22

Der Wind, der über die steinige Küste fegte, war kalt. Die Männer hatten ihre Roben fest um sich gewickelt. Ich saß in Decken gehüllt in einem Kapitänsstuhl, den man von der Tesephone geholt hatte. Das Thassa war grün und kalt. Der Himmel schimmerte grau. Einen Pasang vor der Küste schwangen die Rhoda und die Tesephone an den Ankerleinen.

Ich blickte zu dem Palisadenzaun hinüber, den Sarus’ Männer errichtet hatten. Das Tor ging auf, und Marlenus trat heraus, gefolgt von seinen Männern – von fünfundachtzig Kriegern aus Ar. Sie trugen Felle und waren bewaffnet. Sie führten Sarus und seine Männer heraus, die ebenso angekettet waren wie Hura und ihre Panthermädchen und wie Vernas Mädchen, die schon vor langer Zeit gefangengenommen worden waren. Zum Schluß kamen die Sklavinnen, die Marlenus von Ar aus mit auf die Reise genommen hatte.

Heute sollte das Lager aufgelöst und der Palisadenzaun zerstört werden.

Ich sah Marlenus und seinen Männern entgegen.

Vier Tage waren seit dem nächtlichen Kampf im Lager vergangen. Ich hatte fiebrig und von Schmerzen geplagt in meiner Kabine gelegen, im kleinen Heckraum der Tesephone.

Ich glaubte mich zu erinnern, daß Sheera liebevoll für mich gesorgt hatte.

»Vella!« hatte ich gerufen.

Ich befand mich in den Weißen Bergen von New Hampshire und wollte allein sein. Doch das war in der Arena Tharnas nicht möglich. Ich wehrte den schweren Schlag ab und hörte die Schreie der Frauen, Huras Mädchen. Ich griff nach dem Schwert, doch meine Hand stieß ins Nichts. Das graue Gesicht Pa-Kurs starrte mich ausdruckslos an. »Du bist tot!« rief ich ihm zu. »Du bist tot!« Dann war da das Gemurmel des Thassa, doch es war etwas anderes, nämlich das Gebrüll der Menschenmassen im Tarnstadion zu Ar. »Gladios aus Cos!« brüllten die Menschen. »Schneller, Ubar des Himmels!« rief ich. »Schneller! Schneller!« Ich drehte den Kopf zur Seite. Lara war sehr schön. Und Misk starrte mich mit seinen schimmernden scheibenförmigen Augen an. Seine goldenen Antennen mit ihrer zarten Tastbehaarung musterten mich. Ich berührte sie mit den Handflächen. »Möge Nestvertrauen zwischen uns sein!« Doch ich konnte ihn nicht erreichen. »Lobet Bosk aus Port Kar!« rief ich, und Paga schwappte aus meinem Weinkelch. »Feiert den Admiral aus Port Kar!« Doch wo war Midice? Wollte sie meinen Triumph nicht teilen? Und der kleine Torm in der blauen Robe des Schriftgelehrten hob den Kelch und prostete auf Talenas Schönheit. »Dir seien Brot, Feuer und Salz verweigert«, sagte Marlenus. »Bei Sonnenuntergang mußt du die Grenzen Ars verlassen haben!« Kamchak schlug mir auf die Schulter. »Wir wollen Tumits jagen!« Harold saß bereits im Sattel. Ich zerrte am ersten Zügel meines Tarn, und der riesige Raubvogel kreischte und sprang in den Himmel. Ich stand am Rand des Justizzylinders von Ar und starrte in die Tiefe. Pa-Kur war hinabgesprungen. Nur eine Tarnstange ragte in den Abgrund, drei Meter unter mir. Am Fuße des Zylinders wirbelte die Menge durcheinander. Die Leiche des Obersten Attentäters war nicht gefunden worden. Zweifellos war sie von den erbosten Menschen in Stücke gerissen worden. Pa-Kur war tot. Ich erinnerte mich an Elizabeth Cardwell, die jetzt – Tana hieß. An Saphrar, einen Kaufmann aus Tyros. »Pa-Kur lebt!« schrie ich und richtete mich auf. »Er lebt!«

Jemand drückte mich zurück in die Kissen. »Du mußt ruhen, Kapitän«, sagte Thurnock.

