21

Sarus hatte als einziger seine Waffe nicht in den Sand geworfen. Schweratmend starrte er uns an, und ich ließ ihn nicht aus den Augen.

Tina eilte durch das Tor herein, dichtauf gefolgt von dem jungen Turus, dem Mann mit dem Amethystarmband, der sich ihrer angenommen hatte.

»Du warst großartig«, sagte ich zu ihr.

Während sich Hura und ihre Mädchen niedergeschlagen in eine Ecke drängten, von meinen Männern bewacht, traten Marlenus, Rim, Arn und die Männer aus Ar in ihren Fesseln vor. Strahlend musterten sie die Tyrer.

»Gut gemacht, Tarl Cabot!« sagte Marlenus grinsend. »Das war ein Meisterstück.«

»Ich bin Bosk aus Port Kar«, flüsterte ich. Mir war nicht gut. Ich hatte viel Blut verloren. Meine Tunika war mit Blut getränkt.

»Ich mußte es tun!« schluchzte Tina plötzlich. Ich sah ihr überrascht nach, wie sie sich von Turus löste und vor Sarus hinkniete, der noch immer mit erhobenem Schwert am Feuer stand. »Mir blieb nichts anderes übrig!« Sie sprang auf und umarmte ihn weinend. Ich begriff nicht, was das sollte.

Sarus stieß sie ärgerlich zur Seite.

»Gib mir deine Waffe!« sagte ich. Er sah mich schwanken. Innerhalb einer Ahn hatte er eine entsetzliche Niederlage hinnehmen müssen. Er hatte vor seinem Ubar versagt, vor Chenbar aus Tyros, der auch Meeressleen genannt wurde.

Mit einem lauten Schrei riß er das Schwert hoch und stürzte sich auf Marlenus, den Ubar aller Ubars.

Doch ehe er zuschlagen konnte, hatte sich Verna mit erhobener Armbrust vor ihn gestellt. Im nächsten Augenblick riß ich Sarus das Schwert aus der Hand.

Thurnock schob ihn zu den anderen gefangenen Tyrern.

»Gut gemacht, Sklavin!« sagte Marlenus aus Ar.

Doch Verna antwortete nicht, sondern wandte sich ihm zu. Die Armbrust war nun auf Marlenus’ Herz gerichtet.

Der Ubar starrte sie an. Er rührte sich nicht. »Ich gebe dir nicht die Freiheit«, sagte er. »Ich bin Marlenus aus Ar.«

Schweigend reichte Verna die Armbrust an einen neben ihr stehenden Mann weiter. Sie sah Marlenus an. »Ich kann dich nicht töten.«

Marlenus stand einen Augenblick lang reglos im Licht der Fackeln. Dann warf er den Kopf in den Nacken und lachte. Seine Haare waren unberührt; sie offenbarten nicht das Schmachzeichen der Panthermädchen.

Bleibst du immer siegreich? fragte ich mich wieder einmal. Ich hatte ihn befreit, einen Mann, den ich beneidete, den ich in mancher Beziehung haßte. Für ihn hatte ich mein Leben riskiert.

Sarus und ich hatten versagt. Nur Marlenus war siegreich geblieben.

»Sarus«, sagte ich, »gib mir die Schlüssel zu den Ketten des Ubar und der anderen.«

Sarus griff in seinen Gürtelbeutel. »Er ist fort!« sagte er verblüfft.

»Ich habe ihn!« rief Tina. Gelächter brandete auf. Ich erinnerte mich daran, wie sie sich vorhin Sarus an den Hals geworfen hatte; sie mußte ihm dabei den Schlüssel abgenommen haben.

»So ähnlich hat sie auf dem Schiff gearbeitet«, sagte Thurnock grinsend. »Mühelos konnten wir uns befreien und die Mannschaften der beiden Schiffe in die Laderäume stecken!«

»Nimm mir die Fesseln ab!« sagte Marlenus zu mir.

Ich lachte und reichte Thurnock den Schlüssel. »Befreie den Ubar«, sagte ich.

Thurnock öffnete eilig die Schlösser der Handfesseln und des schweren Halskragens.

Ich nahm Thurnock den Schlüssel ab und befreite Rim und Arn von ihren Ketten.

Marlenus sah mich unfreundlich an. »Du solltest Ar auch künftig meiden«, sagte er.

»Ich komme nach Ar, wenn es mir gefällt«, erwiderte ich kalt.

»Die Frauen!« rief plötzlich jemand. »Sie fliehen!«

Hura und ihre Mädchen hatten sich heimlich zum geöffneten Palisadentor geschlichen und eilten in die Dunkelheit davon.

