltete das Licht im Flur aus, im gleichen Moment lag die Treppe in völliger Dunkelheit da. Und kleine Zwerge kriechen raus und kriechen rein. Ich tastete mich die Treppe hinauf, während ich vor mir Liz hören konnte, wie sie an den Geländerslangen entlangstrich, um zu merken, wohin sie gehen musste.

»Ich will nur hoffen, dass wir heute Nacht nicht schon wieder dieses Stöhnen hören werden«, sagte sie. »Sonst ziehe ich wirklich aus, das sage ich dir.«

Als ich die Kehre der Treppe erreicht hatte, sah ich den fahlen silbrigen Schein des Spiegels. Ich zögerte und verlor in der Dunkelheit fast das Gleichgewicht. Während ich stolperte, hörte ich hinter der Fußleiste ein Kratzen und dann ein hastiges Schlurfen, das sich über die gesamte Länge des Hauses zog.

»Hast du das gehört?«, fragte ich Liz.

Sie hatte die oberste Stufe erreicht und blieb stehen. Ich wusste, dass sie sich auf dem Treppenabsatz befand, weil sie den Lichtschein des Spiegels blockierte.

»Nein ... ich hab nichts gehört.«

»Dann hab ich's mir wohl nur eingebildet.«

»Solange es weiter nichts ist.«

Wir tasteten uns durch den Korridor voran. Ich hatte schon wieder vergessen, eine verdammte Taschenlampe zu kaufen. Im Küchenschrank gab es ein paar Kerzen, aber ich war nicht auf die einfache Idee gekommen, eine von ihnen anzuzünden und mit nach oben zu nehmen. Das allmähliche Nahen des jungen Mr. Billings und seines haarigen Gefährten hatte mich zu sehr beschäftigt. Und die kleinen Zwerge aus meiner Kindheit hatten auch noch ihren Teil dazu beigetragen. Ich fragte mich, ob meine Mutter etwas davon gewusst hatte, welche Panik ich vor den elenden kleinen Kreaturen empfand, die nachts meine Kleidung heimsuchten. Ich verfluchte es, dass die Erinnerung mich eingeholt hatte, und ich wünschte, diese Gedanken endlich wieder verdrängen zu können.

Schließlich aber hatten wir es bis zu meinem Schlafzimmer geschafft. Durch die Vorhänge schien ein schwaches Licht, das vom Meer reflektiert wurde und das Zimmer gerade genug erhellte, um das Bett und die Garderobe zu erkennen.

»Ich sehe nur noch mal schnell nach Danny«, sagte ich zu Liz, die gerade ihr T-Shirt über den Kopf zog und dabei für einen kurzen Moment ihre Brüste anhob, die auf eine erregende Weise zurückfielen.

»Mach nicht zu lange«, erwiderte sie. »Und wenn du irgendwelche Geräusche hörst, ignorier sie einfach.«

Ich überquerte den Korridor und sah in die alles verschluckende Finsternis von Dannys Zimmer. Ich konnte ihn riechen, und ich konnte ihn atmen hören. Ich konnte hören, dass eines seiner Nasenlöcher leicht verstopft war. Ich fragte mich, wovon er wohl träumte. Von Krebsen, vom Zirkus oder vielleicht von seiner Mutter? Manchmal tat er mir so unendlich Leid, aber ich konnte nicht mehr tun, als das, was ich für ihn tat.

Ich schloss die Tür und ertastete meinen Weg zurück. Ich hätte ins Badezimmer gehen und mir die Zähne putzen sollen, aber ich hatte keine Lust, noch länger durch die Dunkelheit zu stolpern. Liz lag bereits im Bett. Sie war nackt und sie wartete auf mich. Wenn sie sich keine Gedanken darüber gemacht hatte, ob sie sich die Zähne putzen sollte, warum sollte ich das dann machen? Trotzdem hasste ich den Geschmack von abgestandenem Soave.