Ich sah mich in der Kabine um. »Vella?« fragte ich.

»Das Fieber ist vorbei«, sagte Sheera und legte mir die Hand auf die Stirn.

Ich schloß die Augen und schlief wieder ein.


»Sei gegrüßt, Bosk aus Port Kar«, sagte Marlenus.

Er stand vor mir, von seinen Männern umgeben. Er trug das Gelb eines Tyrers und um die Schultern einen Umhang aus Pantherfellen.

»Sei gegrüßt, Ubar aus Ar«, erwiderte ich.

Gemeinsam wandten wir uns dem Wald zu und warteten. Nach wenigen Augenblicken trat Hura zwischen den Bäumen hervor. Sie war gefesselt und stolperte über die Steine auf uns zu.

Dicht hinter ihr ging Verna, eine Gerte in der Hand.

Hura sank vor uns in die Knie.

»Ich habe diese Sklavin im Wald gefunden«, sagte Verna hochmütig.

Marlenus sah sie an, und sie erwiderte furchtlos seinen Blick. Sie hatte ihre Gefangene schon am Vortag zur Küste gebracht, sich jedoch geweigert, mit ihr in die Palisade zu kommen. Sie hatte Hura im Wald übernachten lassen.

Jetzt brachte sie sie wie eine Gleichberechtigte zu unserer Konferenz.

Auch Mira war ihrem Schicksal nicht entgangen. Sheera hatte sie vorgestern im Wald gefangen und zu meinen Männern gebracht. Ich hatte die Gefangene nun zum Strand bringen lassen, damit über ihr Schicksal entschieden wurde.

Marlenus betrachtete Hura und Mira, während ich den Blick über das Thassa wandern ließ.

Mir war entsetzlich kalt trotz der Decken. Ich konnte weder den linken Arm noch das linke Bein bewegen.

»Ich bin keine Sklavin«, sagte Verna zu Marlenus – obwohl sie noch seinen Kragen trug.

Die beiden sahen sich lange Zeit an. Sie hatte ihm das Leben gerettet, als sie den verzweifelten Angriff Sarus’ abwehrte. Und als sie dann die Möglichkeit hatte, ihn mit der Armbrust zu erschießen, hatte sie es nicht fertiggebracht. Am Tag zuvor war sie aus eigenem Antrieb mit ihrer Gefangenen Hura zur Küste zurückgekehrt.

»Nehmt dieser Frau den Sklavenkragen ab«, sagte Marlenus. »Sie ist keine Sklavin mehr.«

Als der Befehl ausgeführt war, stand Verna dem Ubar als freie Frau gegenüber.

»Nun laß auch meine Mädchen frei!« forderte sie.

Marlenus drehte sich um. »Laßt sie frei!« befahl er.

Vernas Frauen sahen sich verblüfft an.

Ich saß in meinem Kapitänsstuhl, verbittert, unfähig, mich zu rühren. Es war alles vergeblich gewesen.

Marlenus hob die Hand und berührte Vernas Wange. Eine so zärtliche Geste hatte ich bei ihm noch nicht erlebt.

»Nein«, sagte Verna und trat zurück. »Ich fürchte deine Berührung, Marlenus«, sagte sie. »Ich weiß, was du mir antun kannst, aber ich bin nicht mehr deine Sklavin.«

»Der Thron der Ubara von Ar ist leer«, sagte er.

Marlenus und Verna sahen sich an.

»Danke«, sagte sie, »Ubar.«

»Ich werde alle Vorbereitungen treffen, daß du als Ubara eingesetzt wirst.«

»Aber ich möchte nicht Ubara von Ar werden.«

Marlenus’ Männer hielten den Atem an. Auch ich war sprachlos.

Der Thron der Ubara von Ar war das höchste Ziel, das eine Frau überhaupt erreichen konnte; sie war automatisch die reichste und mächtigste Frau des Planeten – ganze Armeen und Flotten und Tarnkompanien konnten auf ihren Befehl in Bewegung gesetzt werden, die kostbarsten Schätze lagen ihr zu Füßen.

»Ich habe meine Wälder«, sagte sie schlicht.

