11

Im Lager des Marlenus, das sich einige Pasang nördlich von Laura befand, speiste ich mit dem großen Ubar.

Sein Jagdzelt, das acht große Masten hatte, war an den Seiten offen. Wir saßen uns mit untergeschlagenen Beinen an einem niedrigen Tisch gegenüber. Ich sah Marlenus’ Leute, die an ihren Feuern saßen. Da und dort waren Kisten aufgestapelt und mit Planen abgedeckt, und an zahlreichen Gestellen trockneten die Häute erlegter Tiere. Marlenus hatte zwei Sleen und vier Panther lebendig gefangen; diese Tiere waren in stabilen Holzkäfigen untergebracht.

»Wein«, befahl Marlenus.

Ein hübsches Sklavenmädchen bediente ihn.

»Hast du Lust auf ein Spiel?« fragte Marlenus und deutete auf ein Spielbrett.

»Nein.« Ich war nicht in der Stimmung dazu.

Ich hatte schon mehrmals gegen Marlenus gespielt. Sein Angriff war stets kühn, manchmal tollkühn. Auch ich war ein aggressiver Spieler, geriet jedoch bei Marlenus stets sofort in die Defensive. Gegen ihn mußte man konservativ und abwartend spielen und auf eine kleine Fehlkalkulation, einen kleinen Fehler warten. Aber so etwas trat selten ein, denn Marlenus war ein hervorragender Spieler. Doch er hatte auf dem Spielbrett nicht ganz nach Belieben mit mir umspringen können. Im vergangenen Jahr hatte ich mich in Port Kar viel mit dem Spiel beschäftigt. Ich hatte ständig gegen überlegene Spieler gespielt, gegen die ich mit der Zeit immer stärker wurde. Außerdem hatte ich die Partien von Meisterspielern studiert, besonders die des jungen hübschen Scormus aus Ar und des älteren und fast legendären Meisters von Cos, eines gewissen Centius.

»Also gut«, sagte Marlenus. »Dann spielen wir jetzt nicht.«

Ich hielt der Sklavin meine Weinschale hin, die sofort gefüllt wurde.

»Wann reist du nach Norden zu der Austauschstelle?« fragte ich.

Marlenus hielt sich nun seit fünf Tagen in seinem Lager auf, war aber nur auf Jagd gewesen. Er hatte keine Anstrengung unternommen, die Austauschstelle zu suchen, in deren Nähe Talena gefangengehalten wurde. Der Ort mußte sich jenseits der Wälder im Westen befinden, nördlich von Lydius an der Küste des Thassa.

»Ich bin mit der Jagd noch nicht fertig«, sagte Marlenus. Er hatte es nicht eilig, Talena zu befreien.

»Eine Bürgerin Ars ist versklavt«, sagte ich.

»Sklaven interessieren mich wenig. Ich bin kein Sklavenhändler. Außerdem ist sie keine Bürgerin Ars mehr.«

»Aber sie ist Talena.«

»Ich kenne keine Person dieses Namens.«

»Aber sicher hast du doch Mitleid mit einer Sklavin, wie unwert sie auch sein mag, die einmal Bürgerin Ars war.«

»Ich werde sie befreien oder befreien lassen«, sagte Marlenus. »Ich schicke Männer zur Austauschstelle, wenn ich nach Ar zurückkehre.«

»Ich verstehe, Ubar«, sagte ich. Er hatte seine Tochter als Sklavin eingestuft, und eine Sklavin galt einem Goreaner nicht mehr als ein Tier.

Marlenus schnipste mit den Fingern und deutete auf seinen Weinkelch.

Die Sklavin eilte herbei und schenkte ihm ein. Sie hob den Kopf nicht. Auf ihrem linken Schenkel leuchtete das frische Brandzeichen. Um den Hals verlief der Stahlkragen des Marlenus.

Verna war eine herrliche Frau. Sie hatte eine großartige Figur, einen wachen Verstand und einen unbeugsamen Stolz. Doch Marlenus hatte sie von Anfang an wie jede andere gewöhnliche Sklavin behandelt. Das hatte Verna noch wütender gemacht. Erst vor wenigen Stunden hatte sie einen Fluchtversuch unternommen und war dafür streng bestraft worden.

Jetzt bediente sie lautlos in unserem Zelt.

»Hast du schon mit ihr geschlafen?« fragte ich.

Marlenus sah das Mädchen an und sagte: »Nein! Sie ist eine ungeübte, unwissende Sklavin.«

Verna funkelte ihn zornig an, den Weinkrug im Schoß.

Marlenus schickte sie aus dem Zelt.

»Sie ist noch zu verkrampft«, sagte der Ubar, der große Erfahrung mit Frauen hatte. »Abgesehen von ihrer Wut und ihrer Entrüstung steckt eine seltsame Kälte in ihr – Arroganz, Hochmut, Trotz, ein Eis, das erst noch brechen muß.«

»Sie wird es gewiß lernen, Sklavin zu sein«, sagte ich lächelnd.

»Ich bin ein Ubar«, erwiderte er.