Ich zog mich aus und glitt unter die Bettdecke. Liz kuschelte sich an mich, und ich konnte ihre Brustwarzen fühlen, ihre Hüften und ihr feuchtes Schamhaar. Sie küsste mich auf die Stirn, dann auf die Augen und schließlich auf die Nase. »Ich kann dich nicht sehen«, sagte sie glucksend. »Es ist hier so verdammt dunkel.«

Ich erwiderte ihre Küsse, und unsere Zähne schlugen aneinander. Die Geschehnisse in Fortyfoot House hatten uns zutiefst beunruhigt. Wir waren beide müde und ein wenig überdreht. Ob die Geräusche und die Lichter von Geistern, Ratten oder Hausbesetzern stammten, war ganz egal. Auf jeden Fall waren sie Furcht erregend. Das Schlimmste war aber, dass wir nichts dagegen machen konnten, von einer Abreise einmal abgesehen. Die Polizei hatte schon nichts finden können, wie sollten wir da erfolgreicher sein?

Wir liebten uns schnell und heftig, weil wir für ein paar Minuten an nichts anderes als an Sex denken wollten. Liz setzte sich wieder auf mich, so wie in der Nacht zuvor. Doch diesmal rollte ich herum, sodass sie unter mir auf dem Rücken lag.

Sie legte ihre Beine fest um meine Hüften, während ich in sie eindrang. Ich glaube, wir wussten beide, dass dies nichts mit Liebe zu tun hatte, nicht einmal mit Leidenschaft. Aber wir mochten einander. Und ich entdeckte etwas von mir in Liz, während sie etwas von sich in mir sah. Ich glaube, dass wir auf unsere unterschiedliche Art beide eine Warnung für den jeweils anderen waren.

Liz griff zwischen ihre Beine und zog ihre Schamlippen weit auseinander, damit ich noch tiefer eindringen konnte. Sie begann zu keuchen, was mich noch mehr erregte. Meine Stöße wurden härter und härter, und dann begann das Bett zu quietschen, bis ich schließlich langsamer werden und die Position meines Knies verändern musste, weil mich das Geräusch so sehr störte.

»Warte ...«, flüsterte sie. »Schhht...«

Sie drückte mich sanft zurück, bis ich wieder auf dem Rücken lag. Sie küsste mich, auf meine Lippen, auf meine Brust und meinen Magen, und dann nahm sie meinen Penis in den Mund und begann gleichmäßig zu saugen. Gegen das Licht vom Fenster konnte ich den Umriss ihres Kopfes sehen, der sich auf und nieder bewegte. Ich sah die Umrisse ihrer Lippen, wie sie sich über meinen steil in die Höhe ragenden Schaft schoben.

Einen Moment lang zögerte sie, und ich fühlte ihre scharfen Zähne auf meiner Haut. Der Moment zog sich in die Länge, der Druck ihrer Zähne wurde fester, und einen Augenblick lang glaubte ich, dass sie mit dem Gedanken spielte, meine Eichel abzubeißen.

»Liz ...«, sagte ich leise, während in mir Panik aufstieg. Doch dann hörte ich sie mit vollem Mund lachen, und sie fuhr fort, meinen Schwanz mit ihrer Zungenspitze und ihren Lippen zu bearbeiten. Gegen meinen Willen spannten sich meine Muskeln an und ich kam zum Höhepunkt. Liz hielt die ganze Zeit über ihren Mund fest um den Schaft geschlossen und schluckte alles, was mein Körper in dem Augenblick hergab. Als sie fertig war, setzte sie sich auf und gab mir einen Kuss. Ihre Lippen waren trocken.