Marlenus schwieg einen Augenblick lang und sagte dann: »Offenbar bin ich doch nicht immer siegreich.«

»Im Gegenteil«, erwiderte sie, »du bist siegreich! Denn ich liebe dich. Ich habe dich seit dem ersten Augenblick geliebt – doch ich werde nicht deinen Sklavenkragen tragen und auch nicht deinen Thron und dein Bett mit dir teilen.«

»Das verstehe ich nicht«, sagte er. Noch nie hatte ich den Ubar so gesehen – ratlos, verständnislos.

»Du verstehst mich nicht, weil ich eine Frau bin.«

Er schüttelte den Kopf.

»Das ist die wahre Freiheit«, sagte sie.

Marlenus schwieg sekundenlang und richtete sich auf. Mit einer Hand riß er sich eine Schnur vom Hals. Daran baumelte ein Ring, den er Verna zuwarf.

»Mit diesem Siegel«, sagte er, »bist du im Reiche Ar geschützt. Du hast volle Autorität; mit diesem Ring steht die Macht Ars hinter dir.«

»Ich will ihn nicht.«

»Trage ihn – für mich.«

Verna lächelte. »Dann will ich ihn nehmen.« Sie band sich den Ring mit einer Lederschnur um den Hals.

»Ich werde dich wohl nie wiedersehen«, sagte Marlenus leise.

Verna zuckte die Achseln. »Mag sein. Vielleicht aber doch. Kann ja sein, daß ich eines Tages mal nach Ar reise. Wie man hört, ist Ar eine schöne Stadt. Und vielleicht kommst du von Zeit zu Zeit wieder in die nördlichen Wälder, um zu jagen.«

»Ja«, sagte er. »Das will ich tun. Ich wünsche dir alles Gute, Frau.«

Sie lächelte. »Ich dir auch, Mann aus Ar.« Sie machte kehrt und verschwand mit ihren Panthermädchen im Wald.

Marlenus sah ihr lange nach. Dann drehte er sich um und wischte sich mit der Hand über die Augen. »Ein kalter Wind weht heute«, sagte er heiser, »und sticht mir in die Augen.« Er zuckte die Achseln. »Sie ist ja nur eine Frau. – Aber nun zu unseren anderen Geschäften.«

»Die Tyrer, die die Rhoda und die Tesephone bemannt haben«, sagte ich, »werden nach Port Kar geschafft und dort als Sklaven verkauft. Der Erlös wird unter meinen Männern geteilt, die an Bord gefangen waren.«

Marlenus deutete auf Hura, die gefesselt zwischen uns kniete. »Diese Frau soll mir gehören. Als Verna sie mir zurückbrachte, trug sie noch meinen Kragen. Dafür bekommst du eine Sklavin aus meinem Troß, die dir gehört.«

Und er deutete auf das Panthermädchen Grenna.

Ich nickte. »Da wir gerade beim Abrechnen sind«, sagte ich, »möchte ich auch noch einiges erledigen.« Und ich ließ Tina vor mich hintreten.

»Wir verdanken dir viel«, sagte ich. »Ich schenke dir dafür die Freiheit. Aber ich gebe dich in die Obhut von Turus, der sich bestimmt gern um dich kümmern wird.«

Tina stieß einen Freudenschrei aus und lief zu dem jungen Krieger, der sie mit offenen Armen erwartete.

»Und was Grenna angeht, so möchte ich sie Arn schenken, ehe er mit seinen Männern in den Wald zurückkehrt. Sie gefällt dir doch?« fragte ich den Gesetzlosen.

Arn, der bereits seine Männer um sich versammelt hatte, nickte. Auch Grenna schien nichts gegen meine Entscheidung zu haben.

»Ich habe noch eine Forderung«, sagte Marlenus aus Ar und deutete auf Mira. »Ich beanspruche diese Frau! Sie hat mich verraten.«

»Einverstanden«, sagte ich zu Marlenus. »Du sollst sie haben.«

Mira stieß einen Entsetzensschrei aus. Sie und Hura erwartete ein schweres Schicksal – als Symbole seines Sieges würde er sie mit nach Ar nehmen und sie dort alle Härten des Sklavendaseins auskosten lassen.

Ich hatte Schmerzen. Der Wind, der über den Strand wehte, war eisig kalt.

»Diese Männer«, sagte Marlenus und deutete auf Sarus und seine zehn Begleiter, »sollen nach Ar gebracht und dort öffentlich aufgespießt werden.«

»Nein«, sagte ich.