»Ihnen nach!« brüllte Thurnock, aber gleichzeitig hörten wir aus der Richtung des Waldes die überraschten Schreie der Mädchen und das Lachen von Männern.

»Haltet die Waffen bereit!« brüllte Marlenus.

Doch ich steckte meine Klinge ein.

Wenige Sekunden später erschienen Männer am Tor der Palisade. Es handelte sich um die Gefolgsleute Marlenus’, die von Sarus im Wald zurückgelassen worden waren. Die Panthermädchen waren ihnen auf ihrer Flucht direkt in die Arme gelaufen.

In diesem Augenblick erschien Cara zwischen den Männern und warf sich Rim an den Hals. Cara hatte die Werkzeuge, die ich von der Rhoda gestohlen hatte – einen schweren Hammer und einen Meißel – in den Wald gebracht. Dabei war sie der Spur der Tyrer gefolgt und hatte nach vielen Stunden den Ort gefunden, wo Sarus zahlreiche Männer des Marlenus und auch einige meiner Gefolgsleute angekettet hatte. Dort war sie auch Vinca, Ilene und den beiden anderen Pagasklavinnen mit meinen gefangenen Pantherfrauen begegnet. Vinca und ihre Mädchen hatten mehrere Feuer um die Männer angezündet, um sie vor Tieren zu schützen, und hatten sich darangemacht, die Fesseln eines besonders kräftigen Mannes aus Ar zu lösen, der weitere Fesseln aufstemmen konnte. Der ganze Vorgang mußte viele Ahn gedauert haben.

Der Anführer der Gruppe hob grüßend die Hand vor Marlenus, der die Geste erwiderte.

Ich sah mich um und musterte die Panthermädchen, die nun gefesselt vor dem Feuer standen.

»Zwei fehlen«, sagte ich zu Thurnock. »Hura und Mira sind nicht unter den Gefangenen.«

»Ich will Hura haben!« brüllte Marlenus. »Sucht sie!«

Seine Männer eilten davon.

Doch ich glaubte nicht, daß sie Erfolg haben würden. Hura und Mira waren Panthermädchen. Im Wald war ihnen nicht beizukommen.

Nach einer halben Ahn kehrten die Männer unverrichteter Dinge zurück. Es war sinnlos, die Verfolgung fortzusetzen. Die beiden Frauen waren entwischt.

Kurz darauf stellte ich fest, daß auch Verna und Sheera fehlten. Ich war wütend. Doch mein Blutverlust war so groß, daß ich mich kaum noch auf den Beinen halten konnte. In dem Durcheinander hatte ich nicht mehr auf sie geachtet.

»Wo ist Verna?« brüllte Marlenus.

»Bring mich zur Tesephone«, sagte ich leise zu Thurnock. »Ich bin sehr müde.«

»Wo ist Verna, Bosk aus Port Kar!« fragte Marlenus herausfordernd.

»Ich weiß es nicht«, erwiderte ich und wandte mich ab. Ich wollte nur noch ruhen.

»Bringt Paga und Vorräte von den Schiffen!« befahl Marlenus.

Thurnock sah mich an.

»Ja«, sagte ich, »gib ihm, was er will.«

»Es wird für alles bezahlt«, rief Marlenus.

Thurnock half mir zum Wasser. Sarus’ Signalfeuer war niedergebrannt.

»Wir feiern ein Fest!« hörte ich Marlenus brüllen. »Nehmt den Sklavinnen die Fesseln ab! Sie sollen bedienen!«

»Komm, Kapitän«, sagte Thurnock.

Acht meiner Leute schoben das Langboot ins Wasser, wateten hinterher und schwangen sich hinein. Auch Thurnock kletterte hinein, beugte sich herunter und half mir an Bord.

Hinter mir hörte ich lauten Gesang – Ruhmeslieder auf Ar und auf den Ubar aller Ubars, auf Marlenus.

Meine Wunden brannten von dem Salzwasser. Ich konnte mich kaum noch bewegen. Eine seltsame Wärme breitete sich in meinem Körper aus, die ich willkommen hieß. Mir war alles egal.

Ich schüttelte den Kopf. Vor mir sah ich die Lichter der Rhoda und der Tesephone.

Ich hatte meine Ehre wiederhergestellt. Ich lachte bitter. Was hatte mir das genützt? Marlenus gehörte der Sieg – nicht mir. Ich hatte nur schmerzhafte Wunden davongetragen. Auch mein Bein begann sich nun steif anzufühlen.

»Kapitän?« fragte Thurnock entsetzt.

Ich sank über dem Steuerruder zusammen.

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