»Vielleicht ein anderes Mal«, flüsterte sie mir ins Ohr. »Auf jeden Fall aber an einem anderen Ort.«

Seite an Seite lagen wir in der fast völligen Dunkelheit. Liz schlief rasch ein, ich spürte ihren Atem auf meiner nackten Schulter. Ich fühlte mich leer und traurig und fehl am Platz, so als habe mich die ganze Welt im Stich gelassen. So als wisse jeder Mensch auf der Welt von einem Geheimnis, das mir niemand verraten wollte. Ich hörte die See, wie sie sich heimlich selbst etwas zuflüsterte, und die Vögel, die in der Regenrinne stocherten. Ich dachte an das Foto von Fortyfoot House, das unten im Flur an der Wand hing. Und ich betete, dass der junge Mr. Billings nicht näher gekommen war.

Ich kam zu dem Entschluss, dass ich am Morgen noch einmal zum Strandcafe gehen und mich mit Doris Kemble unterhalten wollte. Vielleicht konnte sie mir etwas mehr über den jungen Mr. Billings erzählen, irgendetwas, das erklärte, warum er so unablässig immer wieder im Garten auftauchte. Die spirituelle Unruhe im Fortyfoot House schien in Bonchurch so zum Alltag zu gehören, dass sie vielleicht vergessen hatte, mir etwas Wichtiges zu erzählen.

Gegen zwei Uhr in der Nacht öffnete ich die Augen. Der Mond war aufgegangen und tauchte das Zimmer in silbernes Licht. Liz presste sich noch immer an meine Schulter. Das Laken war verrutscht und machte aus ihrem nackten Rücken und ihrem wohlgeformten Po eine geschwungene erotische Landschaft, die wie die Dünen der Nefud-Wüste bei Nacht war. Ich lauschte, doch das Haus war ungewöhnlich stumm. Kein Kratzen, kein Schlurfen. Keine knarrenden Holzbohlen. Vielleicht hatte das Etwas Harry Martin als Opfer angenommen und vielleicht war sein Hunger für den Augenblick gestillt. In diesem Moment mitten in der Nacht war ich bereit, so ziemlich alles zu glauben.

Ich wünschte, ich hätte schlafen können. Ich war so verdammt müde. Ich versuchte, einen Ausweg zu finden, wie ich mit irgendeinem Job den Maklern das Geld zurückzahlen konnte, damit ich Fortyfoot House endlich verlassen konnte, ohne ihnen etwas zu schulden. Ich überlegte, wie ich an einen neuen Wagen kommen sollte. Vielleicht konnte ich bei Großmutter ein wenig Geld borgen. Das Problem war nur, dass sie 88 Jahre alt und fast blind war und ihr Vormund wie der schärfste Wachhund der Welt ihr Vermögen hütete. Ich besaß nichts, was ich hätte verkaufen können.

Ich versuchte, nicht an diese kleinen Zwerge zu denken, die raus-und reinkrochen.

Liz' Idee von den Besetzern, die sich im Haus versteckten, war weit hergeholt, aber nicht völlig abwegig. Es war niemand auf dem Dachboden. Detective Sergeant Miller hatte das erklärt. Aber da war immer noch das abgetrennte Stück unmittelbar darunter, gleich neben diesem Schlafzimmer.

Dieser Teil musste einmal ein Fenster aufgewiesen haben, das zur Westseite des Gartens und zu den Erdbeerbeeten zeigte, und er war groß genug, um drei oder vier Menschen Platz zu bieten, vielleicht sogar mehr. Aber es gab keinen Zugang, weder von hier, vom Schlafzimmer, noch vom Dachboden aus, soweit ich das hatte erkennen können, und auch nicht von außen.

Ich betrachtete die ungewöhnlichen Winkel der Decke, die dadurch entstanden waren, dass man einen Teil dieses Zimmers abgetrennt hatte. Sie waren in keiner Weise symmetrisch. In nördliche Richtung schienen sie stärker abzufallen als auf der nach Süden weisenden Seite. Und die Wand zur Westseite hin - die abgeteilte Wand - stieß in einer so irritierenden und betonten Diagonale auf sie, dass ich kaum glauben konnte, dass es sich dabei bloß um einen Zufall handeln sollte. Diese Wände waren so extrem schief, dass eine Absicht dahinterstecken musste. Jemand hatte sie aus einem bestimmten Grund so angeordnet. Vielleicht aus demselben Grund, aus dem auch die gesamte Dachkonstruktion des Fortyfoot House in einer Art und Weise errichtet worden war, dass sie sich den Gesetzen der Perspektive zu entziehen schien. Manche Häuser wurden nach einem schlechten Plan erbaut, aber so schlecht konnte kein Plan sein.