Stille trat ein.

»Es sind meine Gefangenen«, sagte ich. »Ich und meine Männer haben sie gefangengenommen.«

»Ich will sie haben«, sagte Marlenus aus Ar. »Sie sollen auf den Mauern Ars aufgespießt werden – als Antwort Ars auf das Vorgehen Chenbars aus Tyros!«

»Diese Antwort steht Ar nicht zu«, wandte ich ein. »Ich allein kann sie geben.«

Er sah mich lange schweigend an. »Also gut«, sagte er. »So sei es.«

Ich wandte mich an Sarus, der meinen Blick ratlos erwiderte. Er hatte viel durchgemacht – wie ich. Im Grunde waren wir beide die Verlierer dieses Feldzuges.

»Befreit sie«, sagte ich zu meinen Männern.

»Nein!« rief Marlenus.

Sarus und seine Männer starrten mich sprachlos an.

»Gebt ihnen die Waffen zurück«, befahl ich. »Sie sollen auch Medizin und Nahrungsmittel erhalten. Die Wanderung, die sie machen müssen, ist lang und gefährlich. Helft ihnen dabei, Bahren für ihre Verwundeten zu bauen.«

»Nein!« rief Marlenus.

Ich wandte mich an Sarus. »Folgt der Küste nach Süden«, sagte ich. »Aber nehmt euch vor den Austauschstellen in acht.«

»Ja«, sagte er.

»Nein!« rief Marlenus noch einmal.

Seine Männer brüllten ärgerlich durcheinander. Meine Gefolgsleute wurden unruhig. Schwerter wurden in den Scheiden gelockert.

Stille trat ein.

Die beiden Gruppen standen sich am Strand gegenüber. Sheera hockte neben mir. Huras Mädchen lagen gefesselt etwas abseits. Hura und Mira lagen hilflos im Sand zwischen uns. Meine Männer traten vor.

Marlenus sah sich um, blickte von einem Gesicht zum anderen.

Unsere Blicke begegneten sich.

»Befreit sie«, sagte Marlenus.

Sarus und seine Männer verloren ihre Ketten. Zwei Bahren wurden notdürftig zurechtgezimmert. Die Tyrer erhielten Vorräte und Medizin.

»Gebt Sarus sein Schwert zurück«, befahl ich.

Dies geschah, und auch die anderen Tyrer erhielten ihre Waffen ausgehändigt.

Sarus stand vor mir. »Du hast verloren, Sarus«, sagte ich.

Er sah mich an und nickte. »Wir beide haben verloren«, erwiderte er.

»Geh jetzt.«

Er machte kehrt, von seinen Männern gefolgt, von denen zwei auf Bahren getragen wurden. Wir sahen sie an der steinigen Küste im Süden verschwinden. Sie blickten nicht zurück.

»Zerstört das Lager!« befahl Marlenus.

Seine Männer traten sofort in Aktion und ließen die Balken in wirrem Haufen am Strand liegen. Dann kehrten sie zu ihrem Anführer zurück.

»Wir brechen jetzt auf«, sagte Marlenus und sah mich an. Er war wütend. »Wage es nicht, jemals wieder nach Ar zu kommen«, fügte er hinzu.

Ich schwieg. Ich wollte nicht mehr mit ihm sprechen.

Gefolgt von seinen Männern und Sklavinnen, zu denen nun auch Hura und Mira gehörten, verschwand er im Wald. Er würde in sein Lager nördlich von Laura zurückkehren, wo seine Tarns warteten.

Ich sah der Gruppe nach, bis sie verschwunden war.

Sein Kopf war verschont geblieben von dem Zeichen der Schande. Er hatte Hura und Mira errungen, zwei Panthermädchen, die ihn hatten versklaven wollen. Die Männer aus Tyros, die seinetwegen in den Wald eingedrungen waren, hatten die Expedition mit dem Leben bezahlt oder waren geschlagen. Sogar ihr Schiff war die Beute Bosks aus Port Kar geworden, der ihm geholfen hatte. Marlenus war in den Wald gezogen, um Verna gefangenzunehmen und Talena zu befreien. Das erste Ziel hatte er erreicht, hatte jedoch großzügig auf Verna verzichtet, nachdem er sie sexuell befreit hatte. Eine Geste, die eines Ubars würdig war. Was das zweite Ziel anging, so war ihm das nicht mehr wichtig, nachdem er seine Tochter verstoßen hatte. Nun war es allein seiner Entscheidung als Ubar überlassen, ob er eine ehemalige Bürgerin Ars loskaufte oder nicht.

