1. Fortyfoot House

Kurz vor Sonnenaufgang wurde ich von einem verstohlenen, schlurfenden Geräusch aus dem Schlaf gerissen. Ich lag da und lauschte. Schlurf. Dann wieder. Schlurf, schlurf, schlurf. Anschließend Stille.

Die dünnen mit Blumenmustern verzierten Vorhänge vor dem Fenster wurden von einer schwachen Brise bewegt, die auch die Fransen des Lampenschirms zucken ließ wie die Beine eines von der Decke herabhängenden Tausendfüßlers. Ich lauschte, so intensiv ich nur konnte, aber ich vernahm nur die rauschende See und das geschwätzige Flüstern der Eichen.

Wieder ein Schlurfen. Diesmal aber so weit entfernt und so schnell, dass es alles Mögliche hätte sein können, vielleicht ein Eichhörnchen auf dem Dachboden oder eine Schwalbe unter dem Dachgiebel.

Ich drehte mich um und vergrub mich tief in die glatte Satinbettwäsche. In fremden Häusern schlafe ich immer schlecht - seit Janie mich verlassen hatte, schlief ich nirgends mehr gut. Nach der gestrigen Fahrt von Brighton, nach dem Übersetzen von Portsmouth hierher und nach einem ganzen Nachmittag, den ich damit verbrachte, Koffer auszupacken, war ich todmüde.

Danny war in der Nacht auch zweimal aufgewacht. Zuerst, weil er Durst hatte, und später, weil er sich fürchtete. Er sagte, er habe irgendetwas auf der anderen Seite seines Schlafzimmers gesehen, etwas Zusammengekauertes und Dunkles, aber es waren nur seine Kleider gewesen, die über der Stuhllehne hingen.

Mir fielen die Augen zu, aber ich konnte nicht einschlafen, so sehr ich auch wollte. Ich hätte alles dafür gegeben, eine Nacht, einen Tag und, ja, noch eine Nacht einfach nur durch—

zuschlafen. Ich döste nur, und einen Moment lang träumte ich, dass ich wieder in Brighton war, dass ich unter einem grauen Himmel durch die Straßen von Preston Park ging, entlang an Terrassen aus roten Ziegelsteinen. Ich träumte, dass ich jemanden aus meiner Parterrewohnung eilen sah, eine große männliche Gestalt mit langen Beinen, die mir ihr spitzes weißes Gesicht zuwandte und mich anstarrte, um dann davonzurennen. >Der Schneider aus dem Struwwelpeter, der dem Daumenlutscher die Daumen abschneidet<, schoss es mir durch den Kopf. >Es gibt ihn wirklich.<

Ich versuchte, ihm nachzulaufen, aber auf irgendeine Weise hatte er es geschafft, auf die andere Seite des Zauns zu gelangen, der sich um den Park zog. Blassgraues Gras, Pfaue, die wie misshandelte Kinder schrien. Ich konnte nichts anderes machen, als auf meiner Seite des Zauns neben ihm herzulaufen und darauf zu hoffen, dass er immer noch in Sichtweite sein würde, wenn ich endlich ein Tor erreichte.

Mein Atem dröhnte wie Donner in meinen Ohren. Meine Füße klatschten wie die eines Clowns auf dem geteerten Weg. Ich sah aufgeblasene Gesichter, weiße Ballons mit menschlichem Antlitz, die mich angrinsten. Und ich hörte ein kratzendes, schlurfendes Geräusch, so als wäre ein Hund dicht hinter mir, dessen Pfoten auf dem Asphalt ein leises Klicken verursachten. Ich drehte mich um, und mit einem Mal war ich wach. Ich hörte ein wildes, lärmendes Umhereilen, viel lauter als von einem Eichhörnchen oder einem Vogel.

Ich befreite mich aus der Decke und setzte mich auf. Die Nacht war heiß gewesen, und meine Laken waren zerknittert und schweißgetränkt. Ein weiteres schwaches, zögerliches Kratzen war zu hören, dann herrschte wieder Stille.

Ich nahm meine Uhr vom Nachttisch. Es war noch nicht hell, aber das wenige Licht genügte, um zu sehen, dass es 5.05 Uhr war. Jesus!

