Ich wanderte durch den dichten Wald auf den Laurius zu.
Ich hatte meine Männer im Lager des Marlenus zurückgelassen – Arn, seine Gesetzlosen und die fünf von der Tesephone. Ich wollte bei dieser Wanderung allein sein, denn ich mußte mit mir selbst ins reine kommen. Sie sollten mir in zwei Tagen folgen.
Ich trug alle meine Waffen bei mir – auch den Langbogen, den ich vor Tagen aus Vernas Lager hatte mitnehmen können.
Voller Pläne war ich in den Wald gezogen. Ich wollte Talena ihrem Vater unter der Nase wegschnappen und mich damit für seine Verbannung rächen. Ich wollte sie wiedererringen und mit ihr zusammen die Leiter des politischen Erfolges erklimmen – denn mit einer solchen Frau blieben einem nur wenige Türen und Zylinder verschlossen.
Ja, so hatte ich es geplant.
Männer von niedriger Herkunft hatten in ihrem Ehrgeiz oft die Verbindung mit hochgeborenen Frauen gesucht, um ihre Karriere zu fördern. Durch solche Verbindungen drangen sie in Gruppen vor, in denen sie ihre Talente und Energien anwenden konnten – Gruppen, die ihnen sonst verschlossen geblieben wären. Doch führende Familien nehmen oft bewußt solche Neuankömmlinge auf, die Energie und Intelligenz mitbringen und die im Austausch für Position und Chance später dazu beitragen, daß seine Familie angesehen und führend bleibt. Menschliche Strukturen sind Gruppenstrukturen, und geschlossene Gruppen, die ein Gespür für ihren Vorteil haben und vernünftig genug sind, ein gewisses Maß an sorgfältig ausgesuchtem neuem, ehrgeizigem Blut aufzunehmen – diese Gruppen dominieren in der Gesellschaft. Viele Menschen haben keine Ahnung von der Macht dieser Gruppen, denn sie lassen sich oft nur in gesellschaftlichen Verbindungen und Bezügen ausdrücken. Die ersten Familien einer Stadt stellen gewöhnlich eine oder mehrere solcher Gruppen dar, die zuweilen im Wettstreit miteinander stehen.
Ich war nur ein Kaufmann.
Mit der Tochter eines Ubar als Gefährtin hätte sich niemand mehr daran erinnern dürfen, daß ich keiner hohen Kaste angehörte. Die Verbindung hätte mir viel eingebracht.
Ich war zwar bereits ein reicher und mächtiger Mann, doch meine politische Macht beschränkte sich auf Port Kar. Und in Port Kar reichte meine Macht genaugenommen nicht weiter als meine Stimme im Kapitänsrat. Ich war nicht einmal Vorsitzender des Rates – dieser Posten wurde von Samos eingenommen.
Nachdem ich den Dienst für die Priesterkönige quittiert hatte, war in Port Kar mein Ehrgeiz geweckt worden. Wirtschaftliche und politische Macht sind wie der rechte und der linke Fuß. Um sich wirklich bewegen zu können, um wirklich voranzukommen, muß man beide haben. Meine kaufmännischen Unternehmungen hatten mir Reichtum beschert. Meine Verbindung mit Talena hätte mich zu einem der mächtigsten Männer auf Gor gemacht.
Ich lachte verbittert. Wie einfach hatte ich mir alles vorgestellt! Nun hatte ich wenig vorzuweisen. Man würde mich auslachen.
Ich und meine Männer waren den Panthermädchen zum Opfer gefallen. Man hatte uns hereingelegt und übertrumpft. Das Zeichen unser Schande war auf unseren Köpfen deutlich zu sehen. Ich und meine Männer wären im Tanzkreis vergewaltigt und dann verkauft worden, hätte uns nicht Marlenus gerettet.
Er hatte lässig gesiegt, wo wir versagt hatten. Ihm, nicht Bosk, waren Verna und ihre Mädchen zugefallen. Er, nicht Bosk, würde sie verkaufen. Und dann hatte er mir und meinen Leuten großzügig Gastfreundschaft gewährt, und ich durfte ihm die ganze Nacht zuhören, wie er das hübscheste der Panthermädchen beschlief: Verna, ihm war sie verfallen, ihm.
Ich schüttelte den Kopf. Marlenus war wirklich ein Ubar – ein Ubar aller Ubars.
Verna war eine ungeschliffene, stolze, trotzige, herrliche Frau des Waldes gewesen, die Männer haßte. Dann war sie Marlenus in die Hände gefallen, der sie so nicht akzeptierte. Er hatte sein wildes Spiel mit ihr getrieben, hatte ihr den Willen genommen und sie zur Sklavin gemacht. Aber sie hatte wohl auch Spaß an der Entdeckung ihres Geschlechts und ihres Körpers gehabt, denn zu lange hatte sie ihre Fraulichkeit bekämpft und abgelehnt. Sie war nun eine Frau, und Marlenus hatte sie als Frau genau so, wie er sie haben wollte.