Ich betrachtete die verstreuten Pfähle der Palisadenmauer.

»Thurnock«, sagte ich, »laß das Holz zusammentragen und damit einen großen Scheiterhaufen auftürmen.«

Sein Blick war traurig, als er mich ansah. »Aber niemand wird ihn sehen«, sagte er.

Ich wußte nicht, warum ich ein solches Feuer anzünden wollte und was die Flammen bedeuten sollten. Aber es war mir irgendwie wichtig. Ich wandte mich an Sheera, die neben mir kniete.

»Du hast dich im Lager der Tyrer vorzüglich geschlagen«, sagte ich. »Du bist frei.«

»Danke«, sagte sie. Tränen standen ihr in den Augen. Sie hatte gewußt, daß ich sie befreien würde.

»Ein Krüppel«, sagte ich, »braucht keine so schöne Sklavin mehr.«

Sie küßte meinen Arm. »Bosk aus Port Kar – ich empfinde tiefe Zuneigung dir gegenüber.«

»Möchtest du bei mir bleiben?«

Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«

Ich nickte.

»Nein, Bosk«, sagte sie hastig. »Nicht, weil du verwundet bist.«

Ich sah sie fragend an.

»Die Männer verstehen doch so wenig!« sagte sie lachend und senkte den Kopf. »Die Männer sind Toren, doch die Frauen sind noch törichter – sie zu lieben.«

»Dann bleib bei mir«, sagte ich.

»Aber es war nicht mein Name, den du im Fieber gerufen hast«, sagte sie mit erstickter Stimme.

Ich blickte über das Meer.

»Ich wünsche dir alles Gute, Bosk aus Port Kar«, sagte sie.

»Ich dir auch, Sheera«, erwiderte ich und spürte ihre Lippen an meiner Hand. Sie ging zu Thurnock, der ihr den Sklavenkragen abnahm. Marlenus hatte gesagt, der Wind steche ihm in die Augen. Jetzt stellte ich fest, daß er recht gehabt hatte.

»Rim«, sagte ich leise.

»Ja, Kapitän?«

»Du bist Kapitän der Rhoda«, sagte ich. »Bei Hochwasser lichten wir die Anker.«

»Jawohl, Kapitän.«

»Du weißt, was du tun mußt?«

»Ja. Ich werde die Tyrer, die an Bord gefangen sind, in Port Kar verkaufen.«

»Und sonst nichts?«

Er grinste. »Doch. Wir werden zuerst flußaufwärts nach Laura fahren. Dort müssen wir mit einem gewissen Hesius abrechnen, der Pagasklavinnen und präparierten Wein in unser Lager geschickt hat. Ich werde die Taverne auseinandernehmen. Seine Mädchen werden gefangen und in Port Kar verkauft.«

»Gut.«

»Und Hesius selbst?« fragte Rim.

»Seine Ersparnisse sollen unter den Armen von Laura verteilt werden. Er selbst darf nackt und arm in Laura bleiben«, sagte ich. »Er wird uns gute Dienste leisten, wenn er für ein paar Kupfermünzen immer wieder die Geschichte von der Rache der Port Karer erzählt.«

»Von nun an dürften unsere Schiffe in Laura sicher sein«, bemerkte Rim.

»Das hoffe ich.«

»Ich muß mich um die Vorbereitungen kümmern«, sagte er.

»Ja, geh deinen Pflichten nach, Kapitän«, nickte ich.

Rim, gefolgt von Cara, machte kehrt und ging zu einem Langboot.

»Der Scheiterhaufen ist bereit«, meldete Thurnock hinter mir.

Ich blickte zur Küste hinüber. Dort wartete ein gewaltiger Holzhaufen – Reihe um Reihe überkreuz gestapelter Palisadenpfähle.

»Schütte Öl darüber«, befahl ich.