Ich schleppte mich aus dem Bett und ging hinüber zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Der Himmel war so weiß wie Milch, und hinter den Eichen zeigte sich auch die See in einer milchig weißen Färbung. Das Fenster meines Schlafzimmers war nach Süden ausgerichtet. Von hier konnte ich den größten Teil des zur See hin abfallenden Gartens sehen, die vernachlässigten Rosenbeete, die Sonnenuhr, dahinter die Stufen, die hinunterführten zum Fischteich, und den Weg, der danach im Zickzack zwischen den Bäumen bis zum hinteren Gartentor verlief.

Danny hatte bereits herausgefunden, dass es von diesem Gartentor bis zur Küste nur ein kurzer, steil abfallender Spaziergang war, der an einer Reihe hübscher kleiner Cottages mit Blumenkästen voller Geranien auf jeder Fensterbank entlangführte. Am Strand: Steine, eine schaumige Brandung, an Land getriebener Tang und ein kühler salziger Wind, der von Frankreich herübergeweht kam. Wir waren am Abend zuvor dort hinabgestiegen, hatten uns dann den Sonnenuntergang angesehen und mit einem Fischer aus dem Dorf gesprochen, der Schollen und Heilbutt fing.

Weiter links vom Garten, am anderen Ufer eines schmalen überwucherten Bachs, stand eine zerfallene Steinmauer, dick mit Moos überzogen. Von der Mauer fast völlig verdeckt wurden sechzig bis siebzig Grabsteine - Kreuze und weinende Engel - und eine kleine gotische Kapelle, deren Fenster kein Glas mehr aufwiesen und deren Dach vor langer Zeit eingestürzt war.

Laut Mr. und Mrs. Tarrant hatte die Kapelle einst Fortyfoot House und dem Dorf Bonchurch gedient, doch mittlerweile fuhren die Bewohner zum Gottesdienst nach Ventnor, falls sie sich überhaupt irgendwohin in eine Kirche begaben. Fortyfoot House stand leer, seit die Tarrants ihr Fliesengeschäft verkauft hatten und nach Mallorca ausgewandert waren.

Ich fand den Friedhof nicht besonders unheimlich, eher traurig, weil man ihn so hatte verkommen lassen. Hinter der Kapelle erhoben sich die dunklen, einer Zirruswolke ähnlichen Umrisse einer riesigen uralten Zeder, einer der

größten, die ich je gesehen hatte. Etwas an diesem Baum verlieh der Landschaft eine Aura der Erschöpfung und des Bedauerns, dass es nie wieder so sein würde wie früher. Aber irgendwie verlieh er auch eine Aura der Kontinuität.

Um diese Zeit am frühen Morgen war der Garten so farblos wie alles andere auch. Fortyfoot House sah so aus wie auf dem alten Schwarzweißfoto von 1888, das im Flur hing. Das Bild zeigte einen Mann, der mit einem schwarzen Zylinder und einem schwarzen Frack im Garten stand. Mir war, als könnte er jeden Augenblick zurückkehren, genau so, wie er dort zu sehen war, farblos, streng, mit einem Backenbart und den Blick starr auf mich gerichtet.

Ich konnte mir eigentlich einen Kaffee machen; sinnlos, zu versuchen, noch etwas länger zu schlafen. Die Vögel hatten zu zwitschern begonnen, und die Finsternis zog sich so rasch zurück, dass ich schon die schlaffen Tennisnetze auf der anderen Seite des Rosengartens, das mit Flechten überzogene Gewächshaus und die verwilderten Erdbeerbeete erkennen konnte, die im Westen an Fortyfoot House grenzten.

»Ich hoffe, dass es Ihnen Spaß macht, Mr. Williams, Ordnung im völligen Chaos zu schaffen«, hatte mich Mrs. Tarrant gefragt und durch ihre kleine Sonnenbrille auf ihren Garten geblickt. Ich hatte den Eindruck gewonnen, dass sie Fortyfoot House nicht sehr mochte, auch wenn sie immer und immer wieder erklärt hatte, wie sehr sie es vermisse.