»Ich begreife nicht …«

»Glaubst du, Marlenus aus Ar wartet, bis sie es lernt, eine Sklavin zu sein? Sie muß besiegt und gebrochen werden, sie muß gelenkt werden. Sie wird mich noch um Gnade anflehen!«

»Verna hat einen starken Willen«, wandte ich ein. »Sie ist sehr stolz und intelligent.«

»Um so besser«, sagte Marlenus. »Und das Spiel wird bald beginnen. Sie wird heute nacht zum zweitenmal zu fliehen versuchen.«

Ich sah ihn verblüfft an.

»Ich habe Befehl gegeben, daß die Wachen sie nicht aufhalten.«

»Aber dann ist es dunkel – und sie gewinnt einen großen Vorsprung.«

»Wir holen sie zurück, wann wir wollen«, sagte er. »Ich habe dafür gesorgt, daß Huras Mädchen rings um das Lager im Wald postiert sind. Wenn sie den Panthermädchen nicht ins Netz geht, ziehe ich nach einigen Tagen los und hole sie selbst.«

»Du bist sehr zuversichtlich.«

»Sie hat keine Chance«, sagte Marlenus. »Ich habe heute früh einige Dinge, die ihr gehörten, an mich gebracht, so daß meine Jagdsleen leicht ihre Fährte aufnehmen können – auch wenn sie glaubt, alle Spuren verwischt zu haben.«

»Du bist gründlich«, sagte ich.

»Ja, und sie hat von alledem keine Ahnung. Sie wird sich eine ausgezeichnete Fluchtchance ausrechnen – um so größer muß dann ihre Enttäuschung sein, daß ich sie die ganze Zeit an einer unsichtbaren Leine hatte!«


Kaum hatte Marlenus seinen Ubars Tarnkämpfer auf Ubars Hausbauer Sieben gerückt, als wir den Schrei am Tor hörten.

Es war ein heißer Nachmittag, der Spätnachmittag nach Vernas nächtlicher Flucht – wie es Marlenus vorausgesagt hatte.

Wir erhoben uns und gingen zum Tor, das eben geöffnet wurde. Unser Blick fiel sofort auf Verna, die in einer Gruppe von Panthermädchen stand. Man hatte ihr die Hände auf dem Rücken zusammengebunden. Sie blickte ärgerlich auf.

Ein dunkelhaariges Mädchen trat vor.

»Sei gegrüßt, Hura«, sagte Marlenus.

»Sei gegrüßt«, erwiderte die Frau. Ich sah Mira hinter ihr stehen. »Wir haben dir eine entflohene Sklavin zurückgebracht.« Hura versetzte Verna einen Stoß, so daß sie einige Schritt vortaumelte. Hura lachte. Sie war groß und machte einen wenig angenehmen Eindruck. Ich traute ihr nicht. Ihr Lachen war verkniffen und hämisch.

»Ja«, sagte Marlenus und musterte Verna von Kopf bis Fuß. »Diese Sklavin gehört mir.«

»Ich gehöre nicht dir!« schrie Verna. »Ich bin Verna! Verna, die Gesetzlose!«

»Wir haben sie gefangen«, meldete Hura.

»Ich gebe dir ein Stahlmesser und vierzig Pfeilspitzen für sie.«

»Einverstanden.«

Das Messer und die Pfeilspitzen wurden gebracht.

Hura nahm die Tauschgüter, und Marlenus packte Verna am Arm. »Du und dein Leutnant Mira – ihr könnt zusehen, wenn ihr wollt«, sagte er.

»Es wäre uns eine Ehre, Ubar«, erwiderte Hura.

Sie und Mira folgten Marlenus, der Verna ins Lager führte.

Vor seinem Zelt blieb er stehen. »Ruft das ganze Lager zusammen!« befahl er. »Auch die Sklavinnen.«

Verna mußte neben ihm niederknien.

Nach kurzer Zeit hatten sich alle Lagerbewohner eingefunden – Jäger, Tarnreiter, Kochgehilfen, Sklavinnen. Auch Vernas Mädchen waren herbeigeschafft worden.

Es war Spätnachmittag und sehr heiß. Kein Lüftchen regte sich.

Verna sah Marlenus trotzig an.

»Nehmt ihr die Fesseln ab«, sagte der Ubar und wandte sich an das Mädchen. »Wer bist du?«

»Ich bin Verna, eine Gesetzlose!«

Zu ihrer Verblüffung öffnete Marlenus daraufhin ihren Sklavenkragen, den er neben ihr in den Sand warf.

Sie sah ihn verwirrt an.

»Schneidet der Gesetzlosen die Achillessehnen durch«, befahl er.

»Nein!« kreischte Verna und sah Marlenus entsetzt an.

Zwei Wächter hielten das zappelnde Mädchen und warfen sie auf den Bauch. Zwei weitere Männer hielten ihr die Beine fest.

Ein fünfter Jäger trat auf ein Zeichen Marlenus’ hinter Verna und zog sein Sleenmesser.