»Jawohl, Kapitän.«

Ich saß oben am Strand, in Decken gehüllt, frierend. Ich blickte auf den Holzstapel. Das Feuer mußte fünfzig Pasang weit zu sehen sein.

»Bringt die Sklavin Rissia!« befahl ich. »Sie hat zu Huras Bande gehört.«

Ich hörte, wie Ilene die Sklavin zweimal mit der Peitsche antrieb, ehe das Mädchen vor mir auf dem Boden kniete.

»Diese Frau«, sagte ich zu Thurnock und deutete auf Rissia. »Blieb im Lager des Sarus zurück, als eine große Anzahl Panthermädchen vom Wein betäubt war. Sie hatte einen gespannten Bogen bei sich. Sie wollte ihre schlafenden Gefährtinnen beschützen.«

»Ich verstehe, Kapitän«, sagte Thurnock.

»Sie hätte mich umbringen können«, fuhr ich fort. »Was soll nun mit ihr geschehen?«

»Das liegt allein bei dir, Kapitän.«

»Ist ihre Tat nicht mutig zu nennen?«

»Allerdings, mein Kapitän«, sagte Thurnock.

»Befreie sie von ihren Fesseln.«

Grinsend gehorchte Thurnock.

»Meinen Dank, Kapitän«, flüsterte das Mädchen, sprang auf und verschwand mit schnellen Schritten im Wald.

»Zu mir!« sagte ich zu Ilene, die mich furchtsam ansah. »Dieses Mädchen wird an Bord der Tesephone in Ketten gelegt und zu Hause verkauft«, sagte ich zu Thurnock.

»Bitte, Herr!« flehte Ilene.

Sie wurde fortgeschleppt. Sie würde in Port Kar verkauft werden. Niemand wußte, wohin ihr neuer Herr sie führen würde – vielleicht in den Süden, nach Shendi oder Bazi, oder nach Norden, nach Torvaldsland, Scagnar oder Hunjer, oder über das Thassa nach Tabor oder Asperiche oder voskaufwärts in eine der Binnenstädte, nach Ko-ro-ba, Thentis, Tharna oder vielleicht sogar Ar. Ich blickte auf den Scheiterhaufen und wandte mich dann zur Tesephone.

»Tragt meinen Stuhl zum Langboot!« befahl ich.

Vier Seeleute wollten meinen Sitz anheben.

»Wartet!« sagte ich.

»Kapitän!« rief eine Stimme. »Ich habe zwei Frauen gefangen!«

Einer meiner Männer, der zur Bewachung des Strandes abgeteilt war, eilte herbei. Er schob zwei Mädchen vor sich her, die die Felle von Panthermädchen trugen. Ich kannte sie nicht.

»Die beiden haben uns bespitzelt«, sagte er.

»Nein«, sagte die eine. »Wir haben nur Verna gesucht!«

Und da wußte ich, wer die beiden Mädchen waren.

»Sprecht«, sagte ich.

»Wir standen in Vernas Diensten«, sagte die eine der beiden, »doch wir gehören nicht zu ihrer Bande.«

»Ihr hattet die Aufgabe, eine Sklavin zu bewachen?«

Sie sahen mich verblüfft an. »Ja.«

»Diese Sklavin war die Tochter des Marlenus?«

»Ja.«

»Wo ist sie?« wollte ich wissen.

»Als Marlenus sie verstieß und sie keinen Wert mehr für uns hatte, gab uns Verna durch Mira den Befehl, sie zu verkaufen.«

»Und für wieviel wurde sie verkauft?« fragte ich.

»Für zehn Goldstücke.«

»Ein stolzer Preis für ein Mädchen ohne Kaste oder Familie«, bemerkte ich.

»Sie ist sehr schön.«

Das andere Mädchen sah mich an. »Hätte der Kapitän sie haben wollen?«

Ich lächelte. »Vielleicht hätte ich sie gekauft.«

»Das wußten wir nicht! Bitte bestrafe uns nicht dafür!«

»Habt ihr noch das Geld?« fragte ich.

»In meinem Beutel!«

Ich gab Thurnock ein Zeichen, der mir die Börse reichte. Mit der rechten Hand zählte ich die zehn Goldstücke und umschloß sie mit den Fingern. So nahe war ich Talena seit vielen Jahren nicht mehr gewesen. Dann warf ich die Münzen vor den beiden Frauen in den Sand. »Befreie sie«, sagte ich zu Thurnock. »Laß sie gehen.«

Sie sahen mich verblüfft an.