Ich öffnete vorsichtig die Schlafzimmertür, um Danny nicht aufzuwecken, der im Zimmer nebenan schlief, dann schlich ich leise durch den schmalen Flur im Obergeschoss. Egal, wo ich hinsah, überall entdeckte ich etwas, das für mich Arbeit bedeutete. Feuchtigkeit hatte auf der blassgrünen Tapete große Flecken hinterlassen, die Deckenfarbe schälte sich ab, die Fensterbretter waren verrottet. Die Heizkörper waren undicht, die Ventile mit Kalk überzogen. Das gesamte Haus roch verwahrlost.

Ich erreichte die oberste Stufe der steilen, schmalen Treppe und wollte gerade nach unten gehen, als ich das Schlurfen erneut hörte - es war mehr ein Huschen als ein Schlurfen. Ich zögerte. Es klang so, als komme das Geräusch vom Dachboden. Nicht vom Dachvorsprung, was ich erwartet hätte, wenn es nistende Vögel gewesen wären. Sondern von der Mitte des Dachbodens, fast so, als habe sich etwas diagonal über den Fußboden bewegt.

Eichhörnchen, dachte ich. Ich hasse Eichhörnchen. Sie sind so zerstörerisch, und sie essen ihre Jungen auf. Vermutlich hatten sie den gesamten Dachboden übernommen und ihn zu einem riesigen stinkenden Eichhörnchenreich gemacht.

Neben dem Treppenabsatz gab es eine kleine mit Tapete beklebte Tür, die nicht direkt ins Auge fiel. Mrs. Tarrant hatte mir gesagt, dass dies der einzige Zugang zum Dachboden sei, auf dem sie auch nur wenige Möbelstücke eingelagert hatten.

Ich öffnete die Tür und spähte hinein. Der Speicher war stockfinster, und der Luftzug wehte mir von Trockenfäule geprägte, stickige Luft entgegen. Ich horchte, konnte aber nur den Wind hören, der sich unter den Dachziegeln fing. Das Kratzen war wieder verstummt.

In der Nähe der Tür ertastete ich einen altmodischen braunen Lichtschalter, doch egal, wie oft ich ihn betätigte, es passierte nichts. Entweder war die Glühbirne durchgebrannt oder die Leitungen waren verrostet. Vielleicht hatten auch die Eichhörnchen die Kabel durchgebissen. Am gegenüberliegenden Treppenabsatz sah ich einen großen Spiegel, den ich so ausrichtete, dass er das wenige Sonnenlicht des frühen Morgens reflektierte und wenigstens die ersten Stufen der auf den Dachboden führenden Treppe schwach beleuchtete. Ich fand, dass es eine recht gute Idee war, mich zumindest einmal schnell umsehen, damit ich wusste, mit wem oder was ich es zu tun hatte. Ich hasse Eichhörnchen, aber sie sind mir immer noch lieber als Ratten.

Ich zog den Teppich aus dem Flur herüber, damit er die Tür zum Speicher daran hinderte, hinter mir zuzufallen, dann betrat ich vorsichtig die ersten drei Stufen. Sie waren extrem steil und mit dickem braunen Filz belegt, wie ich ihn seit zwanzig Jahren bestimmt nirgends mehr gesehen hatte. Der Luftzug wehte mir beständig entgegen, aber es war keine frische Luft, eher wie verbrauchter Atem, so als atme der Dachboden aus.

Auf der vierten Stufe hielt ich kurz inne, um wieder zu horchen, gleichzeitig konnten sich meine Augen an den schwachen Lichtschein gewöhnen. Es überraschte mich, dass zwischen den Dachziegeln kein einziger Lichtstrahl hindurchdrang. Offenbar befand sich das Dach noch immer in gutem Zustand. Das bleiche Licht, das der Spiegel reflektierte, war keine große Hilfe, aber ich konnte immerhin einige Umrisse auf dem Dachboden ausmachen. Etwas, das aussah wie ein Sessel. Etwas, das aussah wie ein kleiner Schreibtisch. Im Winkel zwischen Fußboden und Dach etwas, bei dem es sich um einen Berg alter Kleidung handeln mochte, das aber ebenso gut ein sonderbar geformtes Möbelstück unter einem Laken sein konnte.