Marlenus, bleibst du immer siegreich? fragte ich mich – eine Frage, die wohl auch Verna ihm gestellt hatte.
Ich kehrte ohne Talena zur Tesephone zurück – ich hatte nichts vorzuweisen.
Marlenus hatte das Recht, sie zu befreien – immerhin war sie eine frühere Bürgerin Ars. Er würde sie zwar in die Stadt zurückschaffen, doch sie war verstoßen.
Ich überlegte, welche anderen Ubars Töchter hatten.
Lurius von Jad, der Ubar der Insel Cos, sollte aus einer längst aufgelösten Gefährtenschaft eine Tochter haben. Turmus aus Turia, wenn man den Berichten trauen konnte, sogar zwei. Sie waren einmal von den Tuchuks versklavt worden, später jedoch als Geste des guten Willens durch Kamchak, den Ubar San der Wagenvölker, zurückgegeben worden. Sie waren jetzt frei.
Cos und Port Kar waren natürlich verfeindet, doch wenn der gebotene Gefährtenpreis stimmte, würde mir Lurius das Mädchen sicher geben. Diese Verbindung konnte natürlich nichts an der politischen Lage zwischen den beiden Städten ändern. Es lag an Lurius, seine Tochter zu vermählen, wie es ihm gefiel. Vielleicht hatte sie gar keine Lust, nach Port Kar zu kommen, doch werden die Gefühle einer Tochter bei solchen Gelegenheiten wenig berücksichtigt. Manche hochgeborene Frau ist weniger frei als das niedrigste Sklavenmädchen.
Auch Clark aus Thentis hatte eine Tochter, aber er war kein Ubar – er gehörte nicht einmal einer hohen Kaste an. Auch er war Kaufmann. Ja, es gab viele einflußreiche Kaufleute auf Gor, die Töchter hatten – zum Beispiel der erste Kaufmann von Teletus und der erste Kaufmann von Asperiche. Tatsächlich hatten sich diese beiden Persönlichkeiten bereits im letzten Jahr mit mir in Verbindung gesetzt und eine Gefährtenschaft mit ihren Töchtern angedeutet, doch ich hatte es abgelehnt, dieses Thema zu diskutieren. Ich wünschte mir eine Frau aus höchster Kaste.
Wahrscheinlich hätte ich Claudia Tentia Hinrabia von den Hausbauern erringen können, die Tochter Claudius Tentius Hinrabius’, eines ehemaligen Ubar von Ar. Marlenus, in dessen Palast sie wohnen durfte, hätte in seiner Großzügigkeit wahrscheinlich dafür gesorgt, daß sie meinen Antrag annahm. Ich erinnerte mich, daß auch sie einmal versklavt gewesen war und daß ich sie im Hause des Cernus als Sklavin gesehen hatte. Natürlich wünschte ich mir eine schöne Gefährtin – und Claudia war, wie ich mich erinnerte, sehr schön. Allerdings waren die übrigen Mitglieder ihrer Familie ausgelöscht worden – so war Claudia zwar von hohem Stand, hatte jedoch keine Familie mehr und war damit ohne Einfluß.
Es gab verschiedene Jarls in Torvaldsland, die mit Töchtern gesegnet waren – doch im allgemeinen handelte es sich um unwissende, primitive Frauen. Außerdem gab es in Torvaldsland keinen Jarl, der größere Macht auf sich vereinigte. Es war in jenem kahlen, unzugänglichen Land nicht ungewöhnlich, daß die Tochter bei der Ankunft ihres Freiers von der Weide hereingerufen wurde, wo sie die Verr ihres Vaters gehütet hatte.
Auch im tiefsten Süden gab es Ubars, das wußte ich, doch ihre Länder waren klein und lagen weit im Landesinnern. Ihre politische Macht reichte kaum über die Landesgrenze hinaus.
Vielleicht mußte ich doch an die Tochter Lurius’ aus Jad herantreten, des Ubar von Cos. Sie war die Tochter eines Ubar. Wenn der Gefährtenpreis stimmte, würde er sie mir geben.
Aber vielleicht war es doch noch zu früh, an eine Gefährtenschaft zu denken. Ich konnte warten. Ich war geduldig.
Aber ich war auch wütend!
Ich hatte Talena nicht gerettet! Sie war verstoßen worden! Und ich und meine Männer waren den Panthermädchen in die Hände gefallen. Marlenus aus Ar hatte uns gerettet und gebot nun über Verna und ihre Mädchen. Er hatte das stolze Panthermädchen bezwungen. Er ging auf die Jagd und vergnügte sich, während ich und meine Männer die Gastfreundschaft seines Lagers genossen und von seiner Großzügigkeit zehrten. Er hatte mich vernichtend am Spielbrett geschlagen. Und er würde, wenn es ihm gefiel, Talena befreien und sie nach Ar mitnehmen.