»Sucht Verna und gebt ihr die Münzen. Sie gehören ihr. Sie soll wissen, daß die Frau einen guten Preis gebracht hat.«

Die Mädchen nickten eifrig und wandten sich zum Gehen.

»An wen habt ihr die Sklavin verkauft?«

»An das erste Schiff, das vorbeikam.«

»Und wie hieß der Kapitän?«

Sie sah mich an. »Samos«, erwiderte sie dann. »Samos aus Port Kar.«

Ich gab ihnen ein Zeichen zu verschwinden.

»Hebt meinen Stuhl an«, sagte ich zu den Seeleuten. »Ich möchte an Bord der Tesephone zurück.«


Am gleichen Abend saß ich am Heck der Tesephone und blickte nach Nordosten.

Der Himmel im Nordosten war gerötet. An der Westküste des Thassa nördlich von Lydius brannte ein gewaltiges Feuer und kennzeichnete eine Stelle am Strand, wo es einmal ein Palisadenlager gegeben hatte, wo Männer gekämpft hatten und gestorben waren.

Wir hatten Öl, Wein und Salz für die Götter ins Meer geschüttet und waren nun auf dem Weg nach Port Kar. Doch vor unserer Abfahrt hatten wir den Holzstapel angezündet, dessen lodernden Feuerschein ich noch immer sehen konnte. Ich nahm nicht an, daß ich den Anblick so schnell vergessen würde.

Bosk aus Port Kar war kühn in die nördlichen Wälder vorgedrungen. Wie ein verwundeter Larl kehrte er nun in seinen Bau zurück. Er betrachtete den Lichtpunkt eines Signalfeuers an der Küste, das bald zu Asche verbrannt sein würde.

In Port Kar wollte ich Talena nicht sehen, sondern sie sofort nach Ar bringen lassen.

Mir war kalt. Ich spürte die linke Seite meines Körpers nicht mehr.

»Günstiger Wind kommt auf, Kapitän«, sagte Thurnock.

Ich nickte vor mich hin. Das Tarnsegel der Tesephone flatterte. Und ich fragte mich, ob Pa-Kur, der Anführer der Kaste der Attentäter, noch lebte. Ich hielt es nicht für unmöglich.

Hinter mir quietschte das Steuerruder.

In meinen Fieberträumen hatte ich den Namen Vellas gerufen. Mir war dies unverständlich, denn ich empfand nichts mehr für dieses Mädchen. Sie hatte sich meinem Willen widersetzt, indem sie aus dem Sardargebirge geflohen war, während ich sie zur Erde zurückbringen wollte.

Eine mutige Tat, ein Wagnis, bei dem sie verloren hatte. Nun war sie eine Sklavin in der Taverne des Sapedon in Lydius.

Sie hatte mich angefleht, sie zu kaufen. Sie hatte gefleht wie eine Sklavin. Sie war eine Sklavin und sollte Sklavin bleiben!

Ich wußte nicht, warum ich ihren Namen gerufen hatte.

Meine Faust ballte sich auf der Lehne des Kapitänsstuhls.

Wieder blickte ich zu dem Signalfeuer hinüber. Eine Ahn lang hatte ich an jenem Ort meine Ehre zurückgewonnen – und das Feuer mochte eine vergängliche Erinnerung daran sein.

»Thurnock!« rief ich. »Hol Männer! Mir ist kalt! Tragt mich in meine Kabine!«

»Jawohl, Kapitän«, sagte der große Mann.

Am nächsten Morgen war am Strand bestimmt nur noch Asche übrig, die bald vom Regen verwaschen und vom Wind verweht sein würde.

Als mein Stuhl angehoben wurde, blickte ich noch einmal nach Nordosten. Ich wußte nicht genau, warum ich das Feuer entzündet hatte – doch es war mir irgendwie wichtig vorgekommen.

»Bringt mich in meine Kabine«, befahl ich müde.

»Ein günstiger Wind«, sagte einer der Seeleute, als sich die Kabinentür schloß.

»Ja«, erwiderte Thurnock, »ein günstiger Wind.«

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