Es hing Trockenfäule in der Luft. Das roch ich. Aber es war auch noch ein anderer Geruch da. Ein schwacher süßlicher Geruch wie der von Gas oder von einem verwesenden Vogel, der sich in einem Kamin verfangen hatte. Ich konnte nicht sagen, was es war, aber zumindest, dass ich diesen Geruch nicht mochte. Ich beschloss, später noch einmal mit einer Taschenlampe hierher zu kommen, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Gerade wollte ich wieder nach unten gehen, als ich erneut das Scharren hörte. Es kam aus der Ecke, die am weitesten von mir entfernt und wo der Dachboden am dunkelsten war. Hier oben war das Geräusch schwerer, es hatte mehr Substanz - nicht das, was ein Eichhörnchen oder ein Vogel verursachen würde. Es ließ eher an einen großen Kater oder eine sehr große Ratte denken oder sogar an einen Hund. Allerdings konnte ich mir nicht vorstellen, wie ein Hund auf den Dachboden hätte gelangen sollen.

»Pssssssttt!«, zischte ich in die Richtung, um das Tier zu erschrecken.

Das Kratzen brach abrupt ab, jedoch nicht, um sich erschrocken und überhastet zurückzuziehen, sondern eher auf eine Weise, als wolle das Geschöpf abwarten, um herauszufinden, was ich als Nächstes machen würde. Ich lauschte intensiv, und einen Augenblick lang glaubte ich, eine raues Almen zu hören, aber das war wohl nur der Wind.

»Pssssssttt!«, wiederholte ich, diesmal noch nachdrücklicher.

Es kam keine Reaktion. Ich hatte keine Angst vor der Dunkelheit, und ich hatte auch keine große Angst vor Tieren, nicht einmal vor Ratten. Ich hatte einen Freund, der in London für Islington Council Ratten fing. Einmal hatte er mich kilometerweit durch die Kanalisation geführt und mir schmierig graue Ratten gezeigt, die durch die Fäkalien der Menschen schwammen. Ich glaube, danach gab es nichts mehr, was mir Angst einjagen konnte.

»Sie haben uns eine Woche lang im Chigwell Reservoir trainieren lassen«, hatte mein Freund gesagt, »damit wir einen menschlichen Körper sofort erkennen können.«

»Ihr braucht eine Woche Training?«, hatte ich ihn ungläubig gefragt.

Ich erklomm die letzte Stufe, machte einen großen Schritt und starrte weiter in die Dunkelheit. Am anderen Ende des I »achbodens konnte ich eine Gestalt ausmachen, aber ganz sicher war ich mir nicht.

Sie war nicht so groß wie ein erwachsener Mann, es konnte gar kein Erwachsener sein, dafür war zwischen Dach und Boden kein Platz mehr. Aber auch kein Kind, denn dafür wirkte sie zu klobig. Andererseits existierte auch keine derart große Katze.

Nein, meine Augen spielten mir sicher einen Streich. Es war vermutlich nichts Unheimlicheres als ein alter Pelzmantel, der über einem Stuhl lag. In der Dunkelheit sah ich Formen und sich bewegende Schatten, wo sich nichts befinden oder bewegen konnte. Ich sah, wie durchsichtige Kügelchen vor meinen Augen hin-und herschwirrten, Staub oder Tränen.

Ich tat noch einen Schritt. Mein Fuß stieß gegen die Kante eines harten rechteckigen Objekts - eine Truhe oder eine Kiste. Ich horchte wieder, während ich leise atmete. Obwohl ich das Gefühl hatte, dass sich etwas auf dem Dachboden befand, das mich beobachtete und darauf wartete, dass ich mich noch weiter vorwagte, kam ich zu dem Entschluss, weit genug gegangen zu sein.

Die Wahrheit war, dass ich sicher war, es sehen zu können. Etwas äußerst Finsteres, Kleines. Es bewegte sich nicht, sondern wartete angespannt, dass ich mich bewegte. Es war mir peinlich, so sicher zu sein. Die Logik sagte mir, dass es schlimmstenfalls eine Ratte sei.