Ich starrte die Winkel an der Decke noch immer an, als mir bewusst wurde, dass sie auf mehr als nur zufällige Weise zusammenliefen. Es war sehr schwierig zu beschreiben, aber mir kam es so vor, als könne ich dahinterblicken, als könne ich diese Seite und die andere Seite der Decke gleichzeitig sehen. Ich rieb mir die Augen, aber als ich sie wieder öffnete, war der Eindruck stärker als zuvor. Ich hatte das untrügliche Gefühl, dass ich durch die Decke hindurch in den abgetrennten Bereich sah.

In diesem Moment tauchte eine verschwommene Form auf, zu einer Seite geneigt. Sie flackerte ein wenig, so wie die Lichtreflexe eines Schwarzweißfernsehers, durch den Wohnzimmervorhang betrachtet. Die Form befand sich in der südwestlichen Ecke des Zimmers, dort, wo die Winkel zusammenliefen. Sie war der Decke näher als dem Boden und schwebte minutenlang auf einer Stelle, während ich angsterfüllt im Bett lag und überlegte, was wohl als Nächstes geschehen würde.

Allmählich wurden die Konturen schärfer, obwohl ich noch immer nicht erkennen konnte, um was es sich handelte. Eine Spiegelung? Ein Irrlicht? Ich hatte davon gehört, dass in alten Häusern manchmal Gas aus defekten Leitungen entwich. In der viktorianischen Zeit waren regelmäßig Haushälterinnen an den Folgen von ausströmendem Gas erkrankt und gestorben.

Einen Sekundenbruchteil lang glaubte ich zu erkennen, worum es sich bei der Form handelte. Sie sah aus wie eine Frau, die eine Haube mit weißen Spitzen trug. Ich glaubte zu sehen, dass sie den Kopf drehte. Ich glaubte, ihre Augen zu sehen.

In diesem Moment schrie ich laut auf, und im gleichen Augenblick verschwand die Form in dem Winkel der Wand, als habe jemand einen Staubsauger auf sie gerichtet.

Liz wachte auf und fragte: »Was? David, was ist?«

Ich sprang aus dem Bett und riss die Vorhänge auf. Dann schlug ich im letzten Schein des Mondes dort gegen die Decke, wo der Schemen zum ersten Mal aufgetaucht war. Ich fühlte nur die feste feuchte Wand.

»David, was ist los mit dir?«

»Ich habe etwas gesehen. Es kam aus der Decke. Wie ... wie ein Geist. Ich weiß nicht. Es sah aus wie eine ... eine Nonne. Oder eine Krankenschwester.«

»David, du hast geträumt.«

Zornig schlug ich gegen die Wand und rief in einem wütenden Stakkato: »Ich habe nicht geträumt, ich war wach!«

»Ja, okay, ist gut«, besänftigte mich Liz. »Du warst wach. Aber jetzt ist das ... das Ding weg, nicht? Also komm zurück ins Bett und beruhige dich.«

Ich rannte im Schlafzimmer umher und schlug immer wieder mit der flachen Hand auf die Stelle, an der ich die Erscheinung zum ersten Mal gesehen hatte.