»Ich bin eine Frau!« kreischte Verna. »Ich bin eine Frau!«

»Nein«, sagte Marlenus, »du bist eine Gesetzlose!«

»Ich bin eine Frau!«

»Du hast nur den Körper einer Frau«, sagte Marlenus. »Innerlich bist du ein Mann.«

»Nein!« schluchzte sie. »Ich bin eine Frau – eine Frau.«

»Ist das wahr?«

»Ja! Ja!«

»Dann müssen wir wohl doch die flüchtige Sklavin bestrafen. Schneidet ihr die Sehnen durch.«

»Herr!« flehte Verna. »Herr!«

Marlenus hob in gespieltem Erstaunen die Hand, worauf das Messer zurückgenommen wurde.

»Bitte!« flehte Verna. »Tu mir nichts, Herr! Ich gehöre dir! Ich flehe dich an – laß Gnade walten, Herr!«

»Laßt sie los!« befahl Marlenus. Verna kniete vor ihm am Boden, den Kopf gesenkt. Ihre Schultern, ihr ganzer Körper bebte vor Entsetzen.

Auch die anderen Mädchen waren zutiefst erschrocken, und Hura und Mira sahen sich beunruhigt um.

Vernas Stolz war gebrochen, schneller, als ich es für möglich gehalten hätte. Marlenus’ Wille hatte triumphiert.

Sie blickte zu Marlenus empor, eine Sklavin, die sich in der Gewalt ihres Herrn wußte.


Später am Tage saßen Marlenus und ich über einem Spiel.

»Ich werde bald zu meinem Schiff am Laurius zurückkehren«, sagte ich.

»Das solltest du tun«, bemerkte Marlenus und betrachtete die Figuren. »Aber wenn du abreist, suche bitte nicht im Norden eine bestimmte Austauschstelle auf, um dort eine ehemalige Bürgerin Ars zu befreien.«

»Ich verstehe.«

»Ich werde mich darum kümmern – als ihr ehemaliger Ubar.«

»Was hast du mit ihr vor?«

»Sie wird in Ar wohnen. Aber schlag sie dir aus dem Kopf. Sie paßt nicht zu dir.«

Und damit hatte er recht. Talena, einst die schöne Tochter eines großen Ubar, war nur noch ein Niemand.

»Eine Sklavin!« meldete in diesem Augenblick der Wächter vor dem Zelt.

»Schick sie herein«, befahl Marlenus, ohne den Blick vom Brett zu heben.

Verna war schön. Sie trug einen Weinkrug und war aufwendig als goreanische Vergnügungssklavin zurechtgemacht – eine der schönsten Frauen, die ich je gesehen hatte.

Marlenus musterte sie kurz, und Verna senkte den Blick.

»Bring uns Wein.«

»Ja, Herr.«

Marlenus war wieder ganz auf das Spiel konzentriert. Mir fiel etwas auf, worüber ich bisher noch nicht nachgedacht hatte. Mir wurde klar, daß Marlenus eine überaus anziehende Wirkung auf Frauen haben mußte. Er war ein ungebändigter Mann, klug, leidenschaftlich, herausfordernd, und er sah gut aus. Er war mächtig und kompromißlos und kontrollierte Städte und Menschen, er war ein Tarnkämpfer, ein Herrscher über die riesigen Raubvögel Gors, die als Flugtiere verwendet wurden. Ich wunderte mich nun nicht mehr über die rasche Wandlung, die mit Verna vorgegangen war.

»Ubara auf Ubara Vier«, sagte Marlenus.

Ich zog meinen Ubars Arzt auf Ubara Sechs vor und stellte ihn damit zwischen die Ubara und den Heimstein.

Marlenus und ich sahen zu, wie Verna den Wein einschenkte. Ja, sie hatte sich verändert – sie hatte ihre Bestimmung erkannt.

»Tarnkämpfer auf Ubara Sechs«, sagte Marlenus und bewegte seinen Tarnkämpfer auf sein Feld Ubara Sechs, das meinem Feld Ubara Vier entsprach.

»Raub des Heimsteins«, sagte Marlenus.

Ich war besiegt. Achselzuckend stand ich auf.

Vernas Augen leuchteten. Ich war vernichtend geschlagen worden – von ihrem Herrn. Von dem Spiel verstand sie nichts, doch sie begriff, daß er gesiegt hatte. Sie entnahm dies seinem Tonfall und der Schnelligkeit seiner Bewegungen, dem kühnen Vorrücken der Figuren, der Lebhaftigkeit und Arroganz seines Verhaltens. Marlenus hatte halsbrecherisch, aber geschickt gespielt. Er hatte mich hilflos vor sich hergetrieben. Und das wußte Verna. Sie hing mit den Blicken an ihm.

Marlenus schob das Brett zur Seite und sah sie an. »Komm in meine Arme«, sagte er.

Ich zog mich zurück.

Noch während ich mich vom Zelt entfernte, hörte ich Vernas Schrei, der ihr tief aus der Kehle drang, und als ich längst in meiner Decke lag, vernahm ich aus der Ferne das Stöhnen des Mädchens, das sich ihrem Herrn hingab.

Ich drehte mich auf die andere Seite. Am nächsten Tag wollte ich früh zur Tesephone zurückkehren.

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