Ich hatte keine Angst vor Ratten. Genauer gesagt, ich hatte keine allzu große Angst vor Ratten. Ich hatte einmal versucht, einen Horrorroman über Ratten zu lesen, der nichts weiter bewirkt hatte, als mich friedlich einschlummern zu lassen. Ratten waren nur Tiere, und sie hatten mehr Angst vor uns als wir vor ihnen.

»Pssssssttt!«, zischte ich etwas vorsichtiger und glaubte, dass es sich im gleichen Moment bewegt hatte.

»Pssssssttt!«

Keine Reaktion. Sogar der Wind schien den Atem anzuhalten. Die Luft auf dem Dachboden war wie erstarrt. Ich trat einen Schritt zurück, dann noch einen und suchte mit der Hand nach dem Treppengeländer. So gleichmäßig wie möglich zog ich mich in Richtung des schwachen Lichtscheins zurück, der vom Spiegel reflektiert wurde.

Ich bekam das Geländer zu fassen. Da hörte ich das Ding wieder rumoren. Es bewegte sich, aber nicht fort von mir. Es zog sich nicht in irgendeine dunkle Ecke zurück, so wie es Ratten tun, sondern kam auf mich zu. Es bewegte sich sehr langsam und verursachte ein Geräusch, das nach Fell und Klauen klang, aber auch noch nach etwas anderem. Etwas, das mir zum ersten Mal seit dem Tag, da ich in die Kanalisation von Islington hinabgestiegen war, wieder Angst einjagte.

»Pssssssttt! Geh weg! Husch!«, rief ich.

Ich kam mir albern vor. Was, wenn da überhaupt nichts war? Ein Berg alter Wäsche, eine Taube, die auf dem Holzboden scharrte. Und überhaupt: Was sollte es sein außer einem Vogel oder einem kleinen Nager? Eine Fledermaus? Vielleicht. Aber Fledermäuse sind ungefährlich, außer sie haben Tollwut. Und Ratten? Die interessieren sich viel mehr für ihr eigenes Überleben, anstatt jemanden anzugreifen - es sei denn, sie sind ausgehungert oder fühlen sich in höchstem Maß bedroht. Ratten sind feige, weiter nichts.

Ich stieß mit dem Rücken gegen das Geländer. So schnell wie möglich wollte ich jetzt den Dachboden verlassen. Als ich die oberste Stufe erreicht hatte, verrutschte der Teppich, der die Tür offen gehalten hatte, und die Tür fiel mit einem leisen Klicken ins Schloss. Ich stand in völliger Finsternis da.

Ich tastete mit meinem Fuß nach der nächsten Stufe, aber egal, wie weit ich ihn nach unten bewegte, ich konnte sie nicht erreichen. Die Treppe kam mir so leer wie ein Aufzugschacht vor. Obwohl ich allmählich in Panik geriet, konnte ich mich nicht dazu durchringen, den Schritt in das scheinbare Nichts zu wagen.

»Danny!«, brüllte ich. »Danny! Ich bin's, Daddy! Ich bin auf dem Speicher!«

Ich lauschte, hörte aber keine Reaktion. Danny war so müde gewesen wie ich, und normalerweise konnte ihn nichts wecken, weder schwere Gewitter noch Musik noch seine Eltern, wenn sie sich lautstark stritten.

»Danny! Ich bin auf dem Speicher! Die Tür ist zugefallen!«

Wieder keine Reaktion. Ich bewegte mich an der obersten Stufe der Treppe entlang und klammerte mich an das Geländer, das meine einzige Orientierung darstellte. Ich versuchte, meine Augen so sehr anzustrengen, wie es mir nur möglich war, aber es gab nicht das mindeste Licht auf dem Dachboden. Es war schwärzer als unter einem Berg von Bettdecken.

»Danny!«, schrie ich, hatte aber nicht die Hoffnung, dass er mich hörte. Warum, zum Teufel, konnte ich die Stufe nicht finden? Ich wusste, dass die Treppe steil war, aber nicht so steil. Ich tastete mit meinem Fuß so tief es nur ging, aber ich fand keinen Halt.