Und ich und meine Männer – wir würden nach Port Kar zurückkehren, mit leeren Händen, das Zeichen unserer Schande auf dem Kopf, Zielscheibe des Spotts der Öffentlichkeit, während Marlenus als siegreicher Ubar nach Hause reiste, wieder einmal erfolgreich!
Was für ein Mann er war! Und wie klein und unbedeutend ich mir neben ihm vorkam! Ich begann ihn allmählich zu hassen.
Ja, Marlenus schien immer siegreich zu sein. Er schien sich nie zu verrechnen. Er hatte die Lage mit Verna und ihrer Bande richtig eingeschätzt – sie und ihre Mädchen waren jetzt seine Sklavinnen. Und wer mochte sich überhaupt gegen einen solchen Mann stellen? Wen hatte er zu fürchten? Marlenus verrechnete sich nie.
Ich freute mich auf die Rückkehr zur Tesephone. Daß ich eine Zeitlang mit meinen Gedanken allein gewesen war, hatte mir gutgetan. Ich wollte es meinen Männern eine Weile gestatten, mich wegen meines Haars zu verspotten, anders ging es nicht. Doch wenn die anfänglichen Spannungen gemindert waren, mußte ich meine Autorität als Kapitän wieder festigen. Und wenn es dann noch Streitfragen gab, mußte das Schwert entscheiden.
Aber niemand würde sich gegen mich stellen. Dazu kannte ich meine Mannschaft zu gut, die aus ausgewählten Männern bestand.
Ich freute mich auf ein Wiedersehen mit der kleinen Tina und Rims hübscher Sklavin Cara – und natürlich mit dem ehemaligen Panthermädchen Sheera. Und ich freute mich auf Thurnock und auf Rim, der mit dem Panthermädchen Grenna zur Tesephone zurückgekehrt war. Ihre Wunde war inzwischen sicher gut versorgt worden.
Am nächsten Morgen wollten wir flußabwärts fahren und nach kurzer Station in Laura nach Lydius weitersegeln. In Lydius wollte ich eine zweitägige Pause einlegen, dann ging es zurück nach Port Kar.
Ich lächelte vor mich hin. In meinem Lager mußten sich jetzt vier Pagasklavinnen befinden. Ich hatte sie noch nicht gesehen, doch Rim hatte sie als Schönheiten beschrieben.
Als ich mich dem Lager näherte, umklammerte meine Hand unwillkürlich den großen Bogen. Über meiner linken Schulter hing das Schwert, an meinem Gürtel ein Sleenmesser und daneben ein Köcher aus Verrleder mit neunzehn Temholzpfeilen.
Seltsam, daß Hesius kein Pfand für die Mädchen verlangt hatte, denn er kannte uns doch gar nicht. Dies fiel mir erst jetzt auf. Wenn ich es genau bedachte, kam mir auch sein Preis ausgesprochen niedrig vor, besonders wenn es sich um so hübsche Mädchen handelte, wie Rim sie beschrieben hatte. Gewiß, die Preise in Laura waren ziemlich niedrig, das glaubte ich gern. Doch bekam man gute Ware zu so günstigen Konditionen? Plötzlich verkrampfte sich meine Hand um den Langbogen. Ich blieb stehen und spannte ihn. Ich zog einen Pfeil aus dem Köcher und setzte ihn auf die Sehne. Mir war plötzlich kalt, eine eiskalte Wut durchströmte mich. Im Handumdrehen wurde mir alles klar – wir waren Narren gewesen! Mir fiel ein, daß Hesius freiwillig, als Geste des guten Willens, auch noch Wein mit ins Lager geschickt hatte!
Ich unterdrückte einen Wutschrei. Die Männer aus Tyros!
Versessen auf Talena, hatte ich sie völlig vergessen. Ich hatte nicht mehr auf die Gefahren geachtet, die ringsum lauerten!
Mit größter Vorsicht näherte ich mich dem Lager der Tesephone. Zwischen Ästen versteckt, überblickte ich den Lagerplatz.
Die Schutzmauer, die das Schiff zum Land hin abgeschirmt hatte, war niedergerissen worden. Da und dort lag die Asche von Lagerfeuern. Trümmer waren auf der Fläche verstreut. Der Sand war an vielen Stellen aufgewühlt, als wäre heftig gekämpft worden. Die tiefe Kerbe des Kiels zog sich durch den Sand, verschwand im Wasser.
Meine Männer, die Sklaven, die Tesephone – alles war verschwunden.
Ich ballte die Faust und legte die Stirn gegen den Ast, hinter dem ich stand.
Wieder mußte ich eine Niederlage hinnehmen.