»Ich kann mich nicht beruhigen! Ich war wach und ich habe es gesehen!«

»David, seit du hier bist, sind entsetzliche Dinge geschehen ... vielleicht halluzinierst du.«

»Nein! Ich habe eine Nonne gesehen, hier an dieser gottverdammten Wand!«

Liz wartete geduldig, bis mein Wutanfall vorüber war. Ich hatte sie nicht anbrüllen wollen. Ich schrie mich selbst an, und Janie und Raymond, und Harry Martin und Brown Jenkin und alles andere, was mich in dieses Haus gebracht hatte. Ich glaube, sie wusste das auch. In gewisser Weise benutzte sie mich ebenfalls, das verriet ihre Art, mit mir zu schlafen. Es war körperlich sehr intim. Ich hätte alles mit ihr machen können, so wie sie im Gegenzug alles für mich getan hätte. Aber ihre Gefühle waren nicht im Spiel. Mit wem auch immer sie schlief, ich war jedenfalls nicht derjenige. Wahrscheinlich war ich nur der Platzhalter für jemanden, der ihr sein wehgetan halte. Ein Platzhalter im Bett zu sein, ist nicht gerade sehr aufregend, aber manchmal nimmt man, was man bekommen kann.

Schließlich hatte ich mich wieder unter Kontrolle und kehrte zurück ins Bett. Liz schmiegte sich eng an mich und legte ihren Arm um mich.

»Du zitterst ja«, sagte sie.

Ich konnte mich nicht von den Winkeln der Decke losreißen, sie flößten mir noch immer Angst ein. »Ich habe eine Frau gesehen, die sich vorbeugte. Ich schwöre es. Eine Krankenschwester. Oder eine Nonne. Sie war genau dort!«

»David, das kann doch nicht sein.«

»Ich werde diesen Artikel im National Geographie heraussuchen, und ich werde mit Doris Kemble unten im Café sprechen.«

»Du solltest besser mit deiner Bank sprechen und dir Geld für einen neuen Wagen leihen.«

Ich ließ meinen Kopf auf das Kissen sinken. Ich wusste nicht, warum, aber auf einmal liefen mir Tränen übers Gesicht. Ich dachte an den alten Countrysong I've Got. Tears In My Ears Front Lying On My Back And Cryin' Over You. Liz lutschte meine Schulter und küsste mich auf die Wange, während ihre Finger durch meine Haare fuhren. Aber ich war zu müde und zu verstört. Und Sex war nicht die Antwort, die ich jetzt brauchte. Schließlich setzte sie sich auf und lehnte sich über mich, nahm meinen Augen den Blick auf den letzten Rest Mondlicht, um mir einen zarten, flüchtigen Kuss auf die Stirn zu geben.

»Du bist hoffnungslos«, sagte sie.

»Nein, eigentlich nicht«, erwiderte ich, während ich mir die Augen rieb. »Ich bin nur pleite und verängstigt, und ich mache mir Sorgen um meinen Sohn. Davon abgesehen, bin ich ein großartiger Typ.«

Sie lachte und küsste mich. Ich hielt sie in meinen Armen, bis der Mond verschwand und es sehr dunkel wurde. Ich versuchte zu schlafen, aber ich konnte meinen Blick nicht von den Winkeln der Decke nehmen, obwohl ich sie gar nicht sehen konnte.

Liz schlief. Aber im Fortyfoot House veränderten Dinge ihre Positionen mit hohem Tempo. Bloße Füße huschten fast lautlos über die Dachsparren, pelzige Dinge rannten blind und schnell durch die Hohlräume hinter den Wänden. Der junge Mr. Billings kam näher, dessen war ich sicher. Und begleitet wurde er von ... von was bloß? Als ich aufwachte, schien die Sonne. Ich nahm an, dass mich das letzte Nachhallen eines Kinderschreis aus dem Schlaf gerissen hatte.

Liz öffnete die Augen und sah mich an. Es war ein warmer Morgen, und die Fransen des Lampenschirms bewegten sich leicht in der Brise wie die Beine eines von der Decke herabhängenden Tausendfüßlers.

Sie küsste mich auf die Schulter, dann auf die Lippen.

»Soll ich dir mal was sagen?«, fragte sie. »Du siehst beschissen aus.«

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