In diesem Moment hörte ich wieder das Schlurfen.

Es war jetzt wesentlich näher. Derart nah, dass ich instinktiv so weit zurückwich, wie es mir möglich war, ohne das Geländer loslassen zu müssen.

»Danny«, sagte ich mit gedämpfter Stimme. »Danny, hier ist Daddy.«

Schlurf.

Mein Herz schlug einen langen, langsamen Takt. Mein Mund war so trocken wie ein Schwamm. Zum ersten Mal seit den Tagen meiner Kindheit wusste ich nicht, was ich tun sollte. Ich glaube, es war das Gefühl der völligen Hilflosigkeit, das mir mehr Angst machte als alles andere.

Schlurf.

Dann hörte ich ein hohes kicherndes Geräusch, als würde jemand in einer fremden Sprache sprechen, die er selbst nicht sehr gut beherrschte. Es war völlig unverständlich. Es konnte ein Mensch gewesen sein, der Thai oder irgendetwas anderes sprach, aber ebenso gut das Quieken eines aufgeregten Tiers, das Blut gerochen hatte.

»Pssssssttt!«, erwiderte ich. Doch das Kichern hörte nicht auf, sondern wurde eher noch schneller und aufgeregter. Ich hatte das unerträgliche Gefühl, jeden Augenblick sterben zu müssen.

DANNY. Hatte ich das laut gesagt? Ich wusste es nicht. DANNY, HIER IST DADDY.

Dann huschte etwas an mir vorbei, etwas, das sich abscheulich, kalt und borstig anfühlte, so groß wie ein zehnjähriges Kind, aber so schwer wie eines mit Ubergewicht. Es kratzte mich mit einer Kralle in den Arm. Ich schrie laut auf, strauchelte und verlor den Halt. Ich stürzte nach hinten, schlug mit der Schulter gegen eine Kiste und hörte das Geschöpf nur Zentimeter von mir entfernt mit einem triumphierenden Zischen vorbeischlurfen.

Hih-hih-hih-hih-hih!

Ich rollte mich zur Seite, stieß mit großer Wucht irgendwo in und fiel die Treppe hinunter. Es war, als würde ich von einem dreißig Meter hohen Gebäude in die Dunkelheit stürzen. Mit meinem Fuß hatte ich die Stufen nicht finden können, aber jetzt fand ich sie - auf schmerzhafte Weise. Bis zum Fuß der Treppe erwischte ich jede einzelne Stufe - mit Kopf, Schulter, Hüfte, Ellbogen. Als ich unten ankam und mit dem Knie gegen die Tür stieß, die sich daraufhin öffnete, fühlte ich mich, als habe mich jemand mit einem Cricketschläger zusammengeschlagen.

Reflektiertes Sonnenlicht blendete mich.

Oh, Herr!«, rief ich aus.

Danny stand auf dem Treppenabsatz in seinem gestreiften Schlafanzug von Marks & Spencer und erwartete mich bereits.

Daddy!«, rief er aufgeregt. »Du bist gefallen!«

Ich lag rücklings auf dem Teppich, meine Füße befanden sich noch auf der Treppe.

»Alles in Ordnung«, beruhigte ich ihn, obwohl ich es eigentlich mehr sagte, um mich selbst zu beruhigen. »Das Licht funktioniert nicht, und ich bin gestolpert.«

Du hast geschrien«, beharrte Danny.

»Ja«, sagte ich und stand auf, um die Tür zum Dachboden zu schließen und zu verriegeln. War da ein Schlurfen zu hören, auch nur ein leichtes Kratzen?

Warum hast du gerufen?«

Ich sah ihn an, dann zuckte ich mit den Schultern. »Die Tür war zugefallen. Ich konnte nichts sehen.«

»Aber du hattest Angst.«

»Wer sagt, dass ich Angst hatte? Ich hatte keine Angst.«

Danny sah mich ernst an: »Du hattest Angst.«

Ich sah die Tür zum Dachboden länger an als nötig.

»Nein«, sagte ich schließlich. »Es ist alles in Ordnung. Es war dunkel, weiter nichts. Ich konnte bloß nichts sehen.«

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