16

Mira, die Stellvertreterin Huras, rollte auf die Seite. Sie schlief fest.

Der Marsch der Tyrer durch den Wald war zu einer Flucht ausgeartet. Noch ehe ich am Morgen die Kolonne erreichte, hatte ich fortgeworfene Lasten im Unterholz entdeckt. Ich hatte auch die Ketten und Fußeisen der männlichen Gefangenen gefunden. Ihnen waren die Fesseln abgenommen worden, damit die ganze Gruppe schneller vorankam. Das bedeutete, daß die Sklaven nur noch mit einer Halskette verbunden waren – und natürlich gefesselte Handgelenke hatten.

Meine nächste Aktion war erforderlich, um den Vormarsch der Tyrer wieder etwas zu bremsen.

Acht Tyrer, die an der Spitze der Kolonne marschierten, schoß ich aus dem Hinterhalt nieder.

Die Tyrer hatten keinen Flankenschutz mehr ausgeschickt, und eine Vorhut gab es schon gar nicht mehr. Die Panthermädchen hatten offenbar Angst, die Kolonne zu verlassen, und die Tyrer kannten sich im Wald nicht aus.

Ich hatte heftige Wortwechsel mitbekommen.

Zwischen den Zähnen hielt ich nun zwei Lederschnüre, und meine rechte Hand umklammerte ein dickes Stück Fell. Um mein rechtes Handgelenk war ein breiter Streifen Pantherleder, den ich in der Mitte zusammengedreht hatte, so befestigt, daß es herabfallen mußte, wenn ich die Hand senkte.

Die Tyrer wie auch Huras Mädchen hatten keine Ahnung, wer sie da bedrohte oder wie viele Angreifer sich im Walde verbergen mochten. Der Mann mit dem Brandeisen, den ich auf der großen Lichtung als ersten niedergestreckt hatte, war dem großen Pfeil eines Langbogens zum Opfer gefallen. Bei allen anderen hatte ich Pfeile der Panthermädchen verwendet.

Mira hatte zuerst Verna und dann Marlenus aus Ar verraten. Es sollte nicht der letzte Verrat gewesen sein, den sie beging.

Ich näherte mich ihr äußerst vorsichtig und behutsam, denn sie lag zwischen anderen Mädchen.

Nachdem ich die acht Männer an der Spitze der Kolonne beseitigt hatte, war ich in den Wald zurückgekehrt, wo ich eine Ahn lang schlief. Erfrischt war ich zu meinen Gegnern zurückgekehrt. Die Gruppe war wieder in Bewegung. Nun tötete ich Männer nach Belieben – besonders jene, die sich damit hervortaten, die Sklaven mit Peitschen zur Eile anzutreiben.

Bald wagte es niemand mehr, eine Peitsche zur Hand zu nehmen. Die Männer aus Ar begannen unter Marlenus’ Führung zu singen – ein Lied über das herrliche Ar. Sie marschierten so schnell oder so langsam, wie sie wollten, die Köpfe erhoben, voller Stolz. Wütend verlangten die Tyrer, sie sollten den Mund halten oder sie würden geknebelt, doch sie kümmerten sich nicht darum.

Auch die Panthermädchen begannen sich vorzusehen. Die Aufseherinnen über die weiblichen Gefangenen machten von ihren Peitschen viel weniger Gebrauch.

Und Verna hatte Mut geschöpft. Ich bewunderte sie. Man hatte ihr die Ohren durchstoßen, was auf Gor die höchste Erniedrigung für eine Frau darstellt. Doch sie trug den Kopf hoch und sah stolz und furchtlos in die Runde. Ein herrlicher Anblick, eine Frau, die zum vollen Bewußtsein ihrer Fraulichkeit herangereift war.

Die Panthermädchen aus Huras Gruppe sahen sich immer wieder ängstlich um. Sie wollten so schnell wie möglich aus dem Wald heraus, um der unbekannten Gefahr zu entgehen. Bis jetzt hatten die Pfeile noch niemanden aus ihrem Kreis getroffen, doch das schien sie nicht zu beruhigen. Sie ahnten, daß ihnen ein anderes Schicksal bevorstand.

Wieder regte sich Mira auf ihrem Lager und drehte sich um. Den Kopf hatte sie auf einen Arm gelegt. Das blonde Haar war ungebunden. Sie trug auch nachts ihr Pantherfell. Ein Bein hatte sie angewinkelt.

Es hatte nur wenige Feuerstellen im Lager gegeben. Die Tyrer und die Panthermädchen fürchteten das Licht. Nur zwei Wachen waren postiert, und zwar ziemlich dicht am Lager. Ich war zwischen ihnen hindurchgeschlichen, sie hatten nichts bemerkt.

Während des Tages hatte ich noch öfter aus dem Hinterhalt zugeschlagen. Immer wieder hatten die Panthermädchen und die Männer mit ihren Armbrüsten sinnlos in den Wald geschossen. Doch ihre Pfeile fanden kein Ziel. Mit dem Mut der Verzweiflung stürmten schließlich fünfzehn Tyrer in den Wald, um mich zu erlegen. Doch sie waren ungeschickt und brachen wie eine Boskherde durch das Unterholz. Von den Männern kehrte keiner zur Kolonne zurück.

Alles in allem hatte ich meinen Langbogen einundvierzigmal gespannt, und einundvierzig Tyrer säumten nun den Weg durch den Wald, eine leichte Beute für die Sleen.

Ich lag hinter Mira in der Dunkelheit. Sie hatte mir den Rücken zugewandt. Sie lag auf der rechten Seite, den Kopf auf den rechten Arm gestützt. Sie rührte sich im Schlaf. Sie war unruhig. Geduldig wartete ich ab.

Sie wälzte sich wieder auf den Rücken und streckte die Beine aus. Ihr Kopf rollte hin und her. Dann lag sie still. Schon gehörte sie mir.

Ich warf mich über sie und drückte sie am Boden fest, so daß sie sich nicht mehr bewegen konnte.

Verblüfft riß sie die Augen auf und sah mich. In einer Reflexbewegung öffnete sie entsetzt den Mund. Ich stopfte das Fellstück tief hinein, so daß sie keinen Laut mehr herausbrachte. Während meine rechte Hand noch den Knebel festdrückte, fiel die Lederschlinge von meiner linken Hand über ihr Gesicht. Schnell stieß ich ihr das verdrehte Stück zwischen die Zähne und band das Leder mit einem Kriegerknoten in ihrem Nacken fest. So konnte der Knebel nicht mehr verrutschen. Schließlich drehte ich das Mädchen auf den Bauch, fesselte ihr die Handgelenke auf dem Rücken und band ihre Fußgelenke zusammen.

»Keine Gegenwehr«, sagte ich.

Sie spürte die Klinge am Hals. Mit weit aufgerissenen Augen nickte sie. Sie hatte begriffen.


»Weißt du jetzt, was du tun sollst?« fragte Vinca.

»Das kann ich nicht!« schluchzte Mira. »Ich bringe es nicht fertig!« Tränen rannen unter der Augenbinde hervor, die ich ihr umgelegt hatte, ehe ich sie auf diese Lichtung führte.

Sie konnte ihre Gesprächspartnerin nicht sehen. Sie wußte nur, daß sie gefesselt vor einem Mädchen kniete, dessen kompromißlose Strenge und hochmütiger Tonfall nur zu dem Schluß führen konnten, daß sie eine bedeutende Gruppe Panthermädchen kommandiere.

Auch bewegten sich links und rechts von ihr die beiden anderen Pagasklavinnen aus Vincas Gruppe. Ilene war bei unseren Gefangenen geblieben. Mira wußte nicht, wie viele Mädchen dem Verhör wirklich beiwohnten oder ob die Anwesenden nur die Abordnung einer größeren Bande waren. Ja, sie wußte nur, daß sie von einer Frau streng behandelt wurde und daß sich andere in der Nähe befanden.

Vinca, die rothaarige Pagasklavin, leistete gute Arbeit. Von Zeit zu Zeit schlug sie unerwartet mit ihrer Gerte zu. Mira wußte nie, wann der nächste Schlag zu erwarten war, so daß die Wirkung dieser Züchtigung nicht ausblieb. Sie weinte und zuckte oft schon vor Schlägen zurück, die noch gar nicht gefallen waren.

»Bitte schlag mich nicht mehr«, schluchzte Mira.

»Also gut«, erwiderte Vinca.

Mira zitterte am ganzen Leibe. Es würde nicht mehr lange dauern, bis ihr Widerstand gebrochen war.

»Begreifst du, was du tun sollst?« wiederholte Vinca.

»Das kann ich nicht!« schluchzte Mira. »Es ist zu gefährlich! Wenn ich erwischt werde, bringen mich die anderen um! Ich kann es nicht tun!«

Ich gab Vinca ein Zeichen.

Stille trat ein.

Mira hob ungläubig den Kopf. »Seid ihr mit mir fertig?« fragte sie.

»Ja«, erwiderte Vinca.

Erleichtert ließ Mira den Kopf sinken.

»Was werdet ihr mit mir tun?«

»Das wirst du gleich merken«, entgegnete Vinca und gab den anderen Pagasklavinnen ein Zeichen. Sie lösten Miras Fußfesseln und zerrten das Mädchen hoch. An den Armen führten sie Mira, die noch immer die Binde vor den Augen hatte, zu einer vorher vereinbarten Stelle, wo wir vier kleine Pflöcke in den Boden getrieben hatten.

Lautlos folgte ich der Prozession.

Mira wurde auf den Boden gelegt und an den vier Pflöcken festgemacht.

»Was macht ihr mit mir?« fragte sie.

»Du nützt uns nichts mehr«, sagte Vinca. »Wir werfen dich den Sleen zum Fraß vor!«

»Nein! Nein!« schrie Mira.

Der letzte Knoten wurde festgemacht. Mira bäumte sich auf.

Ich reichte Vinca mein Sleenmesser. Mira spürte die Klinge an ihrem Schenkel. »Nein!« kreischte sie.

Vinca gab mir die Klinge zurück. Ich säuberte das Messer und steckte es wieder in die Scheide.

Mira spürte, wie die kräftige Hand einer Frau das Blut aus der Schenkelwunde rieb und auf ihrem Körper verteilte.

»Bitte!« flehte sie.

»Überlaßt sie den Sleen!« sagte Vinca.

»Ihr könnt über mich verfügen!« kreischte Mira. »Ich will alles für euch tun. Alles!«

»Zu spät!« sagte Vinca.

»Ich will euch dienen!« flehte Mira. »Ich will euch dienen!«

»Zu spät«, wiederholte Vinca. »Knebelt sie!«

Wieder stieß ich das Fell in Miras Mund und band es fest. Dann zogen wir uns zurück und ließen die Sklavin Mira hilflos zwischen den Pflöcken liegen.

Wir warteten.

Wie vermutet dauerte es nicht lange, bis ein Waldsleen die Witterung des frischen Blutes aufnahm, mit dem wir Miras Körper beschmiert hatten.

Aber der Sleen ist ein vorsichtiges Tier. Er umkreiste mehrmals seine Beute. Ich roch das Wesen, dessen Geruch sicher auch von den anderen wahrgenommen wurde – bestimmt auch von Mira.

Sie schien zwischen den Pflöcken erstarrt zu sein. Dabei verhielt sie sich instinktiv richtig, denn jede Bewegung kann den Angriff eines solchen Raubtiers auslösen.

Der Sleen kratzte im Gras herum und fauchte und knurrte leise. Doch seine Beute bewegte sich nicht. Das Raubtier schlich näher heran. Ich hörte es schnüffeln.

Dann hatte es das Mädchen erreicht, stieß mit der Schnauze gegen den Körper und begann das Blut abzulecken.

Ich entfernte von einem meiner Temholzpfeile die Spitze. Den stumpfen Pfeil schoß ich dem Sleen gegen die Schnauze. Verblüfft knurrte das Tier und sprang zurück.

Im nächsten Augenblick näherten sich Vincas Pagasklavinnen und zerrten einen toten Tabuk hinter sich her. Ich hatte das Tier erlegt, ehe ich Mira aus dem Lager entführte. Die Mädchen warfen den Tierkörper auf die Lichtung.

Nach lautem Fauchen und Schnauben packte der Sleen den Tabuk und verschwand damit im Unterholz.

Ich suchte meinen Pfeil, setzte die Stahlspitze wieder auf und steckte ihn in den Köcher zurück.

Vinca und ihre Mädchen öffneten nun Miras Fesseln und zogen ihr den Knebel aus dem Mund. Ohne ihr die Augenbinde abzunehmen, zerrten sie sie hoch.

»Du weißt, was du tun mußt, Sklavin?« fragte Vinca.

Wortlos nickte Mira. Sie schien einen Schock erlitten zu haben. Sie sollte Huras Panthermädchen verraten. In meinem Lager hatte ich mehrere Flaschen Wein, die ursprünglich aus Vernas Lager stammten; in diesem Wein befand sich ein starkes Schlafmittel. Ich erwartete nicht, daß alle Panthermädchen der Bande davon tranken, doch wenn ich den Tyrern weitere Verbündete nehmen konnte, war das nur zu meinem Vorteil.

»Morgen abend«, sagte Vinca, »sollst du möglichst vielen Panthermädchen Wein servieren – diesen Wein.«

Mira kniete mit gesenktem Kopf vor ihr. »Jawohl, Herrin«, flüsterte sie.

Vinca griff ihr ins Haar und schüttelte ihren Kopf. »Wir können dich jederzeit wieder aufgreifen«, sagte sie. »Verstehst du das?«

Niedergeschlagen nickte Mira.

»Bringt das Fell, damit wir sie wieder als Panthermädchen zurechtmachen können.«


Als wir wieder in der Nähe des Lagers waren, nahm ich Mira die Binde ab. Sie sah mich niedergeschlagen an. Um ihren Hals hingen die Weinflaschen. In ihren Augen stand die Angst vor dem Sleen.

»Ich zeige dir, wo eure Wächterinnen stehen«, sagte ich. »Du bist sicher geschickt genug, um unbemerkt an deine Lagerstatt zurückzukehren.«

Sie nickte. In ihren Augen schimmerten Tränen.

Ich nahm sie am Arm und zeigte ihr wortlos die Positionen der beiden Panthermädchen, die die Wache übernommen hatten. Sie nickte. Anschließend kehrten wir an eine Stelle zurück, von der aus sie gefahrlos ins Lager zurückschleichen konnte.


»Hörst du mich?« rief der Tyrer. »Hörst du mich?«

Natürlich gab ich keine Antwort.

»Wenn noch ein Tyrer fällt!« rief er, »sterben dafür zehn Sklaven.«

Kaum waren die Worte über seine Lippen, als er selbst zu Boden sank. Ein Pfeil des Langbogens ragte aus seiner Brust.

Ich ging nicht auf die Bedingungen der Tyrer ein.

»Dann sterbt, Sklaven!« rief ein Mann und hob das Schwert.

Doch er schlug nicht zu. Mein Langbogen ließ es nicht zu. Als sich die Kolonne später wieder in Bewegung setzte, stiegen die Sklaven und Panthermädchen über seine Leiche. Von der Drohung, Sklaven zu töten, war keine Rede mehr. Niemand wollte den ersten Schlag tun. Sarus, der Anführer der Tyrer, gab mehreren Männern den Befehl, doch niemand wollte sterben.

»Töte sie doch selbst!« rief schließlich einer seiner Untergebenen.

Sarus durchbohrte den Mann mit seinem Schwert – doch dann machte er keine Anstalten, gegen die Sklaven vorzugehen. Vielmehr starrte er wütend und ängstlich in den Wald und wandte sich ab. »Schneller!« rief er. »Sie sollen schneller marschieren.«

Die Kolonne kam in Bewegung.

Wieder stimmte Marlenus ein Lied an, in das seine Männer einfielen. Der Gesang hallte laut durch den Wald.

Nach der zehnten Ahn, der goreanischen Mittagsstunde, hielt ich mich zurück, denn ich wollte, daß die Tyrer neue Hoffnung schöpften. Am Vormittag hatte ich neunzehn Männer getötet, so daß dieser Morgen für meine Gegner wohl der düsterste und hoffnungsloseste gewesen war. Dagegen sollte der Nachmittag eine Zeit wachsender Hoffnung sein, denn am ganzen Nachmittag und Abend sirrten keine Pfeile mehr aus dem Nichts heran.

Sie sollten glauben, ich hätte die Verfolgung aufgegeben, wäre des Spiels überdrüssig geworden.

An diesem Tag marschierten die Tyrer sehr lange, um eine möglichst große Strecke zurückzulegen. Als sie ihr Lager aufschlugen, war es schon spät.

Die Männer waren gut gelaunt, und es herrschte sogar eine Art Feststimmung. Ich beobachtete, wie meine Sklavin Mira herumwanderte und vielen Panthermädchen Huras Wein einschenkte.

Es war spät. In vier Ahn setzte bereits die Dämmerung ein. Das Schlafmittel war stark. Es war für Männer gedacht, nicht für die schwächeren Organismen von Frauen, so daß ich nicht wußte, wie lange die Wirkung des Mittels anhielt. Mira hatte uns während des Verhörs verraten, daß es einen Mann mehrere Ahn lang bewußtlos machte.

Mein Lager befand sich – und das wußten die Tyrer und Huras Mädchen nicht – nur knapp zwei Pasang entfernt.

Vielleicht war es nötig, einige Mädchen gewaltsam aus ihrem Betäubungsschlaf zu wecken; schließlich wollten wir nicht zuviel Zeit verlieren.

Mit dem Gedanken an etwas Schlaf zog ich mich aus der Nähe des feindlichen Lagers zurück.

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